Play on - Mick Fleetwood - E-Book

Play on E-Book

Mick Fleetwood

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Beschreibung

Exzess, Ekstase, bedingungslose Hingabe – Die Geschichte der wildesten Band der Rock- und Pop-Ära

Fleetwood Mac ‒ das ist Rock ‘n‘ Roll! Mick Fleetwood, Drummer und Mitbegründer der erfolgreichsten Band der Siebzigerjahre, erzählt von seinem Leben als Teil dieser ungewöhnlichen Kombo, die bis heute die größten Konzerthallen der Welt füllt. Eine Geschichte von zwischenmenschlichen Desastern, Drogenexzessen und verzweifelter Liebe ‒ vor allem aber von der unsterblichen Leidenschaft zur Musik.

Mick Fleetwood ist gerade zwanzig Jahre alt, als er 1967 zusammen mit Peter Green und John McVie die Bluesband Fleetwood Mac gründet. Green, Schöpfer legendärer Songs wie »Black Magic Woman«, gilt als Gitarrengenie, wird aber bald Opfer eines fatalen LSD-Trips und verlässt die Band, ohne je zurückzukehren. Was nach dem Ende einer vielversprechenden Bandkarriere aussieht (1969 verkaufen Fleetwood Mac mehr Alben als die Beatles und die Rolling Stones zusammen), entpuppt sich Mitte der Siebzigerjahre als wegweisender Einschnitt: Stevie Nicks und Lindsey Buckingham stoßen zur Band und verpassen Fleetwood Mac den Sound, der die Band zur Legende machen sollte. Songs wie »Go Your Own Way« und »Don’t Stop« werden zu Hymnen der Siebzigerjahre und spiegeln die Verfassung der Bandmitglieder wider, die zwischen Affären, Trennungen, Streits und rauen Mengen an Alkohol und Koks fast aufgerieben werden ‒ und gerade daraus die Visionen für eine Musik entwickeln, die bis heute Menschen in der ganzen Welt bewegt.

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Seitenzahl: 513

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Sammlungen



Mick Fleetwood

Anthony Bozza

Play on

Fleetwood Mac und ich.

Die Autobiografie

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2014 bei Hodder & Stoughton Limited, London, England unter dem Titel Play on. Now, then and Fleetwood Mac.

First published in Great Britain in 2014 By Hodder & Stoughton An Hachette UK company 1 Copyright © Mick Fleetwood 2014 The right of Mick Fleetwood to be identified as the Author of the Work has been asserted by him in accordance with the Copyright, Designs and Patents Act 1988.

Copyright © 2014 by Mick Fleetwood

Copyright © 2014 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München, in der Verlagsgruppe Randomhouse GmbH

Übersetzung: Alexandra Baisch, Marie Rahn

Redaktion: Thomas Bertram

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung von Fotos von © Sam Emerson/Polaris/laif (Cover) und © Franscesca Foley Photography (Rückseite)

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-15478-3

www.heyne.de

Für meine Kinder

Lucy, Ruby, Amelia und Tessa

Start Close in

Start close in,

don’t take the second step

or the third,

start with the first

thing

close in,

the step

you don’t want to take.

Start with

the ground

you know,

the pale ground

beneath your feet,

your own

way of starting

the conversation.

Start with your own

question,

give up on other

people’s questions,

don’t let them

smother something

simple.

To find

another’s voice,

follow

your own voice,

wait until

that voice

becomes a

private ear

listening

to another.

Start right now

take a small step

you can call your own

don’t follow

someone else’s

heroics, be humble

and focused,

start close in,

don’t mistake

that other

for your own.

Start close in,

don’t take

the second step

or the third,

start with the first

thing

close in,

the step

you don’t want to take.

David Whyte

Inhalt

Intro

Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist

Kapitel 1 Die alte Mühle

Kapitel 2 Wilde Zeiten auf der Carnaby Street

Kapitel 3 Jenny

Kapitel 4 Die Bluesbreakers

Kapitel 5 Und los geht’s

Kapitel 6 Die Flucht des »Green God«

Kapitel 7 Ein Haus wird zum Zuhause

Kapitel 8 Mehrere Neuanfänge

Kapitel 9 Alles fügt sich

Kapitel 10 Das »weiße« Album

Kapitel 11 Alles bricht auseinander

Kapitel 12 Rumours

Kapitel 13 Ich weiß, dass ich mich nicht irre

Kapitel 14 Just Tell Me That You Want Me

Kapitel 15 Ein Fremder in einem fremden Land

Kapitel 16 Isn’t It Midnight?

Kapitel 17 Hin und wieder zurück

Kapitel 18 Mein Partner, mein Freund

Kapitel 19 Es ist schön, wieder zurück zu sein

Fazit

I Sold My Soul To The Company Store

Danksagung

Fotonachweis

Bildteil

Intro

Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist …

Play on. Spiel weiter. Zwei Wörter nur, aber die sagten mir alles.

Im Laufe der Zeit waren diese zwei Wörter für mich mal schlichte Aufforderung, mal Anfeuerung, mal Mantra und mal das tröstende Versprechen von Erneuerung gewesen. Zum ersten Mal begegnete ich ihnen in dem schönsten und romantischsten Couplet in Was ihr wollt, meinem Lieblingswerk von Shakespeare. Ich habe es nie vergessen, im Gegenteil, ich verinnerlichte es sofort, weil es mich ansprach. Wenn mich in meinem Leben etwas so tief berührt, seien es Menschen, Orte oder Dinge, dann werden sie für immer ein Teil von mir. Ich habe unzählige Autogramme mit Play On signiert. Ich habe es in vielen Situationen und zu vielen Menschen gesagt. Diese Worte haben mich immer begleitet, während ich mir einen Weg durch mein oft schweres und kompliziertes, aber auch ekstatisches und manchmal allzu ausschweifendes Leben bahnte. Mittlerweile sind sie für mich der Anker, an den ich mich klammere, wenn mir alles andere zu entgleiten droht.

Das vollständige Couplet inspirierte Fleetwood Mac zum Titel des vierten Studioalbums Then Play On, das 1969 veröffentlicht wurde und bis heute zu meinen Lieblingsalben gehört. Direkt danach kommt für mich Tusk, das zehn Jahre später von einem ganz anderen Line-up der Band herausgebracht wurde. Für die vielen Fans, die Fleetwood Mac nur in dieser Besetzung kennen, ist dieses Buch besonders aufschlussreich, denn sie werden erfahren, wie viele Wege Fleetwood Mac zurücklegen musste, um ihnen schließlich zu begegnen.

Auf den ersten Blick haben Then Play On und Tusk vom Musikalischen her wenig gemeinsam, aber wenn man genauer hinhört, wird man beide Male mit einer Band konfrontiert, die kreativ und existenziell mit dem Rücken zur Wand steht und Musik einspielt, als gälte es ihr Leben. Beide Alben entstanden zu einem Zeitpunkt, wo es hieß »Spiel oder stirb« und wir uns nur retten konnten, indem wir uns neu erschufen. Ich kann nicht behaupten, dass ich das damals als ideale Lösung betrachtete, doch tief in meinem Innern glaubte ich an uns und predigte meinen Mitmusikern, weiterzuspielen. Und genau das taten wir.

Ich bin immer noch da und schätze mich glücklich, mit den großartigsten Gefährten, die man sich nur erträumen kann, Musik zu machen. Wir haben so viele Höhen und Tiefen durchlebt, und obwohl ich es jahrelang abgestritten habe – vor allem gegenüber denen, die ich liebe –, weiß ich jetzt, dass ich mein ganzes Dasein dieser Band gewidmet habe, und zwar von Anfang an. In jeder Formation hat Fleetwood Mac mir so viel Freude bereitet, dass ich hoffe, was auch immer unsere Fans aus der Musik gezogen haben, möge zumindest ein Bruchteil von dem sein, was sie mir gegeben hat. Erkannt habe ich aber auch, und zwar durch viele Krisen und Fehler und dadurch, dass ich älter und hoffentlich weiser geworden bin, wie sehr diese Entscheidung meine Familie belastet hat. Es ist schwer, sich einer musikalischen Familie dieser Größenordnung zu widmen und gleichzeitig für die eigene da zu sein; es ist ein unausgewogenes Tauziehen, an dem ich immer noch arbeite.

Musik ist eine wunderbare Sprache, die jeder mit einem schlagenden Herzen in der Brust versteht, ganz gleich, woher er kommt. Diese Sprache müssen wir teilen und pflegen; sie gehört zu den wenigen Dingen, die der menschlichen Neigung, Mauern zu errichten, trotzen. Musik hat mich durch alle Höhen und Tiefen begleitet, denn sie war das Eine, auf das ich mich verlassen konnte, wenn alles andere versagte. Und es war tatsächlich auch das Einzige, was ich einigermaßen beherrschte. Doch darüber hinaus hat die Musik mir immer Freude bereitet und mir die Möglichkeit gegeben, meine Mitte zu finden. Wann immer ich mich verloren fühlte: Verlor ich mich in der Musik, fand ich stets meinen Weg zurück.

