Palliative Begleitung bei Menschen mit Demenz - Tanja Frank - E-Book

Palliative Begleitung bei Menschen mit Demenz E-Book

Tanja Frank

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Beschreibung

Was macht „gutes“ Sterben bei Menschen mit Demenz aus? Was können Pflege- und Betreuungskräfte tun, um die letzte Lebensphase einfühlsam und kompetent zu gestalten? Die palliative Begleitung Demenzbetroffener ist eine besondere Herausforderung für die Mitarbeiter in der Pflege und Betreuung. Achtsamkeit und Menschlichkeit sind ebenso erforderlich wie kompetentes Fachwissen und praktische Strategien. Dieses Buch zeigt, welche Besonderheiten die letzten Lebenswege von Menschen mit Demenz häufig kennzeichnen, wo ihre wichtigsten Bedürfnisse liegen und was Pflegende, Betreuende und Angehörige für die bestmögliche Versorgung tun können.

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Tanja Frank ist Krankenschwester, Pain Nurse Plus, Palliative Care, Beraterin für Ethik im Gesundheitswesen und Mitarbeiterin im Palliativgeriatrischen Dienst. Als Mitglied der Expertenrunde Curriculum »Palliative Praxis« der Robert-Bosch-Stiftung beschäftigte sie sich zudem intensiv mit dem Theorie-Praxis-Transfer von Palliative Care.

» Jedes Leben und jedes Sterben ist einzigartig und erfordert ein genaues Hinschauen und Spüren, was jetzt gewünscht, erleichternd und unterstützend sein könnte.«

TANJA FRANK

pflegebrief

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8426-0866-5 (Print)ISBN 978-3-8426-9118-6 (PDF)ISBN 978-3-8426-9119-3 (EPUB)

© 2021 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover, www.schluetersche.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Autorin und Verlag haben dieses Buch sorgfältig erstellt und geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Weder Autorin noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus in diesem Buch vorgestellten Erfahrungen, Meinungen, Studien, Therapien, Medikamenten, Methoden und praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Insgesamt bieten alle vorgestellten Inhalte und Anregungen keinen Ersatz für eine medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung.Etwaige geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass es sich um freie Warennamen handelt.

Lektorat: Claudia Flöer, Text & Konzept FlöerCovermotiv: Robert Kneschke – stock.adobe.comCovergestaltung und Reihenlayout: Lichten, Hamburg

Inhalt

Danke

Einleitung

1Die Entwicklung von Hospizarbeit und Palliative Care

1.1Was ist Palliative Geriatrie?

1.2Ist Palliative Care gleichzusetzten mit Sterbebegleitung?

2Die Rolle der Pflegenden und Betreuenden bei der palliativen Begleitung

2.1Die Rolle der Pflegenden in der ambulanten Pflege

2.2Die Rolle der Betreuenden in der ambulanten Pflege

2.3Die Rolle der Pflegenden im Krankenhaus

2.4Die Rolle der Leitung

2.5Die Rolle der Pflegenden in der stationären Altenpflege

2.6Die Rolle der Alltagsbegleiter*innen/ Betreuungskraft in der stationären Altenpflege

2.7Die Rolle als Ehrenamtliche

2.8Die Rolle der Angehörigen

3Demenz – Begleitung am Lebensende

3.1Die palliative Begleitung bei Menschen mit Demenz

3.1.1Die Umgebung muss sich anpassen

3.1.2Die Pflege/Betreuung müssen sich anpassen

3.2Individualität, Autonomie und Selbstbestimmung

3.2.1Die Hinwendung zum Menschen

3.2.2Die Rahmenbedingungen

3.3Kommunikation mit Menschen mit Demenz

3.3.1Die Beziehung lebt von der Kommunikation

3.3.2Angemessen mit- und voneinander sprechen

3.3.3Wertschätzend kommunizieren

3.3.4Kommunizieren ohne Worte

3.3.5Kommunikation heißt auch Entscheiden

4Pflegerischer Umgang mit besonderen Symptomen

4.1Unruhe

4.1.1Die Ursachenforschung

4.1.2Maßnahmen gegen Unruhe

4.1.3Nicht-medikamentöse Maßnahmen bei Unruhe

4.2Angst

4.2.1Maßnahmen gegen Angst

4.3Delir

4.3.1Die Ursachenforschung

4.3.2Maßnahmen gegen ein Delir

4.4Schmerz

4.4.1Die Ursachenforschung

4.4.2Schmerzerfassung und -einschätzung

4.4.3Therapie und Begleitung

4.4.4Wärme-/Kälteanwendungen

4.4.5Schmerz und Lebensende

4.5Atemnot

4.5.1Die Ursachenforschung

4.5.2Maßnahmen gegen Atemnot

4.5.3Rasselatmung in der Sterbephase

4.6Ablehnendes Ess- und Trinkverhalten

4.6.1Die Ursachenforschung

4.6.2Maßnahmen bei ablehnendem Ess- und Trinkverhalten

5Demenz und Spiritualität

6Die Sterbephase

6.1Die pflegerische Begleitung des Sterbenden und seiner Angehörigen

6.2Frühe Anzeichen des Sterbens

6.3Anzeichen des einsetzenden Sterbeprozesses

6.3.1Die pflegerische Begleitung

6.3.2Die Beendigung von Maßnahmen

6.4Ermöglichen Sie Wohlbefinden bis zuletzt

6.5Mit Sterbenden kommunizieren

6.6Der Moment des Todes

6.7Nach dem Tod

6.7.1Der würdevolle Umgang für alle Beteiligten

6.7.2Die Todesnachricht überbringen

6.7.3Kinder und der Tod

7Trauer und Abschied

7.1Die Angehörigen

7.2Die Mitbewohner*innen

7.3Die Mitarbeiter*innen

8Ethische Grundsätze/Entscheidungen

8.1Das ethische Fallgespräch

8.1.1Die Anlässe

8.1.2Die Voraussetzungen

8.1.3Die Durchführung

8.1.4Die Vorteile

9Stellvertretung – die rechtlichen Rahmenbedingungen

9.1Die Vorsorgevollmacht

9.2Die Patientenverfügung

9.3Die gesundheitliche Versorgungsplanung

9.4Der Notfallplan

9.4.1Anforderungen an einen Notfallplan

9.4.2Der Tübinger Notfallplan

9.5Wünsche von Menschen mit Demenz

10Begleitung der Angehörigen

10.1Die »schwierigen« Angehörigen

10.2Die Ursachenforschung

10.3So können Sie Angehörige unterstützen

11Selbstpflege

11.1Seien Sie gut zu sich

11.2Spannen Sie Ihren Arbeitgeber ein

11.3Sterben, Tod und Trauer – darüber reden ist wichtig

11.4Kleine Übungen zum Selbstschutz

Nachwort

Literatur

Register

Danke

Mein Dank gilt allen Betroffenen und ihren Angehörigen. Von Ihnen konnte ich vieles lernen und an Ihnen durfte ich vieles anwenden.

