Piotr, der Zwangsarbeiter - Rozalia Wnuk - E-Book

Piotr, der Zwangsarbeiter E-Book

Rozalia Wnuk

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Beschreibung

Der Roman erzählt vom Leben des jungen Piotr, der voller Hoffnung auf ein erfülltes Leben in seinem polnischen Dorf, vom Krieg und seinen Folgen zerstört wurde. Nicht nur er, die ganze Familie dieses Jungen, der als Zwangsarbeiter in die Pfalz verschleppt wurde, hatte fürchterlich im Krieg und auch noch nach dem Krieg zu leiden,...bis zu seinem frühen Tode, im Alter von nur 27 Jahren, in Trier. Einer beschaulichen deutschen Stadt, in der er nicht nur die Liebe seines Lebens fand, sondern auch den frühen Tod. Durch den sinnlosen Bau einer Panzerstraße für die Besatzungsmächte, die eine Firma mit dem Bau beauftragte, deren Chef ein ehemaliger Nazi war, der keinen Respekt für das Leben der ausländischen Arbeitskräfte zeigte, und es zum tödlichen Unfall kam, für den er von Seiten der Staatsgewalt, nie zur Rechenschaft gezogen wurde, obwohl er Bauverbot hatte. Auch noch nach dem zweiten Weltkrieg. Der Roman erzählt aber auch sehr humorvoll, mit wieviel Hoffnung und Sehnsucht, selbst das Schrecklichste an Geschehen einen Menschen stärken kann, wenn er liebt. Die Hoffnung stirbt eben doch, zuletzt. Mit Piotr ist die Hoffnung auf Gerechtigkeit für seine junge Frau, die nach seinem Tode zurückblieb und ihre beiden kleinen Mädchen, zu früh gestorben.

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Piotr, der Zwangsarbeiter

TitelVorwortKapitel 1Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 5Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Schluss

Titel

Piotr, der Zwangsarbeiter

Roman von Rozalia Wnuk

Erscheinungsjahr: 2017

Vorwort

VorwortDieses Buch ist allen Müttern und Vätern gewidmet, die, in egal welchem, doch immer einem sinnlosen Krieg, ihre Töchter und Söhne beweinen mussten und müssen.   Dieses Buch ist allen diesen Töchtern und Söhnen gewidmet, die ein Recht gehabt hätten zu leben, hätte es nie einen Krieg und seine Folgen gegeben.

Kapitel 1

>>Du weißt schon, dass Bolek noch mit dem Wagen kommt und uns helfen will, das geschlagene Holz abzufahren?<< - >>Ich weiß, Mama sagte es mir und, dass wir uns beeilen sollten, weil es zusehends kühler wird. Bevor der Winter kommt und der erste Schnee fällt, müssen wir die Schober voll mit Brennholz haben. Außerdem muss alles Holz, was wir für den Ausbau der neuen Kirche zur Verfügung stellen, geschlagen und eingefahren sein. Es braucht ja auch seine Zeit. Da gehen sicher noch ein paar Monate drauf, bis es gut getrocknet im Sägewerk verarbeitet werden kann! Haben die Helfer schon einen Zeitplan aufgestellt, wann es mit dem Ausbau des Dachstuhls losgehen sollte?<< Der junge, für die Zahl an Jahren körperlich starke, zwölf jährige Piotr, steht an einem duftenden jungen Fichtenstamm gelehnt im Familienwald, die Axt leger am Körper angelehnt, während er mit seinem nur zwei Jahre älteren Bruder Edward den zukünftigen Schlag ihres Holzes aus dem eigenen Waldbestand besprach.

Ein Eichelhäher äußerte keckernd seine Zustimmung zu ihrem Gespräch und sparte nicht mit lautem Gekrächze. Edward, der mit dem Entfernen der Äste an den Baumstämmen kurze Zeit inne hielt, gesellte sich neugierig zu seinem Bruder und lehnte sich nun seinerseits an den Baumstamm, um Näheres über das geplante Vorhaben der kleinen Dorfgemeinde zu erfahren. Doch auch Piotr hat mehr Fragen dazu als Antworten und vertröstete seinen Bruder.

>>Alles zu seiner Zeit! Warten wir es ab und helfen, so gut wir können! Jetzt ist erst einmal wichtig, dass wir die Hölzer herein bekommen!<< Darin waren sich die beiden Brüder durchaus einig. Denn ohne die anderen am Bauprojekt Beteiligten konnten sie ohnehin nichts genaues wissen. Und deshalb wurde das Gespräch kurzerhand auf später verschoben. Immerhin hatten die beiden so eine kleine Verschnaufpause, um dann mit dem Entasten, der für sie bereits geschlagenen Bäume, fortzufahren.

Noch war es lau und ein herbstlich schwüler Wind säuselte durch den, überwiegend aus Fichten, hin und wieder durch vereinzelt stehende Buchen und Birken unterbrochenen, Wald. Die Wege waren durch den letzten Regen aufgeweicht und gelegentlich schwirrten Mückenschwärme, aufgescheucht durch die Arbeit der jungen Burschen, hoch, sobald sie sich in der Nähe eines dieser nassen Tümpelchen und Brutstätten der Komare, der Stechmücken, befanden. Gerade weil neben den Waldstücken noch kleinere moorige und sumpfige Wiesenstückchen verliefen, die diesen lästigen Waldbewohner hervorragend Nahrung und Brutplätze boten, konnte man sie ohne Zweifel als Plage bezeichnen. Alles trockenlegen möchten diese Waldbesitzer auch nicht, um ein natürliches Biotop zu erhalten und das ökologische Gleichgewicht dieser Landschaft nicht zu zerstören. Schnell wie Pfeilgeschosse stürzten sich die aufgebrachten Mückenschwärme, bereit zum gemeinsamen schmerzhaften Angriff auf ihre Opfer, um an ihnen Rache für die Störung zu nehmen.

Nur allzu leicht konnten sich Stiche dieser aggressiven Stechmückenart entzünden und sogar zu ernsthaften Erkrankungen führen. Schnell rissen sich die jungen Burschen einen Fichtenzweig von den Bäumen und wedelten damit die lästige Gesellschaft, die ständig kreisend sich um ihrem Kopf herum bewegte, davon.

>>Es dürfte schwierig werden, mit dem beladenen Pferdegespann durchzukommen.<< Meinte Edward. >>Nützt nichts, wir schaffen so viel wie möglich nach Hause! Sollte es noch einmal so einen starken Regen geben, haben wir schon einen kleinen Vorsprung geschaffen.<< War Piotrs Antwort auf die Sorge seines Bruders.

Sie spürten klopfende Geräusche auf dem Fichtennadel durchtränkten Waldboden und schon leise hörten sie den trappelnden Hufschlag im Unterholz, der zu einem herannahenden Pferdewagen gehörte. Auf halber Höhe des aufgeweichten, sandigen Waldweges meinte der Wagenführer zu seinem Sohn: >>Ach wie freue ich mich dass wir heute nach getaner Arbeit am Abend einen schönen Tanz aufführen dürfen, Bolek. Ich wäre froh, das Holz läge schon verstaut und trocken im Schuppen. Dass du natürlich darauf achtest, die besten Hölzer für mich zur Seite zu legen, um sie beim Dachbau für die Kirche benutzen zu können, darauf vertraue ich. Die Innenausstattung einer solchen Holzkirche muss besonders gemütlich wirken, damit wir Gläubigen uns im Gotteshaus wohlfühlen. Besonders in unseren kalten Wintern brauchen wir so eine heimelige Atmosphäre.

Nur gut, dass wir den Neubau endlich bekamen. Lange genug sind wir doch in die Kirche der Nachbargemeinde Ostrówek marschiert, nur um unserem Herrn nahe zu sein. 600 Jahre lang ohne eigenes Gotteshaus zu sein, obwohl wir doch schon lange eine eigene, große Gemeinde waren, war schon eine Zumutung. Jetzt können wir die Messen in unserem kleinen Dorf selbst halten und müssen nicht mehr bei Eis und Schnee kilometerweit laufen!

Ja, wie Mutter sich bei der Einweihung 1924 freute, als wir nur noch vom Fluss heraufkommen mussten und praktisch schon am Wegesrand in ein neues Gotteshaus gehen konnten. Ich werde dafür sorgen, dass der Dachstuhl besonders gut ausgearbeitet wird, damit er eine lange Lebensdauer hat. So ordentlich und handwerklich massiv, wie der von mir gebaute Beichtstuhl soll er werden. Kannst du junger Mensch das nachfühlen? Wir sind einfach stolz darauf, endlich eine eigene Kirche und einen eigenen Pfarrer bekommen zu haben. Stetig haben wir seit dem neuen Jahrhundert alle Hebel in Bewegung gesetzt, um endlich eine eigene selbstständige Gemeinde zu werden. Und dazu gehört eine Kirche und ein Priester.<<

Den Erklärungen, die der Vater abgab, seine Aufmerksamkeit schenkend, kamen die beiden an das kleine Wäldchen, in dem Piotr und Edek schon die Bäume bearbeiteten und zum Abtransport vorbereiteten. Edek war dabei, noch einige Stämme zurechtzurücken, als Bolek und Władysław mit dem Gespann eintreffen.

