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Helene Bauer

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Beschreibung

Ende des 20. Jahrhunderts schien es ausgemacht: Der kapitalistische Markt hatte über die Planwirtschaft gesiegt. Versuche, mittels rationaler Planung die kapitalistischen Länder "einzuholen und zu überholen", waren bereits zwei Jahrzehnte zuvor gescheitert. Planwirtschaftliche Modelle schienen für immer abgeschrieben, hatten sie sich doch in der Praxis als ökonomisch undurchführbar und politisch repressiv erwiesen. Allerdings ist eine Beschäftigung mit der Idee einer geplanten sozialistischen Wirtschaft und ihren theoretischen Grundlagen heute aktueller denn je. Denn das Hohelied des freien Marktes verhallt nun schneller, als von den Nutznießern des Kapitalismus befürchtet. Die Wirtschaftskrise 2008, erzwungene Migrations- und Fluchtbewegungen, zunehmende soziale Verwerfungen und nicht zuletzt die ökologische Katastrophe und ihre dramatischen Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen haben zu einer Krise in Permanenz geführt, der mit marktwirtschaftlichen Methoden offensichtlich nicht beizukommen ist. Ob bei den CO2-Budgets, der Impfstoffproduktion oder der Bereitstellung von Atemwegsmasken: Immer öfter war zuletzt, nicht nur im angelsächsischen Raum, von Sozialismus, Planwirtschaft oder zumindest planning die Rede. Für die Herausgeber Philip Broistedt und Christian Hofmann ist Planwirtschaft weder ein selbsterklärender noch ein originär linker Begriff. In ihrer Textsammlung dokumentieren sie zentrale Debatten darüber, wie eine geplante Wirtschaft an die Stelle der anarchischen Produktion auf Basis des Marktes treten könnte. Auch wenn Marx und Engels keine Theorie einer Planwirtschaft verfassten, so ist doch die Marxsche Kapitalismusanalyse, die auf die Aufhebung der Wertform der Produkte hinausläuft, der Ausgangspunkt für die Linke um eine planmäßig bewusste, gesellschaftliche Produktion. Im ersten Kapitel des Buches geht es deshalb um die Arbeitszeitrechnung als Dreh- und Angelpunkt für einen gesellschaftlichen Produktionsplan der assoziierten ProduzentInnen, die Marx im Kapital als "Verein freier Menschen" titulierte. Die Kapitel zwei und drei beinhalten Texte, die zentral für die gescheiterten Planwirtschaftsmodelle des 20. Jahrhunderts stehen. Die KommunistInnen in Russland und später auch in China besaßen in der ersten Phase ihrer revolutionären Umwälzung die Hoffnung, mit kriegswirtschaftlicher Naturalplanung im Sturmlauf zum Kommunismus zu gelangen. Geprägt und inspiriert durch die Kriegswirtschaft sollte alles administrativ geregelt werden: die Arbeit durch revolutionäre Arbeitsdisziplin, wenn nicht Arbeitsarmeen, die Planung und Bezahlung in Naturalien. Im dritten Kapitel geht es um die "planmäßige Anwendung des Wertgesetzes", das nach dem schnellen Scheitern der Naturalwirtschaft zentral für den Staatssozialismus wurde. Ein starker, autoritärer Staat sollte das Wertgesetz ausnutzen, um zunächst die Grundlagen für eine kommunistische Produktion zu legen. Eine Kostenrechnung, d. h. eine Ökonomie mit "Ware-Geld-Beziehungen", war letztlich trotz Wirtschaftsplanung als unverzichtbarer Bestandteil des Staatssozialismus allgemein anerkannt. Im abschließenden Kapitel finden sich neuere Diskussionsbeiträge, die vom Scheitern der starren Planwirtschaftsversuche im 20. Jahrhundert ausgehen. Dabei steht einmal mehr die zentrale Frage im Raum, warum der Staatssozialismus keine bessere ökologische Bilanz hatte als sein konkurrierendes Pendant; zum zweiten geht es um das eklatante Demokratiedefizit bisheriger Planungsmodelle und um die Frage, welche Vorteile die neuen, digitalen Produktivkräfte für künftiges gesellschaftliches Planen bieten würden.

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Seitenzahl: 288

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Philip Broistedt/Christian Hofmann (Hg.)Planwirtschaft

© 2022 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

978-3-85371-900-8(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-504-8)

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Inhaltsverzeichnis
Philip Broistedt/Christian Hofmann: Einleitung

 

Kapitel 1: Arbeitszeitrechnung und die Assoziation der freien ProduzentInnen
Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (1877)
Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms (1875)
Helene Bauer: Geld, Sozialismus und Otto Neurath (1923)
Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland): Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung (1935)

 

Kapitel 2: Durch die Kriegswirtschaft zur Naturalwirtschaft
Otto Neurath: Wesen und Weg der Sozialisierung (1919)
Nikolaj Bucharin: Das Programm der Kommunisten (1919)
Alexander Schljapnikow: Die Organisation der Volkswirtschaft und die Aufgaben der Gewerkschaften (1920)

 

Kapitel 3: Planmäßige Anwendung des Wertgesetzes
Rudolf Hilferding: Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik (1927)
Wladimir Iljitsch Lenin: Die Neue Ökonomische Politik und die Aufgaben der Ausschüsse für politische und kulturelle Aufklärung (1921)
Autorenkollektiv sowjetischer Ökonomen: Der Charakter des Wirkens des Wertgesetzes im Sozialismus (1954)
Leo Trotzki: Verratene Revolution (1936)

 

Kapitel 4: Planwirtschaftsdebatte 2.0
Wolfgang Harich: Kommunismus ohne Wachstum (1975)
Rudolf Bahro: Die Alternative (1977)
Pat Devine: Demokratie und wirtschaftliche Planung (1988)
Paul Cockshott/Allin Cottrell: Alternativen aus dem Rechner (1993)

Über die Herausgeber

Philip Broistedt, geboren 1979, lebt in Berlin und arbeitet als Programmierer. Er beschäftigt sich mit Marx’scher Kapitalismuskritik und kommunistischer Arbeitszeitrechnung. Zusammen mit Christian Hofmann veröffentlichte er 2020 das Buch »Goodbye Kapital«. Er engagiert sich in verschiedensten linken Zusammenhängen und war zuletzt vor allem bei der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« aktiv.

Christian Hofmann, geboren 1980, lebt in Leipzig und arbeitet im Bildungsbereich. Er publiziert in verschiedenen linken Zeitschriften und auf assoziation.info, oft zusammen mit Philip Broistedt. Er engagiert sich in der ökosozialistischen Strategiedebatte und Vernetzungsarbeit und an der Schnittstelle von Gewerkschaften und Ökologiebewegung.

