Religion und Humor im Leben und Werk Franz Kafkas - Felix Weltsch - E-Book

Religion und Humor im Leben und Werk Franz Kafkas E-Book

Felix Weltsch

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Beschreibung

Felix Weltsch schrieb eine kleine eindrucksvolle Studie über seinen lange verstorbenen Freund Franz Kafka nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie erschien 1957 in Berlin unter dem Titel Religion und Humor im Leben und Werk Franz Kafkas. Er untersuchte nicht zuletzt diese Aphorismen, die den Philosophen (Weltsch) faszinierten. Er sah, dass diese Aphorismen keine in sich schlüssige Weltsicht ergeben, jeder Gedanke steht für sich, einige ergänzen sich, andere erhellen sich. Weltsch: Es ist nicht zu leugnen, dass sich bei solcher systematischen Registrierung Widersprüche ergeben. Können alle diese Wege nebeneinander bestehen? Oder lassen sie sich so lange interpretieren, bis sie schließlich einen eindeutigen Erlösungsweg ergeben? Das wäre wohl nicht das Richtige. Richtig ist vielmehr, dass eben diese Unklarheiten zur religiösen Position Kafkas gehören. Nie wird die Transzendenz selber angezweifelt. Hans Dieter Zimmermann

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Felix Weltsch

Religion und Humor

im Leben und Werk Franz Kafkas

onomato

Impressum

© F.A. HerbigVerlagsbuchhandlung, München

Lizenzausgabe der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung

Umschlagentwurf und Satz: Hanna Koch

Druck: Alinea Digitaldruck GmbH

Printed in Germany

ISBN 978-3-944891-19-4

Der Mensch

Lebensabriß

Als Franz Kafka starb, war er fast unbekannt; auch in seiner Heimatstadt wußte man nicht viel von ihm. Heute kennt ihn die ganze Welt, gilt er als einer der führenden Repräsentanten unserer Zeit. Die wichtigsten geistigen Strömungen führen ihn als Kronzeugen an, sein Werk beeinflußt das Schrifttum vieler Völker. Man begegnet seinem Namen in jedem Buch, das den heutigen Menschen und seine existentielle Lage behandelt und fast jedem kulturphilosophischen oder literarischen Aufsatz. Seine Wirkung ist bis in die Unterhaltungsliteratur gedrungen, in deren Bereich man unheimliche, aber bedeutsame Situationen mit dem Wort „kafkesque“ bezeichnet. Das Schrifttum, das sich um seinen Namen rankt, ist heute bereits unübersehbar, die Summe der Interpretationen seiner Werke ebenso zahlreich wie bunt.

Kafka ist im Jahre 1883 in Prag geboren und hat fast seine ganze Lebenszeit in dieser romantischen Stadt verbracht, in der sich Ost und West, deutsche, tschechische und jüdische Kultur so seltsam mischten. Kafka war Jude; nach dem Besuch mehrerer deutscher Schulen studierte er an der Prager deutschen Universität die Rechtswissenschaften. Als Doktor juris dann Sekretär der öffentlichen Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt, war er – von seinen Vorgesetzten geschätzt, von seinen meist tschechischen Kollegen geliebt – ein guter Beamter. Seine Gutachten befaßten sich zumeist mit den Problemen der Unfallverhütung und zeichneten sich durch Klarheit und Originalität zugleich aus. Zurückgezogen lebend, an allen Fragen des Lebens, der Kunst und der Politik lebhaft interessiert, der Literatur leidenschaftlich ergeben, verkehrte er meist nur mit seinem engeren Freundeskreis, zu dem insbesondere Max Brod, der blinde Dichter Oskar Baum und der Verfasser dieser Zeilen gehörten. Während seiner kurzen Lebenszeit hat Franz Kafka wenig veröffentlicht und auch dies sehr widerstrebend, nur dem Drängen seiner Freunde, insbesondere Max Brods, nachgebend. Was er schrieb, übergab er meist ihm zur Aufbewahrung; bei ihm fanden sich bei Kafkas Tod auch die meisten seiner Manuskripte, die Max Brod mit einer ausführlichen Biographie Franz Kafkas nach und nach herausgegeben hat.