>>Ah, da seid ihr ja.<< Rief Piotr den Ankommenden zu.

>>Und schaut mal, wen ich mitgebracht habe?<< Brüllte Bolesław ihnen entgegen. >>Prima Papa, dass du Zeit fandest mitzukommen. Dann bekommen wir noch mal so viel geschafft! Bist du denn schon mit dem Einbringen der Kartoffeln fertig?<< - >>Ja gewiss. Ich hatte doch reichlich Hilfe dabei. Wozu sonst habe ich so prachtvolle, starke Jungs in die Welt gesetzt?<< - >>Ha ha, du und in die Welt gesetzt, das war ja dann wohl eher unsere Mutter! Ist sie jetzt ganz alleine zu Hause mit der vielen Arbeit bei den Tieren?<<

>>Nein, Anna ist schon von der Gemeindearbeit zurück und hilft ihr. Sie wird heute nicht mehr allzuviel machen müssen. Eure Brüder und eure Schwester helfen doch fleißig, wo sie nur etwas Zeit finden. Julian war heute nicht unterwegs und hat die Kühe schon gemolken und wieder auf die Weide geführt. Und Jożef hat die Uniform an den Nagel gehängt und ist mit dem Heuschober fertig. Deshalb können wir bestimmt zusammen Abendessen! Bevor wir zum Dorffest gehen, würde ich noch gerne einen Abstecher zur nahen Kirche machen, weil ich etwas nachmessen muss. Das wird ein Fest werden! Die ganze Familie ist zusammen. Stolzer könnten eure Eltern heute nicht auf euch sein! Dafür danke ich euch, meine Kinder! Vergesst nicht, dass euch Burschen heute Abend, wenn zum Tanz aufgespielt wird, die Dorfschönheiten zulächeln werden. Also benehmt euch und macht uns keine Schande! Jede Familie wird zu Essen und zu Trinken mitbringen, wie das Tradition ist und danach könnt ihr die Bretter des Tanzbodens zum Wackeln bringen.

Ich werde mich zurückhalten, gemessen am Zustand eurer Mutter. Wenn wir uns als Familie alle zusammen am Ausbau der hölzernen Verkleidung des Dachstuhls und des Innenausbaus für die Kirche beteiligen möchten, gibt es genügend Gesprächsstoff. Der Abend kann sich also hinziehen!<<

>>Wissen die Dorfbewohner schon, dass nur unsere Familien an dem Projekt arbeiten wollten?<< - >>Mein Vater, meine Brüder und ich, sowie die Cousins der Familien aus dem Dorf und der Umgebung sind bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Ihr beiden, du und Piotr, seid mir zu jung, um auf dieser Höhe zu arbeiten und dürft allenfalls Hilfestellung leisten. Es sollte ein Familiengeschenk werden, das für Generationen erhalten bleibt! Was wir an Holz übrig haben werden, verbaue ich wieder zu etwas Schönem. Wie etwas aussehen soll, wenn ich ein Stück Holz anschaue, davon habe ich ganz schnell eine genaue Vorstellung. Immerhin braucht die Gemeinde nach Fertigstellung des Innenausbaus alle möglichen Heiligenfiguren. In den Beichtstuhl konnte ich oben hinein meinen Namen eingravieren und das Jahr der Herstellung, damit man im Dorf immer weiß, dass hier Władysław Lato gearbeitet hatte.

Wenn ich andere Gegenstände für die Gemeinde machen kann, versuche ich auch, meinen Namen hinein zu schreiben. Denn ich will gerne dafür sorgen, dass etwas von mir erhalten bleibt. Irgendwie. Aber zum Glück, bleibe ich auch in meinen Kindern erhalten! Mit dieser Spende hat die Gemeinde dann noch einen Schatz aus unserem eigenen Waldstück, der sie nichts kostet.

Ach, dass eure Urgroßeltern uns so schnell verlassen mussten. Das schmerzt schon, so kurze Zeit hintereinander zwei liebe Menschen zu verlieren. Irgendwie blieb keine Zeit, den Tod des Großvaters zu betrauern, weil die Großmutter schnell darauf erkrankte. Alle Gebete und Messen haben nichts geholfen. Wer weiß, ob im letzten Winter, in dem es selbst für unsere Breiten zu frostig war, nicht schon der Grundstein für ihre Leiden gelegt wurden? Ach, ich vermisse meine Großeltern schon sehr. Dies muss ich auf meine alten Tage von fast fünfzig Jahren doch zugeben. Auch deshalb ist es nun an der Zeit, dass wir uns unsere eigene Kirche besonders hübsch ausstaffieren. Ich bin nur froh, dass der Gemeinderat endlich ein Einsehen hatte. Wie wir die Arbeitsaufteilung machen, während der Hof weitergeführt werden muss, darüber reden wir, sobald die im Sägewerk die ersten brauchbaren Balken gemacht haben. Schärft schon mal alle eure Werkzeuge, damit es zügig vorangehen kann und wir nächstes Jahr Weihnachten schon die herrlichen traditionsreichen Choräle, von unseren Frauen gesungen, darin erklingen hören!<<

>>Das war ein langer Vortrag, Papa! Ich bin sicher, dass du von allen Hilfe erhalten wirst. Die tüchtigsten Männer werden dir und Großvater zur Seite stehen. Deine Cousins und Freunde sind fleißige Leute. Natürlich helfen wir wo wir können, damit das Projekt 'Lato' zügig fertig wird! Ich bin zuversichtlich, dass es ein gutes Projekt wird! Und deine Trauer über den Tod unserer Urgroßeltern kannst du dann auch abarbeiten! Arbeit ist das beste Mittel gegen die Trauer und das Vergessen!<<

>>Ach Piotr, wenn alles so einfach wäre. Niemals darf man vergessen, dass diese lieben Verwandten unser Dorf mit aufgebaut hatten. Meine Großeltern waren durchaus sehr tatkräftige Leute hier und sehr in die Gemeindearbeit eingebunden. Und nun fehlen sie und können das große Ziel nicht miterleben. Auch dies finde ich so traurig.<<

Die Gespräche drehten sich nur noch um den Ausbau der Kirche, die in diesem kleinen polnischen Dorf, Leszkowice, vor nur wenigen Jahren erbaut worden war. Die ganze Familie Lato war damit beschäftigt, sich mit dem eigenen Holz und ihrer Arbeitskraft zu beteiligen. Mutter Rozalia und Tochter Anna sollten mit deren Brüdern, Julian und Jożef, den Hof weiterführen. Während die anderen Familienmitglieder damit beschäftigt waren, aus schönen schlanken Fichtenstämmen brauchbare Bretter und Balken für den Innenausbau des Kirchendachstuhls zu fertigen, würden Władek, sein Vater und seine größeren Söhne diese im Dachstuhl anbringen. Sofern sie keine Schüler waren.

Die starken, fleißigen und praktischen Burschen wurden zwar mit wenigen Jahren Abstand hintereinander geboren, aber zwei von ihnen waren noch im Teenageralter und mussten deshalb auch die Schulbank drücken. Was für die schnellen und neugierigen Söhne Władeks kein Problem darstellte, da sich die Schule genau zwischen dem Elternhaus von Władysław und dem Wald befand, sparte man doch enorm viele Wege und somit, Zeit. Der Kirchplatz lag unmittelbar neben dem Elternhaus und die Schule nicht weit entfernt davon.

Das Wohnhaus von Władysław und seiner Familie lag etwas entfernt, am nahe gelegenen Fluss Wieprz.

Schon eine gewaltige Aufgabe, die sie sich stellten. Aber als katholische Polen schreckt man nicht davor zurück, wenn es darum geht, einen frommen Einsatz zu leisten. Auch wenn das Privatleben dafür zu kurz kommt und es ein Mammutprojekt werden soll. Hier wurde die ganze Familie in das Projekt Koscioł, Kirche, eingespannt.

Endlich war alles Holz geladen und die schweren Eisenketten um dieses herumgeschlagen und festgezurrt, damit die enorme Fuhre sicher durch den Wald kam und ihren Zielort erreichte. Die jungen Burschen hangelten sich auf die schon aufgeladenen Stämme obendrauf, die Beine im Reitersitz darum geschlungen um sich so auf ihnen sitzend fest zu halten, bis die Ladung am Zielort ankam. Das Gespräch der vier drehte sich nur um die bevorstehende schwere Arbeit; - den Innenausbau der eigenen Dorfkirche.

Damit das Pferdegespann die schwere Last auf den durchgeweichten Arbeitswegen durch den Wald bis zum Besitzer der großen Säge, in der Nähe des in Ostpolen gelegenen Dorfes, nahe der östlichen Grenze Westeuropas, ziehen konnte, war viel guter Zuspruch an die fleißigen alten Gäule nötig. Am Haus des Sägewerks angekommen, waren wieder etliche gemeinschaftliche Handgriffe nötig, das vorbereitete Holz an Ort und Stelle zu lagern, damit es dort verarbeitet werden konnte. Gemeinsam und zügig entluden und schichteten die Männer die wertvollen Hölzer und markierten sie mit dem Familienzeichen der Latos.