Mein Dank geht auch an die vielen unermüdlichen und motivierten Mitarbeitenden in diesem Bereich. In zahlreichen Seminaren in über 13 Jahren konnte ich voller Bewunderung feststellen, wie viele interessierte, motivierte und zugewandte Mitarbeiter*innen aus Pflege und Betreuung sich in der Kranken- und Altenpflege engagieren. Viele lieben ihre Arbeit und gehen mit großem Engagement und Freude in ihren Dienst.

So vielfältig, wie Sie im Einzelnen sind, so unterschiedlich sind Ihre Talente, die Sie in Ihre Arbeit mit hineingeben – zum Wohle und zur Freude der Menschen mit Demenz und deren Angehörigen.

 

 

 

 

 

Widmung

Ich widme dieses Buch meinem Mann und meinen Kindern.

Einleitung

In Deutschland leben nach jüngsten epidemiologischen Schätzungen rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Jeder dieser Menschen ist einzigartig. Alle möchten eine gute Lebensqualität haben. Sie möchten frei von Angst, Schmerzen, Unruhe und anderen Beschwerden viele schöne Momente erleben, in einer Umgebung, in der sie sich sicher und wohl fühlen. Wenn das Lebensende näherkommt, kann dies zu Verunsicherung bei den Betroffenen und deren An- und Zugehörigen führen. Es kommen Fragen auf:

• Was kann ich noch tun?

• Was sollte ich vielleicht jetzt lassen?

• Was kommt auf mich zu?

In diesem Buch erhalten Sie einen Einblick, was beim schwerkranken und sterbenden Menschen mit Demenz geschieht, wie körperliches, psychisches, soziales und spirituelles Leiden am Lebensende aussehen und gelindert werden kann. Immer wieder kommen Sie als Mitarbeitende im Alltag in eine ethisch problematische Situation, ein sog. Dilemma, und sind ratlos. Um Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen eine möglichst gute und beschwerdefreie Zeit am Lebensende zu ermöglichen, brauchen Sie neben Fachwissen eine empathische und wertschätzende Haltung. Das Handeln der Begleitenden findet auf der Grundlage von Menschlichkeit und Mitgefühl, Respekt und Achtsamkeit statt.

So kann es gelingen, dass Sie sich den Bedürfnissen und Wünschen der Betroffenen annähern und eine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Hier sind zwei Kompetenzen gemeinsam gefordert: Fachwissen und Haltung. Nur in dieser Kombination werden Pflegende und Betreuende einen Zugang zu Menschen mit Demenz finden und deren Lebensqualität erhalten oder steigern können. Gehen Sie ohne diese Haltung mit viel Fachwissen auf sie zu, werden Sie nur bis zu einem gewissen Punkt gelangen und dann scheitern. Ebenso ist Haltung allein, ohne das grundlegende Fachwissen, nicht ausreichend, um den Bedürfnissen von Demenzerkrankten gerecht zu werden.

Vielleicht ahnen Sie jetzt schon, dass es keine allgemein gültigen Antworten auf die oben gestellten Fragen gibt und Sie immer wieder die bestmögliche Lösung für die jeweilige Situation suchen müssen. Jedes Sterben ist einzigartig und erfordert ein genaues Hinschauen, was gewünscht, erleichternd und unterstützend sein könnte. Den letzten Schritt muss der Sterbende allein gehen, Sie können ihn dabei begleiten und, so gut es Ihnen möglich ist, hilfreich sein. Immer im Bewusstsein, dass Sie nie alles wissen und erklären können und manchmal unsicher bleiben, ob es richtig ist, was Sie gerade tun.

Auch bundesweit setzen sich Menschen und Institutionen seit 2008 mit dem Thema Betreuung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase auseinander. So entstand 2010 die »Charta zu Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland«. In fünf Leitsätzen formuliert sie Aufgaben, Ziele und Handlungsbedarfe, um die Betreuung Schwerkranker und Sterbender zu verbessern. 2.351 Organisationen und Institutionen sowie 27.550 Einzelpersonen – darunter auch zahlreiche Politiker*innen aller Ebenen – haben die Charta bislang unterschrieben.

Info

»Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen. Er muss darauf vertrauen können, dass er in seiner letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert wird und dass Entscheidungen unter Achtung seines Willens getroffen werden. Familiäre und professionelle Hilfe sowie die ehrenamtliche Tätigkeit unterstützen dieses Anliegen.«

»Jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht auf eine umfassende medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Betreuung und Begleitung, die seiner individuellen Lebenssituation und seinem hospizlich-palliativen Versorgungsbedarf Rechnung trägt. Die Angehörigen und die ihm Nahestehenden sind einzubeziehen und zu unterstützen. Die Betreuung erfolgt durch haupt- und ehrenamtlich Tätige soweit wie möglich in dem vertrauten bzw. selbst gewählten Umfeld. Dazu müssen alle an der Versorgung Beteiligten eng zusammenarbeiten.«*

* Auszug aus der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. Im Internet: www.charta-zur-Betreuung-Sterbender.de

1 Die Entwicklung von Hospizarbeit und Palliative Care

Die Hospiz- und Palliativbewegung ist bis heute maßgeblich mit der britischen Pionierin Dame Cicely Saunders verbunden. Ihr Ziel war es, unheilbar kranken Menschen ein würdiges, selbstbestimmtes und schmerzfreies Leben zu ermöglichen. Cicely Saunders hat bis zu ihrem Tod 2005 mit 87 Jahren das Wissen um Symptomlinderung und guter Schmerztherapie vorangetrieben. Mit ihrem persönlichen multiprofessionellen Hintergrund als Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin war es ihr immer ein Anliegen, dass keine dieser Professionen allein das Ziel einer guten Lebensqualität in dieser besonderen Lebensphase erreichen kann. Das multiprofessionelle Team ist ein zentrales Merkmal der Hospiz- und Palliativarbeit.

