Reiterhof Erlengrund 1: Pferdemädchen Mia - Dagmar Hoßfeld - E-Book

Reiterhof Erlengrund 1: Pferdemädchen Mia E-Book

Dagmar Hoßfeld

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Beschreibung

Der silbergraue Lusitano Tam ist das schönste und intelligenteste Pferd auf dem Reiterhof Erlengrund. Mia reitet und versorgt ihn mit Hingabe und vergisst dabei oft, dass das Pferd gar nicht ihr gehört. Als Tams Besitzer schließlich wegzieht und Tam mitnimmt, bricht für sie eine Welt zusammen. Aber sie wäre nicht Mia, wenn sie nicht bereits einen Plan hätte…

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Außerdem von Dagmar Hoßfeld im Carlsen Verlag lieferbar:Carlotta – Internat auf Probe Carlotta – Internat und plötzlich Freundinnen Carlotta – Film ab im Internat! Conni & Co – Conni und der Neue Conni & Co – Conni und die Austauschschülerin Conni & Co – Conni and the Exchange Student Conni & Co – Conni, Anna und das wilde Schulfest Conni & Co – Conni, Billi und die Mädchenbande Conni & Co – Conni, Mandy und das große Wiedersehen Conni & Co – Conni, Phillip und das Supermädchen Laura will zum Ballett Laura und ihr erster Auftritt Laura und die Primaballerina Laura tanzt mit einem Jungen Laura und der neue Ballettlehrer Laura und das Weihnachtsballett Beste Freundinnen wie wir Reiterhof Erlengrund – Wiedersehen mit Tam Reiterhof Erlengrund – Mit Tam ins Turnier Reiterhof Erlengrund – Das Fohlen Filina Carlsen-Newsletter Tolle neue Lesetipps kostenlos per E-Mail!www.carlsen.de Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. Veröffentlicht im Carlsen Verlag 2013 Erstmals erschienen im Schneider Buch Verlag, 1999 Copyright © 2013 Carlsen Verlag Umschlagbild: shutterstock.com / © mariait (Pferd); iStockphoto.com: © Helga Jaunegg (Ranke) / © Rubberball (Mädchen) Umschlaggestaltung: formlabor Corporate Design Taschenbuch: bell étage Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-646-92477-0 Alle Bücher im Internet unterwww.carlsen.de

Der Abschied

Die beiden Mädchen lagen im Gras bei dem kleinen Teich, der zu Erlengrund gehörte, und blinzelten in die Sonne. »Was machst du eigentlich in den Ferien?«, fragte Kathrin ihre Freundin.

Mia drehte sich auf den Bauch und seufzte. »Ich fahre mit meiner Mutter und meiner Schwester nach Timmendorfer Strand. Drei lange Wochen. Nur Strand, Sand und Wasser und meine liebe Mutter und meine ätzende Schwester, die sich von morgens bis abends wegen irgendwelcher Kleinigkeiten in den Haaren liegen werden.«

»Puh, hört sich anstrengend an«, erwiderte Kathrin. »Gibt’s da wenigstens Pferde?«

»Keine Ahnung. Wohl nicht. Vielleicht ein paar arme Ponys, auf denen dicke, laute Touristenkinder für ein oder zwei Euro ein paar Runden im Kreis reiten dürfen.« Mia ächzte noch einmal und setzte sich auf. »Ist wahrscheinlich auch egal. Morgen gibt es Zeugnisse, und wenn mein Vater die Bescherung sieht, ist es sowieso vorbei mit dem Reiten. Dann bekomme ich Nachhilfe bis an mein Lebensende!« Sie warf ihr langes dunkelblondes Haar zurück.

»Ach, du Ärmste!«, rief Kathrin. »He, ein bisschen Ablenkung gefällig? Lass uns die beiden Norweger in den Obstgarten bringen! Wenn uns keiner sieht, können wir noch ’ne Runde reiten!«

Die Mädchen sprangen auf und klopften sich die Grashalme von den Sweatshirts. Nebeneinander schlenderten sie zurück zur Anlage des Reiterhofes Erlengrund.