Außerdem mussten die noch hervorstehenden Astknoten abgehackt werden. Danach erst konnten die großen Sägeblätter daran arbeiten, um herzustellen, was gebraucht wurde. Nämlich, feine glatte Bretter und Bohlen für den Dachstuhl ihrer Kirche. Einige der nicht so gut gewachsenen Stämme wurden mit nach Hause genommen, um dann gehackt, als Winterbrand für den Ofen gelagert zu werden.

Nach diesem schweren Tagwerk ging die Fahrt des Pferdewagens in Richtung Fluss hinunter. Endlich zu Hause, wo schon eine kräftig dampfende Suppe auf alle wartete. Rozalia hatte mittlerweile mit Hilfe ihrer hübschen erwachsenen Tochter Anna den Tisch für nunmehr acht Personen gedeckt. Reichlich geschnittenes Brot, einen dicken Teller gewürfelten Schinken und gekochte Eier dazu gestellt. Nachdem sich alle Waldarbeiter gewaschen hatten, sprachen sie, um den Tisch herum sitzend, das Tischgebet. Danach wurde der große Topf mit Żurek auf den Tisch gestellt, der mit großem Heißhunger erwartungsvoll angeschaut wird.

Jeder nahm sich von den aufgeschnittenen Schinkenwürfeln, streute sie auf die aufgegossene, glühend heiße Suppe auf seinem Teller, obenauf noch einige gekochte Eierscheiben. Eine große Scheibe dunkel gebackenes Brot in die Hand zum Aufstippen und schnell wurde der Suppentopf geleert. Mit dankbarem Blick zur Mutter und Schwester und einem herzlichen, ehrlichen 'Dziękuje', Dankeschön, wurde die Mahlzeit beendet. Bevor aber der Tisch verlassen wurde, durfte nun noch ein Gläschen Wodka nachgegossen werden. Davon machte nur der Hausherr Gebrauch.

Aber dafür mit dem größten Vergnügen. Der Tisch wurde gemeinsam abgeräumt. Mutter und Tochter spülten zusammen das Geschirr ab, plauderten über das Tagesgeschehen des Dorflebens und das galt als Signal für die Männer, dass nun jeder nach seinen Neigungen, zum gemütlichen Teil des Abends übergehen konnte.

Heute war dieser Abend allerdings ein wenig anders, denn es war ein Tanzabend angesagt, der als Planungsabend getarnt, der großen Dorfkirmes vorausging. Der Abend, an dem alles vorbereitet wurde für den morgigen Samstag, an dem sich nur um die Familie und das Vieh gekümmert wurde. Am Sonntag, nachdem die Tiere des Hauses als versorgt galten und nach der anschließenden Messe, wurde das Hauptfest eröffnet, an dem zu Spiel und Spaß aufgerufen wurde.

Wie immer standen die Männer des Dorfes auf dem Kirchhof zusammen und beratschlagen, wie man demnächst mit dem Innenausbau des Dachstuhls vorgehen sollte. Władysławs Vater, Jan Pawel, und seine Cousins standen um ihn herum und er organisierte die Arbeitseinteilung. Damit keine Familie ihre landwirtschaftlichen und der Gemeinde gegenüber verpflichtenden Arbeiten auszuführen beeinträchtigt wurde, brauchte es das gemeinsame Gespräch. Lehrer, Priester und Polizist des Ortes waren genau so eingeteilt, sofern sie zur Großfamilie Lato gehörten. Jemand aus der Runde ließ schon eine kleine Flasche Wodka rundgehen, um den erfolgversprechenden Festsonntag mit seinen Nachbarn zu begießen.

Die Frauen des Dorfes zogen, geschmückt mit regionalen Trachten, schwarzen Röcken und Westen, weißen Blusen, weißen Schürzen mit herrlichen Blumenmustern darauf gestickt, bunten Kopftüchern und Schultertüchern mit langen roten Fransen und, natürlich den obligatorischen roten Holzperlenketten zum Festplatz, um die nötigen Vorbereitungen zum Festschmaus zu treffen. Dabei schwangen sie im Gehen ihre Röcke bezaubernd hin und her und sangen traditionelle Lieder. Begleitet wurden sie von den Spielmannsleuten, die somit den noch zu Hause Gebliebenen kundtaten, dass das Fest begann. Die Kinder und Jugendlichen von Leszkowice trugen oder fuhren auf Karren, aus Weizenähren und Stroh geflochtene Kronen. Fußgruppen mit bunten Blumensträußen und Bändern in vielerlei Farben, schlossen sich dem munteren Zug an und ein frisches Plaudern in jugendlicher Manier, mischte sich respektlos in die traditionellen Gesänge hinein. Sie freuten sich vor allem auf die Spiele, den Tanz und eventuell sogar auf die harmlosen Spiele des Flirtens zwischen Jungen und Mädchen, das schon früh geübt werden durfte.

An der geschmückten Festscheune angekommen, eröffnete ein bunter Folklore Reigen den Tanz, während die nicht so Tanzwütigen, die Älteren oder Schwangeren, so wie Rozalia, in der Gemeindescheune verschwanden, um das mitgebrachte Essen vorzubereiten. So langsam kamen auch die Männer angetrudelt und halfen in galanter Art den Frauen bei der schweren Arbeit. Der Folklore Tanzkreis zeigte die einstudierten Tänze.

Kaum waren sie aber von der Tanzfläche herunter, stürmte sogleich schon die Jugend unbändig auf die Bretter des Frohsinns. Bis zum Mittag fanden schon einige der jungen Leute zusammen und bildeten Paare. Ein himmlischer Frieden vermittelte dieses Fest, mit Freude am Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft, und den neuen Erfahrungen, welche die Jugend des Ortes machen durfte.

Ich kann dir verraten lieber Leser, dass sich aus der von mir vorgestellten Familie, Anna und Jożef besonders abhoben. Denn aus dem Flirten der vergangenen Feste wurde bei ihnen Liebe. Bei so viel Vertrautheit zwischen den Paaren merkte man, dass sie sich schon länger einig waren. Heute, an diesem wunderbaren sonnigen Herbsttag, saßen sie mit ihnen bei der versammelten Familie, zeigten auch dem Dorf ihre Zugehörigkeit zu ihr und dass sie die Absicht hegten, sich zu binden.

Zunächst einmal läutete der Priester mit seiner großen Schelle und bat zum Tischgebet. Wunderbare Düfte durchzogen die Luft. Verschiedene Leckereien wurden angeboten. Vom traditionellen Żurek, bis zu Bigos, Pierogi in verschiedenen Varianten, und natürlich Fisch und Fleischgerichte in Hülle und Fülle. Gemüse und Salatschüsseln überhäuften die Tische und Würste, wunderbare polnische Würste in mannigfacher Gestaltung. Sowie vielerlei hübsch dekorierte kleine Törtchen, in fingergerechte Stücke geschnitten. Und natürlich viel Tee wurde dazu getrunken.

Hier fehlte heute nichts. Der Bürgermeister hatte die gegrillte Sau gespendet, die stückweise auf dem Rost schmorte.

Die Gläser klirrten und jeder langte genüsslich und dankbar zu. Die frisch verliebte Anna beschloss mit ihrem Marian, sobald es in den nächsten Tagen einen tüchtigen Regen gab, sofort danach in den Wald in die Pilze zu gehen. Es wurde Zeit Pilze zu sammeln, um sie für den Winter einzukochen und zu trocknen. Viel Arbeit war es allemal. Aber ein nicht zu beschreibender Genuss, wenn zum Weihnachtsmahl eine frische Pilzsuppe auf den Tisch kam. Dafür musste jetzt vorgesorgt werden.

Jożef bekam den Vorschlag seiner Schwester mit und erbot sich gleich, mit seiner Solanka ebenfalls in die Pilze zu gehen. >>Hoffentlich wird es bald einen tüchtigen Regen geben, damit der Waldboden feucht und locker wird und die Fruchtkörper der Pfifferlinge und Steinpilze, Champignons und wie sie alle heißen, reichlich sprießen,

damit sich der Einsatz lohnt.<< Meinte er vorsichtig.

Am späten Nachmittag, zogen sich die Frauen mit den kleineren Kindern zurück und gingen nach Hause. Die Jugend und die Reiferen, nicht „Schonungsbedürftigen“ blieben bis spät abends vergnügt im Tanz zusammen und leerten dabei einige Flaschen selbstgemachter Limonaden, Bier und natürlich; - auch Wodka.

Zuletzt blieb der feste Kern der Organisatoren, um aufzuräumen, bevor sich in später Nacht verabschiedet wurde. Nicht ohne vorher besorgt über die neue Welle in Deutschland und den damit verbundenen Sorgen debattiert zu haben. Praktisch schon ab dem dritten Gläschen Wodka wurde die Politik ins Mittelfeld der Gespräche gerückt. Doch warum sollte man sich Sorgen machen?

Der Erste Weltkrieg war doch gerade erst vorbei!