Philip Broistedt/Christian Hofmann: Einleitung

Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. […] Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.

Karl Marx

Nie vor der neuzeitlichen Geschichte sind eine Idee und eine Bewegung, die auf die Befreiung des Menschen ausgerichtet waren, bei dem Versuch der gesellschaftlichen Verwirklichung so nachhaltig, so tragisch und zugleich so jämmerlich unheroisch gescheitert.

Manfred Kossok1

Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts schien es ausgemacht: Der kapitalistische Markt hatte über die Planwirtschaft gesiegt. Die Versuche, mittels bewusster Planung von Produktion und Verteilung die kapitalistischen Länder »einzuholen und zu überholen«, waren gescheitert. Planwirtschaftliche Modelle galten als abgeschrieben, hatten sie sich doch als ökonomisch rückständig und ineffizient entpuppt und sich politisch als undemokratisch und repressiv erwiesen. Starker Zentralismus, uferlose Bürokratie und autoritäre Einparteienherrschaften schienen untrennbar mit der Idee des geplanten Wirtschaftens verbunden zu sein. Nicht nur die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Satellitenstaaten, auch China, Vietnam, Nordkorea oder Kuba gaben oder geben ein sehr ähnliches Bild ab.

Allerdings verhallt in unserer Zeit das Hohelied des freien Marktes schneller, als von den Apologeten dieser Gesellschaft erhofft. Verschiedene Krisen, wie die Weltwirtschaftskrise 2008, erzwungene Migrations- und Fluchtbewegungen, zunehmende soziale Verwerfungen und Verelendungen und nicht zuletzt die ökologische Katastrophe und ihre dramatischen Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen des Menschen, haben zu einer Krise in Permanenz geführt. Dieser ist mit marktwirtschaftlichen Methoden ganz offensichtlich nicht beizukommen. Und so werden zumindest die destruktiven Auswirkungen des Marktes langsam in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer hat treffend festgehalten, dass »der Weg in den Untergang mit gut gemeinten, marktbasierten Instrumenten gepflastert« sei.2 Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der tageszeitung, hat bezüglich der Klimakrise bereits die aus der Not heraus geborene wirtschaftliche Lenkfunktion des englischen Staates während des Zweiten Weltkriegs zum Vorbild auserkoren, weil damals »die Produktionsziele staatlich vorgegeben« wurden.3 Und zwei der namhaftesten deutschen Klimaforscher, Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber, sprachen in puncto notwendiger Entscheidungen zur Senkung von Treibhausgasemissionen bereits von »Reduktionsmaßnahmen, die sich eigentlich nur im Rahmen einer (globalen!) Kriegswirtschaft realisieren lassen«.4 Was die beiden noch als Schreckensszenario anführten, bekam beim schwedischen Humanökologen Andreas Malm eine positive Wendung. Trotzdem wurde auch er breit rezensiert, als er den Zusammenhang von Corona, Klimakrise und dem chronischen Ausnahmezustand darstellte und als Lösung den »Kriegskommunismus des 21. Jahrhunderts« propagierte.5 Ob bei den globalen CO2-Budgets, der Impfstoffproduktion oder der Bereitstellung von Atemschutzmasken: Immer öfter war zuletzt, nicht nur im angelsächsischen Raum, von Planwirtschaft, planning oder sogar Kommunismus die Rede.

Aber ist die Idee des geplanten Wirtschaftens nicht bereits krachend gescheitert? Sind Zentralismus und politische Repressalien eine logische Folgeerscheinung von geplantem Wirtschaften, wie die ständigen Verweise auf die Kriegswirtschaft nahelegen? Kann der Begriff der Planwirtschaft einfach mit Sozialismus oder Kommunismus in eins gesetzt werden? Und warum sollte ausgerechnet die Idee einer geplanten Wirtschaft die ökologische Katastrophe verhindern, wo doch auch die Planwirtschaft des real existierenden Sozialismus durch gigantische Umweltverschmutzungen auffiel?

Wer nach Alternativen zum zerstörerischen Kapitalismus Ausschau halten will, muss sich diesen berechtigten Fragen stellen. Trotz allem Unheil, welches zweifelsohne im Namen der Planwirtschaft im 20. Jahrhundert geschehen ist, kommt ernst gemeinte Kritik am Kapitalismus nicht um die Frage nach bewusster und planmäßiger gesellschaftlicher Produktion als Alternative herum. In diesem Buch haben wir deshalb 15 Texte aus über 150 Jahren zusammengestellt, die sich in der einen oder anderen Form auf gesellschaftlich planmäßige Produktion beziehen und in diesem Sinne unter dem Schlagwort Planwirtschaft zusammengefasst werden können.6

Die Texte sind in ihren Inhalten äußerst heterogen und repräsentieren vollkommen unterschiedliche politische Perspektiven und Programmatiken. Was sie eint, ist zumindest der selbstbehauptete Anspruch der versammelten Autor­Innen, den kapitalistischen Markt überwinden und durch bewusste Planung ersetzen zu wollen. In diesem Sinne bezogen sich alle AutorInnen positiv auf das emanzipatorische Ziel einer kommunistischen Gesellschaft. Referenzpunkt aller Texte ist somit eine Planwirtschaft jenseits von Kapital- und Marktverhältnissen, die – zumindest langfristig – ohne Geld funktionieren sollte. Versuche der Vereinigung von Markt und Plan in einer »sozialistischen Marktwirtschaft« oder einem »Marktsozialismus« fanden bei der Textauswahl zu diesem Buch bewusst keine Berücksichtigung.7

Einleitend wollen wir an dieser Stelle diskutieren, welchen positiven und progressiven Gehalt eine geplante Wirtschaft haben könnte. Dabei wollen wir die zentralen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise darlegen, die eine Planwirtschaft überwinden sollte. Auch auf die Verweise von Karl Marx bezüglich bewusster kommunistischer Produktionsweise, also gesellschaftlich-genossenschaftlicher Produktion und Verteilung, werden wir dabei eingehen. Im Anschluss wird ein Blick auf die Geschichte der Planwirtschaft des 20. Jahrhundertsgeworfen, um uns zuletzt damit zu beschäftigen, inwiefern die Entwicklung der Produktivkräfte der letzten Jahrzehnte die Diskussion um genossenschaftlich-gesellschaftliche Planung beeinflusst. Unsere Einleitung schließt mit einer Einführung und Kontextualisierung der ausgewählten Texte.

