Pamela, oder die belohnte Tugend - Samuel Richardson - E-Book

Pamela, oder die belohnte Tugend E-Book

Samuel Richardson

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Beschreibung

"Pamela, or Virtue Rewarded" erschien erstmals im November 1740 und machte in England und auf dem Festland eine Furore, wie sie in der Literaturgeschichte wohl einmalig ist. Der Roman entwickelte sich nicht nur zum ersten internationalen Bestseller, sondern markiert auch den Beginn eines neuen erzählerischen Stils und gilt für viele Literaturwissenschaftler als der erste moderne Roman überhaupt, dessen direkter oder indirekter Einfluss auf nachfolgende Schriftsteller, darunter bedeutende Vordenker der Aufklärung, gar nicht überschätzt werden kann: Fielding, John Cleland, Rousseau, Diderot, Lessing, Goethe, De Sade, Laclos, Jane Austen, die Bronte-Schwestern, George Eliot, Charles Dickens, Proust, D.H. Lawrence, Virginia Woolf und viele mehr.

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Seitenzahl: 535

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Samuel Richardson, Horst Tran

Pamela, oder die belohnte Tugend

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Briefe I - XX

Briefe XXI - XXXI

Einschub des Verfassers

Brief XXXII

Das Tagebuch bis zum Fluchtversuch

Der Fluchtversuch

Das Tagebuch bis zur Abreise

Die Rückkehr

Impressum neobooks

Briefe I - XX

Brief I

Lieber Vater und liebe Mutter,

ich habe Euch sehr Betrübliches, aber auch Tröstliches, mitzuteilen. Das Betrübliche ist, dass meine gute Herrin an der Krankheit gestorben ist, von der ich Euch geschrieben habe, und uns alle in großer Trauer über ihren Verlust zurückgelassen hat; denn sie war eine gute Herrin und freundlich zu uns Bediensteten. Ich befürchtete, weil ich meiner Herrin als Zofe gedient habe, nun ganz mittellos dazustehen und gezwungen zu sein, zu Euch und meiner armen Mutter zurückzukehren, die ihr genug damit zu tun habt, Euch selbst zu ernähren. Und weil meine Herrin in ihrer Güte mich zu schreiben und Konten zu saldieren gelehrt und mich zu einer kleinen Expertin mit meiner Nadel gemacht und mich auch auf andere Weise über meinen Rang hinaus ausgebildet hat, hätte Eure arme Pamela nicht in jeder Familie einen passenden Platz finden können. Gott aber, dessen Gnade wir so oft in der Not erfahren haben, legte es, nur eine Stunde vor ihrem Hinscheiden auf dem Sterbebett, in das Herz meiner Herrin, meinem jungen Herrn all ihre Diener zu empfehlen, einen nach dem anderen; und als ich an der Reihe war, um empfohlen zu werden (denn ich saß schluchzend und wei­nend an ihrem Kissen), da konnte sie nur sagen: "Mein lieber Sohn!" und brach für einige Momente ab; und als sie wieder Kraft schöpfte:

„Denke an meine arme Pamela."

Und das gehörte zu ihren letzten Worten! Ach, wie meine Augen tränen! Wundert Euch nicht über die Flecken auf dem Papier.

Nun, Gottes Wille muss getan werden! Und so komme ich zu dem Tröstlichen, dass ich nicht gezwungen sein werde, zu meinen lieben Eltern zurückzukehren, um ihnen zur Last zu fallen. Denn mein Herr hat gesagt:

"Ich will mich um Euch alle kümmern, meine guten Mägde. Und für Euch, Pamela," (und er nahm mich bei der Hand, ja, vor aller Augen nahm er meine Hand), "will ich, meiner guten Mutter zuliebe, ein Freund sein. Ihr werdet Euch um meine Wäsche kümmern."

Gott segne ihn! Und betet mit mir, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, um Segen für ihn, denn er hat allen Bediensteten meiner Herrin Trauerkleidung und den Lohn eines Jahres geschenkt. Mir aber, die ich noch keinen Lohn erhalten hatte, weil meine Herrin mich nach meinen Verdiensten belohnen wollte, gab die Hausdame auf seine Anordnung hin Trauerkleidung wie den anderen. Dann schenkte er mir mit eigener Hand vier goldene Guineen und einige Silberstücke, die im Beutel meiner alten Herrin waren, als sie starb, und sagte, dass er, seiner Mutter zuliebe, mir ein Freund sein würde, wenn ich ein braves und treues und fleißiges Mädchen wäre. Und so sende ich Euch diese vier Guineen, um Euch zu trösten, denn die Vorsehung wird mich nicht leiden lassen. Ihr könnt einen Teil davon verwenden, um Schulden zu bezahlen, und den Rest, um Euer Leben erträglicher zu machen. Wenn ich mehr erhalte, werde ich in Pflicht und Liebe für Euch sorgen, dessen könnt Ihr sicher sein, denn Ihr habt in Liebe für mich gesorgt, als ich nichts für mich tun konnte. Ich übersende sie Euch durch John, unseren Boten, dessen Weg bei Euch vorbeiführt. Er weiß aber nicht, was er mit sich trägt, denn ich habe sie in eine der kleinen Pillenschachteln meiner Herrin gelegt und in Papier gewickelt, damit sie nicht klimpern. Und achtet darauf, sie nicht vor seinen Augen zu öffnen.

Ich weiß, liebe Eltern, dass ich Euch Kummer und Freude zugleich bereite. Und so will ich nur sagen: Betet für Eure Pamela,

Eure auf immer gehorsamste Tochter

Ich habe mich furchtbar erschreckt, denn gerade als ich diesen Brief in der Kammer meiner heimgegangenen Herrin zusammenfaltete, kommt mein junger Herr herein! Du lieber Himmel! Welche Angst ich hatte! Ich versteckte den Brief in meinem Busen. Als er mein Zittern sah, sagte er mit einem Lächeln:

"An wen habt Ihr geschrieben, Pamela?"

In meiner Verwirrung sagte ich:

"Mögt Ihr mir verzeihen! Nur an meine Eltern."

"Lasst mich doch sehen, wie weit Ihr im Schreiben vorangekommen seid!"

Ach, wie ich mich schämte! Zu meinem Schrecken nahm er schweigend den Brief, las ihn ganz durch und gab ihn mir zurück.

"Mögt Ihr mir verzeihen!", sagte ich.

Warum aber, weiß ich nicht, denn er war gegenüber seinen Eltern immer pflichteifrig gewesen. Warum sollte er nun wütend sein, wenn ich dies zu meinen Eltern ebenso war? Und tatsächlich war er nicht wütend, sondern nahm mich bei der Hand und sagte:

"Es ist anständig von Euch, Pamela, Euren alten Eltern so viel Güte zu erweisen. Ich nehme Euch nichts übel, denn ihr schreibst nur unschuldige Dinge. Dennoch solltet Ihr darauf achten, was Ihr über mein Haus nach außen mitteilt. Seid treu und fleißig und haltet Euch an Eure Pflichten, dann werde ich Euch umso mehr schätzen."

Und er fuhr fort:

"Pamela, Ihr schreibt sehr geschickt und habt auch eine annehmbare Orthographie. Die Mühe meiner Mutter um Eure Ausbildung war nicht vertan. Sie sagte immer, dass Ihr gerne Bücher lest. So nehmt Euch nach Belieben ihre Bücher zur Lektüre, um Euch fortzubilden."

Natürlich habe ich mich bei seinen Worten nur verneigt und geweint und war ganz verwirrt über seine Güte. Er ist wirklich der edelste aller Herren, denke ich! Doch ich bin im Begriff, einen weiteren langen Brief zu schreiben. So will ich nur noch hinzufügen, dass ich auf immer Eure gehorsame Tochter bleibe.

Pamela Andrews

Brief II

(In Antwort auf den vorigen)

Liebe Pamela,

in der Tat hat dein Brief mich und deine arme Mutter sehr betrübt, aber auch getröstet. Wir sind natürlich sehr erschüttert über den Tod deiner guten Herrin, die sich so sehr um dich und deine Ausbildung gekümmert hat und die dir in den vergangenen drei oder vier Jahren immer Kleidung und Wäsche und all das gab, welches zu tragen auch eine Dame sich nicht schämen muss. Doch unsere größte Sorge ist, und sie ist wahrhaft groß, dass du, auf diese Weise über deinen Stand erhoben, dazu verleitet werden könntest, etwas Ehrloses oder Verruchtes zu tun. Alle Leute berichten, wie gut du dich entwickelt hast und was für ein kultiviertes Mädchen du geworden bist, und einige sagen, du seiest sehr hübsch. In der Tat hätte auch ich, wenn du nicht unser Kind wärest, diesen Gedanken gehabt, als ich dich vor sechs Monaten zuletzt sah. Aber was nützt das alles, wenn du entehrt und verloren bist! In der Tat, meine liebe Pamela, wir beginnen uns sehr um dich zu ängstigen, denn was bedeuten alle Reichtümer dieser Welt, wenn man ein unreines Gewissen hat und sich unredlich benimmt! Wir sind, das ist wahr, sehr arm und haben Mühe, unser Leben zu bestreiten, auch wenn wir, wie du weißt, schon bessere Tage hatten. Doch wir würden viel lieber von Wasser und von der Erde der Gräben leben, die ich in Gleichmut aushebe, als ein besseres Leben zu führen um den Preis der Entehrung meines Kindes.

