Reckless Miles - Claire Kingsley - E-Book

Reckless Miles E-Book

Claire Kingsley

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Beschreibung

Amelia kann es nicht fassen: Es sollte der glücklichste Tag ihres Lebens werden und jetzt sitzt sie in dieser Bar am Ende der Welt und statt Hochzeitstanz gibt es nur Drinks, mit denen sie ihren Schmerz betäubt. Aber eines hat sie sich fest vorgenommen: sie wird diese Nacht mit einem Mann verbringen - wenn nicht mit ihrem Ehemann, dann eben mit einem anderem.

Für Cooper Miles war das Leben bislang eine einzige endlose Party. Doch seit Chase kaum noch Zeit zum Feiern hat, fühlt sich Cooper immer öfter einsam. Bis er Amelia Hale trifft. Allein in einer Bar sitzend. In ihrem Hochzeitskleid. Auf der Suche nach einem Mann, der ihr in dieser Nacht das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein ... Cooper kann ihr nicht widerstehen und schließlich ist es ja auch nicht sein erster One-Night-Stand. Aber mit Amelia ist alles anders als sonst und sie konfrontiert ihn mit seinem größten Feind: seinen Gefühlen …

Eine Bad Boy Romance und der dritte Teil der großen Miles Family Saga!

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Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Amelia kann es nicht fassen: Es sollte der glücklichste Tag in ihrem Leben werden und jetzt sitzt sie hier in dieser Bar am Ende der Welt und statt Hochzeitstanz gibt es nur Drinks, mit denen sie ihren Schmerz betäubt. Aber eines hat sie sich fest vorgenommen: sie wird diese Nacht mit einem Mann verbringen – wenn nicht mit ihrem Ehemann, dann eben mit einem anderem …

Für Cooper Miles war das Leben bislang eine einzige endlose Party. Doch seit Chase kaum noch Zeit zum Feiern hat, fühlt sich Cooper immer öfter einsam.

Bis er Amelia Hale trifft. Allein in einer Bar sitzend. In ihrem Hochzeitskleid. Auf der Suche nach einem Mann, der ihr in dieser Nacht das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein.

Cooper kann ihr nicht widerstehen. Und schließlich ist es ja auch nicht sein erster One-Night-Stand.

Aber mit Amelia ist alles anders als sonst und sie konfrontiert ihn mit seinem größten Feind: seinen Gefühlen …

Eine Bad Boy Romance und der dritte Teil der großen Miles Family Saga!

Über Claire Kingsley

Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen.

Sie kann sich ein Leben ohne Kaffee, ihren Kindle und all den Geschichten, die ihrer Fantasie entspringen, nicht mehr vorstellen. Sie lebt im pazifischen Nordwesten der USA mit ihrem Mann und ihren drei Kindern.

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Claire Kingsley

Reckless Miles

Cooper und Amelia

Übersetzt von Cécile G. Lecaux aus dem amerikanischen Englisch

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreissig

Kapitel Einunddreissig

Kapitel Zweiunddreissig

Kapitel Dreiunddreissig

Kapitel Vierunddreissig

Epilog

Nachwort

Danksagung

Impressum

Für Cooper. Dein Buch ist fertig. Würdest du jetzt bitte Ruhe geben?

Danke.

Kapitel Eins

Cooper

Den Sitter für meine schwangere Schwägerin Zoe zu spielen, war eine verantwortungsvolle Aufgabe, und ich war fest entschlossen, der beste Zoe-Sitter aller Zeiten zu sein.

Die wichtigste Regel hierbei war, sie niemals wissen zu lassen, dass ich es Zoe-Sitting nannte, wenn Roland wegmusste und mir auftrug, mich um sie zu kümmern. Das würde sie wütend machen. Zoe war schon unter optimalen Bedingungen zickig – einer der Gründe, weshalb ich sie so mochte –, aber hochschwanger setzte sie völlig neue Maßstäbe in Sachen Zickigkeit.

Ich stand draußen am Grill und briet Steaks. Es duftete köstlich, und auch Zoe hatte nach einem Schnuppertest das Grillgut mit einem »Daumen hoch« abgesegnet. Hinter ihr lagen anstrengende neun Monate, und so bestand meine zweitwichtigste Aufgabe darin, sie mit Essen zu versorgen, und zwar mit allem, worauf sie Appetit verspürte. Zum Mittagessen hatte sie sich ein Steak gewünscht. Ich nahm an, dass sie Kraft brauchte für die bevorstehende Aufgabe, den kleinen Miles durch den Geburtskanal zu pressen, und so hielt ich eine geballte Ladung Protein für eine kluge Wahl.

»Alles in Ordnung bei dir?«, rief ich durch die Schiebetür. Der Grill stand auf der Terrasse – natürlich tat er das, wo sollte er auch sonst stehen? –, und die Sonne an diesem Tag Ende Juni knallte unerbittlich auf meinen Rücken. Gott sei Dank war es drinnen etwas kühler.

»Alles gut«, antwortete sie. »So wie das letzte Mal, als du gefragt hast – vor etwa drei Minuten.«

Ihr Tonfall klang genervt, doch ich ließ es ihr durchgehen. In letzter Zeit war Zoe von allem genervt, aber ich wusste dank meiner Nachforschungen in Sachen Schwangerschaft, dass das völlig normal war. Wahrscheinlich ging ihr die Riesenkugel, die sie mit sich herumschleppte, gewaltig auf den Zeiger. Und ganz ehrlich, Zoe sah aus, als trüge sie einen Medizinball unter dem T-Shirt mit sich herum.

Warum ich mich zum Thema Schwangerschaft schlaugemacht hatte? Man sollte immer gut vorbereitet sein. Ich war nie Pfadfinder oder so was gewesen, und ich wusste auch nicht, auf wessen Mist diese Weisheit ursprünglich gewachsen war, aber ich fand, dass das ganz vernünftig klang. Ben hatte mir das beigebracht.

Während ich mit der Fleischzange in der Hand dastand, fragte ich mich, ob Ben bei den Pfadfindern gewesen war. Das würde jedenfalls vieles erklären. Er arbeitete als Mann für alle Fälle auf unserem Weingut und konnte einfach alles. Vielleicht verdankte er ja seine weitreichenden Kenntnisse in Sachen Natur einer Mitgliedschaft bei den Pfadfindern. Außerdem hatte der Mann etwas von einem Heiligen, was ebenfalls zur Gutmenschen-Philosophie der Pfadfinder passte.

Ich musste vorbereitet sein, weil Zoe zwar nicht meine Frau war – sie war mit meinem ältesten Bruder Roland verheiratet –, allerdings war sie meine beste Freundin. Und von dem Moment an, da sie und Roland bekannt gegeben hatten, dass sie Eltern wurden, hatte ich mir vorgenommen, mich näher mit Schwangerschaft und dem ganzen Kram zu befassen.

»Coop, haben wir Ananassaft?«, rief Zoe nach draußen.

»Ananassaft? Ist das etwas, das andere Leute ganz selbstverständlich vorrätig haben? Ich würde sagen, nein. Ich schätze, das fällt unter Sonderwünsche. Was okay ist, weil ich welchen besorgen kann, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Ananassaft im Haus ist, so, als wären wir darauf eingestellt, dass jemand danach fragt, ist eher gering.«

»Nein, nein, macht nichts. Wäre nur schön gewesen.«

Ich wendete die Steaks, um sie von der anderen Seite zu braten, und steckte den Kopf durch die Tür. »Ich kann schnell welchen besorgen, wenn das Fleisch durch ist.«

»Nein, lass. Schon gut.« Sie lag auf der Seite, und ein Kissen klemmte zwischen ihren Knien.

Ich hatte extra zusätzliche Kissen aus meinem Zimmer geholt, damit sie es sich möglichst bequem machen konnte. Schwangere brauchten Berge von Kissen. Vielleicht hatten Mädchen deshalb so viele Dekokissen auf ihrem Bett, gewissermaßen als Vorstufe des Nestbaus. Ein Instinkt. Ich fragte mich, ob es einen kausalen Zusammenhang gab zwischen der Anzahl der Kissen auf dem Bett einer Frau und ihrem Wunsch, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Das wäre ein sehr nützlicher Hinweis.

Die Kissen waren aus meinem und nicht aus Chase’ und Brynns Zimmer. Obwohl meine Schwester auch einen Haufen Dekokissen besaß – ich nahm mir vor, Chase nichts von meiner Theorie zum Verhältnis von Kissenanzahl und Familienwunsch zu erzählen –, war ich nicht geneigt, ihr Bett anzurühren. Das Bett, in dem sie und Chase … Nein, das war tabu.