I. Die Arbeitszeitrechnung und der »Verein freier Menschen«

Der Kapitalismus war in seiner Geschichte umwälzend und hat sowohl technisch als auch gesellschaftlich für Fortschritte gesorgt, die man heute nicht missen möchte. Aber seine Vorzüge schlagen um und werden zum Hemmschuh weiterer Entwicklung. Mehr noch, wer die Fakten zur Klimakrise und dem Massenaussterben ernst nimmt, wird gewahr, wie die Menschheit in die Katastrophe schlittert und trotz aller technischen Innovationen dabei hilflos zusieht. Ob die eigentlichen Wirtschaftskrisen oder die sozialen und ökologischen Krisen, die Triebkraft hinter ihnen ist ein Wirtschaftssystem, dessen Strukturen Profit und stetiges Wachstum voraussetzen. Die Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise verlangen, dass Ziel und Maß der Produktion alleine im Mehr am Kapital, dem Profit, bestehen kann. Hier liegen die Wurzeln für den dieser Gesellschaft inhärenten Wachstumszwang und des Zur-Ware-Werdens von allem, jeder und jedem. Das grenzenlose Wachstum steht dabei mehr und mehr im Widerspruch zu den endlichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten. Ein »grüner Kapitalismus« oder ein »Green New Deal« helfen aus diesem grundsätzlichen Dilemma nicht heraus. Auch »Postwachstum« oder »Degrowth« werden auf dieser Grundlage fromme Wünsche bleiben müssen, eben weil sie den Zwang, immer mehr und immer billiger produzieren zu müssen, nicht bändigen können. Jedes Unternehmen, sprich jedes Kapital – mögen die hinter ihm stehenden Menschen, seine Waren und Dienstleistungen nun ehrbar sein oder nicht – muss danach streben, Profit zu erwirtschaften. Das Hamsterrad der Profitmaximierung prägt mittlerweile die gesamte Gesellschaft, die ebenfalls einer stetigen Beschleunigung ausgesetzt ist. Der Zwang, immer günstiger zu produzieren, führt geradewegs zur grenzenlosen Ausbeutung von Mensch und Natur. Dabei tun sich sonderbare Widersprüche auf: Krisen entstehen, weil zu viele Waren, zu viel an Reichtum produziert wurde, der vielleicht dringend gebraucht wird, aber keine zahlungskräftige Nachfrage findet. Während die einen immer länger, schneller und mehr arbeiten müssen, verharren andere in Arbeitslosigkeit. Obwohl die Grenzen der Stabilität und Belastbarkeit des Erdsystems, die planetaren Grenzen, längst erkannt und bestimmt sind, ist der Raubbau an der Natur nicht zu stoppen und die Menschheit untergräbt ihre eigenen Lebensgrundlagen.8

Dabei wären diese Widersprüche leicht zu beseitigen: Statt profitgetriebener Überproduktionskrisen könnte die Gesellschaft genauso viele Güter produzieren, wie nützlich sind und gebraucht werden. Produktivere Maschinen würden so eingesetzt, dass alle Menschen weniger arbeiten müssten oder aber qualitativ und ökologisch nachhaltigere Produkte in derselben Zeit produzieren. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, gerade bezüglich der planetaren Belastungsgrenzen, könnten die Grundlage jeglichen Produktionsprozesses sein. Was einfach und logisch klingt, ist auf dem Boden dieser Gesellschaft nicht umsetzbar, schließlich bedürfte es dazu gesamtgesellschaftlich abgestimmter Produktions- und Reproduktionspläne.

Natürlich gibt es auch heute schon Pläne und Planung in der Produktion. Die Planung endet allerdings unter den aktuellen Bedingungen dort, wo der Konzern endet. Das heißt auch, dass »externe Kosten« und »externer Nutzen« nicht mit kalkuliert bzw. berücksichtigt werden. Da jedes Unternehmen darauf setzt, maximalen Profit zu erwirtschaften, muss es den genauen Bedarf der Menschen gar nicht kennen. Es wird nur zahlungsfähiges Bedürfnis beachten können und darauf setzen, die Konkurrenz mittels Preiskampf, Werbung und Marketing zu übertrumpfen, auch auf die Gefahr der Überproduktion. Eine gesamtgesellschaftliche Planung kann es deshalb unter den privatwirtschaftlichen Eigentumsverhältnissen nicht geben. Man kann nur das verplanen, über das man zumindest verfügen kann. Erst wenn die Gesellschaft sich der Produktionsmittel bemächtigt, kann es auch eine gesamtgesellschaftliche Rechnungsführung und Planung geben. Mit dieser vermag man die Produktion insgesamt auf die Bedürfnisbefriedigung umzustellen. Auch der dringend notwendige ökologische Um- und Rückbau der Industrie müsste alle Produktionskapazitäten miteinbeziehen und diese bewusst berechnet im Interesse der Menschen neu justieren. Aber die privaten Eigentumstitel, der Privatbesitz an den Produktionsmitteln, verhindern rationales gesellschaftliches Planen. Solange diese bestehen, kann auch der Zwang zum Wachstum nicht unterbunden werden, auf Dauer gesehen kann man ihn nicht einmal nachhaltig regulieren. Der Wachstumszwang ist keine nebensächliche Erscheinung der kapitalistischen Produktionsweise, sondern steckt konstitutiv im Kapital und damit letztlich in Geld, Wert und Ware.

Die Arbeitszeit bestimmt heute den Wert der Produkte und das Wertgesetz regelt damit unbewusst für die Beteiligten die gesamte Produktion. Auch wenn der Wert oberflächlich betrachtet als natürliche Eigenschaft der Waren erscheint, so löst er sich bei der Analyse in Arbeit auf.9 Die geleistete Arbeitszeit würde auch in geplanter gesellschaftlich-genossenschaftlicher Produktion eine Schlüsselrolle spielen müssen. Maßgeblich wäre, dass die Arbeit bereits vor der Produktion unmittelbar gesellschaftlich wäre. Statt über den Umweg von Wert und Markt könnte sie bei gesellschaftlichem Besitz der Produktionsmittel direkt gemessen werden und als grundlegende Rechnungsgröße für die Produktion dienen. In diesem Sinne wären die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bei einer gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeitrechnung »durchsichtig einfach«. Während die über den Umweg des Marktes und der Ware-Geld-Beziehungen genommene Arbeitszeit die Gesellschaft unbewusst beherrscht, wäre die direkt gemessene Arbeitszeit die Grundlage bewusster Planung. Eine zweite und untergeordnete Frage ist die nach der Verteilung der produzierten Güter. Auch hier könnte, zumindest vorübergehend, die individuell geleistete Arbeitszeit eine wichtige Rolle spielen, wenn Arbeitszeitkonten an die Stelle des Geldes treten würden.10