1967 eröffnete Cicely Saunders in London das erste moderne Hospiz, St. Christopherus. Dort kümmerte sich ein multiprofessionelles Team und Ehrenamtliche um Schwerkranke und Sterbende. Cicely Saunders hatte die großen Probleme von Menschen mit unheilbaren Krebserkrankungen, deren belastende körperliche, spirituelle und psychosoziale Beschwerden im Blick.

»Auch wenn wir an der grundsätzlichen Situation sterbender Menschen wenig ändern können – wir können versuchen, ihnen in dieser schwierigen Phase ihres Lebens beizustehen. Alle unsere Bemühungen müssen also an den Bedürfnissen unserer Patienten orientiert sein.«*

*http://www.hospizarbeit-bielefelder-sueden.de/ueber-uns/

Die aus der Schweiz stammende Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross veröffentlichte 1969 in den USA ihr Buch »Interviews mit Sterbenden« und erregte damit weltweit Aufsehen. Sie beschreibt darin die Sterbephasen und wesentliche Erkenntnisse aus ihrer Arbeit mit Sterbenden und deren Angehörigen. Wie war die Entwicklung in Deutschland? Pioniere aus Tübingen setzten erstmals in den 1970er Jahren Erfahrungen anglo-amerikanischer Pflegeeinrichtungen in der Tropenklinik Paul-Lechler Krankenhaus um, in der ich später dann viele Jahre selbst gearbeitet habe. 1983 eröffnete in Köln an der chirurgischen Universitätsklinik die erste Palliativstation, kurz darauf 1986 das erste stationäre Hospiz in Aachen. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 1.500 ambulante Hospizdienste, ca. 230 stationäre Hospize für Erwachsene sowie 17 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, ca. 330 Palliativstationen in Krankenhäusern, drei davon für Kinder und Jugendliche.1 230 stationäre Erwachsenen-Hospize mit im Durchschnitt je ca. 10 Betten, also ca. 2300 Hospizbetten, versorgen pro Jahr ca. 30.000 Menschen. Aktuell arbeiten 361 Teams in der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV)2, 34 davon für Kinder und Jugendliche3. Bis 2018 haben nahezu 12.346 Mediziner die Zusatzausbildung Palliativmedizin absolviert.4 Mehr als 120.000 Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich, bürgerschaftlich und hauptamtlich und unterstützen die Arbeit für schwerstkranke und sterbende Menschen.

Hier hat in den vergangenen Jahren also eine intensive Entwicklung stattgefunden. Das alles dient dazu, Menschen in ihrer letzten Lebensphase dort zu unterstützen, wo sie wünschen zu leben und zu sterben. Menschen mit Demenz leben und sterben vorrangig zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung oder in einem Altenheim. Für sie ist nur in Ausnahmefällen ein Hospizplatz oder das SAPV-Team vorgesehen. Deshalb muss die Begleitung dort, wo sie leben und sterben sehr gut sein. Das Konzept der »Palliative Care« dient hierfür als Grundlage für die Begleitung der Schwerkranken und Sterbenden und deren Angehörige.

DefinitionPalliative Care

»Palliativ« bedeutet, die Beschwerden einer Krankheit zu lindern, nicht aber ihre Ursache zu bekämpfen. Er stammt vom lateinischen Wort »pallium« ab, welches im antiken Rom einen mantelartigen Umhang bezeichnete. Der Begriff »care« bedeutet Fürsorge, Pflege in einem umfassenden Sinn. Palliative Care bedeutet also, einen schützenden Mantel um eine bedürftige Person zu legen.

In diesem Bild steckt auch der ganzheitliche Ansatz des Konzeptes. Wenn Heilung nicht mehr möglich ist, geht es um Linderung von Beschwerden auf körperlicher, spiritueller, sozialer und psychischer Ebene. Das kann eine Profession allein nicht leisten, deshalb ist der multiprofessionelle Ansatz von so großer Bedeutung. Jeder trägt auf seine Weise seinen Teil zur Verbesserung der Situation bei. Das hat auch die WHO erstmals 1990 in ihrer Definition eines ganzheitlichen Betreuungskonzeptes öffentlich gemacht. 2002 überarbeitete die WHO die Definition.

DefinitionGanzheitliches Betreuungskonzept von Schwerkranken und Sterbenden

Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durchfrühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.

Palliativ Care

• ermöglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen,

• bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an,

• beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes,

• integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung,

• bietet Unterstützung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod zu gestalten,

• bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit,

• beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig,

• fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen,

• kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie z. B. Chemotherapie oder Bestrahlung, und schließt Untersuchungen ein, die notwendig sind um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln.*

* Vgl. https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/WHO_Definition_2002_Palliative_Care_englisch-deutsch.pdf

Die Formulierung wurde also sehr offengehalten, damit neben Tumorerkrankungen auch weitere lebensbedrohliche bzw. -verkürzende Erkrankungen, wie z. B. Demenz, fortgeschrittene Herz-, Lungen-, Leber- oder Nierenerkrankungen und andere chronische neurologische Erkrankungen, z. B. der schwere Schlaganfall, Morbus Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose, nicht von diesem ganzheitlichen Ansatz der Betreuung ausgeschlossen bleiben. Das war eine wichtige Entwicklung auch in Deutschland. In der Praxis haben Sie es immer wieder mit Menschen zu tun, die mehrere der oben genannten Erkrankungen haben und eine entsprechend ausgeprägte Symptomlast erleben. Sie benötigen eine palliative Begleitung. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) appelliert deshalb an die Verantwortlichen aus Politik, Gesundheitswesen und Behandlungsteams, sich dieser wichtigen Aufgabe der besseren palliativen Versorgung der wachsenden Gruppe von Menschen mit Demenz anzunehmen.5

1.1Was ist Palliative Geriatrie?

• Palliative Geriatrie leitet sich aus dem Konzept von Palliative Care ab. Sie hat zum Ziel, hochbetagten Menschen bis zuletzt ein beschwerdefreies und würdiges Leben und Sterben zu ermöglichen. Schmerzen, belastende körperliche Symptome sowie soziale und seelische Nöte werden wahrgenommen und gelindert.

• Palliative Geriatrie erfordert ein ganzheitliches Betreuungskonzept für Betroffene und Betreuende.