Die Menschen waren erst einmal damit beschäftigt, die Trümmer in jeder Form zu verarbeiten, die dieser schreckliche, unsinnige Krieg hinterließ. Es konnte doch nicht schon wieder einer daher kommen und einen Krieg führen wollen?! Doch nicht Deutschland?! Ein zweites Mal hintereinander! Endlich war Polen nach Jahrhunderten wieder eine freie Republik geworden und ein eigener anerkannter Staat. Dank Marschall Jożef Piłsudski, der im November 1918, nach 123 Jahren polnischer Fremdherrschaft, Polen wieder zu einem unabhängigen Staat führte. Da konnte nichts passieren, war die einige, tröstende Meinung!

Jetzt erst einmal die Kirche fertig ausbauen und die Häuser und Felder für den kommenden Winter richten. Einkochen und viele, viele Dinge mehr waren zu erledigen. Auch das Sammeln der kostenlosen Leckereien, die Mutter Natur bereit hielt um dem Menschen das Überwintern zu ermöglichen, waren die vorrangigen Dinge, die es anzugehen galt.

Während der Gespräche der Senioren und Männer im „Besten Alter“ zogen sich Piotr und Edek zu den jungen hübschen Mädchen zurück und führten verliebte und scherzhaft, neckende Gespräche. Daraus ergab sich immerhin die Hoffnung auf ein nächstes Treffen mit Basia und Emilka, die sie heute näher kennen lernten. Zahlreiche Verliebte tändelten diese Nacht Hand in Hand die lange Dorfstraße hinunter zur Wieprz, um sich noch am Fluss bei strahlend leuchtendem Vollmond ein romantisches Stelldichein zu geben.

Zum Glück durchfließt das Flüsschen das ganze Dorf in voller Länge, so dass es für jeden ein lauschiges Plätzchen gab. Doch irgendwann ging jedes Fest zu Ende und die verliebten Kavaliere brachten ihre eroberten Schönheiten nun doch sittsam nach Hause, um dann selbst schnell ans heimische Herdfeuer zu kommen. Es wurde schon empfindlich frisch am Abend. Das eine Gläschen, des ihnen zugestandenen Wodkas, tat seinen Teil dazu, dass sie fröstelten. Müde, aber selig vor Glück über das Versprechen, sich wieder zu treffen und, sogar eventuell einmal zusammen bis nach Lublin, der nächst größeren Stadt, mit dem Rad zu fahren, ging Piotr diese Nacht unter seine dicken Federkissen. Durch das von Rozalia in Gang gehaltene wärmende, Ofenfeuer im Hause heimelig empfangen, kuschelte er sich in seine Kissen und hatte wunderbare Träume.

Am nächsten Morgen hatte so manch einer von zu viel Feiern einen schweren Kopf. Rozalia schmunzelte, als sie ihre Männergesellschaft am frühen Morgen um den Tisch versammelt antraf. Sämtlich den Kopf in die Hände aufgestützt, grübelnd ins Nichts schauend, saßen sie da, als sie den Topf mit heißer Frühstücksgrütze auf den Tisch stellt. >>Hier hilft nur frische Luft und Bewegung.<< Stellte sie erbarmungslos fest. >>Am besten ihr geht gleich rüber aufs Feld und bereitet die Scholle für den Frost vor. Die Störche unseres Hausdaches haben schon längst ihr Nest verlassen und sind weggezogen. Ich werde das Mittagessen zu euch bringen. Dann braucht ihr die Arbeit nicht zu unterbrechen und den Weg nicht extra hierher zurück zu machen.<<

>>Aber Mama, du musst doch dann die Wieprz durchqueren. Es ist schon viel zu kalt dazu!<< War der Einwand der besorgten Tochter. >>Und dann in deinem Zustand!<< - >>Das wird schon gehen.<< Meinte Rozalia.

>>Ging doch die ganzen Jahre auch. Warum sollte es jetzt nicht mehr gehen? Nur weil ich schwanger bin, bin ich noch nicht ausgemustert!<<

>>Da sagst du etwas, Mamusia.<< Wirft Julian ein. >>Immerhin liegen fast dreizehn Jahre zwischen der letzten Schwangerschaft und der Jetzigen! Apropos, von wegen ausgemustert, ich werde zur Musterung in die Militärschule gehen. Ich möchte dort aufgenommen werden.<< - >>Aber Junge, warum denn? Ist doch schon genug, dass Jożef und Bolek die Uniform tragen! Warum willst du auch noch zu den Soldaten? Wir können dich hier wirklich bei soviel Arbeit gut gebrauchen. Und dann wäre das Projekt mit der Kirche nicht zu vergessen!<< >>Richtig, pflichtete ihr Mann ihr nun, ganz erschrocken über diese Neuigkeit, die ihm sein Sohn da eröffnete, bei. Wir haben doch zwei Soldaten in der Familie!<<

Anna warf schnell ein: >>Nicht zu vergessen, wenn ich Marian heirate, gibt es einen dritten Soldaten in der Familie.<< - >>Aber schaut doch, ich bekomme eine Ausbildung. Und außerdem ist dann ein Esser weniger im Hause.<< - >>Wenn es danach ginge mein lieber Sohn, würden keine Eltern mehr Kinder produzieren. Was soll das Gerede? Wir haben bis jetzt immer satt zu essen gehabt. Nur weil ihr erwachsen werdet, wird uns das Land nicht weniger gut ernähren. Dies ist für mich kein Grund, dass meine Söhne nicht hier bleiben sollen.<<

>>Du verstehst das nicht, Mamusia. Alle gehen jetzt zum Militär und haben danach eine Ausbildung. Es gibt so viel Neues da draußen. Außerdem kommt man ein bisschen herum.<< - >>Herum kannst du auch hier kommen, wenn du die Kühe auf die Weiden führst, werfen nun Rozalia und ihr Mann fast gleichzeitig ein. Unser Dorfleben ist dir nicht genug. Das ist der Grund.<< - >>Ach Mama, immer muss man alles erklären. Wir sind doch so viele hier. Die Hofwirtschaft wird schon weiter gehen. Außerdem komme ich ja zwischendurch natürlich in mein geliebtes Dorf. Ich gehe euch doch nicht verloren!<<

Kapitel 2

Schweren Herzens mussten die Eltern akzeptieren, dass Julian sich nicht umstimmen ließ. Piotr und Edek saßen mit angelegten Ohren am Tisch und hörten ohne Einwand dem Gespräch interessiert zu. Sie, als zwei aufgeschlossene, neugierige junge Burschen haben sich wohl gedacht, was für ein Erlebnis, dass sie demnächst zumindest schon mal wieder nach Lublin fuhren. Aber was Julian da anführte, hörte sich spannend an. Dazu müsste man einmal mit Jożef und Bolesław sprechen. Was die beiden wohl davon hielten? Immerhin waren sie schon länger Soldaten und taten; - Dienst an der Waffe.

Ob es wohl schlimm sein konnte, so ein Soldatenleben? Oder ob es spannend war, etwas neues dazu zu lernen, sowie Julian es vorhatte und es sich ausmalte?

Jetzt plagten sie erst einmal Kopfschmerzen. Mangelnder Schlaf und die verliebten Gedanken an ihre reizenden Tanzpartnerinnen von gestern, waren daran schuld. Edward wollte am Abend nach der Arbeit zu seiner Emilka nach Firlej radeln. Piotr hatte es nicht so weit, denn Basia wohnte in der Hauptstraße von Leszkowice. Das würde ein romantischer spätherbstlicher Abend werden, - freuten sich die zwei.

Ohne weitere Kommentare zu Julians Gespräch bedanken sich Jożef und Bolek und machten sich auf den Weg zu ihrer Kaserne nach Lubartow, in der sie die ganze Woche über bleiben würden und ihren Dienst versahen. Stumm umarmten und drückten sie die Eltern und diese sahen ihren großen Jungs sehr sorgenvoll nach. Ein tiefes 'Ach' entströmte Rozalias Brust. Sie schüttelte den schönen dunklen Haarkranz, band ihr Kopftuch um, sagte 'Dziękuje' in Richtung aller und entschwand im Stall.

Zunächst mussten die Hühner gefüttert und die Eier gesucht werden, die das fleißige Federvieh manchmal hinlegte, wo es gerade Lust dazu verspürte. Als dies getan war, nahm sie den Melkschemel aus der Ecke und wollte mit dem Melken der beiden Kühe beginnen. Schon stand Anna hinter ihr und nahm ihr den Zinkeimer und den Melkschemel aus den Händen. >>Ich weiß, dass du sorgenvoll bist, bei so vielen Jungen, die mit dem Gedanken spielen, eine militärische Ausbildung anzustreben. Du musst sie verstehen. Es sind junge Männer.

