Philipp Melanchthon - Martin Greschat - E-Book

Philipp Melanchthon E-Book

Martin Greschat

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Beschreibung

Grenzen überwinden – das Leben des Reformators und Universalgelehrten

- Die Biographie zum 450. Todestag Melanchthons am 19. April 2010

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Inhaltsverzeichnis

Einführung1. Herkunft und Bildungsgang
Das UmfeldHeidelbergTübingen
2. Die ersten Wittenberger Jahre
Die AnkunftZwischen Erasmus und LutherDie „Loci communes“Wittenberger UnruhenVeränderter HorizontEine Urlaubsreise
3. Trennungen
Das Problem der WillensfreiheitDer BauernkriegStreit über das Abendmahl
4. Der Pädagoge
Der akademische LehrerSchulgründungenVisitationenDer „Unterricht der Visitatoren“
5. Verantwortung vor Kaiser und Reich
Der Reichstag von SpeyerBündnis und BekenntnisDer Augsburger ReichstagAugsburger Bekenntnis und ApologieNachwirkungen
6. Einigungsbestrebungen
Europäische KontakteDie Wittenberger KonkordieDer LehrmeisterReligionsgespräche
7. Schmalkaldischer Krieg und Interim
Bedrohliche EntwicklungenDer KriegDas InterimWeiterungen
8. Die letzten Jahre
Innerprotestantischer Streit über die reine LehreBemühungen um die LehreinheitKampf gegen den erneuerten KatholizismusDas Ende
9. Das VermächtnisAnmerkungenAbkürzungenQuellen und DarstellungenPersonenregisterCopyright

Einführung

Auf dem Marktplatz von Wittenberg stehen, überlebensgroß in Bronze gegossen, Martin Luther und Philipp Melanchthon.1 Jede Figur erhebt sich auf einem steinernen Sockel und wird von einem neugotischen Baldachin gekrönt, der an frühere Darstellungen von Heiligen in Kirchen erinnert. Vorzüglich bringen diese Monumente das Empfinden des Protestantismus um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck: Jede Gestalt steht für sich, getrennt von der anderen. Aber sie gehören doch gleichberechtigt zusammen, wie die ähnliche Form der Darstellung und auch die Größe der Figuren zeigen. Wer genauer hinsieht, erkennt allerdings auch zahlreiche Unterschiede. Tatsächlich ist das Denkmal für Melanchthon rund 40 Jahre jünger, jüngeren Datums ist dementsprechend auch das gegenwärtige Arrangement des gleichrangigen Nebeneinanders von Luther und Melanchthon.

Das von Johann Gottfried Schadow geschaffene Standbild Luthers gehörte zu den ersten öffentlich aufgestellten Denkmälern in Deutschland, die nicht für Herrscher oder Feldherren errichtet wurden. Es trug dann wesentlich dazu bei, dass danach auch Statuen für Repräsentanten anderer Gesellschaftsschichten errichtet wurden. Darin drückte sich das gewachsene Selbstbewusstsein des Bürgertums aus. In Luther feierte man in dieser Zeit der Französischen Revolution und Napoleons den genialen Menschen, den Befreier von feudaler Willkür und nicht zuletzt die Verkörperung der eigenen Bestrebungen und Ideale. Aber dieses Bewusstsein stand in den deutschen Staaten nicht im Widerspruch zur Anerkennung und Hochschätzung der angestammten Monarchie. Insofern war es keine Inkonsequenz, dass der preußische König Friedrich Wilhelm III. Schadow 1806 den Auftrag für das Denkmal erteilte und dass die Grundsteinlegung am 1. November 1817 sowie die Enthüllung des Standbilds am 31. Oktober 1821 jeweils in Gegenwart von Mitgliedern des preußischen Hofes erfolgten.