Nun, da ich dies schreibe, bin ich fünfundsechzig und blicke auf vierzig Jahre Rock and Roll zurück. Meinen ersten Gig als Drummer hatte ich in den Sechzigern in London. Damals war ich ein Teenager, der noch nicht mal Alkohol trinken durfte, auch nicht in England. Ich hatte keinerlei Ausbildung, sondern nur den Wunsch, ein Teil der Kultur zu werden, bei deren Entstehung ich Zeuge war. Und ich hatte ein angeborenes Gefühl für Rhythmus. Ich folgte einem Traum, und er wurde wahr, als ich zu einer Zeit des geschichtlichen Umbruchs einige der besten englischen Bluesmusiker meiner Generation begleiten durfte. Geplant hatte ich das nicht, aber ich glaubte fest daran, meinen Weg zu finden, wenn ich nur meiner Muse treu bliebe. Und so kam es auch – obwohl es nie leicht war.

Auf meiner Farm auf Maui, einer Insel, wo ich seit den Siebzigern regelmäßig Urlaub machte und wo ich seit über zehn Jahren lebe, habe ich eine verwitterte Scheune voller Erinnerungsstücke: Fotos, Tagebücher, Kleider, Autos, unzählige Videotapes, Konzertaufnahmen; alles Andenken an Fleetwood Mac und mein Leben. So sehr es mich in kreativer Hinsicht immer vorwärtsgetrieben hat, zu etwas Größerem, Besserem, Unbekanntem, bin ich gleichzeitig doch auch ein eingefleischter Nostalgiker. Ich liebe Fotos, Andenken, alle möglichen Erinnerungsstücke an Zeiten und Räume, die ich durchquert habe. In dieser Hinsicht bin ich ein Hamsterer. Ich liebe es, den Moment festzuhalten, so sehr mir auch bewusst ist, dass dieser Moment vergänglich ist und nur ein Zwischenstopp auf der Reise des Lebens.

Für diesen Instinkt, alles zu horten, bin ich dankbar, denn ich bin so oft umgezogen, von England nach Australien, von Europa in die Staaten, dass man es schon als kleines Wunder betrachten kann, wie viel von diesen Dingen sich noch in meinem Besitz befindet. Wie soll ich am besten das Gefühl vermitteln, wie es ist, ein Fotoalbum aufzuschlagen und das Polaroidfoto eines bereits verstorbenen Freundes zu finden, oder Zettel mit handgeschriebenen Songtexten, und zwar mit Kommentaren und Streichungen meiner Bandkollegen aus früheren Zeiten? Erinnerungen durchströmen mich, wenn ich auf diese Schätze stoße, die mir durch meine Erfahrungen im Laufe der Zeit nun wieder wie neu erscheinen. Es ist eine süße Qual, sich selbst, die eigene Vergangenheit und das gegenwärtige Leben mit neuen Augen zu sehen.

Das zur Erklärung, wie dieses Buch zustande kam. Im März 2012 interviewte mich mein Co-Autor Anthony Bozza auf meiner Farm auf Maui für den Playboy. Damals hatte ich gerade über fünfzig Stunden Filmmaterial von unserer Tournee 1977 in Japan ausgegraben, dem Höhepunkt unserer Rumours-Promotiontour. Wir befanden uns auf dem Zenit unseres Schaffens, und es war das Finale der bislang erfolgreichsten Tournee der Band, daher engagierte ich eine Filmcrew, die mit uns reisen und uns ohne Vorgaben sowohl auf als auch abseits der Bühne filmen sollte. Ich hatte die Absicht, das Material zusammenzuschneiden und als Film herauszubringen, der ein Jahr nach Abschluss der Tour in den Kinos laufen sollte. Doch dazu kam es nie; es passierte so viel, dass ich unseren kleinen Film dreißig Jahre vergaß. Als er mir in die Hände fiel, hatte ich nicht mal danach gesucht, sondern nach Aufnahmen, die meine Eltern von mir und meinen Geschwistern gemacht hatten, als wir noch klein waren. Doch dann entdeckte ich den Stapel Filmdosen, die irgendwie unbeschadet die verschiedenen Stationen meines Lebens überstanden hatten.

Ich ließ das gesamte Material digitalisieren, wobei die satten Farben des Originals so weit wie möglich erhalten wurden; dann engagierte ich einen Cutter und arbeitete mit ihm an einem Rohschnitt, der als Film oder auch als DVD herauskommen sollte. Ich wusste nur, dass das Material unbedingt veröffentlicht werden musste. Als Anthony mich besuchte, sichtete ich gerade die erste Fassung dieser vierzig historischen Stunden unserer Vergangenheit. Es war einfach wunderbar, all jene fast vergessenen Momente zusammen mit Anthony, der schon sein ganzes Leben lang Fleetwood-Mac-Fan war, wiederaufleben zu lassen. Meine Begeisterung und Hingabe flammten wieder auf, und so begann unser gemeinsames Projekt. In Laufe der nächsten zwei Jahre ließen wir auf Maui und auf unserer Tournee 2013 die Vergangenheit wieder lebendig werden. Das Ergebnis liegt nun vor.

Dieses Buch ist nicht die definitive Geschichte von Fleetwood Mac; Zahlen, Daten und auch etliche Gerüchte kann man woanders finden. Diese Seiten sind viel persönlicher. Sie enthalten die Geschichte all dessen, was mir je wichtig war: Augenblicke, Menschen, die Zeit. Dieses Buch ist die Geschichte meines Lebens mit Rock- und Bluesmusik. Es zeigt, wie die Band, die mir alles bedeutet hat, mich prägte. Früher habe ich das abgestritten, aber jetzt weiß ich, dass es wahr ist.

Ich betrachte dies alles immer noch mit Staunen, jeden einzelnen Tag. Manchmal frage ich mich, wie zum Teufel ich hier eigentlich gelandet bin! Ich spiele leidenschaftlich gern Schlagzeug und weiß, dass ich für etwas anderes auch kaum Talent habe, aber ehrlich gesagt sehe ich mich eher als Typen, der zufällig am Schlagzeug gelandet ist, und nicht als Schlagzeuger. Das mag eine merkwürdige, subtile Differenzierung sein, aber sie ist wesentlicher Bestandteil meiner Sichtweise und meines Selbsterkenntnisprozesses. Entwicklung war mir immer wichtiger als Reflexion, und ich habe Drama und Chaos immer über Gebühr romantisiert. Das hat jetzt ein Ende. Jetzt nehme ich mir die Zeit, nach innen zu schauen. Ich bin immer noch ein Lernender. Ich bin immer noch »im Werden begriffen«.

Das erinnert mich an ein anderes Prinzip, an das ich mich halte, wenn es mal wieder hart auf hart kommt. Wenn dir alles zu viel wird, raff dich auf und zieh los! Geh irgendwohin, wo du noch nie warst, an einen Ort, von dem du geträumt hast, den du romantisch und geheimnisvoll findest! Mach dich auf den Weg, ganz gleich wohin, denn eine Reise ist ein Abenteuer, und durch Abenteuer lernen wir, wer wir wirklich sind. Diese Autobiografie zu schreiben war für mich eine Reise, und ich lade dich ein, mich auf meinem Abenteuer zu begleiten. Es ist Zeit, ich bin bereit, wenn du also mit willst, geht es jetzt los.

Kapitel 1

Die alte Mühle

Windmühle, Norfolk, 1939 (Auszug):

Wir blieben eine Woche und wachten jeden Morgen vom klagenden Schrei der Brachvögel auf.

Die alte Mühle hallte von unserem unbeschwerten Lachen wider, und wir lebten, oh, wie wir lebten.

Jede Minute wurde ausgekostet, als ob sie etwas Seltenes, Besonderes wäre.

Als wüssten wir, dass der Sand durch die Uhr rieselt

Und jede Sekunde in vollstem Bewusstsein genossen werden müsste.

Meine Liebste sah mich voller Angst an:

»Das Telegramm, das heute kam,

Sag, Liebster, was stand drin?«

Ich sagte: »Sofortige Rückkehr zur Truppe.«

Geschwaderkommandeur Fleetwood

Ich stamme aus einer sehr herzlichen Familie. Wir standen uns sehr nahe: mein Vater John Joseph Kells Fleetwood, meine Mutter Bridget Maureen, meine Schwestern Susan und Sally und ich. Wir gehörten zu den Familien, die alles gemeinsam machten und jeden Abend zusammen aßen, normalerweise das gesunde Essen, das meine Mum selbst kochte: jede Menge Suppe und Brathähnchen, grüne Bohnen und Kartoffeln. Unser ganzes Leben wurde am Esstisch der Fleetwoods viel gelacht.

