Pädagogisches - Walter Benjamin - E-Book

Pädagogisches E-Book

Walter Benjamin

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Beschreibung

Die vorliegende Sammlung umfasst Texte Benjamins zu pädagogischen Themen, über Spielzeug, Kinderbücher und Fibeln oder Rezensionen pädagogischer Abhandlungen.

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Impressum

Walter Benjamin: Pädagogisches Neu herausgegeben von Günter Regneri Texte für eine bessere Welt. Band 1 Veröffentlicht im heptagon Verlag © Berlin 2015 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-07-3

Diese Sammlung umfasst Rezensionen und Betrachtungen über Spielzeug, Kinderbücher und andere pädagogische Themen, die von Benjamin zwischen 1913 und 1932 verfasst wurden. Die Orthografie der Texte wurde behutsam an die neue Rechtschreibung angepasst.

1. Abteilung: Über Spiele und Spielzeug

Altes Spielzeug. Zur Spielzeugausstellung des Märkischen MuseumsErstmals erschienen in: Frankfurter Zeitung, 21. März 1928.

Kulturgeschichte des SpielzeugsErstmals erschienen in: Literaturblatt der Frankfurter Zeitung, 13. Mai 1928.

Lob der Puppe. Kritische Glossen zu Max von Boehns »Puppen und Puppenspiele«, 2 Bände, München 1929.Erstmals erschienen in: Die literarische Welt, 10. Januar 1930.

Russische SpielsachenErstmals erschienen in: Südwestdeutsche Rundfunkzeitung, Frankfurt/Main, 10. Januar 1930.

Spielzeug und Spielen. Randbemerkungen zu einem MonumentalwerkErstmals erschienen in: Die literarische Welt, 6. Juni 1928.

Altes Spielzeug. Zur Spielzeugausstellung des Märkischen Museums (1928)

Das Märkische Museum in Berlin veranstaltet seit einigen Wochen eine Spielzeugausstellung. Sie nimmt nur einen mittelgroßen Saal ein; man ersieht daraus, dass es nicht auf die Pracht- und Monstre-Erzeugnisse – die lebensgroßen Puppen für Fürstenkinder, umfängliche Eisenbahnen, riesige Schaukelpferde – abgesehen ist. Gezeigt werden sollte, erstens was das Berlin des 18. und 19. Jahrhunderts an Spielwaren eigener Prägung erzeugt hat, zweitens aber wie um diese Zeit ein gut versehener Spielzeugschrank in der Berliner Bürgerwohnung mag ausgesehen haben. Man hat daher besonderen Wert auf Stücke gelegt, die nachweislich bis heute sich im Besitz alteingesessener Familien erhalten haben. Bestände aus Sammlerhand stehen in zweiter Reihe.

Um aber zunächst das Besondere dieser Ausstellung mit einem Wort auszusprechen: Sie trägt nicht nur Spielzeug im engeren Sinne, sondern sehr viel aus dem Grenzland dieses Gebietes zusammen. Wer weiß, wo sonst noch so schöne Gesellschaftsspiele, Baukästen, Weihnachtspyramiden, Guckkästen sich drängen, ganz zu schweigen von Büchern, Bilderbogen und Tafeln für den Anschauungsunterricht. All dies oft entlegene Detail stellt ein lebendigeres Gesamtbild, als eine systematischer gefügte Ausstellung es zu geben vermöchte. Und dieselbe glückliche Hand wie im Saal ist im Katalog zu spüren: kein totes Verzeichnis von Ausstellungsgegenständen, sondern ein zusammenhängender Text voll präziser Nachweise zu den einzelnen Stücken, aber auch mit genauen Angaben über Alter, Herstellung und Verbreitung ganzer Gruppen von Spielwaren.

Unter ihnen wird wohl der Zinnsoldat, seit Hampe vom Germanischen Museum eine Monographie über ihn herausgab, für die genauest durchforschte gelten müssen. Vor reizvollen Hintergründen – Prospekte aus Berliner Puppentheatern – sieht man sie, aber auch andere bürgerliche oder bukolische Zinnfigürchen zu genrehaften Szenen angeordnet. In Berlin kommt ihre Fabrikation erst spät auf; im 18. Jahrhundert war es Sache der Eisenwarenhändler, die süddeutschen Fabrikate bei sich zu verlegen. Hieraus allein ließe sich entnehmen, dass der eigentliche Spielwarenhändler erst nach und nach am Ende einer Periode strengster kaufmännischer Spezialisierung auftritt.