Sah diese Generation ihre religiösen, politischen und kulturellen Leitbilder, Zielvorstellungen und Wünsche in der Gestalt Luthers verkörpert, begann man um die Mitte des Jahrhunderts zwischen dem Reformator und dem Erzieher Melanchthon, dem Repräsentanten von Bildung und Wissenschaft, dem „Lehrer Deutschlands“, zu unterscheiden. Daher war es nur konsequent, dass die führenden geistlichen, politischen und bürgerlichen Kreise Wittenbergs seit 1857 für die Errichtung eines Denkmals für Melanchthon warben, das neben demjenigen Luthers aufgestellt werden sollte. Am 19. April 1860, Melanchthons 300. Todestag, erfolgte die Grundsteinlegung. Friedrich Drake, ein Schüler Rauchs, übernahm die Gestaltung. Am 31. Oktober 1865 fand die Einweihung statt, an der auch Prinz Wilhelm teilnahm, der spätere Kaiser Wilhelm I.

Die beiden Statuen veranschaulichen also auf ihre Weise den Wandel in der Beurteilung Luthers und Melanchthons. Die Hochschätzung Luthers wurde niemals in Frage gestellt. Lediglich in der Zeit der Aufklärung und danach in Westeuropa gab es vereinzelte Stimmen, die den kultivierten Gelehrten Melanchthon höher schätzten als den eruptiven und nicht selten grobschlächtigen Luther. Doch das waren und blieben Ausnahmen. Der Streit ging in aller Regel darum, ob man den Magister Philipp dem Reformator an die Seite stellen dürfe–oder ihn nicht vielmehr tief darunter zu platzieren habe. Was auf den ersten Blick als Lappalie erscheinen mag, besitzt doch tiefere Bedeutung. Denn hierbei handelt es sich um nicht weniger als die Frage nach der Eigenart und dem Wesen der Reformation des 16. Jahrhunderts.

Die große Nähe, warme Freundschaft und intensive Zusammenarbeit der beiden Männer spielte fraglos eine wichtige Rolle. Davon wird hier ausführlich zu berichten sein. Aber dazu gehörten auch Ärger und Enttäuschungen, vielfältige Spannungen und Schmerzen. Melanchthon mühte sich, von der Riesengestalt Luthers nicht erdrückt zu werden, sich ihm gegenüber als ein eigener zu behaupten. Luther bewunderte seinerseits die sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten Melanchthons, seine systematische Kraft. Und er vergaß nie den Beitrag, den der jüngere Kollege für den Aufbau des reformatorischen Kirchenwesens in Kursachsen und darüber hinaus leistete sowie seine pädagogischen Verdienste, angefangen bei der Abfassung von Lehrbüchern über die Errichtung von Schulen bis hin zur Reformierung verschiedener Universitäten. Alles das wird uns im Folgenden ausführlich beschäftigen.

Dabei traten die theologischen Unterschiede zwischen den beiden Führungsgestalten der Wittenberger Reformation zunehmend zutage. Man würde Luther ein sehr schlechtes Zeugnis ausstellen, wollte man behaupten, er habe diese Differenzen nicht bemerkt. Aber er gewichtete sie offenkundig anders als viele Theologen damals und später. Man wird dabei kaum von Alternativen reden können. Es handelte sich vielmehr um theologische Akzentuierungen sowohl im Ansatz als auch in der Durchführung. Daraus konnten Bereicherungen erwachsen, aber ebenso Zwist, Reibereien und Streit. Tatsächlich war beides der Fall. Mir erscheint allerdings die Einsicht wesentlich, dass dieses im theologischen Nebeneinander von Luther und Melanchthon angelegte Spannungsfeld zu den grundlegenden Gegebenheiten der Reformation gehört. Wenn es in der Geschichte der Theologie und der evangelischen Kirche nach der einen oder anderen Seite hin aufgelöst wurde, bleibt zumindest die Frage, ob daraus nicht gravierende Verluste für den Protestantismus erwuchsen.