Ich hatte mich völlig damit abgefunden, dass Chase und Brynn nicht nur zusammen waren, sondern verheiratet. Tatsächlich fand ich das inzwischen sogar ganz cool. Ja, ich musste zugeben, dass ich anfangs ziemlich ausgeflippt war, wobei ziemlich in diesem Fall tatsächlich hieß, dass ich monatelang einen Mordsterror veranstaltet hatte. Ich hatte mich aufgeführt wie ein Riesenarschloch, und ich hatte mir bis heute nicht verziehen, dass ich so lange Stress gemacht hatte deswegen. Die beiden waren wie füreinander geschaffen. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass sie so großherzig gewesen waren, mir zu verzeihen.

Trotzdem wollte ich nichts mit dem zu tun haben, was in ihrem Schlafzimmer vorging. Sie war meine Schwester. Schlimm genug, dass ich im Zimmer nebenan schlafen musste. Andererseits wohnte ich gerne mit ihnen zusammen, darum war der Umstand, dass nur eine dünne Wand unsere Schlafzimmer voneinander trennte, erträglich.

Zoe nahm ihr Handy vom Tisch. »Du hast heute frei, oder?«, bemerkte ich. »Du sollst doch keine Mails checken.«

»Wer sagt denn, dass es um die Arbeit geht? Ich könnte ebenso gut Roland eine Nachricht schreiben. Oder Brynn. Oder deiner Mom.«

Ich warf ihr mit hochgezogener Braue einen skeptischen Blick zu.

»Okay, du hast mich durchschaut. Aber ich erkundige mich nur bei Jamie nach dem Stand der Dinge. Heute ist eine große Hochzeit. Ich möchte mich bloß vergewissern, dass alles planmäßig läuft.«

»Jamie hat alles im Griff. Konzentriere du dich mal auf deine Schwangerschaft.«

Sie verdrehte die Augen.

Ich ging zurück auf die Terrasse, nahm das Fleisch vom Grill und brachte es in die Küche. »Die Steaks sind fertig, Zoe-Bowie. Möchtest du etwas dazu? Mir ist gerade erst bewusst geworden, dass ich nur Fleisch gemacht habe, wobei Frauen für gewöhnlich eine Beilage möchten oder so was. Mom wäre sicher enttäuscht von mir. Erwähne ihr gegenüber bitte nicht, dass ich die Beilage vergessen habe, okay?«

»Äh, Coop?«

Ich streute noch etwas Salz auf die Steaks. »Ja?«

»Ich fürchte, wir haben da ein kleines Problem. Möglicherweise braucht ihr eine neue Couch.«

»Wieso? Die ist doch noch neu. Zuerst war ich nicht so begeistert, aber inzwischen finde ich sie super, auch wenn das alte Sofa meiner Meinung nach gar nicht so schäbig war, wie Brynn behauptet hat.«

»So habe ich das nicht gemeint.« Zoe hatte sich aufgesetzt und blickte auf die Polster. »Ich glaube, meine Fruchtblase ist gerade geplatzt.«

In ihrer Stimme schwang ein leicht panischer Unterton mit, und sie starrte mich mit großen Augen an. Sie hatte die Hände auf den Bauch gelegt, als fürchtete sie, das Baby könne gleich hier in meiner Wohnung durch die Bauchdecke brechen wie ein Alien. Oder vielleicht realisierte sie auch nur, dass die Wehen gleich einsetzen und sie ein menschliches Wesen durch ihren Geburtskanal würde pressen müssen.

Und ich? Die Gedanken, die für gewöhnlich in einer Endlosschleife durch meinen Kopf jagten, stoppten abrupt, und ich nahm meine Umwelt plötzlich sehr fokussiert wahr. »Bist du sicher, dass es die Fruchtblase war?«

»Also ich bin jedenfalls sicher, dass ich mir nicht in die Hose gepinkelt habe.«

»Hast du schon Wehen?«

»Ich habe schon den ganzen Tag Wehen, aber nur ganz leicht und in unregelmäßigen Abständen.«

»Klingt soweit alles normal.« Ich schnappte mir mein Smartphone und wischte zu der App, die ich erst heute Morgen für sie runtergeladen hatte. »Hier. Bei der nächsten Wehe tippst du auf den Button. Die App zeichnet dann die Abstände auf.«

Sie nahm mein Smartphone entgegen und blickte auf das Display. »Du hast eine Wehen-App auf deinem Handy?«

»Ja«, antwortete ich und sah sie an, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. Sie musste verrückt sein, wenn sie glaubte, ich hätte mich auf ein solches Ereignis nicht umfassend vorbereitet. »Natürlich.«

»Oh, da kommt wieder eine Wehe.« Ihre Züge wirkten plötzlich angespannt, und sie tippte auf den Button auf meinem Handydisplay. »Ich sollte Roland anrufen.«

»Wie stark würdest du die Wehe auf einer Skala von eins bis zehn einstufen?«, fragte ich, als es aussah, als wäre die Wehe vorbei.

»Hm, eine Fünf, würde ich sagen.«

»Gut.« Ich nahm ein paar Handtücher aus dem Schrank. »Möchtest du dich waschen? Ich kann dir auch ein Bad einlassen, wenn du magst. Warmes Wasser soll entspannen und die Schmerzen lindern.«

»Du machst mich fertig.«

Ich zog die Brauen zusammen. »Wieso? Weil ich dir ein Bad einlassen will?«

»Lass mich zuerst Roland anrufen.«

Roland war drüben in Tilikum und half unserer Halbschwester Grace bei irgendwelchem Finanzkram. Eigentlich hatte er höchstens zwei Stunden weg sein wollen. Mich überraschte also, dass er noch nicht zurück war.

So kurz vor dem Geburtstermin hatte er Zoe eigentlich gar nicht allein lassen wollen, weshalb er mich gebeten hatte, als Zoe-Sitter einzuspringen. Wenn die Fruchtblase geplatzt war, würde sie in absehbarer Zeit ins Krankenhaus müssen.

»Hallo, Schatz«, sagte sie, als sich Roland meldete. Sie hielt sich erneut den Bauch, so dass ich mich unwillkürlich fragte, ob sie wieder eine Wehe hatte. »Was? O Gott, bist du okay? Ganz sicher?« Sie schwieg eine Weile und hörte ihm zu. »Ja, mir geht es gut, aber die Fruchtblase ist geplatzt. Nein, alles in Ordnung. Die Wehen sind noch recht schwach. Das geht schon. Ich werde mit Coop hier auf dich warten. Ja, ich rufe den Arzt an, ich weiß. Okay. Ich liebe dich auch.«

»Was ist?«

Zoe atmete tief aus und legte auf. »Jemand hat auf dem Parkplatz Rolands Auto angefahren. Der Betreffende ist abgehauen, aber offenbar gibt es einen Zeugen, der sich das Kennzeichen gemerkt hat. Er wartet auf die Polizei.«

»Scheiße. Möchtest du dein Steak jetzt noch essen?«

»Ja. Oder nein. Doch. Ich weiß nicht, was ich will. Cooper, es kommt schon wieder eine Wehe, und diese ist ziemlich heftig.«

»Gleichmäßig tief ein- und ausatmen.« Ich setzte mich zu ihr, und sie drückte meine Hände. »Du machst das super, Zoe Miles. Immer schön atmen.«

»Scheiße, tut das weh«, stöhnte sie und holte mehrmals hintereinander keuchend Luft. »Ich glaube, ich muss pieseln, bin mir aber nicht sicher.«

»Dann schauen wir mal nach.«

Ich half ihr aufzustehen und führte sie zum Badezimmer. Sie ging rein, und ich wartete draußen vor der Tür. Ich hörte sie vor Schmerzen stöhnen und tippte auf den Button der Wehen-App. Das war ganz eindeutig wieder eine Wehe.

»Alles klar bei dir?«, rief ich durch die Tür.

»Cooper, warum geht das so schnell? Die Wehen sind jetzt schon extrem.«

Ich warf einen Blick auf mein Smartphone und überlegte, ob ich ihren Arzt anrufen sollte. Oder meine Mom. Aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass sie ins Krankenhaus musste. Das Baby war unterwegs, und obwohl ich vorbereitet war, wollten wir wohl beide nicht riskieren, dass das Kleine im Badezimmer zur Welt kam. Und sicher hatte auch niemand Lust, die Schweinerei anschließend sauber zu machen. Ich schrieb Roland eine Nachricht, dass er im Krankenhaus zu uns stoßen solle.