Franz Kafka lebte fast die ganze Zeit im Hause seiner Eltern, das von Kafkas Vater beherrscht wurde, einem starken und robusten Mann, der ein erfolgreicher Geschäftsmann war und für Literatur nicht das geringste Interesse besaß. Die überragende Macht dieses Vaters bildete, wie noch zu zeigen sein wird, ein wesentliches Element in Kafkas Schicksal. Für den Vater war er ein Mensch, der für das praktische Leben untauglich war. Die Mutter liebte den Sohn, zeigte wohl auch ein intuitives Verständnis für seine besondere Veranlagung, war dem starken Vater gegenüber aber viel zu schwach. Kafka hatte drei Schwestern; auch sein Verhältnis zu ihnen wurde von der Macht des Vaters überschattet. Ottla, die jüngste und begabteste der Schwestern, bewies ein besonderes Verständnis für ihren Bruder Franz. Um ihn aus der bedrückenden Atmosphäre des Elternhauses zu retten, mietete sie ihm eines der Zwerghäuschen, die sich auf der Prager Burg im sogenannten Alchimistengäßchen befanden; dort hat Kafka längere Zeit gearbeitet. Später mietete er in einem Prager Adelspalast eine kleine Gartenwohnung, aber gerade dort wurde er in seinem 34. Lebensjahr von einem Blutsturz überrascht. Er war schon früher leidend gewesen, hatte stets über Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit geklagt. Nach seiner bald als Tuberkulose erkannten Erkrankung ließ er sich pensionieren und versuchte, mit seiner Schwester auf dem Lande zu leben. Trotz des Aufenthaltes in mehreren Lungenheilstätten machte die Krankheit weitere Fortschritte. In seinem letzten Lebensjahr lebte er mit Dora Dymant, einem ostjüdischen Mädchen, in Berlin. Aber das endlich erlangte Glück eines eigenen Heimes war nicht von Dauer. Der entbehrungsreiche Inflationswinter 1923 in Berlin bedeutete für seine schwache Gesundheit eine viel zu schwere Belastung. Sein Zustand verschlimmerte sich schnell. Er konnte nur noch in großer Eile in ein kleines Sanatorium in Österreich gebracht werden, wo er, 41 Jahre alt, am 3. Juni 1924 starb.

Die Krankheit

Die letzten sieben Lebensjahre Kafkas waren von dieser Krankheit überschattet. Er hegte wohl selber den Wunsch, gesund zu werden, wenn er auch andererseits die Krankheit als eine Art Erleichterung seiner Lebensprobleme empfand. Einige Briefe, die der Verfasser in dieser Zeit von Kafka erhielt, werfen auf die ambivalente Einstellung Kafkas zu seiner Krankheit und auf die Zeit seines Landlebens manches charakteristische Licht. Oktober 1917 schreibt er:

„Ich fühle die Krankheit in ihrer Anfangserscheinung mehr als Schutzengel denn als Teufel. Aber wahrscheinlich ist gerade die Entwicklung das Teuflische an der Sache und vielleicht erscheint dann im Rückblick das scheinbar Engelhafte als das Schlimmste.

Gestern kam ein Brief von Doktor Mühlstein, … in welchem es unter anderem heißt: Besserung (!) können Sie sicher erwarten, allerdings wird sie nur in längeren Intervallen zu konstatieren sein.

So haben sich allmählich meine Aussichten bei ihm getrübt. Nach der ersten Untersuchung war ich fast ganz gesund, nach der zweiten war es sogar noch besser, später ein leichter Bronchialkatarrh links, noch später, um nichts zu verkleinern und nichts zu vergrößern‘, Tuberkulose rechts und links, die aber vollständig und bald ausheilen wird, und jetzt schließlich kann ich einmal Besserung sicher erwarten. Es ist, als hätte er mir mit seinem großen Rücken den Todesengel, der hinter ihm steht, verdecken wollen, und als rücke er jetzt allmählich beiseite. Mich schrecken (leider?) beide nicht.“

Ein andermal schreibt er mir – offenbar hatte ich ihm etwas vom Willen zur Gesundung geschrieben und gegen seine Theorie über die Ursache seiner Erkrankung polemisiert – :

„Hinsichtlich der Ursachen der Krankheit bin ich nicht eigensinnig, bleibe aber, da ich doch gewissermaßen im Besitze der Originaldokumente bin, bei meiner Meinung und ich höre, wie sogar die zunächst beteiligte Lunge förmlich zustimmend raschelt.

Zur Gesundung ist, da hast Du natürlich recht, vor allem der Gesundungswille nötig, den habe ich; allerdings, soweit sich dies ohne Ziererei sagen läßt, auch den Gegenwillen. Es ist eine besondere, wenn man will, eine verliehene Krankheit, ganz anders als alle, mit denen ich es bisher zu tun hatte. So wie ein glücklicher Liebhaber etwa sagt: Alles Frühere waren nur Täuschungen, jetzt erst liebe ich.“