Die kirchengeschichtliche und systematisch-theologische Arbeit lief seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts allerdings zunehmend auf die Aufhebung jener Spannung hinaus. Das „Reformatorische“ wurde an Luther festgemacht, dessen Auflösung und Zerstörung an Melanchthon. Schulbildend wirkte auch in diesem Sinn der einflussreiche Göttinger Theologe Albrecht Ritschl. In seinem Hauptwerk „Rechtfertigung und Versöhnung“ warf er Melanchthon vor, die Großartigkeit und Tiefe von Luthers Rechtfertigungslehre verflacht und dadurch die lutherische Orthodoxie heraufgeführt zu haben.2 Diese Orthodoxie stellte für Ritschl und seine zahlreichen Schüler nicht nur den Inbegriff der Verfälschung der Intention Luthers dar, sondern der Fehlentwicklung der evangelischen Theologie und Kirche in den folgenden Jahrzehnten überhaupt. Ritschl plädierte deshalb für die Abkehr von dieser Tradition und eine umfassende Befreiung des Denkens Luthers von der überkommenen Dogmatik. In seinem Festvortrag zum 400. Geburtstag des Reformators erklärte Ritschl: „In dem Gebiete der Cultur nimmt der Staat die erste Stelle ein. Dem nach ist das Verständnis der christlichen Freiheit durch Luther, diese rein religiöse Idee, der Schlüssel für die Richtung, in welche die weltgeschichtlichen Staaten seit mehr als 300 Jahren als Träger eigenthümlicher Cultur ihren Gang genommen haben.“3 Das Reformatorische, zeitlos verstanden, wurde hier zum Prinzip des modernen Macht- und Kulturstaates.

Karl Holl setzte in seinen seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts überaus einflussreichen Lutherstudien die eminente Hochschätzung des Reformators mitsamt der Aburteilung Melanchthons fort.4 Was Luther dachte, lehrte und schrieb, war das Richtige, das Wahre. Melanchthon setzte demgegenüber angeblich nicht nur andere theologische Akzente oder verfolgte eine eigene pädagogische Zielsetzung, sondern er verfälschte, verdarb: „Melanchthon hat die lutherische Rechtfertigungslehre verdorben.“5 Dabei zielte Holl ebenfalls auf die Hervorhebung der unbedingten Modernität Luthers. Diese richtete sich nun schroff gegen die modernisierenden Elemente des Humanismus und insbesondere gegen die Lutherdeutung von Ernst Troeltsch, der Luthers Theologie weitgehend dem Mittelalter zurechnete: Der Protestantismus jedenfalls bleibe „zunächst in seinen wesentlichen Grundzügen und Ausprägungen eine Umformung der mittelalterlichen Idee, und das Unmittelalterliche, Moderne, das in ihm unleugbar bedeutsam ist, kommt als Modernes erst voll in Betracht, nachdem die erste und klassische Form des Protestantismus zerbrochen und zerfallen war.“6

Die Schüler Holls radikalisierten die Idealisierung Luthers, indem sie insbesondere seine frühen Arbeiten aus dem historischen Kontext lösten und sie zu grundsätzlichen Aussagen erhoben. Die Forschung konzentrierte sich nun auf den „jungen Luther“, und die evangelischen Kirchenhistoriker und Systematischen Theologen begeisterten sich an diesen Gedanken des Reformators, an seinen gärenden Widersprüchlichkeiten, den schroffen Paradoxien, den tiefgründigen Irritationen ebenso wie an den Äußerungen grandioser Überlegenheit und Siegesgewissheit. Auch dabei ging es um die Herausstellung nicht nur der Aktualität der Gedanken Luthers, sondern um die Proklamation seiner zeitlosen Überlegenheit in einer betont ahistorischen Epoche, die sich in der Verachtung alles aufgeklärten und liberalen Gedankengutes gefiel. Gemessen daran bedeutete Melanchthons Theologie nichts. Mehr noch, sie galt bald als oberflächlich, schwächlich–eben humanistisch!