Zoe verließ das Bad. Ihre Augen waren riesig, und sie presste eine Hand auf den Bauch.

»Krankenhaus«, sagte ich knapp.

Zoe nickte nur.

Wir gingen zu meinem Wagen und legten zwischendurch zwei Wehen-Pausen ein. Ich machte mir gar nicht mehr die Mühe, sie mit der App zu erfassen. Es wurde ernst, daran bestand kein Zweifel. Ich redete beruhigend auf sie ein, erinnerte sie immer wieder daran, tief und gleichmäßig zu atmen, und ließ sie meine Hand drücken, so fest sie wollte.

Glücklicherweise war Echo Creek nicht sehr groß, und das Krankenhaus nur fünf Fahrminuten entfernt. Ich lief hinein und holte einen Rollstuhl, damit sie nicht laufen musste.

»Du machst das ganz toll, Zoe«, lobte ich, als ich sie in die Lobby schob. »Du bist eine echte Geburtskanone.«

»Danke, Coop, aber bring mich einfach nur auf die Station.«

Es dauerte nicht lange, und eine Krankenschwester führte uns in ein Zimmer. Ich half Zoe aus dem Rollstuhl und kehrte ihr dann den Rücken zu, während sich die Krankenschwester um alles Weitere kümmerte. Sie half Zoe in eines dieser blauen Krankenhausnachthemden und anschließend ins Bett.

Als die Schwester gegangen war, zog ich einen Stuhl ans Bett, und Zoe drückte während einer lang anhaltenden Wehe meine Hand.

»Ich habe ja schon davon gehört, doch ich kann es nur bestätigen. Wer Frauen als das schwache Geschlecht bezeichnet, hat noch nie eine Frau in den Wehen erlebt«, sagte ich. »Denk dran, zwischen den Wehen zu entspannen.«

Sie schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. »Ich wusste ja, dass es wehtun würde, aber verdammt, das ist die Hölle. Wo bleibt Roland?«

Ich sah auf meinem Handy nach. »Ist unterwegs. Ich gebe mal allen Bescheid, dass wir hier sind.«

»Okay. O Gott, jetzt kommt schon die nächste. Jetzt schon? Das kann doch nicht wahr sein.«

Ich hielt während der Wehe wieder ihre Hand und holte ihr anschließend einen nassen Waschlappen für die Stirn, ehe ich Mom, Brynn, Chase und Leo eine Nachricht schickte. Und natürlich Grace.

»Du machst das echt toll, Zoe. Atmen und entspannen.«

»Danke.«

»Und denk dran, dass du bald dein Baby in den Armen halten wirst. Wie cool ist das denn? Ich weiß ja, dass du Schwerstarbeit leisten musst, aber du wirst auch belohnt. Das kleine Menschlein wird dich einmal Mami nennen.«

Eine Träne lief ihr über die Wange. »Oh, Coop.«

»Konzentrier dich auf die Belohnung, Zoe-Bowie.« Ich konnte sehen, wie sich ihr Körper unter einer neuen Wehe verkrampfte. »Gut so. Klasse.«

Eine halbe Stunde später trafen Mom und Brynn ein. Zoe winkte ihnen schwach zu.

Mom trat ans Bett und küsste Zoe auf die Stirn. »Du machst das ganz wunderbar, Liebes. Soll ich bei dir bleiben, bis Roland da ist?«

»Nein, nicht nötig«, entgegnete Zoe. »Cooper macht das toll, und Roland wird auch jede Minute hier sein.«

Ich war ein wenig beleidigt, dass meine Mutter mir offenbar nicht viel zutraute. »Ich habe alles im Griff, Mom. Ich weiß, was ich zu tun habe. Eis, kalter Waschlappen, und sie kann meine Hand so fest drücken, wie sie will. Es tut gar nicht weh.« Zumindest nicht allzu sehr.

»Also gut. Wenn du sicher bist. Wir sind dann im Wartezimmer. Ich freue mich schon so auf mein erstes Enkelchen.«

Zoe bekam die nächste Wehe, und ich redete beruhigend auf sie ein, während Mom und Brynn wieder hinausgingen. Langsam fragte ich mich, ob Roland es noch rechtzeitig schaffen würde.

»O Gott, warum geben die mir nichts gegen die Schmerzen?«, stöhnte Zoe, als die Wehe verebbte. »Mein Arzt hat gesagt, sie würden mir etwas geben.«

Ich drückte ihr den kalten Waschlappen auf die Stirn. »Du machst das so gut.«

Die Krankenschwester kam herein. »Hey, Zoe. Ich werde Sie jetzt schnell untersuchen, um zu sehen, ob Sie schon so weit sind, dass wir Ihnen die PDA setzen können.«

»Ich bin so weit. Aber so was von.«

Die Schwester lächelte, schlug die Bettdecke beiseite und spreizte Zoes Beine. Ich wandte mich diskret ab, obwohl der Bauch mir sowieso den Blick versperrte.

»Oh«, sagte die Schwester, und beim überraschten Klang ihrer Stimme drehte ich mich wieder um. »Der Muttermund ist schon fast vollständig geöffnet. Dann werde ich mal den Doktor holen.«

»Was hat sie gesagt?«, fragte Zoe, und ihre Stimme klang ungewöhnlich schrill, als die Krankenschwester aus dem Zimmer eilte. »Hat sie gesagt fast vollständig? Das heißt, die Presswehen kommen bald. O mein Gott, Cooper, ich kann das nicht.«

»Natürlich kannst du.«

Sie schloss wieder die Augen. »Da drin ist ein Baby, das unmöglich durch mich hindurch passen kann. Wie zur Hölle machen Frauen das?«

Die nächste Wehe kam, und ich atmete mit ihr, bis sie wieder nachließ. »Du schaffst das, weil du eine verfluchte Göttin bist. Eine Kämpferin. Du wirst dieses Baby in null Komma nix zur Welt bringen.«

Sie drückte meine Hand und lächelte schwach. »Wie kommt es, dass du so ruhig bist?«

Ich lächelte nur und rieb ihren Arm, während wir auf die nächste Wehe warteten. Das Ganze war so verrückt. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich so lange bei ihr sein würde. Aber meine Schwangerschaftsvorbereitungen machten sich bezahlt. Es ergab tatsächlich Sinn, vorbereitet zu sein. Ben war ein kluger Mann.

»Atmen, Zoe«, sagte ich, als sich ihr Körper erneut verkrampfte. »So ist es gut. Atmen.«

»Zoe, da bist du ja.« Roland stürzte herein, ging um das Bett herum und nahm Zoes Hand. »Es tut mir so leid, Baby. Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«

»Schon gut«, stieß sie atemlos hervor.

»Wie geht es dir? Noch keine PDA?«

Ich ließ ihre Hand los und trat vom Bett weg. Roland war jetzt hier, und sie brauchte mich nicht mehr. So sollte das sein. Es war seine Frau. Sein Baby. Er sollte an ihrer Seite sein.

»Der Muttermund ist schon fast vollständig geöffnet«, sagte ich. »Das heißt auf fast zehn Zentimeter. Die Presswehen werden bald einsetzen. Die Schwester holt gerade den Arzt. Sie müsste gleich zurück sein.«

»Danke, Coop«, erwiderte Roland, ohne mich anzusehen.

»Kein Problem.«

Ich ging rüber ins Wartezimmer, wo bereits Mom, Brynn und Chase saßen. Mom sprang auf, als sie mich hereinkommen sah.

»Ist das Baby schon da? Wie geht es Zoe?«

»Nein, noch nicht. Roland ist gekommen, ich werde also jetzt bei euch bleiben.«

Ich ging rastlos auf und ab und wartete ungeduldig auf Neuigkeiten. Hoffentlich ging es Zoe gut. Wusste Roland überhaupt, was zu tun war? Er war mit ihr im Geburtsvorbereitungskurs gewesen, also ging ich mal davon aus, dass er alles unter Kontrolle hatte. Mehrmals setzte ich mich hin, hielt es jedoch nie lange aus. Ich langweilte mich, aber der Fernseher konnte mich auch nicht ablenken, also tigerte ich wieder auf und ab.

Es dauerte zwei Stunden, bis Roland im Wartezimmer erschien. Sein Haar war zerzaust, doch auf seinem Gesicht lag das strahlendste Lächeln, das ich je an ihm gesehen hatte.

»Es ist ein Junge.«

Mom weinte. Brynn ebenso. Chase lächelte und nahm Brynn in die Arme. Ich freute mich wie verrückt für die beiden. Er sagte, Zoe hätte nichts dagegen, wenn wir uns den Knirps jetzt gleich anschauten, und so gingen wir zu ihr. Zoe sah total fertig aus, aber das war nicht anders zu erwarten, wobei die Art, wie sie ihren Sohn ansah, sie doch auch wieder wunderschön machte.