Ich hoffe, dass der gute Edelmann keine Absichten hegt, wenn er dir so viel Geld gibt und so freundlich zu dir spricht und deine Fortschritte lobt. Und, ach! dieses schlimme Wort!, dass er noch freundlicher zu dir wäre, wenn du dich angemessen verhältst, das erfüllt uns mit fast unerträglicher Furcht.

Ich habe darüber mit der alten Witwe Mumford gesprochen, die, wie du weißt, früher in guten Familien gelebt hat. Ihre Worte gaben uns etwas Trost, denn sie sagte, es sei nichts Ungewöhnliches, dass das Geld einer verstorbenen Herrin, welches sie bei sich hat, ihrer Kammerzofe gegeben würde oder jemandem, der sich um die Kranke gekümmert hat. Warum aber betrachtet er dich mit solcher Freundlichkeit? Warum nimmt er ein so armes Mädchen wie dich bei der Hand, wie er es nach deinen Worten zwei Mal tat? Warum lässt er sich dazu herab, deinen Brief an uns zu lesen, und kommentiert deine Schreibweise und Rechtschreibung? Und warum sollte er dir die Bücher seiner Mutter zum Lesen überlassen? Wahrlich, mein liebes Kind, unsere Herzen sind voller Angst, du aber scheinst voller Freude über seine Güte und eingenommen durch seine freundlichen Worte zu sein (die, in der Tat, eine große Gunst bezeugen, wenn er es gut meint), so dass wir fürchten – ja, mein liebes Kind, fürchten – dass du dich als zu dankbar erweisen und ihn mit jenem Schatz, nämlich deiner Tugend, belohnen wirst, der durch keine Reichtümer oder andere Dinge dieser Welt aufzuwiegen ist.

Mein Brief ist gleichfalls lang geworden, aber eines will ich noch hinzufügen: Inmitten unserer Armut und unseres Missgeschicks haben wir in Gottes Güte vertraut und sind immer rechtschaffen gewesen, und wir zweifeln nicht daran, nach diesem Leben selig zu werden, wenn wir in unserer Rechtschaffenheit fortfahren, auch wenn in diesem Leben unser Los hart ist. Der Verlust der Tugend unseres lieben Kindes aber würde uns einen unerträglichen Kummer verursachen und unsere grauen Haare im Nu zu Grabe bringen.

Wenn du uns also liebst und wenn du nach Gottes Segen verlangst und nach deinem zukünftigen Glück, so fordern wir von dir, auf der Hut zu sein. Bemerkst du den geringsten Versuch, dir deine Tugend zu nehmen, dann lasse alles zurück und komme zu uns; denn wir sehen dich lieber in Lumpen gekleidet oder zu Grabe getragen, als sagen zu müssen, dass eines unserer Kinder die irdischen Annehmlichkeiten über die Tugend gestellt hat.

Wir nehmen dein pflichtschuldiges Geschenk gerne an, können davon aber, solange wir uns um dich sorgen, keinen Gebrauch machen, da wir sonst fürchten, aus der Schande unserer armen Tochter Nutzen zu ziehen. Deshalb haben wir es vorläufig in ein Tuch gewickelt und in das Stroh über dem Fenster gelegt, damit es uns nicht gestohlen wird. Mit unserem Segen und unseren herzlichen Gebeten für dich sind wir

Deine besorgten, aber dich liebenden Eltern

John and Elizabeth Andrews

Brief III

Lieber Vater,

ich bekenne, dass mich Euer Brief sehr beunruhigt, denn er hat mein Herz, das von Dankbarkeit für die Güte meines Herrn überfloss, argwöhnisch und furchtsam gemacht. Und doch hoffe ich, dass ich ihn niemals in einer Weise erleben werde, die seiner unwürdig wäre, denn was könnte er davon haben, ein armes junges Geschöpf wie mich zugrunde zu richten? Am meisten Sorge bereitet mir aber, dass Ihr der Ehrbarkeit eures Kindes zu misstrauen scheint. Nein, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, seid versichert, dass ich mit Gottes Gnade niemals etwas tun werde, das Eure grauen Haare jammervoll zu Grabe bringt. Lieber würde ich tausend Tode sterben als in Unehre zu leben, gleich in welcher Weise. Dessen könnt Ihr sicher sein und Euer Herz beruhigen; denn obgleich ich in der Vergangenheit für einige Zeit über meinem Stand lebte, kann ich mich auch mit Lumpen und Armut und Brot und Wasser abfinden und würde sie in Freuden annehmen, statt meinen guten Ruf zu verlieren, gleich wer derjenige sei, der mich versucht. So bewahrt also die Ruhe und habt eine höhere Meinung von Eurer bis zum Tod gehorsamen Tochter.

Eure bis ans Lebensende gehorsame Tochter

Mein Herr ist weiterhin sehr wohlwollend zu mir. Bisher sehe ich keinen Grund, etwas zu befürchten. Mrs. Jervis, die Hausdame, ist zu mir ebenfalls sehr anständig. Alle im Haus sind mir gegenüber voller Liebe. Sie können doch nicht alle etwas im Schilde führen, bei dieser Höflichkeit! Ich hoffe, mich immer so zu verhalten, dass mich jedermann achtet, und dass niemand mir mehr Schmerz zufügt als ich irgendjemand dies antun würde. Unser John geht so häufig in Eure Nähe, dass ich ihn bitten werde, jedes Mal bei Euch vorbeizuschauen, damit Ihr von mir hört, entweder schriftlich (denn so verbessert sich meine Schreibart) oder mündlich.

Brief IV

Liebe Mutter,

weil der letzte Brief eine Antwort an meinen Vater war, will ich nun an Euch schreiben, auch wenn ich nichts zu berichten habe als Dinge, die mich noch mehr als ein eitles Luder erscheinen lassen. Ich hoffe dennoch, niemals so hochmütig zu werden, dass ich mich selbst vergesse. Es bereitet aber ein heimliches Vergnügen, sich von anderen gelobt zu hören. Ihr müsst also wissen, dass Lady Davers, die, wie ich Euch nicht zu sagen brauche, die Schwester meines Herrn ist, einen Monat lang in unserem Haus weilte und mir große Beachtung geschenkt hat und mir den Rat gab, die Gesellschaft anderer zu meiden. Sie sagte mir, ich sei ein schönes Mädchen, und dass alle mein gutes Wesen lobten und mich liebten, und bat mich, von Männern Abstand zu halten, und sagte auch, dass ich dafür noch mehr geehrt sein würde, sogar von diesen selbst.

Was mich aber am meisten freute, ist dieses: Laut Mrs. Jervis sagte die Lady in einem Gespräch mit meinem Herrn, dass ich das schönste Mädchen sei, dass sie in ihrem ganzen Leben gesehen habe, und dass ich zu schön sei, um im Haus eines Junggesellen zu leben. Denn keine Dame, die er einmal heiraten würde, würde mich als Dienstmagd behalten wollen. Er sagte daraufhin, ich hätte enorme Fortschritte gemacht und besäße ein höheres Maß an Klugheit und Einsicht, als es meinen Jahren zukäme, und dass es schade wäre, wenn mir das, was mich auszeichnet, zum Unglück gereiche.

"Nein", sagte die gute Lady, "ich denke, Pamela soll mit mir kommen und bei mir leben."

Er antwortete:

"Von Herzen gern."

Und er wäre erfreut, dass für mich so gut gesorgt sei.

"Gut", sagte sie, "ich werde mich mit meinem Lord darüber beraten."

Sie fragte, wie alt ich sei.

"Seit dem letzten Februar fünfzehn Jahre", sagte Mrs. Jervis.

"Oh! Wenn das Mädchen an sich arbeitet, wird sie es noch viel weiter bringen, körperlich wie geistig."

Nun, meine lieben Eltern, obgleich es eitel erscheinen mag, wenn ich das wiederhole: Freut es Euch nicht so ebenso wie mich, dass mein Herr nichts dagegen einzuwenden hat, dass ich sein Haus verlasse? Das zeigt doch, dass er nichts Übles im Sinn hat. Aber John ist im Begriff zu gehen, so bleibt mir nur zu sagen, dass ich für immer sein werde

Eure ehrbare und gehorsame Tochter

Ich bitte Euch, von dem Geld Gebrauch zu machen. Ihr könnt dies nun ohne Bedenken tun.