Der große Hof mit dem wunderschönen alten Fachwerkhaus, das unter Denkmalschutz stand, war besonders für Mia ihr zweites Zuhause geworden. Hier kannte sie alles: den großen Stall mit Sattelkammer und Geschirrkammer, die Koppeln und Wiesen mit Paddocks und dem Stutenlaufstall, den kleinen Seerosenteich mit Schilf und Entengrütze, die Pferdeschwemme hinter der Scheune. Dass man mit dem Fahrrad an heißen Sommertagen nur zwanzig Minuten bis zum Strand der Ostsee brauchte, schätzten die Reitermädchen ganz besonders.

Eigentlich war heute Ruhetag im Stall. Nur einige wenige Privatreiter verschafften ihren Pferden ein bisschen Bewegung. Und natürlich trudelten nach und nach ein paar Kinder ein, die jede freie Minute im Stall verbrachten, um sich ausgiebig um ihre Lieblingspferde zu kümmern.

Mia und Kathrin gehörten schon zu den »alten Hasen«. Seit sie denken konnten, waren die beiden Freundinnen auf dem Hof Erlengrund zu Hause.

Langsam gingen sie durch den luftigen, sonnendurchfluteten Stall und genossen die gemütliche Atmosphäre und den ganz besonderen Geruch nach Heu und Stroh und warmen Pferdekörpern.

»He, Tam, mein alter Zausel!« Mia strich ihrem Lieblingspferd zärtlich über die weichen Nüstern. Der großrahmige Apfelschimmelwallach erwiderte die Zärtlichkeit mit einem dunklen Prusten und wandte sich gleich wieder seiner Heuraufe zu.

Seit Mia Reitstunden nahm, war Tam ihr absoluter Liebling. Ihre ersten unbeholfenen Reitversuche hatte sie auf dem schönen Lusitano gemacht und nie hatte der Wallach die Geduld mit ihr verloren.

Mia liebte ihn über alles. Jede freie Stunde verbrachte sie im Stall, um Tam zu putzen und zu pflegen. Die wöchentlichen Reitstunden waren für sie eigentlich gar nicht so wichtig. Natürlich machte es ihr Spaß, mit den anderen Reitschülern den Umgang mit Pferden von Grund auf zu lernen, aber so ehrgeizig wie die anderen war sie nicht.

Mia hatte kein großes Interesse daran, Tam zu dressieren und hart zu trainieren, um womöglich an Turnieren teilzunehmen. Für sie war das Wohlbefinden des Schimmels das Allerwichtigste.

Wenn es Tam nur gut ging, dann war Mia glücklich. Aber natürlich wurde Tam als Schulpferd auch von anderen Reitschülern geritten. Und das war oft schlimm für Mia. Wenn sie mit ansehen musste, wie andere Kinder oder auch erwachsene Reiter mit ihrem Liebling umgingen, war sie verzweifelt. Manchmal hätte sie am liebsten laut aufgeschrien – aber Tam gehörte nun einmal nicht ihr.

Das Einzige, was Mia dann tun konnte, war Tam ganz besonders zu verwöhnen und zu umsorgen, ihn zu trösten, wann immer sie konnte.

Zu Mias großem Glück war der Besitzer des Schimmels ein freundlicher und tierliebender Mann. Mia mochte ihn, und auch Jörg Lauer, Tams Besitzer, hatte das junge Mädchen ins Herz geschlossen. Er wusste, dass sich Mia in seiner Abwesenheit immer besonders gut um seinen Tam kümmerte.

Jörg Lauer legte großen Wert darauf, dass Tam sanft geritten wurde. Wenn er selbst die Zeit zum Reiten fand, benutzte er für den Schimmel ein gebissloses Hackamore-Kopfstück, um das weiche, sehr empfindliche Pferdemaul zu schonen.

Mia war begeistert von dieser Reitweise. Sie hatte alle Bücher von Linda Tellington-Jones und ihrem TT-Team, dem Tellington Touch Team, gelesen. In diesen Büchern wurde ein ganz besonders sanfter und pferdefreundlicher Umgang mit den sensiblen Tieren beschrieben und empfohlen. Befreit von allem Ballast wie Ausbindern, Trensen und Hilfszügeln wurden diese Pferde oft nur mit einem Halsring geritten und lediglich von der Stimme und dem Gewicht des Reiters geleitet. Mia fand das wunderbar.

Am liebsten ritt sie im Gelände und ließ Tam das Tempo und die Richtung bestimmen. Aber im »normalen« Reitunterricht ging das natürlich nicht.