Seine Vorläufer sind einerseits die Drechsler-, Eisen-, Papier- und Galanteriewarenverkäufer, anderseits die Hausierer in Städten und auf den Jahrmärkten. Ja, eine ganz besondere Art von Spielfiguren steht in einer Nische mit der Aufschrift »Konditorwaren«. Da gibt es die aus »Hoffmanns Erzählungen« heut noch bekannte Puppe von Tragant neben parodistischen Denkmalsmotiven aus Zucker und altmodischen Lebküchlerformen. Aus dem protestantischen Deutschland ist dergleichen verschwunden. Dagegen kann der aufmerksame Reisende in Frankreich, ja in den stilleren Arrondissements von Paris zwei Hauptfiguren dieser alten Zuckerbäckerei ausfindig machen: Wiegenkinder, die den älteren bei der Ankunft von jüngeren Geschwistern geschenkt wurden, und Firmelkinder, die auf blau oder rosa gefärbtem Zuckerkissen, in den Händen Kerze und Buch, ihre Devotion, bisweilen vor einem Betstuhl aus gleicher Masse, verrichten. Die verspielteste Variante dieser Gebilde aber scheint heute verloren zu sein: Das waren flache Zuckerpuppen, auch Herzen oder dergleichen, die sich leicht der Länge nach teilen ließen und in der Mitte, wo die beiden Hälften zusammengebacken waren, auf einem Zettelchen mit buntem Bild einen Spruch enthielten. Ein unzerschnittener Bogen mit solcher Konditordichtung ist aufgestellt. Da heißt es:

Meinen ganzen Wochenlohn Hab mit dir vertanzt ich schon

oder

Hier du kleine Lose, Nimm die Aprikose.

Solche lapidaren Zweizeiler hießen »Devisen«, weil die Figur in ihre Hälfte geteilt sein wollte, um sie zum Vorschein zu bringen. So lautet denn ein Berliner Inserat aus dem Biedermeier: »Bei dem Conditor Zimmermann in der Königsstraße sind feine Zuckerbilder von allen Sorten, wie auch von andern Sorten Confecturen, nebst Devisen um civilen Preiß zu bekommen.«

Man trifft aber noch auf ganz andere Texte. Natkes großer Bade-Bassin-Theater-Salon, Palisadenstr. 76 affichiert: »Unterhaltung durch Laune und anständigen Witz sind von allbekannter Güte.« Julius Lindes mechanisches Marionettentheater lädt zu seinen neuesten Produktionen folgendermaßen ein: »Der geschundene Raubritter oder Liebe und Menschenfraß oder Gebratenes Menschenherz und Menschenhaut ... Zum Schluss großes Metamorphosenkunstballett worin mehrere ganz nach dem Leben tanzende Figuren und Verwandlungen durch ihre niedlichen, kunstgerechten Bewegungen das Auge des Zuschauers angenehm überraschen werden. Zum Schluss wird der Wunderhund Pussel sich sehr auszeichnen.« Tiefer noch als Puppentheater führen ins Geheimnis der Spielwelt die Guckkästen und dann die Dioramen, Myrioramen, Panoramen ein, zu denen die Bilder meistens in Augsburg verfertigt wurden. »Das hat man gar nicht mehr«, hört man oft den Erwachsenen sagen, wenn er alter Spielsachen ansichtig wird. Meist scheint es nur ihm so, er ist gleichgültig gegen diese Dinge geworden, dem Kind dagegen fallen sie auf Schritt und Tritt ins Auge. Hier aber angesichts der panoramatischen Spiele ist er ganz ausnahmsweise im Recht. Sie sind Hervorbringungen des 19. Jahrhunderts, vergingen mit ihm und bleiben an seine seltsamsten Züge gebunden. Altes Spielzeug wird heute unter vielen Gesichtspunkten wichtig. Folklore, Psychoanalyse, Kunstgeschichte, Neuformung haben an ihm einen dankbaren Gegenstand. Aber nicht dies allein wird Ursache sein, dass der kleine Ausstellungsraum nie leer wird und neben Schulklassen viele Hunderte von Erwachsenen ihn in den letzten Wochen durchstreiften. Auch die erstaunlichen primitiven Stücke tun es nicht, die freilich dem Snob allein schon genügen müssten, diese Veranstaltung zu protegieren.