Brief V

Lieber Vater und liebe Mutter,

da Johns Weg wieder bei Euch vorbeiführt, möchte ich Euch gerne schreiben, denn er dient mir gerne als Bote. Er sagt, es bereite ihm Freude, Euch zu sehen und Euch reden zu hören, und dass ihr beide derart verständig und tugendhaft seid, dass er jedes Mal von Euch etwas lernt. Es sei ungemein schade, sagt er, dass solch ehrbare Herzen nicht mehr Glück im Leben haben, und fragt sich, warum Ihr, mein Vater, der so gut zu lehren versteht und so gut zu schreiben weiß, keinen größeren Erfolg mit der Schule hattet, die einzurichten Ihr versucht habt, sondern für Euren Lebensunterhalt zu harter Arbeit gezwungen wart. Aber es macht mich stolzer, von solch ehrbaren Eltern zu stammen, als wenn ich als Edeldame geboren wäre.

Ich habe noch nichts davon gehört, dass ich zu Lady Davers gehe. Im Augenblick fühle ich mich hier sehr wohl. Mrs. Jervis behandelt mich wie ihre eigene Tochter, sie ist eine sehr gute Frau und tut alles nach dem Interesse meines Herrn, als wäre es ihr eigenes. Jederzeit gibt sie mir guten Rat, und ich liebe sie, gleich nach Euch beiden, von allen Menschen am meisten, glaube ich. Sie hält das Haus gut in Ordnung und ist hoch geachtet von uns allen. Mit Vergnügen lauscht sie, wenn ich ihr vorlese, am liebsten aus guten Büchern, wann immer wir allein sind. Ich denke dann, bei Euch zuhause zu sein. Sie hörte einen von unseren Bediensteten, Harry, der nicht der Anständigste ist, freizügig mit mir reden. Ich glaube, er nannte mich seine hübsche Pamela, und fasste mich so an, als wolle er mich küssen. Darüber war ich, seid dessen versichert, sehr wütend. Von der verärgerten Mrs. Jervis aber wurde er zurechtgewiesen. Sie sagte mir, sie sei hoch erfreut über meinen Anstand und meine Bescheidenheit und darüber, dass ich Abstand zu den Burschen hielte. In der Tat bin ich mir sicher, ohne Hochmut zu sein und mich anständig zu allen zu verhalten. Und doch, will mir scheinen, kann ich es nicht ertragen, von diesen Bediensteten angestarrt zu werden, denn es ist, als würden sie durch mich hindurchsehen. Da ich für gewöhnlich mit Mrs. Jervis frühstücke und zu Mittag und zu Abend esse (so gut ist sie zu mir), ist es mir ganz recht, mit ihnen so wenig sprechen zu müssen. Weil sie merken, wie sehr Mrs. Jervis mich mag, sind sie im Ganzen aber sehr höflich zu mir. Sie haben großen Respekt vor Mrs. Jervis, weil sie eine geborene Edeldame ist, der im Leben einiges Missgeschick widerfuhr.

Ich bin wieder dabei, einen langen Brief zu schreiben, denn ich liebe das Schreiben, doch es mag Euch ermüden. Zu Beginn wollte ich nur sagen, dass ich nun völlig ohne Angst bin. Und wirklich kann ich mich jetzt nur über mich wundern (obgleich Eure Warnung an mich von Eurer sorgsamen Liebe kommt), dass ich in so närrischer Weise beunruhigt war. Denn ich bin mir sicher, dass mein Herr sich nicht dazu erniedrigen würde, einem so armen Mädchen wie mir Schaden zuzufügen. So etwas würde, wie Ihr wisst, sein Ansehen ruinieren, wie auch meines. Denn ganz gewiss hat er gute Aussichten auf eine der angesehensten Damen in diesem Lande. Damit aber genug für dieses Mal, ich bin

Eure auf immer gehorsame Tochter

Brief VI

Lieber Vater und liebe Mutter,

mein Herr ist seit dem letzten Mal sehr gütig zu mir gewesen. Er hat mir einige Kleider meiner Herrin und ein halbes Dutzend von ihren Hemden geschenkt, sowie sechs Taschentücher, drei von ihren Leinenschürzen und vier aus Halbleinen. Die Kleider sind aus feiner Seide und ganz sicher zu prächtig und zu gut für mich. Ich wünschte, es würde ihn nicht beleidigen, wenn ich sie verkaufen und Euch das Geld senden würde, was mir viel lieber wäre.

Ihr werdet nun wieder in Furcht sein, dass man gegen mich Absichten hegt. Lasst Euch aber gesagt sein, dass Mrs. Jervis zugegen war, als er sie mir gab, und dass er ihr ebenfalls viele schöne Kleider schenkte und sie bat, diese in Erinnerung an ihre gute Freundin, meine Herrin und seine Mutter, zu tragen. Als er mir die feinen Sachen gab, sprach er:

"Das ist für Euch, Pamela. Lasst sie Euch anpassen, wenn Euer Trauerkleid abgelegt ist, und tragt sie zu Ehren Eurer Herrin. Mrs. Jervis hat Euch sehr gelobt. Ich möchte, dass Ihr Euch weiterhin so klug verhaltet wie bisher, dann wird Euch jeder liebhaben."

Ich war so überrascht über seine Güte, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Endlich verneigte ich mich vor ihm und auch vor Mrs. Jervis wegen ihres Lobs und sagte, ich wünschte, seiner Gunst und ihres Wohlwollens würdig und ohne jeden Fehl zu sein, nach meinem besten Wissen.

Ach, wie schön ist es doch, Gutes zu tun! Das ist das einzige, worum ich die hohen Leute beneide.

Ich habe meinen jungen Herrn immer für einen Ehrenmann gehalten, als welchen ihn auch alle bezeichnen. Doch er gab uns beiden diese schönen Sachen mit einer Anmut, dass ich meinte, einen Engel zu sehen.

Mrs. Jervis sagte, er hätte sie gefragt, ob ich die Männer auf Abstand halte. Denn, so sagte er, ich sei sehr hübsch, und es könne mein Ruin sein, wenn ich mich auf einen von ihnen einlasse, und würde mich frühzeitig ins Unglück stürzen. Sie ist immer bereit, mich zu loben, und nutzte die Gelegenheit, um in Hochachtung über mich zu sprechen. Ich hoffe aber, dass sie nicht mehr gesagt hat, als es meine Bemühungen rechtfertigen, denn ich bin noch nicht so weit. Sicher werde ich sie immer lieben, gleich nach Euch und meiner lieben Mutter. So bleibe ich

Eure immer gehorsame Tochter

Brief VII

Lieber Vater,

seit meinem letzten Brief hat mir mein Herr noch mehr schöne Sachen geschenkt. Er rief mich hinauf in die Kleiderkammer meiner dahingeschiedenen Herrin, zog die Schubladen auf und gab mir zwei Kopftücher aus flandrischen Spitzen, drei Paar Schuhe aus feiner Seide, davon zwei kaum getragen und genau für mich passend (denn meine Herrin hatte sehr kleine Füße), und das andere mit gehämmerten Silberschnallen, sowie einige Bänder und Hauben in allen Farben, vier Paar Strümpfe aus feiner weißer Baumwolle und drei Paar aus feiner Seide, als auch zwei Paar wunderschöne Schnürbrüste. Ich war ganz entgeistert und konnte für einige Zeit kein Wort herausbringen. Doch innerlich schämte ich mich, die Strümpfe anzunehmen, denn Mrs. Jervis war nicht zugegen. Im anderen Fall hätte es mir nichts ausgemacht. Ich nahm sie, glaube ich, sehr ungeschickt an mich, denn er lächelte darüber und sagte:

"Ihr braucht nicht zu erröten, Pamela. Denkt Ihr, ich wüsste nicht, dass es sich für hübsche Mädchen ziemt, Schuhe und Strümpfe zu tragen?"

Ich war über diese Worte so verwirrt, dass mich ein Windhauch hätte umblasen können. Wie Ihr Euch denken könnt, gab es darauf keine Antwort. So war ich wie eine Närrin nahe daran zu weinen und entfernte ich mich mit Verneigungen und rot bis zu den Ohren. Denn obgleich seine Worte ohne Arg waren, wusste ich doch nicht, wie damit umzugehen ist. Ich ging zu Mrs. Jervis und erzählte ihr alles. Sie sagte, dass Gott hat es ihm ins Herz gelegt hat, mir Gutes erweisen und dass ich meinen Eifer verdoppeln müsse. Es käme ihr vor, als würde er mich auf diese Art für meine Stelle als Kammerzofe bei Lady Davers ausstatten.

