Organon der Heilkunst - Samuel Hahnemann - E-Book

Organon der Heilkunst E-Book

Samuel Hahnemann

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Beschreibung

Das 'Organon der Heilkunst' von Samuel Hahnemann ist ein Meisterwerk der homöopathischen Literatur. Das Buch stellt die Grundprinzipien der Homöopathie dar und zeigt die fundamentalen Prinzipien der Heilkunst auf. Hahnemanns Schreibstil ist präzise und wissenschaftlich, was dem Werk eine deutliche Autorität und Glaubwürdigkeit verleiht. Der Autor betont die Bedeutung der Individualisierung der Behandlung und die Verwendung von potenzierten Arzneimitteln, um die Selbstheilungskräfte des Körpers anzuregen. Dieses Buch ist ein Meilenstein in der Geschichte der Medizin und hat die Entwicklung der Homöopathie maßgeblich beeinflusst. Es ist ein Muss für alle, die sich für alternative Heilmethoden interessieren und einen Einblick in die Prinzipien der Homöopathie erhalten möchten. Samuel Hahnemann war ein renommierter deutscher Arzt und Begründer der Homöopathie. Seine langjährige medizinische Praxiserfahrung und sein skeptischer Blick auf die damalige medizinische Praxis führten ihn dazu, neue Wege in der Heilkunst zu erforschen. Hahnemanns bahnbrechendes Werk 'Organon der Heilkunst' spiegelt seine innovativen Ansichten und seine Hingabe für eine sanfte und individuelle Heilung wider. Als Pionier der Homöopathie hat Hahnemann die medizinische Landschaft für immer verändert und hinterlässt ein bleibendes Erbe für zukünftige Generationen. Dieses Buch ist ein Schatz für alle, die die Heilkunst in ihrer reinsten Form verstehen und entdecken wollen. Es bietet einen tiefen Einblick in die Grundlagen der Homöopathie und inspiriert dazu, die Naturheilkunde in einem neuen Licht zu betrachten. Mit seiner klaren und prägnanten Darstellung ist das 'Organon der Heilkunst' ein unverzichtbarer Leitfaden für alle, die sich nach ganzheitlicher Gesundheit und individueller Behandlung sehnen.

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Samuel Hahnemann

Organon der Heilkunst

291 Sprichwörter über die Heilung und Medizin

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0817-3

Inhaltsverzeichnis

Vorerinnerung zur ersten Auflage von 1810
Vorrede zur sechsten Ausgabe.
Einleitung.
Text des Organons

Vorerinnerung zur ersten Auflage von 1810 unter dem Titel:

Inhaltsverzeichnis

»Organon der rationellen Heilkunde«.

Kein Geschäft ist nach dem Geständnisse aller Zeitalter einmüthiger für eine Vermuthungskunst (ars conjecturalis) erklärt worden, als die Arzneikunst; keine kann sich daher einer prüfenden Untersuchung, ob sie Grund habe, weniger entziehen, als sie, auf welcher das theuerste Gut im Erdenleben, Menschengesundheit sich stützt.

Ich rechne mirs zur Ehre, in neuern Zeiten der einzige gewesen zu seyn, welcher eine ernstliche, redliche Revision derselben angestellt, und die Folgen seiner Ueberzeugung theils in namenlosen, theils in namentlichen Schriften dem Auge der Welt vorgelegt hat.

Bei diesen Untersuchungen fand ich den Weg zur Wahrheit, den ich allein gehen mußte, sehr weit von der allgemeinen Heerstraße der ärztlichen Observanz abgelegen. Je weiter ich von Wahrheit zu Wahrheit vorschritt, destomehr entfernten sich meine Sätze, deren keinen ich ohne Erfahrungsüberzeugung gelten ließ, von dem alten Gebäude, was aus Meinungen zusammengesetzt, sich nur noch durch Meinungen erhielt.

Die Resultate meiner Ueberzeugungen liegen in diesem Buche.

Es wird sich zeigen, ob Aerzte, die es redlich mit ihrem Gewissen und der Menschheit meinen, nun noch ferner dem heillosen Gewebe der Vermuthungen und Willkürlichkeiten anhängen, oder der heilbringenden Wahrheit die Augen öffnen können.

Soviel warne ich im Voraus, daß Indolenz, Gemächlichkeit und Starrsinn vom Dienste am Altare der Wahrheit ausschließt, und nur Unbefangenheit und unermüdeter Eifer zur heiligsten aller menschlichen Arbeiten fähigt, zur Ausübung der wahren Heilkunde. Der Heilkünstler in diesem Geiste aber schließt sich unmittelbar an die Gottheit, an den Weltenschöpfer an, dessen Menschen er erhalten hilft, und dessen Beifall sein Herz dreimal beseligt.

Vorrede zur sechsten Ausgabe.

Inhaltsverzeichnis

Die alte Medicin (Allöopathie), um Etwas im Allgemeinen über dieselbe zu sagen, setzt bei Behandlung der Krankheiten theils (nie vorhandne) Blut-Uebermenge (plethora), theils Krankheits-Stoffe und Schärfen voraus, läßt daher das Lebens-Blut abzapfen und bemüht sich die eingebildete Krankheits-Materie theils auszufegen, theils anderswohin zu leiten (durch Brechmittel, Abführungen, Speichelfluß, Schweiß und Harn treibende Mittel, Ziehpflaster, Vereiterungs-Mittel, Fontanelle, u.s.w.), in dem Wahne die Krankheit dadurch schwächen und materiell austilgen zu können, vermehrt aber dadurch die Leiden des Kranken und entzieht so, wie auch durch ihre Schmerzmittel, dem Organism die zum Heilen unentbehrlichen Kräfte und Nahrungs-Säfte. Sie greift den Körper mit großen, oft lange und schnell wiederholten Gaben starker Arznei an, deren langdauernde, nicht selten fürchterliche Wirkungen sie nicht kennt, und die sie, wie es scheint, geflissentlich unerkennbar macht durch Zusammenmischung mehrer solcher ungekannter Substanzen in eine Arzneiformel, und bringt so, durch langwierigen Gebrauch derselben neue, noch zum Theil unaustilgbare Arznei-Krankheiten dem kranken Körper bei. Sie verfährt auch, wo sie nur kann, um sich bei dem Kranken beliebt zu erhalten1, mit Mitteln, welche die Krankheits-Beschwerden durch Gegensatz (contraria contrariis) zwar sogleich auf kurze Zeit unterdrücken und bemänteln (Palliative) aber den Grund zu diesen Beschwerden (die Krankheit selbst) verstärkt und verschlimmert hinterlassen. Sie hält die, an den Außentheilen des Körpers befindlichen Uebel, fälschlich für bloß örtlich, und da allein für sich bestehend, und wähnt sie geheilt zu haben, wenn sie dieselben durch äußere Mittel weggetrieben, so daß das innere Uebel nun schlimmer an einer edlern und bedenklichern Stelle auszubrechen genöthigt wird. Wenn sie weiter nicht weiß, was sie mit der nicht weichenden oder sich verschlimmernden Krankheit anfangen soll, unternimmt die alte Arzneischule wenigstens, dieselbe blindhin durch ein von ihr so genanntes alterans zu verändern, z.B. mit dem das Leben unterminirenden Calomel, Aetzsublimat, und mit andern heftigen Mitteln in großen Gaben.

