OMG, diese Aisling! – Back to the Roots - Sarah Breen - E-Book

OMG, diese Aisling! – Back to the Roots E-Book

Sarah Breen

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Beschreibung

Einmal Aisling, immer Aisling! So schnell kann's gehen: Gerade noch hatte Aisling eine coole Wohnung, einen sicheren Job und eine feste Beziehung, da schlägt das Schicksal gleich mehrfach zu: Nicht nur, dass sie sich wegen der LGBTQ-Hochzeit ihrer Mitbewohnerin Elaine eine neue Wohnung suchen muss – die arme Aisling wird auch noch gefeuert. Und ihre gerade wieder aufgeflammte Beziehung zu John fühlt sich irgendwie … nun ja, eben langweilig an. Es ist Zeit, das Leben in neue Bahnen zu lenken! Kurzerhand zieht Aisling zurück nach Ballygobbard, um ein Brunchcafé zu eröffnen. Doch ihr Versuch, das urbane Leben aufs Land zu bringen und nebenbei noch ihr Glück zu finden, birgt mehr Stolpersteine, als sie je geahnt hätte.

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Seitenzahl: 529

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Über das Buch

So schnell kann’s gehen: Gerade noch hatte Aisling eine coole Wohnung, einen sicheren Job und eine feste Beziehung, da schlägt das Schicksal gleich mehrfach zu: Nicht nur, dass sie sich wegen der LGBTQ-Hochzeit ihrer Mitbewohnerin Elaine eine neue Wohnung suchen muss – die arme Aisling wird auch noch gefeuert. Und ihre gerade wieder aufgeflammte Beziehung zu John fühlt sich irgendwie … nun ja, eben langweilig an.

Es ist Zeit, das Leben in neue Bahnen zu lenken! Kurzerhand zieht Aisling zurück nach Ballygobbard, um ein Brunchcafé zu eröffnen. Doch ihr Versuch, das urbane Leben aufs Land zu bringen und nebenbei noch ihr Glück zu finden, birgt mehr Stolpersteine, als sie je geahnt hätte.

 

 

 

 

Für die Mná na hÉireann, Frauen von Irland, besonders für India und Esme.

Die Zukunft ist sicher.

PROLOG

»Ist es um die Brust herum eingerüstet?«

Das Kleid ist wunderschön, aber ich schaue auf das 450-Euro-Preisschild und frage mich, warum es so teuer ist. Ganz schön viel Geld für etwas, das man nur einmal tragen wird. Obwohl die Fotos natürlich für immer sind.

»Wie meinen Sie?«

Auf Immer & Ewig ist der edelste Brautladen in Dublin, und die Verkäuferin – auf ihrem Namensschild steht Grace, aber das bezweifle ich, graziös sieht anders aus – behandelt mich von oben herab, seit wir hereingekommen sind. Bestimmt, weil ich eine Jogginghose und meinen alten BGB-Hoodie trage. Es ist aber wichtig, sich in solchen Läden so schnell wie möglich die Kleider vom Leib reißen zu können. Ein guter Tipp, den ich aus einem Hochzeitsforum im Internet habe.

Der Laden ist überhaupt todschick – die kennen ihre Kundschaft, alles ist in Rosa –, und wir haben ihn für uns allein. Ich war entzückt, dass jemand kurzfristig abgesagt hatte – normalerweise muss man ein halbes Jahr im Voraus einen Termin machen.

»Sie will wissen, ob das Kleid ein eingearbeitetes Mieder hat«, ruft Sadhbh hinter dem rosa Vorhang der Umkleidekabine hervor. Wie gut, dass sie hier ist, um zu übersetzen. Solche Situationen sind nicht mein Ding, aber Sadhbh fühlt sich in Luxusboutiquen ganz heimisch und kennt den Jargon.

»Ah, verstehe«, sagt Grace verkniffen. Unsere zweite und letzte Shoppingstunde hat begonnen. »Das hier nicht, aber wenn Aisling eins mit Mieder will, kann ich ihr natürlich ein paar erlesene Kleider zeigen.«

»Danke«, sage ich strahlend und mache heimlich ein Foto von dem Preisschild. Wenn man die Artikelnummer kennt, kann man die Teile im Internet zum halben Preis bekommen. Ein weiterer Tipp, den ich aufgelesen habe – diese Foren wiegen die Kosten des Breitbandanschlusses mehr als auf. »So ein kleines Mieder kann bestimmt nicht schaden, da die Hochzeit in der Woche nach Weihnachten ist.«

Majella kommt herbeigeschlendert, in jeder Hand ein Glas Prosecco und ein schwarzes Kleid über dem Arm. »Lass mich erst ausreden, ja?«, sagt sie und sprüht dabei Krümel über den rosa Teppich – sie hat sich an den rosa Gratis-Macarons gütlich getan.

»Du bist die Beste, Maj«, sage ich mit einer Grimasse und hänge das schwarze Kleid wieder weg. Kennt sie mich überhaupt? Ich bin doch kein Grufti!

Der Vorhang der Umkleidekabine fliegt auf, und Sadhbh tritt auf das Podest. Sie trägt ein bodenlanges schiefergraues Kleid, in dem sie aussieht wie aus einem Modemagazin – was für eine Figur! Ich verstehe nicht, warum sie sich immer in diese formlosen Säcke und Kimonos hüllt. Unweigerlich muss ich losheulen – sie ist einfach atemberaubend.

»Ach, Ais, nicht schon wieder.« Sadhbh hebt den Saum ihres Kleides und stakst zu der rosa Samtcouch herüber, auf der Majella und ich inzwischen sitzen. Weiter hinten verdreht Grace die Augen.

»Tut mir leid, tut mir leid«, sage ich und tupfe mir übers Gesicht. »Du wirst einfach so eine umwerfende Brautjungfer sein. Einfach fantastisch, Sadhbh. Ich glaube, das Kleid ist es. Gefällt es dir?«

»Ich mag die Farbe – aber hiermit bin ich mir nicht so sicher«, sagt sie und fummelt an dem Wasserfallausschnitt herum. Gerade den finde ich sehr zeitlos und elegant. Sie dreht sich noch einmal vor dem Spiegel um die eigene Achse.

»Darf ich etwas vorschlagen?«, ruft die ungraziöse Grace von hinten, wo sie gerade Prosecco nachschenkt. Majella hält sie auf Trab. »Wie wäre es denn, wenn die beiden Brautjungfern Kleider in derselben Farbe, aber in unterschiedlichen Stilen tragen würden?«

Ich kann geradezu sehen, wie über meinem Kopf eine Glühbirne aufleuchtet. Warum ist mir das nicht eingefallen? Genau das richtige Maß an cool und trendy.

»Genau!«, kreische ich. »Das klingt total … abgefahren. Aber auch elegant. Nicht wahr, Sadhbh? Bist du dabei?«

»Du kennst mich doch, Ais, ich bin für alles offen«, sagt Sadhbh und zieht sich in die Umkleidekabine zurück. »Das überlasse ich dir.«

Grace lächelt säuerlich und macht sich an einem Kleiderständer voller grauer Kleider zu schaffen. »Wir haben hier viele Kundinnen wie Sie, Aisling. Viele Aislings. Die Idee gleiche Farbe, unterschiedliche Stile kommt meiner Erfahrung nach immer gut an.«

»Das kann ich gut verstehen«, rufe ich ihr zu. »Die Idee ist einfach genial. Genial!«

In meiner Michael-Kors-Tasche klingelt das Handy, und als ich es herauskrame, ist Johns Bild auf dem Display zu sehen. Ich lege sofort meine Hand darüber. Mir ist zwar klar, dass er nicht aus dem Telefon gucken kann oder so, aber allein die Vorstellung von einem Mann in einem Brautladen macht mich schon nervös. Das hier ist ein heiliger Ort.

»Hallo«, flüstere ich, stehe auf und verdrücke mich in eine Ecke. Die Kleider sollen noch nicht mal eine männliche Stimme hören.

»Ais«, antwortet er. »Ich weiß, dass du gerade unterwegs bist. Ich wollte nur wissen, ob du ein Geschenk für meine Mutter besorgt hast. Von mir sozusagen.«

John und ich sind seit acht Jahren zusammen – na ja, ein bisschen weniger, wenn man die kleine, unerwartete Unterbrechung miteinrechnet, die wir vor Kurzem hatten –, und die letzten acht Weihnachten habe ich jeweils ein Paar Hausschuhe gekauft, als Geschenk verpackt und »Für Mammy, alles Liebe, John« auf den Anhänger geschrieben. Warum sollte es dieses Jahr anders sein?

»Unterm Baum«, sage ich und seufze geduldig. »Das Geschenkpapier mit dem Kind in der Krippe.«

Es gab eine Zeit, da fand ich Johns Unbeholfenheit bezaubernd und seine Abhängigkeit von meiner Expertise, was den Hausschuhgeschmack seiner Mutter angeht, romantisch, aber ich muss zugeben, allmählich wird es ermüdend.

»Ich muss jetzt auflegen«, sage ich und beende das Telefonat. Dann atme ich tief durch, setze ein Lächeln auf und drehe mich um. »So, Grace, was hätten Sie denn in Grau für mich mit einem Mieder? Aber nichts zu Extravagantes, bitte, wir wollen ja nicht die Bräute ausstechen.«

»Elaine und Ruby ist es völlig egal, was wir anhaben, das weißt du doch.« Sadhbh lacht hinter dem Vorhang.

Sie hat natürlich recht. Wenn es nach unserer Mitbewohnerin und ihrer Verlobten ginge, wären wir gar nicht hier. Aber ich kann sie schließlich nicht ohne Brautjungfern heiraten lassen. Lesbisch hin oder her, bei Hochzeiten muss man sich an die Regeln halten – und die kenne ich alle!