Das Ganze kam mir irgendwie unwirklich vor. Vor wenigen Stunden waren Roland und Zoe noch zu zweit gewesen, und jetzt waren sie zu dritt und eine richtige kleine Familie.

Mom reichte das Baby an mich weiter. Es war in eine Decke gewickelt und trug eine blaue Mütze auf dem winzigen Köpfchen. Sein Gesicht war faltig und rosig, und es blinzelte aus blaugrauen Augen zu mir auf.

»Hey, Kumpel.« Ich wiegte es leicht. »Willkommen an Bord.«

»Habt ihr euch schon für einen Namen entschieden?«, wollte Mom wissen.

»Hudson James Miles«, entgegnete Roland.

Ich starrte auf das winzige Gesicht. Hudson James. Es war ein so inniger Moment, dass ich nicht einmal böse war, weil sie ihn nicht Cooper genannt hatten.

Nachdem jeder von uns Huddy kurz hatte halten dürfen, scheuchte uns Mom aus dem Zimmer – Zoe brauche Ruhe, und Eltern und Kind müssten sich erst einmal aneinander gewöhnen. Brynn und Chase hatten bereits Pläne für den Abend und verabschiedeten sich ins Kino. Mom lud mich zu sich ein, aber ich lehnte ab, weil ich in einer eigenartigen Stimmung war.

Mein Neffe war ein Wunder. Ich brauchte wohl einfach etwas Zeit, um sacken zu lassen, dass quasi vor meinen Augen ein neuer Mensch auf die Welt gekommen war. Ich fühlte mich aufgewühlt und rastlos. Es hatte so viele Veränderungen gegeben in letzter Zeit. Chase hatte geheiratet. Zoe war Mutter geworden. So viele positive Neuigkeiten.

Meine besten Freunde wurden erwachsen und hatten neue Prioritäten.

Chase hatte jetzt Brynn und brauchte mich nicht mehr so wie früher. Zoe hatte Roland, und für sie galt das Gleiche. Und ich freute mich für sie beide. Wirklich.

Nur wusste ich nicht recht, wo genau ich jetzt stand.

Kapitel Zwei

Amelia

Der Tag raste in solcher Hektik vorbei, dass ich kaum wusste, wie mir geschah. Maniküre, Haare, Make-up. Jede Etappe erforderte einen anderen Profi und beanspruchte mindestens eine Stunde. Dann wurde der Reißverschluss meines Brautkleids geschlossen, und ich fragte mich unwillkürlich, wie um alles in der Welt ich aufs Klo gehen sollte. Mir war ganz flau im Magen, aber das war normal, oder? Immerhin würde ich gleich heiraten. Es war nur Lampenfieber. Das hatte nichts zu bedeuten.

Das betete ich mir schon den ganzen Tag vor. Sogar die ganze Woche. Doch je näher der Termin gerückt war, desto zappeliger war ich geworden. Meine Finger und Zehen prickelten, als wären sie schlecht durchblutet. Ich hatte Magenschmerzen und keinen Appetit. Ich hatte seit Tagen kaum etwas gegessen.

Wenigstens hatte ich mich auch nicht die ganze Woche mit Tacos und Eis vollgestopft, aus Angst, ich könnte nicht in das Kleid passen, das Mom eine Nummer kleiner gekauft hatte. Ihre Art, mich zu ermutigen, bis zum großen Tag eine Kleidergröße abzunehmen. Ich war dementsprechend erleichtert gewesen, als Daphne, meine Trauzeugin, den Reißverschluss ohne größere Mühe bis oben schließen konnte. Das Kleid spannte etwas, vor allem über den Brüsten, aber wenigstens quollen meine Kurven nicht aus dem weißen Stoff. Kurven hatte ich nämlich mehr als genug.

»Du siehst wunderschön aus, Amelia.« Daphne zupfte mir eine dunkelblonde Locke zurecht und schüttelte den Schleier auf.

Daphne war diejenige, die wunderschön aussah. Meine beste Freundin hatte Haut wie Porzellan und dunkles Haar. Die Tattoos, die ihre linke Schulter und den ganzen Arm bedeckten – dunkelblaue und lila Blumen – bildeten einen hübschen Kontrast zum hellen Lavendelton ihres Kleides.

»Ganz sicher, dass alles in Ordnung ist mit dir?« Sie hielt inne und musterte mich prüfend. »Du bist ganz sicher … wegen allem?«

»Natürlich bin ich das. Warum auch nicht? Heute ist mein Hochzeitstag. Klar bin ich okay, glücklich und aufgeregt, eben alles, was eine Braut sein sollte.«

Sie entgegnete nichts darauf. Aber warum sollte es mir nicht gut gehen? Wir befanden uns auf einem malerischen Weingut in den Bergen. Das Wetter war ein Traum. Alles war perfekt. Das Kleid. Die Dekoration. Die Location. Was könnte ich mir noch wünschen?

Trotzdem machte es mich immer noch wahnsinnig nervös, dass ich Griffin Wentworth heiraten würde. Er war meine erste große Liebe. Unsere Eltern waren befreundet, so dass wir uns auf deren Dinnerpartys und Country-Club-Veranstaltungen kennengelernt hatten. Wir hatten nicht dieselbe Schule besucht – ich war auf einem Mädcheninternat gewesen –, hatten uns jedoch öfter an den Wochenenden gesehen und in den Ferien. Wir hatten uns immer gut verstanden, aber ich war zu schüchtern gewesen, um ihm zu gestehen, dass ich mir mehr wünschte.

Und so waren wir die ganze Studienzeit hinweg bis zum Abschluss nur Freunde gewesen. Ich war aus allen Wolken gefallen, als Griffin mir dann vor vier Monaten einen Antrag gemacht hatte. Er hatte mir eröffnet, dass ich ihm schon die ganze Zeit viel bedeutet hätte und er jetzt erst erkannt habe, dass er das, was er suchte, die ganze Zeit direkt vor der Nase gehabt habe.

In diesem Moment war es mir vorgekommen, als ginge mein größter Wunsch in Erfüllung. Wie oft hatte ich mir, wenn Griff und ich es uns auf der Couch gemütlich gemacht hatten, um einen Film zu sehen, gewünscht, er würde meine Hand halten. Oder sich zu mir herüberbeugen und mich küssen. Unzählige Male. Und dann wollte er mich plötzlich heiraten.

Aus Freundschaft war Liebe geworden, wie in einem Kitschroman.

Nur …

»Daph … Küssen Männer eigentlich gerne?«

»Was?« Sie schüttelte wieder meinen Schleier auf. »Ich denke schon. Harrison küsst jedenfalls gerne. Wieso?«

»Nur so.« Ich wusste selbst nicht, warum ich das jetzt fragte. Die Frage hatte mich die letzten Monate beschäftigt, aber ich hatte mich nicht getraut, das Thema anzusprechen, weil ich fürchtete, das Problem läge bei mir. »Griff küsst nicht wirklich gerne.«

»Hat er das gesagt?«

»Ja, irgendwie schon. Und so wie er es gesagt hat, klang es, als wäre das bei den meisten Männern so.«

»Amelia«, entgegnete sie in mütterlichem Tonfall. »Ihr habt euch doch schon geküsst, oder?«

»O ja, selbstverständlich.« Und das stimmte. Griff und ich hatten uns geküsst. Nur … Es hatte sich nie angefühlt, wie Küssen sich eigentlich anfühlen sollte. »Sieh mich nicht so skeptisch an. Wir haben uns geküsst, richtig. Also … du weißt schon … mit Zunge und so.«

»Na ja, vielleicht steht er nicht so drauf. Vielleicht hat er sich auch zurückgehalten, weil er wusste, dass das zu Sex führen würde, den er sich für heute Nacht aufsparen wollte.«

»Ja, vielleicht hast du recht.«

Ich holte tief Luft. Gespräche über Sex so kurz vor meinem ersten Mal verschlimmerten das flaue Gefühl im Magen. Ich war noch Jungfrau. Nicht aus Überzeugung, sondern weil es sich bisher irgendwie nicht ergeben hatte.

Dass ich eine reine Mädchenschule besucht hatte, spielte hierbei sicherlich auch eine Rolle. Nicht, dass die anderen Mädchen sich nicht mit Jungs getroffen hätten. Das hatten sie. Daphne eingeschlossen. Sie hatte schon ein paar Beziehungen hinter sich und war jetzt mit Harrison zusammen, einem richtig coolen Typen.