• Palliative Geriatrie unterscheidet sich von den palliativen Angeboten für Tumorpatienten.

Alte und sterbende Menschen sind oft nicht mehr in der Lage, ihre Bedürfnisse allgemein verständlich zu formulieren. Sie sind zu krank, zu schwach, zu müde oder oft zu sehr kognitiv eingeschränkt, um sich mitzuteilen. Hinzu kommen häufig schwere körperliche Einschränkungen. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Arbeit in einer gelingenden Kommunikation und dem Aufbau einer guten Beziehung. Dazu ist es erforderlich, genau zu beobachten und empathisch zuzuhören. Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht seine Diagnosen. Um seine Beschwerden zu lindern, braucht es ein fachlich und menschlich kompetentes, interdisziplinäres Team, bestehend u. a. aus Pflegenden, Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen, Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut* innen, Logopäd*innen, Seelsorgern, Betreuungskräften, Mitarbeiter* innn anderer Berufsgruppen sowie ehrenamtlichen Sterbebegleiter* innen.

Palliative Geriatrie ist ein Betreuungsansatz, der sowohl kurative, rehabilitative als auch palliative Maßnahmen vereint und sich gegen Lebensende immer mehr zugunsten palliativer Angebote verschiebt. Palliative Geriatrie kann überall dort, wo Menschen mit einer Form der Demenz leben oder sich vorübergehend aufhalten, umgesetzt werden: Zuhause, in Wohngemeinschaften, im Krankenhaus, im Altenheim oder im Hospiz. Palliative Geriatrie will die Selbstbestimmung alter Menschen mit und ohne Demenz stärken und ihnen ermöglichen, »das zu sein und zu tun, was sie für wertvoll halten.«6 Das Sterben und der Tod sind ein Teil des Lebens und die palliative Geriatrie akzeptiert dies und fördert Lebensqualität bis zum Sterben- ohne das Sterben zu verlängern. Immer im Sinne des Betroffenen.

FazitPalliative Geriatrie

Palliative Geriatrie hat laut Fachgesellschaft Palliative Geriatrie* zum Ziel, die Individualität hochbetagter Menschen zu respektieren, sie nicht in ein Versorgungsschema zu pressen und ihre Lebensbiografie zu würdigen und wertzuschätzen. Im Mittelpunkt steht der Mensch, mit seinem Umfeld, seinen Zielen, Wünschen, Werten, Bedürfnissen und Ressourcen und seinem Recht auf empathische Zuwendung.

* Vgl. https://www.palliative-geriatrie.de

1.2Ist Palliative Care gleichzusetzten mit Sterbebegleitung?

Aus den oben genannten Definitionen wird deutlich, dass eine Palliative Begleitung ein Angebot ist, das schon lange vor dem Sterbeprozess der Menschen, die von einer lebensbedrohlichen Krankheit betroffen sind, beginnt.

DefinitionLebensbedrohliche Erkrankung

Unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung versteht man eine Erkrankung, die das Leben verkürzt, gefährdet oder mit einem Risiko verbunden ist, zu sterben, sowie eine Erkrankung, bei der keine Heilung oder Behandlung mehr möglich ist und die zum Tode führt.

Palliative Care ist in jeder Phase der unheilbaren Erkrankung – auch bei Demenz – möglich. Die Frage »wer braucht wann wovon wie viel« muss immer wieder neu gestellt und die Angebote angepasst werden. Es ist eine Lebensbegleitung bis zuletzt und sie beginnt beim alten Menschen z. B. dann, wenn seine akuten oder chronischen Beschwerden und sein psychisches, soziales oder spirituelles Leiden zunehmen. Palliative Begleitung kann auch dann erforderlich sein, wenn sich die Familie, der Hausarzt oder die Pflegenden vor zunehmenden Fragen und Herausforderungen bezogen auf die weitere Versorgung und Begleitung gestellt sehen. Ein bis dahin vielleicht stabiles System gerät ins Wanken. Was gilt es unterstützend zu tun? Die palliative Begleitung beginnt für manche dann, wenn eine Krise eintritt und die Endlichkeit spürbar näher rückt, das kann ein wiederholter Krankenhausaufenthalt oder der Umzug ins Altenheim sein. Sterbebegleitung ist ein Teil von Palliative Care. Zuvor findet eine ganzheitliche Lebensbegleitung statt.

__________________________

1https://www.dhpv.de/zahlen_daten_fakten.html

2https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17067.php

3https://www.deutscher-kinderhospizverein.de/

4https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17066.php

5 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2007): Bessere palliative Versorgung von dementiell Erkrankten. https://www.dgpalliativmedizin.de/category/15-stellungnahmen-2007.html

6 Böck K, Heimerl K, Kojer M, et al., FGPG (2019): Grundsatzpapier »Autonomie und Selbstbestimmung in der Palliativen Geriatrie«. https://www.fgpg.eu/grundsatzpapier-zur-palliativen-geriatrie/, S. 5

2 Die Rolle der Pflegenden und Betreuenden bei der palliativen Begleitung

Palliative Care ist ein ganzheitlicher, interprofessioneller Betreuungsansatz, der auch multimorbiden, hochbetagten Menschen mit Demenz bis zuletzt ein gutes Leben ermöglicht und Angehörige in dieser oft schweren Lebensphase unterstützt. Die Betroffenen sind zunehmend auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen und dankbar, wenn sie auf Menschen treffen, die empathisch, wertschätzend und kompetent sind. Das ist in jedem Betreuungssetting die Grundlage für eine gelingende Begleitung. Grundsätzlich gilt es herauszufinden, was die Bedarfe und Bedürfnisse der Betroffenen und deren Zugehörigen sind. Was sind ihre Wünsche? Was macht die Situation aus Sicht der Betroffenen leichter? Was ist fachlich hilfreich und wie können Sie sie unterstützen?

Aus diesen Antworten heraus können Sie Pflegeziele entwickeln, die die Lebensqualität erhalten oder verbessern können. Das ist ein sich stetig verändernder Prozess im Verlauf der Erkrankung. Die Zielsetzung ist regelmäßig wieder neu zu überprüfen. Es geht um eine Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen mit Demenz.