Für sie ist es natürlich, nicht nur Bauer oder Handwerker zu sein. Sondern auch Verteidiger ihres Vaterlandes, sollte es wieder einmal Krieg geben, was Gott verhüten möge. Und es sind Männer, die nicht zuschauen würden, wenn andere kämpfen, verstehst du das, Mamusia?<<

>>Ach Anna, Kind, natürlich verstehe ich sie. Es sind doch meine Kinder. Nur, ich bin ihre Mutter. Glaubst du, es macht mir ein wonniges Gefühl, wenn ich weiß, dass meine Kinder lernen zu töten und selbst unglücklich darüber werden, anstatt mit dem Pflug umzugehen und damit zu lernen, sich ihr Brot zu verdienen?<<

>>Aber das können sie doch schon, Mama. Nun wollen sie mehr. Sie wollen mehr können. Auch mein Marian denkt so.<< - >>Ach ja, wo wir gerade alleine sind. Erzähle mal von ihm! Habe ich etwa die Aussicht, Schwiegermutter zu werden?<< - >>Ich glaube schon. Und so wie ich das mitbekam, bist du bald dreifache Schwiegermutter!<< - >>Was; - wollt ihr eure Eltern arm und alleine lassen? Wieso dreifach?<< Währenddessen bearbeitete Anna lachend die Euter der Kuh Marysia, die sehr interessiert dem Gespräch zuzuhören schien und sich dabei die Milch abzapfen ließ, während sie ein Bündel Heu im Maul hin und her schob.

>>Ja willst du sagen, dass du gestern nicht mitbekamst, dass auch Bolek und Jożef Feuer fingen?<< - >>Na ja. Man kann ja mal brennen. Aber gleich heiraten!<< - >>Mama, solche Gedanken habe ich dir gar nicht zugetraut!<< >>Nun ja, meine Tochter, ich meine nur. Ist es denn so ernst mit ihnen?

Und warum sprechen sie nicht zuerst mit ihren Eltern darüber?<< - >>Ich denke, dass sie unsicher sind, ob ihr einverstanden seid. Und weil dann gleich drei eurer Kinder; - na ja, und Helfer, vom Hof gingen.<< - >>Ach so, daher weht der Wind. Denkt ihr alle, wir haben euch in die Welt gesetzt und großgezogen, um euch am Rockzipfel zu führen?<<

Beide Frauen lachten nun herzlich miteinander. So locker hätte Annas Mutter die Neuigkeit nicht hinnehmen sollen, bei der großen Fläche an Ackerland, welche zu

bewirtschaften war. Und der Forst brauchte auch noch jemanden, der nach dem Rechten sah. Aber immerhin. Recht hatte sie, dachte Anna. Ich bleibe auf jeden Fall im Dorf wohnen. Darauf bestehe ich, wenn mich Marian wirklich fragen sollte, ob ich seine Frau werden will. Als die beiden Frauen in die Küche zurückkamen, lag diese verwaist vor. Alle waren ausgeflogen und auf dem Weg zum Feld. Rozalia sortiert die Eier und überlegt, was es Mittags zu essen geben sollte.

Sie holte die Kartoffeln aus dem Keller, setzte sich damit an den Küchentisch und begann, sie zu schälen. Irgendwie schien ihr jetzt das Stehen schwer zu fallen. Mit zunehmender Schwangerschaft fiel es ihr leichter, die Vorbereitungen zu den Mahlzeiten sitzend am Küchentisch zu verrichten. Immerhin war sie im siebten, eigentlich im achten Monat schwanger, nicht mehr ganz jung und ihr Bauch ganz schön schwer gepackt. Bei ihrer schlanken Figur hatte sie eine Menge zu tragen. Mit Sicherheit, so wie das Kind in ihrem Bauch oftmals strampelte, würde es wieder ein Junge werden.

Oh welch ein Glück, dass ich wenigstens die eine Tochter habe, die im Haus mithalf, wenn sie nicht im Gemeindebüro arbeitete, dachte sie dankbar.

Anna gesellte sich zu ihr und gemeinsam bereiteten sie das kräftige Essen für den heutigen Tag zu.

Ihre drei Männer, Władek mit seinen beiden Söhnen, Edek und Piotr, gingen ein Stück des Weges gemeinsam. Dorthin zu der Stelle, an der die Wieprz einen seichten Übergang durch den Fluss ermöglichte. Da fiel Władek urplötzlich die Kirche ein. >>Ach Gott, ach Gott. Der erste Tag des Ausbaus und ich vergesse, dass ich für heute schon eingeteilt bin! Könnt ihr den Pflug schon mal ohne mich durch den Acker ziehen und die Schollen grob liegen lassen, damit Schnee und Frost sie tüchtig durchfrieren? Diese Arbeit kann einige Tage dauern, also kann ich noch genügend mithelfen. Aber heute habe ich zugesagt und muss zuerst mit eurem Großvater, Onkel Jacek und Stanisław in der Kirche den Ausbau beginnen. Zum Mittagessen komme ich rüber zu euch aufs Feld!<<

Die beiden Jungs wateten durch den Fluss zum großen Feld hinüber und machten sich daran, im Unterstand die nassen Kleider zu wechseln. Wie dem Vater versprochen, zogen sie gemeinsam den schweren Pflug heraus, spannen das bei frostfreiem Wetter immer auf der Weide grasende Pferd davor und zogen ihre Furchen. Ihren Spaß hatten sie dabei allemal, weil sie sich gehörig lästernd über die Freundinnen ihrer Brüder ausließen. Natürlich wurde auch über die bevorstehende Hochzeit ihrer Schwester gesprochen, die bestimmt bald im Dorf für Gespräch sorgen würde.

Endlich mal wieder eine prunkvolle polnische Hochzeit. Mit viel Tanz und Essen und allem drum und dran. Aber sicher, wie sie ihren Vater kannten, wird gewartet bis der Dachstuhl der Dorfkirche ausgebaut ist, damit im eigenen Dorf geheiratet würde. Władek war ein Mann und Vater; -sehr traditionsbewusst und heimatverbunden.

Die Jungs rätselten schon einige Zeit darüber, warum ihr Vater nicht so eifersüchtig, wie sonst war. Er führte sich überhaupt nicht mehr so gekünstelt wichtig auf, war ihnen aufgefallen. Immerhin heiratete seine einzige Tochter bald. Und das Haus würde sie dann bestimmt verlassen und einen eigenen Hausstand gründen. Hoffentlich blieb sie im Ort. Das wäre für Mutter ein Segen. Gegen diesen Marian hatte er nie etwas einzuwenden und ihn gleich akzeptiert. Schon seltsam, wo ihm doch die ganzen Jahre keiner gut genug für seine Prinzessin war. Aber so sind Väter eben, stellen die zwei trocken fest. Eventuell war er so friedlich, weil er jetzt rund um die Uhr eingespannt und an allen Ecken seine Meinung gefragt war. Außerdem bringen wir Burschen schöne Töchter ins Haus. Bei ihnen konnte er glänzen. Darauf freute er sich bestimmt heimlich. So, und noch mehr witzelten sie herum und zogen geduldig mit dem Ackergaul die Furchen des Feldes. Selbst waren sie ja auch vernarrt in ihre Eroberungen und leisteten sich den ein oder anderen prahlerischen Spruch darüber.

Mit dieser Arbeit und ihren ketzerischen Reden vergingen die frühen Stunden schnell. Bis sie merkten, dass ihnen der Rücken schmerzte. Die Hände krampften vom Festhalten des Lederriemens, der das Pferd führte.

Sie setzten sich an den Rand des Feldes, einen langen Grashalm zwischen den Zähnen und lästerten und träumten am hellen Tag in den buntesten Farben. Bis sie dachten, dass sie genug geruht hätten und erneut die Zügel des grasenden Pferdes ergriffen und ihren Trott von vorne begannen. >>Bis Mittag müssen wir ein gewaltiges Stück fertig haben, damit wir uns unser Essen verdienen.<< Lacht Piotr und neckt Edek weiter mit seiner Verliebtheit zu Emilia. Der ältere tat ganz cool, lief seine Furchen ab und lachte und scherzte mit seinem Bruder über dessen verrückten Versuch am vergangenen Abend, Basia die Sterne zu deuten. Beide saßen sie mit ihren Angebeteten am Fluss und träumten in den mit Millionen Sternen übersäten, nachtblauen Himmel hinein.

Es wurde wärmer, lauschig warm sogar und von fern hörten sie die Dorfglocke Mittag läuten. Nun gönnten sie dem Pferd und sich selbst wieder eine Pause. Schirrten es aus und liefen geschwind zum Fluss hinab, an dem ihnen schon ihre Mutter mit dem schweren Korb am Arm, halbwegs durch die Flussmitte gewatet, entgegen kam. Etwas weiter hinter ihr kam ein Mann heran gelaufen, stark mit den Armen gestikulierend. Als er näher kam, erkannten sie ihren Vater und hörten auch sein Rufen. >>Warte doch auf mich, warte doch Rozalka, ich trage den Korb!<< Rozalia hangelte sich mit Hilfe ihrer Söhne jenes niedrige Flussufer hoch und erreichte vor Władek angestrengt, aber glücklich lächelnd, das rettende Ufer.

>>Schaut einmal, was ich euch mitgebracht habe!<< Strahlte sie. Bei so einem prall gefüllten Korb mit Eiern, Schinken, Brot und Wurst und für Vater eine große Flasche kühles Bier vergaßen sie die mühevolle Arbeit schnell. Auch Władek kam nun heran geeilt.