Aber ich war immer schüchtern und gehemmt gewesen, vor allem gegenüber Jungs. Und dass ich meine Mitschülerinnen überragt hatte und etwas pummeliger gewesen war als sie, hatte wohl ebenfalls dazu beigetragen, dass mir die Männerwelt wenig Beachtung geschenkt hatte. Außerdem waren meine Eltern sehr streng gewesen. Da sich sowieso niemand für mich interessiert hatte, war das aber nie zum Problem geworden.

Auch auf dem College war ich solo geblieben. Ein paar meiner Freundinnen hatten mich sogar damit aufgezogen, was wirklich nervig gewesen war. Hatte ich sie denn für ihre sexuelle Freizügigkeit verurteilt? Nein. Ich hatte sie nicht als Flittchen beschimpft, sie hätten es sich also auch sparen können, mich wegen meiner Jungfräulichkeit zu verspotten. Ich war nicht stolz darauf, dass ich noch keinen Sex gehabt hatte. Ich hielt mich nicht für etwas Besseres als sie. Tatsächlich war es sogar eher ein komisches Gefühl, als zweiundzwanzigjährige College-Absolventin noch unberührt zu sein.

Aber das würde sich ja bald ändern. Weil Griffin erkannt hatte, dass es vernünftiger war, eine gute Freundin zu heiraten als irgendeine hirntote Tussi. Nicht, dass ich damit die Mädchen, mit denen er ausgegangen war, schlecht machen wollte.

Okay, doch, ich verachtete die Mädchen, mit denen er ausgegangen war. Aber er wollte keine von ihnen heiraten. Er heiratete mich. Und genau das war immer mein Wunsch gewesen. Das mit dem Küssen würde sich bestimmt noch geben. Vielleicht hatte Daphne ja auch recht. Vielleicht hielt er sich bisher nur zurück. Ich hatte mich nicht unbedingt für die Hochzeitsnacht aufsparen wollen, aber in Anbetracht der kurzen Verlobungszeit musste er sich gesagt haben, dass man nun auch nichts mehr überstürzen musste. Jetzt hatten wir uns schon so viel Zeit gelassen, dann konnten wir auch bis zum Schluss warten. Bestimmt würde das unsere Hochzeitsnacht erst recht besonders machen.

»Komm her.« Daphne führte mich zu einem Stuhl und half mir, das Kleid so zu raffen, dass ich mich setzen konnte. »Das war eine superkurze Verlobung, und du hattest viel um die Ohren mit den Vorbereitungen und deinem College-Abschluss. Die letzten Monate waren megahektisch. Es ist also nicht verwunderlich, wenn du jetzt etwas nervös bist.«

Ich nickte.

»Solltest du aber ernste Zweifel haben, Süße …«

»Nein«, fiel ich ihr mit fester Stimme ins Wort. »Habe ich nicht. Griffin ist … er … du weißt ja, dass ich schon immer in ihn verknallt war. Ich habe immer gehofft, dass wir eines Tages heiraten würden, hätte aber nie damit gerechnet, weil ich eigentlich nicht sein Typ bin, und wir so lange nur Freunde waren.«

»Ich weiß, ich weiß. Ich habe nur den Eindruck, als würdest du … Ich weiß auch nicht. Du bist heute irgendwie nicht du selbst. Du stehst schon die ganze Woche neben dir.«

»Das ist nur die Aufregung.« Genau. Ganz normale Nervosität. Bräute bekamen Torschusspanik, aber das hatte nichts zu bedeuten. »Es kommen so viele Gäste.«

Sie drückte meine Hand. »Ja, doch von denen wirst du kaum etwas bemerken. Du wirst ganz auf Griffin fokussiert sein, der dir entgegenblickt, wenn du den Mittelgang herunterkommst.«

»Warum habe ich das Gefühl, dass du nur sagst, was ich deiner Meinung nach hören will? Das sieht dir gar nicht ähnlich. Verschweigst du mir etwas?«

»Nein.«

»Doch. Ich spüre es.«

»Ich denke nur …«

Die Tür wurde geöffnet, und meine Mutter kam herein. Sie sah sehr elegant aus in ihrem silbernen Kleid. »Da bist du ja. Wo ist Portia?«

Daphne und ich zuckten beide mit den Achseln. Das konnte man bei Portia nie wissen. Sie war meine einzige Cousine und allein aufgrund unserer Verwandtschaft auf die Gästeliste gesetzt worden. Die gute Nachricht war, dass es in meiner Familie nur eine Portia gab, die zu meiner Hochzeit kam. Eine war mehr als genug.

»Ich habe sie nicht gesehen«, entgegnete ich. »Ich dachte, sie wäre bei Tante Veronica, um sich fertig zu machen.«

»Nein.« Mom musterte mich abschätzig. »Trägst du deine Shaping-Unterwäsche?«

Ich blickte an mir hinunter und registrierte den nicht ganz flachen Bauch und die riesigen Brüste. »Ja, Mom. Offensichtlich.«

»Du kannst auch mehrere Lagen übereinander anziehen für mehr Halt.«

»Ja, ich weiß. Ich trage zwei Lagen übereinander.«

»Sie sieht wunderschön aus, finden Sie nicht auch?« Daphne nahm meine Hände und half mir beim Aufstehen. »Eine perfekte Braut.«

Mom schenkte mir ein verkniffenes Lächeln. »Hübsches Kleid. Wir werden mit der Zeremonie nicht verspätet beginnen. Wenn Portia nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten auftaucht, fangen wir ohne sie an.«

»Ich schätze, das geht in Ordnung«, sagte ich. »Ich habe sie noch gar nicht gesehen, ich kann dir also nicht weiterhelfen.«

Es ärgerte mich, dass meine Mom mich für Portias Verschwinden verantwortlich zu machen schien. Wahrscheinlich hatte sie gestern Abend irgendeinen Typen kennengelernt und die Zeit vergessen. Portia war nicht gerade als besonders zuverlässig bekannt. Meine Mutter hatte sie unbedingt als Brautjungfer haben wollen. Das heißt, genau genommen war das auf Tante Veronicas Mist gewachsen, aber meine Mutter war die Überbringerin der frohen Botschaft gewesen.

Als Mom gehen wollte, trat Jamie ein, die Hochzeitskoordinatorin des Weinguts. Mom zog sie hinaus auf den Flur und redete flüsternd auf sie ein. Jamie nickte und antwortete etwas, das ich zwar nicht verstand, das jedoch beruhigend klang. Mom ging, und das Klappern ihrer Absätze entfernte sich den Flur hinunter.

»Hey, Ladys«, sagte Jamie lächelnd. »Scheint, als wäre uns eine Brautjungfer abhandengekommen, aber Ihre Mutter möchte trotzdem pünktlich anfangen.«

»Ist mir recht«, erwiderte ich.

Daphne verdrehte die Augen. »Portia ist ein verzogenes Balg, und Amelias Tante wollte unbedingt, dass wir sie in die Zeremonie einbeziehen. Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden überraschen wird, wenn sie mit Abwesenheit glänzt.«

»Also gut«, stimmte Jamie zu. »Wenn Sie fertig sind, bringe ich Sie beide jetzt rüber. Alle anderen warten schon.«

Daphne reichte mir den Brautstrauß. »Bist du so weit?«

Tief durchatmen, Amelia. Tief durchatmen. »Ja, ich bin so weit.«

Mein Magen schlug Purzelbäume, als ich Jamie und Daphne folgte. Die Trauung fand im Freien statt, und Jamie führte uns durch den Hinterausgang und einen Pfad entlang durch den Garten zu einer großzügigen Rasenfläche.

Es sah aus wie ein Menschenmeer. Die zweihundert Gäste kamen mir vor wie zehntausend, und das Herz schlug mir jetzt bis zum Hals. Der Gang zwischen den weißen Stühlen wirkte endlos.

Ich hatte schon den ganzen Tag das Gefühl, als würde die Zeit wie im Flug vergehen, und jetzt ging es rasant auf das Finale zu. Hände zupften an meinem Kleid und strichen meinen Schleier glatt. Ich nahm leises Stimmengewirr um mich herum wahr und registrierte vage, dass weiter vorne ein Streichquartett spielte. In der Ferne neigte sich die Sonne den Berggipfeln zu, aber noch schien sie so grell, dass mich ihr Licht blendete.

Meine Hände waren heiß und feucht, und ich fragte mich, ob der Ring passen würde. Oh nein … Was, wenn Griffin es nicht schaffte, ihn mir anzustecken? Ich malte mir das Horrorszenario aus, sah, wie ich vor all diesen Leuten stand, während er sich verzweifelt abmühte, den Ring über meinen geschwollenen Fingerknöchel zu schieben.

