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Diese Erlebnisse sind es mir wert, zusammengefasst und aufgeschrieben zu werden. Es ist die Geschichte eines Auswanderungsversuchs auf die Philippinen, die Lust auf neues Erleben und Abenteuer, heraus aus der Enge des Alltags in unserem Land. Vier Jahre verbrachte Wolf auf den Inseln, versuchte sich ein neues Leben dort aufzubauen, verliebte sich und schloss viele Freundschaften. Zahlreiche Briefe und Bilder (auch diese hinten eng beschrieben) erreichten die Heimat. Oft kamen mehr als 20 Seiten auf einmal auf dünnem Luftpostpapier. Die Familie und die Verwandten in Nürnberg, München und Frankfurt durften all die Abenteuer detailliert geschildert miterleben, immer mit dem Wunsch „Ihm möge bloß nichts passieren!“ Wolfs Ziel war die Besteigung des Vulkans Pinatubo. Obwohl es dann ganz anders kam, konnte er sein Vorhaben in anderer Form dann doch noch verwirklichen. Das Leben bietet einfach auch viele Überraschungen. Die Autorin Ilse Langer ist ein Familienmitglied des Auswanderers, hat die vielen Briefe und Bilder zusammengetragen und in einer ca. 30 x 30 cm großen Blechschachtel über all die Jahre aufbewahrt.
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Seitenzahl: 106
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Ilse Langer
PINATUBO
Versuche eines Auswanderers
Engelsdorfer Verlag Leipzig 2023
Ich, die Autorin, Jahrgang 1951, habe als Familienmitglied all die Briefe des Auswanderers gesammelt, schon lange mit dem Ziel sie einmal als Reiseabenteuer zu veröffentlichen. Viel Zeit ist seither vergangen. Doch nun konnte ich mein Vorhaben doch noch zu Ende bringen.
Vier Jahre hat Wolf auf einigen Inseln der Philippinen verbracht. Sein Ziel war es für immer dorthin auszuwandern. Doch wie sollte er Fuß fassen, mit welchem Lebensunterhalt beginnen? Anhand seiner Briefe sollen seine Erfolge, Abenteuer, seine neue Liebe sowie die Misserfolge geschildert werden. Und irgendwie soll auch versucht werden das Erlebte lebendig zu erhalten. Die Geschichte zeigt, dass ein Scheitern längst nicht nur als gescheitert gilt, dass das Leben auch immer wieder neue Wege offen hält.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Copyright (2023) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
INHALT
Der Aufbruch
In Chiang Mei
Die Ankunft
In Cebu-City
Die Tops
Ausreise nach Hongkong
Bildteil
Rückkehr nach Cebu
Regenzeit auf Bohol
Ausbildung in Panagsama Beach
Kein Pinatubo
Die Besucherinnen
Neue Ideen
Die Auszeit
Der Versöhnungsurlaub
Das Mietauto
Die Hochzeit
Zweisamkeit in Manila
Der Niedergang
Epilog
Und dann war er tatsächlich weg.
Keiner hatte mehr daran geglaubt. Doch am 4. Januar war es soweit: Frankfurt – Bangkok – Weiterflug nach Manila.
Er hatte oft davon gesprochen, dass er es hier nicht mehr aushält, dass er was ganz Neues anfangen will. Doch wer nimmt so etwas schon richtig ernst. Solche Gedanken und Ideen geben wir bei Stress alle mal von uns. Erst waren die Äußerungen noch unbestimmt, ohne Zielangabe, einfach weg aus diesem Land, den kalten, feuchten Wintern, seinen Grenzen, Vorschriften, Zwängen, Verpflichtungen, weg von diesem unfertigen Leben. – Eine Chance zum Neuanfang! ‚Nicht noch einen Winter!‘, hatte er sich geschworen.
Mutter hatte ihn immer wieder gebeten: „Bleib doch noch! Geh erst, wenn ich nicht mehr da bin!“ Mutter war fast 70 und er blieb auch noch ein paar Jahre, aber Mutter auch. Schließlich hielt er es einfach nicht mehr länger aus. Der Job, das gleichförmige Leben fraßen ihn auf.