Das Leben auf dem Lande sagt ihm zu, er empfindet es beruhigend, sieht es gleichsam als Ruhepause an und betrachtet es mit Humor. In der selben Zeit etwa schrieb er: „Ich lese im ganzen nicht viel, das Leben auf dem Dorf ist mir so entsprechend. Hat man erst einmal das Gefühl mit allen seinen Unannehmlichkeiten überwunden, in einem nach neueren Prinzipien eingerichteten Tiergarten zu wohnen, in welchem den Tieren volle Freiheit gegeben ist, dann gibt es kein behaglicheres und vor allem kein freieres Leben als auf dem Dorfe, frei im geistigen Sinne, möglichst wenig bedrückt von Um- und Vorwelt. Ich wollte immer hier leben … “

Und in einem anderen Briefe:

„Mein Leben hier ist ausgezeichnet; ich habe zwar kein sonniges Zimmer, aber einen großartigen Sonnenplatz zum Liegen: eine Anhöhe, oder vielleicht eine kleine Hochebene, in der Mitte eines weiten halbkreisförmigen Kessels, den ich beherrsche. Dort liege ich wie ein König, mit den begrenzenden Höhenzügen in gleicher Höhe etwa. Dabei sieht mich infolge vorteilhafter Anlage der nächsten Umgebung kaum irgend jemand, was bei der komplizierten Zusammenstellung meines Liegestuhles und bei meiner Halbnacktheit sehr angenehm ist. Nur sehr selten steigen am Rande meiner Hochebene einige Köpfe auf und rufen: Gehns vom Bänkel runter! Radikalere Zurufe kann ich wegen des Dialekts nicht verstehen. Vielleicht werde ich noch Dorfnarr werden, der gegenwärtige, den ich heute gesehen habe, lebt eigentlich, wie es scheint, in einem Nachbardorf und ist schon alt.“

Doch weder Landaufenthalt noch Sanatorien brachten eine wesentliche Besserung. In seinem letzten Lebensjahr, das er überwiegend mit Dora Dymant in Berlin verbrachte, fühlte Kafka sich subjektiv wohl, bald aber verschlimmerte sich sein Zustand so, daß er auf Anraten der Ärzte zurückkehren mußte. Da sich zu seiner Lungentuberkulose auch noch eine Kehlkopftuberkulose gesellte, wurde er in eine Wiener Klinik gebracht, und bald erfuhren die Freunde von einem ihn dort behandelnden bekannten Arzt, daß man nur noch mit einer Lebensdauer von etwa drei Monaten rechnen könne.

Dort lag Kafka zuerst mit anderen Schwerkranken und Sterbenden in einem Raum. Man wollte ihm ein besseres Zimmer verschaffen, und auch Franz Werfel intervenierte bei dem behandelnden Professor. Der Professor antwortete nur: „Wer Kafka ist, weiß ich; das ist der Patient auf Nummer Soundso. Aber wer ist Werfel?“ So brachte man denn Kafka in ein kleines Sanatorium in Kierling bei Wien. Dort hat er noch einige Wochen gelebt. Er hatte große Schmerzen, war aber keineswegs hoffnungslos. Dora Dymant und Doktor Robert Klopstock, ein ärztlicher Freund, pflegten ihn mit größter Sorgfalt und Liebe. In ihren Armen ist er gestorben. Kafka wurde am Prager Judenfriedhof unter einem schönen Grabstein beigesetzt. Später hat man in dem gleichen Grab seine Eltern, die ihn beide überlebten, bestattet. So ruht er im Tode noch neben seinem Vater, von dem er schon im Leben nicht losgekommen war.

Die Frauen in Kafkas Leben

Kafka war zweimal mit demselben Mädchen, Felice Bauer, verlobt; das erste Mal 1914, das zweite Mal 1917. Beide Male endete es mit einer Entlobung, die zweite wurde durch seine schwere Krankheit begründet. Trotzdem stellten Ehe und Familie gerade das ideale Leben dar, das Kafka erstrebte. Daß er sich nicht zur Heirat entschließen konnte, hat verschiedene Gründe, die sich in seinen Dichtungen und Briefen nachweisen lassen: seine starke Gebundenheit an den Vater; seine Furcht, durch die Ehe im „Schreiben“ behindert zu werden; seine Angst vor dem „Schmutz“. Diese Ursachen seiner Heiratsfurcht führen mitten in die Problematik seines Lebens und Schaffens und werden im Folgenden noch gesondert zu untersuchen sein.

Im Jahre 1919 kam es zu einer neuen Verlobung mit einem anderen Mädchen, die aber auch nicht bis zur Heirat gedieh. Im Jahre 1920 schließlich trat er zu Milena Jesenská, einer verheirateten tschechischen Schriftstellerin, in Beziehungen, die bis 1922 währten und dadurch ihren Abschluß fanden, daß Milena ihren Mann nicht verlassen wollte. Im Jahre 1923 lernte Kafka dann Dora Dymant kennen, mit der er sein letztes Lebensjahr in Berlin verbrachte. Diese glückliche Zeit aber stand bereits unter der lähmenden Drohung seiner schweren Krankheit und dauerte nur wenige Monate bis zu seinem Tode.