Es scheint das unselige Hauptgeschäft der alten Medicin zu sein, die Mehrzahl der Krankheiten, die langwierigen, durch fortwährendes Schwächen und Quälen des ohnehin schon an seiner Krankheitsplage leidenden, schwachen Kranken und durch Hinzufügung neuer, zerstörender Arzneikrankheiten, wo nicht tödtlich, doch wenigstens unheilbar zu machen, – und, wenn man dies verderbliche Verfahren einmal am Griffe hat, und gegen die Mahnungen des Gewissens gehörig unempfindlich geworden, ist dieß ein sehr leichtes Geschäft!

Und doch hat für alle diese schädlichen Operationen, der gewöhnliche Arzt alter Schule seine Gründe vorzubringen, die aber nur auf Vorurtheilen seiner Bücher und Lehrer beruhen, und auf Autorität dieses oder jenes gepriesenen Arztes alter Schule. Auch die entgegengesetztesten und widersinnigsten Verfahrungs-Arten, finden da ihre Vertheidigung, ihre Autorität – der verderbliche Erfolg mag auch noch so sehr dagegen sprechen. Nur dem, von der Verderblichkeit seiner sogenannten Kunst, nach vieljährigen Uebelthaten, im Stillen endlich überzeugten, alten Arzte, der nur noch mit, zu Wegbreit-Wasser gemischtem Erdbeer-Sirup (d.i. mit Nichts) selbst die schwersten Krankheiten behandelt, verderben und sterben noch die Wenigsten.

Diese Unheilkunst, welche seit einer langen Reihe von Jahrhunderten in dem Vorrechte und der Macht, über Leben und Tod der Kranken nach Willkühr und Gutdünken zu verfügen, wie eingemauert fest sitzt und seitdem einer, wohl zehnmal größeren Anzahl von Menschen das Lebensziel verkürzte, als es je die verderblichsten Kriege gethan, und viele Millionen Kranke kränker und elender machte, als sie ursprünglich waren – diese Allöopathie habe ich in der Einleitung zu den vorigen Ausgaben dieses Buches näher beleuchtet. Jetzt werde ich bloß ihren geraden Gegensatz, die von mir entdeckte (nun etwas mehr vervollkommnete), wahre Heilkunst vortragen2. Mit dieser (der Homöopathik) ist es ganz anders. Sie kann jeden Nachdenkenden leicht überzeugen, daß die Krankheiten der Menschen auf keinem Stoffe, keiner Schärfe, d.i. auf keiner Krankheits-Materie beruhen, sondern daß sie einzig geistartige (dynamische) Verstimmungen der geistartigen, den Körper des Menschen belebenden Kraft (des Lebensprincips, der Lebenskraft) sind. Die Homöopathik weiß, daß Heilung nur durch Gegenwirkung der Lebenskraft gegen die eingenommene, richtige Arznei erfolgen kann, eine um desto gewissere und schnellere Heilung, je kräftiger noch beim Kranken seine Lebenskraft vorwaltet. Die Homöopathik vermeidet daher selbst die mindeste Schwächung3, auch möglichst jede Schmerz-Erregung, weil auch Schmerz die Kräfte raubt, und daher bedient sie sich zum Heilen bloß solcher Arzneien, deren Vermögen das Befinden (dynamisch) zu verändern und umzustimmen, sie genau kennt und sucht dann eine solche heraus, deren Befinden verändernde Kräfte (Arzneikrankheit) die vorliegende natürliche Krankheit durch Aehnlichkeit (similia similibus) aufzuheben im Stande sind, und giebt dieselbe einfach, in feinen Gaben (so klein, daß sie, ohne Schmerz oder Schwächung zu verursachen, eben zureichen, das natürliche Uebel aufzuheben) dem Kranken ein; wovon die Folge: daß ohne ihn im Mindesten zu schwächen oder zu peinigen und zu quälen, die natürliche Krankheit ausgelöscht wird und der Kranke schon während der Besserung von selbst bald erstarkt und so geheilt ist – ein zwar leicht scheinendes, doch sehr nachdenkliches, mühsames, schweres Geschäft, was aber die Kranken in kurzer Zeit, ohne Beschwerde und völlig zur Gesundheit herstellt – und so ein heilbringendes und beseeligendes Geschäft wird.

Hienach ist die Homöopathik eine ganz einfache, sich stets in ihren Grundsätzen so wie in ihrem Verfahren gleichbleibende Heilkunst. Wie die Lehre auf der sie beruht, erscheint sie, wohl begriffen, in sich völlig abgeschlossen und dadurch allein hülfreich. Gleiche Reinheit in der Lehre wie in der Ausübung, sollten sich von selbst verstehn und jede Rückverirrung in den verderblichen Schlendrian der alten Schule, (deren Gegensatz sie, wie die Nacht der Gegensatz des Tages ist) völlig aufhören, sich mit dem ehrwürdigen Namen Homöopathik zu brüsten.

Paris, Ende Februar 1842.

Samuel Hahnemann.

Fußnoten:

1  Zu gleicher Absicht erdichtet der gewandte Allöopath vor allen Dingen einen bestimmten, am liebsten griechischen Namen für das Uebel des Kranken, um ihn glauben zu machen, er kenne diese Krankheit schon lange, wie einen alten Bekannten, und sey daher am besten im Stande sie zu heilen.

2  Vorher wird man Beispiele angeführt finden, zum Beweise, daß wenn man in ältern Zeiten hie und da auffallende Heilungen verrichtete, es immer durch Mittel geschah, die der damals eingeführten Therapie zuwider, dem Arzte von ungefähr in die Hände gerathen, im Grunde aber homöopathisch waren.

3  Homöopathik vergießt nie einen Tropfen Blutes, giebt nicht zu brechen, purgiren, laxiren oder Schwitzen, vertreibt kein äußeres Uebel durch äußere Mittel, verordnet keine heiße oder ungekannte Mineral-Bäder oder Arznei enthaltende Klystiere, setzt keine spanischen Fliegen oder Senfpflaster, keine Haarseile, keine Fontanelle, erregt keinen Speichelfluß, brennt nicht mit Moxa oder Glüheisen bis auf die Knochen u. dgl., sondern sie giebt mit eigner Hand nur selbst bereitete, einfache Arznei, die sie genau kennt und keine Gemische, stillt nie Schmerz mit Opium, u.s.w.

Einleitung.

Inhaltsverzeichnis

Hinblick auf das bisherige Mediciniren, Allöopathie und Palliativ-Curen der bisherigen alten Arzneischule.

So lange es Menschen gab, waren sie auch einzeln, oder in Menge Erkrankungen ausgesetzt von physischen oder moralischen Ursachen her. Im noch rohen Naturzustande bedurfte man der Hülfsmittel wenige, da die einfache Lebensweise wenige Krankheiten zuließ; mit der Bildung der Menschen im Staate wuchsen die Veranlassungen zum Erkranken und das Bedürfniß von Hülfe dagegen, in gleichem Maße. Aber von da an (bald nach Hippokrates, also seit drittehalb Tausend Jahren) gaben sich Menschen mit Behandlung der sich mehr und mehr vervielfältigten Krankheiten ab, die diese Hülfe mit dem Verstande und mit Vermuthungen auszuklügeln sich von ihrer Eitelkeit verführen ließen. Unzählige, verschiedene Ansichten über die Natur der Krankheiten und ihrer Abhülfe entsprangen aus den so verschiedenen Köpfen und das theoretisch von ihnen Ausgeheckte hießen sie Systeme (Gebäude) wovon jedes den übrigen und sich selbst widersprach. Jede dieser spitzfindigen Darstellungen setzte Anfangs die Leser in ein betäubendes Erstaunen ob der unverständlichen Weisheit drin und zog dem System-Erbauer eine Menge, die naturwidrige Klügelei nachbetender Anhänger zu, deren keiner jedoch etwas davon zum bessern Heilen brauchen konnte, bis ein neues, dem erstem oft ganz entgegengesetztes System jenes verdrängte und sich wieder auf kurze Zeit, Ruf verschaffte. Keines aber war mit Natur und Erfahrung im Einklange; es waren theoretische Gewebe feiner Köpfe aus angeblichen Consequenzen, die in der Ausübung, im Handeln am Krankenbette, ihrer Subtilität und Naturwidrigkeit wegen nicht gebraucht werden konnten und nur zu leeren Disputir-Uebungen taugten.