Dazu brauchen Sie als Betreuende und Pflegende gute Kenntnisse der Krankheitsbilder und deren mögliche Entwicklung, insbesondere des Krankheitsbilds der Alzheimer-Krankheit und anderer Demenzen. Sie müssen grundsätzlich Freude daran haben, mit Menschen mit Demenz zu arbeiten. Zielführend ist auch vorausschauendes Handeln und eine gute Wahrnehmungsfähigkeit. Ihre Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit den Betroffenen und deren Zugehörigen ermöglichen eine gelingende Zusammenarbeit, ebenso Ihre persönliche Haltung der Akzeptanz und des Respekts. Ihre eigene Auseinandersetzung mit den Themen Leiden, Sterben, Tod und Endlichkeit ist eine weitere Grundvoraussetzung für den Umgang mit Menschen am Lebensende. Täglich begegnen Sie den Fragen, Ängsten und Gefühlen der Betroffenen und deren Angehörigen. Immer wieder werden Sie sich fragen, ob Sie richtig gehandelt und die passenden Worte gefunden haben.

Das Krankheitsbild Demenz bringt einige Herausforderungen im Arbeitsalltag für Sie mit sich. Die Kommunikation ist erschwert, das Verhalten kann Sie herausfordern, die Länge der Erkrankung oder die veränderte Wahrnehmung. Sie werden es mit Menschen zu tun haben, die eine ständige Unruhe verspüren, das Haus verlassen oder nach Hause wollen (obwohl sie sich vielleicht genau dort befinden). Immer wieder kommt es zu Abwehrverhalten, das Sie vielleicht nicht einordnen können; zu Konflikten in Bezug auf Willen und Wohl und Selbstbestimmung und teilweise sogar zu tätlichem Verhalten sich selbst oder anderen gegenüber. Die Angehörigen können eine Herausforderung sein: mit ihren Ansprüchen und Vorstellungen einer »guten« Begleitung. Das Thema Schmerz und andere Beschwerden richtig einzuschätzen und zu lindern fordert das ganze Team. Immer wieder werden Sie spüren, dass Ihnen ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt wird und das häufig unter Zeitdruck. Altenheime, Krankenhäuser, aber auch ambulante Pflegedienste sind nicht immer vollumfänglich auf Menschen mit Demenz und ihren Lebensrhythmus eingestellt. Und das, obwohl es diese Krankheit nun schon so lange gibt und sie sogar sehr verbreitet ist.

FazitDer gute Austausch zählt

Weil palliative Begleitung durch mehrere Personen erfolgt, sind Dialogfähigkeit, Teamfähigkeit und Kommunikationsvermögen von großer Bedeutung. Wegen der zahlreichen Schnittstellen zu anderen Berufsgruppen, Ehrenamtlichen sowie zu den Angehörigen ist ein guter Austausch entscheidend für die Qualität der palliativen Begleitung. Dem muss Bedeutung und Zeit eingeräumt werden.

2.1Die Rolle der Pflegenden in der ambulanten Pflege

Der häufigste Sterbeort von Menschen mit Demenz ist laut einer Studie das eigene Zuhause (42,2 Prozent) gefolgt vom Pflegeheim (26,9 Prozent) und Krankenhaus (20,4 Prozent).7 Im Gegensatz zu den USA, Belgien und den Niederlanden u. a. ist dies in Deutschland ein beachtlich hoher Anteil. Die meisten Menschen antworten auf die Frage, wo sie sterben möchten, mit »zu Hause«, das bedeutet in ihrer vertrauten Umgebung. Um diesem Wunsch zu entsprechen, ist eine gute Zusammenarbeit mit den Angehörigen, dem Hausarzt, den Ehrenamtlichen des Hospizdienstes und allen Beteiligten rund um den an Demenzerkrankten extrem wichtig.

»Allgemeine Palliativversorgung wird durch diejenigen Grundversorger und Spezialisten erbracht, die Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten betreuen und über ein fundiertes Grundwissen und entsprechende Basisfertigkeiten in palliativen Behandlungskonzepten verfügen. Im Rahmen der Allgemeinen Palliativversorgung werden Patienten mit einzelnen Symptomen und wenig komplexen Problemen versorgt. Die allgemeine Palliativversorgung ist nicht an spezifische strukturelle Voraussetzungen gebunden. Zu der allgemeinen Palliativversorgung gehört in erster Linie die kontinuierliche Versorgung durch Haus- und Fachärztinnen und -ärzte und Pflegedienste in Zusammenarbeit mit weiteren Berufsgruppen (z. B. Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Sozialarbeiterinnenund Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen, Therapeutinnen und Therapeuten) und den ambulanten Hospizdiensten. Aber auch die stationären Pflegeeinrichtungen und allgemeinen Krankenhäuser gehören dazu. Der überwiegende Teil schwerstkranker und sterbender Menschen wird in der Regel in der allgemeinen Palliativversorgung betreut. Fachberufe im Gesundheitswesen, z. B. Pflegende und Ärztinnen und Ärzte die häufiger in Palliativsituationen involviert sind, deren Haupttätigkeitsfeld jedoch nicht die Palliativversorgung ist, können dennoch eine weiterführende Qualifikation in Palliativversorgung erworben haben und können dadurch eine zusätzliche Expertise anbieten. Diese Fachkräfte können allgemeine Palliativversorgung anbieten und leisten.«8

In der ambulanten Palliativversorgung vermitteln Sie als Pflegefachkraft mit Ihrer Kompetenz und ihrem Fachwissen allen Beteiligten Sicherheit. Ihr Ziel sollte es sein, den Wünschen und Bedürfnissen Schwerkranker und Sterbender gerecht zu werden. Angehörige wollen sich darauf verlassen können, dass sie jederzeit kompetente pflegerische Unterstützung erhalten. Hier ist Ihr vorausschauendes Wissen um mögliche Komplikationen und Ihre hilfreichen Anregungen, wie damit umgegangen werden kann, von großer Bedeutung. Oft liegen dem unermüdlichen Einsatz und Engagement von Angehörigen der Wunsch oder manchmal auch das Versprechen zu Grunde: »Ich werde alles dafür tun, dass du zu Hause leben und sterben kannst.« Dieses Versprechen kann nicht immer eingehalten werden. Manchmal sind die Zeiträume zu lang, das eigene hohe Alter oder andere Umstände hinzugekommen.

Das Netz, das Sie um den Kranken und seine Angehörigen bilden, ist im ambulanten Bereich oft sehr überschaubar. Hier sind Sie als Pflegefachkraft zusammen mit dem Hausarzt in der allgemeinen Palliativversorgung die Hauptakteure. Sie sind ein Ansprechpartner, der täglich ins Haus kommt. Immer wieder werden hierbei Ihre Einschätzung und Expertise als Pflegefachkraft erfragt:

• Welche medizinische oder pflegerische Unterstützung wird benötigt?