Warum eigentlich nicht?, fragte sich Mia und kraulte Tam hinter den Ohren. Sie flüsterte dem geliebten Schimmel ein paar zärtliche Worte zu und angelte zwei Zuckerstücke aus ihrer Reithose. Die süßen Würfel waren zwar schon etwas unansehnlich und leicht angestaubt, aber Tam zerbiss sie genüsslich mit einem hörbaren Knirschen und rieb sanft den schmalen Kopf an Mias Schulter.

»Ach Tam«, sagte Mia leise. »Wenn du doch mir gehörtest! Bei mir hättest du es gut. Ich würde ganz bestimmt immer für dich sorgen!«

»Hallo, Mia! Aufwachen!«, rief Kathrin und riss ihre beste Freundin aus ihren Träumen. »Nun mach dich mal los von deinem Lieblingsross! Wir wollen doch noch ein bisschen reiten, oder?«

Mia schrak hoch. Sie war so in ihre Zwiesprache mit Tam vertieft gewesen, dass sie ihre Freundin vergessen hatte. Schnell steckte sie dem Schimmel noch ein paar Pellets zu und gab ihm einen Kuss auf die weiche Nase. »Bis gleich, mein Dicker«, flüsterte sie ihm zu. »Ich hab nachher noch eine Menge Zeit für dich.«

Die beiden Mädchen verließen den Stall und gingen zur Reithalle. Kurz betraten sie die kleine Reiterklause, von der aus man durch Sprossenfenster den Reitbetrieb in der Halle beobachten konnte. Nur eine kleine schwarze Stute wurde von ihrer Besitzerin in dem hellen Rechteck longiert.

»Wir bringen jetzt die Norweger in den Obstgarten. Herr Buhmann weiß Bescheid!«, rief Kathrin dem Mann hinter dem Tresen zu.

Hanno, der Pächter der Reiterklause, blickte nur kurz von seinen Büchern auf und nickte gleichgültig. »Alles klar. Aber macht das Gatter ordentlich zu – ich hab keine Lust, die Bananenfresser nachher wieder irgendwo einzufangen!«

Mia und Kathrin sahen sich nur an und verließen den Raum.

»Bananenfresser – wenn ich das schon höre!«, sagte Mia empört. »Warum muss ausgerechnet so ein Pferdehasser wie Hanno eine Gastwirtschaft auf einem Reiterhof übernehmen?«

»Ach, komm, nun flipp nicht gleich aus. Wir befreien die Bananenmonster jetzt aus ihrer engen Gefangenschaft!« Kathrin kicherte. »Und nachher legen wir dem lieben Hanno ein paar besonders frische Pferdeäpfel vor die Tür.«

»Das ist genau das Richtige. Gute Idee!«, brummte Mia. »Aber gemein ist es trotzdem von ihm, die Norweger immer zu beschimpfen. Nur weil die beiden ab und zu gern mal ein Stück Banane essen. Warum sollten sie nicht?«

Die Freundinnen nahmen im Vorbeigehen zwei leichte Halfter von der Wand.

Junker und Jänner, die beiden Norwegerwallache, teilten sich eine große Box, weil sie unzertrennlich waren. Ihr Besitzer, Herr Buhmann, ein älterer Mann, fuhr mit den beiden Fjordpferden Gespann – meistens nur am Wochenende zur Entspannung an der frischen Luft, aber manchmal auch auf kleinen Turnieren. Eine ganze Zahl von bunten Sieges- und Platziertenschleifen an der breiten Boxentür zeugten von seinen Erfolgen mit Junker und Jänner.

Kaum hatten Mia und Kathrin die Boxentür geöffnet, drängten sich die Norweger ihnen auch schon aufgeregt und neugierig entgegen.

»He, ihr Frechdachse!« Mia lachte. »Bananen haben wir heute nicht.«

Geschickt streiften die Mädchen die Nylonhalfter über die Pferdeköpfe und führten die Pferde nacheinander aus der Box auf die Stallgasse.

Sie bürsteten noch einmal das kurze falbfarbene Fell und kratzten gewissenhaft die Hufe aus, dann führten sie Junker und Jänner die Stallgasse entlang. Als die beiden merkten, dass die Mädchen sie nach draußen bringen wollten, fingen sie aufgeregt an zu schnauben und drängten zu der großen Stalltür am Ende des Ganges.

Mit einem kräftigen Schwung schob Mia die Tür zur Seite und die Pferde machten einen großen Satz ins Freie. Junker und Jänner sogen die frische Luft durch ihre geweiteten Nüstern und stießen fast gleichzeitig ein schrilles, begeistertes Wiehern aus.