Nebenbei bildete sich, von allen diesen Theorien unabhängig, ein Cur-Wesen mit ungekannten, gemischten Arzneisubstanzen gegen willkührlich aufgestellte Krankheits-Formen, nach materiellen Hinsichten eingerichtet, mit Natur und Erfahrung im Widerspruche, begreiflich daher schlechten Erfolgs – alte Medicin, Allöopathie genannt.

Ohne die Verdienste zu verkennen, welche viele Aerzte um die Hülfswissenschaft der Medicin, um die Naturkenntnisse in der Physik und der Chemie, um die Naturgeschichte in ihren verschiedenen Zweigen und der des Menschen im Besondern, um die Anthropologie, Physiologie und Anatomie u.s.w. sich erwarben, habe ich es hier nur mit dem praktischen Theile der Medicin, mit dem Heilen selbst zu thun, um zu zeigen, wie die Krankheiten bisher so unvollkommen behandelt wurden.

Tief jedoch liegt unter mir jener handwerksmäßige Schlendrian, das kostbare Menschenleben nach Recepttaschenbüchern zu kuriren, deren noch fortwährende Erscheinung im Publikum, leider, noch immer ihren häufigen Gebrauch erweiset. Ich lasse sie als Skandale der Hefe des gemeinen Arztvolkes ganz unberücksichtigt. Ich rede bloß von der bisherigen Arzneikunst, die sich wissenschaftlich dünkt, eingebildet auf ihre Alterthümlichkeit.

Diese alte Arzneischule bildete sich viel darauf ein, vorgeben zu können, daß sie allein den Namen »rationelle Heilkunst« verdiene, weil sie allein die Ursache der Krankheit aufsuche und hinwegzuräumen sich bemühe, auch nach dem Vorgange der Natur in Krankheiten verfahre.

Tolle causam! ruft sie wiederholt. Aber bei diesem leeren Rufe blieb es. Sie wähnten nur, die Krankheits-Ursache finden zu können, fanden sie aber nicht, da sie nicht erkennbar und nicht zu finden ist. Denn da die meisten, ja die allermeisten Krankheiten dynamischen (geistartigen) Ursprungs und dynamischer (geistartiger) Natur sind, ihre Ursache also nicht sinnlich zu erkennen ist, so waren sie beflissen, sich eine zu erdenken, und aus der Ansicht der Theile des normalen, todten, menschlichen Körpers (Anatomie), verglichen mit den sichtbaren Veränderungen dieser inneren Theile an Krankheiten verstorbener Menschen (pathologische Anatomie), so wie aus dem, was aus der Vergleichung der Erscheinungen und Funktionen im gesunden Leben (Physiologie) mit den unendlichen Abweichungen derselben in den unzählichen Krankheitszuständen (Pathologie, Semiotik) sich zu ergeben schien, Schlüsse auf den unsichtbaren Vorgang der Veränderungen im innern Wesen des Menschen bei Krankheiten zu ziehen – ein dunkles Phantasiebild, was die theoretische Medicin für ihre prima causa morbi1 hielt, die dann die nächste Ursache der Krankheit und auch zugleich das innere Wesen der Krankheit, die Krankheit selbst, sein sollte – obgleich, nach dem gesunden Menschenverstande, die Ursache eines Dinges oder eines Ereignisses nie zugleich das Ding oder das Ereigniß selbst sein kann. Wie konnten sie nun, ohne Selbsttäuschung, dieß unerkennbare, innere Wesen zum Heilgegenstande machen und dagegen Arzneien verordnen, deren Heiltendenz ihnen ebenfalls grösstentheils unbekannt war, und zwar mehre solch ungekannte Arzneien zusammen gemischt in sogenannten Recepten?

Doch lösete sich dieß sublime Projekt, eine innere, unsichtbare, apriorische Krankheitsursache zu finden, wenigstens bei den sich klüger dünkenden Aerzten alter Schule, in ein, freilich auch aus den Symptomen hergeleitetes Aufsuchen derselben auf, was etwa muthmaßlich als der generelle Charakter des gegenwärtigen Krankheitsfalles anzunehmen sei2? ob Krampf? oder Schwäche? oder Lähmung? oder Fieber? oder Entzündung? oder Verhärtung? oder Infarkten dieses oder jenes Theils? oder Blut-Uebermenge (Plethora)? Mangel oder Uebermaß an Sauer-, Kohlen-, Wasser- oder Stickstoff in den Säften? gesteigerte oder gesunkene Arteriollität, oder Venosität, oder Capillarität? relatives Verhältniß der Faktoren der Sensibilität, Irritabilität, oder Reproduktion? – Muthmaßungen, welche, von der bisherigen Schule mit dem Namen: Causal-Indication beehrt und für die einzig mögliche Rationalität in der Medicin gehalten, allzu trügliche, hypothetische Annahmen waren, als daß sie sich praktisch brauchbar hätten bewähren können – unfähig, selbst wenn sie gegründet hätten sein können, oder gewesen wären, das treffendste Heilmittel für den Krankheits-Fall anzuzeigen, zwar der Eigenliebe des gelehrten Erdenkers wohl schmeichelnd, im darnach Handeln aber meist irre führend, und womit es mehr auf Ostentation, als auf ernstliche Findung der Heil-Indication angelegt war.

Und wie oft schien nicht z.B. in dem einen Theile des Organismus Krampf oder Lähmung zu sein, während in einem andern Theile anscheinend Entzündung statt fand!

Oder wo sollten, auf der andern Seite, die für jeden dieser angeblichen, allgemeinen Charaktere sicher helfenden Arzneien herkommen? Die sicher helfenden hätten doch wohl keine andern als die specifischen sein können, d.i. dem Krankheits-Reize in ihrer Wirkung homogene3 Arzneien, deren Gebrauch aber von der alten Schule als höchst schädlich verboten4 und verpönt war, weil die Beobachtung gelehrt hatte, daß, bei der in Krankheiten so hoch gesteigerten Receptivität für homogene Reize, solche Arzneien in den hergebrachten, großen Gaben lebensgefährlich sich erwiesen hatten. Von kleinern Gaben aber und höchst kleinen hatte die alte Schule keine Ahnung. Also auf geradem (natürlichstem Wege durch homogene, specifische Arzneien durfte nicht geheilt werden, konnte auch nicht, da die meisten Wirkungen der Arzneien unbekannt waren und blieben, und wären sie auch bekannt, doch nie bei solchen generalisirenden Ansichten das treffende Heilmittel zu errathen möglich wäre.