KAPITEL 1

Mir läuft eine Schweißperle den Nacken hinunter, als ich noch mal auf alle viere gehe, um nachzuzählen. Vielleicht habe ich mich ja die ersten drei Male vertan.

»Achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig, einundfünfzig.« Wie eine Lehrerin, die ihre Schüler im Bus durchzählt und betet, keinen im Clara-Lara-Vergnügungspark vergessen zu haben, rattere ich die Zahlen runter. Vielleicht bleibe ich einfach unter dem Weihnachtsbaum sitzen und komme nie wieder raus. Oder zumindest erst, wenn dieser Nachmittag vorbei ist.

Einundfünfzig Geschenke. Dreiundfünfzig Leute, und nur einundfünfzig Wichtelgeschenke. Zwei nichtsnutzige Idioten haben es offenbar nicht für nötig befunden, heute ihren Hintern ins Büro zu bewegen, um etwas unter den Baum zu legen. Sie haben sich wahrscheinlich einen Tag zu Hause gegönnt, da die heutige Weihnachtsfeier allgemein als Ausrede dient, es im Büro eher langsam angehen zu lassen. Außer man leitet die Projektgruppe Weihnachtsfeier und hat die Aufgabe übernommen, das Wichteln zu organisieren. Früher hat Donna das gemacht. Und obwohl ich es bestimmt nicht vermisse, wie sie morgens immer bei jedem Bissen Haferbrei mit ihren Zähnen am Löffel entlangscharrte, fehlt sie mir gerade jetzt doch sehr. Anstatt es einfach »Wichteln« zu nennen, ist sie immer zwischen »Christeln«, »Wichten« und »Julklapp« wild hin- und hergewechselt, was mich beinahe in den Wahnsinn getrieben hat. Aber sie hat militant dafür gesorgt, dass alle, die beim Wichteln mitmachen wollten, ihr Geschenk auch rechtzeitig unter den Baum legten. Dass die Firma jetzt auf sie und ihr außergewöhnliches Festorganisationstalent verzichten muss, ist wohl der größte Verlust, zu dem der kürzliche Skandal bei RentenPlus geführt hat. Na ja, abgesehen von den Millionen von Euro, die bei der verfluchten Transaktion verschwunden sind. Aber mir fehlen gerade nicht Millionen von Euro, sondern zwei Geschenke. Und wenn nach der Mittagspause der große Päckchenaustausch stattfindet, werden alle Blicke auf mich gerichtet sein. Was soll ich bloß tun?

Ich stehe ganz lässig neben dem Baum wieder auf und schaue mich verstohlen im Büro um, ob irgendwas herumliegt, das ich als Ersatzgeschenk einpacken könnte. Eigentlich wollte ich mir in der Mittagspause für die Feier nachher die Haare stylen lassen. Ich habe ein wunderschönes Spitzenkleid von Dorothy Perkins, und gestern habe ich noch daran gedacht, mir passend zu meinen Stöckelschuhen eine hautfarbene, zehenfreie Feinstrumpfhose zu besorgen. (Acht Euro für eine Strumpfhose! Wenn nicht Weihnachten wäre, hätte ich mich geweigert, sie zu kaufen.) Jetzt muss ich wohl meinen Friseurtermin sausen lassen, um noch zwei Geschenke zu besorgen, damit niemand mit leeren Händen dasteht. Taugt vielleicht irgendetwas, das hier rumliegt?

Mein Blick fällt auf ein Basecap mit einem Werbeschriftzug auf einem der IT-Schreibtische. Würde das als Geschenk durchgehen? Wenn ich mit Tipp-Ex den Schriftzug überpinsele? Und was ist mit der Flasche Ouzo, die einer aus der Buchhaltung von einer Woche Urlaub auf Mykonos mitgebracht hat? Warum man nicht einfach diese riesigen Milka-Tafeln mitbringt, ist mir übrigens schleierhaft. Meine Toblerone- und Milka-Mitbringsel besorge ich immer hier im Supermarkt. Ich zahle doch nicht die horrenden Preise am Flughafen! Eine klebrige Flasche mit untrinkbarem Gift würde ich allerdings nie mitbringen. Dann wenigstens Pinot Gris oder Weinschorle im Doppelpack, wenn man keine Schokolade kaufen will. Jedenfalls geht die Flasche Ouzo wohl kaum als Weihnachtsgeschenk durch. Also muss ich gleich zur Mittagspause losrasen und panisch ein paar Sachen unter zehn Euro besorgen. Ich weiß ja noch nicht mal, wer die Beschenkten sind! Und ich habe keine Zeit, die Liste durchzugehen, um herauszufinden, welche Namen in der Ansammlung von eingepacktem Krimskrams unterm Baum fehlen. Was für ein Stress!

* *

Wenn mich nicht alles täuscht, trägt Declan Ryan tatsächlich seine riesige Weihnachtsmann-Krawatte. Drückt man hinten auf einen Knopf, klappt der Bart runter, und der Weihnachtsmann streckt einem sein nacktes Hinterteil entgegen – dazu ertönt eine blecherne Version von »Jingle Bells«. Nicht gerade mein stolzester Moment, was Geschenke angeht. Aber nachdem ich schwitzend durch die Lebensmittelabteilung von Dunnes geirrt und mit möglichst neutralen Sachen wieder herausgekommen war (einer Flasche Wein, einer abnormal großen Packung After Eight und einem Achterpack AAA-Batterien), bekam ich Panik. Auf dem Rückweg ins Büro kaufte ich daher die Krawatte als Beigabe zu den After Eight bei Datentyp, einem Handy- und Computerladen. Handy- und Computerladen trifft es nicht ganz, denn hier kann man alles Mögliche kaufen, während man auf die Reparatur seines gesprungenen Displays wartet. Und wenn einem danach ist, kann man auch ein Fax verschicken. Bei meinem Handy muss das Display natürlich nie repariert werden. Meine zuverlässige Schutzhülle sorgt dafür, dass es jederzeit sicher ist. Und bei einem dubiosen Händler würde ich es sowieso nicht reparieren lassen. Erlischt dadurch nicht sogar der Versicherungsschutz? Außerdem stehlen sie dann bestimmt deine Kontakte und schicken dir Nacktbilder und was weiß ich.

Jedenfalls scheint Declan ganz begeistert von seiner Krawatte zu sein. Er schlenkert über die Tanzfläche und entblößt den Hintern vor jedem, der ihn auch nur anguckt. Siobhán von der Personalabteilung war genauso begeistert von der Flasche Wein, aber angesichts der Batterien verständlicherweise verdutzt. Sie ahnt wohl, dass die Geschenke von mir sind. Ich musste sie ihr überreichen, da ihr Wichtelpartner ja nicht da war. Mein »Hohoho, das hat wohl ein kleiner Weihnachtself extra für dich ausgesucht« überzeugte sie nicht. Ich wäre ja begeistert, wenn ich Batterien geschenkt bekommen würde. So praktisch für Fernbedienungen.

Donal von der IT und Marie vom Empfang glänzen durch Abwesenheit – die zwei, deren Geschenke mit ihrem Namen drauf unterm Baum liegen geblieben sind. Morgen werde ich ihnen die Belege für den Wein, die After Eight, die Batterien und die Hinternkrawatte präsentieren.

»Wollen wir tanzen, Ais?«

Sadhbh kommt auf mich zu, nimmt einen Schluck von ihrem Rotwein und streckt mir die Hand entgegen. Sie hat sich letzte Woche die Haare gefärbt. Obwohl sie meine Mitbewohnerin ist, zucke ich immer noch jedes Mal zusammen, wenn ich sie sehe, obwohl ich es bestimmt gut verberge. Grau. Welche Neunundzwanzigjährige färbt sich, bitte schön, die Haare grau? Manchmal glaube ich, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Aber seit sie nicht mehr nur die Kollegin oben aus der Personalabteilung ist, sondern meine beste Freundin hier in Dublin, habe ich mich an ihre Hipsterart gewöhnt. Sie hat sich für heute Abend die Spitzen lila gefärbt und sieht wie immer wunderschön aus. Das ist eben Sadhbh. Sie würde sogar in einer Plastiktüte gut aussehen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie schon mal eine anhatte. Dem Augenschein nach würde man nicht denken, dass wir uns so gut verstehen, aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an.

Wir mussten dieses Jahr Getränkemarken ausgeben, da die offene Bar letztes Mal dafür gesorgt hat, dass drei Leute nach einer besonders heiseren Darbietung des Weihnachtsliedes »Fairytale of New York« von The Pogues im Krankenhaus gelandet sind. Wenn die Getränke umsonst sind, werden die Leute zu leichtsinnig und bestellen wie die Irren doppelte Brandys und Gin-Cocktails, um hektisch so viel wie möglich zu trinken, bevor die Bar schließt. Außerdem haben mir die höheren Mächte zu verstehen gegeben, dass das Budget nach dem Geldskandal begrenzt ist. Der Hotelsaal und das Abendessen waren schon gebucht, das konnten wir nicht mehr rückgängig machen. Die vier Getränkemarken pro Person dagegen wurden am frühen Abend mit nicht gerade wenig Gemecker entgegengenommen. Das hat die gesamte Wertsicherungsabteilung allerdings nicht davon abgehalten, zu den Klängen von »All I want for Christmas is you« in einer ziemlich gefährlich aussehenden Polonaise über die Tanzfläche zu ziehen, während der arme alte Des, ihr langmütiger Teamleiter, sich verzweifelt am Ende festklammerte.