Plötzlich waren meine Eltern da, jemand sprach wieder von Portia, und Daphne flüsterte mit Jamie. Es ging alles zu schnell. Ich bekam keine Luft mehr. Das Kleid war so eng, und die zwei Lagen Shapewear taten ein Übriges.

Ich sah den Gang hinunter, an den Blumen und der Tülldekoration vorbei und hielt Ausschau nach Griffin. Ich war sicher, dass sein Anblick mich beruhigen würde.

Er war nicht da.

Am Vorabend waren wir den gesamten Ablauf noch einmal durchgegangen. Griffin und seine Trauzeugen sollten vorne stehen. Dann würde Portia den Gang hinuntergehen, gefolgt von Daphne. Meine Eltern und ich würden das Schlusslicht bilden. Dass Portia fehlte, war nicht weiter schlimm. Die Anwesenden würden schweigend zur Kenntnis nehmen, dass es zwei Trauzeugen gab, jedoch nur eine Trauzeugin, und sich dann später auf dem Empfang die Mäuler darüber zerreißen.

Aber vorne, vor den Gästen, standen nur zwei Männer, und keiner von beiden war der Bräutigam.

»Wo ist Griffin?«, fragte ich.

Alle verstummten und wandten sich mir langsam zu. Mom stand neben Dad, der in seinem Smoking richtig schneidig aussah, und sie blickten beide zwischen mir und Spencer, einen von Griffins Trauzeugen, hin und her.

Spencer schaute sich sichtlich verlegen um und zuckte leicht mit den Schultern.

»Moment, ist das nicht Griffin?«, fragte Jamie.

»Nein, Spencer ist Griffins Bruder«, erklärte ich. Die beiden sahen einander so ähnlich, dass sie oft für eineiige Zwillinge gehalten wurden. »Er ist Trauzeuge. Der andere Trauzeuge ist Mark. Aber ich kann Griffin nirgendwo sehen. Wo ist er?«

Jamie drückte sich das Klemmbrett an die Brust. »Ach du meine Güte.«

Ich wich vor den Stuhlreihen zurück und starrte dorthin, wo eigentlich Griffin hätte stehen sollen. Mom murmelte etwas von einer Autopanne, aber das war Unsinn, da unser Hotel gleich nebenan war. Wir waren zu Fuß rübergekommen, um uns umzuziehen.

Spencer kam den Gang herauf auf uns zu. Köpfe drehten sich, als er vorbeiging, und immer mehr Gäste bemerkten die Menschentraube, die sich hinter ihnen gebildet hatte, und dass es mit der Trauung nicht weiterging.

»Was ist los?«, fragte Mom leise. »Wo steckt er?«

»Keine Ahnung«, entgegnete Spencer. »Ich dachte, er wäre bei Mark, und Mark dachte, er wäre bei mir. Dann hat Jamie uns nach vorn geschickt, und wir gingen beide davon aus, er wäre bei Amelia oder so. Heißt das, er ist auch nicht bei euch?«

»Nein, natürlich ist er nicht bei uns«, zischte Mom. »Du bist sein Trauzeuge, Spencer, es ist deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht passiert.«

»Okay, keine Panik«, mischte sich Daphne ein. »Spence, was habt ihr gestern Abend gemacht? Wart ihr unterwegs?«

»Nur an der Hotelbar«, antwortete Spencer. »Wir hatten einen Drink und sind dann auf unsere Zimmer gegangen. Ich war um elf im Bett.«

»Und Griffin ist auch schlafen gegangen?«, wollte Daphne wissen.

»Ich denke schon«, meinte Spencer achselzuckend. »Ich habe ihn heute Morgen beim Frühstück gesehen, aber wir haben nicht miteinander gesprochen. Er hat sich etwas zu essen geholt und ist damit zurück auf sein Zimmer. Er sagte, wir sehen uns später. Ich dachte, er meint damit, na ja, jetzt.«

Die Unterhaltung ging weiter, aber das Blut rauschte inzwischen so laut in meinen Ohren, dass ich nichts mehr hörte. Egal, welche Erklärungen sie alle vorbrachten, ich kannte die Wahrheit bereits.

Er würde nicht kommen. Griffin hatte mich vor dem Altar sitzenlassen.

Kapitel Drei

Amelia

Ich war wie betäubt. Daphne sah mich an, als rechnete sie damit, dass ich jeden Moment weinend zusammenbrach, aber tatsächlich fühlte ich gar nichts.

Sie war mit mir zurück ins Brautzimmer gegangen, während sich alle anderen weiter den Kopf darüber zerbrachen, was mit Griffin geschehen sein mochte. Ich stand am Fenster und blickte auf einen der Gärten hinunter. Von hier aus konnte ich die Gäste nicht sehen, aber ich wusste, dass sie da waren. Jemand würde sie informieren müssen. Griffin hat Amelia vor dem Altar versetzt. Na ja, streng genommen war ich nicht einmal bis zum Altar gekommen, doch das Ergebnis war das Gleiche.

Spencer steckte den Kopf zur Tür herein. »Habt ihr was gehört?«

»Nein«, antwortete Daphne. »Du?«

»Auch nicht. Er hat aus dem Hotel ausgecheckt, aber mehr konnte man uns dort auch nicht sagen.«

»Das hilft uns nicht weiter«, meinte Daphne. »Natürlich hat er aus seinem Zimmer ausgecheckt. Heute Nacht sollten er und Amelia in der Honeymoon-Suite übernachten. Sein Zimmer hat er also nicht mehr gebraucht.«

»Er hat aber sein Gepäck nicht in die Suite bringen lassen, oder?«, fragte ich, wobei es mehr eine rhetorische Frage war.

»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte Spencer.

»Dachte ich mir schon.«

»Ich erkundige mich mal, ob meine Eltern etwas gehört haben«, meinte Spencer und zog die Tür wieder zu.

»Ich hoffe, dass das Arschloch im Krankenhaus liegt und um sein Leben kämpft«, knurrte Daphne. »Das ist nämlich die einzige legitime Entschuldigung, nicht zu seiner eigenen Hochzeit zu erscheinen.«

Ich streifte die Schuhe ab. Mir taten jetzt schon die Füße weh. Ich hatte andere haben wollen, bequemere. Es würde ja sowieso niemand meine Füße sehen. Warum eigentlich keine weißen Converse-Sneaker tragen? Aber meine Mutter war bei diesem Vorschlag ausgetickt. In ihren Augen gab es Regeln, an die man sich halten musste, und dazu gehörten High Heels bei offiziellen Anlässen.

War es seltsam, dass ich mich über Schuhe beklagte in Anbetracht der Tatsache, dass mein Bräutigam in spe mich offenbar hatte sitzen lassen?

Mein Magen rumorte, und ich fing an, auf und ab zu gehen. Ich war zappelig und konnte nicht still sitzen.

Als die Tür erneut geöffnet wurde, fuhr ich erschrocken zusammen. Ich legte eine Hand auf mein Herz und atmete tief ein, als Daphnes Verlobter Harrison hereinkam.

Auch im Anzug sah Harrison aus wie ein Rocker. Er hatte einen dichten Bart und Tattoos am Hals, die unter dem Hemdkragen hervorschauten. Kürzlich hatte er seinen ersten Plattenvertrag unterschrieben, und er und Daphne würden gleich nach der Hochzeit nach L.A. fliegen.

»Hey, Babe.« Er schloss Daphne in die Arme. »Ich habe keine Ahnung, was eigentlich los ist.«

»Wie sieht es denn da draußen aus?« Ich bereute die Frage, kaum dass ich sie gestellt hatte. Ich war mir ganz und gar nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte.

»Noch warten alle«, erwiderte Harrison. »Dein Vater hat gesagt, die Zeremonie würde sich verspäten.«

»Verspäten«, wiederholte Daphne, die klang, als würde sie jeden Moment ausrasten. »Stimmt, ohne Bräutigam kann man schlecht anfangen.«

»Es tut mir sehr leid für dich, Amelia«, meinte er.

»Bestimmt gibt es eine ganz einfache Erklärung«, sagte ich. »Es muss irgendetwas passiert sein. Vielleicht hatte er einen Fleck auf dem Anzug, hat selbst daran herumgewischt und es dadurch erst recht versaut. Vielleicht ist er daraufhin in die Reinigung gefahren, wo man ihm mitgeteilt hat, dass man das Problem nicht sofort lösen könne, woraufhin er erklärt hat, dass er den Anzug für seine Hochzeit braucht, und jetzt noch mit den Leuten herumdiskutiert.«

»Äh … ja, vielleicht«, murmelte Harrison.