Prompt ertönte aus dem Stall eine ebenso laute Antwort.

Über die halbhohen Boxentüren lugten nun neugierig mehrere andere Pferdegesichter. Fritz, der große Stallkater, blinzelte gähnend von einem Strohballen herunter. Das war sein Lieblingsplatz.

Mia und Kathrin fassten die Halfter ein wenig fester und führten die Pferde am Reitplatz vorbei auf den kleinen, dicht bewachsenen Pfad, der direkt zum Obstgarten führte.

Der alte Obstgarten gehörte zum Gelände des Reiterhofes Erlengrund und diente den beiden Norwegern als Weideplatz.

Frisches Gras gab es dort genug und das Fallobst war ein zusätzlicher Leckerbissen.

Mia öffnete das Holzgatter und sofort wollten Junker und Jänner losstürmen, um sich in ihrem Revier auszutoben. Die Mädchen ließen die Halfter jedoch noch nicht los. Mia schloss das Gatter hinter ihnen und lachte. »Jetzt wird es lustig, meine Lieben!«, rief sie übermütig. Behände schwangen sich die beiden Freundinnen auf die bloßen Pferderücken. Junker und Jänner witterten Freiheit und trabten los. Ohne Sattel und Zaumzeug versuchten Mia und Kathrin kichernd das Gleichgewicht zu halten.

Natürlich trugen die Kleinpferde die klassische Norwegerfrisur – eine sorgfältig gestutzte Stehmähne. Auch hier gab es keinen Halt.

Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. Die beiden Pferde trabten schneller und schneller durch die immer dichter stehenden Obstbäume und versuchten die ungewohnte und schwankende Last auf dem Rücken loszuwerden.

Mia sah den tief hängenden Ast zu spät. Der Zweig peitschte ihr ins Gesicht und verfing sich dann in ihrem weiten Sweatshirt. Alles ging so schnell, dass Mia sich nicht mehr festhalten konnte. Sie wurde von dem starken Ast von Junkers Rücken gezogen und landete unsanft auf dem harten Boden unter den Apfelbäumen.

Kathrin, die auf Jänner vorausgeritten war, hatte davon nichts mitbekommen. Erst als sie Mias gequälten Aufschrei hörte und sich erschrocken umdrehte, sah sie, dass Junker reiterlos hinter ihr hertrabte. Sofort ließ sie sich von Jänners Rücken gleiten und lief zurück.

Mia kauerte im Gras und umklammerte ihr linkes Handgelenk. »Verdammt, ich glaube, ich hab mir den Arm gebrochen«, stöhnte sie mit tränenerstickter Stimme.

Kathrin erschrak. Ein breiter roter Striemen lief quer über Mias Gesicht und das linke Handgelenk stand seltsam verrenkt ab.

»Ach, alles halb so schlimm!«, sagte Kathrin schnell und schluckte. »Wirst sehen, vielleicht ist es nur verstaucht. Auf jeden Fall musst du sofort zum Arzt.«

Mia rappelte sich mühsam auf und hielt ihr Handgelenk krampfhaft umklammert.

»Hast du starke Schmerzen?«, fragte Kathrin besorgt. »Kannst du gehen oder soll ich lieber schnell Hilfe holen?«

»Ach, es geht schon. Komischerweise tut es gar nicht so weh«, erwiderte Mia. »Nur hinsehen darf ich nicht. Ich glaube, dann wird mir schlecht.«

Kathrin stützte ihre Freundin, so gut es ging. Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg zum Hof.

Junker und Jänner waren von dem Geschehen gänzlich unbeeindruckt, friedlich grasten sie Seite an Seite unter den Obstbäumen.

»Wir müssen sagen, dass ich gestolpert bin«, ächzte Mia und biss vor Schmerzen die Zähne zusammen. »Sag bloß niemandem, dass wir heimlich geritten sind. Noch dazu ohne Sattel. Das würde einen Mordsärger geben!«

»Na klar. Du bist einfach auf der Obstwiese über eine Baumwurzel gestolpert. Meine Güte, hast du große Schmerzen?« Kathrin war inzwischen völlig aufgelöst. Sie hatte Angst um Mia. Diese Wunde im Gesicht sah schlimm aus.