• Ist das jeweils auch zu Hause leistbar?

• Sind die Angehörigen überlastet und benötigen mehr Unterstützung?

• Ist die Begleitung zu Hause nicht länger machbar?

• Welche weiteren Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für die Angehörigen und den Erkrankten?

Wichtig für Sie ist dabei, im Gespräch zu bleiben und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Hier auch den Willen und das Wohl des Menschen mit Demenz immer im Blick zu haben, ist eine bleibende Herausforderung. Sie wissen nicht, was Sie heute erwartet, wenn Sie in den Haushalt kommen. Je nach Situation kann das sehr belastend sein. Auch der Gedanke, dass sie nach Ihrer Arbeit wieder wegfahren und vorerst niemand da ist. Die Angehörigen benötigen eventuell Zuspruch von Ihnen oder eben auch konkrete Entlastung. Wenn die Begleitung zu Hause aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr gut gelingt, sollte das keinesfalls als Versagen der Angehörigen bewertet werden. Vielmehr können Sie im Gespräch anerkennen, wie lange ein Leben zu Hause ermöglicht wurde. Als Pflegefachkraft sind Sie nicht nur täglich mit den Angehörigen, sondern auch regelmäßig mit dem Hausarzt im Kontakt. Er sollte die Entscheidung für ein Leben zu Hause mittragen und bereit sein, Hausbesuche zu machen. Das bedeutet ein hohes Maß an persönlicher Einsatzbereitschaft für den Hausarzt. Sollte es sich um einen sehr aufwändigen, stark symptombelasteten Patienten handeln, muss nach Rücksprache und auf Anordnung des Hausarztes noch ein Spezialisiertes ambulantes Palliativteam (SAPV) hinzugezogen werden.

Spezialisierte Angebote der Palliativversorgung erfordern einen Teamansatz, der ein multiprofessionelles Team mit einer interdisziplinären Arbeitsweise kombiniert. Die Teammitglieder verfügen über spezifische palliativmedizinische Qualifikation und Erfahrung und sollten ihr Tätigkeitsfeld überwiegend oder ausschließlich in der Palliativversorgung haben. Die 24-Stunden Verfügbarkeit muss gewährleistet sein. Alle Patienten mit einer fortschreitenden unheilbaren Erkrankung sollten Zugang zu Angeboten der spezialisierten Palliativversorgung haben, die sich proaktiv aller Symptome ihrer Erkrankung sowie der Auswirkung dieser Symptome auf die Patienten und deren Familien/Betreuer annehmen.

Patienten mit komplexen Bedürfnissen der palliativen Versorgung benötigen ein breites Spektrum an therapeutischen Interventionen zur Symptomlinderung. Spezialisierte Palliativversorgung wird beispielsweise durch Palliativstationen, Palliativdienste oder SAPV-Teams erbracht, Ziel ist die Linderung von komplexen körperlichen Symptomen und von psychosozialen oder spirituellen Problemen und deren Auswirkungen auf Patienten und Zugehörige. Patienten mit komplexen Bedürfnissen der palliativen Versorgung benötigen ein breites Spektrum an therapeutischen Interventionen zur Symptomlinderung. Alle Patienten mit einer fortschreitenden unheilbaren Erkrankung und nicht ausreichend durch die allgemeine Palliativversorgung behandelbaren Symptomen sollten Zugang zu Angeboten der spezialisierten Palliativversorgung haben.10

Angesichts der Fülle an Aufgaben in der SAPV sind gute Absprachen aller Beteiligten wichtig, damit die täglichen Besuche gleichmäßig auf den Tag verteilt werden, ohne eine zu große Belastung für den Betroffenen und seine Angehörigen zu sein. Für diese Absprachen muss Zeit eingeplant werden. Ob eine Begleitung bis zum Tod zu Hause möglich ist, hängt also von vielen Faktoren ab und ist regional, je nach Hausarzt, verfügbarem Netzwerk und Familie, je nach Krankheitsverlauf und Beschwerdelast, immer individuell zu betrachten. Wenn der Wunsch und Wille beim Demenzkranken und seinen Angehörigen geäußert wird und es mit den gegebenen Strukturen möglich erscheint, sollte eine häusliche Begleitung bis zuletzt ermöglicht und versucht werden. Sie sind hier als Pflegefachkraft Bezugsperson für den Erkrankten, Ansprechpartnerin, Brücke nach Außen, Organisatorin und Netzwerkerin der einzelnen Beteiligten und sicher immer wieder auch als Prellbock für Emotionen eine wichtige Person für alle Beteiligten. Das ist eine hohe Anforderung, der Sie sich hier stellen. Meist ist das weder Ihnen noch Ihren Vorgesetzten bewusst. Hinzu kommt in der ambulanten Pflege, dass Sie Problemsituationen allein vor Ort lösen müssen und erst einmal keine Kollegen hinzuziehen können. Gleichzeitig geraten Sie immer wieder auch in sehr emotional aufgeladene Situationen und nicht selten stehen Sie selbst unter Zeitdruck, was die Lage nicht gerade entspannt. Als Kraftquelle lohnt es sich, immer wieder in den Blick zu nehmen, dass es der Wunsch des Betroffenen ist, zu Hause in seiner gewohnten Umgebung zu sein.

2.2Die Rolle der Betreuenden in der ambulanten Pflege

Ihre Rolle als Alltagsbegleiterin/Betreuungskraft ist es, die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen stundenweise zu Hause im Alltag zu begleiten und wenn gewünscht und möglich zu aktivieren. Durch Ihre stundenweise Beschäftigung, die keine pflegerischen Tätigkeiten beinhaltet, sondern eine Unterstützung bei der Alltagsgestaltung darstellt, tragen Sie wesentlich zur Lebensqualität der Menschen mit Demenz bei. Das können Gespräche, kurze Spaziergänge, kleine Hilfen bei Haushaltstätigkeiten, gemeinsames Einkaufen oder kleine Tätigkeiten im Garten sein, gemeinsam der Lieblingsmusik lauschen oder den Lieblingskuchen backen und essen. Indem Sie Ruhe und Sicherheit ausstrahlen schaffen Sie Inseln der Freude und Entspannung. In erster Linie geht es um den Betroffenen, dass er schöne Momente erleben kann, sich sicher und geborgen fühlt, spürt, dass seine Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen werden und auf ihn eingegangen wird. Angehörige sind entlastet, wenn es ihren Partnern, Eltern auch während ihrer Abwesenheit gut geht.