Sadhbh hatte gemeint, ob es nicht besser für mich gewesen wäre, die Organisation an jemand anderen abzugeben, weil ich doch in letzter Zeit viel durchgemacht habe: Daddys Tod, mich um Mammy kümmern und obendrein in letzter Minute auch noch Elaines Junggesellinnenabschied organisieren. Ich war aber froh über die Ablenkung und bin gern beschäftigt und tatsächlich nie so ausgeglichen, wie wenn ich einen JGA plane. Nur vor Weihnachten graut mir. Und wie!

Elaine hat versucht, sich vor dem Junggesellinnenabschied zu drücken, aber ich war fest entschlossen, ihn noch vor ihrer Hochzeit an Silvester reinzuquetschen. Ich kann noch immer nicht fassen, dass Ruby und sie direkt vor meinen Augen eine Beziehung hatten und ich es nicht gemerkt habe. Monatelang habe ich in Elaines Wohnung gewohnt und mich nie wirklich gefragt, warum Ruby fünfmal die Woche zum Frühstück da war. Ich dachte, sie wären einfach enge Freundinnen, die sich einen Netflix-Account teilen. Im Nachhinein ist es ziemlich offensichtlich, dass sie zusammen waren. Majella, meine beste Freundin von zu Hause, die in Phibsboro wohnt, macht sich noch immer deswegen über mich lustig. Dabei hat sie es auch nicht kapiert, obwohl sie regelmäßig bei unseren Freitagabend-Weingelagen dabei war. So viel zu ihrem berühmten Gaydar. Jedenfalls kommen sie um den Junggesellinnenabschied nicht herum. Nur über meine Leiche! Ich war natürlich überhaupt nicht überrascht, dass Elaine keinen wollte. Enttäuscht schon, aber nicht überrascht. In dem Jahr, das ich sie jetzt kenne, war sie bei keinem einzigen dabei, obwohl ich Grund zu der Annahme habe, dass sie zu mindestens dreien eingeladen wurde. Eine Einladung zu einem JGA ausschlagen? Ist das die Möglichkeit? Das eine war sogar ihre Cousine ersten Grades. Mit so einer Schuld könnte ich nicht leben. Ich bin mit Junggesellinnenabschieden groß geworden – und was mich betrifft, ist eine ordentliche Abschiedsfeier genauso wichtig wie die Hochzeit selbst.

Es hat zwar eine Weile gedauert – nicht, dass wir besonders viel Zeit gehabt hätten –, aber schließlich habe ich sie überredet. Sogar Sadhbh, die sich gerne vor »organisiertem Vergnügen« (ihre Worte) drückt, hat sie beschwatzt, weil sie gesehen hat, wie sehr mich das aufregt. Wir sind ganz offiziell zu Brautjungfern ernannt worden. Elaine war erst so: »Ich will keine Brautjungfern«, aber ich habe ihr gesagt, dass das inakzeptabel sei, und zerrte Sadhbh durch jeden Brautladen diesseits des Shannon, bis wir unsere Traumkleider gefunden hatten. Na ja, meine Traumkleider. Nachdem wir aus dem Laden raus waren, habe ich sie sofort in China bestellt. Sie sind in perfektem Zustand angekommen – mein bisher größter Triumph, obwohl Elaine gesagt hat, was sie angeht, könnten wir gerne in Jeans kommen. Unvorstellbar! Aber eigentlich haben wir Glück – wir hätten auch in eine ähnliche Situation geraten können wie bei Eleanor Bolgers Hochzeit letztes Jahr. Eleanor hatte auf tief ausgeschnittenen Multiway-Kleidern in Petrol für ihre vier Brautjungfern bestanden, und beim Anblick ihrer vollbusigen Cousine fielen dem Priester fast die Augen aus dem Kopf. Auf den Fotos sahen die vier gut aus, und darauf kommt es schließlich an, aber die Cousine hat den Tag damit verbracht, alles immer wieder reinzustopfen und Eleanor böse Blicke zuzuwerfen. Jedenfalls sind wir als Elaines Mitbewohnerinnen und Freundinnen natürlich dazu verpflichtet, und ich bin dazu geboren, Brautjungfer zu sein. Her mit der Sitzordnung, kann ich da nur sagen.

Sadhbh unterbricht meinen Gedankenfluss und zieht mich auf die Tanzfläche, als gäbe es kein Morgen, und ich muss zugeben, dass ich den »Single Ladies«-Boogie liebe. Ich fühle mich genau wie Beyoncé bis hin zur Handbewegung. Sechs Jahre irischer Tanzkurs – und ein natürliches Gefühl für Rhythmus hatte ich schon immer. Oh-oh-oh-oh-oh-oh-oh-oh-OOH! Plötzlich kracht Des mitten in uns rein, wovon ich stolpere und Sadhbh Rotwein auf ihr cremefarbenes … Kleid, muss man es wohl nennen, verschüttet. Das hat sie bestimmt bei COS gekauft. Oder in einem dieser Läden, die keinen Namen haben, aber stattdessen ein paar Punkte oder das Bild von einem Fuchs, wo eigentlich das Schild sein sollte, und Kleiderständer über Kleiderständer mit dekonstruierter Mode. Wer was mit heraushängenden Fäden haben will, könnte doch einfach zurück in den Hauswirtschaftskurs an der Schule gehen und sich selbst etwas nach einem Schnittmuster zusammennähen. Ich verstehe nicht, wie Sadhbh gutes Geld für diese Dinger ausgeben kann, aber sie sieht immer wunderschön und hip aus, und ihre verrückte Schmuckauswahl unterstreicht diesen Look irgendwie. Sogar jetzt, in diesem cremefarbenen Mehlsack, von dessen Ärmel der Rotwein tropft, sieht sie elegant aus. Des dagegen hat sich in Luft aufgelöst.

»Komm, das waschen wir raus«, brülle ich und ziehe sie Richtung Toiletten.

Die »Single Ladies« haben fast jede Frau auf die Tanzfläche getrieben, insofern kommen wir schnell an ein freies Waschbecken. »Alles gut, Ais«, behauptet Sadhbh, »das geht sicher raus.« Sie nimmt das echt gelassen. Ich wäre schon längst zu Hause, bis zu den Ellbogen in einem Bottich voller Waschmittel, und würde das Etikett verfluchen, auf dem bestimmt die Waschanleitung fehlt, wo man dafür aber eine ausführliche Beschreibung der Jurte in der Mongolei findet, aus der der Stoff stammt. Aber Sadhbh hat wahrscheinlich recht – mit zweilagigem hellblauem Klopapier daran herumzutupfen, bringt nicht so wirklich was. Außerdem sieht der Rotweinfleck fast so aus, als gehöre er dahin. »Vielleicht sollte ich dir noch einen Blue Curaçao übers Kleid kippen, um das Ganze ein bisschen bunter zu machen!« Sadhbh lacht und wendet sich dem Spiegel zu, um tiefroten Lippenstift aufzutragen. Meine rosa Lippenstiftfarbe ist schon vor Stunden dem Truthahn-Dinner und den vielen Gläsern Wein zum Opfer gefallen.

Neben Sadhbh fühle ich mich immer ein bisschen wie eine Kuh, obwohl ich meine hellbraunen Haare jederzeit ihren grauen vorziehen würde, selbst wenn meine Locken bei dem Nieselwetter etwas außer Rand und Band geraten. Sie hat sich weggeschmissen, als ich ihr mal erzählt habe, dass ich mir noch nie die Haare gefärbt habe. Warum sollte ich auch, wenn die Sonne mir im Sommer so schöne blonde Strähnchen schenkt? Ich wäre doch verrückt, wenn ich das mit Chemikalien aufs Spiel setzen würde. Ich streiche mein Kleid über den Hüften glatt. Es steht mir sehr gut, muss ich sagen. In den letzten sechs Jahren bin ich mehr oder weniger erfolgreich bei den Weight Watchers, die letzten sieben Pfund sind aber sehr hartnäckig. Mein Coach Maura meint, ich stagniere, und besteht darauf, dass ich die Kerrygold-Butter durch einen dieser Aufstriche ersetze. Gott, Daddy würde sich im Grab umdrehen.

Ich habe mich bemüht, zwischen Wasser und Wein zu wechseln, aber nach dem ganzen Stress mit dem Wichteln und jetzt, wo die Party läuft, lasse ich mich gehen. Morgen bei der Arbeit wird es interessant. Niemand hat etwas davon gesagt, dass wir später kommen können. Wir haben in den letzten Wochen überhaupt sehr wenig Infos von den höheren Mächten bekommen. Nicht den Hauch einer E-Mail in Sachen Weihnachtsgeld. Vielleicht kommt sie ja morgen. Ich brauche neue Reifen, und mein Weihnachtsgeld soll die drittteuersten finanzieren. »Spare nie an Reifen oder Handtüchern, so wird dein Weg sicher sein und dein Hintern trocken.« Eine von Daddys Perlen der Weisheit.

Ich glätte auch mein Haar im Spiegel. Da ich es nicht mehr zum Friseur geschafft habe, müssen meine natürlichen Locken heute Abend eben für sich sprechen. Friseure sagen mir immer, wie viele Haare ich habe, während sie sich durchkämpfen. »Ich weiß«, erkläre ich dann voller Stolz. Es gibt kein höheres Lob von einem Friseur, als viele Haare zu haben.

»Sollen wir?« Sadhbh macht auf dem Absatz kehrt, um in den Hotelsaal zurückzugehen, wo die unverkennbaren Klänge von »Livin’ on a Prayer« bestimmt gerade die Wertsicherungsabteilung in neue Höhen der Ekstase versetzen. Hoffentlich hat sich Des irgendwo hingesetzt. Gerade, als wir die Toilette verlassen wollen, schiebt sich Maureen, eine der Chefassistentinnen, an uns vorbei und ruft: »Habt ihr schon gehört?«

»Was gehört?«, fragt Sadhbh. Als Mitarbeiterin der Personalabteilung ist sie sofort ganz Ohr.