Doch glaubte die bisherige Arzneischule, weil's ihr doch wohl verständiger deuchtete, wo möglich einen andern, geraden Weg zu suchen, als Umwege einzuschlagen schlagen, noch Krankheiten direkt aufzuheben durch Wegschaffung der (angeblichen) materiellen Krankheits-Ursache – denn der gewöhnlichen Arzt-Schule war es fast unmöglich, sich bei Ansicht und Beurtheilung einer Krankheit und eben so wenig bei Aufsuchung der Cur-Indication von diesen materiellen Begriffen loszumachen und die Natur des geistig-körperlichen Organism's für ein so hoch potenzirtes Wesen anzuerkennen, daß die Abänderungen seines Lebens in Gefühlen und Thätigkeiten, die man Krankheiten nennt, hauptsächlich, ja fast einzig durch dynamische (geistartige) Einwirkungen bedingt und bewirkt werden könnten.

Durchaus sah die bisherige Schule jene durch die Krankheit veränderten Stoffe, die turgescirenden sowohl, als die sich absondernden, innormalen Stoffe für Krankheits-Erreger, wenigstens, wegen ihrer angeblichen Rückwirkung, als Krankheits-Unterhalter an und thut letzteres bis auf diese Stunde noch.

Daher wähnte sie Causal-Curen zu verrichten, indem sie diese eingebildeten und vorausgesetzten, materiellen Ursachen der Krankheit hinwegzuschaffen sich bemühte. Daher ihr emsiges Fortschaffen der Galle durch Erbrechen bei gallichten Fiebern, ihre Brechmittel bei sogenannten Magen-Verderbnissen5, ihr fleißiges Auspurgiren des Schleims, der Spul- und Madenwürmer bei der Gesichts-Blässe, der Eß-Gier, dem Leibweh und den dicken Bäuchen der Kinder6 ihr Aderlassen bei Blutflüssen7, und vorzüglich alle Arten der Blut-Entziehungen8 als ihres Haupt-Indikats bei Entzündungen, die sie jetzt, eines bekannten Pariser blutgierigen Arztes Vorgange (wie die Schafe dem Leithammel selbst in die Hände des Schlächters) folgend, fast in jedem krankhaft afficirten Theile des Körpers anzutreffen und durch eine oft tödtliche Zahl Blutegel entfernen zu müssen wähnt. Auf diese Weise glaubt sie ächte Causal-Indicationen zu befolgen und rationell zu kuriren. Ferner glaubt auch die alte, bisherige Arzneischule durch Abbindung von Polypen, durch Ausschneidung, oder mittels erhitzender Local-Mittel erkünstelte Vereiterung der kalten Drüsen-Geschwülste, durch Ausschälung der Balg-(Speck-Honig-)Geschwülste, durch Operationen der Pulsader-Geschwülste, der Thränen- und Mastdarm-Fisteln, durch Entfernung der skirrhösen Brust mittels des Schnitts, der Amputation eines knochenfräßigen Gliedes, u.s.w., den Kranken gründlich geheilt und Causal-Curen verrichtet zu haben, und glaubt es auch, wenn sie ihre Repellentia in Anwendung bringt, die alten, jauchenden Schenkel-Geschwüre (allenfalls mit Beihülfe gleichzeitiger, das Grund-Siechthum nicht mindernder, bloß schwächender Abführungs-Mittel) durch adstringende Umschläge, durch Blei-, Kupfer- und Zink-Oxyde austrocknet, den Schanker wegbeizt, die Feigwarzen örtlich zerstört, die Krätze mit Salben von Schwefel, Blei-, Quecksilber- oder Zink-Oxyden von der Haut vertreibt, die Augen-Entzündungen mit Auflösungen von Blei oder Zink unterdrückt und durch Opodeldok, flüchtige Salbe, oder Räucherungen mit Zinnober oder Bernstein die ziehenden Schmerzen aus den Gliedmaßen verjagt; sie glaubt da überall das Uebel gehoben, die Krankheit besiegt und rationelle Causal-Curen ausgeführt zu haben. Aber der Erfolg! die darauf, bald oder spät, doch unausbleiblich erscheinenden Metaschematismen, die sie dadurch veranlaßt (doch dann für neue Krankheiten ausgiebt), welche allemal schlimmer, als das erstere Uebel sind, widerlegen sie zur Genüge und könnten und sollten ihr die Augen öffnen über die tiefer liegende, immaterielle Natur des Uebels und seinen dynamischen (geistartigen), bloß dynamisch zu hebenden Ursprung.

Ueberhaupt setzte die gewöhnliche Schule bis in die neuern (möchte ich doch nicht sagen dürfen, neuesten!) Zeiten bei Krankheiten am liebsten, wenn auch noch so fein gedachte, Krankheits-Stoffe (und Schärfen) voraus, welche durch Ausdünstung und Schweiß, durch die Harn-Werkzeuge, oder auch durch die Speichel-Drüsen aus den Blut- und Lymphgefäßen, durch die Luftröhr- und Bronchial-Drüsen als Brust-Auswurf, aus dem Magen und dem Darm-Kanale durch Erbrechungen und Abführungen fortgeschafft werden müßten, damit der Körper von der materiellen, Krankheit erregenden Ursache gereinigt und so eine gründliche Causal-Cur vollführt werden könne.

Durch eingeschnittene Oeffnungen am kranken Körper, die sie Jahre lang durch eingelegte fremde Substanzen in langwierige Geschwüre verwandelte, (Fontanelle, Haarseile), wollte sie die materia peccans aus dem (stets nur dynamisch) siechen Körper abzapfen, wie man aus Fässern schmutzige Feuchtigkeit aus dem Zapfloche laufen läßt. Auch durch perpetuirliche Canthariden-Pflaster und Seidelbast beabsichtigte sie, die bösen Säfte abzuziehen und von allem Krankheitsstoffe zu reinigen – schwächte aber nur durch alle diese unbesonnenen, naturwidrigen Veranstaltungen den kranken Körper gewöhnlich bis zur Unheilbarkeit.

Ich gebe zu, daß es der menschlichen Schwäche bequemer war, bei den zu heilenden Krankheiten einen sinnlich denkbaren Krankheitsstoff anzunehmen (zumal da auch die Patienten selbst sich leicht einer solchen Vorstellung hingaben), weil man dann auf nichts weiter Bedacht zu nehmen hatte, als wo man genug, Blut und Säfte reinigende, Harn und Schweiß treibende, Brust-Auswurf befördernde und Magen und Darm ausscheuernde Mittel hernähme. Daher steht vom Dioscorides an, in allen materiis medicis bis auf die neuern Bücher dieser Art, fast nichts von den einzelnen Arzneien angemerkt, was jeder ihre specielle, eigentliche Wirkung sei, sondern, außer den Angaben von ihrem vermeintlichen Nutzen gegen diesen oder jenen Krankheits-Namen der Pathologie, bloß: ob sie Harn, Schweiß, Brust-Auswurf oder Monat-Reinigung befördere, und vorzüglich, ob sie Ausleerung aus dem Speise- und Darm-Kanale von oben oder unten bewirke, weil alles Dichten und Trachten der praktischen Aerzte von jeher vorzüglich auf Ausleerung eines materiellen Krankheits-Stoffs und mehrer, den Krankheiten zum Grunde liegen sollender, (fingirter) Schärfen gerichtet war.

Dieß waren aber alles eitel Träume, ungegründete Voraussetzungen und Hypothesen, klüglich ersonnen zur Bequemlichkeit der Therapie, welche am leichtesten mit der Heilung durch Hinwegschaffung materieller Krankheits-Stoffe (si modo essent!) fertig zu werden hoffte.

Nun kann sich aber das Wesen der Krankheiten und ihre Heilung nicht nach solchen Träumen oder nach der Aerzte Bequemlichkeit richten; die Krankheiten können jenen thörichten, auf Nichts gegründeten Hypothesen zu gefallen nicht aufhören, (geistige) dynamische Verstimmungen unseres geistartigen Lebens in Gefühlen und Thätigkeiten, das ist, immaterielle Verstimmungen unsers Befindens zu sein.