Eine solche bewusst geplante Arbeitszeitrechnung stellt beim heutigen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung kein Problem dar. Ideengeschichtlich kann man sie bereits bei Karl Marx finden, bei dem sie die Konsequenz seiner Analyse der kapitalistischen Produktionsweise markiert. In seinem Hauptwerk, dem »Kapital«, stellt er in einer Passage den Vergleich an zwischen der seinerzeitigen mit einer nachkapitalistischen Gesellschaft: »Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.«11

Im ersten Kapitel haben wir Texte zusammengestellt, die die Arbeitszeit als Dreh- und Angelpunkt einer möglichen kommunistischen Planung theoretisieren. Eine solche Arbeitszeitrechnung spielte in Theorie und Praxis des real existierenden Sozialismus keine Rolle, weshalb diese Texte rein theoretischer Natur sind. Die Gruppe Internationaler Kommunisten Holland (GIK) konnte ihre Theorie allerdings schon in Abgrenzung zur Praxis der Sowjetunion der 1920er-Jahre formulieren. Gegen diese führte sie die Arbeitszeitrechnung ins Feld: Dabei ist diese »Durchführung der Arbeitsstunde als Maßstab« nichts, was den Menschen von oben aufgesetzt oder verordnet werden könnte, sondern funktioniert nur, wenn ArbeiterInnen dies selbsttätig akzeptieren und sich als »Assoziationen von freien und gleichen ProduzentInnen« zusammenschließen. Auch Marx hatte schon darauf hingewiesen, dass es in einer kommunistischen Gesellschaft darum gehen müsse, die »vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft« zu verausgaben und ihren Zusammenschluss nicht zufällig einen »Verein freier Menschen« genannt.12 Die Durchführung der Arbeitszeitrechnung steht also in einem untrennbaren Zusammenhang zur freien und selbstständigen politischen Konstitution der Menschen. In der Planwirtschaft des real existierenden Sozialismus war das Gegenteil der Fall, weshalb wir diesen auch synonym als Staatssozialismus bezeichnen.

Die Idee, die Menschen mögen sich die Produktionsmittel aneignen, sich politisch als freie und gleiche Wesen assoziieren, um auf dieser Grundlage ihre individuellen Arbeitszeiten als eine gemeinschaftliche planen zu können, wurde nicht im luftleeren Raum geboren, sondern hatte ihrerseits große gesellschaftliche Voraussetzungen. Erst die »Doppelrevolution«, die »Einheit von politisch-sozialer Umwälzung (ausgehend von der Französischen Revolution) und ökonomisch-technologischer Revolution (Zentrum England)«13 schuf den Boden für die Theorie von der Emanzipation des Menschen im Kommunismus. Die Entwicklung der Produktivkräfte hatte dazu geführt, dass in der modernen Industrie immer mehr Menschen ohne eigene Produktionsmittel arbeiteten und dabei direkt gesellschaftlicher Produktion nachgingen. Dies war die Grundlage für das Postulat, die Gesellschaft als Ganze müsse über diese Produktionsmittel bestimmen und auch über das gesellschaftlich produzierte Produkt verfügen. Die Produktivität der Arbeit sollte dabei einen Entwicklungsstand erreicht haben, der ein deutliches Mehrprodukt über die eigene Subsistenz gewährleisten könne. Marx und Engels stellten einmal in derben Worten fest, dass dies die Voraussetzung für den Kommunismus sei, weil andernfalls »nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müsste«.14 Entwickelte Produktivkräfte als Voraussetzung der menschlichen Emanzipation beschreibt hier allerdings nicht nur den Entwicklungsstand der modernen Industrie, sondern auch die gesellschaftlich politische Dimension, die »geistigen Voraussetzungen«. Der gemeinschaftliche Produktionsplan hat schließlich die Selbsttätigkeit und Autonomie der Einzelnen zur Voraussetzung, die sich aus freien Stücken assoziieren, um einen gesellschaftlichen Produktionsplan aufzustellen und umzusetzen. Ebenso wie ein gewisser Entwicklungsstand der Produktionsmittel und der Möglichkeiten der Produktion materiellen Reichtums, sind somit auch das moderne Demokratie-, Gleichheits- und Rechtsverständnis, die bürgerlichen Menschenrechte und die Aufklärung, Voraussetzung für assoziierte Produktion nach Plan. Die soziale Emanzipation setzt die »bürgerliche Emanzipation« voraus, um sie dann ihrerseits weiterzuentwickeln und auf höherer Stufenleiter zu entfalten.

II. Die Planwirtschaft des 20. Jahrhunderts

Der Staatssozialismus lieferte ein trauriges Abbild der kommunistischen Theorie. Nicht der Gesellschaft gehörten die Produktionsmittel, sondern dem Staat. Nicht die Gesellschaft plante, sondern staatliche Behörden. Sämtliche Planung war von oben herab nacheinem (Fünfjahres)Plan konzipiert. Die Gesellschaften waren nicht frei, sondern wurden autoritär von der alles dominierenden Staatspartei bzw. deren Führung beherrscht. Die Grundlage der Planung war nicht die Arbeitszeit, sondern eine krude Mischung aus naturalwirtschaftlicher Planung mit vielen und tendenziell wachsenden Konzessionen an Wert- und Marktverhältnisse.

An dieser Stelle kann nicht geklärt werden, welchen politökonomischen Charakter die Gesellschaften des Staatssozialismus hatten.15 Spätestens seit Beginn der 1990er-Jahre dominierten die Wertverhältnisse, die in den Jahrzehnten zuvor von einem mächtigen Staatsapparat und dessen Wirtschaftsplanern mal mehr, mal weniger im Zaum gehalten wurden. Die staatlichen Pläne waren zentrales Moment der Ökonomie, weshalb es gerechtfertigt ist, von Planwirtschaft zu sprechen. Ideologisch beriefen sich die herrschenden Parteien dabei auf Versatzstücke aus den Werken von Marx und Engels sowie zentrale Gedanken von Lenin, die als Marxismus-Leninismus zur offiziellen Staatsdoktrin erhoben wurden. Im Rahmen dieses Katechismus gaben die Staatsparteien an, als Fernziel die herrschaftsfreie, klassenlose kommunistische Gesellschaft anzustreben, in welcher jeder Mensch »nach seinen Fähigkeiten arbeiten« und ohne Zahlungsmittel nach »seinen Bedürfnissen« bekommen sollte. Der tatsächlich erreichte Entwicklungsstand wurde als Sozialismus bezeichnet, welcher die erste Stufe zum Kommunismus darstellen sollte. Die staatliche Dominanz, die autoritären Formen der politischen Herrschaft und die Existenz von Wert und Geld als Rechen- und Zirkulationsmittel wurden damit gerechtfertigt, dass man sich erst auf dem Weg zum Kommunismus wähnte. In einer fernen Zukunft sollten diese Elemente verschwinden.