Ernst Wolf hat auf dem Boden der dialektischen Theologie dieses Verständnis Luthers seit Ritschl hart und scharf kritisiert.7 Aber an der negativen Beurteilung Melanchthons änderte sich nichts. Auch das Lutherbild der meisten Vertreter der dialektischen Theologie basierte auf der weitgehend enthistorisierten Konzeption Luthers und der Reformation als einer von den Begrenzungen und Fragwürdigkeiten der historischen Zusammenhänge abgehobenen Quelle der Wahrheit. Wolf errichtete gegen die nun dem Kulturprotestantismus zugeordnete Lutherrenaissance eine regelrechte theologische und historiografische „Ekelschranke“. Diese Theologisierung des Reformators half sicherlich, Verzerrungen und Fehlentwicklungen des Luthertums offen zu legen. Der nationalistische, „deutsche“ Luther ließ sich auf diese Weise überzeugend ad absurdum führen. Doch galt das auch im Blick auf die kritische Reflexion der autoritären Züge in der Theologie des Reformators, seine Proklamationen des Unbedingten, der Kompromisslosigkeit? Wurde diese Eigenart nicht vielmehr verstärkt? Hand in Hand damit wurde jedenfalls das Bild des zögerlichen, ängstlichen, wenn nicht sogar feigen Melanchthon weiterhin tradiert.

Für die Verbreitung dieser Anschauung hat nach 1945 niemand so viel getan wie Heinrich Bornkamms „literarische Redseligkeit“. Er popularisierte zentrale Motive Karl Holls, fand weiterhin in Luther, „dem Helden Deutschlands […] etwas zeitlos Gegenwärtiges“ und bezeichnete Melanchthon als „unheilvollen Verderber lutherischen Geistes“. Dazu passt, dass er ihn auch moralisch herabsetzte.8 Gegen dieses breitenwirksam vermittelte Bild vermochten Darstellungen wie z. B. diejenige von Robert Stupperich oder Peter Meinhold wenig auszurichten.9

Die Voraussetzung dafür, dass sich diese Beurteilung änderte, bildete die Historisierung nicht allein der Reformation, sondern der Theologie Luthers. Erst von dem Zeitpunkt an, als man in ihr nicht mehr den Inbegriff der Moderne sah und das verpflichtende Leitbild schlechthin, bestand die Möglichkeit, Luthers Denken und Tun abgewogen und differenziert zu würdigen. Dasselbe gilt für Melanchthon sowie für das Verhältnis beider Theologen zueinander.

Auch für die heutige evangelische Theologie und Kirche wäre es wohl wichtig, nicht bei der Beschreibung des historischen Beitrags Melanchthons für die Durchsetzung, Ausbreitung und Behinderung der Reformation im 16. Jahrhundert stehen zu bleiben, sondern die von ihm entfaltete theologische Eigenart prinzipiell in Rechnung zu stellen. Es gilt, den an Spannungen reichen Zusammenhang von Luther und Melanchthon ins Bewusstsein zu heben und weiter zu entfalten. Insofern ist es gut und wichtig, dass die Standbilder von Luther und Melanchthon nebeneinander auf dem Marktplatz von Wittenberg stehen–in gleicher Größe, aber voneinander getrennt.