»Irgendwas Großes steht morgen an«, sagt Maureen leise zu der Gruppe Frauen, die sie mit in die Toilette geschleppt hat. »Shermer wird eine Ankündigung machen. Ich musste den Anruf durchstellen und die Gesprächsnotiz an die anderen Partner weiterleiten.«

Sadhbh wendet sich ab und rennt los, bestimmt auf der Suche nach ihrer Abteilung, um herauszufinden, was zum Teufel hier läuft. Eine der Frauen fragt: »Weißt du, worum es geht?«

Maureen zuckt mit den Schultern: »Keine Ahnung, aber was immer es ist, es ist nichts Gutes.«

KAPITEL 2

Als ich am nächsten Morgen im Büro ankomme, liegen meine Nerven buchstäblich blank. Ich habe die halbe Nacht wach gelegen und mir wegen dieser Ankündigung Sorgen gemacht. Meine größte Angst ist, dass RentenPlus von einem dieser großen Mischkonzerne aufgekauft wird und wir wie bei Google alle an unseren Schreibtischen stehen müssen. Dann kriege ich noch mehr Krampfadern!

Die andere Hälfte der Nacht habe ich geträumt, dass ich in der Tiefgarage des Einkaufszentrums von Dundrum mit meinem Auto in der Schlange stand und ums Verrecken mein Ticket nicht finden konnte. Das ist eine meiner größten Ängste. Ich nahm meine gute Handtasche auseinander, während mich all die Latte-macchiato-Mütter in ihren SUVs und Range Rovers anhupten. Als ich endlich aufwachte, war mein Flanellschlafanzug schweißnass, und ich griff nach meinem Wecker, überzeugt davon, dass ich verschlafen hatte. Hatte ich natürlich nicht. Die Male, die ich verschlafen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Tatsächlich war ich zu früh aufgewacht – sicher wegen einer Mischung aus Angst und den Red Bulls, die ich am Ende des Abends noch zu mir genommen habe. Eigentlich meide ich Jägerbomber wie der Teufel das Weihwasser, aber ich habe Declan Ryan einmal zu oft ein Kompliment wegen seiner Weihnachtsmann-Krawatte gemacht, und er hat kapiert, dass sie von mir ist, und darauf bestanden, mich auf einen Drink einzuladen. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits alle jegliche Vorsicht über Bord geworfen und kippten sich einen nach dem anderen hinter die Binde wie Magentabletten am zweiten Weihnachtsfeiertag. Ich bin letzten Endes zu Fuß zur Arbeit gegangen. Erst wollte ich mir den Luxus erlauben, mit dem Auto zu fahren. Aber da ich nicht mehr wusste, wie viele Gläser Wein ich zum Abendessen getrunken hatte, ist es gut möglich, dass ich mich verrechnet habe und über Nacht nicht genug Promille abbauen konnte. Den Jägerbomber nicht zu vergessen. Ich kenne die Werbespots. Mit der Schande könnte ich nicht leben.

Als ich im zweiten Stock ankomme, trifft mich der Alkoholdunst wie ein Hammer, obwohl noch gar nicht so viele Leute da sind. Sadhbh war schon weg, bevor ich überhaupt mein Schlafzimmer verlassen habe. Kein gutes Zeichen, aber sie wird wohl heute einiges zu tun haben, wenn es stimmt, was Maureen gesagt hat. Ich muss daran denken, ihr nachher eine Scheibe Toast und zwei Paracetamol aus dem Vorrat in meiner Schublade vorbeizubringen. Sie gehört zu den Menschen, die vergessen zu essen. Unvorstellbar!

Ich bin ehrlich gesagt auch nicht ganz auf der Höhe, aber etwas Hellbraunes im Laufe des Vormittags wird mich wieder zurechtrücken. Am liebsten hätte ich ein Croissant, aber aus Sicht der Weight Watchers sind sie eine Todsünde. Elaine hat mich fast davon überzeugt, dass ich mit dem Punktezählen mein Leben verschwende. Sie sagt, sie könne es nicht mehr mitansehen, wie ich in der Küche stehe und mir »zehn armselige Mandeln« zuteile. »Du bist nicht dick, Aisling!«, erklärt sie regelmäßig und führt mir vor, dass ich mindestens in die Hälfte ihrer verrückten Tops reinpasse. Aber sie hat gut reden. Sie gehört zu denen, die durch die Gegend schweben, als würde schon eine Kusshand sie sofort umhauen. Und sie ernährt sich freiwillig von Eiweiß, und was immer für Gräser und Unkraut sie da in ihrem schicken Mixer zusammenrührt – wenn sie sich nicht gerade eine Pizza zum Katerfrühstück reinzieht (vegan, versteht sich). Mein Körperbau ist … stämmiger. Und dass mein Gewicht stagniert, hat sicher mit den Fehlentscheidungen zu tun, die ich nach den Donnerstagabenden im Coppers an der Pommesbude getroffen habe. Aber je weniger ich Maura von den Weight Watchers erzähle, desto weniger wird sie mich mit großen traurigen Augen ansehen. Ich will sie nicht enttäuschen.

Elaine hat dagegen einen Nutribullet-Fimmel. Ein Mixer taugt meiner Ansicht nach nur für zwei Sachen: um Semmelbrösel herzustellen und die eine oder andere Suppe. Heute Mittag esse ich Suppe. Bei Dempsey’s um die Ecke vom Büro gibt’s eine anständige Gemüsesuppe, die die richtige orange Farbe hat und so salzig ist, dass man dazu mindestens einen Liter Limo trinken muss. Also genau das Passende heute.

Ich schaue auf die Uhr – 8 Uhr 58 – und strecke den Kopf über die Trennwand meines Arbeitsplatzes. Das Büro ist noch immer mehr als halb leer. Ich schalte den Computer ein und sehe mich im Raum um. Mir fällt auf, dass alle den Blickkontakt vermeiden, aber ich kann nicht abschätzen, wer was weiß. In der guten alten Zeit haben wir zur Weihnachtszeit immer gewetteifert, wer seinen Schreibtisch am schönsten schmückt. Aber letztes Jahr wurde Weihnachtsschmuck aus Brandschutzgründen komplett verboten. Als Arbeitsschutzbeauftragte muss ich diese Regel natürlich öffentlich durchsetzen, aber innerlich habe ich gekocht. Es sah immer so schön aus mit dem Lametta, aber heute Morgen sieht es hier einfach erbärmlich aus. Man kann förmlich spüren, wie die Angst von jedem Schreibtisch aufsteigt. Man wünscht ja noch nicht mal seinem ärgsten Feind den Arbeitstag nach der Weihnachtsfeier, und jetzt steht uns auch noch diese Ankündigung bevor.

Ich aktualisiere meine E-Mails. Nichts, jedenfalls noch nicht. Sadhbh hat versprochen, sich sofort zu melden, sobald sie etwas hört. Ich brauche unbedingt einen Tee, um meine Nerven zu beruhigen. Als ich in die Teeküche komme, kotzt Des gerade in den Mülleimer. Und noch nicht einmal in den normalen Mülleimer, nein, in die Wertstofftonne. Bei Gott, das sollte er in seinem Alter wirklich besser wissen. Bevor ich ihn anstupsen und fragen kann, was sein Kopf macht, ist er schon mit der Hand vor dem Mund aus der Küche gerannt.

Ich trommele mit den Fingern auf die Resopalarbeitsplatte – das mache ich immer, wenn ich nervös bin –, als meine neue Schreibtischnachbarin Suzanne hereingestürzt kommt, ihre Milchpumpe in einem schwarzen Rucksack auf dem Rücken. Ich weiß, dass das ihre Milchpumpe ist, weil sie über nichts anderes redet und jedem, der es hören will oder nicht, erzählt, dass sie laut EU-Recht Anspruch auf ein Zimmer mit einer abschließbaren Tür hat, um einmal am Tag abzupumpen. Der todunglücklichen Sadhbh hat sie ihre Rechte runtergeleiert und marschiert jetzt jeden Tag, den Rucksack schwingend, mit herausforderndem Blick durch den Flur – nach dem Motto: »Wagt bloß nicht, mich anzugucken!« –, um für eine halbe Stunde im Konferenzraum zu verschwinden.

Sie ist sehr nett, aber sie hat drei Kinder, über die ich in den wenigen Wochen, die ich Suzanne kenne, schon mehr erfahren habe, als ich über meine eigene Familie weiß. Ich liebe Kinder, und sobald eine meiner Freundinnen im gebärfähigen Alter mit einem Baby im Arm auf Facebook auftaucht, kommentiere ich das Bild mit einem »steht dir sehr gut« – die Leute lieben das –, aber irgendwann ist auch mal Schluss. Oft kommt Suzanne um zehn nach neun mit Geschichten über erhöhte Temperatur und Kotze oder unauffindbare Schuhe hereingestürmt.

Natürlich war sie gestern Abend nicht bei der Weihnachtsfeier, weil eins der Kinder – Chloe? – die Windpocken oder Maul- und Klauenseuche hat, und mir wird plötzlich klar, dass sie vermutlich noch nichts von der Ankündigung weiß.