Meine Eltern zogen fast alle drei Jahre um, da mein Vater Geschwaderkommandeur bei der Royal Air Force war, sodass wir den größten Teil meiner frühen Kindheit Neuankömmlinge in einem unbekannten Land waren. Das einzig Vertraute und Konstante war unsere Familie, und ich glaube, die ständig wechselnde Umgebung und das Gefühl, Fremde zu sein, schweißten uns noch mehr zusammen. Ich kann mich noch ziemlich gut an die Faszination all dessen erinnern, denn als kleiner Junge staunte ich genau wie meine Schwestern über die exotischen Orte, an denen wir lebten. Norwegen und Ägypten waren wundersame Länder, so ganz anders als Großbritannien, das wir als unsere wahre Heimat betrachteten. Dadurch bekam ich die Vorstellung, die Welt wäre ein unendlich großer Ort voller sehr unterschiedlicher und erstaunlicher Menschen. Für mich war es auch ein großartiges Rock-and-Roll-Trainingscamp, da ich mich auf diese Weise daran gewöhnte, immer unterwegs zu sein, ein Fremder auf der Durchreise. Meine Kinder sind in jungen Jahren ebenfalls viel gereist und haben diese Ungebundenheit geerbt.

Das Früheste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich lernte, mich überall einzufügen – was sich in meinem späteren Leben als Musiker noch als nützlich erweisen sollte. Aus dieser Zeit vor meinem zehnten Lebensjahr habe ich noch ein paar lebhafte Bilder im Kopf. In Ägypten wäre ich einmal beinahe ertrunken; wie und warum ich zu weit ins Wasser geriet, weiß ich nicht mehr, nur, dass ich von einem Mann in einem fließenden blauen Umhang gerettet wurde, und als ich zu ihm aufblickte, dachte ich, er wäre ein Zauberer. Er war ein vollkommen anderes Wesen, und dieses Gefühl war mir in Ägypten und Norwegen allgegenwärtig, was gut war. Denn obwohl ich noch so jung war, erkannte ich, dass die Kultur dieser Menschen etwas Besonderes war, wovon ich lernen konnte. Diese Haltung brachten unsere Eltern uns bei.

Meine Eltern hatten eine wunderbar innige Beziehung, die meine Vorstellung von Zweisamkeit und romantischer Liebe schon früh prägte. Sie achteten einander, waren die besten Freunde, gingen voller Liebe und Humor miteinander um und stellten ihr Zusammensein über alles andere – uns Kinder ausgenommen. Für meinen Dad war meine Mutter Halt und Anker, und sie unterstützte alle seine hochfliegenden Pläne. Nach der Royal Air Force widmete er sich drei Jahre lang dem Schreiben, bevor er sich einen normalen Job suchte. Um Kosten zu sparen und ihm einen Rückzugsort für seine Kreativität zu schaffen, zog Mum mit der Familie auf ein Hausboot. Nicht ein einziges Mal stellte sie seinen Traum infrage oder klagte darüber, dass wir auf diesem merkwürdigen kleinen Boot lebten. Dad machte sein Ding, und obwohl er keinen Erfolg damit hatte, tat das ihrer Liebe keinerlei Abbruch.

Mum war sehr geschickt darin, meinen Vater zu erden und gleichzeitig seine Träume wahr werden zu lassen. Sie hatten schon weit im Voraus geplant, wie sie im Alter glücklich und zufrieden in Südfrankreich leben würden, wenn wir Kinder flügge geworden wären und Dad die RAF verlassen hätte. Das Problem war nur, dass Dad nicht genug Geld hatte, um in Südfrankreich ein Haus zu kaufen. Daher kamen die beiden auf eine Lösung, die sie sich leisten konnten. Sie pachteten in Le Muy in der Provence, zwischen Feldern und nicht weit von der Mittelmeerküste entfernt, ein kleines Stück Land. Darauf stellten sie einen Wohnwagen, einen der Anhänger, in denen Zigeuner leben. Sie schlossen ihn an die Kanalisation an und verbrachten dann jeden Sommer zu zweit dort. Später, als ich die finanziellen Mittel hatte, kaufte ich eine Parzelle neben ihrer und stellte dort einen zweiten Wohnwagen hin, sodass meine Schwestern und ich sie besuchen konnten. Es war ein herrliches Stück Land mit Blick aufs Meer, und ich hoffte, ihnen irgendwann hier ein Haus bauen zu können. Das Zigeunerleben dort machte so viel Spaß! Meine Eltern genossen es und planten, im Alter ganz dorthin zu ziehen.

Dad war immer wie aus dem Ei gepellt, das hatte er noch aus seiner Zeit beim Militär, dort musste die Erscheinung stets makellos sein: die Schuhe gewienert, Frisur und Kleidung tadellos. Er war nicht nur in der Royal Air Force gewesen, sondern auch in der Gardekavallerie, daher wusste er, wie man sich präsentiert. Er hatte Stil, und das gefiel mir wirklich. Meiner Mutter ebenfalls, auch sie machte sich gern schick, und beide prüften stets im Spiegel ihr Erscheinungsbild, bevor sie zu einer Cocktailparty gingen. Wir wuchsen weder in Luxus noch Wohlstand auf, aber meine Eltern konnten aus wenig viel machen und sahen immer großartig aus. Und sie hatten Spaß, bis zum Schluss. Ich hatte Dad sein Traumauto gekauft, ein rotes Mercedes-Cabrio, und die beiden sprachen darüber, damit nach Südfrankreich zu fahren, mit offenem Verdeck und wehenden Haaren.

Leider wurde mein Vater viel zu früh von uns genommen, lange bevor er und Mum ihre goldenen Jahre wirklich auskosten konnten. Als er mit zweiundsechzig krank wurde, bemühte ich mich, sie noch einmal für mindestens eine Woche dorthinzubringen, aber traurigerweise sollte das nicht sein.

Mein Vater war ein irischer Geschichtenerzähler und ein wunderbarer, großzügiger Mensch, der am Ende seines Lebens glaubte, noch nicht genug getan zu haben, obwohl die Liste seiner Errungenschaften lang war. Er war ein Gentleman und Träumer, und ich habe mein Bestes gegeben, mein Leben in seinem Sinne zu leben, denn er war mir ein echtes Vorbild. Ich weiß, in dieser Hinsicht kann ich mich wahrhaft glücklich schätzen, denn viele Menschen haben keine Eltern oder andere Menschen, die ihnen als Vorbild dienen können. Mein Vater flog Flugzeuge, er führte im Krieg Männer, und gemeinsam mit meiner Mum hatte er meinen Schwestern und mir gezeigt, wie man leben und lieben soll. Ich bin stolz, dass ich ihn wirklich kannte. So viele Männer haben als Erwachsene nie ihre Väter gekannt, doch mein Vater und ich haben uns vor seinem Tod wirklich kennengelernt.

In meiner Kindheit besuchte ich ziemlich viele Schulen, nicht nur, weil wir ständig umzogen, sondern auch, weil ich ein sehr schlechter Schüler war. Nicht, dass ich nicht lernen wollte, das wollte ich und will es noch. Ich bin wissbegierig und interessiere mich sehr für Geschichte, Naturwissenschaften und Philosophie. Außerdem faszinieren mich sogenannte »Randgebiete« des Wissens – Okkultes, Verschwörungstheorien und so weiter – genauso wie traditionelle Studienfächer. Allerdings entsprachen meine Fähigkeiten nicht meinen Interessen. Ich habe etwas, das man heute ohne Weiteres als schwere Dyslexie bezeichnen würde, daher fällt es mir nicht leicht, zu lesen und das Gelesene zu verstehen, womit mir die grundlegenden Fähigkeiten fehlen, um sich in der Schule ohne intensive Hilfe über Wasser zu halten. Damals aber kannte und akzeptierte man solche Lernschwächen nicht, vor allem nicht in Großbritannien, daher wurden Schüler wie ich einfach ignoriert. Meine Eltern wussten nur, dass ich Probleme in der Schule hatte.

Doch sie gaben mir nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass ich sie enttäuschte oder dass ich versagt hatte. Sie schlugen mich auch nie und sagten mir, ich müsse aufs College gehen. Ich bin mir sicher, dass sie genau wie ich begriffen, dass Schule nichts für mich war. Sie wussten nicht, wie sehr ich mich meiner Unfähigkeit, erfolgreich zu sein, schämte. Es war nicht leicht für mich, ihnen Tests mit null Punkten zu zeigen, und ich mochte ihnen auch nicht gestehen, dass ich bessere Ergebnisse nur durch Mogeln erreicht hatte. Mogeln fand ich noch schlimmer als Versagen, denn es ist so anstrengend, ständig den Schein zu wahren. Dyslexie ist ziemlich schlimm; man geht stundenlang im Kreis, weil man einfach nicht geradeaus gehen kann.

Meine Tage in der Schule waren die reinste Folter. Ich entwickelte, was ich schließlich »Tafelsyndrom« genannt habe, weil es mich durch mein ganzes Leben begleitet hat. Es ist eine Art von Lähmung, die ich bis zu der allerersten Aufforderung, an die Tafel zu gehen, zurückverfolgen kann. An das Fach kann ich mich nicht mehr erinnern – vielleicht war es Mathe –, doch das war auch gleichgültig; in dem Moment, da ich aufgerufen wurde, war ich erledigt. Die Angst davor, etwas, das ich nicht begriff, vor der ganzen Klasse zu präsentieren, war einfach unerträglich. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht, wenn der Lehrer mir, kurz bevor er mich aufrief, einen Zettel mit der Lösung zugesteckt hätte. Schon allein der Gang nach vorne und der Versuch, mich vor meinen Klassenkameraden mit irgendetwas abzumühen, waren zu viel für mich.