Die Form der Planwirtschaft, wie das 20. Jahrhundertsie gesehen hat, stammt aus der Sowjetunion, wo sie sich im Laufe von bitteren Kämpfen in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution herausbildete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie mit geringer Flexibilität auf die osteuropäischen Länder übertragen. Doch auch in den Ländern, in denen die kommunistischen Parteien nicht durch die Rote Armee an die Macht gehievt wurden, sondern diese aus eigener Kraft eroberten, orientierte man sich sehr stark am sowjetischen Vorbild. Dies gilt für China, Vietnam, Kuba und, mit gewissen Abstrichen, Jugoslawien. Trotz aller Unterschiede im Detail waren die Grundsätze der Planung gleich. Wir werden deshalb bezüglich des Staatssozialismus ausschließlich die Sowjetunion behandeln, wo das Planwirtschaftsmodell des 20. Jahrhundertsoriginär entstand. Bei der Betrachtung des geplanten Wirtschaftens fallen dabei zwei Phasen auf. In einer ersten, kurzen Phase, die im Nachhinein den Namen Kriegskommunismus erhielt, wurde der Versuch unternommen, den Handel zu verbieten und die Produktion direkt auf den Bedarf auszurichten. Als dieser Ansturm auf den Kommunismus 1921 im Desaster endete, wurde mit der NeuenÖkonomischenPolitik(NÖP) zunächst der Warenhandel wieder zugelassen. Ende der 1920er-Jahre wurden dann die ersten Fünfjahrespläne ausgearbeitet. Nach riesigen Erfolgen und dem Export des sowjetischenPlanungsmodells nach dem Zweiten Weltkrieg geriet dieses in Stagnation.

Kennzeichnend für den Staatssozialismus war, dass er mit Blick auf den Weltmarkt ein »peripheres Phänomen« blieb, ein »Aufstand der Peripherie gegen das Zentrum«.16 Natürlich war den Bolschewiki klar, dass das kriegsgeschundene kleinbürgerlich-bäuerliche Russland des Jahres 1917 denkbar ungünstige Voraussetzungen dafür bot, eine kommunistische Umwälzung durchzuführen. Worum es ihnen bei der Machteroberung ging, brachte Lenin 1917 klar zum Ausdruck: »Russland ist ein Bauernland, eines der rückständigsten europäischen Länder. Der Sozialismus kann in Russland nicht sofort und unmittelbar siegen.« Allerdings gebe es die Chance, die bürgerlich-demokratische Revolution in Russland zur ersten Stufe, zum »Vorspiel der sozialistischen Weltrevolution« zu machen.«17 Es gelte, die Macht zu erobern und auszuharren, bis das Proletariat in Europa nachzieht. Mit dessen Unterstützung gedachte man das rückständige Russland umgestalten zu können.

a) Der Kriegskommunismus

Die Oktoberrevolution fand nicht unter kommunistischem Vorzeichen statt, sondern unter der Losung von »Brot, Land, Frieden«. Für die Mehrheit der Bevölkerung – mehr als 80 % – war sie zunächst eine Agrarrevolution. Die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit hatte weder Interesse noch Ahnung von gesellschaftlicher Produktion. Sie betrieb im Wesentlichen Subsistenzwirtschaft und gewann ihre Lebensmittel kaum im Austausch mit der Gesellschaft. Die Bauern akzeptierten, dass die Bolschewiki die Führung übernahmen, da diese die einzige politische Kraft von Relevanz darstellten, die versprach, schnellstmöglich den Krieg zu beenden und die verhassten Gutsbesitzer zu enteignen. Nachdem der Sturz des Zaren nicht die erwünschten Ergebnisse brachte, begannen die Bauern aus der Armee zu desertieren und auf eigene Faust das Land unter sich aufzuteilen. Die Bolschewiki duldeten diese von der Bauernschaft selbst vorgenommene Verteilung. Die Oktoberrevolution war somit keine sozialistische, sondern eine Revolution zur Umverteilung des Grundbesitzes. Diese Besitzergreifung des Bodens durch die Bauern war unvereinbar mit der Idee von geplanter gesellschaftlicher Produktion auf Grundlage von gemeinschaftlichem Besitz an den Produktionsmitteln.18

Auch führenden Bolschewiki war dieser Widerspruch klar. »Die Revolution hatte auch deshalb leicht gesiegt, weil das Proletariat, das zum Kommunismus strebte, vom Bauerntum unterstützt wurde, das gegen die Gutsbesitzer marschierte. Aber dasselbe Bauerntum erweist sich in der Periode des Aufbaus der kommunistischen Produktionsverhältnisse als größter Hemmschuh«, hielt etwa Nikolaj Bucharin Ende 1919 fest.19 Den Widerspruch lösen sollte die sehnsüchtig erwartete Revolution in Europa. Derweil gab es in den russischen Städten eine spontane Bewegung der ArbeiterInnen, die ihre Betriebe enteigneten. Voller revolutionärer Euphorie begrüßten die russischen KommunistInnen diese Maßnahmen, auch wenn sie die Gefahren einer planlosen Enteignung durchaus sahen. Selbst Lenin, der der spontanen Bewegung zunächst eher skeptisch gegenüberstand, sprach ab Jahresende 1917 vom anstehenden »Übergang zum Sozialismus«. Die dafür notwendige »Rechnungsführung und Kontrolle« erhoffte er sich zu diesem Zeitpunkt als spontanes »Werk der Massen«.20 Das neue Programm, welches sich die Kommunistische Partei Russlands Anfang 1919 gab, wies noch ganz diese Handschrift auf.21

Der Kriegskommunismus war vor allem durch den erbittert geführten Bürgerkrieg geprägt. Die drakonischen Konfiskationen, allen voran die Ablieferungspflicht der Bauernschaft, machten die Grundlage aus für den Aufbau und Sieg der Roten Armee. Aber anders als spätere parteioffizielle Darstellungen glauben machen wollen, waren diese Maßnahmen nicht nur durch Krieg und Intervention aufgezwungen, sondern sollten den Weg in die Zukunft weisen. »Die Sowjetregierung hoffte und trachtete, die Reglementierungsmethoden auf direktem Wege zu einem Planwirtschaftssystem zu entwickeln, sowohl auf dem Gebiet der Verteilung wie der Produktion. Mit anderen Worten: vom ›Kriegskommunismus‹ gedachte sie allmählich, aber ohne das System zu verletzen, zum echten Kommunismus überzugehen.«22