Als Alltagsbegleiter*in/Betreuungskraft helfen Sie bei Verrichtungen des täglichen Lebens, wirken unterstützend und aktivierend, sorgen für eine geliebte Mahlzeit und unterstützen den Demenzerkrankten und seine meist auch schon hochaltrigen Angehörigen. Sie sind für mehrere Stunden mitten im Leben und Alltag und dadurch eine wichtige Bezugsperson und Ansprechpartnerin für den Demenzerkrankten und seine Angehörigen. Da ist es hilfreich, wenn Sie gut zuhören können. Immer wieder werden Sie mit Fragen konfrontiert, auf die Sie keine Antworten haben und an andere verweisen müssen. Gut, wenn Ihnen dabei Ihre Aufgaben und Ihre Rolle im unterstützenden Netz klar sind und Sie das kommunizieren.

Es gibt Tage, an denen Sie den Eindruck haben, Sie können jetzt nicht gehen, Ihre Unterstützung wird noch über die vereinbarte Zeit hinaus benötigt. Auch hier sind klare Absprachen und ein gutes Zusammenarbeiten mit anderen im Unterstützungsnetzwerk hilfreich. Sie sind eine wichtige Vertrauensperson für die Angehörigen, die manchmal kaum noch Kontakte außerhalb des Pflegealltages haben. Auch das kann sehr mühsam und auch bereichernd sein.

2.3Die Rolle der Pflegenden im Krankenhaus

Auch wenn ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus für Menschen mit Demenz in der Regel sehr belastend ist, lässt er sich nicht immer vermeiden. Menschen mit Demenz leiden besonders unter der unruhigen Atmosphäre, dem ständigen Personalwechsel, der neuen Umgebung, den unbekannten Personen und Handlungen. Häufig reagieren sie daher mit Angst, Unruhe, erhöhter Verwirrtheit, wollen zurück nach Hause, rufen nach ihren Angehörigen, essen und trinken nicht, schlafen schlecht oder gar nicht, wandern umher und suchen den Ausgang, um der für sie sehr belastenden und stress auslösenden Situation zu entkommen. Manche, die nicht mehr mobil sind, ziehen sich zurück, schließen die Augen und reagieren nicht auf das Umfeld, als wollten sie sich vor den vielen neuen und nicht vertrauten Eindrücken schützen. All dies stellt eine besondere Herausforderung an Sie als Pflegende dar. Ein Krankenhausalltag ist nicht immer ausgelegt auf die Bedürfnisse eines Menschen mit Demenzerkrankung. Gleichzeitig leidet aber fast jeder fünfte Patient über 65 Jahren11 an Demenz, was mit einer erhöhten Komplikations- und Sterberate einhergehen und zu deutlich längeren Aufenthalten führen kann.12 Eine große Herausforderung für Sie als Pflegende ist der deutlich höhere Zeitaufwand in der Pflege. Das sehen die Strukturen nach wie vor nicht vor. Die akuten Problemsituationen stehen in starkem Widerspruch zum Zeitdruck. Erschwerte Kommunikation, das Spannungsfeld zwischen Wille und Wohl, Fürsorge und Selbstbestimmung – teilweise verbunden mit Abwehrverhalten – fordert Sie im Krankenhausalltag ganz besonders. Zudem ist das Krankenhaus als Organisation an Gesundheit, Rehabilitation und maximaler Lebensverlängerung orientiert und eine palliative Kultur ist jenseits von Palliativstationen selten implementiert. Gleichzeitig weiß man aus aktueller Forschung, dass eine demenzsensible Unternehmensstruktur für eine nachhaltige Veränderung bei der Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz sorgen kann.

DefinitionPalliativstation

»Palliativstationen sind auf die Behandlung und Betreuung von Palliativpatienten spezialisierte Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses, die eine Versorgung (einschließlich Kriseninterventionen) für Patienten mit komplexen Symptomen und Problemen anbieten. Palliativstationen nehmen Patienten auf, deren medizinischer Zustand (körperlich, psychologisch, sozial und spirituell) eine stationäre spezialisierte multiprofessionelle Palliativversorgung erfordert. Das Ziel der Palliativstationen ist es, krankheits- und therapiebedingte Beschwerden zu lindern und, falls möglich, den Zustand des Patienten zu stabilisieren sowie den Patienten und seine Angehörigen psychologisch, sozial und spirituell so zu unterstützen, dass die Entlassung nach Hause oder die Verlegung in eine andere Versorgungsstruktur möglich wird. Die wesentlichen Dienstleistungen sollten 24 Stunden pro Tag an 7 Tagen pro Woche verfügbar sein.«*

*www.dgpalliativmedizin.de/images/DGP_GLOSSAR.pdf, S. 16; www.dgpalliativmedizin.de/neuigkeiten/definitionen-zur-hospiz-und-palliativversorgung.html; www.dgpalliativmedizin.de

Menschen mit Demenz und ohne eine Tumorerkrankung werden meist nicht auf einer Palliativstation aufgenommen und kommen so im Krankenhauskontext bislang selten zu einer ganzheitlichen palliativen Versorgung. Umso wichtiger ist Ihre Kompetenz als Pflegefachkraft, sowohl im Umgang mit Menschen mit Demenz als auch im palliativgeriatrischen Kontext im Krankenhaus. Hier können Sie als Pflegefachkraft für Menschen mit Demenz positiven Einfluss nehmen. Gleichzeitig wird es strukturell erforderlich sein, dem erhöhten Pflege- und Zeitbedarf dieser Patienten gerecht zu werden. Ermutigend ist dazu die am 1. Juli 2020 von der Bundesregierung beschlossene Nationale Demenzstrategie. Ein wichtiges Handlungsfeld ist »die medizinische und Pflegerische Versorgung von Menschen mit Demenz weiterentwickeln.«13 So soll die allgemeine Palliativversorgung besser auf die Bedürfnisse sterbender Menschen mit einer Demenz abgestimmt werden. Das könnte in der Umsetzung bedeuten, dass Zeitvorgaben an die Situation der meist verlangsamten Menschen mit Demenz angepasst werden.