Da ich jahrelang am Tafelsyndrom litt, weiß ich jetzt, dass es eine tödliche Kombination aus Lampenfieber und meiner Dyslexie ist, die mich unter Druck und bestimmten Bedingungen einfach handlungsunfähig macht. Wenn ich zusätzlich zu der Tatsache, dass ich mich gut genug kenne, um meiner Deutung der »Fakten« und der »Antwort« zu misstrauen, den Druck verspüre, etwas produzieren oder »richtig« machen zu müssen, und wenn ich dann auch noch keinen bei mir habe, der mir helfen könnte, bin ich wie gelähmt. Man wird noch sehen, wie das Tafelsyndrom sich in meinem Leben ausgewirkt hat und wie ich gelernt habe, damit zu leben; aber als junger Mensch in schulpflichtigem Alter hätte es nichts Schlimmeres geben können. Es gibt keinen krasseren Gegensatz zu meiner Art zu lernen als den Wissenserwerb im Klassenraum und aus Schulbüchern. In einer Lehranstalt war ich wie ein Fisch auf dem Trockenen, ganz gleich wie liberal oder fortschrittlich sie war – und glaubt mir, meine Eltern haben wirklich alles versucht.

Für mich war jeder Tag in der Schule der reinste Überlebenskampf. Ich gab mein Bestes; wann immer ich das Gefühl hatte, der Lehrer würde mich gleich aufrufen, kam ich ihm zuvor, meldete mich und bat, auf die Toilette gehen zu dürfen. Manche durchschauten mich und riefen mich sofort danach auf. Das Wissen, dass ich nach meiner Rückkehr ins Klassenzimmer geprüft werden sollte, machte natürlich alles nur noch schlimmer. Wenn ich dran war, stand ich da, größer als alle anderen in der Klasse (ab dem zehnten Lebensjahr schoss ich in die Höhe und litt jeden Sommer unter quälenden Wachstumsschmerzen in den Beinen), und bekam den Mund nicht mehr auf. Also stand ich einfach nur da und sagte nichts. Ich gab mir alle Mühe, Zeit zu schinden und so zu tun, als dächte ich über die Antwort nach – was im Wesentlichen darin bestand, auf der Tafel herumzukritzeln. Ich wünschte mir, ich könnte besser zeichnen – denn auch darin war ich eine Niete –, weil ich dachte, dass ich vielleicht wenigstens einen Lacher von den anderen ernten und vom Lehrer gnädig entlassen würde, wenn ich etwas Pfiffiges zeichnete.

Aber es funktionierte nie. Ich war einfach zu schüchtern, zu gelähmt, weswegen sich die Minuten an der Tafel quälend in die Länge zogen, bis der Lehrer erkannte, wie wenig ich wusste, wie schlecht ich war, und endlich Erbarmen hatte. Was ich brauchte, waren Sinn für Humor und eine Form, mich auszudrücken. Leider kam beides erst sehr viel später, nachdem ich die Schule ganz aufgegeben hatte.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meinen Verstand von der Seite meiner Mutter habe, denn meine Mutter und ihre Familie haben eine ganz andere und wunderbare Art zu denken, die nicht zum normalen »folgerichtigen Denken« passt. Meine Schwester Susan hatte dasselbe Problem, wie ich es habe, aber wie ich hat auch sie eine Möglichkeit gefunden, es in etwas Positives, Kreatives zu verwandeln. Sie wurde Schauspielerin und integrierte es in ihre Darstellungskunst.

Was ich nicht wusste, war, dass meine Dyslexie mir später sehr nutzen würde, sobald ich anfing, Schlagzeug zu spielen. Das wurde mir erst Jahre später klar, als ich wirklich begann, über das Schlagzeugspielen, was mir ganz natürlich zuflog, nachzudenken. Nachdem ich als Schlagzeuger bekannt geworden war und einen »Stil« hatte, über den man redete, fing ich an, mich zu fragen, was genau diesen Stil ausmachte. Was wir Drummer von Natur aus tun, ist mit einer Reihe schwingender Scheiben zurechtzukommen, doch als ich mich mit anderen Scheibenschwingern unterhielt, erkannte ich ziemlich schnell, dass ich eine ganz eigene Methode hatte, meine Scheiben in Schwingung zu halten. Wenn ich sie zu erklären versuchte, dachten sie, ich würde mich über sie lustig machen oder wäre vollkommen verrückt.

Das führte mir kristallklar vor Augen, dass mein Schlagzeugspiel ein Auswuchs des Tafelsyndroms war. Ich hatte wirklich keine Ahnung – und auch nicht die Fähigkeit, es in musikalischen Fachbegriffen auszudrücken –, was ich bei einem bestimmten Song machte. Nach längerem Nachdenken ist mir klar geworden, dass all dies aus meiner Lernbehinderung herrührt, und heute bin ich verdammt froh, etwas aus meiner abweichenden Art, Informationen zu verarbeiten, gemacht zu haben. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Dyslexie hat mein Denken über Rhythmus und die Art, wie ich mein Instrument oder auch irgendein anderes spiele, absolut entspannt.

In den späten Siebzigern machte Boz Scaggs für uns auf Tour den Opener, und er hatte den unglaublich talentierten Jeff Porcaro am Schlagzeug. Jeff war noch ein Teenager und sollte ein paar Jahre später mit seinem Bruder die Gruppe Toto gründen, die in den Achtzigern Riesenerfolg hatte. Jeff – möge er in Frieden ruhen – starb mit gerade mal achtunddreißig, doch in seiner kurzen Karriere als Sessiondrummer prägte er den Sound dieser Dekade. Er war buchstäblich bei jeder großen Pop- und Rockaufnahme dabei, die in den Achtzigern in die Charts kam. Mit etlichen seiner Bandmitglieder spielte Jeff auf megaerfolgreichen Aufnahmen wie Michael Jacksons Thriller und vielen anderen Alben und Singles dieser Ära.

Das war erst Jahre später, aber mir war Jeff schon vor seiner Zeit in Boz’ Band aufgefallen. Über ein Talent wie seines reden die Leute sofort, wenn sie es bemerken, und nachdem ich ihn nur ein einziges Mal hatte spielen hören, war mir ziemlich bange, weil er in unserer Vorgruppe spielte. Sein Stil war technisch so perfekt und einheitlich, dass mich sofort wieder das Tafelsyndrom packte.

Es half auch nichts, dass ich, sobald die Tournee losging, bemerkte, wie Jeff mich jeden Abend von der Bühnenseite aus beobachtete. Wir hatten uns zwar schon kennengelernt, aber noch nicht viel Zeit miteinander verbracht, und das änderte sich auch nicht, als die zweite und dann die dritte Tourwoche anbrachen. Er stand immer noch jeden Abend an der Bühne und beobachtete mich beim Spielen, das gesamte Konzert hindurch. Das brachte mich aus dem Konzept, aber mit ein paar zusätzlichen Gläsern Brandy und Rotwein stand ich das durch. Schließlich vergaß ich einfach, dass er da war, und widmete mich meiner Aufgabe. Irgendwann in der dritten Woche der Tour kam er dann zu mir in die Garderobe.

»Ich geb’s auf«, sagte er. »Ich komm einfach nicht dahinter, also musst du’s mir erklären. Sag mir, wie du das machst.«

»Wie ich was mache?«, fragte ich, vollkommen verblüfft. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wovon er redete.

»Ich hab dich beobachtet und versucht, es zu begreifen. Nichts von dem, was du da machst, ergibt einen Sinn, aber es klingt umwerfend. Was für eine Methode hast du? Was machst du während des letzten Fills von ›Go Your Own Way‹? Ich kapier’s einfach nicht! Ich hab dich jeden Abend beobachtet. Was machst du im letzten Takt auf dem letzten Beat: Kommt die Snare davor oder dahinter? Ist die Hi-Hat zwei Viertel vor dem Beat, oder ist es noch ein bisschen mehr?«

»Oh«, sagte ich und holte tief Luft. Zumindest konnte ich darauf eine Antwort geben, wenn auch nicht die, die er wollte. »Oh, Scheiße. Echt … ich hab keine Ahnung. Ganz ehrlich, Jeff, ich hab nicht die geringste Ahnung.«

Zuerst glaubte Jeff Porcaro mir nicht; im Gegenteil, es war deutlich, dass er mich für einen Wichtigtuer hielt, der auf schüchtern machte. Ich kann es ihm nicht verdenken, denn die Vorstellung, dass ein erfahrener Schlagzeuger wie ich keine Ahnung von musikalischer Nomenklatur hatte, war einfach lächerlich. Erst als wir uns länger unterhielten, wurde Jeff klar, dass ich es wirklich ernst gemeint hatte. Am Ende konnten wir darüber lachen, und als ich ihm später erzählte, dass ich Dyslexie habe, verstand er es auch. Er analysierte mein Spiel aus dem Blickwinkel eines ausgebildeten Schlagzeugers und erklärte mir, meine Fills seien zwar nicht das exakte Gegenteil dessen, was ein traditionell ausgebildeter Drummer spielen würde, aber nahe dran. Doch sie funktionierten, und das ging Jeff einfach nicht in den Kopf. Ich konnte ihm keine Erklärung dafür bieten, denn bei mir ist es nie eine bewusste Entscheidung, einen Hi-Hat-Akzent einen halben Schlag hinter dem Beat zu platzieren, während meine Snare knapp davor ist. Was ich mache, kommt einfach so. Ich mache, was mir richtig erscheint, und das war schon immer so. Und Lindsey Buckingham hat gelernt, sich auf mich zu verlassen – was mich sehr stolz macht. Ich habe das, was er the feel nennt.