Eure gütigen väterlichen Warnungen kamen mir wieder in den Sinn und nahmen diesen Geschenken den Wert, den sie sonst für mich gehabt hätten. Und doch hoffe ich, dass es dafür keinen Grund gibt. Denn warum sollte er einem so einfachen Mädchen wie mir schaden wollen? Abgesehen davon würde ihn wohl keine Dame mehr in Betracht ziehen, wenn er sich so entwürdigt. Ich will mich also wieder beruhigen und wäre auch nie in Sorge gewesen, hättet Ihr sie mir nicht in den Kopf gesetzt. Ich weiß sehr wohl, dass Ihr dies zu meinem Besten tatet. Vielleicht würde ich, wenn die Sorge nicht die Wohltaten verdüsterte, zu sehr in Stolz schwelgen — So will ich damit schließen, dass all das zu unserem Besten geschieht. Möge Gott Euch segnen, meine lieben Eltern. Ich weiß, dass auch Ihr stets um Segen für mich betet, die für immer ist

Eure gehorsame Tochter

Brief VIII

Liebe Pamela,

ich kann meine Warnungen vor der Güte deines Herrn und seinen ungenierten Worten über die Strümpfe nur erneuern. Es hat vielleicht, und ich hoffe es, nichts zu bedeuten. Doch wenn ich mir überlege, dass es etwas bedeuten könnte und dass, falls es so ist, davon nicht weniger abhängt als das Glück meines Kindes in dieser und in der nächsten Welt, dann ist das genug Grund, sich um dich zu ängstigen. Wappne dich, mein Kind, für das Schlimmste; und entscheide dich dafür, lieber das Leben als deine Tugend zu verlieren. Was für einen Unterschied macht es, dass die Zweifel, die ich in dir geweckt habe, die Freude an der Güte deines Herrn mindern? Hat denn das Vergnügen an ein paar armseligen schönen Kleidern im Vergleich zu einem reinen Gewissen überhaupt eine Bedeutung?

Es sind wahrlich sehr große Wohltaten, mit denen er dich überhäuft, doch umso mehr erregen sie Verdacht. Und wenn du sagst, dass er liebenswert und wie ein Engel aussieht, dann befürchte ich, dass seine Gaben auf dich einen allzu großen Eindruck machen könnten! Denn, obgleich du mit Vernunft und Klugheit über deine Jahre hinaus gesegnet bist, zittere ich doch bei dem Gedanken, welcher Gefahr ein armes Mädchen von kaum mehr als fünfzehn Jahren ausgesetzt ist angesichts der Versuchungen dieser Welt und eines Pläne schmiedenden jungen Edelmanns, der, falls er sich als solcher erweisen sollte, als dein Herr die Macht und das Recht hat, Befehle zu erteilen.

Ich verlange von dir, mein liebes Kind, wenn du den Segen deiner armen Eltern willst, auf der Hut zu sein. Dass Mrs. Jervis eine so anständige Dame und so freundlich zu dir ist, beruhigt mich und auch deine Mutter ganz beträchtlich. Wir hoffen, dass du vor ihr nichts verbirgst und stets ihren Rat einholst. Mit unserem Segen und unseren Gebeten für dich mehr als für uns selbst sind wir

Deine dich liebenden Eltern

Lass dir nicht von den Leuten sagen, wie schön du bist, damit du nicht eitel wirst. Denn du hast deinen Leib nicht selbst gemacht und daher kein Lob dafür verdient. Tugend und Güte allein machen die wahre Schönheit aus. Vergiss dies nicht, Pamela.

Brief IX

Lieber Vater und liebe Mutter,

es tut mir leid, Euch mitteilen zu müssen, dass meine Hoffnung, als Zofe zu Lady Davers gehen zu können, sich zerschlagen hat. Die Lady hätte mich gerne gehabt, doch mein Herr hat dem, wie ich hörte, nicht zugestimmt. Er sagte, dass ihr Neffe sich vielleicht in mich verlieben würde, und dass ich ihn oder er mich verführen könne, und war der Meinung, da seine Mutter mich liebte und mich seiner Sorge anvertraute, dass ich bei ihm bleiben solle und dass Mrs. Jervis wie eine Mutter für mich sein würde. Von dieser weiß ich, dass die Lady den Kopf geschüttelt und gesagt hat:

"Ach, Bruder!"

Und das war alles. Weil Ihr mich durch Eure Warnungen bange gemacht habt, kommen mir immer wieder böse Ahnungen. Bis jetzt habe ich Mrs. Jervis nichts von Eurer Warnung oder meinem eigenen Unbehagen gesagt, nicht weil ich ihr misstraue, sondern weil ich befürchte, dass sie mich für überheblich, aufgeblasen und eitel hält, wenn ich mir trotz des großen Abstandes zwischen einem Edelmann und einem armen Mädchen solche Sorgen mache. Allerdings hat es den Anschein, dass Mrs. Jervis einige Schlüsse aus Lady Davers´ Kopfschütteln zieht und daraus, dass sie nicht mehr sagte als: Ach Bruder!. So hoffe ich, dass Gott Gnade mit mir hat. Ich werde mir daher, wenn ich vermag, darüber nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen, denn es gibt dafür hoffentlich keinen Anlass. Ich werde Euch aber über jede Kleinigkeit, die mir widerfährt, in Kenntnis setzen, damit Ihr mir weiterhin guten Rat erteilen und beten könnt für

Eure traurige Pamela

Brief X

Liebe Mutter,

ihr und mein guter Vater wundert Euch vielleicht, warum ihr seit so vielen Wochen keinen Brief von mir erhalten habt. Der Grund dafür war eine sehr, sehr traurige Begebenheit. Denn es ist nun allzu offensichtlich, dass Eure Warnungen wohl begründet waren. Ach, liebe Mutter! Es geht mir elend, wirklich elend! Habt dennoch keine Angst, ich bewahre die Tugend! Gott in seiner Güte erhalte mich darin!

Ach, dieser engelhafte Herr! Dieser feine Edelmann! Dieser liebreizende Wohltäter Eurer armen Pamela!, der sich nach dem Wunsch seiner sterbenden Mutter um mich kümmern sollte. Der so in Sorge um mich war, dass Lady Davers´ Neffe mich verführen würde, dass er mich nicht zu ihr gehen ließ. Genau dieser Edelmann (ja, ich muss ihn so nennen, obwohl er diesen Titel nicht mehr verdient) ist so tief gesunken, dass er sich seiner Dienerin gegenüber eigenmächtige Freiheiten herausnahm. Er hat nun sein wahres Gesicht gezeigt, und nichts erscheint mir finsterer und schrecklicher.

Ich bin nicht müßig gewesen, sondern habe von Zeit zu Zeit aufgeschrieben, mit welch verschlagener Niedertracht er nach und nach seine verderbten Gedanken offenlegte. Doch jemand stahl meinen Brief, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er war sehr lang. Ich fürchte, dass mein Herr, der gemein genug ist, um in einer Hinsicht Übles zu tun, dies auch in anderer getan hat. Wie auch immer, mehr als die eigene Beschämung kann er dadurch nicht erlangt haben, wozu ich selbst aber keinen Grund habe, denn er wird sehen, dass ich an meiner Tugend festhalte und mich glücklich schätze, arme, aber ehrbare Eltern zu haben.

Ich berichte Euch über alles bei der nächsten Gelegenheit, denn ich werde sehr genau beobachtet. So sagte er zu Mrs. Jervis:

"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Ich denke, man könnte ihr Besseres zu tun geben."

Ich arbeite aber den ganzen Tag mit meiner Nadel und kümmere ich um seine Wäsche und die Wäsche des Hauses, und ich sticke ihm nebenbei eine Weste. Aber, ach!, mein Herz will gleich zerbrechen, denn was ich als Lohn erhalte, ist Scham, Schimpf, Schande und schlechte Behandlung! Ich werde Euch alles in Bälde berichten und hoffe, meinen langen Brief zu finden.

Eure höchst betrübte Tochter

Vielleicht übertreibe ich es mit all dem Er und Ihm. Das ist aber seine Schuld. Denn warum hat er sich mir gegenüber so entwürdigt?

Brief XI

Liebe Mutter,

ich kann meinen Brief nicht wiederfinden und versuche also, alles zu erinnern und mich möglichst kurz zu fassen. Eine Zeitlang liefen die Dinge nach meinem vorletzten Brief ganz gut. Schließlich aber kam mir manches verdächtig vor, denn wann immer er mich sah, blickte er mich auf eine Weise an, die nichts Gutes verheißt. Eines Tages kam er zu mir, als ich im Gartenhaus mit meiner Nadel arbeitete und Mrs. Jervis mich gerade verlassen hatte. Ich wollte hinausgehen, doch er sagte:

"Nein, geht nicht, Pamela. Ich muss mit Euch sprechen. Immer flieht ihr vor mir, wenn ich in Eure Nähe komme, als hättet Ihr Furcht vor mir."

Ich war sehr verstört, wie Ihr Euch denken könnt, sagte aber endlich:

"Es kommt Eurer Dienerin nicht zu, in Eurer Nähe zu weilen, Sir, wenn es Eure Angelegenheiten nicht erfordern. Und ich hoffe, immer meinen rechten Platz zu kennen."

"Nun", sagte er, "meine Angelegenheiten erfordern es manchmal, und ich finde, dass Ihr bleiben solltet, um zu hören, was ich Euch zu sagen habe."

Ich stand immer noch verwirrt da und begann zu zittern, und zitterte noch mehr, als er mich bei der Hand fasste, denn keine Menschenseele war in der Nähe.

"Meine Schwester Davers" (er schien ebenso verlegen um Worte zu sein wie ich) "wollte Euch bei sich haben. Aber sie würde nicht das für Euch tun, was ich zu tun entschlossen bin, wenn ihr weiterhin treu und ergeben seid. Was sagst Du, mein Mädchen?"

Er sprach nun sehr aufgeregt.