Ganz außer Atem versuchte er, sich zu erklären. >>Warum hast du nicht gewartet? Du musst mich doch rufen gehört haben, Rozalia!<< - >>Ach Władek, komme erst einmal zu Atem und dann erzählst du mir, warum du die Jungs hier alleine so schwer ackern lässt!<<

>>Ich habe in der Zeit auch viel geleistet.<< Prustet er beleidigt los. >>Mir war doch total entfallen, dass ich heute schon in der Kirche zur Mitarbeit eingeteilt war. Aber nun bin ich ja hier und nach dem leckeren Mittagsstündchen geht es dann mit der Feldarbeit weiter!<< - >>Denkt daran, dass auch im Haus noch genug Arbeit ist. Anna kann nicht alles alleine machen. Und bei mir geht nun einmal im Moment nicht alle Arbeit gut von der Hand.<<

Dann schlug Władek vor: >>Ich denke, dass die Jungs mit dir nach Hause gehen könnten und ich den Rest des Tages alleine pflüge.<< So ein verlockendes Angebot brauchte er nicht ein zweites Mal vorzuschlagen. Seine Jungs waren zwar alle gerne in der Landwirtschaft tätig, liebten es aber auch, wenn es abwechslungsreich zuging. >>Ich werde mich ums Holzhacken kümmern.<< Warf Edward gleich freiwillig ein. >>Und ich schaue, was es beim Federvieh und im Stall sonst noch zu tun gibt. Außerdem wären da noch einige kleinere Handgriffe an Reparaturen am Haus zu verrichten, mein lieber Vater. Kümmere dich doch da mal zuerst drum, anstatt im Gemeinderat den ersten Posten zu beanspruchen.<< Hielt Piotr kühn seinem Vater entgegen.

Kaum, dass er dies ausgesprochen hatte, zog er den Kopf schnell weg, sonst hätte er sich für seine Frechheit eine kräftige Kopfnuss eingefangen. >>Du frecher Bengel. Mach nur, dass ich dir auf die Beine helfe. Werde erst einmal so anerkannt im Dorf, wie ich es bin. Dann kannst du mitreden.<< - >>Genug gefaxt, ihr Schwerarbeiter.<< Lenkte Rozalia müde ein. >>Ich werde mich jetzt nach unserer Stärkung auf den Rückweg machen. Geht ihr zwei dann gleich mit mir mit?<< Bei dieser Aufforderung erhoben sich Edward und Piotr, schnappten den nun fast leeren Korb fast gleichzeitig und wollten losrennen. Władek half seiner hochschwangeren und etwas ungelenken Frau beim schwierigen Aufstehen, drückte sie herzlich und scheuchte seine kichernden Söhne wie ein aufgescheuchter Hahn davon. Er selbst ging in Richtung Pferd, zäumte es vor den Pflug und legte los, weitere Furchen zu ziehen. Die Mutter mit ihren beiden jüngsten Söhne gingen zurück zum Fluss, um ihn erneut zu durchqueren, damit sie nach Hause gelangten. Zuhause angekommen, wechseln sie gleich die Kleidung, um wieder trockene Tücher um sich zu spüren.

Plötzlich verspürte Rozalia heftige Leibschmerzen und krümmte sich in Pein zusammen. Ein Aufschreien und schmerzverzerrtes Stöhnen schreckte ihre Söhne aus ihrer Sorglosigkeit hoch und sie stürzten sofort herbei, um zu helfen. Immer noch stöhnte diese laut und hielt krampfhaft mit einem Arm ihren Bauch umschlungen. Sie spürte ein warmes Etwas zwischen ihren Beinen herablaufen und stellte fest, dass da Blut kam. Schreckensbleich schaute sie ihre Jungs an und sofort kapierten sie, was da gerade passierte.

Schnell lief Piotr zu Anna; - während Edek zum Dorfarzt rannte, um Hilfe zu holen. Als der Arzt, der nicht weit von ihnen entfernt wohnte und zum Glück schon im Garten angetroffen wurde, verständigt war, lief Edward noch zur Hebamme, um auch sie zu bitten, nach ihrer Mutter und dem ungeborenen Kind in ihrem Bauch zu schauen.

Alle diese Helfer kamen zu Rozalias Haus am Fluss mehr gerannt als gegangen. Der Gemeinschaftsraum der Familie war nun mit hektisch agierenden Menschen gefüllt und deshalb zogen sich Edek und Piotr ins Nebenzimmer zurück. Die Mutter so leiden zu sehen, gefiel ihnen gar nicht. Diese hing auf einen Stuhl gestützt, gleichzeitig sich am Küchentisch festhaltend, vornüber gebeugt und starrte nur auf ihren Bauch und wimmerte voller Sorgen um das ungeborene Kind. Der Arzt hieß sie sich auf den Küchentisch zu legen und den Unterleib frei zu machen. Er gab Anweisungen an Anna und an die nun ebenfalls eingetroffene Hebamme, heißes Wasser, viel heißes Wasser zu bereiten und machte sich daran, die Gebärende zu untersuchen.

>>Sie wissen ja, dass Sie nicht mehr die Jüngste Gebärende sind, meine liebe Rozalia. Und deshalb wird es ein bisschen schwerer als bei den anderen Geburten.<< Stellte er mitfühlend fest und streichelte ihren Arm, um ihr Mut zu machen. >>Legen sie sich hin und wir werden da irgendwie durchkommen. Nun müssen wir mal schauen, wie wir das Bündel aus ihrem Bauch heraus bringen. Wie sieht es mit den Schmerzen aus? Schlimmer als bei den anderen Kindern oder ähnlich?<<

Rozalia nickte bei allem was er sagte mit dem Kopf, schrie hin und wieder vor Schmerzen auf und der Arzt begann zu zählen, um zu kontrollieren, in welchem Abstand die Wehen kamen. Nun fing er mit der Leidenden ein Gespräch über alltägliches aus dem Dorf an, um sie abzulenken. >>Wie ist es dazu gekommen, dass es jetzt schon los ging. So plötzlich?<< Wollte er dann doch wissen.

>>Das hier war nicht alleine die Fruchtblase, die platzte. Was hattest du schweres gearbeitet, bevor die Wehen einsetzten?<< Rozalia berichtete vom Essenskorb, den es über die Wieprz zu bringen galt, damit die Feldarbeiter was zu Mittag hatten. Dass sie dabei den Fluss durchwatete und eigentlich erst zu Hause diese Schmerzen bekam. >>Ich habe das Gefühl, mir hängt das Kind schon zwischen den Beinen. So schwer und träge fühlt es sich an.<< Sie krallte sich gleichzeitig an den Armen des Arztes fest, weil eine erneute Wehe einsetzte.

>>Soweit ist es noch nicht! Nicht ganz soweit. Aber wir müssen nun machen, dass auf die Welt kommt, was du da in deinem Bauch versteckst!<< Abgewandten Blickes zur Hebamme und Anna, die mit ihren Töpfen heißen Wassers und sauberen Tüchern bereit standen, sagte er: >>Obwohl es mir lieber gewesen wäre, ich hätte etwas machen können, damit sie das Kind noch ein wenig länger ausgetragen hätte. Je schneller sie jetzt die Geburt hinter sich bringt, desto eher haben beide eine Chance, das zu überstehen! Denn es fühlte sich nicht gut an, was ich da fühlte!<<

Anna wurde es sehr mulmig bei diesen Worten des Arztes und sie ging ins Nebenzimmer zu ihren Brüdern.

>>Geht, ruft den Vater nach Hause! Es gibt Schwierigkeiten. Die Andeutungen des Arztes könnten viel bedeuten. Ich will, dass er hier bei Mama ist. Außerdem muss das aufhören, dass wir immer durch den Fluss waten müssen um aufs Feld zu kommen. Es sollte erst einmal eine ordentliche Brücke gebaut werden, bevor Vater sich an der Kirchenarbeit beteiligt!<<

Die Brüder rannten los und sie ging zur Mutter und den beiden Helfern ins Zimmer zurück, stellte sich sodann an die Seite des Tisches, den Blicken der Mutter zugewandt. Diese griff hilfesuchend nach der Hand ihrer großen erwachsenen Tochter, schaute sie mit Schweißtropf nasser Stirn fragend an und erkannte sogleich die Sorgen in Annas Augen. Währenddessen klatschte ihr der Arzt dauernd auf die Arme und will sie antreiben, konzentriert zu bleiben, um zu pressen, sobald er eine Wehe kommen fühlte. Die Schmerzen in Rozalias Unterleib wurden schier unerträglich. Ihre Schreie so laut, wie es ihre Lungen nur hergaben. >>Anna, bitte laufe und hole ein Stück festes Holz oder ein Tuch, um deiner Mutter etwas zwischen die Zähne zu geben. Damit sie was zum draufbeißen hat und die Zähne keinen Schaden nehmen!<< Kam die Aufforderung des Arztes an sie.