Das waren nicht nur Hampelmänner, Wollschäfchen, denen man ihre Herkunft aus ärmlichen, von industrieller Normierung lange unabhängigen Heimindustrien ansieht, nicht nur die Neuruppiner Bilderbogen mit den berühmten grellfarbigen Szenen, sondern daneben, um nur eins zu nennen, Anschauungsbilder, die vor kurzem auf dem Dachboden einer märkischen Schule gefunden wurden. Sie stammen von einem gewissen Wilke, einem taubstummen Lehrer, und sind für taubstumme Kinder gemacht. Ihre Drastik ist so beklemmend, dass der Normale vor Schrecken über diese atmosphärenlose Welt beim Betrachten beinahe Gefahr liefe, auf ein paar Stunden Stimme und Gehörsinn einzubüßen. Da ist bemaltes Schnitzwerk, das Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Schäfer in der Altmark gemacht hat. Die Typen sind bald dem profanen, bald dem biblischen Leben entnommen und sind in allen Fällen Mitteldinge zwischen Miniaturmodellen von Personen des Strindbergschen Totentanzes und leblosen Stoffwesen, die auf den Jahrmärkten, im Hintergrunde der Wutbuden thronend, hölzernen Bällen zum Ziele dienen. Dies alles, wie gesagt, ist Anreiz für die Erwachsenen, doch nicht der einzige. Nicht der entscheidende. Man kennt das Bild der unterm Weihnachtsbaum versammelten Familie, der Vater ganz ins Spiel mit einer Eisenbahn vertieft, die er dem Sohne eben geschenkt hat, während das Kind weinend daneben steht. Wenn solcher Drang zum Spielen den Erwachsenen überkommt, ist das kein ungebrochener Rückfall ins Kindliche. Freilich bleibt Spielen immer Befreiung. Kinder schaffen, von einer Riesenwelt umgeben, spielend sich ihre angemessene kleine, der Mann aber, den das Wirkliche ausgangslos, drohend umstellt, nimmt ihr durch ihr verkleinertes Abbild den Schrecken. Die Bagatellisierung eines unerträglichen Daseins hat an dem wachsenden Interesse, dem Kinderspiel, Kinderbücher mit dem Ausgang des Krieges begegneten, einen starken Anteil gehabt.

Nicht alle neuen Antriebe, die damals der Spielzeugindustrie zukamen, sind ihr von Nutzen gewesen. Die zimperliche Silhouette von lackierten Holzfiguren, die in einer der Vitrinen unter soviel alten Erzeugnissen die Moderne repräsentieren, stechen nicht zu ihrem Vorteil ab, stellen mehr dar, was Erwachsene sich gern unter Spielzeug vorstellen, als was das Kind vom Spielzeug verlangt. Es sind Kuriosa. Hier sind sie zu Vergleichszwecken nützlich, in der Kinderstube taugen sie nichts.