»Es geht schon.« Mia war sehr blass. »Du, Kathrin. Hauptsache, wir sind uns einig und halten dicht!« Die beiden Mädchen waren an der schmalen Eingangstür zur Reiterklause angelangt.

»Geh du rein und erzähl, was passiert ist«, sagte Mia. »Ich muss mich mal eben hinsetzen. Ich glaube, mir wird übel!«

Kathrin setzte Mia vorsichtig an der untersten Stufe zur Reiterklause ab und sprang mit einem Satz hinauf.

Im Reiterstübchen saßen nur Hanno und die Pferdebesitzerin, die vorher die kleine Rappstute in der Halle longiert hatte. Beide sahen auf, als Kathrin die Tür aufriss und aufgeregt zu stottern begann.

»Hilfe, schnell! Mia … sie sitzt draußen vor der Tür. Wir müssen einen Arzt holen oder einen Krankenwagen! Schnell! O Mann, ist mir schlecht!« Kathrin setzte sich auf einen Stuhl und starrte Hanno an.

Hanno begriff überhaupt nichts, aber die junge Frau sprang sofort auf und stürzte zur Tür. Draußen saß Mia immer noch zusammengesunken auf der Treppe und weinte leise vor sich hin.

»Zeig mir mal deinen Arm, Mia!«, sagte die Frau ruhig und sah sich das Handgelenk an. »Du, ich glaube, das Gelenk ist wirklich gebrochen. Ich bin mit dem Wagen da. Komm, ich fahr dich ins Krankenhaus!«

»Ins Krankenhaus?« Mia war entsetzt. »Kathrin soll aber mitfahren!«, jammerte sie dann. »Und jemand muss meine Eltern anrufen!«

Kathrin hatte sich inzwischen ein bisschen beruhigt und stand hinter Mia. »Klar komme ich mit. Und deine Eltern ruf ich vom Krankenhaus an. Los, komm jetzt!«

Mia stand unsicher auf und ging mit Kathrin und der hilfsbereiten jungen Frau zu deren Auto. Vorsichtig ließ sie sich auf den Beifahrersitz gleiten und hielt dabei das verletzte Handgelenk umfasst. Die Frau half ihr beim Anschnallen und wandte sich um.

»Du, schnall dich bitte auch an, Kathrin! Ein Unfallopfer reicht mir. Übrigens, ich heiße Doris Seidel. So, dann wollen wir mal!« Sie startete den Wagen und gab Gas.

Die Fahrt zur Klinik der Stadt dauerte wegen des dichten Berufsverkehrs fast eine halbe Stunde. Immer wieder warf Doris verstohlen einen Seitenblick auf Mia, die blass und reglos auf ihrem Platz saß.

»Wird schon wieder, Mia!«, sagte sie aufmunternd. »Als Kind hatte ich mal ein Bein gebrochen. Drei Wochen schulfrei, das war gar nicht so schlecht.«

»Mist!«, platzte Kathrin auf der Rückbank heraus. »Morgen fangen die großen Ferien an!«

»Na, das ist dann wohl doppeltes Pech!« Geschickt lenkte Doris Seidel ihren Wagen auf den großen Parkplatz der Universitätsklinik. »So, Mädchen, da wären wir. Auf in den Kampf!« Als sie Mia beim Aussteigen half, schrie das Mädchen leise auf. »He, das tut ganz gemein weh!«

»Arme Mia. Komm, wir sind schon da. Gleich hast du’s geschafft!« Kathrin stützte ihre Freundin und betrat mit ihr das Krankenhaus. Doris erkundigte sich an der Anmeldung, auf welche Station sie mussten.

»Hier, Unfallchirurgie, Notaufnahme. Dritter Stock!« Doris und die beiden Freundinnen betraten den Fahrstuhl und fuhren schweigend hinauf. Auf der Station wurden sie sogleich von einer gestresst blickenden Krankenschwester in Empfang genommen.

»Na, was haben wir denn hier? Aha, das linke Handgelenk! So so, dann setz dich hier mal hin, bitte. Sind Sie die Mutter?«, wandte sie sich an Doris Seidel.

»Nein, ich hab die Mädchen nur hergebracht«, erwiderte Doris. »Die Eltern sind noch nicht verständigt. Ich werd mich aber gleich darum kümmern.«

»Na fein«, sagte die Oberschwester. »Wir müssen ohnehin noch einen Fragebogen ausfüllen und den Arm röntgen lassen. Wenn Sie nicht zur Familie gehören, müssen Sie unten warten. Das Gleiche gilt für dich.« Sie sah Kathrin an.