Tatsächlich gab es in jenen Jahren in den Städten eine zentralisierte Produktion, »die in jedem Industriezweige im wesentlichen auf Grund des Produktionsplans für diesen Industriezweig geleitet wurde.«23 Es galten Arbeitszwang und verschiedenste Arbeitspflichten, für deren Umsetzung nach »Maßregeln des Klassenzwanges« die Gewerkschaften zu sorgen hatten.24 Das Hauptkomitee zur Durchführung der Arbeitspflicht sorgte zusätzlich für Massenmobilisierungen. Die galoppierende Inflation führte dazu, dass man von festen Preisen dazu überging, jede Bezahlung einzustellen. Zumindest in den großen Städten gab es zur Verteilung der Güter ein Kartensystem, Bezahlung in Naturalien, außerdem Speisehallen und allerhand kostenlose Dienstleistungen. Auf dem Land wurden alle über eine bestimmte Verbrauchsnorm hinausgehenden »Überschüsse« beschlagnahmt und der Handel verboten.

Leo Kritzman, ein führender Bolschewik dieser Tage, sprach »der alten Garde« seiner Genossen aus dem Herzen, wenn er am Kriegskommunismus die klare Tendenz zur »Vernichtung des Marktes, zur Vernichtung der Geld-, Waren- und Kreditverhältnisse, zur Vernichtung der Warenwirtschaft« positiv hervorhob.25 Zwei Grundzüge stellte er bezüglich der Ökonomik fest: »Sie war erstens eine Naturalwirtschaft, zweitens eine zentralisierte Wirtschaft.« Der stark zentralisierte und erzwungene Produktaustausch, der weitgehend ohne Geld abgewickelt wurde, schürte die Illusion, sich auf eine planmäßige gesellschaftliche Produktion zuzubewegen. Doch auch wenn wir den Zwangscharakter und die desaströsen Ergebnisse ausblenden, fällt sofort das Fehlen jeglicher Planmäßigkeit auf. Dies musste auch Kritzman zugeben.26 Zwar wurden in Parteiforen und allerlei Kommissionen große Pläne diskutiert, aber die objektive Lage war mit diesen nicht vereinbar. Die Pravda berichtete bereits im Winter 1920 von Verfall, Hunger, Epidemien und Tod und klagte: »Die Industrie ist zugrunde gerichtet.«27 Die einzige Möglichkeit für mehr gesellschaftlich geplante Arbeit wäre noch mehr Zwang gewesen, wie es die »Parteilinke« um Leo Trotzki mit dem Programm der »Militarisierung der Arbeit« verfocht. In der Praxis wurde allerdings ohnehin schon einer widerstrebenden Bauernschaft mit Waffengewalt so viel Getreide wie möglich abgepresst, wobei man im Gegenzug nichts mehr anzubieten hatte. Vor »die Wahl gestellt, entweder den Gutsherren das Land zu überlassen oder auf die Freiheit des Handels zu verzichten, wählte sie das zweite. Die Bauernschaft ging auf die verhaßte Forderung des Verbots des Handels, auf die Ablieferung der Überschüsse ein, wenn (und solange) das notwendig war, um ihr das Land zu sichern«.28 Mit dem Sieg im Bürgerkrieg entfiel dieser Grund und es kam zu massenhaften Bauernaufständen und der Rebellion von Kronstadt. Die Bolschewiki mussten den Kriegskommunismus Anfang 1921 aufgeben und die NÖP einführen. Damit entfiel die Ablieferungspflicht der Bauern, der Markt- und Geldverkehr wurde wieder legal und die städtische Industrie staatskapitalistisch reglementiert.

Im zweiten Kapitel des Buches haben wir Texte zusammengestellt, die stellvertretend für die Euphorie und Hoffnung der KommunistInnen in der Zeit des Kriegskommunismus stehen. Vor allem die Idee, man könne gesellschaftlich geplante Produktion und Verteilung ohne Recheneinheit durchführen, ist dabei augenfällig.

b) Die »planmäßige Anwendung des Wertgesetzes«

Da die von den Bolschewiki erhoffte Revolution in Europa ausblieb, sahen sie sich zunehmend auf sich allein gestellt. Die Hoffnung auf einen direkten Weg Richtung gesellschaftlich planmäßiger Produktion hatte sich zerschlagen und Lenin erklärte reumütig, das Programm der Bolschewiki wäre zwar »theoretisch richtig, aber praktisch unhaltbar«.29 Die russischen KommunistInnen hatten die politische Macht in einem Land erobert und behauptet, in welchem nach der eigenen Theorie die objektiven Voraussetzungen für eine kommunistische Umwälzung fehlten. In seinen letzten theoretischen Äußerungen ging Lenin noch einmal auf diesen Widerspruch ein und gelangte dabei zu folgendem Schluss: »Wenn zur Schaffung des Sozialismus ein bestimmtes Kulturniveau notwendig ist […], warum sollten wir also nicht damit anfangen, auf revolutionärem Wege die Voraussetzungen für dieses bestimmte Niveau zu erringen, und dann schon, auf der Grundlage der Arbeiter- und Bauernmacht und der Sowjetordnung, vorwärtsschreiten und die anderen Völker einholen.«30

Tatsächlich rückte die Hoffnung auf die baldige Revolution in Europa mehr und mehr in den Hintergrund und Lenins Nachfolger sprachen schon bald nach dessen Tod vom »Aufbau des Sozialismus in einem Land«, wobei das Wort »Aufbau« durchaus verriet, dass es zunächst einmal um gewisse Voraussetzungen gehen müsse. Das Gefühl der permanenten Bedrohung durch das »imperialistische Ausland« wurde ausschlaggebend für ein mit brachialer Gewalt durchgesetztes Programm der nachholenden Industrialisierung.31 Ab Ende der 1920er-Jahre bestand das erklärte Ziel darin, »in kürzester Zeit zumindest den Anschluß an das Produktivkraftniveau und damit auch an die ökonomische und militärische Potenz der Industrieländer« zu schaffen.32 Die Akkumulationsmittel für die beschleunigte Industrialisierung musste die Landwirtschaft liefern. Dazu leitete der Staat ab Ende der 1920er-Jahre eine Kollektivierungspolitik ein, bei der es zur »schlagartigen Enteignung von einigen zwanzig Millionen Kleinbauern« kam.33 Der erzwungene Zusammenschluss in großen Kollektivwirtschaften sollte in einer Flurbereinigung das Problem der Bodenzersplitterung lösen und zugleich dem Staat direkten Zugriff auf das Mehrprodukt der bäuerlichen Mehrheitsbevölkerung liefern. Diese »zweite Revolution« war von Hungersnöten und bürgerkriegsähnlichen Zuständen begleitet, verfehlte ihr Ziel aber dennoch nicht gänzlich. »[D]urch extreme Gewaltanwendung« gelang es, die Ablieferungen der Landwirtschaft »stark zu erhöhen«.34 Da die Produktivität der Kollektivwirtschaften anders als erhofft nicht stieg, gingen die erhöhten Abgaben direkt auf einen sinkenden Lebensstandard der Bauern zurück.