"Möchtest Du nicht lieber bei mir bleiben als zu meiner Schwester Davers gehen?"

Er hatte einen Blick, der mir Schrecken einflößte. Wie soll ich ihn nennen? Irrsinnig, so kam er mir vor.

Endlich sagte ich:

"Ihr mögt mir vergeben, Sir, aber da Ihr keine Dame habt, der ich als Zofe dienen kann, und meine Herrin vor einem Jahr verstorben ist, würde ich lieber, wenn es Euch nicht missfällt, bei Lady Davers arbeiten, denn –"

Ich wollte fortfahren, doch er sagte:

"Denn Ihr seid eine Närrin und wisst nicht, was gut für Euch ist. Ich sage Euch, ich mache Euch zu einer Dame, wenn Ihr Ergebenheit zeigt und Euch nicht selbst im Wege stehst."

Und indem er so sprach, legte er seinen Arm um mich und küsste mich!

Ihr werdet nun sagen, dass all seine Schlechtigkeit zutage getreten ist. Ich wehrte mich und zitterte und war vom Schrecken so benommen, dass ich niedersank, nicht in einer Ohnmacht, aber auch nicht mit Absicht. Dann fand mich ganz kraftlos in seinen Armen wieder, und er küsste mich zwei oder drei Mal mit großer Gier. Endlich riss ich mich los und wollte aus dem Gartenhaus fliehen, doch er hielt mich zurück und schloss die Tür.

Ich hatte ein Gefühl, als ginge mein Leben zu Ende. Er sagte:

"Ich werde Euch nichts zuleide tun, Pamela, habt keine Angst vor mir."

"Ich will hier aber nicht bleiben!"

"Ihr wollt nicht bleiben, Ihr Luder! Wisst ihr denn nicht, mit wem Ihr sprecht?"

Da fiel alle Furcht und aller Respekt von mir ab.

"Ja, Sir, nur zu gut! Aber ich mag vergessen, dass ich Eure Dienerin bin, wenn Ihr vergesst, was einem Herrn geziemt."

Ich schluchzte und weinte ganz unglücklich.

"Was für ein törichtes Luder Ihr seid! Habe ich Euch denn Übles getan?"

"Ja, Sir, das Übelste in der Welt: Ihr habt mich dazu verleitet, mich selbst zu vergessen und was sich für mich gehört, und habt den Abstand verringert, den das Schicksal zwischen uns gesetzt hat, indem Ihr Euch erniedrigt und Euch mit mir einlasst. Ja, Sir, ich erkühne mich zu sagen, ich bin arm, aber ehrbar, und wäret Ihr ein Prinz, würde ich nicht anders handeln."

Er wurde zornig.

"Wer wollte denn, dass Ihr anders wäret, Ihr närrisches Gör! Hört auf zu flennen. Ich gebe zu, dass ich mich erniedrigt habe, aber ich tat es nur, um Euch auf die Probe zu stellen. Könnt Ihr das für Euch behalten, dann werde ich Eure Klugheit noch mehr schätzen. Und das hier" (er legte einige Goldstücke in meine Hand) "mag Euch für die Furcht entschädigen, in die ich Euch versetzt habe. Nun geht und spaziert ein wenig im Garten und geht nicht ins Haus, bevor Euer Geflenne vorüber ist. Ich befehle Euch, niemandem etwas von dem, was geschehen ist, zu sagen, dann wird alles gut und Ihr habt meine Verzeihung."

"Ich will das Geld wirklich nicht, Sir", sagte ich, "so arm ich auch bin, ich will es nicht."

Denn es wäre mir, ehrlich gesagt, so vorgekommen, als nähme ich ein Handgeld entgegen. Und so legte ich es auf die Bank. Und als er verärgert und in Verwirrung zu sein schien über das, was er getan hatte, nützte ich die Gelegenheit, die Tür zu öffnen und hinauszugehen.

Er rief nach mir und sagte:

"Ich verlange von Euch, den Mund zu halten, Pamela. Und geht noch nicht ins Haus, wie ich Euch befohlen habe."

Ach, wie armselig und gemein ist ein solches Benehmen, und wie klein lässt es die besten der Edelmänner erscheinen, wenn sie Dinge tun, die ihrer unwürdig sind, und Geringeren von Stand die Gelegenheit geben, sich über sie zu erheben.

Ich ging eine oder zwei Runden im Garten, doch in Sichtweite des Hauses, aus Furcht, es könne noch schlimmer kommen. Ich hauchte in meine Hände, um meine Augen zu trocknen, denn ich wollte nicht zu ungehorsam erscheinen. In meinem nächsten Brief werde ich Euch mehr berichten.

Betet für mich, meine lieben Eltern, und nehmt mir nicht übel, dass ich noch nicht von diesem Haus geflohen bin, das mir bis vor kurzem Trost und Freude bereitete und nun Schrecken und Pein. Ich muss schnell abbrechen.

Eure gehorsame und ehrbare Tochter

Brief XII

Liebe Mutter,

ich möchte meine traurige Geschichte nun fortführen. Nachdem ich meine Augen getrocknet hatte, ging ich ins Haus und überlegte, was zu tun sei. Einige Male kam mir der Gedanke, das Haus zu verlassen und in die nächste Stadt zu gehen, um bei nächster Gelegenheit zu Euch zu fahren. Dann aber konnte ich mich nicht entschließen, ob ich die Sachen, die er mir gegeben hat, mit mir nehmen sollte, und wie sie zu transportieren wären. Manchmal schien es mir, als sollte ich sie zurücklassen und nur die Kleider mitnehmen, die ich am Leib trage, aber es sind zwei und eine halbe Meile bis zur Stadt, und das über eine Nebenstraße, und so schön gekleidet könnte ich in eine Gefahr geraten, die fast so schlimm wäre wie die, der ich entkommen möchte. Und dann, so dachte ich, könnte ich vielleicht in den Verdacht geraten, etwas gestohlen zu haben und deshalb davongelaufen zu sein. Mit einem schlechten Ruf zu meinen Eltern zurückzukehren, wäre in der Tat eine üble Sache! Ach, wie wünsche ich mir meinen grauen Kittel zurück und meine arme, aber ehrbare Kleidung, mit der Ihr mich ausgestattet habt (und das war schwer genug für Euch), damit ich in dieses Haus gehen konnte, als ich noch keine zwölf Jahre alt war und meine gute Herrin noch lebte! Manchmal dachte ich daran, Mrs. Jervis alles zu erzählen und mir ihren Rat zu holen. Er hat mir aber streng aufgetragen, alles geheim zu halten. Ich dachte auch, er sei von seinem Verhalten vielleicht so beschämt, dass er es nie wieder zeigen würde. Und weil die arme Mrs. Jervis durch ein unglückliches Geschick in seiner Abhängigkeit steht, wäre es schmählich, sie um meinetwegen seinem Groll auszusetzen.

In dieser Ungewissheit, einmal nachdenkend, dann wieder weinend, und im Unklaren darüber, was zu tun sei, verbrachte ich die Stunden bis zum Abend in meinem Zimmer. Als ich mich entschuldigen ließ, weil ich nicht zum Abendessen erschien, kam Mrs. Jervis zu mir.

"Warum muss ich ohne Euch zu Abend essen, Pamela? Kommt, ich sehe doch, dass Ihr Euch über etwas bekümmert. So sagt mir, was los ist."

Ich bat sie, über Nacht bei ihr schlafen zu können, weil ich Furcht vor Gespenstern hätte, und die würden einem so guten Menschen, wie sie es ist, nichts antun.

"Eine dumme Ausrede ist das", sagte sie, "denn warum habt ihr nicht schon früher Furcht vor Gespenstern gehabt?"

(Daran hatte ich in der Tat nicht gedacht.)

"Doch Ihr könnt gerne bei mir schlafen, was auch immer der Grund dafür ist."

Ich bat sie, mich zu entschuldigen, da ich so sehr geweint hatte, dass die anderen Diener es bemerken würden, und sagte:

"Ich werde Euch nichts verheimlichen, Mrs. Jervis, wenn wir alleine sind."

In ihrer Güte gewährte sie mir den Wunsch. Sie beschloss dann, sofort zu Bett zu gehen, und sagte den Dienern, dass ich ihr Gesellschaft leiste, weil sie schlaflos sei und mich als Vorleserin brauche, um in den Schlaf zu finden. Denn sie wisse, wie sehr ich das Lesen liebe.

Als wir allein waren, erzählte ich ihr alles Geschehene, obwohl er es mir verboten hatte. Sollte er aber davon erfahren, wäre das kein Unglück. Denn indem ich ein solches Geheimnis für mich behalte, würde ich des guten Rats verlustig gehen, den ich mehr denn je begehrte, und würde ihn denken lassen, dass ich sein Verhalten weniger missbillige, als ich sollte, und dass ich noch schlimmere Geheimnisse hüten könnte, und ihn so zu noch Schlimmerem verleiten. Ist dies recht gedacht, liebe Mutter?