Das Geschäft ging eigentlich gut. Aus der Not des nicht vorhandenen Schulabschlusses hatte er sich einen gutgehenden Dienstleistungsbetrieb aufgebaut: Hausarbeiten nach Hausfrauenart. Mit dieser Bezeichnung konnte er selbständig sein und kam keiner Berufsgruppe in die Quere. Er hatte einen treuen Kundenstamm. Alle fanden ihn reichlich schrullig, etwas seltsam bezüglich seiner Arbeitszeiten. Da kam es schon wann vor, dass er die Fenster abends um 10 Uhr putzte oder die Hausordnung am Sonntagvormittag erledigte, was von Bewohnern der Hausgemeinschaften mit Murren bedacht wurde. Aber er ging nun früh lieber zuerst eine Runde schwimmen im Flachweiher, wenn das Wetter schön war. Oder er schlief etwas länger. Der Tag wurde noch anstrengend genug. Im Lauf der Jahre hatte er sich einige kleine Maschinen angeschafft, klein genug um nicht mit den Vorschriften der Auslegung „nach Hausfrauenart“ zu kollidieren. Da er ein sparsamer Mensch war, sich 10 Jahre lang keinen Urlaub gegönnt hatte, kam nun durchaus eine kleine Summe zusammen.
Allerdings musste man absehen von einigen Investitionen in „falsche Freunde“, die ihn immer eifrig bestätigten, aber ansonsten ausnahmen wie eine Weihnachtsgans. Es hatte ihm gefallen, als Geldgeber und Chef eines Autoankaufs- und Reparaturbetriebes zu gelten. Seine zwei Freunde nannten ihn Chef rauf und runter und holten immer wieder Geld ab. Irgendwo außerhalb der Stadt standen tatsächlich ein paar Schrottmühlen auf einem Gelände herum. Nie wurde jemand bei der Arbeit gesehen, nie wurde ein Wagen verkauft. Bis Wolf etwas merkte, war die Erbschaft des Vaters weg und die Ehefrau fand in der Truhe, die einmal die ererbte Münzsammlung enthalten hatte, nur noch Steine zur Täuschung. Dabei hatte er von den Geschwistern extra etwas mehr von dem kleinen Erbe abbekommen, weil er es ja brauchen konnte. So kam er nun nach ca. 10 Jahren Arbeit und dem Verkauf seiner kleinen Maschinen auf ca. 30.000 DM Startkapital, in einem weniger entwickelten Land keine schlechte Summe für den Anfang. Allerdings stellte sich die Frage: Wo wollte er überhaupt neu anfangen? Natürlich sollte alles auch einen Schuss Abenteuer enthalten. Da waren die Philippinen eine naheliegende Idee. Kam doch seine inzwischen getrennt lebende Ehefrau von dort, so dass es auf den Inseln deren Verwandtschaft als Anlaufstelle gab.
Die Ehe war schon nach kurzer Zeit schief gegangen. Mit Freundinnen hatte er nie längere Beziehungen unterhalten oder sie nicht mit ihm, denn die Frauen fanden ihn, wie gesagt, schnell etwas seltsam: etwas stark esoterisch abgehoben, seine Ideen nicht für jedefrau verständlich. Er hörte in seinen Kreisen von der Möglichkeit eine Braut aus dem Fernen Osten per Katalog zu bestellen. Diese Frauen wurden als besonders anschmiegsam und treu geschildert. Einige Briefe hatten bereits den Weg von und nach Thailand gefunden; es gab Fotos einer Frau. Da kam von der Agentur die Meldung: Frau zweiter Wahl in der Agentur bei Frankfurt günstig abzuholen. Es handelte sich um eine Filipina, die schon hier war, die das Leben im Haus der angehenden Schwiegermutter nicht ertragen hatte, noch schnell aus Wut die Vorhänge dort zerschnitten hatte und dann in die Agentur geflüchtet war. Wolf machte sich in Anzug und Krawatte und mit Rose auf den Weg. Die verschreckte Blume aus dem Fernen Osten fand Gefallen an ihm und er an ihr. Er blätterte die geforderten 4000 DM hin und nahm die Frau gleich mit. Dank der umtriebigen Mutter war alles weitere schnell geregelt: Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung, gemeinsame Wohnung für die beiden, Hochzeitstermin und Einbürgerungsantrag. Die fernöstliche Blume war froh über den Traummann, der ihren Vorstellungen komplett entsprach: groß, blond, liebenswürdig und deutsch. Genau aus diesen Gründen hatte sie in ihrem Heimatland auf die Anzeige am Schwarzen Brett der Uni reagiert. Sie sah die große Chance aus der engen Familie, den einfachen Verhältnissen herauszukommen, der Familie zu helfen. Sie brach ihr Lehrerinnenstudium ab und ließ sich vermitteln.