Auf Grundlage der Kollektivierung begann die Sowjetführung die forcierte Industrialisierung, die in der schnellstmöglichen »Produktionsmaximierung in ausgewählten Industriezweigen«, allen voran der Schwerindustrie bestand.35 Tatsächlich gelang in nur 2 Planjahrfünften ein Industrialisierungsprogramm, welches in Tempo und Umfang bis dahin keinen Vergleich kannte. Bereits 1940 nahm die Stahlproduktion mit ihrem Produktionsumfang »den ersten Platz in Europa und – den zweiten Platz in der Welt ein.«36 Mittels Planung, die allerdings massiv auf Gewalt als »außerökonomischer Potenz« setzte, war es gelungen, die Sowjetunion binnen kürzester Zeit aus einem Agrarland in eine Industrienation zu verwandeln, der es gelang, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen und kaum zehn Jahre später die erste Rakete ins Weltall zu schießen. Eine solche Entwicklung mit bewusstem Fokus auf die Entwicklung der Schwerindustrie hätte es auf Grundlage des Marktes kaum geben können. Die permanente direkte Gewalt war allerdings die Kehrseite der Erfolge und sollte nicht ausschließlich an den Namen Stalin geknüpft werden. Vielmehr setzte dieser seit den 1930er-Jahren das Programm um, welches die Parteilinke um Trotzki bereits im Bürgerkrieg gefordert hatte und durchaus eng mit den objektiven Entwicklungsmöglichkeiten verknüpft war.37

Wenn die sowjetische Verfassung 1936 verkündete, das Land habe den Sozialismus als niedere Phase des Kommunismus bereits erreicht, war dies sowohl in politisch-gesellschaftlicher wie in ökonomischer Hinsicht grotesk. Während Marx noch davon gesprochen hatte, dass im Kommunismus die »assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen«,38 war nun in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil der Fall. »Die hohen Wachstumsraten der Industrieproduktion, die in den westlichen Ländern nicht ihresgleichen fanden, wurden zu einem großen Teil durch den Raubbau an den natürlichen und menschlichen Ressourcen erzielt.«39 Die einseitige Ausrichtung auf die Schwerindustrie prägte die Gesellschaft in fast jeder Hinsicht: »Der größte Teil der Bevölkerung lebte von Kohl und Kartoffeln, war in Lumpen gekleidet und hauste in Elendsquartieren. Während die höchstentwickelten Werkzeugmaschinenfabriken der UdSSR ebenso leistungsfähig waren wie die der USA, lagen die rückständigen Verbrauchsgüterindustrien um mindestens ein halbes Jahrhundert zurück.«40 Die ArbeiterInnen der Städte waren längst nicht mehr die klassenbewussten ProletarierInnen, die die Oktoberrevolution angeführt hatten. »Mehr als zwanzig Millionen Bauern wurden während der 30er Jahre in die Städte umgesiedelt. […] Sie wurden auf die Arbeit in der Fabrik abgerichtet und einem grausamen Drill und strenger Disziplin unterworfen. Sie waren es, die den Sowjetstädten das graue, elende, halbbarbarische Aussehen gaben.«41 Es ging also nicht ausschließlich um das Mehrprodukt der Bauernschaft. Auch die ArbeiterInnen in den Städten – der Anteil der Frauen an der Industriearbeiterschaft betrug Anfang der 1940er-Jahre über 40 % – bezahlten die »ursprüngliche sozialistische Akkumulation« mit sinkendem Lebensstandard, Konsumverzicht und einer Zwangsorganisation der Arbeit.

Weit davon entfernt, eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu repräsentieren, gelang es dem sowjetischen Planungsmodell »die traditionelle Modernisierung in großem Umfang nachzuvollziehen und dabei Wachstumsraten weit über denen der westlichen Länder zu erreichen«.42 »Dieses Planungsmodell wurde in starkem Maße durch die Aufgaben der Industrialisierung eines zurückgebliebenen Landes in kurzer Zeit und durch die Mobilisierung der dazu erforderlichen Akkumulationsmittel auf Kosten der bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit, eine hiermit verbundene extremen Zentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen sowie die dominierende Orientierung der Wirtschaftstätigkeit auf die extensive Vergrößerung der Produktion geprägt.«43 Das gesamte Planungsprogramm war auf diese Zielstellung zugeschnitten. Fünf Jahre standen dabei sowohl für die Umsetzbarkeit von neuen, industriellen Megaprojekten, als auch für einen Zeitraum, in dem landwirtschaftliche Durchschnittsernten erzielt werden sollten.44 Es ist kein Zufall, dass dieses Planungsmodell nur sehr wenig Ausstrahlungskraft auf die Lohnabhängigen in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften besaß, dafür allerdings um so mehr auf die antikolonialen Umwälzungen in peripheren Ländern, die sich vor ähnlichen Aufgabenstellungen sahen.

Nach den Umbrüchen und Katastrophen von Kollektivierung, Industrialisierung, Weltkrieg und Wiederaufbau verfestigte sich ein System der industriellen Planung und Steuerung, das – wenn auch mehrfach Reformen unterworfen – im Wesentlichen bis zum Ende der Sowjetunion Bestand hatte. Industrielle Produktionsmittel, waren dabei genauso wie die Banken und ein Großteil des Handels in Staatsbesitz, Preise wurden zentral festgelegt. Diese staatliche Kontrolle bildete die Grundlage der Fünfjahrespläne, die durch Perspektiv- und Jahrespläne ergänzt wurden. Hauptwerkzeuge der sowjetischen Planwirtschaft waren Materialbilanzen für Produktion, Verbrauch und Lagerbewegungen. Die Bilanzen konnten allerdings nur für einige hundert Produkte aufgestellt werden. Sie wurden auf Grundlage von Erfahrungswerten und den erwarteten technischen Fortschritten für die je folgenden Pläne fortgeschrieben. Der Planungsbehörde Gosplan fiel zumindest der Theorie nach die Aufgabe der zentralen Steuerung der gesamten Wirtschaft zu. Es handelte sich im Kern um eine Naturalplanung, die angesichts mehrerer Millionen Produkte aber nur einen sehr kleinen Teil von Grundstoffen berücksichtigen konnte. Dazu kamen eigene Pläne der verschiedenen Wirtschaftszweige: »Die Inputs, die im Bereich eines Ministeriums für die Verwendung eigener Unternehmen hergestellt werden, brauchen in den Allokationsplänen von Gosplan und Gossnap nicht berücksichtigt zu werden.«45 Der eine, von obenzentral erstellte Wirtschaftsplan, der sämtliche Daten enthalten sollte, blieb zwar das theoretische Ziel, war aber praktisch unmöglich zu erstellen.