Mrs. Jervis musste auch weinen, als ich ihr unter Tränen davon erzählte und sie um Rat bat, was ich nun tun solle. Ich zeigte ihr die beiden Briefe meines Vaters. Sie lobte ihre hohe Moral und ihren Schreibstil und sprach sehr wohlwollend über Euch. Sie bat mich aber, meine Stelle nicht aufzugeben.

"Nach aller Wahrscheinlichkeit", so sagte sie, "hat Euer tugendhaftes Verhalten ihn so beschämt, dass er Euch nie wieder etwas in dieser Art antun wird. Gleichwohl bereitet mir Eure Schönheit die meisten Sorgen. Denn auch der ehrbarste Mann in diesem Land könnte sich in Euch verlieben."

So sprach sie zu mir in ihrer Güte. Am liebsten wäre es ihr, sagte sie, in Unabhängigkeit zu leben, dann würde sie in ein kleines Privathaus ziehen und mich dort wie eine Tochter aufnehmen.

Und weil Ihr mich angewiesen habt, auf ihren Rat zu hören, habe ich beschlossen, darauf zu warten, wie die Dinge sich entwickeln, sofern er mich nicht wegschickt; obgleich Ihr in Eurem ersten Brief mir auftrugt, von hier fortzugehen, wenn die Lage bedrohlich erscheint. Ich hoffe also, liebe Eltern, dass es kein Ungehorsam ist, wenn ich bleibe; denn ich verdiente weder Euren Segen noch die Früchte Eurer Gebete, wenn ich ungehorsam wäre.

Den ganzen nächsten Tag über war ich sehr traurig und setzte mich daran, meinen langen Brief zu schreiben. Er sah mich beim Schreiben und sagte (wie ich erwähnt habe) zu Mrs. Jervis:

"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Mir scheint, sie könnte eine bessere Beschäftigung finden."

Oder etwas in der Art. Als ich meinen Brief beendet hatte, steckte ich ihn unter den Frisiertisch in der Kammer meiner seligen Herrin, wohin niemand kommt außer ich und Mrs. Jervis sowie mein Herr; aber als ich zurückkehrte, um ihn zu versiegeln, war er zu meinem Schrecken verschwunden; Mrs. Jervis wusste nichts darüber. Und niemand konnte mir sagen, ob mein Herr zu dieser Zeit nahe bei diesem Ort gewesen sei; und so war ich darüber sehr besorgt. Aber ebenso wie ich ist auch Mrs. Jervis der Meinung, dass er den Brief, in welcher Weise auch immer, an sich genommen hat. Er wirkt unzufrieden und ergrimmt und scheint mir aus dem Weg zu gehen, gerade so wie er es von mir sagte. Besser so als noch schlimmer!

Allerdings hat er Mrs. Jervis aufgetragen, mich anzuweisen, nicht so viel Zeit mit dem Schreiben zu verbringen. Es wirft ein schlechtes Licht auf einen Edelmann wie ihn, dass er daran Anstoß nimmt, zumal ich ansonsten nicht müßig bin. Der Grund kann nur sein, dass er mir verübelt, was ich geschrieben habe. Und das kann nichts Gutes heißen.

Ich bin aber um einiges ruhiger geworden, seit ich bei Mrs. Jervis schlafe, auch wenn mich die Furcht, in der ich lebe, und seine grimmige Miene und sein Ärger über das, was ich tue, ganz unglücklich machen.

Ach, hätte ich niemals mein kleines Bett bei Euch auf dem Dachboden verlassen! Ich wäre keinen Versuchungen ausgesetzt und auch nicht dem Abscheu, den sie erwecken! Wie glücklich war ich damals! Wie anders ist es nun! Habt Mitleid mit mir und betet für

Eure leidende Pamela

Brief XIII

Mein liebstes Kind,

dein Leiden und die Versuchungen, denen du ausgesetzt bist, machen unsere Herzen bluten. In jeder Stunde beten wir für dich, und wir ersuchen dich, dem Haus und dem frevelhaften Mann zu entfliehen, wenn er dir wieder zu nahe kommt. Du hättest dies gleich tun sollen, wäre nicht Mrs. Jervis, die dir anders geraten hat. Wir können bisher keinen Fehler in deinem Verhalten finden, doch die Furcht vor dem Schlimmsten lässt uns erzittern. Ach, mein Kind! Versuchungen sind etwas Schreckliches, und doch, ohne sie kennen wir uns weder selbst noch wissen wir, wozu wir imstande sind.

Die Gefahr ist groß, denn du musst dem Reichtum, der Jugend und der Schönheit eines Edelmanns widerstehen. Doch welche Ehre erlangst du, wenn dir das gelingt! Und wenn wir dein bisheriges Verhalten und deine gute Erziehung bedenken, und dass du angeleitet wurdest, dich der Ehrlosigkeit mehr zu schämen als der Armut, dann vertrauen wir in Gott, dass er dir Kraft gibt, das Übel zu besiegen.

Und doch: Weil die steten Befürchtungen dein Leben zur Bürde machen, und weil es anmaßend wäre, ein zu großes Vertrauen in unsere eigene Stärke zu setzen, und weil du noch sehr jung bist, und weil der Teufel deinen Herrn zu einer List verleiten könnte, wie sie bei vielen großen Herren zu finden ist, um dich zu verführen: So denke ich, du tätest besser daran, nach Hause zurückzukehren, um bei uns in Armut, aber in Sicherheit zu leben, statt voller Angst im Überfluss, der an sich schon etwas Heikles ist. Gott füge für dich alles zum Besten! Dass du Mrs. Jervis als Ratgeberin hast und bei ihr schlafen kannst (was, ach mein liebes Kind, von dir wohl überlegt war), macht uns ruhiger, als wir es sonst wären. Und so empfehlen wir dich dem Schutz Gottes und bleiben

Deine dich liebenden, aber besorgten Eltern

Brief XIV

Lieber Vater, liebe Mutter,

Mrs. Jervis und ich haben die letzten zwei Wochen sehr angenehm miteinander verbracht, denn mein Herr war in dieser Zeit auf seinem Sitz in Lincolnshire und auf dem seiner Schwester Lady Davers. Gestern aber kehrte er zurück. Er sprach bald darauf eine Zeitlang mit Mrs. Jervis, und zwar hauptsächlich über mich. Er sagte zu ihr ungefähr das Folgende:

"Nun, Mrs. Jervis, mir ist bekannt, dass Ihr eine hohe Meinung von Pamela habt. Doch denkt ihr, dass sie für das Haus von irgendeinem Nutzen ist?"

Sie war, so erzählte sie mir, von der Frage überrascht, sagte ihm aber, dass ich eines der tugendsamsten und fleißigsten Mädchen sei, die sie je gekannt hat.

"Warum, bitte, sprecht Ihr von tugendsam?", sagte er. "Könnte man denn annehmen, dass es anders ist? Oder hat sich irgendjemand in den Kopf gesetzt, sie auf die Probe zu stellen?"

"Ich bin erstaunt, Sir, dass Ihr dieses fragt. Wer würde so etwas gegen sie ansinnen, in einem so ordentlichen und gut geführten Haus wie dem Euren und unter einem Herrn, dessen Charakter so viel Tugend und Ehre zeigt?"

"Ich danke Euch, Mrs. Jervis, für Eure gute Meinung von mir. Doch bitte, falls es so jemanden gäbe, denkt Ihr, dass Pamela Euch davon berichten würde?"

"Sir, sie ist ein unschuldiges junges Geschöpf und hat, glaube ich, so viel Vertrauen in mich, dass sie meinen Rat nicht weniger annehmen würde als den ihrer Mutter."

"Unschuldig! Schon wieder; und ganz gewiss tugendsam! Ihr stattet sie im Übermaß mit Vorzügen aus. Ich aber halte sie für ein gewieftes Früchtchen, und hätte ich einen jungen und gut aussehenden Diener oder Haushofmeister, würde sie ihn bald an die Angel nehmen, wenn sie ihn für eine gute Partie hielte."

"Ach, Sir", sagte sie, "Pamela ist noch jung. Ich getraue mich für sie zu sagen, dass sie bisher noch nicht ans Heiraten gedacht hat und dies auch jetzt nicht tut. Euer Haushofmeister und Euer Diener sind beide schon ältere Männer und haben solches nicht im Sinn."

"Wären sie aber jünger, dann wären sie zu klug, um sich auf so ein Mädchen einzulassen. Ich sage Euch, Mrs. Jervis, was ich von ihr halte: Ich glaube nicht, dass sie, die so hoch in Eurer Gunst steht, das unschuldige Mädchen ist, als das Ihr sie anseht."

"Es steht mir nicht zu, mit Euch darüber zu debattieren, gnädiger Herr, ich wage aber zu behaupten, dass sie mit Männern keinen Kummer hätte, würden diese sie nur in Ruhe lassen."

"Wieso das, Mrs. Jervis?", sagte er. "Gibt es denn Männer, die ihr keine Ruhe lassen, von denen ihr wisst?"

"Nein, wirklich nicht, Sir. Sie nimmt sich so sehr zurück und verhält sich so klug, dass jedermann sie wertschätzt und ihr so viel Respekt erweist, als wäre sie eine Lady von Geburt."