Ich kann es genauso gut jetzt schon sagen: Jedes Mal, wenn ich unsere Songs spiele, habe ich keine Ahnung, was ich da eigentlich spiele. Ich habe einen Song nie zweimal gleich gespielt – was viele Produzenten und Tontechniker fast in den Wahnsinn getrieben hat. Ich weiß einfach nicht, was zum Teufel ich da eigentlich tue. Lindsey Buckingham kann bezeugen, dass er mir, öfter als einer von uns sich zu zählen die Mühe gemacht hat, demonstrieren musste, was ich spielen soll. Er und ich haben eine eigene Geräuschsprache mit vielen »Bum-crash-buh-bump«-Begriffen. Und die sprechen wir fließend.

1985, als wir Tango in the Night komponierten und aufnahmen und Lindsey auch als Produzent fungierte, wollte er meine Tonspur unbedingt auf einen tragbaren Drumcomputer übertragen, um sie mit nach Hause nehmen und dort weiter an den Songs arbeiten zu können. Ich glaube, da wurde ihm endgültig klar, wie sehr mein Stil von meiner Dyslexie geprägt ist und wie wenig bewusst und durchdacht meine Spielweise ist. Maschinen sind logisch, methodisch und funktional, und genau wie Lindseys brillanter musikalischer Ansatz sind Maschinen sinnvoll. Aber er konnte das, was ich im Studio spielte, einfach nicht in einen Drumcomputer eingeben, so sehr er es auch versuchte, denn nichts davon war ein sich wiederholender Rhythmus, der einem Muster folgte. Nicht dass ich jemals aus dem Takt geraten wäre, ich spielte nur nicht den Grundrhythmus der Songs von Strophe zu Strophe gleich. Da Lindsey kein Mensch ist, der schnell aufgibt, bemühte er sich nach Kräften, aber schließlich erkannte er, dass meine Art zu spielen einfach nicht mit den Programmiermöglichkeiten der damaligen Drumcomputer kompatibel war.

So war es schon immer, seit meinem zweiten professionellen Gig als Drummer. Ich habe immer jemanden gebraucht, der für mich übersetzt hat. Damals, im Jahr 1967, spielte ich kurz für einen großartigen Gitarristen namens Billy Thorpe (mit dem ich Jahre später auch mit meiner Band Mick Fleetwood’s Zoo das Album I’m not me einspielte), und er musste vor jedem Song zu mir kommen, um den Beat vorzugeben, und das tat er normalerweise mit einem grässlich obszönen Sprechgesang in dem Rhythmus und Tempo, die ich spielen sollte. Das klang dann wie »1, 2, 3, 4, fick dich, fick dich wie ein Tier; wie ein Tier, wie ein Tier, fick dich, fick dich wie ein Tier« und zeigte mir, wo Bass Drum, Snare und Becken in den Beat fallen mussten.

Mein Vater war ein Mann des Militärs, aber im wahren Sinne dessen, was das bedeutet, war er ein Mann, der den Wert des Dienstes am Nächsten kannte, und er war bestrebt, diese Haltung an meine Schwestern und mich weiterzugeben. Allerdings war er nicht eisern in seinen Überzeugungen, wenn es um die Umsetzung ging. Er erlaubte uns dreien, Lebenswege einzuschlagen, die alles andere als konventionell und beschränkt waren, denn er glaubte an uns und half uns – zusammen mit unserer Mutter – bei der Verwirklichung unserer Ziele. Ich zog viel Kraft aus seinem Glauben an uns und schätzte mich glücklich, denn andere Väter mit seiner Vorgeschichte hätten sich ganz anders verhalten. Viele Männer aus seiner Generation hätten meine Träume und Ziele als etwas betrachtet, das mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden musste, statt es zu hegen und zu pflegen. Als ich noch ein sehr junger Mann war, erklärte mein Dad mir etwas, das bei mir hängen blieb und bestimmend dafür war, wie ich mein Leben lebte. Er sagte, ganz gleich, was ich mit meinem Leben anfangen wollte: sollte ich die Chance haben, ein Teil von etwas zu werden, woran ich glaubte, dürfte mir mein Ego niemals im Wege stehen.

Er sagte, unter Umständen sei es besser, jemand anderen das Verdienst für die eigene Arbeit einstreichen zu lassen, solange die Arbeit nur getan werde und den Menschen diene. Nach Dads Überzeugung war es wichtiger, etwas gut zu machen, etwas zu machen, das dem Wohl aller diente, als das Lob dafür einzuheimsen. Und ich glaube wirklich, dass er damit recht hatte. Wenn ich mir ansehe, wie sich mein Leben entwickelt hat, weiß ich, dass ich mir seinen Rat zu Herzen genommen habe, denn ich habe stets meine ganze Energie aufgewendet, um etwas voranzubringen, das eher dem großen Ganzen diente als nur der Befriedigung meines persönlichen Egos. Etwas an Dads Entscheidungen und Bemühungen erkenne ich auch in mir wieder. Allerdings glaube ich nicht, dass es rein altruistisch ist. Eher hat es etwas mit tief verwurzelten Selbstwertproblemen zu tun, und das gilt für uns beide. Dad fiel es schwer, ein Kompliment anzunehmen und wirklich anzuerkennen, wie viele wunderbare Dinge er in seinem Leben erreicht hatte. Ich bin ähnlich, obwohl ich mich heute bemühe, nachsichtiger mit mir selbst zu sein.

Ganz untypisch für einen Mann seiner Generation, der sein halbes Leben beim Militär gedient hatte, schätzte er die schönen Künste über alle Maßen. Mein Vater wollte immer ein Schriftsteller sein, und ich glaube, deshalb unterstützte er meine Schwestern und mich, als wir uns für Berufe entschieden, die ziemlich brotlos zu sein drohten. Meine Schwester Susan wurde Schauspielerin, ging auf die Schauspielschule und hatte schließlich großen Erfolg am Theater und beim Film. Meine Schwester Sally ging mit sechzehn ans Londoner Polytechnikum, wurde Bildhauerin und schließlich Modedesignerin. Als ich Interesse fürs Schlagzeugspiel entwickelte, war mein Vater, der eigentlich hätte dagegen sein müssen, mehr als dafür. Statt mich unter Druck zu setzen, weil ich mich kaum für die Schule interessierte (obwohl es in Wahrheit eher die Unfähigkeit war, mich richtig zu beteiligen), unterstützten er und Mum meine einzige für sie klar ersichtliche Leidenschaft: das Schlagzeugspielen.

Dafür liebe ich sie unendlich, denn als Teenager war ich nicht einfach. Ich scheiterte kläglich in jeder Schule, auf die sie mich schickten, lief aus mehreren Internaten weg, die ich besuchen sollte, weil sie hofften, die in solchen Lehranstalten bekanntermaßen praktizierte Erziehung zu Disziplin würde mich aus meiner Schulstarre reißen. Das funktionierte nicht, und so blieben mir, wie es so schön heißt, nur Kampf oder Flucht, und ich entschied mich stets für Flucht.

Die Energie von Livemusik erlebte ich zum ersten Mal mit zehn oder elf Jahren. Während eines Sommerurlaubs mit der ganzen Familie in Italien waren wir eines Tages zum Strand gegangen. Ich war noch zu jung, um irgendwas über Sexualität zu wissen, aber meine Schwester Susan war bereits in der Pubertät. Sie sah absolut hinreißend aus, und da kam dieser junge Bursche in einer knapp sitzenden Badehose und mit einem mächtigen Ständer auf sie zu. Ich habe es noch genau vor Augen, wie er ihm fast aus der Hose platzte, also rannte ich zu meinem Dad, um ihm das zu erzählen, denn Sue war noch jung, etwa vierzehn, und ich hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte.

An diesem Abend erlaubten Mum und Dad dem Burschen, Sue zum Tanzen in die Stadt auszuführen, aber ich musste mit, als Anstandswauwau. Ich weiß nicht, wem es mehr wehtat, dass ich mitgeschickt wurde: meinen Eltern oder Sue, die ihren kleinen Bruder zu einem Date mitnehmen musste; aber all das war vergessen, als wir bei der Tanzveranstaltung ankamen. Eine lokale Band spielte nichts Großartiges, sie coverten lediglich ein paar Songs der Surf-Rock-Pioniere Ventures, hatten das Publikum aus der ganzen Stadt aber voll im Griff. Es war die Fangemeinde: Die ganze Stadt kannte die Jungs, und alle tanzten, Junge, Alte und alle dazwischen. Aber ich konnte meinen Blick nicht von dem Drummer lösen; ich war fasziniert von dem, was er machte. Es war ein großartiges Gefühl.