Kathrin zuckte zusammen.

»Kann ich nicht bei Mia bleiben?«, fragte Kathrin.

Die Schwester schüttelte den Kopf so heftig, dass das gestärkte Häubchen wackelte. »Fahr am besten nach Hause, du kannst hier jetzt sowieso nicht helfen«, sagte sie bestimmt und deutete energisch auf den Fahrstuhl.

»Komm mit, Kathrin.« Doris fasste Kathrin am Arm. »Wir können jetzt wirklich nichts machen. Die Ärzte und Schwestern werden sich schon um Mia kümmern.«

Als Doris und Kathrin im Aufzug verschwanden und noch einmal winkten, bevor die Tür sich schloss, wurde Mia ganz elend zu Mute. Sie fühlte sich sehr klein und hilflos. Auch die Schmerzen wurden immer schlimmer. Mia wünschte sich, dass ihre Mutter bei ihr wäre. Was würden die hier mit ihr machen? Und was würde der Vater sagen, wenn er von der Sache erfuhr? Mia mochte gar nicht daran denken …

Ihre Armbanduhr musste von dem verletzten Handgelenk abgeschnitten werden, weil der Unterarm inzwischen stark geschwollen war. Nachdem die Bruchstelle geröntgt worden war, wurde Mia von zwei Schwestern in einen kleineren Operationssaal geführt.

Mia hatte schreckliche Angst.

Ein älterer Arzt trat auf sie zu und lächelte beruhigend. »Hallo, ich bin Doktor Berner. Na, da hast du aber Pech gehabt! Kannst du die Schmerzen noch ein wenig aushalten?«

Mia nickte.

»Gut, sehr tapfer«, fuhr der Arzt fort. »Wir können nämlich leider noch nicht anfangen. Uns liegt die Einverständniserklärung deiner Eltern noch nicht vor, aber wie ich höre, ist dein Vater schon auf dem Weg hierher.«

Was weiter mit ihr geschah, nahm Mia nur noch undeutlich wahr. Sie sah ihren Vater hinter einer Glastür mit besorgtem Gesicht mit Dr. Berner sprechen. Dann spürte sie den Einstich einer Nadel in ihrem Arm. Sie dachte ganz fest an Tam und schloss die Augen.

Als sie wieder erwachte, lag sie noch auf dem Operationstisch. Eine junge Schwester wischte ihr mit einem feuchten Tuch die Finger der linken Hand ab und lächelte ihr aufmunternd zu. Die Finger waren das Einzige, was Mia noch von ihrer Hand sehen konnte – der linke Arm war bis zum Ellbogen eingegipst.

»So, Mia«, sagte Dr. Berner. »Dann versuch mal ganz langsam aufzustehen. Dein Vater wartet draußen auf dich. Morgen sehen wir uns wieder. Ich muss den Sitz des Verbands kontrollieren. Aber die Einzelheiten hab ich schon mit deinem Vater besprochen. Also, dann alles Gute, Mia. Bis morgen. Ich habe deinem Vater auch ein paar Schmerztabletten für dich mitgegeben.«

Die Heimfahrt verlief ziemlich schweigsam. Mia war immer noch etwas benommen und wagte ihren Vater nicht anzusehen. Sie wusste ja, dass sie sich nicht richtig verhalten hatte.

Als sie endlich zu Hause ankamen, stand die Mutter schon vor der Haustür. Schnell kam sie auf Mia zu.

»Ach, Mami!«, sagte Mia leise und brach in Tränen aus.

Die Mutter nahm sie vorsichtig in den Arm. »Mein armes Mäuschen. Hast du große Schmerzen? Ich habe dir dein Bett schon zurechtgemacht. Am besten legst du dich gleich hin und ruhst dich aus. Komm!«

Dankbar ging Mia mit der Mutter hinauf in ihr Zimmer und ließ sich beim Ausziehen helfen. Als sie sich ins Bett legte und auf die vertrauten Pferdeposter an der Wand sah, wurde sie etwas ruhiger. Die Mutter strich ihr über die Stirn und gab ihr eine Schmerztablette und ein Glas Wasser.

»Ruh dich aus und versuch ein wenig zu schlafen, Mialein. Wenn du etwas brauchst, ruf mich!«