"Ach je, das ist ihre List, von der ich gesprochen habe. Das Mädchen ist, wenn ich nicht ganz irre, voller Eitelkeit und Dünkel und Stolz. Vielleicht könnte ich Euch ein Beispiel nennen."

"Sir", sagte sie, "Ihr habt mehr Weitblick als eine arme und einfältige Frau wie ich, doch ich habe bei ihr nie etwas anderes als Unschuld wahrgenommen."

"Und auch Tugend, ganz sicherlich. Doch nehmt einmal an, ich könnte Euch ein Beispiel geben, wie sie etwas zu frei über die Gefälligkeiten sprach, die ihr jemand erbrachte, und wie sie aus Eitelkeit ein paar freundlichen Worten, die man aus Mitgefühl mit ihrer Jugend und ihren Umständen an sie richtete, eine schlechte Absicht unterstellte, und wie sie es sogar wagte, Leute zu verunglimpfen, deren Namen sie nur mit Respekt und Dankbarkeit nennen sollte. Was würdet Ihr dazu sagen?"

"Ich weiß nicht, was ich dazu sagen würde. Ich hoffe aber, dass Pamela zu solcher Undankbarkeit nicht imstande ist."

"Nun gut, reden wir nicht mehr über dieses dumme Mädchen. Weist sie, als ihre Freundin, nur an, mit der Gunst, die man ihr bezeugt, nicht zu frei umzugehen, und, falls sie hier bleibt, dass sie nichts über die Angelegenheiten meines Hauses niederschreibt, nur um ihren Stil und ihre Erfindungskraft zu üben. Ich sage Euch, sie ist eine raffinierte und heuchlerische Zigeunerin, und mit der Zeit werdet Ihr das selbst merken."

Hat man je so etwas gehört, meine lieben Eltern? Es ist offensichtlich, dass er mit einer Zurückweisung durch mich nicht gerechnet hat und nun denkt, dass ich Mrs. Jervis davon berichtet habe, und dass er auch meinen langen Brief hat, der für Euch bestimmt war, und nun äußerst verärgert ist. Ich kann das aber nicht ändern. Lieber noch bin ich heuchlerisch und raffiniert als so, wie es ihm genehm ist. Und obgleich er der Tugend und Unschuld, für die man mich lobt, kaum Bedeutung beimisst, wäre er doch weniger ärgerlich, wenn ich das Lob nicht verdiente. Auf diese Weise würde meine Schande für ihn als Tugend gelten, so dreist wie dieser Edelmann ist.

Ich werde Euch bald wieder schreiben, muss jetzt aber aufhören und bleibe auf immer

Eure ehrbare Tochter

Brief XV

Liebe Mutter,

ich habe meinen letzten Brief plötzlich abgebrochen, weil ich befürchtete, dass er hereinkommt, und so war es auch. Ich steckte den Brief in meinen Busen und nahm meine Arbeit wieder auf, die ich neben mir liegen hatte. Ich bin aber so wenig in der Heuchelei begabt, wie er das nennt, dass ich bestürzt dreinschaute, als hätte ich etwas Unrechtes getan.

"Bleibt sitzen, Pamela", sagte er, "und arbeitet ruhig weiter. Ihr habt mich nicht willkommen geheißen nach meiner Reise nach Lincolnshire."

"Es wäre doch schlimm, Sir, wenn Ihr nicht immer willkommen wäret in Eurem eigenen Haus."

Ich wollte mich entfernen, doch er sagte:

"Lauft nicht davon. Ich muss mit Euch reden."

Ach Himmel, wie mein Herz schlug!

"Als ich Euch im Gartenhaus eine kleine Freundlichkeit erwies und Ihr Euch deswegen so närrisch benommen habt, als führte ich Böses gegen Euch im Schilde, sagte ich Euch da nicht, dass Ihr darum kein Aufhebens machen sollt? Und doch habt Ihr aller Welt davon erzählt, ohne Rücksicht auf meinen oder Euren eigenen Ruf."

"Aller Welt erzählt, Sir? Ich habe doch kaum jemanden, mit dem ich spreche."

"Kaum! Ihr kleine Wortverdreherin, was meint Ihr mit kaum? Ich frage Euch also, habt Ihr Mrs. Jervis als erster davon erzählt?"

"Ich bitte Euch, Sir", sagte ich aufgeregt, "lasst mich nach unten gehen. Denn es schickt sich nicht, dass ich mit einem vornehmen Herrn streite."

"Wortverdreherin, schon wieder!" Er nahm meine Hand. "Wieso sprecht Ihr von einem Streit? Ist es streiten, wenn Ihr auf eine einfache Frage antworten sollt? Antwortet mir also auf meine Frage."

"Ach, guter Herr, ich bitte Euch, mich nicht weiter zu drängen, da ich sonst fürchte, mich selbst zu vergessen und unverschämt zu werden."

"Ihr sollt mir antworten. Habt Ihr Mrs. Jervis etwas erzählt? Es wäre unverschämt von Euch, mir keine direkte Antwort auf meine Frage zu geben."

"Sir", sagte ich und hätte zu gerne meine Hand zurückgezogen, "ich könnte Euch vielleicht mit einer anderen Frage antworten, aber das stände mir nicht zu."

"Was soll das heißen? Sprecht offen."

"Also gut, Sir. Warum wäret Ihr, gnädiger Herr, so erbost, wenn ich Mrs. Jervis oder sonst jemandem das Geschehene mitgeteilt hätte, wenn Ihr nichts Schlechtes im Sinn hattet?"

"Klug gesagt, und so unschuldig und ungekünstelt! Ganz nach der Beschreibung von Mrs. Jervis. Damit macht Ihr Euch nur lustig über mich, frech wie Ihr seid! Ich bestehe aber immer noch auf eine direkte Antwort auf meine Frage."

"Also gut, Sir", sagte ich, "Ich will um keinen Preis lügen: Ich habe in meinem Kummer Mrs. Jervis davon erzählt, anderen gegenüber aber war mein Mund verschlossen."

"Sehr gut. Respektlos wie Ihr seid, redet Ihr wieder zweideutig! Euer Mund war verschlossen. Aber habt Ihr an andere darüber nicht geschrieben?"

"Warum denn, gnädiger Herr?" Ich war jetzt ganz mutig geworden. "Ihr könntet mich das nicht fragen, wenn Ihr nicht meinen Brief an meinen Vater und meine Mutter an Euch genommen hättet, in dem ich ihnen, ich gebe es zu, alles erzählte und mein Kummer offenbarte und um ihren Rat fragte."

"Und so bin ich", sagte er, "durch ein Früchtchen wie Euch in meinem eigenen Haus und vor der ganzen Welt bloßgestellt?"

"Nein, guter Herr, seid nicht wütend auf mich. Ich habe Euch nicht bloßgestellt, sondern nichts als die Wahrheit gesagt!"

"Schon wieder macht Ihr Euch lustig, Ihr freches Ding! Ich will so nicht ins Gerede kommen!"

"Bitte, Sir", sagte ich, "von wem kann ein armes Mädchen Rat bekommen, wenn nicht von seinen Eltern und einer so guten Frau wie Mrs. Jervis, die aus Verbundenheit mit dem eigenen Geschlecht mir raten sollte, wenn ich danach verlange?"

"Was für eine Dreistigkeit!" Er stampfte mit dem Fuß auf. "Muss ich mir von einer wie Euch solche Fragen stellen lassen?"

Ich fiel auf meine Knie.

"Um des Himmels Willen, gnädiger Herr, habt Mitleid mit einem armen Geschöpf, das die Pflicht nicht kennt, die es Euch schuldet, das aber alles auf seine Tugend und seinen guten Ruf gibt. Ich habe nichts anderes, auf das ich vertraue, und, obgleich arm und ohne Freunde, habe ich doch gelernt, die Tugend höher zu schätzen als das Leben."

"Ihr macht viel Aufhebens um Eure Tugend, närrisches Mädchen!", sagte er. "Gehört es nicht zur Tugend, pflichteifrig und dankbar gegenüber Eurem Herrn zu sein? Was meint Ihr?"

"In der Tat, Sir, geht es nicht an, dass ich gegen Euch undankbar oder ungehorsam wäre oder es verdiente, frech oder unverschämt genannt zu werden, außer Eure Befehle widersprächen jener ersten Pflicht, die stets das Richtmaß für mein Leben ist! "

Er schien aufgewühlt zu sein und erhob sich und begab sich in das große Zimmer nebenan, wo er eine Zeitlang auf- und abging, während ich auf meinen Knien verweilte. Ich bedeckte mein Gesicht mit der Schürze und legte meinen Kopf auf einen Stuhl und weinte, als wolle mir mein Herz zerspringen, ohne noch die Kraft zu haben, mich zu rühren.

Endlich kam er wieder herein, doch, leider! mit Groll in seinem Herzen! und nahm mich hoch.