Von da an sahen meine Eltern mich zu jedem Song im Radio auf Pappkartons oder Möbeln mitklopfen, und als ich elf war, belohnten sie meine Hingabe mit einem Schlagzeug. Ich trommelte zu Hits von den Shadows oder Acker Bilk und seiner Paramount Jazz Band, und Mum spielte oft alte Platten von Charlie Kunz, einem großartigen amerikanischen Pianisten, der im Zweiten Weltkrieg nach England gekommen und dort hängen geblieben war. Wir hörten ihn häufig und tun es immer noch. Mum summte oft zur Musik aus dem Radio mit und erfand auch gerne Lieder, und ich lernte, indem ich ihr zuhörte. Als wir unseren ersten Kassettenrecorder bekamen, summte sie ins Mikrofon, und ich klopfte Rhythmen zu ihren kleinen Songs. Ich hatte nie an irgendeiner Musikschule Unterricht, ich brachte mir alles selber zu Hause bei.

Meine Eltern unterstützten mein musikalisches Interesse vorbehaltlos und erlaubten mir sogar, einen Schuppen hinter dem Haus in meinen persönlichen Proberaum zu verwandeln, den meine Mutter liebevoll »Club Keller« nannte. Ich besuchte damals eine fortschrittliche Ganztagsschule, eine sehr aufgeklärte Institution. Dort ging es mir besser als in jeder anderen Schule, und wenn ich von Anfang an dort gewesen wäre, hätte ich vielleicht auch einen Schulabschluss machen können, aber das war nicht der Fall.

Die Schule orientierte sich an Rudolf Steiners Pädagogik und war eine der tausend Waldorfschulen, mit deren Gründung die Anhänger Steiners schon im Jahr 1922 begonnen hatten. Steiners Schulen predigten eine sehr individualistische Philosophie, die mir entgegenkam, weil sie bedeutete, dass ich den ganzen Tag buchstäblich tun und lassen konnte, was ich wollte, solange ich nur lernte. Ich glaube wirklich, dass Rudolf Steiners Idee richtig war, aber wenn ich zurückblicke, dann war sie in meiner Generation vielleicht schon etwas verwässert worden. Denn ich konnte mehr oder weniger tun, was ich wollte, zum Beispiel Mathe durch Jonglieren lernen. Dennoch fand ich immer noch eine Möglichkeit, nicht wirklich zu lernen. Ich kann nicht behaupten, dass ich von der Schule flog, denn diese Vorstellung existierte in Steiners Universum nicht, aber ich stand ziemlich kurz davor. Irgendwie war ich selbst an einem Ort, wo alles erlaubt war, ein Fremdkörper. Nicht, dass ich mit den anderen nicht zurechtgekommen wäre, ich war sogar ziemlich gesellig. Aber ich war in jeder Art von reglementiertem Schulumfeld einfach nicht ich selbst.

Deshalb entschied ich mich, jede freie Minute im Club Keller zu verbringen, spielte Schlagzeug und machte irgendwelche Kinder aus der Nachbarschaft, die bei mir vorbeikommen wollten, so glücklich, wie ich konnte. Ich besorgte mir ein paar von Dads alten Fischernetzen und hängte sie an die Wand, lieh mir das alte, aufziehbare Victrola-Grammofon der Familie und spielte Mums Platten darauf, besorgte Coca-Cola und lud alle Kinder, die ich kannte, ein, nach der Schule vorbeizukommen. Ich verlangte ein bisschen Eintrittsgeld, verteilte Cola, und dann konnten sie zuhören, wie ich zu den Platten Schlagzeug spielte. Zum ersten Mal in meinem Leben dämmerte mir, dass ich vielleicht in etwas gut sein konnte, nämlich Menschen zusammenzubringen und sie zu unterhalten.

Das begeisterte mich, denn ich hatte eine Ahnung davon bekommen, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Als kleiner Junge kam ich auf meinem Weg vom und zum Internat durch London und übernachtete normalerweise in der Wohnung meiner Schwester Sally in Notting Hill. Sie war in der Kunstszene und nahm mich mit zu Partys der Kunstakademie oder zum Café des Artistes, einem berühmten Club in Chelsea. Und da sah ich Dinge, die mich einfach umhauten.

Als Schuljunge erlebte ich die Beatnikkultur, hörte Leute Gedichte rezitieren, sah Mädchen in schwarzen Rollkragenpullovern und mit Sonnenbrillen französische Zigaretten rauchen. Es wurde Jazz gespielt, Leute trommelten auf Bongos, an den Wänden hingen wilde Gemälde, und überall gab es Performances. Für mich war das Ganze wie ein Traum, und ich genoss diese Abende mit meiner Schwester sehr. Sally war meine Leitfigur, meine Beschützerin und in jeglicher Hinsicht mein Katalysator, denn ohne sie hätte ich nichts von alldem erlebt. Ich wäre niemals der Mann geworden, der ich heute bin. Wahrscheinlich wäre ich niemals so ausdauernd und leidenschaftlich beim Schlagzeugspielen geblieben, wenn sie mich nicht mitgenommen und mir gezeigt hätte, dass so ein Wunderland existierte. Ich sah, dass es dort einen Platz für mich gab. Ich musste nur herausfinden, wie ich dorthinkam, denn er war nicht mehr fern, beinahe schon zum Greifen nahe.

Kapitel 2

Wilde Zeiten auf der Carnaby Street

Während ich auf der Rudolf-Steiner-Schule war, reifte in mir eine Entschlossenheit. Noch war der Gedanke, mit Schlagzeugspielen mein Leben zu bestreiten ein vager, fantastischer Wunschtraum, und abgesehen davon, dass ich Musikinstrumentenkataloge sammelte und weiter träumte, sah ich keinen realistischen Weg zu diesem Ziel. Ich besaß einen ganzen Stapel Kataloge, aus denen ich mir meine ganz persönlichen Schlagzeuge zusammenstellte, und ich trug die Kataloge monatelang mit mir herum, bis sie alle so zerfleddert waren, dass ich sie mit Klebeband neu binden musste. Ich war vollkommen verzweifelt wegen der Schule und meiner düsteren Zukunftsaussichten, daher stieg ich eines Tages auf dem Schulgelände einen Hügel hinauf, wo man mich nicht suchen würde, um unter einem schattigen Baum Trost zu suchen. Dort saß ich stundenlang vollkommen niedergedrückt, bis ich es nicht mehr aushielt und um Hilfe schrie. Mit den Katalogen in den Händen, als wären es heilige Schriften, sprach ich ein verzweifeltes Gebet. Aus tiefster Seele, deprimiert und orientierungslos bat ich Gott und das Universum um Gehör. Ich flehte um Hilfe, um das zu bekommen, wonach ich mich sehnte. Ich wusste, ich konnte es schaffen, und ich wusste, wohin ich gehen musste, ich brauchte bloß irgendjemanden oder irgendetwas, um mich bitte, bitte nach London zu bringen!

Und dann hatte ich so etwas wie eine Erleuchtung unter diesem Baum, ähnlich wie Buddha, obwohl ich zu der Zeit noch nichts davon gehört hatte. Ich sah mich selbst in London Schlagzeug spielen, in denselben verrauchten Clubs, die ich mit meiner Schwester besucht hatte. In meiner Vision war ich wirklich dort, und ich tat es. Es war so real, dass ich es spüren konnte. Ich fühlte mich aufgerichtet und hatte den Eindruck, dass das, was ich sah, dort war und nur auf mich wartete. Alles war möglich. Doch als ich die Augen aufschlug und zum Himmel blickte, wurde mir schmerzlich bewusst, dass es immer noch außer Reichweite war. Es war, als blickte ich durch das Schaufenster eines Ladens, dessen Tür ich nicht finden konnte; ich konnte alles sehen, wusste aber nicht, wie ich hineingelangen sollte.

So saß ich da unter meinem Baum und fing laut an zu klagen. Den ganzen Nachmittag blieb ich dort, über vier Stunden, weinte die meiste Zeit und rief die restliche Zeit die höheren Mächte an. Irgendwann stand ich vollkommen ausgelaugt auf, kein bisschen klüger, aber endlich entschlossen. Ich würde nicht warten, dass es passierte, und ich würde nicht mehr leiden. Ich würde die Schule nicht durchziehen. Ich würde mich ganz allein aufmachen, und wohin auch immer mich das vielleicht führte, ich hatte die Absicht, meine Vision wahr zu machen. Als ich wieder zur Schule hinunterging, wusste ich, dass ich sie, ganz gleich, was kam, für immer verlassen musste.

Es war schwierig, meinen Eltern zu erklären, dass ich mit der Schule aufhörte, aber angesichts meiner Lernprobleme waren sie nicht überrascht. Als ich ihnen sagte, mein Entschluss stehe fest, ließen sie mich widerstandslos ziehen, obwohl ich erst fünfzehn war. Ich werde nie vergessen, wie ich Dad meinen Entschluss mitteilte, denn dies war eine der wenigen Gelegenheiten, da ich ihn mit Tränen in den Augen sah, die nicht vom Lachen kamen. Wir saßen in einem kleinen Café in der Nähe unseres Hauses, um uns unter vier Augen zu unterhalten, und ich platzte einfach damit heraus.