Leider brachte der Alltag die weniger liebenswerten Eigenschaften des Traummannes bald an den Tag: halb leer gegessene Kochtöpfe mit Körnern unter dem Bett, unverhohlenes Rülpsen und Einiges mehr. So verblichen die fantasievollen Hochzeitsfotos bald im Album und nach vier Jahren war der Traum vorbei. Die Frau zog aus. Sie hatte sich inzwischen an das Leben in Deutschland gewöhnt, sprach und schrieb fehlerfrei deutsch, hatte einen guten Job im Büro. Nach Hause wagte sie sich nicht, denn dort hätte sie nach der Trennung als gescheitert gegolten. Sie unterstützte die zahlreichen Familienmitglieder in der Heimat so gut es ging finanziell.
Für Wolf war diese Verwandtschaft nun ein brauchbarer Ankerpunkt. Er hatte Kontakt aufgenommen. Beide Seiten versprachen sich gewisse Vorteile voneinander und waren abgesehen vom monetären Blickwinkel neugierig aufeinander.
Der Termin stand fest, das Abenteuer konnte beginnen.
Nun war er tatsächlich weg. Mutter machte sich natürlich Sorgen. Doch die Geschwister waren vor allem erleichtert. Der jüngste Bruder mit seinen schwierigen Charakterseiten, seinen ungewöhnlichen Ansichten war für eine ganze Weile außer Reichweite.
Zwar hatten sie sich damals im Alter von 7 und 9 Jahren auf die Frage der Mutter „Geschwisterchen oder Auto?“ für das Lebewesen entschieden, das dann prompt 11 Monate später geliefert wurde, doch gestaltete sich die Realität von Anfang an nicht ganz leicht. Die Probleme begannen bereits im Krankenhaus. Der kleine Bruder war ein großer, kräftiger Säugling (9 Pfund, 51 cm), machte sich aber bei den ersten Wickelversuchen der Schwestern etwas steif, so dass der Verdacht auf Anfälle aufkam und der Kleine einige Wochen zur Beobachtung dableiben musste. Die Überwachungen führten zu keinen Ergebnissen, außer dass der Junge von klein auf einen unerschütterlichen Dickkopf bewies. Er schlug lieber den Kopf an die Wand oder schrie bis er violett anlief und keine Luft mehr bekam, statt nachzugeben. Die Erziehungssituation war bestimmt nicht einfach. Da war die Mutter mit der traditionellen Erziehung. Da war der besonders brave Bruder, der dem Kleinen alles beibrachte, was er sich selbst nie getraut hatte. Dann war da die große Schwester, die einmal Lehrerin werden wollte und bei dem Jüngsten ein breites Feld für eigene, alternative Erziehungsmethoden vorfand. Der Vater war mit Geldverdienen beschäftigt. Als die Mutter an ihrer Erziehungsaufgabe fast verzweifelte, wandte sie sich hilfesuchend an eine Beratungsstelle. Nach eingehenden Untersuchungen und Tests des Buben erhielt sie die Auskunft, dass der achtjährige Junge für sein Alter besonders intelligent sei und locker Aufgaben der Altersstufe 13 gelöst habe. Das war schön, nützte jedoch im Alltag wenig, außer dass Mutter eine Erholungsmaßnahme des Müttergenesungswerks bekam.
Wochen vergingen. Niemand hörte von Wolf. Nach fast drei Monaten kam die Nachricht geballt auf 34 Seiten eng beschriebenem Luftpostpapier mit Tagebuch ähnlichen Schilderungen und Farbbildern von zwei entwickelten Filmen, die hinten drauf alle erläuternd beschrieben waren.
Wolf hatte im Vorfeld Kontakte mit einer ThaiMassage-Schule geknüpft. Er wollte die dreimonatige Aufenthaltsgenehmigung in Thailand nutzen um eine Ausbildung als Thai-Masseur zu machen und danach seine Kenntnisse auf den Philippinen anwenden.