Flink zog er eine Spritze auf, die er Rozalia zwischen zwei jetzt in immer kürzer einsetzenden Wehen setzte, schrubbte sich erneut die Hände in einem der bereit stehenden Eimer mit heißem Wasser und griff beherzt in den Geburtskanal der Gebärenden hinein.

Zur Hebamme gewandt sagte er: >>Es liegt verkehrt herum. Ich muss versuchen, es zu drehen. Das Kind atmet nicht mehr. Ich höre keinen Herzschlag des Kindes. Helfen sie ihr, so gut sie können!<< Die Hebamme wischte mit einem warmen, feuchten Tuch den Schweiß von Rozalias Stirn, der nun schon in kleinen Bächen seinen Weg zu ihrem Hals und weiter abwärts suchte. Immer wieder redete sie mit der Patientin und versuchte, tröstende und ablenkende Worte zu finden. Obwohl sich in ihrem Gesicht zu lesen fand, was gerade auf dem Spiel stand; - nämlich das Leben von Mutter und Kind. So ging es zeitlos weiter. Niemand hätte eine Zeit nennen können, wie lange alles dauerte, bis der Spuk seinem Ende entgegen ging. Bis dann der Mediziner plötzlich ein blutverschmiertes Bündel in der Hand hielt und zu Rozalia sagte: >>Es ist geschafft. Wir haben es heraus. Entspanne dich ein wenig und atme ganz ruhig.<< Unmerklich verfiel der Arzt in ein vertrauliches Du mit seiner Patientin. Es schien ihm angebrachter und näher für das Kommende, was sie zu verkraften hatte.

>>Es ist wieder ein Junge, Rozalia. Kann denn dein Władek nur Jungen machen?<< Anna klopfte ihm auf die Schultern. Dann auf sich selbst zeigend drohte sie ihm lächelnd mit dem Finger, um dann auf ihren Vater zu zeigen, der schon eine Weile im Raum anwesend war und der kreidebleich in einer Ecke auf einem Stuhl mehr hang, als saß. Auch Anna betrachtete nun das neugeborene Kind. Das war so winzig, gab keinen Laut und keinen Atemzug von sich. Der Doktor klopfte ihm immer wieder auf den verschrumpelten kleinen Po um ihm einen Laut zu entlocken, horchte verzweifelte die kleine Brust ab, doch; - vergebens. Die Hautfarbe des Kindes war unter dem vielen Blut, jetzt nach dem Abwischen erst zu sehen. Und jeder im Raum konnte erkennen, dass dieses Kind, ein totes Kind war.

Rozalia streckte die Arme nach ihrem eben geborenen Kind aus. Der Arzt schüttelte verneinend den Kopf. Sie rief und schrie und wollte ihr Neugeborenes in den Armen halten. Ihr Schreien steigerte sich bis sie mit dem Kopf nur noch wie irre hin und her auf den harten Tisch aufschlug. So jämmerlich, dass Anna die Geduld riss und der Hebamme den toten Bruder aus den Händen nahm, ihn in ein warmes, bereit gelegtes Tuch wickelte und ihn ihrer Mutter in die Arme legte.

Sofort hörte diese auf zu schreien und aus ihrer Kehle entschlüpfte nur noch ein herzzerreißendes Gurgeln, wie man glaubt, es nur bei verletzten Tieren zu hören. Nachdem die Nachgeburt ausgeschieden war, säuberte man die trauernde Mutter, die alles wortlos über sich ergehen ließ, hob sie vom Küchentisch herab, trug sie mit vereinten Kräften in ihr Ehebett in die Stube nach nebenan, und ließ sie mit ihrem Mann und dem totgeborenen Knaben, alleine zurück.

Die Hebamme und Anna, der unaufhörlich stille Tränen die Wangen herunterliefen, schrubbten den Tisch von allen Entbindungsspuren sauber. Der Doktor reinigte sich peinlich Hände und Arme, bis sie sich alle drei sichtlich ermattet und erschöpft um den noch nassen Tisch niederlassen und ihren Tränen freien Lauf ließen.

So, in ihrer traurigen Stimmung versunken, fanden sie dann Piotr und Edek, die sich in den Stall zurück gezogen hatten, weil sie die Schmerzensschreie ihrer Mutter nicht ertrugen. Edek fand zuerst die Sprache wieder, um die um den Tisch Sitzenden anzusprechen. >>Es wurde plötzlich so schmerzlich laut, das Schreien unserer Mutter. Warum hatten wir keinen Kindsschrei gehört? Warum weint ihr alle? Wo ist unsere Mutter?<<

Der Arzt richtete sich zur vollen Größe auf, schaute den Jungen an und erklärte ihm den Sachverhalt: >>Lasst eure Mutter noch ein wenig mit eurem Vater und dem kleinen Jungen, der nicht leben durfte, alleine!<<

Piotr und Edek umarmten ihre Schwester Anna, die das ja alles miterlebte und alle drei weinten nun um ihren totgeborenen Bruder.

Bis die Hebamme es nicht mehr aushielt, aufstand und mit fester Stimme sagte: >>Mir ist schlecht! Die Ärmste! Selten habe ich eine Frau bei einer Entbindung so viel leiden sehen. Bitte gebt mir einen starken Tropfen, damit ich den bitteren Geschmack in meinem Mund wegspülen kann.<< Piotr erhob sich, ging zum Schrank und nahm die Wodkaflasche mit dem guten, weichen polnischen Wodka heraus, schaute sie an, nahm zwei Gläschen vom Regal, füllte je eines für den Arzt und die Hebamme ein und sagte: >>Zu feiern haben wir ja keinen neuen Bruder. Eigentlich. Aber einen Namen sollte er trotzdem erhalten. Und außerdem, danke Herr Doktor und allen hier Anwesenden, dass ihr das Leben unserer Mutter retten konntet! Denn wenn ich das richtig verstand, war auch ihr Leben in Gefahr.<<

Arzt und Hebamme nickten schweigend, mit nassen Wangen von den vielen vergossenen Tränen, nahmen das angebotene Glas und tranken langsam und mit Bedacht die alkoholische Flüssigkeit. >>Es muss nicht immer ein Festtag sein, an dem sich so ein warmer Schluck bezahlt macht. Ich danke dir Piotr, und jetzt muss ich gehen. Morgen komme ich nach der Kranken schauen. Ihr müsst bestimmen, wie der Körper des Kindes bestattet wird. Gelebt hat er ja eigentlich nicht.

Also dürfte der Priester Schwierigkeiten machen, ihn auf dem Friedhof in eurem Familiengrab beizusetzen. Doch ehrlich gesagt, schaut euch eure Mutter an. Für sie hatte das Kind gelebt. Es war acht Monate in ihrem Bauch. Für sie hatte es gelebt. Sollte es Schwierigkeiten geben, sagt es mir und ich erkläre dies dem Priester; - auf meine Weise!<<

Betroffen schauten sie sich an, die dort am Tisch saßen und standen und wussten im Moment keinen Satz hervorzubringen. >>Erst einmal kommt unser Brüderchen in die Wiege, die für ihn bereit gestellt war, sobald es Mutter zulässt.<< Sagte Anna. Die Hebamme warf ein, dass es nicht gut wäre, ein totes Kind so lange im Hause zu haben.

>>Er ist unser Bruder und bleibt hier, so lange dies unsere Eltern wünschen.<< Entschied nun Edek ziemlich brüsk. >>Ich meine ja nur, für die Psyche der Mutter ist es nicht gut, Edek. Verstehe mich bitte nicht falsch. Wenn euer Vater heraus kommt, werde ich nach ihr schauen. Auch was die Blutungen machen, muss ich kontrollieren.

Aber zuerst müsst ihr natürlich zu ihr gehen und sie trösten.<< Ein verständnisvolles Nicken und Starren zur Zimmertür, die zum Schlafzimmer der Eltern führte, folgte ihrer Aufforderung. Angespannt warteten sie darauf, dass sie sich öffnen sollte.

Warten mussten sie noch eine ganze Weile. Von drinnen hörte man seit geraumer Weile zweistimmiges Weinen. Władek lag mit dem Kopf auf der Brust seiner weinenden Frau, die er mit einem Arm umschlungen hielt und diese ihrerseits im Arm das leblose Bündel festhielt. Beide konnten ihr Unglück nicht fassen, dass sie dieses Kind nun betrauern mussten, anstatt ihm ins Leben zu helfen. Warum nur, warum? Eine immer wieder stumm gestellte Frage stand im Raum. Beide hatten sich nichts vorzuwerfen. Alles war wie bei den anderen Schwangerschaften auch. Und doch, etwas musste anders gewesen sein?! Aber was war es nur, was diesem unschuldigen Kind das Leben schon im Mutterleib nahm?

Als die Dämmerung einsetzte drückte Władysław seiner Frau und dem toten Jüngelchen einen langen Kuss auf die Stirn, verließ den Schlafraum und trat in die Küche zu den anderen. Alle starrten ihn an. Der Doktor wartete nicht und war gegangen. Auch ging er schon früher, um die Trauernden nicht zu stören. Die Hebamme erklärte nun dem bleichen verstörten Vater, warum es zum Tode seines Kindes kam. Dem einzigen Kind, was sie in all den Jahren verloren. Es sollte das letzte Kind sein, welches Rozalia nach so vielen Jahren Pause vom Kinderkriegen gebären wollte. So hatten sie es sich gewünscht. Und sie wollten ihn Czesław nennen.