»Es geht nicht mehr, Dad«, sagte ich. »Ich will nicht mehr zur Schule, und das College schaffe ich auch nicht. Ich weiß einfach nicht, wie. Ich muss die Schule abbrechen und mit meinem Leben vorwärtskommen. Ich will Schlagzeug spielen und nach London ziehen.«

Er nahm meine Hand, was mir Geborgenheit vermittelte, und dann fingen wir beide an zu weinen. In diesem Augenblick spürte ich, dass er mich wirklich liebte und dass ich klarkommen würde, weil ich auf ihn zählen konnte.

»Nun, dann müssen wir uns etwas überlegen. Wenn du wirklich professionell Schlagzeug spielen willst, müssen wir dir ein gescheites Instrument besorgen. Du ziehst nach London und wohnst bei Sally, aber du musst dir auch einen Job suchen.«

Mein Vater verstand es, Kritik und Tadel mit schlichter Vernunft abzumildern, und sprach mit mir von Mann zu Mann, nicht von Vater zu Sohn. Das fand ich sehr erhellend, denn so konnte ich verstehen, warum er vielleicht anderer Meinung war und meinte, ich sollte es mir noch einmal überlegen, spürte aber, dass er im Grunde meinen Standpunkt verstand. Als ich zum Beispiel aus der Schule weglief, sagte er, er wisse, die Schule sei nichts für mich, und er sehe mich auch nicht auf dem College, doch ich müsse zurück und die High School beenden. Als ich als Zehnjähriger mit meinem Luftgewehr in einer Schießphase war und eine vom Aussterben bedrohte Seemöwe vom Heck unseres Hausbootes schoss, zählte er mir alle Gründe auf, warum ich mich falsch verhalten hatte, und meinte dann, ich dürfte nur auf Blechdosen schießen. Woraufhin ich sauer wurde und eine finstere Miene machte.

»Trotzdem«, sagte er. »Verdammt guter Schuss.«

Ich weiß, es war nicht leicht für meine Eltern, als ich nach London zog, genauso wenig wie für mich; aber meine Eltern gingen mit dieser Entscheidung genauso liebevoll, klug und gelassen um wie mit allem bei der Erziehung ihrer Kinder. Sie müssen gewusst haben, dass sie mir alles Nötige mitgegeben hatten, damit ich meinen Weg fand. Nun, da ich selbst Vater bin, kann ich nachvollziehen, wie stark man sein muss, um einen Teenager in die große Stadt aufbrechen zu lassen – nur mit einem Schlagzeug als Zukunft. Gott segne sie beide für ihren Glauben an mich.

Jetzt bin ich siebenundsechzig und habe meinen eigenen Club Keller: das Fleetwood’s auf der Front Street in Maui, und es war ein langer, beschwerlicher Weg dahin, aber er hat sich gelohnt. Als ich den Mietvertrag unterschrieb und mich daran machte, ein Restaurant einzurichten, wo Livemusik, gutes Essen und guter Wein die Hauptattraktion wären, rief mir meine Mutter Biddy, die mittlerweile vierundneunzig ist, etwas in Erinnerung:

»Du wolltest doch schon immer deinen eigenen Club, oder? Hast Freunde eingeladen und Tickets verkauft, das war grandios. Ziemlich frühreif für einen Teenager. Aber jetzt kannst du wenigstens mehr anbieten als Coca-Cola, stimmt’s?«

Und dann war ich auf und davon, ganz allein, und ließ die letzten Reste einer traditionellen britischen Erziehung hinter mir. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was es hieß, als junger Mann in der Welt zu bestehen, und war bezüglich dessen, was vor mir lag, ziemlich naiv. Ich hatte nicht mal in einer richtigen Band gespielt, aber dank meinem Vater landete ich mit einem brandneuen Schlagzeug mit allem Drum und Dran in London. Es war ziemlich cool, schwarz mit Glitzerlack, und sah so aus, als dürften nur Profis damit spielen. Oder wenigstens Profiangeber.

Ich zog auf den Dachboden im Haus meiner Schwester Sally, die mir weiterhin als Beschützerin und kultureller Leitstern diente. Sally wohnte mit ihrem Mann, dem Kunsthändler John Jesse, zusammen, und nachdem ich mich eingerichtet hatte, tat ich das einzig Vernünftige und suchte mir einen Job. Ich bekam einen im Kaufhaus Liberty, wo man mich zu meiner Verblüffung in die Buchhaltung steckte. Ich hätte es verstanden, wenn sie mich beim Verkauf untergebracht hätten, weil ich mich benehmen konnte und freundlich und entschlossen genug war, um Waren an den Mann zu bringen. Aber in ein Büro mit Zahlen und Papieren? Das war Wahnsinn. Mit meinem Tafelsyndrom hatte mir Mathe immer gefährliches Herzrasen beschert. Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, wie ich an diesen Job kam. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich im Vorstellungsgespräch gesagt oder in meiner Bewerbung geschrieben haben könnte, das sie davon überzeugte, ich sei ihr Mann. Aber ganz sicher wurde ich nicht gebeten, etwas vorzurechnen, denn dann hätte ich nur noch die Worte »Wir melden uns« gehört und nicht: »Sie können am Montag anfangen.«

Wenn es um mein eigenes Geld geht, weiß ich nie verlässlich, was reinkommt und rausgeht, aber bei fremdem Geld sieht die Sache ganz anders aus. Als ich bei Fleetwood Mac das Tourmanagement übernahm, kannte ich unser Budget genau und hielt mich daran. Aber bei meinem eigenen? Tja, das war eine unendliche Geschichte mit einer Reihe von Managern, die oft nicht besser waren, als ich es gewesen wäre. Daher habe ich schon einige Höhen und Tiefen erlebt.

Doch all das lag noch in ferner Zukunft, als ich ein Halbwüchsiger war und auf dem Dachboden meiner Schwester wohnte, der nur über eine kipplige Metallleiter zu erreichen war. Als Mitarbeiter in der Buchhaltung von Liberty wurde mir die Aufgabe übertragen, Anträge für kaufhauseigene Kreditkarten zu prüfen. Ich hatte ein kleines Büro für mich, wo ich saß und so tat, als würde ich arbeiten. Neben den Unterlagen hatte ich ein Notizbuch, in dem ich herumkritzelte. Wenn also jemand an meiner Tür vorbeikam, sah es so aus, als würde ich eifrig schreiben. Ich breitete einfach den Hefter mit dem Antrag und alle erforderlichen Unterlagen des Antragstellers auf dem Tisch aus und fing dann an, etwas in mein Notizbuch zu kritzeln. Wurde mir langweilig, bekam der Antrag einen Stempel – Genehmigt –, und ich nahm mir den nächsten Antrag und die nächste Zeichnung vor. Außerdem machte ich an den meisten Tagen nach dem Mittagessen auch ein schönes Nickerchen.

Der Typ, der mich eingestellt hatte, hielt mich für sprachgewandt und gut gekleidet (eindeutig der Grund, warum ich den Job bekommen hatte), und er erklärte mir, wenn ich mir Mühe gäbe und dabei bliebe, könnte ich eines Tages ein Büro bekommen, wie er eines hatte. Seines war viel größer, hatte ein Fenster und war besser eingerichtet, aber für mich sah es aus wie ein gottverdammter Käfig.

Ich brauchte den Job, hatte aber keine Lust darauf. Kündigen konnte ich nicht, dann wäre die Familie enttäuscht gewesen. Also beschloss ich, mich feuern zu lassen. Dazu tat ich alles, um unangenehm aufzufallen. Liberty war sehr gepflegt und vornehm, und für mein Vorstellungsgespräch hatte ich mich entsprechend angezogen, aber als ich erst mal beschlossen hatte, mich feuern zu lassen, zog ich mich lässiger an, kein gestärktes Hemd und Krawatte mehr, sondern Rollkragenpullover. Ich ließ mir auch die Haare wachsen und kämmte sie nicht mehr, außerdem kaute ich in Gegenwart meiner Vorgesetzten so oft und deutlich wie möglich Kaugummi, denn das war ein klarer Verstoß gegen die Verhaltensregeln für Liberty-Angestellte. Ich gab mir alle Mühe, die Grenze der Etikette zu überschreiten, und hatte damit durchschlagenden Erfolg.

Innerhalb weniger Monate häuften sich die Beschwerden über mich, was mein Chef nicht lange ignorieren konnte. Eines Tages rief er mich zu sich und erklärte, Liberty sei nicht das Richtige für mich, daher müsse er mich schweren Herzens ziehen lassen. Wahrscheinlich grinste ich die ganze Zeit wie ein Idiot. Ich weiß noch, dass ich ihm so höflich wie möglich, aber mit Nachdruck zustimmte. Ich hatte mich noch nie so erleichtert gefühlt wie an diesem Tag, da ich das Kaufhaus verließ. Das war das erste und letzte Mal, dass ich einen wie auch immer gearteten »richtigen« Job hatte. Meine Eltern waren nicht wütend, boten mir aber auch keinerlei Unterstützung an. Allerdings steckten sie mir hin und wieder ein paar Pfund zu, um mir aus der Klemme zu helfen.