Materiell können die Ursachen unserer Krankheiten nicht seyn, da die mindeste fremdartige materielle Substanz9, sie scheine uns auch noch so mild, in unsere Blutgefäße gebracht, plötzlich, wie ein Gift, von der Lebenskraft ausgestoßen wird, oder, wo dieß nicht angeht, den Tod zur Folge hat. Selbst wenn der mindeste Splitter in unsere empfindlichen Teile geräth, so ruht das in unserm Körper allgegenwärtige Lebensprincip nicht eher, bis er durch Schmerz, Fieber, Eiterung oder Brand wieder herausgeschafft worden ist. Und dieß unermüdlich thätige Lebensprincip sollte, z.B. bei einer zwanzig Jahr alten Ausschlags-Krankheit zwanzig Jahre lang einen fremdartigen, so feindseligen, materiellen Ausschlags-Stoff, eine Flechten-, eine Skrofel-, eine Gicht-Schärfe, u.s.w. in den Säften gutmüthig dulden? Welcher Nosologe sah je mit leiblichen Augen einen solchen Krankheits-Stoff, daß er so zuversichtlich davon sprechen und ein medicinisches Verfahren darauf bauen will? Wer hat je einen Gicht-Stoff, ein Skrofel-Gift den Augen darlegen können?

Auch wenn die Anbringung einer materiellen Substanz an die Haut oder in eine Wunde Krankheiten durch Ansteckung fortgepflanzt hat, wer kann (wie so oft in unsern Pathogenien behauptet worden) beweisen, daß von dieser Substanz etwas Materielles in unsere Säfte eingedrungen oder eingesaugt worden sei10? Kein, auch noch so sorgfältiges, alsbaldiges Abwaschen der Zeugungstheile schützt vor der Ansteckung mit der venerischen Schanker-Krankheit. Schon ein Lüftchen, was von einem Menschenpocken-Kranken herüberweht, kann in dem gesunden Kinde diese fürchterliche Krankheit hervorbringen.

Wie viel materieller Stoff an Gewichte mag wohl auf diese Weise in die Säfte eingesaugt worden sein, um im erstern Falle ein ungeheilt, erst mit dem entferntesten Lebensende, erst mit dem Tode erlöschendes, peinliches Siechthum (Lustseuche), im letztern Falle aber eine mit fast allgemeiner Vereiterung11 oft schnell tödtende Krankheit (Menschen-Pocken) hervorzubringen? Ist hier und in allen diesen Fällen wohl an einen materiellen, in das Blut übergegangenen Krankheits-Stoff zu denken? Ein im Krankenzimmer geschriebener Brief aus weiter Entfernung theilte schon oft dem Lesenden dieselbe miasmatische Krankheit mit. Ist wohl hier an einen materiellen, in die Säfte eingedrungenen Krankheits-Stoff zu denken? Doch, wozu alle diese Beweise? Wie oft hat nicht schon ein kränkendes Wort, ein gefährliches Gallenfieber, eine abergläubige Todes-Prophezeiung, ein Absterben zur angekündigten Zeit, und eine jählinge, traurige oder höchst freudige Nachricht den plötzlichen Tod zuwege gebracht? Wo ist hier der materielle Krankheits-Stoff, der in den Körper leibhaftig übergegangen sein, die Krankheit erzeugt und unterhalten haben und ohne dessen materielle Hinwegschaffung und Ausführung keine gründliche Cur möglich sein sollte?

Die Verfechter so grobsinnlich angenommener Krankheits-Stoffe mögen sich schämen, die geistige Natur unseres Lebens und die geistig dynamische Kraft-Krankheit erregender Ursachen so unüberlegt übersehen und verkannt und sich so zu Fege-Aerzten herabgewürdigt zu haben, welche durch ihr Bemühen, Krankheits-Stoffe, die nie existirten, aus dem kranken Körper zu treiben, statt zu heilen, das Leben zerstören.

Sind denn die übelartigen, oft sehr ekelhaften Auswürfe in Krankheiten gerade der sie erzeugende und unterhaltende Stoff12, und nicht dagegen jederzeit Auswurfs-Producte der Krankheit selbst, das ist, des bloß dynamisch gestörten und verstimmten Lebens?

Bei solchen falschen, materiellen Ansichten von der Entstehung und dem Wesen der Krankheiten war es freilich nicht zu verwundern, daß in allen Jahrhunderten von den geringen, wie von den vornehmen Praktikern, ja selbst von den Erdichtern der sublimsten, medicinischen Systeme immer hauptsächlich nur auf Ausscheidung und Abführung einer eingebildeten, krankmachenden Materie hingearbeitet und die häufigste Indication gestellt ward auf Zertheilung und Beweglich-Machung des Krankheits-Stoffs und seine Ausführung durch Speichel, Luftröhr-Drüsen, Schweiß und Harn, auf eine durch die Verständigkeit der Wurzel- und Holztränke treugehorsam zu bewirkende Reinigung des Blutes von (Schärfen und Unreinigkeiten) Krankheits-Stoffen, die es nie gab, auf mechanische Abzapfung der erdichteten Krankheits-Materie durch Haarseile, Fontanelle, durch von immerwährendem Canthariden-Pflaster oder Seidelbast-Rinde offen und triefend erhaltene Haut-Stellen, vorzüglich aber auf Abführung und Auspurgirung der Materia peccans, oder der schadhaften Stoffe, wie sie sie nannten, durch den Darmkanal mittels laxirender und purgirender Arzneien, die sie gern, um ihnen eine tiefsinnigere Bedeutung und ein schmeichelhafteres Ansehen zu geben (die Infarkten?), auflösende und gelind eröffnende benannten – lauter Veranstaltungen zur Fortschaffung feindseliger Krankheits-Stoffe, die es nie geben konnte und nie gegeben hat bei Erzeugung und Unterhaltung der Krankheiten des durch ein geistiges Princip lebenden, menschlichen Organisms – der Krankheiten, welche nie etwas Anderes waren, als geistig dynamische Verstimmungen seines an Gefühl und Thätigkeit geänderten Lebens.

Vorausgesetzt nun, wie nicht zu zweifeln ist, daß keine der Krankheiten – wenn sie nicht von verschluckten, gänzlich unverdaulichen oder sonst sehr schädlichen, in die ersten Wege oder in andere Oeffnungen und Höhlungen des Körpers gerathenen Substanzen, von durch die Haut gedrungenen, fremden Körpern, u.s.w. herrühren – daß, mit einem Worte, keine Krankheit irgend einen materiellen Stoff zum Grunde hat, sondern daß jede bloß und stets eine besondere virtuelle, dynamische Verstimmung des Befindens ist; wie zweckwidrig muß da nicht ein auf Ausführung13 jener erdichteten Stoffe gerichtetes Cur-Verfahren in den Augen jedes verständigen Mannes erscheinen, da nichts in den Hauptkrankheiten des Menschen, den chronischen, damit gewonnen werden kann, sondern stets ungeheuer damit geschadet wird!