Denn für sie war es gewiss, dass es ein Junge werden würde, erklärte er stolz. Er umarmte schweigend und dankbar seine Kinder in der Küche, dankte der Hebamme und ging in Richtung Stall, um alleine so zu weinen, wie nur ein Mann weinen kann.

Die Tage, die folgten, waren wirklich die schwersten, die diese Familie zu ertragen hatte. So glaubten sie damals. Nach vielen Gesprächen willigte der Priester dann doch ein, Czesław im Familiengrab beizusetzen. Eine kleine Trauerfeier im Kreise der doch zahlreichen Familie gab es nach der Messe für das totgeborene Kind. Was zuvor auf dem Friedhof von Leszkowice, am Dorfanfang gelegen, begraben wurde.

Fast das ganze Dorf zog traurig in einer Prozession einem kleinen weißen Sarg hinterher.

Die Familie zog sich anschließend ins Haus von Władeks Eltern zurück, um weiteren neugierigen und schmerzhaften Fragen zu entgehen. Man saß zusammen bei Tee und trockenem Kuchen, bis jeder für sich sein wollte und das große Haus verließ, um nach Hause zu gehen.

Die Arbeit hatte sie schnell wieder in den Alltag eingespannt, denn der kommende Winter würde kein Erbarmen mit Trauernden zeigen, wenn nicht genügend Holz gehackt, keine Pilze gesucht und eingekocht und so vieles vorbereitet wurde. Als das Weihnachtsfest immer näher kam, gesellten sich zu den eh schon starken Frösten, starke Schneeverwehungen.

Tagelang konnten die Männer nicht in der Kirche arbeiten, weil sie selbst zu Hause genug damit zu tun hatten, die Räumlichkeiten zu wärmen und andere Arbeiten zu verrichten, die üblicherweise im Winter getan wurden. Dazu gehörten für die Jüngeren; - das Lernen, Malen und Lesen, genauso wie Stickereien anzufertigen.

Bei Rozalia und Władek schien die Zeit eingefroren zu sein. Sie redeten nicht mehr viel miteinander. Die Zeit verbrachten sie mit vielen Dingen um das tägliche Leben und mit wenigen Worten. Die Trauer um ihr verlorenes Kind ließ sie verstummen. Sie scherzten nicht mehr miteinander und fanden keinen Weg mehr zu ihrem üblichen leichten, in den Jahren stets neckenden, verliebten Umgang zueinander.

Kapitel 3

Als endlich die Arbeiten und Vorbereitungen zum Dekorieren der Kirche losgingen, trafen sich einige der Dorfbewohner und schmückten den Innenraum mit allerhand weihnachtlichem Schmuck aus wunderhübsch gebundenen Sträußen, die auch getrocknete Blüten enthielten. Es wurden zwei riesige Tannenbäume aus dem nahen Wald herbeigeholt und links und rechts neben den Altar aufgestellt. So viele Kerzen wurden gespendet, dass es zu hoffen war, die Kirche am Heiligen Abend hell erleuchten zu können, ohne dass elektrisches Licht eingesetzt werden musste.

Die harmonische Kerzenbeleuchtung wurde stets zu Beginn eines großen Gottesdienstes bevorzugt.

Einige Wochen vor Weihnachten zog der Geruch von frisch gebrühter Wurst durchs Dorf.

Wo es möglich war, wurde selbst geschlachtet und anschließend auch selbst die Wurst hergestellt. Von der guten Wurstbrühe wurden dann herzhafte Suppen gekocht, auf die alle in der Familie schon mit Heißhunger warteten. So war es auch in der Familie Lato.

Durch die mitgebrachten Schwiegerkinder vergrößerte sich die Familie um einige Personen. Man stellte neue Stühle um den Küchentisch, damit alle am Festtage um den großen Tisch versammelt sein konnten. Auch die Kinder, welche als Soldaten dienten, nahmen selbstverständlich mit ihren Bräuten am Festessen der Familie teil. Außerdem musste ein Platz mehr angeordnet werden. Ein freier Platz, der auch eingedeckt wurde und der traditionell am Heiligen Abend in Polen immer unbesetzt bleibt. Und zwar, für einen fremden Gast, den es zu ihnen verschlagen könnte und den man willkommen heißen würde.

Die Jungen halfen ihrem Vater bei den Schnitzarbeiten, die für die Vervollständigung der Krippe nötig waren. Und auch dabei, neue Stühle herzustellen, weil sich ja die Familie vergrößerte. Geredet wurde dabei über die neuen Machtverhältnisse im Nachbarland Deutschland. Und wie radikal sich das schon auf die jüdische Bevölkerung ausgewirkt hatte. Immer mehr Menschen jüdischen Glaubens kamen nach Polen, um dort ihr Leben zu führen.

Zu unsicher war die Situation in Deutschland für sie geworden. Es gab nun viele jüdische Mitbürger, auch in Lublin. Dorthin waren ja Piotr und Edek mit ihren neuen Freundinnen schon im Herbst geradelt. Es war ein toller Tagesausflug, der den vier jungen Leuten immer in liebevoller Erinnerung bleiben würde.

Ein wunderschönes altes jüdisches Viertel gab es in Lublin schon immer, seit sie denken konnten. Aber nun erzählte man ihnen, dass es immer mehr Menschen aus dem Ausland in dieses Viertel ziehen würde. Diese Leute arbeiteten, waren fleißig und unterhielten ihr eigenes Viertel und sorgten dort für einen gewissen Wohlstand. Diverse Informationen über die dortige Bevölkerungs-zunahme kamen auch von den drei jungen Soldaten der Familie. Auch hier war man beunruhigt über die Verhältnisse in Niemcy, in Deutschland.

Jetzt, im Winter 1936, zeigten sich erste Auswirkungen der gewaltigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Hitler in seinem Reich, nach seiner Wahl zum Reichskanzler vornehmen ließ. Trotzdem wurde immer wieder die Hoffnung geäußert, dass es niemals mehr zu einem Krieg kommen könnte. Dazu war die allgemeine Wirtschaftslage nicht stabil genug. Das würde doch wohl auch ein Hitler einsehen müssen.

Im Dorf Leszkowice gab es genügend Arbeit für jedermann. Man wurde wahrlich nicht reich dabei. Die Genügsamkeit war oberstes Gebot. Aber man lebte gut und hatte sein Auskommen. Deshalb war es auch natürlich, dass über die Anwerbungen, die man in Deutschland betrieb, um polnische junge Leute ins „Reich“ zum Arbeiten zu holen, gesprochen wurde. In dieser Familie machte sich allerdings niemand ernsthafte Gedanken darüber, dass die Arbeit im Dorf ein Ende finden könnte. Wenn es nicht durch höhere Gewalt höherer Mächte, beschlossen war. Und eine höhere Macht als die der Regierung ist in Polen nur die Göttliche Macht. Und die sollte sie doch nun endlich beschützen, so beteten die Polen in diesem Dorf und lebten ihren Alltag. Jeder mit seinen eigenen Sorgen.

In der Familie Lato gingen die Arbeiten am Ausbau des Kirchendachstuhls weiter. Neben den üblichen Verrichtungen für Familie, Haus und Hof. Die Kinder mussten nun seit es kalt wurde häufiger die Schulbank drücken. Jetzt, wo sie nicht mehr so viel auf dem Feld gebraucht wurden, hieß es, tüchtig zu lernen. Auch Piotr und Edek, letzterer im letzten Jahr, gingen dorthin. Sie trafen natürlich ihre Freundinnen regelmäßig, um zusammen Schularbeiten zu machen, so wie es überall in der Welt die Kinder und Jugendlichen machten. Mal bei Piotr, mal bei Basia. Mal bei Edek, mal bei Emilia oder am schönen und schon fast zugefrorenen See in Firlej. Dorthin zu radeln, wenn der Schnee nicht zu hoch lag und es die Dorfstraße einigermaßen zuließ, bedeutete immer einen besonderen Spaß für die drei aus Leszkowice. Unterwegs mussten sie mehrmals anhalten, weil Piotr und Basia es nicht aushielten und sich umarmen und küssen mussten. Edek, der ja schon soooo erwachsen war, schmunzelte dann immer und schaute weg, um dann anschließend tüchtig zu stänkern.

Die beiden, Basia und Piotr, revanchierten sich prompt, sobald sie in Firlej ankamen und von Emilia willkommen geheißen wurden. Denn gleich ließ Edward sein Rad in den Schnee fallen und stürzte auf sie zu und umarmte sie herzlich. So verbrachten die vier Jugendlichen ihre Sommer und Winter über noch kommende Jahre, bis sie sich offiziell versprochen wurden oder sie von tragischen Ereignissen eingeholt wurden, die ihnen nicht erlaubten, die gegebenen Versprechen einzulösen.