»Mein Gott, ist das schön, dich zu sehen, Aisling. Du wirst mich nicht bitten, dich aufs Klo zu begleiten und dir den Hintern abzuwischen, oder?«

»Nein! Haha.« Soll ich ihr sagen, dass sie ihr Top verkehrt herum anhat? Sie geht an die Spülmaschine und nimmt sich einen sauberen Becher heraus. Nur den einen Becher. Für sich selbst. Ich sage aber nichts, weil ich weiß, dass das Büro für sie eine Art Ferienlager ist.

»Ich war gestern Nacht jede Stunde wach. Gibt es hier keinen koffeinfreien Kaffee?« Suzanne ist davon überzeugt, dass Chloe schon bei einer Spur Koffein in der Muttermilch wie eine Irre aus ihrem Bettchen springen würde oder was weiß ich. Ehrlich gesagt könnte ich inzwischen ein ganzes Buch über Chloe schreiben.

»Die wissen doch, dass ich keinen normalen Kaffee trinken kann«, stöhnt sie, schnappt sich einen Teebeutel und nimmt sich von dem Wasser, das ich gerade aufgekocht habe, während ich die Spülmaschine ausräume. »Ich muss der Personalabteilung mal auf die Füße treten, nur …«

»Ich würde sie heute nicht behelligen – die haben da oben genug um die Ohren«, platzt es aus mir raus. Ich will Suzanne unbedingt abwürgen und kämpfe gegen meine aufsteigende Panik an. Ein Muttermilchgespräch stehe ich neben allem anderen heute nicht auch noch durch.

Suzanne stellt den Wasserkocher ab und dreht sich so ruckartig um, dass sie sich mit ihrem Pferdeschwanz fast das Auge aussticht.

»Wieso? Was ist los?«

Ich bereue sofort, dass ich etwas gesagt habe. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, sagt Mammy immer. Sie sagt allerdings auch, geteiltes Leid ist halbes Leid, und wenn ich jetzt nicht mit jemandem rede, tu ich gleich etwas Verrücktes, zum Beispiel gegen eine Tür treten. Ich werde nie vergessen, wie Miss Weightman in der Oberstufe gegen eine Tür getreten hat, nachdem Helen Donohoe sagte, dass Shakespeare nur Scheiße von sich gegeben habe. Später hat sich dann Schwester Anne mit uns hingesetzt und uns erklärt, dass Miss Weightman gerade die Wechseljahre durchmache. Das erklärte einiges in Bezug auf ihr generelles Verhalten in dem Schuljahr.

»Ehrlich gesagt weiß ich es nicht so genau«, flüstere ich und versuche, die Besteckschublade zu sortieren, während ich sie einräume. Schon wieder zu wenig Teelöffel – ich werde einen weiteren Zettel aufhängen müssen mit der Bitte um Rückgabe. »Gestern Abend hat Maureen gesagt, dass es eine Ankündigung geben wird. Ich habe deswegen kaum geschlafen.« Den Jägerbomber lasse ich unter den Tisch fallen, sonst muss ich mir wieder anhören, wie sehr Suzanne nach einem Glas Wein lechzt, aber dann könnte sie ja auch direkt Gift in Chloes Venen spritzen, wenn sie auch nur ein einziges Glas zu sich nimmt.

Allerdings scheint sie nicht besonders besorgt zu sein, sie seufzt erleichtert und macht bloß eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, Maureen darf man nicht so ernst nehmen«, sagt sie auf dem Weg aus der Teeküche. »Die verträgt doch gar nichts. Wahrscheinlich wollte sie nur im Mittelpunkt stehen.«

»Glaubst du wirklich?« Ich nehme »meinen« Becher – ich habe ihn zusammen mit Tickets für einen Besuch bei Radiomoderator Brian McFadden gewonnen und hüte ihn wie meinen Augapfel – und folge ihr hoffnungsvoll zu unseren Schreibtischen. Vielleicht hat sie ja recht. Vielleicht wollte Maureen auf dem Klo bloß einen Schwatz halten und brauchte einen spannenden Einstieg. Suzanne hat auch mal am Empfang gearbeitet, deswegen kennt sie Maureen ziemlich gut.

Mit meiner Erleichterung ist es jedoch schlagartig vorbei, als ich eine E-Mail von Sadhbh sehe. In der Betreffzeile steht: »Guck auf dein Handy!!!«, also mache ich das. Mein Gott, in der WhatsApp-Gruppe von Chez SEA – so nennen wir unsere Wohngemeinschaft – geht es richtig ab. Zwölf Nachrichten! Chez SEA steht für Sadhbh, Elaine, Aisling, und das Profilbild ist ein Gruppenbild von uns dreien in der Badewanne. Fragt lieber nicht. Das mit Chez SEA war meine Idee, und Sadhbh hat uns Bademäntel bestellt, auf denen der Name hinten draufgedruckt ist. Majella war ein bisschen beleidigt, als sie sie gesehen hat, aber hat sich schnell wieder eingekriegt, als Sadhbh auch einen für sie mit der Aufschrift Majella von Sinnen hervorgezaubert hat, obwohl sie nur Stammgast und nicht Mitbewohnerin von Chez SEA ist.

Ich überfliege die Nachrichten von Sadhbh: »Große Sache«, »Versammlung«, »Entlassungen«. Entlassungen? Das ist ja schlimmer, als ich dachte! Elaine will auch unbedingt auf dem Laufenden gehalten werden. Sie ist im Vertrieb eines Social-Media-Start-ups, für das sie viel von zu Hause aus arbeitet und sich eine Bluse über den Schlafanzug zieht, wenn sie skypen muss – und ist deswegen immer sehr an den Vorgängen bei RentenPlus interessiert. Wenn sie nicht gerade ihre Serien guckt, fühlt sie sich zu Hause ziemlich einsam.

Ich werfe einen Blick auf Suzanne, die in ihren Computer tippt und nichts mitbekommen hat. Was, wenn sie entlassen wird? Einmal ist sie in der Mittagspause bei Dempsey’s schwach geworden und hat ein Radler getrunken und mir gestanden, dass sie durchdrehen würde, wenn sie tagein, tagaus mit den desaströsen Drei verbringen müsste, deswegen würde mir das echt leidtun.

Klatsch. Klatsch. Klatsch.

Vor Schreck falle ich fast vom Stuhl. An der Tür steht Martin Shermer, der schwer zu fassende Geschäftsführer von RentenPlus Irland, weiß wie die Wand, mit gelockerter Krawatte und hochgekrempelten Hemdsärmeln; von einem Jackett ist nichts zu sehen. Hinter ihm stehen zwei der Partner – Bill Cullen mit Bart (ich weiß nicht, wie er wirklich heißt) und DIEFRAU. Obwohl sie gestern trotz ihrer Zusage nicht bei der Weihnachtsfeier aufgetaucht sind, sehen sie schrecklich aus.

»Tut mir leid, dass das so kurzfristig ist, aber bitte kommen Sie alle in den großen Konferenzraum. Jetzt sofort.« O, nun ist es so weit. »Wer zuerst da ist, bekommt noch einen Sitzplatz …« Ich wende mich zu Suzanne, aber die ist schon losgesprintet.

* *

Wir drängeln uns in den großen Konferenzraum, und obwohl alle Fenster offen stehen, stinkt es wie in einer Brauerei. Insgesamt sind wir etwa achtzig, lehnen mit verschränkten Armen an der Wand wie schlecht gelaunte Schulkinder und warten darauf, unser Schicksal zu erfahren. Die restlichen Mitarbeiter schlafen wohl zu Hause in ihrer Kotze oder irren noch durch die Straßen, einen Kebab fest in der Hand. Obwohl wir so viele sind, ist es totenstill. Abgesehen von Eilish, einer der älteren Empfangsdamen, die vor sich hin schnüffelt. Auf dem Tisch stehen raffinierte Teilchen, unberührt, und winken mir quasi zu. An einem Tag wie heute würde mir Maura von den Weight Watchers wohl eins gönnen. Hilft Zucker nicht sogar bei einem Schock?

»Also, ihr fragt euch sicherlich, was los ist, und es tut mir leid, dass das so unvermittelt kommt«, hebt Shermer an. »Ich würde eigentlich warten, bis alle anwesend sind, aber … ich will nicht, dass ihr es aus der Presse erfahrt.« Jemand murmelt von hinten: »Du Arschloch«, und die Stimmung wird immer angespannter. Eilish stößt einen kleinen Schluchzer aus. »Um es kurz zu machen, PPH, unser Mutterkonzern, zieht sich aus dem Irlandgeschäft zurück, und uns allen wird mit sofortiger Wirkung betriebsbedingt gekündigt, auch mir und meinen Partnern. Jedem Einzelnen.«

Uns wird allen gekündigt? Sogar mir? Der Raum explodiert. Plötzlich schreien alle: »Werden wir diesen Monat noch bezahlt?« »Was ist mit dem Weihnachtsgeld?«, ruft Natalie, eine der Fondsmanagerinnen. Meine Reifen!

»Wie viel Abfindung bekommen wir?«, stottert Des, der ganz grün im Gesicht ist.

»Was ist mit den Urlaubstagen, die ich mir für nächstes Jahr aufgehoben habe?«, frage ich niemand Bestimmten.

»Bitte! Bitte! Beruhigt euch erst mal«, brüllt Shermer armwedelnd über das Getöse hinweg und sieht aus, als würde er am liebsten im Erdboden versinken. Die beiden hinter ihm starren nur zu Boden. »PPH wird am 3. Januar eine Betriebsversammlung im Travelodge Hotel am Flughafen abhalten. Ich habe euch alles gesagt, was ich weiß – dort werden uns dann die Details mitgeteilt.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich durch die verglaste Wand, dass sich in der Lobby große, kräftige Männer in Uniform versammelt haben. Wo sind die so plötzlich hergekommen? Alan von der IT hat sie auch bemerkt und ruft: »Was sind das denn für Typen?«

Alle drehen sich nach ihnen um, und einer der Männer – sein Hals ist etwa so dick wie mein Oberschenkel, und das will was heißen – winkt uns kurz zu. Dann fangen sie alle an zu lachen.