Fesselnder sind die älteren Kuriositäten, unter ihnen eine Wachspuppe aus dem 18. Jahrhundert, die ganz und gar wie eine heutige Charakterpuppe wirkt. Aber die Vermutung dürfte zu Recht bestehen, die mir gesprächsweise der Museumsdirektor Stengel, zugleich der Organisator dieser Sonderschau, mitteilte: dass man nämlich das Wachsporträt eines Babys in ihr zu sehen habe. Es hat sehr lange gedauert, bis man inne geworden ist, geschweige denn die Puppe es darstellte, dass es in Kindern nicht um Männer oder Frauen in verkleinertem Maßstab sich handelt. Bekanntlich hat selbst die Kinderkleidung sich erst sehr spät von der Erwachsener emanzipiert. Das hat das 19. Jahrhundert gebracht. Es könnte manchmal scheinen, als ginge das unsrige noch einen Schritt weiter und wolle Kinder, weit entfernt, als kleine Männer oder Frauen sie anzusprechen, selbst als kleine Menschen nur mit Vorbehalt gelten lassen. Man stieß auf die grausame, die groteske, die grimmige Seite im Kinderleben. Während lammfromme Pädagogen immer noch Rousseauschen Träumen nachhängen, haben Schriftsteller wie Ringelnatz, Maler wie Klee das Despotische und Entmenschte an Kindern begriffen. Erdenfern und unverfroren sind Kinder. Nach all den Empfindsamkeiten eines wiedererstehenden Biedermeier ist Mynona mit seinem Vorschlag aus dem Jahre 1916 mehr als je im Recht: »Sollen aus Kindern einmal ganze Kerle werden, so darf man ihnen nichts Menschliches verbergen. Ihre Unschuld sorgt schon unwillkürlich für alle möglichen Schranken, und später, wenn diese Schranken sich allmählich erweitern, trifft das Neue auf vorbereitete Gemüter. dass die Kleinchen über alles lachen, auch über die Kehrseiten des Lebens, das ist geradezu die herrliche Ausdehnung der strahlenden Heiterkeit auch über alles sonst so schnöde von ihr Verlassene und nur dadurch so Triste. Wundervoll gelingende kleine Bombenattentate mit entzweigehenden, heilbaren Prinzen, Warenhäuser mit automatisch funktionierenden Brandstiftungen, Einbrüchen, Diebstählen. Auf vielerlei Weisen ermordbare Opfer- und die zu ihnen gehörenden Mörder-Puppen – mit allen einschlägigen Instrumenten, Guillotine und Galgen möchten wenigstens meine Kleinen nicht mehr missen.«

Dergleichen darf man hier freilich nicht suchen. Aber es ist eines nicht zu vergessen: Die nachhaltigste Korrektur des Spielzeugs vollziehen nie und nimmer die Erwachsenen, seien es Pädagogen, Fabrikanten, Literaten, sondern die Kinder selber im Spielen. Einmal verkramt, zerbrochen, repariert, wird auch die königliche Puppe eine tüchtige proletarische Genossin in der kindlichen Spielkommune.

Kulturgeschichte des Spielzeugs (1928)

Am Anfang des Werkes von Karl Gröber, »Kinderspielzeug aus alter Zeit«, steht die Bescheidung. Der Verfasser versagt sich, vom kindlichen Spielen zu handeln, um in ausdrücklicher Beschränkung auf sein gegenständliches Material sich ganz der Geschichte des Spielzeugs selber zu widmen. Er hat sich, wie weniger die Sache als die außerordentliche Solidität seines Vorgehens es nahelegte, auf den europäischen Kulturkreis konzentriert. War somit Deutschland geographische Mitte, so ist es doch in diesem Bereich auch die geistige. Denn wir dürfen ein gut Teil der schönsten Spielsachen, die noch jetzt in Museen und Kinderstuben begegnen, ein deutsches Geschenk an Europa nennen. Nürnberg ist die Heimat der Zinnsoldaten und der gestriegelten Tierwelt der Arche Noah; das älteste bekannte Puppenhaus stammt aus München. Aber auch wer von Prioritätsfragen, die im Grunde hier wenig sagen, nichts wissen will, wird gestehen, in den hölzernen Puppen von Sonneberg, den erzgebirgischen »Spanbäumen«, der Oberammergauer Festung, den Spezereigeschäften und Haubenläden, dem zinnernen Erntefest aus Hannover unübertreffliche Muster schlichtester Schönheit vor sich zu haben. Solch Spielzeug ist nun allerdings anfänglich nicht Erfindung von Spielwarenfabrikanten gewesen, vielmehr erstmals aus den Werkstätten der Holzschnitzer, der Zinngießer usw. ans Licht getreten. Nicht vor dem 19. Jahrhundert wird die Spielzeugherstellung Sache eines eigenen Gewerbes. Stil und Schönheit der älteren Typen sind überhaupt nur aus dem Umstand zu erfassen, dass ehemals Spielzeug ein Nebenprodukt in den vielen zünftig umschränkten Handwerksbetrieben war, von denen jeder nur fabrizieren durfte, was in seinen Bereich fiel.

Als dann im Laufe des 18. Jahrhunderts die Anfänge einer spezialisierten Fabrikation aufkamen, stießen sie überall gegen die Zunftschranken. Die untersagten es dem Drechsler, seine Püppchen selbst zu bemalen, zwangen bei der Verfertigung von Spielzeug aus unterschiedlichen Stoffen verschiedene Gewerbe, die einfachste Arbeit unter sich aufzuteilen, und verteuerten so die Ware.