Als er in Bangkok ankam, blieb er vorerst einige Tage um wie ein ganz normaler Tourist die Sehenswürdigkeiten kennenzulernen, sich an das Klima und die Lebensgewohnheiten dort zu gewöhnen, zu lernen mit den Verkehrsmitteln, dem Telefonieren, dem Essen und natürlich den Leuten zurechtzukommen. Er stellte fest, dass man in Thailand als Tourist gut geschützt ist, da es dort eine extra Touristenpolizei gibt, die für die Sicherheit der Fremden sorgt. Er musste erkunden, wie man von Bangkok am besten ins Landesinnere nach Chiang Mei kommt, wo das Ausbildungszentrum zu finden war. Offensichtlich war da die Bahnlinie die beste Verbindung. Er kaufte sich ein Billet hin und zurück und bestieg nach zwei Wochen Bangkok den Zug.
Die Fahrt ging durch ungewohnte Landschaft vorbei an Reisfeldern, Ananasplantagen, einfachen Dörfern, hinauf ins Bergland und dauerte 36 Stunden. Im Ausbildungszentrum erfuhr er, dass er im Camp Unterkunft finden könnte, dort eine Wohnung mit einem Holländer, einem Amerikaner und einem Engländer aus Hongkong teilen könnte. Die anderen drei waren schon eine Weile da. Die Sache ließ sich gut an, endlich war er unter Gleichgesinnten.
In der Schule konnte er sich als echter Student fühlen, was ihm bisher im Leben nicht vergönnt gewesen war, da er wegen der abgebrochenen Schule nie so weit gekommen war. Seine Lehrer hatten ihm immer eine überragende Intelligenz und große Fantasie bescheinigt, aber leider nie den nötigen Lerneifer. Schule war uninteressant, Fantasyspiele und Treffen dieser Art waren Wege aus dem Alltag und dessen Anforderungen auszusteigen. Erst ging er manchmal nicht mehr hin in die Schule; schickte der Klassenleiter einen Brief an die Mutter, ging Wolf lieber zum Vater, schickte die Schule einen Brief an den Vater, ging er lieber zur Mutter. Die Eltern waren inzwischen geschieden. Die Klasse wurde wiederholt, der Lerneifer steigerte sich nicht. Wolf ging an einem schönen Tag lieber schwimmen als zur Schule. Dann ging er gar nicht mehr. Die Lehrer teilten den Eltern mit: Er muss nur kommen, dann bekommt er auch seinen Abschluss. Aber er kam nicht.
Doch nun war er endlich Student. Lernangebot und Ideologie bildeten für ihn eine Einheit. Fünf Tage in der Woche gab es Vorlesungen über Anatomie, Übungen zu Massageeinheiten mit den dazugehörigen Erklärungen, was sie bewirken und die passende Ernährung. Die ganze Ausbildung war an ein buddhistisches Kloster angeschlossen und war finanziell erschwinglich. Thai-Massage hat einen ganzheitlichen Ansatz. Sie beginnt mit dem Sensibilisieren des Körpers durch Kneten der Fuß- und Fingerspitzen, dann läuft sie stetig auf das Zentrum zu. Es handelt sich um wohldosierte Einheiten von Yin und Yang. Bis der Körper einmal vollständig bearbeitet ist, vergehen mehr als zwei Stunden. Besonders gut gefiel ihm die Katze-Kuh-Übung. Dabei wird der Körper gedehnt mit einem hellen, neugierigen „miau“ und wieder eingerollt mit einem dunklen, langen „muh“.
Niemand brauchte sich um sein Essen selbst zu kümmern. Ernährungslehre gehörte mit zur Ausbildung. Schon lange hatte Wolf für makrobiotische Ernährung geschwärmt und auch versucht danach zu leben. Doch hatte er es im Alter von 17 Jahren mit der Intensität so stark übertrieben, so dass er zur Zwangsernährung im Krankenhaus landete, nachdem er versucht hatte, wie die ganz großen östlichen Weisen nur noch von Licht und Energie zu leben und auf Nahrung nahezu und auf jegliche Fette ganz verzichtete. Außerdem war seine eigene makrobiotische Ernährung immer etwas spärlich ausgefallen. Er hatte sich jeden Tag einen Topf Körner mit etwas Gemüse zweiter Wahl aus dem Grünen Laden gekocht, hatte allen rohen Früchten gänzlich abgeschworen. Doch nun gab es makrobiotische Leckerbissen in einer Ideenvielfalt ohne viel Anstrengung und lange Überlegung. Diese Speisen sprachen auch die Augen an.