»Das ist der Sicherheitsdienst«, sagt Shermer mit einer Grimasse. »Ich habe die Anweisung, euch zu sagen, dass ihr eure Schreibtische räumen sollt und unter keinen Umständen Firmeneigentum mitnehmen dürft. Es gibt Überwachungskameras, und ihr werdet strafrechtlich verfolgt. Wir sehen uns am 3. Januar. Ach ja, und fröhliche Weihnachten!«

Der Raum explodiert erneut. Es ist die Rede von Gerichtsverfahren und davon, den Kampfsportler Joe Duffy anzurufen, und weiß jemand, wie viel man wohl für einen Aktenschrank bekommt und für einen acht Jahre alten Computer? Ich sehe, wie Sadhbh Eilish den Arm um die Schultern gelegt hat und sie zum Aufzug bringt, und ich spüre, wie mir die Tränen kommen. Sechs Jahre habe ich dieser Firma gewidmet, sechs Jahre war ich Arbeitsschutzbeauftragte, sechs Jahre habe ich die Weihnachtsfeier mitorganisiert und Ersatzgeschenke für Wichtel-Drückeberger gekauft. Und wofür? Um erleben zu müssen, wie meine glänzende Karriere als Rentenverwalterin und mein Teamleiterpotenzial ins Klo gespült werden?

Der Konferenzraum leert sich, und ich will auch gerade zur Tür hinaus, als ich auf dem Absatz kehrtmache und zum Tisch marschiere, angetrieben vom Gefühl himmelschreiender Ungerechtigkeit. »Nun, es wäre eine Schande, das alles verkommen zu lassen«, sage ich mit hoher, empörter Stimme und greife mir die Platte mit den Teilchen. Martin Shermer blickt von seinem Handy auf und starrt mich ausdruckslos an.

Auf dem Weg zurück zu meinem Schreibtisch bekomme ich mit, wie alle gerade ihre Arbeitsjahre zusammenzählen und herauszufinden versuchen, mit welcher Abfindung sie wohl rechnen können. Manche benutzen dafür sogar Taschenrechner. Sobald Suzanne wieder sitzt, fängt sie schon an, im Internet nach Trampolinen zu suchen. Ganz gefährliche Dinger sind das meiner Meinung nach.

Die Aufzugtür geht auf, und Sadhbh rollt ganz frech auf einem Bürostuhl heraus, zusammen mit ein paar anderen von oben, und sie rufen, dass sie auf ein paar Bier zu Dempsey’s gehen, um sich zu besprechen. Sadhbh weiß genau, dass keiner dieser Sicherheitstrottel was zu ihr sagen wird. Und wenn doch, wird sie ihren Charme so lange spielen lassen, bis sie den Stuhl behalten darf. Sie verliert dauernd ihre Quittungen und bekommt trotzdem immer ihr Geld zurück, wenn sie was umtauscht. Und dann macht sie sich über mich lustig, weil ich meine Belege in einem speziellen Kästchen in der Nachttischschublade aufbewahre.

Ja, ich brauche etwas für meine Nerven, und ein Bier wäre genau das Richtige. Natürlich gehe ich nur aus, mache keinen drauf, werde also nicht bis zur Nationalhymne im Coppers bleiben, deshalb sage ich in Richtung der sich schließenden Aufzugtüren: »Ich komme gleich nach.«

Ich halte die Tränen zurück, bis ich eine Ecke gefunden habe, in der noch keiner steht und in sein Handy weint. Mit zitternden Händen drücke ich auf »wählen«.

»Ais?«

»Ich habe meinen Job verloren, John«, heule ich ins Telefon. »Was soll ich bloß tun?«

KAPITEL 3

Die Tür schwingt auf, und im Bruchteil einer Sekunde hat er seine großen, starken Arme um mich gelegt. Ich habe alle Bedenken in den Wind geschlagen und mir ein Taxi zu seinem Haus in Drumcondra genommen, obwohl ich den letzten Bus noch erwischt hätte. Aber die traumatische Nachricht bei der Arbeit sowie die vier Bier bei Dempsey’s haben mich dazu gebracht, Geld zum Fenster rauszuwerfen. Als ich ging, saß Sadhbh bei Des auf dem Schoß und rief mir hinterher, dass ich morgen nicht vergessen solle, die Ballons abzuholen. Morgen. Elaines Junggesellinnenabschied. Wir müssen zusehen, dass wir gut in Form sind, trotz allem. Als sie die Nachricht über die Vorgänge bei RentenPlus erhalten hat, hat Elaine uns sofort eine WhatsApp geschrieben, um den Junggesellinnenabschied abzusagen. Aber ich habe dreißig Muffins bestellt (nein, ich werde sie nicht Cupcakes nennen, seit wann sind wir uns für Muffins zu schade?), die mit Rüschen-BHs dekoriert sind, und nachdem ich diese Peinlichkeit durchgestanden habe, werde ich das jetzt nicht mehr rückgängig machen.

Von John umarmt zu werden, ist wie in eine Art Sicherheitskapsel zu treten. Breit und wohlvertraut. In diese ausgestreckten Arme zu laufen und meinen Kopf unter seinem Kinn zu verbergen, hat mich in der Zeit, als wir nach Daddys Tod wieder zueinandergefunden haben, aufrecht gehalten. Tante Sheila nennt ihn den Fels meiner Stärke, und sie hat recht. Er hat an den Wochenenden auf dem Hof geholfen und großes Verständnis für meine Besuche bei Mammy mitten in der Woche gehabt. Und auch wahnsinnig viel Geduld, wenn ich plötzlich in Tränen ausgebrochen bin – wegen einer Werbung für Bratensauce von Bisto, wegen herabgesetzten Hausschuhen, die denen von Daddy ähnlich sehen, wegen Phil Collins im Radio und wegen allem, was im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest steht. Auch mitten im Supermarkt, während ich machtlos den heißen Tränen ausgeliefert war, die mir übers Gesicht liefen. John schob mich pflichtbewusst von den Honigmelonen weg. Daddy hat zu Weihnachten immer den Melonenlöffel hervorgeholt und zusammen mit einer Scheibe Schinken eine Vorspeise produziert, die er sehr elegant fand. Den Schinken hat er vor ein paar Jahren hinzugefügt, nachdem er dies in einem feinen Restaurant auf der Speisekarte gesehen hat. Ich für meinen Teil habe beides nie zusammen in den Mund genommen, aber er war sehr stolz darauf.

In Johns Armen genieße ich die Vertrautheit. Die Sicherheit. Ich blicke über seine Schulter und sehe meinen Cousin Cillian im Wohnzimmer sitzen. Er schaut sich gerade den neuesten Skandinavienkrimi an. Ehrlich gesagt sind diese Untertitel nichts für mich. Ich muss ja schon aufpassen, den Überblick bei den Personen nicht zu verlieren, die alle den gleichen Pullover zu tragen scheinen. Und es regnet ununterbrochen. Wenn ich eine Portion Trübsal brauche, kann ich auch einfach aus dem Fenster gucken. Da schaue ich mir doch lieber Let’s Dance an. Ein bisschen Glamour kann nie schaden. Das guckt Cillian aber auch gern. Er ist übrigens dafür verantwortlich, dass John und ich zusammen sind. John war mein siebzehnter Kuss bei der Party zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag. Cillian hatte ihn mitgebracht, einen großen, bärenstarken Typen in einem Knocknamanagh-Rangers-Trikot. Sogar die heftige Rivalität zwischen meinem Heimatort Ballygobbard und Knock – nur sechs Kilometer voneinander entfernt, aber in Bezug auf Hurling sind es Lichtjahre – hat mich nicht davon abgehalten, ihm ständig hinterherzugucken. Das war vor acht Jahren. Acht Jahre voller Küsse und Hurling-Spiele, Urlaube und Streits – und mir, die immer sichergestellt hat, dass auch etwas nicht zu Scharfes auf der Speisekarte steht, wenn wir essen gegangen sind, und ihm, der immer überprüft hat, ob der Barkeeper ihm wirklich eine Cola light für meinen Wodka und keine echte fette Cola gegeben hat. Acht Jahre abzüglich der wenigen Monate, die wir dieses Jahr nicht zusammen waren – unsere einzige Trennung. Ich wollte mich unbedingt verloben, und nichts schien mir mehr zu bedeuten. Das hat uns auseinandergebracht. Komisch, wie sich die Dinge verändern. Dann sind wir wieder zusammengekommen. Mein Gott, drehte sich mir der Kopf vor lauter Trauer, Liebe und der Sehnsucht in den Monaten ohne ihn. Vor einer Weile hat der arme Cillian an einem Sonntagmorgen meine Unterhose auf dem Küchenfußboden gefunden. Zum Glück konnte ich sie schnell aufheben und als Geschirrhandtuch ausgeben, bevor er mir zu nah gekommen ist. In der Küche! Als wären wir wieder einundzwanzig. Nicht, dass wir es mit einundzwanzig je in der Küche getrieben hätten, aber im Treppenhaus in Johns früherem Haus schon, wenn wir ganz, ganz sicher waren, dass alle mindestens zwei Grafschaften weit entfernt waren. Und nun finden John und ich allmählich in einen gemeinsamen Alltag zurück – abgesehen davon, dass ich ständig weinen muss.