2. Die ersten Wittenberger Jahre

Die Ankunft

Der sächsische Kurfürst Friedrich III., der den Beinamen „der Weise“ trug, hatte die kaiserliche und dann auch die päpstliche Bestätigung seiner 1502 gegründeten Universität Wittenberg erreicht. Bei der endgültigen Teilung des Gebietes der Wettiner (1495) erhielten die Ernestiner zwar den Kreis Wittenberg und damit die Würde eines Kurfürsten, aber die wohlhabende Handelsstadt Leipzig mitsamt der dortigen angesehenen Universität ging an die Albertiner. Zum Wettstreit der beiden verwandten Linien, der die folgenden Jahrzehnte durchzog, gehörte deshalb auch das Streben der Ernestiner nach einer eigenen Universität. 1502 war es so weit. 1512 wurde Martin Luther dorthin als Theologieprofessor berufen. Nicht zuletzt aufgrund seiner sowie Karlstadts und Amsdorfs Anregungen fanden im Frühjahr 1516 und noch einmal im September 1517 kurfürstliche Visitationen der Universität unter der Leitung Georg Spalatins statt, des fürstlichen Hofkaplans und Vertrauten Friedrichs, die in eine ausführliche Besprechung mit den Mitgliedern der Theologischen Fakultät mündeten. Daraufhin beschloss der Kurfürst, mehrere neue Professuren einzurichten, darunter eine für die griechische und eine andere für die hebräische Sprache und Literatur. Um diese Stellen bestmöglich zu besetzen, wandte er sich am 30. März 1518 an den berühmten Gelehrten Johannes Reuchlin und bat ihn um Vorschläge.15 Spalatin, auch Luther, hätten die griechische Professur gern mit Petrus Mosellanus besetzt gesehen, einem erfahrenen Praktiker, der an der Leipziger Universität lehrte. Reuchlin empfahl jedoch mit Nachdruck Melanchthon als den eindeutig besten Kandidaten.16 Für die Stelle des hebräischen Dozenten nannte er Johannes Oekolampad oder den ebenfalls in Basel tätigen Konrad Pellikan. Der Kurfürst berief daraufhin Melanchthon. Hocherfreut informierte Reuchlin seinen Musterschüler über diese Entscheidung. Doch auch ein wenig Wehmut über die anstehende Trennung von Melanchthon mischte sich in diese Mitteilung: „Ich will in diesem Moment nicht in der Sprache der Poesie zu Dir reden, sondern will die Verheißung zitieren, die Gott dem getreuen Abraham gab: ‚Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus und komme in ein Land, das ich dir zeigen werde, und ich werde dich zum großen Volk machen und dich segnen und werde deinen Namen groß machen und du wirst gesegnet sein.‘ So weit Genesis 12. So ahnt mir, und so hoffe ich, wird es Dir ergehen, mein Philipp, mein Werk und mein Trost. Geh also mit frohem und heiterem Gemüt.“17 Den Kurfürsten ließ Reuchlin wissen, dass der junge Professor im Herbst kommen werde, weil er dann mit den Kaufleuten reisen könne, die auf dem Rückweg von der Frankfurter Messe Melanchthons Bücher transportieren könnten. Der Plan wurde jedoch fallen gelassen.

Melanchthon brach bereits Ende Juli nach Wittenberg auf. Knapp vier Wochen dauerte die gut 700 Kilometer weite Reise. In Augsburg, wo sich Friedrich der Weise anlässlich des Reichstags aufhielt, wurden ihm und seinem Gefolge, voran Spalatin, der neue Professor vorgestellt und verpflichtet. Zwei Monate später fand hier das Verhör Luthers durch den Kardinallegaten Cajetan statt und schließlich die Flucht des Wittenbergers am Abend des 20. Oktober. Diese Tage bedeuteten für Luther zweierlei. Zum einen klärte er in dieser Auseinandersetzung seine theologische Position: Nicht der Papst, sondern Christus allein ist der Herr der Kirche; deren Grundlage bildet die Bibel, nichts sonst, und insofern gehören Christus und die Bibel, d. h. Gottes Wort, zusammen; und das hier angebotene Heil wird allein dem Glaubenden zuteil. „Der Glaube aber ist nichts anderes als das, was Gott verheißt und sagt […] Daher sind Wort und Glaube notwendig zugleich, und ohne Wort kann unmöglich Glaube da sein.“18 Das andere Ergebnis der Auseinandersetzungen mit dem päpstlichen Theologen in Augsburg teilte Luther am 18. Dezember 1518 einem Freund in Nürnberg mit: In Rom herrsche vermutlich der Antichrist, von dem Paulus im 2. Brief an die Thessalonicher rede.19 Was hier noch eine Vermutung war, dem anderen gleichsam unter vorgehaltener Hand mitgeteilt, wurde Luther dann zunehmend zur festen Gewissheit. Vor diesem Hintergrund standen Melanchthons Ankunft in Wittenberg mitsamt seinen ersten Aktivitäten.