»Natürlich ist auch denkbar, dass er abgehauen ist, weil ihm klar wurde, dass er mich gar nicht wirklich heiraten will.«

»Oh, Süße«, sagte Daphne mitfühlend.

»Soll ich ihn aufspüren und verprügeln?«, fragte Harrison Daphne. Er hatte sehr leise gesprochen, aber ich hatte ihn trotzdem verstanden.

»Vielleicht. Ich gebe dir noch Bescheid«, entgegnete Daphne. Harrison nickte, gab seiner Verlobten einen Kuss und ging.

Daphne sah auf meinem Handy nach, und daran, wie schnell sie es wieder hinlegte, erkannte ich, dass ich keine Nachrichten hatte. Sie griff nach ihrem eigenen und scrollte durch ihre Nachrichten, während ich weiter im Zimmer auf und ab tigerte.

»Was ist mit dem Essen?«, fragte ich. »Und dem Kuchen? Was passiert, wenn eine Hochzeit in allerletzter Minute abgesagt wird? Wird die Torte dann weggeworfen?«

»Keine Ahnung, aber …« Daphne verstummte mitten im Satz und starrte mit offenem Mund auf das Display ihres Telefons. »O mein Gott.«

»Was ist?«

»Verdammter Mist.«

»Hat er geantwortet? Weißt du, wo er ist?«

»Nein, hat er nicht, aber ich weiß trotzdem, wo er ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Unfassbar.«

»Was? Spann mich nicht auf die Folter. Was ist los? Mit der Reinigung lag ich daneben, richtig? Das war ja auch nur so dahingesagt. Du weißt ja, wie ich bin. Ich rede immer dummes Zeug, wenn ich nervös bin.«

»Ja, Süße, das weiß ich. Er ist definitiv nicht in der Reinigung.« Sie hielt ihr Handy hoch, so dass ich das Display sehen konnte. »Er ist bei Portia.«

Ich riss ihr das Telefon aus der Hand. Und da, auf dem Display, sah ich Portias Tweet.

Brautjungfer auf der Hochzeit meiner Cousine. Habe mit dem Bräutigam geschlafen. Ups.

»Was steht da? Ist das echt? Oder soll das ein Witz sein? Wenn es nämlich ein Scherz sein soll, ist er nicht witzig.«

»Ich halte das nicht für einen Scherz.«

»Er hat mit Portia geschlafen?« Ich las den Tweet noch einmal. Und dann noch einmal. Und ein viertes Mal, um ganz sicher zu gehen, aber es blieb dabei.

»Griffin und Portia? Wann denn? Heute ist doch unsere … wir wollten doch … Sie ist doch meine Cousine.«

Daphne nahm mir sanft das Telefon aus der Hand. »Scheiße, da ist noch mehr. Sie hat das Ganze live getwittert.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten, während Daph durch Portias Tweets scrollte.

»Okay, es fängt mit dem Ups-Tweet an. Von wegen Ups. Was für eine Schlampe. Es folgt ein Foto des Gepäcks der beiden in seinem Wagen. Darunter steht: ›Wir folgen unseren Herzen.‹ Das war heute Morgen. Dann ein Foto von ihnen am Flughafen. Das Selfie ist übrigens grottig, sie sehen beide scheiße aus. Dann … O mein Gott, ich fasse es nicht.«

»Was?«

»Sie sind nach Vegas geflogen.«

»Nach Vegas? Was wollen sie denn in … Oh.«

Es fühlte sich an, als würde die Luft aus meinen Lungen gesaugt. Das Gefühl der Taubheit fiel von mir ab, wurde von glühendem Zorn versengt wie ein Blatt Papier, das sich im Feuer einrollt und zu Asche zerfällt. Nur dass ich nicht daran dachte, zu Asche zu zerfallen. Wie flüssiger, heißer Stahl breitete sich die Wut beängstigend schnell in mir aus.

»Süße, ich glaube, die beiden wollen heiraten.« Daphne hielt wieder das Smartphone hoch und zeigte mir ein Foto einer schäbigen Wedding Chapel.

»Er hat mich vor dem Altar sitzen lassen, um Hals über Kopf meine Cousine in Vegas zu heiraten?«, fasste ich die Situation mit zusammengebissenen Zähnen zusammen.

»Sieht ganz so aus. Oh … Ja. Sie hat gerade wieder getwittert. Noch ein grauenhaftes Selfie, auf dem sie die Hand in die Kamera hält. Sie hat einen Ring am Finger.«

Ich blickte an meinem voluminösen weißen Brautkleid hinab. Einem Kleid, das mir nicht einmal gefiel. Eigentlich hätten Griffin und ich jetzt vor dem Altar stehen sollen. Stattdessen hatte er mich verlassen. Er hatte einen Tag vor unserer Hochzeit mit meiner Cousine geschlafen und war mit ihr nach Vegas durchgebrannt.

»Das Ganze ist so irreal«, sagte ich. »Kannst du dir das in einem Kinofilm vorstellen? Die Frau freut sich darauf, den Mann zu heiraten, in den sie verschossen ist, seit sie dreizehn war. Alles läuft super, und dann erfährt sie am Tag der Hochzeit, dass ihr Verlobter nicht nur mit ihrer Cousine geschlafen hat, sondern mit derselben nach Vegas durchgebrannt ist, um stattdessen sie zu heiraten. Ich fände diesen Plot total unrealistisch. Ich würde Popcorn auf die Leinwand werfen und buhen und allen davon abraten, sich einen derart bescheuerten Film anzusehen.«

»Amelia …«

»Nein, im Ernst. Das ist doch albern. So etwas passiert nicht im richtigen Leben. Da draußen sind zweihundert Leute, die sich auf eine Hochzeitstorte freuen. Und was bekommen sie? Nichts.«

»Die Gäste gehen mir am Arsch vorbei. Ich wünsche Griffin einen langsamen, qualvollen Tod, gerne nachdem ihm sein bestes Stück durch Lepra abgefallen ist.«

»Ich bin nicht sicher, ob so was bei Lepra passiert. Und ist Lepra nicht inzwischen heilbar? Es ist ja nicht so, als würden heute noch Leute in Lumpen rumlaufen und laut rufen, sie seien unrein, damit sich andere von ihnen fernhalten.«

»Stimmt … Aber das ist nicht der Punkt.« Sie schüttelte den Kopf. »Gott, Amelia, es tut mir so leid.«

»Du hast recht.«

»Womit?«, wollte sie wissen.

»Lepra. An den Genitalien. Genau das hätte er verdient. Ich bin so sauer, dass ich gar nicht weiß, wohin mit meiner Wut.«

»Gut«, entgegnete sie. »Wut ist gut. Bleib wütend. Weißt du, was wir jetzt tun? Wir müssen ihn treffen, da, wo es wirklich wehtut.«

»Er ist in Vegas. Ich kann ihm aus der Ferne nicht in die Eier treten.«

»Ich meine nicht seine Eier. Ich spreche von seinem Konto. Du hast doch Zugriff darauf, oder?«

»Nein.«

»Verdammt.«

»Aber das Konto für die Flitterwochen ist ein Gemeinschaftskonto.«

Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. »Wir brauchen einen Geldautomaten. Sofort.«

»Ich soll das Flitterwochenkonto leer räumen?«

»Ich will, dass du dieses Konto leer räumst und jedes andere, auf das du Zugriff hast. Wahrscheinlich bezahlt er seinen Vegas-Trip von deinem Flitterwochengeld. Nimm ihn aus, Amelia.«

Ich machte mich auf die Suche nach meinem Portemonnaie, hielt dann jedoch inne. »Warte, der Verfügungsrahmen an Geldautomaten ist begrenzt. Außerdem kann ich hier nicht weg. Da draußen sind zweihundert Gäste, Daph, darunter meine Mutter und Griffins Eltern. Ich kann jetzt nicht vor sie treten. Vielleicht nie wieder. Du musst den Leuten vom Weingut erklären, dass ich nie wieder von hier wegkann und bis ans Ende meiner Tage hierbleiben werde.«

»Scheiße.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und trommelte mit einem Finger auf ihren Ellbogen. »Hast du über das Handy Zugriff auf das Konto?«

Ich wusste, dass ich wieder im Quasselmodus war, aber Daphne war richtig gut darin, den Unsinn zu ignorieren, den ich verzapfte, wenn ich nervös war, und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Ja.«

Sie griff nach meinem Smartphone und warf es mir zu. »Dann tu es.«

Meine Hände waren erstaunlich ruhig, als ich mich in das Konto einloggte. Ich beschloss, dass das Geld in meinem Treuhandfonds am besten aufgehoben wäre. Ich würde es nicht ausgeben können, da der Fonds von einem Treuhänder verwaltet wurde. Ich hätte nach der Eheschließung Zugriff bekommen und wusste jetzt nicht genau, was aus dem Geld werden würde, aber das war mir auch egal. Eins wusste ich jedoch ganz sicher: Wenn ich das Geld auf das Treuhandkonto transferierte, würde Griffin es niemals wiedersehen.