John schiebt mich ein wenig von sich weg und schaut mir in die Augen, als würde er spüren, was mir so durch den Kopf geht: »Alles in Ordnung?«

Nein, ist es nicht, ganz und gar nicht. Die Panik, arbeitslos zu sein, überrollt mich, aber als ich den Mund öffne, um zu antworten, zuckelt Cillian in den Flur, einen riesigen Burrito in der Pfote. Sein Speiseplan hat sich von Tiefkühlpizza und Milch weiterentwickelt zu Burritos, Tiefkühlpizza und Milch. Ich habe gehört, wie er zu John gesagt hat, dass er sich nie vorstellen konnte, auch mal exotische Gerichte zu essen, und nun sieh ihn dir an: Jetzt ist er praktisch Mexikaner. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Burritos tatsächlich unter exotische Gerichte fallen, aber Reis in ein Sandwich zu tun, kommt mir persönlich sehr verwegen vor.

»Was ist los, Ais?«

John gibt Cillian mit einer Geste zu verstehen, dass er verschwinden soll, und sagt noch sanft über meinen Kopf hinweg: »Bei ihr im Büro sind ganz viele entlassen worden.«

»Ach ja. Scheiße. Das ist … scheiße. Tut mir leid, Ais.« Cillian tätschelt ungeschickt meine Schulter und zieht sich ins Wohnzimmer zurück. Er weiß zwar nicht, wo bei einem Staubsauger vorne und hinten ist, aber im Grunde ist er ein Schätzchen.

Es ist wirklich scheiße. Alles fällt gerade auseinander.

In meiner Manteltasche klingelt das Handy, und ich hole es heraus. Es ist Majella. Ich habe ihr natürlich vorhin geschrieben, was los ist, aber sie war mit ihren Lehrerkolleginnen unterwegs, um die Tatsache zu feiern, dass sie das Schulhalbjahr überlebt haben, und Geschichten von der Front auszutauschen. (Mit der Geschichte von einem ihrer Schüler, der in einem Anfall von extremer Dreistigkeit in ihre Handtasche gepinkelt hat, woraufhin sie die Mutter einbestellen musste, hat Majella bestimmt das Rennen gemacht. Es war allerdings wohl nicht sehr förderlich, dass sie selbiges Kind mit der Mutter kurz darauf im Supermarkt getroffen hat. Maj hatte neun Flaschen Wein in ihrem Einkaufswagen und sonst nichts. Den Blick, den die Mutter ihr zugeworfen hat, beschrieb sie als »vernichtend«.) Ich zeige John ihren Namen auf dem Display, und er nickt und drückt meine Hand, bevor er Cillian ins Wohnzimmer folgt. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass keine dreckigen Unterhosen auf der Treppe liegen, lasse ich mich auf der dritten Stufe nieder.

»Hallo, Maj.«

»Ais. Wie geht’s dir? Tut mir leid, dass ich nicht früher anrufen konnte, aber ich habe mich dermaßen abgeschleppt mit Tüten voller Becher mit »Beste Lehrerin der Welt« und lauter Schneekugeln. Ich hätte ja gerne nur ein einziges Mal eine Flasche Baileys oder so was …«

»Alles bestens, Schätzchen«, sage ich und halte meine Knie umklammert. »Ich bin bei John, deswegen kann ich jetzt nicht so richtig telefonieren. Ich bringe dich morgen auf den neuesten Stand.«

»Ist gut, Ais, aber hör mal: Mach dir nicht zu viele Sorgen, das wird sich schon finden. Hier bitte links!«, brüllt sie plötzlich, und ich schwöre, ich kann hören, wie der Taxifahrer fluchend ausschert und die Becher in Majs Beutel scheppern.

»Tschüs, Majella.«

»Tschüs, Ais!« Ich höre noch, wie sie ihre Sachen zusammenrafft, und ein gedämpftes: »Helfen Sie mir mit dem Weihnachtsstern? Guter Mann!«

Als ich einen Blick ins Wohnzimmer werfe, sind John und Cillian ganz vertieft in eine Wiederholung von Das große Backen. »Der wird nicht aufgehen«, sagt Cillian im Brustton der Überzeugung, als ein Teilnehmer einen Laib in den Ofen schiebt. »Ja, ganz schön ambitioniert«, stimmt John zu. Zwei Typen, deren bisherige Kenntnisse von Backwaren sich auf Toastbrot und das Krümelmonster beschränken. Ich für meinen Teil habe Sauerteig und dergleichen immer misstraut. Aber so verrückt es auch klingt, Elaine hat mich davon überzeugt, es mal zu probieren, und es schmeckt herrlich.

John rückt auf dem Sofa ein Stück zur Seite und klopft auf das Kissen neben sich. Ich quetsche mich zwischen ihn und Cillian und versuche, mich auf die Sendung zu konzentrieren. Majellas »Das wird sich schon finden« klingt noch in mir nach. John stupst mich an und sagt leise: »Okay?«, während Cillian sich nach vorne beugt und vor sich hinmurmelt: »Los, du schaffst es«, als ein Kandidat seine Focaccia aus dem Ofen nimmt. Ich schenke John ein verkrampftes Lächeln und versuche, mich auf das Thema Brot zu konzentrieren, aber in Gedanken bin ich mit morgen beschäftigt. Dem Junggesellinnenabschied. Haben wir für alles gesorgt? Habe ich mein gutes Kleid von Oasis …?

»Um Gottes willen!«, schreie ich auf und lasse meinen Kopf gegen die Rückenlehne des Sofas knallen.

»Du hast völlig recht, Ais – wie kann man da nur Thymian reintun«, antwortet Cillian, ohne sich vom Fernseher abzuwenden.

»Was? Nein, ich meine nicht das Brot, du Dödel. Ich … ich habe nur vergessen, mein Kleid für Elaines und Rubys Junggesellinnenabschied morgen reinigen zu lassen.«

Es hängt seit dem einundzwanzigsten Geburtstag meiner Cousine Doireann vor ein paar Wochen im Schrank. Bestimmt ist es okay, aber für einen JGA hätte ich gerne ein sauberes Kleid gehabt. Das hat was mit Respekt zu tun.

»Gott, du bist ja nur noch auf Hochzeiten. Wann ist diese denn?«

»An Silvester«, meldet sich John zu Wort. »Kaum zu glauben, Silvester in Dublin.«

John kann noch immer nicht begreifen, dass er so kurz nach Weihnachten wieder nach Dublin muss. Es gab schon einen angespannten Wortwechsel deswegen. Die ersten Anzeichen eines Streits, seit wir wieder zusammen sind. Aber damit das Ganze nicht eskaliert und die Realität wieder Einzug hält, habe ich ihm versprochen, dass wir einfach erst am Silvestertag selbst nach Dublin fahren und dass es auf jeden Fall auch Bier geben wird, nicht nur Getreideschnaps, wie sie das neulich überlegt haben.

»Suchen Sadhbh und du schon nach einer neuen Wohnung? Nicht ganz einfach da draußen, habe ich gehört. Mann, der Teig muss noch mindestens zwanzig Minuten gehen!«, ruft Cillian.

Elaine hat es zwar noch nicht ausdrücklich gesagt, aber Sadhbh und ich wissen, dass wir uns eine neue Bleibe suchen müssen. Ruby und Elaine werden ein Ehepaar sein. Sie werden nicht wollen, dass anderer Leute Unterhosen oder Strumpfhosen auf dem Wäscheständer hängen, während sie sich im Nachthemd mit Erdbeeren bewerfen oder was auch immer. Ich weiß, sie wird uns nicht rausschmeißen, aber früher oder später müssen wir ausziehen. Chez SEA wird mir furchtbar fehlen. Es war ein Riesenspaß, und ich konnte der Traurigkeit zu Hause entfliehen. Die Vorstellung, meine guten Kissen zusammenzupacken und meinen Lebe Liebe Lache-Aufkleber über dem Bett abzunehmen, finde ich schrecklich. Dabei habe ich das Gefühl, ich wäre gestern erst eingezogen. Es wird mir sogar fehlen, mit Elaine über ihren – offen gesagt – rücksichtslosen Umgang mit Einkaufsbeuteln zu streiten. Es ist nicht Sinn der Sache, bei jedem Einkauf sechs Stück zu kaufen. Genau deshalb verwendet man ja Beutel und keine Plastiktüten. Am meisten aber werden mir meine Freundinnen fehlen. Schwer zu glauben, dass ich sie erst seit einem Jahr so richtig kenne.

»Ja, wir werden ausziehen müssen. Aber darüber will ich erst nach Weihnachten nachdenken.« Cillian nutzt allerdings gerade die Werbepause, um Burrito-Verpackungen und Biergläser in die Küche zu bringen. John tätschelt mein Knie und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln, aber jetzt steht das Thema nicht nur groß im Raum, es sitzt sogar mit auf dem Sofa.

Cillian steckt seinen Kopf aus der Küche. Er hat dort anscheinend gründlich nachgedacht: »Wie wäre es damit, Ais? Du könntest doch hier einziehen. Pjotrs Zimmer steht leer. Und du hättest einen begehbaren Kleiderschrank.«

* *

»Du kannst so lange bleiben, wie du willst, okay?«

Johns Stimme ist dumpf, da er sich gerade sein Knock-Triathlon-T-Shirt über den Kopf zieht. Es ist schon so oft gewaschen worden, dass es so weich ist wie ein Schlafanzug, und als solchen benutzt er es auch.

Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört, und schlüpfe ins Bett. Ob er wohl gemerkt hat, wie ich mich verkrampft habe, als Cillian Pjotr erwähnt hat? Ich denke nie an Pjotr. Na ja, jedenfalls versuche ich es.

»Ais? Du kannst so lange bleiben, wie du willst«, wiederholt er.