Info

Ihre Rolle als Pflegefachkraft ist im Krankenhaus geprägt davon, dass Sie für den Patienten und seine Angehörigen allein durch Ihre Präsenz direkte Ansprechpartner*in für alle Fragen sind. Angehörige haben meist viele Fragen zur aktuellen Situation und wie es weitergehen kann. Patienten haben in den jeweiligen Augenblicken Fragen, wo sie sich befinden, wie es weiter geht, was als nächstes kommt. Gerade Menschen mit Demenz brauchen jemanden, der ihnen Sicherheit vermittelt und ihnen ihre Angst und Unruhe nimmt, jemand der während des Aufenthalts eine Bezugsperson für sie ist.

Die enge Einbindung der Angehörigen ist zwingend erforderlich. Der Demenzkranke und seine Angehörigen sind als Einheit zu betrachten. Wenn es machbar ist, kann es hilfreich sein, dass Angehörige auch über Nacht bleiben. Wenden Sie sich an die Angehörigen, um an viele Alltagsinformationen zu kommen, die der Mensch mit Demenz womöglich selbst nicht erinnert und nicht (mehr) benennen kann. Je besser Sie Vorlieben, Abneigungen und Gewohnheiten kennen, desto leichter fällt es Ihnen, für Wohlbefinden zu sorgen. Im Krankenhaus werden Sie nie alle Wünsche und Vorlieben erfüllen können. Aber hier zählt schon der Versuch, und die Angehörigen zu bitten, vertraute Gegenstände, Kleider, Musik, Pflegeprodukte oder Lieblingsgetränke zu bringen, damit viel Vertrautes in dieser neuen Umgebung vorhanden ist.

FazitHandeln Sie flexibel

Der Mensch mit Demenz kann sich nicht oder nur bedingt an die Umgebung und neue Situation anpassen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Sie sich an ihn und seine Bedarfe anpassen müssen. Sie sind dazu in der Lage, bzw. müssen Strukturen schaffen, die Ihnen dies ermöglichen.

2.4Die Rolle der Leitung

Als Leitung eines Wohnbereiches oder einer Station wird es Ihnen ein Anliegen sein, dass Palliative Care möglichst von allen Pflegenden, Betreuungskräften und Ehrenamtlichen gelebt und umgesetzt wird. Sie werden Expert*innen ausbilden, die ihr Wissen ins Team tragen. Damit dieses Expertenwissen auch umgesetzt werden kann, müssen die Strukturen dies ermöglichen. Wenn Kenntnisse aus Fortbildungen von Ihren Mitarbeitenden umgesetzt werden können, wirkt sich das sehr motivierend auf die Einzelnen und das Team aus. Geschieht das nicht, kann das zu Frustration und längerfristig zum Burnout führen.14 Das darf mit den meist sehr motivierten Mitarbeiter*innen, die sich für eine Palliative Care oder Demenz Weiterbildung interessieren unter keinen Umständen passieren. Dafür können Sie als Leitung sich einsetzen und schon im Vorfeld auf der Organisationsebene für Strukturen sorgen, die einen Veränderungsprozess ermöglichen. Sie wissen, dass dazu Abläufe, Investitionen und Konzepte überdacht und angepasst werden müssen. So kann die Implementierung von palliativen Ideen gelingen und ein ganzes Team motivieren. Gleichzeitig sollte dies neben der Alltagsroutine eingeplant sein und eventuell mit veränderten oder erweiterten personellen und materiellen Ressourcen erfolgen. Ihre Aufgabe ist es auch, dass Ehrenamtliche gut eingebunden sind und man Ihnen mit Wertschätzung begegnet.

Voraussetzung hierfür ist Ihre Haltung und Überzeugung, dass palliative Begleitung von Menschen mit Demenz in Ihrem Bereich wichtig, ja notwendig ist. Sie sehen den dazugehörenden Mehraufwand an Zeit, z. B. für Gespräche innerhalb des Teams, mit Angehörigen oder dem Betroffenen selbst.

FazitMut lohnt sich

Sie werden einen langen Atem benötigen und viel Ermutigung für manchmal auch nur kleine Implementierungsschritte. Aber seien Sie sicher: Die Veränderungen werden sich auf alle Beteiligten positiv auswirken und den zusätzlichen Aufwand aufwiegen.

2.5Die Rolle der Pflegenden in der stationären Altenpflege

Sie arbeiten in einem Bereich, in dem viele Menschen mit körperlichen Gebrechen und geistigen Einschränkungen leben und sterben. Die Bewohner kommen heute schon hochaltrig: Frauen mit durchschnittlich 84,2 Jahren und Männer mit durchschnittlich 80,4 Jahren.15 Die Zeit nach dem Einzug bis zum Tod hat sich in den letzten Jahren sehr verkürzt. In einer kleinen Studie in 32 Pflegeeinrichtungen wird die durchschnittliche Verweildauer für 2020 mit 24 Monaten angegeben. Knapp ein Fünftel stirbt nach Aussagen des Autors der Studie innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Einzug.16 Dadurch sind Sie auch häufiger mit dem Sterben von Bewohnern konfrontiert. Das Pflegeheim ist ein Ort des Sterbens geworden. Selbstverständlich war dies schon immer so, aber nicht in dieser Intensität.

Der Anspruch, dass hochbetagte, demenziell erkrankte Menschen im Altenheim ein individuelles, selbstbestimmtes Leben führen können, ist hoch, in Leitbildern verankert, aber nicht immer umsetzbar mit den zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen. Das spüren Sie in Ihrem Arbeitsalltag sehr deutlich. Umso wichtiger ist es, Bewohner*innen schnell auch als palliativbedürftig zu erkennen und ganzheitlich zu begleiten, Wünsche und Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Hierfür braucht es Fachkompetenz und eine Anpassung des Personalschlüssels an den gestiegenen Bedarf und Zeitaufwand, ähnlich wie in den stationären Hospizen. Immer mehr Pflegeheime implementieren Palliative Care in ihre Abläufe, ohne dabei allerdings den Personalschlüssel anzupassen. Teilweise ist der Fokus noch zu sehr ausschließlich auf Rehabilitation und Aktivierung ausgerichtet. Dies sollte mit Palliative Care ergänzt werden. Die grundlegende Frage ist: wer braucht wann wovon wie viel? Das ist ein individueller Abwägungsprozess aller Beteiligten.

WichtigEin Heim ist kein Hospiz!