Die in Krankheiten sichtbar werdenden, entarteten Stoffe und Unreinigkeiten sind, mit einem Worte, wie nicht zu leugnen ist, nichts Anderes, als Erzeugnisse der Krankheit des in innormale Verstimmung gesetzten Organisms selbst, welche von diesen selbst oft heftig genug – oft allzu heftig – fortgeschafft werden, ohne die Hülfe der Ausleerungs-Kunst zu bedürfen, deren er auch immer wieder neue erzeugt, so lange er an dieser Krankheit leidet. Diese Stoffe bieten sich dem ächten Arzte selbst als Krankheits-Symptome dar und helfen ihm, die Beschaffenheit und das Bild der Krankheit erkennen, um sie mit einer ähnlichen, arzneilichen Krankheits-Potenz heilen zu können.

Doch die neuern Anhänger der alten Schule wollen nicht mehr dafür angesehen sein, als ob sie bei ihren Curen auf Abführung von materiellen Krankheits-Stoffen ausgingen. Sie erklären ihre vielen und mancherlei Ausleerungen für eine durch Ableitung helfende Cur-Methode, worin ihnen die Natur des kranken Organisms in ihren Bestrebungen, sich zu helfen, mit ihrem Beispiele vorangehe, Fieber durch Schweiß und Urin entscheide, Seitenstiche durch Nasenbluten, Schweiß und Schleim-Auswurf – andere Krankheiten durch Erbrechen, Durchfälle und After-Blutfluß, Gelenk-Schmerzen durch jauchende Schenkel-Geschwüre, Hals-Entzündung durch Speichelfluß, u.s.w. oder durch Metastasen und Abcesse entferne, die die Natur in, vom Sitze des Uebels entfernten Theilen veranstalte. –

Sie glaubten daher am besten zu thun, wenn sie dieselbe nachahmten, indem auch sie in der Cur der meisten Krankheiten auf Umwegen, wie die kranke, sich selbst überlassene Lebenskraft, zu Werke gingen und daher indirect14, durch Anbringung stärkerer, heterogener Reize in den vom Krankheits-Sitze entfernten, und den kranken Gebilden am wenigsten verwandten (dissimilären) Organen Ausleerungen veranstalteten, gewöhnlich auch unterhielten, um das Uebel gleichsam dahin abzuleiten.

Diese sogenannte Ableitung war und blieb eine der Haupt-Curmethoden der bisherigen Arzneischule.

Sie suchten bei dieser Nachahmung der sich selbst helfenden Natur, wie sich Andre ausdrücken, in den Gebilden, welche am wenigsten krank sind und am besten die Arznei-Krankheit vertragen könnten, gewaltsam neue Symptome rege zu machen, welche unter dem Scheine von Crisen und unter der Form von Abscheidungen die erste Krankheit ableiten15 sollten, um so den Heilkräften der Natur eine allmälige Lysis zu erlauben16.

Dieß führten sie aus durch Schweiß und Harn treibende Mittel, durch Blut-Entziehungen, durch Haarseile und Fontanelle, am meisten jedoch durch Ausleerungs-Reizungen des Speise- und Darm-Kanals, theils von oben durch Brechmittel, theils aber, und am liebsten, durch Abführungen von unten, die man auch eröffnende und auflösende17 Mittel nannte.

Dieser Ableitungs-Methode zur Beihülfe wurden die mit ihr verschwisterten, antagonistischen Reizmittel in Anwendung gesetzt: Schaafwolle auf bloßer Haut, Fußbäder, Ekel-Cur, durch Hunger gepeinigter Magen und Darm (Hunger-Cur), Schmerz, Entzündung und Eiterung in nahen und entfernten Theilen bewirkende Mittel, wie aufgelegter Märrettig, Senf-Teig, Canthariden-Pflaster, Seidelbast, Haarseile (Fontanelle), Autenriethsche Salbe, Moxa, glühendes Eisen, Akupunktur, u.s.w., ebenfalls nach dem Vorgange der in Krankheiten sich zur Hülfe selbst überlassenen, rohen Natur, welche sich durch Schmerz-Erregung an entfernten Körpertheilen, durch Metastasen und Abscesse, durch erregte Ausschläge und jauchende Geschwüre von der dynamischen Krankheit (und ist diese eine chronische, vergeblich) loszuwinden sucht.

Offenbar also nicht verständige Gründe, sondern einzig die sich das Curiren bequem machen wollende Nachahmung verleitete die alte Schule zu diesen unhülfreichen und verderblichen, indirecten Curmethoden, der ableitenden sowohl, als der antagonistischen – bewogen sie zu dieser so wenig dienlichen, so schwächenden, und so angreifenden Verfahrungsart, Krankheiten auf einige Zeit anscheinend zu mindern oder zu beseitigen, daß ein anderes schlimmeres Uebel dafür erweckt wurde, an des erstern Stelle zu treten. Heilung kann man doch wohl so eine Verderbung nicht nennen?

Sie folgte bloß dem Vorgange der rohen instinktartigen Natur in deren, bloß bei mäßigen, acuten Krankheits-Anfällen nothdürftig18 durchkommenden Bestrebungen – sie machte es bloß der sich in Krankheiten selbst überlassenen, keiner Ueberlegung fähigen Lebens-Erhaltungs-Kraft nach, welche, einzig auf den organischen Gesetzen des Körpers beruhend, einzig nur nach diesen organischen Gesetzen wirket, nicht nach Verstand und Ueberlegung zu handeln fähig ist – der rohen Natur, welche klaffende Wundlefzen nicht wie ein verständiger Wundarzt an einander zu bringen und durch Vereinigung zu heilen vermag, welche schief voneinander abstehende Knochen-Bruch-Enden, so viel sie auch Knochen-Gallerte (oft zum Ueberfluß) ausschwitzen läßt, nicht gerade zu richten und auf einander zu passen weiß, keine verletzte Arterie unterbinden kann, sondern den Verletzten in ihrer Energie zu Tode bluten macht, welche, nicht versteht, einen ausgefallenen Schulter-Kopf wieder einzurenken, wohl aber durch bald umher zuwege gebrachte Geschwulst die Kunst am Einrenken hindert – die, um einen in die Hornhaut eingestochenen Splitter zu entfernen, das ganze Auge durch Vereiterung zerstört und einen eingeklemmten Leisten-Bruch mit aller Anstrengung doch nur durch Brand der Gedärme und Tod zu lösen weiß, auch oft in dynamischen Krankheiten durch ihre Metaschematismen die Kranken weit unglücklicher macht, als sie vorher waren. Noch mehr; die größten Peiniger unsers irdischen Daseyns, die Zunder zu den unzähligen Krankheiten, unter denen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden die gepeinigte Menschheit seufzt, die chronischen Miasmen (Psora, Syphilis, Sykosis), nimmt die verstandlose Lebenskraft im Körper ohne Bedenken auf, vermag aber keins derselben nicht einmal zu mindern, geschweige denn eigenthätig wieder aus dem Organism zu entfernen; vielmehr läßt sie dieselben darin wuchern, bis der Tod oft nach einer langen, traurigen Lebenszeit dem Leidenden die Augen schließt.

Wie könnte wohl die alte Schule, die sich die rationelle nennt, jene verstandlose Lebenskraft in einer so viel Verstand, Nachdenken und Urtheilskraft erfordernden, hochwichtigen Verrichtung, als das Heil-Geschäft ist, zur einzig besten Lehrerin, zur blinden Führerin wählen, ihre indirecten und revolutionären Veranstaltungen in Krankheiten ohne Bedenken nachahmen, sie allein als das non plus ultra, das ersinnlich Beste, nachahmen, da doch, um sie, zum Wohle der Menschheit, an Hülfsleistung unendlich übertreffen zu können, uns jene größte Gabe Gottes, nachdenklicher Verstand und ungebundene Ueberlegungskraft verliehen war?