Das Wertgesetz sowie Geld- und Marktbeziehungen ließen sich zu keinem Zeitpunkt aus dem sowjetischen System der wirtschaftlichen Planung wegdenken:46 Es existierte erst illegal, dann als Notlösung, theoretisch in der »planmäßigen Anwendung des Wertgesetzes« und zum Schluss in der Idee des Marktsozialismus. Herrschte Anfang der 1930er-Jahre noch die Meinung vor, die Geldwirtschaft würde bald verschwinden, wurde spätestens nach dem ersten Fünfjahresplan das Wirken des Wertgesetzes auch offiziell anerkannt, es sollte fortan planmäßig ausgenutzt werden. Ein Blick in die ökonomischen Lehrbücher zeigt die zentrale Bedeutung, die der »planmäßigen Anwendung des Wertgesetzes« beigemessen wurde. Dies kam nicht von ungefähr. Die »Ware-Geld-Beziehungen« waren schließlich trotz »Volkswirtschaftsplanung« und »Volkseigentum« als unverzichtbare gesellschaftliche Formen des Staatssozialismus allgemein anerkannt. Die unter kapitalistischen Bedingungen entstandene Kostenrechnung wurde nicht abgeschafft, sondern inhaltlich modifiziert, im Kern also beibehalten. Der Staatssozialismus operierte faktisch mit kapitalistischen Kostenbegriffen und Berechnungsmethoden.

So stellte sich in groben Umrissen das sowjetische Planungsmodell dar, das in ähnlicher Form auch in China und bei einigen weiteren antikolonialen Umwälzungen zum Tragen kam.47 In Osteuropa wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg von oben oktroyiert, wobei es sich auch hier, mit Ausnahme der Tschechoslowakei und der DDR, um rückständige Agrarländer handelte. Die entscheidende Rolle fiel bei der Umgestaltung der osteuropäischen Länder der Roten Armee zu. Den Staaten wurde die in der Sowjetunion entwickelte Planung mit starkem Zentralismus, rigoroser Arbeitsgesetzgebung und einem Primat der Schwerindustrie verordnet. Auch in anderer Hinsicht stand man dem sowjetischen Beispiel in nichts nach: »Die langfristigen Pläne – in der Tschechoslowakei und in Bulgarien trat 1949, in Ungarn 1950, in Rumänien und der DDR 1951 ein Fünfjahrplan, in Polen 1950 ein Sechsjahrplan in Kraft – führten diese Politik fort, die der Bevölkerung ein hohes Maß an Konsumverzicht auferlegte.«48 Gerade in den geringer entwickelten Agrarländern ließen sich die Ergebnisse zunächst sehen. Aber wie auch in der Sowjetunion stockte die Entwicklung, sobald die großen Fabriken einmal standen, das rein quantitative Wachstum mehr oder weniger abgeschlossen war. Die Problematik machte sich bereits in den 1950er-Jahren bemerkbar: »Zwar wiesen die Planerfüllungsdaten kontinuierlich ein eindrucksvolles wirtschaftliches Wachstum aus, doch blieb die Qualität der Produkte weiterhin ungenügend, der technologische Fortschritt gering.«49

Die Maxime vom »Einholen und Überholen« wurde immer unrealistischer und verlor spätestens in den 1970er-Jahren jeglichen ernst zu nehmenden Gehalt. Bezüglich des Lebensstandards blieb der Staatssozialismus weit hinter seinem kapitalistischen Pendant zurück. Auch in Hinsicht auf die ökologischen Probleme, die ab den 1970er-Jahren global deutlich sichtbar wurden, hatte diese Form der Planwirtschaft wenig vorzuweisen.

Es zeigte sich deutlich, wie Marx einmal formulierte, dass die Entwicklung der Produktivkräfte die wichtigste Produktivkraft – den Menschen – miteinschließen muss. Im Bereich der menschlichen Entwicklung hatten die barbarischen Formen der nachholenden Industrialisierung ihre deutlichsten Auswirkungen. Nicht einmal die vorbürgerlichen Knechtschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse konnten überwunden werden, die Menschen im Staatssozialismus blieben Untertanen. »Ökonomische Entwicklung impliziert jedoch qualitative Sprünge – und zwar nicht nur technologische, sondern vor allem auch arbeitsorganisatorische und kommunikative. An dieser Stelle also, als Produktionsbeziehungen tendenziell komplexer wurden und die Vorhersagbarkeit von Prozessen abnahm, scheiterten die zentralstaatlichen Planungsmechanismen.«50 Die Passivität der Menschen und die Machtlosigkeit der unteren Instanzen hatten den entscheidenden Anteil an der Ineffizienz des späten Staatssozialismus. Administrativ, als zentralstaatliche Top-Down-Planung, waren die immer komplexer werdenden Produktionsabläufe kaum noch zu bewältigen, was zu Inkonsistenzen führen musste. Wirtschaftsministerien, von denen es mehrere Dutzend gab, fungierten als »quasi-autonome Einheiten«, was zu einer Art »zentralisiertem Pluralismus« führte.51 Kritik und Eigeninitiative erwiesen sich als höchst riskant. Lieber kämpfte man mit Unter- oder Überproduktion, falschen Zuweisungen oder Anweisungen und Vernachlässigung der »Kostenoptimierung«. Die gesamtwirtschaftliche, überbetriebliche Effizienz, die in der Aufbauphase noch bestanden hatte und noch immer von den ökonomischen Lehrbüchern der Partei als großer Vorteil gepriesen wurden, konnte immer weniger realisiert werden.

Die Partei- und Staatsführungen reagierten letztlich mit immer denselben Mustern auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Krisenerscheinungen: Mit Gewalt oder Reformen zugunsten des Marktes, wobei letztere oft ersterer folgten. In der Hoffnung, der Markt könne eine effizientere Ressourcenverteilung ermöglichen, blühten marktsozialistische Ideen.52