"Steht auf, Pamela, steht auf! Ihr seid Euch selbst ein Feind. Eure Torheit wird Euch zugrunde richten. Ich sage Euch, ich bin sehr ungehalten darüber, wie Ihr meinen Namen bei der Hausdame und bei Euren Eltern verleumdet habt, und es ist einerlei, ob Ihr dafür einen wirklichen Grund hattet oder meinen Namen in Einbildung mit Schmutz bewarft."

Dann zog er mich mit Gewalt auf seine Knie. Ach, wie ich mich fürchtete! Ich rief die Worte, die ich eine oder zwei Nächte zuvor in einem Buch gelesen hatte:

"Engel und Heilige und die Heerschar des Himmels, beschützt mich!"

Und dass ich nicht für einen Augenblick den Verlust meiner Tugend überleben solle!

"Ihr hübsche Närrin!", sagte er. "Wie könnt Ihr Eure Tugend verlieren, wenn Ihr einer Kraft Euch beugt, der Ihr nicht widerstehen könnt? Seid ohne Sorge, denn das Schlimmste, was Euch widerfahren wird, ist, dass Ihr die Ehre habt und ich die Schande. Es wird auch ein lohnendes Thema für Briefe an Eure Eltern sein und obendrein eine schöne Geschichte für Mrs. Jervis."

Er küsste mit Gewalt meinen Hals und meine Lippen und sagte:

"Wer hat jemals Lucretia beschuldigt? Alle Schande lag auf dem Schänder. Ich bin also bereit, die Schuld auf mich nehmen, zumal davon schon mehr auf mir lastet, als ich verdiene."

"So könnte ich wie Lucretia durch meinen Tod mich rechtfertigen, wenn ich auf grausame Weise entehrt werde?"

"Ach, gutes Kind", sagte er höhnisch, "ich sehe schon, Ihr seid recht belesen. Wir werden einen guten Stoff für einen Roman abgeben, bevor wir es getan haben, dessen seid versichert."

Dann steckte er die Hand in meinen Busen, was mich so entrüstete, dass sich meine Kraft verdoppelte und ich mich von ihm mit einem Ruck losmachte und aus dem Zimmer lief und im nächsten Zimmer, das ich offen fand, die Tür hinter mir zuwarf und sie verschloss. Doch er folgte mir so nahe, dass er mein Kleid zu fassen bekam und ein Stück davon abriss, das noch aus der Tür ragte, denn sie war von innen versperrt.

Ich erinnere mich nur, wie ich in das Zimmer gelangte. Was danach geschah, weiß ich nicht mehr, weil ich in meinem Schrecken in eine Ohnmacht fiel, und so lag ich, bis er, wie ich vermute, mich durch das Schlüsselloch auf dem Boden ausgestreckt auf dem Gesicht liegen sah. Er rief Mrs. Jervis herbei, die mit seiner Hilfe die Tür aufbrach. Als er sah, dass ich wieder zu mir kam, trug er ihr auf, niemandem davon zu erzählen, wenn sie klug wäre, und ging davon.

Die arme Mrs. Jervis dachte, es stünde schlimmer um mich, als es in Wirklichkeit war, und weinte über mir wie eine Mutter. Erst nach zwei Stunden kam ich wieder zu mir, und gerade als ich imstande war, mich zu erheben, kam er herein, so dass ich vor Schrecken wieder in Ohnmacht fiel. Er zog sich zurück, blieb aber im benachbarten Zimmer, um zu verhindern, dass jemand in unsere Nähe kam und seine Machenschaften bekannt würden.

Mrs. Jervis reichte mir ihr Riechfläschchen, zerschnitt mein Schnürbändchen und setzte mich in einen großen Stuhl. Er rief sie zu sich.

"Wie geht es dem Mädchen? Nie in meinem Leben sah ich solch eine Närrin. Ich habe ihr überhaupt nichts getan."

Mrs. Jervis konnte vor Weinen nicht sprechen. Also sagte er:

"Sie hat Euch, wie es scheint, erzählt, dass ich im Gartenhaus zu ihr freundlich war, doch ich versichere Euch, ich habe mir so wenig zu Schulden kommen lassen wie auch jetzt. Ich bitte Euch, diese Angelegenheit für Euch zu behalten und meinen Namen herauszuhalten."

"Ach, Sir, um Euer und um Christus Willen!"

Doch er wollte sie nicht hören.

"Um Euer selbst Willen sage ich Euch, Mrs. Jervis, sprecht kein Wort mehr. Ich habe ihr nichts getan. Und ich möchte nicht, dass sie in meinem Haus bleibt, so schwatzhaft und verdreht, wie diese Närrin sich gebärdet! Da sie aber so flink darin ist, in Ohnmacht zu fallen, oder dies zumindest vorgibt, bereitet sie darauf vor, morgen nach dem Mittagessen zusammen mit Euch zu mir in die Kammer meiner Mutter zu kommen, dann werdet Ihr hören, wie es zwischen uns steht."

Und so ging er in schlechter Laune hinaus und befahl, seine Kutsche zu bespannen, um jemanden besuchen zu fahren.

Mrs. Jervis kam zu mir, und ich erzählte ihr alles, was vorgefallen war, und dass ich entschlossen sei, das Haus zu verlassen. Sie antwortete, es schiene ihr, als habe er selbst angedroht, mich fortzuschicken. Ich sagte:

"Das höre ich gerne, so bin ich umso ruhiger."

Dann erzählte sie mir alles, was er zu ihr gesprochen hat, wie oben berichtet.

Mrs. Jervis bedauert sehr, dass ich fortgehen möchte. Die arme Frau beginnt nun um sich selbst zu bangen, will aber um keinen Preis, dass ich ins Unglück stürze. Sie sei sicher, sagte sie, dass er keine guten Absichten habe. Es könne aber sein, dass er in Anbetracht meiner Entschlossenheit alle weiteren Versuche aufgebe, und dass ich nach dem morgigen Tag, an dem ich vor einen sehr ungerechten Richter trete, besser wüsste, was zu tun sei.

Ach, wie mir vor diesem morgigen Auftritt graut! Zweifelt aber nicht an der Tugend Eures armen Kindes, wie ich nicht an Euren Gebeten für

Eure gehorsame Tochter

Ach, dieser schreckliche morgige Tag! Wie ich ihn fürchte!

Brief XVI

Meine lieben Eltern,

ich weiß, dass Ihr Euch schon lange nach einem Brief von mir sehnt. Ich sende ihn Euch so schnell wie möglich.

Nun, Ihr könnt Euch vorstellen, wie unbehaglich ich die Zeit bis zur vereinbarten Stunde verbrachte. Mit jeder Minute, in der sie näher rückte, wuchs mein Schrecken. Manchmal fühlte ich Mut, dann wieder keinen, und war in Sorge, ohnmächtig zu werden, wenn mein Herr fertig gespeist hat. Ich selbst vermochte weder zu essen noch zu trinken. Vom vielen Weinen waren meine Augen ganz verschwollen.

Endlich kam er herauf in die Kammer, welche das Kabinett meiner guten Herrin gewesen war. Einst liebte ich dieses Zimmer, jetzt hasse ich es.

Bebt Euer Herz nicht um meinetwegen? Das meinige flatterte wie ein frisch gefangener Vogel in seinem Käfig. Ach, Pamela, sagte ich zu mir selbst, warum bist du so töricht und ängstlich? Du hast nichts Unrechtes getan! Wenn du einen ungerechten Richter als Unschuldige fürchtest, was würdest du tun, wenn du als Schuldige vor einen gerechten trätest? Habe Mut, Pamela, du weißt, was dir als Schlimmstes geschehen kann, und um wieviel erstrebenswerter Armut und Tugend sind als Reichtum und Laster.

So sprach ich mir Mut zu, doch mein Herz war verzagt und mein Gemüt verdunkelt. Jedes kleinste Geräusch schien wie eine Stimme von mir Rechenschaft zu fordern. ich fürchtete den Augenblick und wünschte doch, er möge endlich da sein.

Schließlich läutete mein Herr die Glocke. Ach, dachte ich, das ist meine Totenglocke!

Mrs. Jervis, die gute Frau, ging mit schwerem Herzen zu ihm.

"Wo ist Pamela?", sagte er. "Lasst sie kommen und kommt mit ihr."

Als sie mich holte, waren meine Füße zum Gehen bereit, doch mein Herz weilte bei meinen lieben Eltern im Wunsch, Eure Armut und Euer Glück zu teilen. Ich ging aber hinauf.

Ach, wie kann es sein, dass sündhafte Menschen, deren Herz so finster ist, ganz ungerührt erscheinen, während Unschuldige wie Übeltäter vor ihnen stehen!

Er blickte so ernst, dass mein Herz kaum noch schlagen wollte und ich mich weit weg wünschte, obgleich ich all meinen Mut zusammengenommen hatte. Guter Himmel, sagte ich zu mir selbst, gib mir Mut, vor diesen schändlichen Herrn zu treten! Ach, mildere ihn, oder mache mich stärker!

"Kommt herein, Närrin", sagte er grimmig, als er mich erblickte (und packte grob meine Hand). "Ihr solltet Euch vor mir schämen, nach all dem Lärm, den Ihr gemacht, und der Schande, der Ihr mich ausgesetzt habt."