Wenn so, bei ihrer unbedenklichen Nachahmung jener rohen, verstandlosen, automatischen Lebensenergie, die bisherige Arzneikunst in ihren antagonistischen und ableitenden Cur-Methoden – ihren allgewöhnlichen Unternehmungen – die unschuldigen Theile und Organe angreift und sie entweder mit überwiegendem Schmerze afficirt, oder sie, wie meistens, zu Ausleerungen, unter Verschwendung der Kräfte und Säfte, nöthigt, will sie die krankhafte Tätigkeit des Lebens in den ursprünglich leidenden Theilen ab- und auf die künstlich angegriffenen hinlenken, und so, indirect, durch Hervorbringung einer weit größern, andersartigen Krankheit in den gesündern Theilen, also durch einen Kräfte raubenden, meist schmerzhaften Umweg das Entweichen der natürlichen Krankheit erzwingen19.

Die Krankheit entweichet freilich, wenn sie acut und also ihr Verlauf ohnehin nur zu kurzer Dauer geartet war, auch unter diesen heterogenen Angriffen auf entfernte, dissimiläre Theile – sie ward aber nicht geheilt. Es liegt nichts in dieser revolutionären Behandlung, welche keine gerade, unmittelbare, pathische Richtung auf die ursprünglich leidenden Gebilde hat, was den Ehren-Namen, Heilung verdiente. Oft würde, ohne diese bedenklichen Angriffe auf das übrige Leben, die acute Krankheit für sich schon, gewiß wohl noch eher, verflossen sein, und mit weniger Nachwehen, weniger Aufopferung von Kräften. Mit einer, die Kräfte erhaltenden, die Krankheit unmittelbar und schnell auslöschenden, directen, dynamischen (homöopathischen) Behandlung halten ohnehin beide, weder die von der rohen Naturkraft ausgehende, noch die allöopathische Copie der letztern, keine Vergleichung aus.

In der bei weitem größten Zahl von Krankheitsfällen aber, in den chronischen, richten diese stürmischen, schwächenden, indirecten Behandlungen der alten Schule fast nie das mindeste Gute aus.

Nur auf wenige Tage hin suspendiren sie diese oder jene lästige Krankheits-Aeußerung, welche jedoch wiederkehrt, wenn die Natur des entfernten Reizes gewohnt ist, und schlimmer kehrt die Krankheit wieder zurück, weil durch die antagonistischen Schmerzen20 und die unzweckmäßigen Ausleerungen die Lebenskräfte zum Sinken gebracht worden sind.

Während so die meisten Aerzte alter Schule die Hülfs-Bestrebungen der sich selbst überlassenen, rohen Natur im Allgemeinen nachahmend, nach Gutdünken (wo eine ihren Gedanken vorschwebende Indication sie dazu leitete) dergleichen angeblich nützliche Ableitungen in ihrer Praxis ausführten, unternahmen Andere, welche sich ein noch höheres Ziel vorsteckten, die in Krankheiten sich eben zeigenden Anstrengungen der Lebenskraft, sich durch Ausleerungen und antagonistische Metastasen zu helfen, mit Fleiß zu befördern und, um ihr gleichsam unter die Arme zu greifen, diese Ableitungen und Ausleerungen noch zu verstärken, und glaubten bei diesem nachtheiligen Verfahren duce natura zu handeln und sich mit dem Namen ministri naturae beehren zu können.

Da in langwierigen Krankheiten die von der Natur des Kranken veranstalteten Ausleerungen sich nicht selten als, obschon nur kurze Erleichterungen beschwerlicher Zustände arger Schmerzen, Lähmungen, Krämpfe u.s.w. ankündigen, so hielt die alte Schule diese Ableitungen für den wahren Weg, die Krankheiten zu heilen, wenn sie solche Ausleerungen beförderte, unterhielt, oder gar vermehrte. Sie sah aber nicht ein, daß alle jene durch die sich selbst überlassene Natur veranstalteten Auswürfe und Ausscheidungen (anscheinende Crisen) in chronischen Krankheiten nur palliative, kurzdauernde Erleichterungen seyen, welche so wenig zur wahren Heilung beitragen, daß sie vielmehr im Gegentheile das ursprüngliche, innere Siechthum mittels der dadurch erfolgenden Verschwendung der Kräfte und Säfte nur verschlimmern. Nie sah man durch solche Bestrebungen der rohen Natur irgend einen langwierig Kranken zur dauerhaften Gesundheit herstellen, nie durch solche vom Organism bewerkstelligte21 Ausleerungen irgend eine chronische Krankheit heilen. Vielmehr verschlimmert sich in solchen Fällen stets, nach kurzer, und immer kürzere und kürzere Zeit dauernden Erleichterung, das ursprüngliche Siechthum offenbar, die schlimmen Anfälle kommen öfterer wieder und stärker, trotz der fortdauernden Ausleerungen. – So auch, wenn die sich selbst überlassene Natur bei den dem Leben von einem innern chronischen Uebel drohenden Befährdungen, sich nicht anders zu helfen weiß, als durch Hervorbringung äußerer Localsymptome, um die Gefahr von den zum Leben unentbehrlichen Theilen abzulenken und auf diese für das Leben nicht unentbehrlichen Gebilde hinzuleiten (Metastase), so führen diese Veranstaltungen der energischen, aber verstandlosen und keiner Ueberlegung oder Fürsicht fähigen Lebenskraft doch zu nichts weniger, als zu wahrer Hülfe oder Heilung; sie sind bloß palliative, kurze Beschwichtigungen für das gefährliche, innere Leiden, unter Vergeudung eines großen Theils der Säfte und Kräfte, ohne das Ur-Uebel auch nur um ein Haar zu verkleinern; sie können den, ohne ächte, homöopathische Heilung unausbleiblichen Untergang höchstens verzögern.

Die Allöopathie der alten Schule überschätzte nicht nur bei weitem diese Anstrengungen der rohen automatischen Naturkraft, sondern mißdeutete sie gänzlich, hielt sie fälschlich für ächt heilsam, und suchte sie zu erhöhen und zu befördern, in dem Wahne, dadurch vielleicht das ganze Uebel vernichten und gründlich heilen zu können. Wenn die Lebenskraft bei chronischen Krankheiten dieses oder jenes beschwerliche Symptom des inneren Befindens, z.B. durch einen feuchtenden Haut-Ausschlag zu beschwichtigen schien, da legte der Diener der rohen Naturkraft (minister naturae) auf die entstandene jauchende Fläche ein Kanthariden-Pflaster oder ein Exutorium (Seidelbast), um duce natura noch mehr Feuchtigkeit aus der Haut zu ziehen und so den Zweck der Natur, die Heilung (durch Entfernung der Krankheits-Materie aus dem Körper?) zu befördern und zu unterstützen –; aber entweder, wenn die Einwirkung des Mittels zu heftig, die feuchtende Flechte schon alt und der Körper zu reizbar war, vergrößerte er, nutzlos für das Ur-Uebel, das äußere Leiden um Vieles, erhöhete die Schmerzen, welche dem Kranken den Schlaf raubten und seine Kräfte herabsetzten (auch wohl einen fieberhaften bösartigen Rothlauf [erysipelas] herbeiführten), oder, bei milderer Einwirkung auf das vielleicht noch neue Localübel, vertrieb er damit durch eine Art übel angebrachten, äußeren Homöopathisms das von der Natur zur Erleichterung des innern Leidens auf der Haut bewerkstelligte Localsymptom von der Stelle, erneuerte so das innere, gefährlichere Uebel, und verleitete durch diese Vertreibung des Localsymptoms die Lebenskraft zur Bereitung eines schlimmeren Metaschematisms auf andere, edlere Theile; der Kranke bekam gefährliche Augen-Entzündung, oder Taubhörigkeit, oder Magen-Krämpfe, oder epileptische Zuckungen, oder Erstickungs- oder Schlagfluß-Anfälle, oder Geistes- oder Gemüths-Krankheit u.s.w. dafür22.