»So.«

Das Gefühl der Macht, das ich empfand, als ich die Transaktion bestätigte, überraschte mich. So, als wäre ich den Geschehnissen nicht hilflos ausgeliefert. Ich traf Griffin dort, wo es wehtat. Neben seinen vielen positiven Eigenschaften – auch wenn mir im Augenblick keine einfallen wollte – war er sehr auf Geld fixiert. Seine Eltern waren reich, doch sie waren auch noch jung und gesund. Er würde irgendwann Millionen erben, aber wohl erst in Jahrzehnten. Er besaß einen Treuhandfonds, so wie ich. Unsere Eltern hatten diese Fonds eingerichtet und die Auszahlung mit gewissen Auflagen versehen, damit sichergestellt war, dass wir an das Geld erst herankamen, wenn wir verantwortungsbewusste Erwachsene geworden waren.

Obwohl ich die Bedingungen an die Auszahlung von Griffins Fonds nicht kannte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der mich ganz krank machte. »Was, wenn Griffin mich nur heiraten wollte, um an seinen Treuhandfonds ranzukommen, Daph?«, fragte ich.

Ihre Augen weiteten sich. »Ist das eine Bedingung? Muss er heiraten, um an das Geld zu kommen?«

»Ich weiß es nicht. Bei mir ist es aber so.«

»Alter Schwede. Hat er das gewusst?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, möglicherweise hat er es vermutet, obwohl wir nie speziell vom Vermögen meiner Eltern gesprochen haben.«

Aus dem einfachen Grund, weil es eben ihres war. Ich hatte ihr Geld nie als das meine betrachtet. Sie hatten einen Fonds für mich eingerichtet, als ich noch ein Baby gewesen war, und von dem angesparten Geld meine Privatschule und das Studium finanziert, was ich völlig in Ordnung fand. Für ebensolche Ausgaben waren solche Fonds ja auch ausgelegt. Wenn noch Geld übrig war – ich hatte wirklich keine Ahnung, wie viel Geld in diesen Fonds geflossen war –, wollte ich es für einen Gnadenhof für Pferde verwenden.

Ich hatte mich schon nach geeigneten Höfen umgesehen und ausgerechnet, was die Gründung dieses Projekts kosten würde. Nach den Flitterwochen hatte ich das Vorhaben dann konkret angehen wollen.

Aber das war ja jetzt hinfällig.

»Süße, ich kann es einfach nicht länger für mich behalten«, sagte meine beste Freundin. »Ich denke, das ist das Beste, was dir passieren konnte.«

»Das klingt etwas seltsam, findest du nicht? Man sollte meinen, dass eine solche Demütigung nicht unbedingt als Glücksfall durchgeht.«

»Ich weiß.« Sie nahm meine Hände. »Aber Griffin hat heute sein wahres Gesicht gezeigt. Ihr wart lange befreundet, doch was war das für eine Freundschaft? Er hat sich nur bei dir blicken lassen, wenn er gerade einmal keine Freundin hatte. Und das Gerede von wegen ›Ich hatte das, was ich immer gesucht habe, die ganze Zeit vor der Nase‹ mag ja ganz nett und romantisch klingen, doch offensichtlich war es ihm nie ernst damit.«

»Meine Güte, Daphne. Ich wollte ihn heiraten. Ich wollte für immer mit ihm zusammen sein, was ja auch ursprünglich einmal der Sinn einer Ehe war. Aber wenn er es fertigbringt … Ich meine, er ist mit meiner Cousine durchgebrannt. Mit der durchgeknallten Portia. Ausgerechnet. Er zieht diese Frau mir vor? Andererseits … Sie ist schlank und schön, also ist wohl nachvollziehbar, dass er sie attraktiver findet als mich. Wer würde das nicht?«

»Hm, jeder Mann mit etwas Hirn?«, entgegnete Daphne. »Fang gar nicht erst davon an, dass du nicht in Kleidergröße vierunddreißig passt. Du bist wunderschön. Und dazu noch klug und liebenswert. Griffin hat dich gar nicht verdient. Er hat dir heute einen großen Gefallen getan. Ich hoffe immer noch, dass er an Genital-Lepra erkrankt, aber ich danke Gott, dass ihr nicht geheiratet habt.«

Ich kochte immer noch vor Wut, so dass es mir in diesem Moment leichtfiel, ihr recht zu geben. Er hatte mir einen Gefallen getan. Der Kelch einer lebenslangen unglücklichen Ehe war an mir vorbeigegangen. Wenn Griffin zu so etwas fähig war, wenn er es fertigbrachte, mit meiner Cousine zu schlafen und mich am Tag unserer Hochzeit sitzen zu lassen, wäre er ganz offensichtlich ein denkbar schlechter Ehemann gewesen. Er war ja schon kein besonders guter Verlobter gewesen – auch wenn ich in diesem Punkt mangels persönlicher Erfahrungen nicht wirklich mitreden konnte –, doch ich hatte gedacht, dass sich nach der Heirat alles regeln, und wir zueinanderfinden würden. Aber das? Das war sein wahrer Charakter? Sollte er sich doch zum Teufel scheren.

»Weißt du was? Du hast recht. Ich bin froh, dass es so gekommen ist.« Mein Zorn verwandelte sich in Entschlossenheit. Ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen, und ich war nicht gewillt, den Sündenbock zu geben.

»Wir tun Folgendes«, sagte Daphne, und ihre Züge erhellten sich. »Wir feiern den Rest des Abends deine Freiheit. Das wird dir darüber hinweghelfen. Wir geben uns die Kante und ruinieren das Kleid. Und dann essen wir deine Hochzeitstorte. Oder wir nehmen sie mit und vernichten sie. Was meinst du?«

Ich lächelte, und es war ein echtes Lächeln. Ziemlich erstaunlich in Anbetracht der Umstände. »Ja, ich …«

Die Tür ging auf, und mein Lächeln gefror. Mein Magen verkrampfte sich, und ein Gefühl der Beklemmung stieg in mir auf. Es war meine Mutter.

»Es ist eine Katastrophe«, sagte sie. »Griffin ist offenbar mit Portia nach Vegas durchgebrannt.«

Ich starrte sie entgeistert an. Sie konnte nicht wissen, dass ich bereits informiert war und zehn Minuten Zeit gehabt hatte, sacken zu lassen, was passiert war. Und da warf sie mir das einfach so an den Kopf? Echt jetzt? »Ich weiß.«

»Du weißt es schon? Woher?«

»Portia hat das Ganze live getwittert«, erklärte Daphne.

Mom presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und schnaubte. »Warum ist diese Generation bloß so versessen darauf, ihre eigene Idiotie öffentlich zu machen?«

Ich starrte sie nur an.

»Ich muss da raus und Schadensbegrenzung betreiben«, fuhr Mom fort. »Amelia, du solltest mitkommen und dich im Gespräch mit den Wentworths zeigen. Wir müssen von Anfang an deutlich machen, dass dieser Zwischenfall keinen Bruch zwischen unseren Familien herbeiführen wird.«

Unter keinen Umständen würde ich da rausgehen. In meinem Kopf herrschte jetzt schon ein einziges Chaos. All diese Leute würden mich anstarren, taxieren, sich fragen, was ich getan hatte, um Griffin in die Flucht zu jagen, und sich dann auf meine Kosten die Mäuler zerreißen.

War das meiner Mutter denn nicht klar? Ich fühlte mich sowieso schon unwohl unter vielen Leuten, erst recht in Stresssituationen.

»Nein.«

»Wie bitte?« Mom verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist wichtig. Wir müssen die Wogen glätten, und zwar möglichst bald.«

»Meinen Sie nicht, es wäre vielleicht besser, wenn Amelia für eine Weile von der Bildfläche verschwindet?«, fragte Daphne in dem Tonfall, den sie meiner Mutter vorbehielt. »Niemand erwartet in einer solchen Situation von einer Braut, einfach so zum Alltag überzugehen.«