»O, danke, ich weiß. Dank dir, mein Schatz.«

Keiner von uns erwähnt Cillians Vorschlag, richtig hier einzuziehen. Wir hätten das schon unzählige Male besprechen können, seit Elaine und Ruby beschlossen haben zu heiraten, aber wir haben das Thema tunlichst vermieden. Vor einem Jahr hätte ich möglicherweise sofort die Gelegenheit ergriffen – denn das war genau, was ich wollte. Auch vor einem Monat hätte ich sofort die Gelegenheit ergriffen, als wir gerade wieder zusammengekommen waren und Unterhosen in der Küche rumlagen. Aber jetzt will ich nicht darüber reden.

John legt sich zu mir ins Bett, liegt erst auf dem Rücken und kuschelt sich dann in seiner vertrauten Art an mich, während er meinen Oberschenkel streichelt. Ich überlege, ob ich reagieren soll, aber ich bin einfach so müde. Es ist allerdings schon eine Weile her. Gerade, als ich mich zu ihm umdrehen will, rollt er sich wieder auf den Rücken und seufzt.

»Sollen wir was gucken? West Wing?«

Während er mit gerunzelter Stirn in den Fernseher schaut, beobachte ich sein Gesicht, das vom Licht des Bildschirms angestrahlt wird. Mein lieber John. Ich rücke näher an ihn heran und lege den Kopf auf seine Brust. Aber noch nicht mal Jed Bartlet, der beste Serien-Präsident aller Zeiten, kann mich heute trösten.

KAPITEL 4

Zwanzig nach fünf, und wir haben noch nicht mal den Micra gepackt. Ich bin erst heute Nachmittag wieder nach Hause ins Chez SEA gefahren, nach einer unruhigen Nacht voller verstörender Träume und Schweißausbrüche in Johns Bett. Darin spielte Pjotr mit seinen starken Armen und seiner osteuropäischen Ausdrucksweise eine tragende Rolle, nachdem Cillian ihn gestern erwähnt hatte. Ich konnte John kaum anschauen, als ich aufgewacht bin. Er weiß nichts von Pjotr und mir und dem Kuss kurz nach Daddys Tod. Es war zwar bloß ein Moment des Wahnsinns, aber ich weiß, es würde ihn umbringen.

Sadhbh war selbst lange unterwegs. Sie sagt, es sei fast drei Uhr gewesen, als sie aus Dempsey’s rausgerollt ist. Buchstäblich, denn sie saß noch immer auf dem Bürostuhl. Vorhin hat sie ihre Handtasche ausgeleert, und über die Kücheninsel ergossen sich Stifte, Post-its und lauter andere gute Sachen vom Bürobedarf im dritten Stock. Ich hoffe, ich mache mich als Mitwisserin ihres Verbrechens nicht schuldig. Das Letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist, nie wieder ein Visum für Amerika zu bekommen.

Wir haben eine dringend erforderliche Pizza für ein spätes Mittagessen bestellt (Schinken und Ananas auf der einen Hälfte für mich und Blauschimmelkäse und eine Wurst, von der ich noch nie gehört hatte, auf der anderen für Sadhbh), dazu viele Dosen Cola light, und haben überlegt, mit wie viel Abfindung wir rechnen können. Durch ihren Job in der Personalabteilung kennt Sadhbh sich mit so was gut aus und glaubt, wir können mit einer anständigen Summe rechnen. Ich schätze 20 000 Euro, aber ihrer Ansicht nach ist das noch zu niedrig. Letztes Jahr sind einige Leute freiwillig ausgeschieden, und nach dem Urlaub zu urteilen, den Siobhán vom Kundenservice mit Michael vom Vertrieb gemacht hat, war die Firma sehr großzügig und ist weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgegangen. Michaels Ehefrau war da nicht ganz so großzügig, wie es scheint. Aber wir bekommen doch bestimmt dasselbe? Ich merke, wie meine Hoffnung wächst, und beschließe, sie gleich im Keim zu ersticken. Besser, nicht zu viel erwarten, dann werde ich später nicht enttäuscht. Ich weiß echt nicht, wie die Amerikaner es schaffen, mit ihrem Positive-Einstellungs-Schnickschnack durchs Leben zu gehen. Was für ein Albtraum! Ich habe Sadhbh auch gefragt, ob sie schon darüber nachgedacht hat, was mit Chez SEA passiert, wenn Elaine und Ruby verheiratet sind. Sie hat eingeräumt, dass sich unsere WG wohl auflösen wird. Doch wir beide hoffen, wo es keine Hoffnung gibt. Da weder Elaine noch Ruby bisher was von Ausziehen gesagt haben, bedeutet das vielleicht, wir bleiben eine große, glückliche Familie. Möglicherweise wollen sie ja eins unserer Eier für ihre Babys. Allerdings, wie Sadhbh anmerkte, haben sie zusammengenommen selbst schon genug Eier. Aber ich habe sowieso daran gedacht, etwas häufiger zu spenden, deshalb sollen sie wissen, dass das Angebot steht. Bestimmt hatten sie einfach noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Die Verlobung und die Vorbereitung für die Hochzeit – das ging alles so schnell. Aber wer weiß? Ronan Keating hatte völlig recht – das Leben ist eine Achterbahn. Man muss einfach auf ihr fahren.

»Warum ziehst du denn nicht zu John?«, fragt Sadhbh, als sie die erste Ladung Krimskrams für den Junggesellinnenabschied aufsammelt, um damit in die Tiefgarage zu gehen – Federboas, Cowboyhüte und die beiden meterhohen E- und R-Luftballons. Eigentlich wollten wir ihre Namen ausschreiben, bis ich erfahren habe, dass jeder Ballon vierzehn Euro kostet. Scheiß drauf.

Sadhbh balanciert den Karton auf ihrem Knie, während sie mich fragend ansieht.

»Ach, ich weiß nicht. So lange sind wir ja noch nicht wieder zusammen. Vielleicht ist es ein bisschen … früh.«

»Früh? Ais, ihr seid quasi seit dem Kindergarten zusammen …« Aber als sie meinen skeptischen Gesichtsausdruck sieht, wechselt sie das Thema und bewundert die Herzchen-Halsketten. In so was ist sie gut. Sie verlässt die Wohnung mit den Kartons, und ich gehe zurück in mein Zimmer, um den Rest zu holen. Ich muss noch die Girlande, die Schärpen und die Plüschhandschellen einpacken. Penis-Strohhalme habe ich auch besorgt – das war geradezu reflexartig –, aber im Nachhinein werden die wohl bei einem lesbischen JGA nicht so gut ankommen. Oder vielleicht erst recht – bei der Truppe weiß man das nie so genau.

Sadhbh kommt in die Wohnung zurückgetrampelt und steckt den Kopf durch meine Zimmertür. »Es wird langsam eng im Kofferraum«, sagt sie, dann fällt ihr Blick auf die Penis-Strohhalme auf meinem Bett, und sie verstummt. Man muss schon sagen, dass sie sehr detailgetreu sind. Man kann sogar die Adern erkennen. Sadhbh sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Ich weiß«, sage ich seufzend und stopfe sie in meine Handtasche. »Aber ein Junggesellinnenabschied ohne Penis-Strohhalme? Da würde was fehlen. Sie werden es schon verstehen.«

»Hast du deine Mutter schon angerufen?«, fragt Sadhbh und lehnt sich an den Türrahmen. Mammy weiß nichts von der Sache mit meinem Job. Sie braucht jetzt nicht noch mehr Sorgen. Paddy Reilly, Daddys ältester Freund, hilft ihr auf dem Hof bei der Feldarbeit und mit der Buchhaltung, aber ich habe das schreckliche Gefühl, dass vieles auf der Strecke bleibt.

»Noch nicht.« Ich seufze erneut. »Aber morgen fahre ich nach Hause. Dann sage ich es ihr persönlich.«

Zusammen schleppen wir das restliche Zeug sowie zwei Kartons Prosecco in die Tiefgarage und stopfen alles – wie bei Tetris – in den Kofferraum. Ich hatte schon überlegt, den Micra gegen ein Auto mit einem größeren Kofferraum einzutauschen, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Daddy hat mir vor Jahren geholfen, ihn auszusuchen, hat gegen die Reifen getreten und das Geschäft mit einem Handschlag besiegelt. Die Vorbesitzerin war eine vorsichtige Dame, wurde uns gesagt. Und er ist gerade frisch durch den TÜV. Zum Glück, denn in nächster Zeit wird es kein neues Auto geben.

Der Junggesellinnenabschied findet im Wilde-Zentrum statt – einem Gebäude mit neuen kreativen Räumen und einem Coworking Space mitten in der Stadt mit Blick auf den Liffey. Es grenzt an ein Wunder, dass wir da so kurz vor Weihnachten was bekommen konnten, aber Ruby kennt den Eigentümer, deshalb mussten wir nichts bezahlen und können sogar auf die Dachterrasse, von wo aus man einen herrlichen Blick auf die Stadt und die Dubliner Berge hat. Auf dem Weg dorthin frage ich Sadhbh, was zum Teufel eigentlich kreative Räume und ein Coworking Space sind, aber als wir ankommen, habe ich es immer noch nicht so ganz begriffen. Klingt aber super.

Die Bräute werden gerade geschminkt, aber wegen des dichten Verkehrs auf dem Weg in die Stadtmitte haben wir nicht mehr so viel Zeit zum Dekorieren. Ich bin gestresst. Wir machen das alles hier nur, weil ich darauf bestanden habe, und ich könnte es mir nie verzeihen, wenn die beiden keinen schönen Abend hätten. Ich persönlich finde ja, dass es nur ein richtiger