In demselben Wahne, die Lebenskraft in ihren Heil-Bestrebungen unterstützen zu wollen, legte, wenn die kranke Naturkraft Blut in die Venen des Mastdarms oder des Afters drängte (blinde Hämorrhoiden), der minister naturae Blutegel an, um dem Blute da Ausgang zu verschaffen, oft in Menge – mit kurzer, oft kaum nennenswerter Erleichterung, aber unter Schwächung des Körpers, und Veranlassung zu noch stärkeren Congestionen nach diesen Theilen, ohne das Ur-Uebel auch nur im Geringsten zu vermindern.

Fast in allen Fällen, wo die kranke Lebenskraft zur Beschwichtigung eines innern, gefährlichen Leidens etwas Blut auszuleeren suchte durch Erbrechen, durch Husten u.s.w., beeiferte sich der Arzt alter Schule, duce natura, diese vermeintlich heilsamen Natur-Bestrebungen zu befördern und ließ reichlich Blut aus der Ader, nie ohne Nachtheil für die Folge und mit offenbarer Schwächung des Körpers.

Bei öftern, chronischen Uebelkeiten erregte er, in der Meinung, die Absichten der Natur zu befördern, starke Ausleerung aus dem Magen und gab tüchtig zu brechen – nie mit gutem Erfolge, oft mit übeln, nicht selten mit gefährlichen, ja tödtlichen Folgen.

Zuweilen erregt die Lebenskraft, um das innere Siechthum zu erleichtern, kalte Geschwülste äußerer Drüsen, und er glaubt, die Absichten der Natur, als ihr angeblicher Diener, zu befördern, wenn er sie durch allerlei erhitzende Einreibungen und Pflaster in Entzündung setzt, um dann die reife Eiterbeule mit dem Schnitte zu öffnen und die böse Krankheits-Materie (?) herauszulassen. Welches langwierige Unheil aber dadurch, fast ohne Ausnahme, veranlaßt wird, lehrt die Erfahrung hundertfältig.

Und da er öfters kleine Erleichterungen großer Uebel in langwierigen Krankheiten durch von selbst entstandenen Nacht-Schweiß oder durch manche dünne Stuhl-Ausleerungen bemerkt hatte, so wähnt er sich berufen, diesen Natur-Winken (duce natura) zu folgen und sie befördern zu müssen durch Veranstaltung und Unterhaltung vollständiger Schwitz-Curen, oder Jahre lang fortgesetzter, sogenannter gelinder Abführungen, um jene, wie er meint, zur Heilung des ganzen chronischen Leidens führenden Bestrebungen der Natur (der Lebenskraft des verstandlosen Organisms) zu fördern und zu vermehren und so den Kranken desto eher und gewisser von seiner Krankheit (dem Stoffe seiner Krankheit?) zu befreien.

Aber er bewirkt dadurch stets nur das Gegentheil im Erfolge: Verschlimmerung des ursprünglichen Leidens.

Dieser seiner vorgefaßten, obgleich grundlosen Meinung zufolge setzt der Arzt alter Schule jene Beförderung23 der Triebe der kranken Lebenskraft fort und vermehrt jene, doch nie zum gedeihlichen Ziele, bloß zum Ruine führenden Ableitungen und Ausleerungen bei dem Kranken, ohne inne zu werden, daß alle die zur Beschwichtigung des ursprünglichen, chronischen Leidens von der sich selbst überlassenen, verstandlosen Lebenskraft veranstalteten und unterhaltenen Localübel, Ausleerungen und anscheinenden Ableitungs-Bestrebungen gerade die Krankheit selbst, die Zeichen der ganzen Krankheit sind, gegen welche zusammen eigentlich eine nach Aehnlichkeits-Wirkung gewählte, homöopathische Arznei das einzig hülfreiche Heilmittel und zwar, auf kürzestem Wege gewesen sein würde.

Da schon was die rohe Natur thut, um sich in Krankheiten zu helfen, in acuten sowohl als vielmehr in chronischen, höchst unvollkommen und selbst Krankheit ist, so läßt sich leicht ermessen, daß die künstliche Beförderung dieser Unvollkommenheit und Krankheit noch mehr schaden, wenigstens selbst bei acuten Uebeln nichts an der Natur-Hülfe verbessern konnte, da die Arzneikunst die verborgnen Wege, auf welchen die Lebenskraft ihre Crisen veranstaltet, nicht zu betreten im Stande war, sondern nur durch angreifende Mittel von außen es zu bewirken unternimmt, welche noch weniger wohlthätig, als was die sich selbst überlassene, instinktartige Lebenskraft auf ihre Weise thut, aber dagegen noch störender sind und noch mehr die Kräfte rauben. Denn auch die unvollkommne Erleichterung, welche die Natur durch ihre Ableitungen und Crisen bewirkt, kann die Allöopathie auf ähnlichem Wege nicht erreichen; sie bleibt noch tief unter der jämmerlichen Hülfe, welche die sich allein überlassene Lebenskraft zu verschaffen vermag, mit ihren Bemühungen zurück.

Man hat durch ritzende Werkzeuge ein dem natürlichen nachgemachtes Nasenbluten hervorzubringen gesucht, um die Anfälle z.B. eines chronischen Kopfschmerzes zu erleichtern. Da konnte man wohl Blut in Menge aus den Nasenhöhlen rinnen machen und den Menschen schwächen, aber die Erleichterung davon war entweder Null oder doch weit geringer, als wenn zu andrer Zeit die instinktartige Lebenskraft aus eigenem Triebe auch nur wenige Tropfen ausfließen ließ.

Ein sogenannter kritischer Schweiß oder Durchfall von der stets thätigen Lebenskraft nach schneller Erkrankung von Aergerniß, Schreck, Verheben oder Verkälten veranlaßt, wird weit erfolgreicher, wenigstens vor der Hand, die acuten Leiden beseitigen, als alle Schwitzmittel oder Abführungs-Arzneien aus der Apotheke, die nur kränker machen, wie die tägliche Erfahrung lehrt.

Doch ward die, für sich, nur nach körperlicher Einrichtung unsers Organisms zu wirken fähige, nicht nach Verstand, Einsicht und Ueberlegung zu handeln geeignete Lebenskraft uns Menschen nicht dazu verliehen, daß wir sie für die bestmöglichste Krankheits-Heilerin annehmen sollten, jene traurigen Abweichungen von Gesundheit in ihr normales Verhältniß wieder zurück zu führen, und noch weniger dazu, daß die Aerzte ihre unvollkommnen, krankhaften Bestrebungen (sich selbst aus Krankheiten zu retten), sklavisch, und mit, unstreitig noch zweckwidrigern und angreifendern Veranstaltungen, als sie selbst vermag, nachahmen und dadurch sich bequemlich den zur Erfindung und Ausführung der edelsten aller menschlichen Künste – der wahren Heilkunst – erforderlichen Aufwand von Verstand, Nachdenken und Ueberlegung ersparen sollten – eine schlechte Copie jener, wenig wohlthätigen Selbsthülfe der rohen Naturkraft für Heilkunst, für rationelle Heilkunst ausgebend!