Das einzige Problem war natürlich, dass ich schon bald kein Geld mehr hatte. Das bereitete meiner Familie mehr Sorgen als mir. Ich war ja bereit, für meine Freiheit Opfer zu bringen. Ohne Job konnte ich jeden Tag in der Garage meiner Schwester Schlagzeug spielen. Genau deswegen war ich ja nach London gekommen, um Schlagzeug zu spielen, wenn auch nicht nur in einer Garage. Aber es war ein großartiger Ausgangspunkt, eine geräumige Doppelgarage, die ursprünglich für die Pferde und Kutschen des Haushalts gebaut worden war. Hier gab es jede Menge Platz für mein Schlagzeug, und die Akustik war auch in Ordnung. Jetzt hielt mich keine Erwerbstätigkeit mehr ab, ich konzentrierte mich aufs Üben, und mehr tat ich nicht, den ganzen Tag, tagtäglich, ganz allein für mich.

Ich hatte keine Ahnung, was ich als Nächstes machen sollte, doch ich fand großen Trost darin; die Art von Kraft, die ein Mensch nur daraus ziehen kann, dass er sich ganz einer Sache verschreibt, komme, was da wolle. Das sollte nicht leichtfertig geschehen, vielmehr sollte es das Ergebnis einer sehr mutigen oder, umgekehrt, einer unglaublich naiven Vision sein. Die Motivation kann auch sein, dass man keine andere Wahl hat, was meiner Meinung nach am wirkungsvollsten ist. So war es in meinem Fall: Nachdem ich in der Schule gescheitert war und keinerlei Perspektive hatte, stand ich mit dem Rücken zur Wand. Das Einzige, was mich interessierte, war Schlagzeug spielen. Ich hatte keine Ahnung, ob mir das im Leben etwas bringen würde, ich wusste nicht mal, ob ich überhaupt gut war. Aber das war mir egal. Ich empfand eben so, und es war befreiend. Doch wenn ich reif genug gewesen wäre, um die Auswirkungen einer solchen Hingabe einzuschätzen, hätte ich wohl auch ein bisschen Angst gehabt.

Als schüchterner junger Mann war es nicht leicht, groß zu sein (ich bin 1,92) und durch meine Art, mich zu kleiden, noch mehr aufzufallen. Ich trug knallbunte, weite Hemden, enge Hosen, große Gürtelschnallen, Stiefel, und ich hatte lange Haare. Vielleicht ist »schüchtern« auch nicht das richtige Wort, denn ich war immer schon gesellig und freundlich, genau wie mein Dad, aber wenn ich an meine Anfangszeit in London denke, fällt mir immer ein, wie gehemmt ich in Gegenwart von Mädchen war. Die Mädchen in der Schule hatten mir schon gefallen, aber plötzlich war ich außerhalb meiner Liga. Die Londoner Mädchen waren einfach hinreißend, umwerfend, und sie waren überall. In ihrer Gegenwart erstarrte ich vor Ehrfurcht und brach schon schier zusammen, wenn ich nur eine Straße entlangging. Zum Beispiel konnte ich mit einem Typen selbstbewusst und sachkundig über Blues reden, wurde aber augenblicklich zum stotternden Idioten, sobald ein schönes Mädchen vorbeiging. Das mag seltsam klingen aus dem Munde von jemandem, der Treffen mit Fans liebt und auf Tourneen jeden Abend vor dem Auftritt dreißig oder vierzig von ihnen hinter die Bühne bittet. Heutzutage habe ich keinerlei Probleme, Leute zu grüßen, ganz gleich in welcher Situation. Aber in jungen Jahren waren Mädchen wie Kryptonit für mich. Ich wollte ja mit ihnen reden, konnte es aber einfach nicht. Ich war wie vom Donner gerührt.

Meine Unschuld verlor ich erst mit knapp achtzehn, und da hatte ich bereits einige Jahre Auftrittserfahrung. Das ist schon jämmerlich, wenn man bedenkt, welche Vorteile ich dadurch hatte und welche Sitten zu der Zeit herrschten. Meine Einführung in den Sex geschah sehr spät, und im Grunde wurde ich von meiner ersten Freundin, Sue Boffy, überrumpelt. Sue war ein Mädchen der High Society, das immer bekam, was es wollte, und als sie mich eines Abends auf der Bühne sah, entschied sie, dass sie mich wollte. Sie kriegte mich auch direkt und nahm mich mit in ihre Wohnung in Chelsea, wo sie mir beibrachte, was Männer und Frauen miteinander tun.

In vielerlei Hinsicht war ich ein behüteter Junge vom Land. Bevor ich nach London zog, wusste ich nicht mal, was Homosexualität ist. Ich musste meine Schwester danach fragen, weil ich ständig Leute erzählen hörte, der und der seien »schwul«, worauf ich nur wissend lächelte. Das erinnerte mich an meine Zeit im Internat, wo ich auch nicht gewusst hatte, was »Jungfrau« bedeutet. Noch schlechter ging es mir, als ich erkannte, dass ich eine war. Und ich weiß nicht, wie lange ich noch eine geblieben wäre, hätte ich nicht gelernt, in Bands zu spielen.

Mich faszinierte die Welt, in der ich gelandet war, und ich saugte alles auf wie ein Schwamm. Auch wenn ich kein guter Schüler gewesen war, ein guter Beobachter war ich, und ich nahm alle neuen Ideen und Verhaltensweisen auf, die sich meinem jungen Geist darboten. Es war »Swinging London«, als die Mod-Moden auf der Carnaby Street der letzte Schrei waren, und die Reizüberflutung war unglaublich. Ich ging überall hin, wo es interessant zu werden versprach, und nahm an allen möglichen Happenings teil, wo die Leute sich versammelten und über Ideen diskutierten. Das Haus meiner Schwester befand sich in der Horbury Mews, einer Sackgasse in Notting Hill, die mit der benachbarten Ladbroke Grove im Stadtbezirk Kensington and Chelsea das Epizentrum eben jener künstlerischen und musikalischen Untergrundbewegung bildete, die schon bald die Gegenkultur der Sixties prägen sollte, wie wir sie heute kennen. Diese Viertel waren echt heruntergekommen und repräsentierten die Realität des armen, am Hungertuch nagenden, aber hippen Künstlers. Hier lebten Jamaikaner Seite an Seite mit Kunststudenten, und Arbeiter aus aller Herren Länder mussten sich hier durchschlagen. Aus diesem menschlichen und energetischen Nährboden entsprossen die Musik, die Kunst und alles andere, was dazu beitrug, die kulturelle Identität zuerst Englands und dann der ganzen Welt zu verändern.

Heute steht Notting Hill für etwas ganz anderes; es ist extrem teuer, dort zu wohnen, und die bunte, kreative Vielfalt von einst ist längst verschwunden. Doch damals, in den Tagen der Boheme, war es großartig – fast schon eine Nummer zu groß für mich. Obwohl ich noch jung und unerfahren war, wusste ich doch, dass sich etwas Bedeutsames abspielte. Ich spürte, dass es ein entscheidender Zeitpunkt war. Mir war bewusst, dass ich in einer historischen Zeit lebte. Denn wenn man dort wohnte, war man wegen dieser Schwingungen um einen herum ein Teil davon. Auch auf internationaler Ebene fand eine spürbare Veränderung statt, die für einen verbindenden und lebhaften historischen Augenblick sorgte, der meiner Meinung nach heute nicht mehr richtig eingeschätzt werden kann.

Heute ist die Welt durch Technologie vereint, sodass Ideen und Wissen auf eine viel weniger organische, menschliche Art und Weise verbreitet und geteilt werden. Alles geschieht so schnell – und wird ständig durch Neues ersetzt. Der Vorgang des Ideenaustauschs ist ein vollkommen anderer. Aber es gab eine Zeit, als Bands wie die Beatles, die Rolling Stones und auch später Fleetwood Mac Gleichgesinnte auf der ganzen Welt so verbanden, wie das Internet oder Facebook es heute tun. Bands waren ein Grund, warum Menschen zusammenkamen und Ideen austauschten – und sie mussten es früher persönlich tun, nicht verschanzt hinter ihren Computern.

Bands brachten Menschen dazu, miteinander in Verbindung zu treten, und wenn die Bands gut waren, konnten ihre Fans in etwas aufgehen, das größer war als sie alle. Heute sind Menschen immer noch Fans von Bands, und Musik vollbringt das immer noch, doch damals war die Geburtsstunde dieser Art von Beziehung. Die Gründerväter des Rock and Roll fingen damit an, doch die Bands der Sechziger schufen daraus eine Sprache, die Teenager (und wir anderen) noch bis heute sprechen. Es war eine Revolution, die einen Wendepunkt in der Zeit und einen Wandel der Werte bewirkte.