Einen seltsamen Nachtrag zu Kafkas Biographie brachte das Jahr 1948. Nachrichten, die Max Brod damals erhielt, lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß Kafka einen Sohn gehabt hat. Der Knabe ist siebenjährig 1921 in München gestorben. Seine Mutter war keine der oben erwähnten Frauen, aber es liegen auch von ihr Briefe vor. Sie wurde im Jahre 1944 während der Judenverfolgung von einem deutschen Soldaten mit dem Gewehrkolben erschlagen. Von der Existenz des Knaben hat sie Kafka nie Mitteilung gemacht. Man kann sich vorstellen, was die Tatsache, einen Sohn zu haben, für Kafka bedeutet hätte. Es wird über diese Angelegenheit jedoch wohl kaum mehr zutage kommen, als was Max Brod in der dritten Auflage seiner Kafka-Biographie darüber mitteilt. Sie ist so seltsam wie eine der seltsamen Dichtungen Kafkas.

Kafka als Freund

Über Kafkas Verhältnis zu Frauen und über das Schicksal seiner Liebesbeziehungen ist viel geschrieben worden; über Kafka als Freund fast nichts. Und dennoch hat gerade die Freundschaft in seinem Leben eine wesentliche Rolle gespielt. Die Geschichte seiner Freundschaften trägt weit weniger problematischen Charakter als seine erotischen Erlebnisse. Er war ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen kann, und hat selber einen Freund gefunden, wie man ihn sich nur wünschen kann: Max Brod. Die Geschichte dieser Freundschaft müßte noch geschrieben werden, denn sie gehört zu den klassischen Freundschaften in der Geschichte der Literatur.

Was Kafka für Max Brod bedeutete und Max Brod für Kafka, ist aus Kafkas Tagebüchern und seinen Briefen, aus Max Brods Büchern über Kafka – vor allem seiner Kafka-Biographie –, aus Max Brods Roman Zauberreich der Liebe, in dem er Kafka in der Figur des Richard Garta ein Denkmal setzte, und aus den verschiedenen Bemerkungen Brods zu seinen Ausgaben der Werke Kafkas zu ersehen. Brod ist viele Jahre hindurch Tag für Tag Kafkas Gesprächspartner gewesen, der seine Leiden und Freuden getreulich mit ihm teilte. Er liebte ihn, verstand ihn, half ihm und tröstete ihn, er riet ihm, regte ihn an, trieb ihn an. Max Brod wurde ein besonderes Talent zum literarischen Helfer verliehen. Er besitzt nicht nur die großartige Intuition, eine Begabung zu erkennen, er besitzt auch die Liebeskraft, ein Talent zur Entfaltung zu bringen, und besitzt ferner die weltliche Tüchtigkeit, das weltliche Geschick, für die Verbreitung der Werke seiner Schützlinge zu sorgen. Er hat es in vielen Fällen getan, in der Dichtkunst wie in der Musik, seine größte Tat aber war die Betreuung der Werke Kafkas.

Die Freundschaft Max Brods war mit der Fürsorge für Kafkas Schaffen aufs engste verbunden. In ihr kam eine ganz eigenartige Beziehung zum Werk eines Andern zum Ausdruck; er sorgte für dessen geistige Kinder vom Augenblick ihrer Geburt an, sorgte für sie in schwerer Zeit und ließ sie nie aus den Augen.

Brod hatte Kafkas Genie vom ersten Tage an erkannt und hat durch sein ganzes Leben in Wort und Schrift, in Vorträgen und in Verhandlungen mit den Verlegern unermüdlich darauf hingewiesen. Zwei Jahrzehnte lang hat sein Bemühen nur ein spärliches Echo gefunden. Im Verlauf zweier weiterer Jahrzehnte aber erlebte er einen Erfolg, wie er wohl nur ganz wenigen Bestrebungen im Bereich der Literatur zuteil geworden ist, und wie er wohl den bescheidenen Kafka, der seine Schöpfungen ja zum größten Teil für mißlungen hielt, am meisten in Erstaunen gesetzt hätte.

Es war eine seltsame Angewohnheit Kafkas, daß er fast alle Manuskripte Max Brod zur Aufbewahrung übergab, freilich auf dessen Zutun. Kafka hat diesem Drängen Brods gern nachgegeben, da er wohl auch empfand, daß er seine Schriften vor sich selber schützen müsse und sie bei Max Brod am besten aufgehoben seien. Gar manches, was sich noch bei Kafka befand, hat er ja selber vernichtet. Auch seine Tagebücher hat er anderen, z. B. Milena Jesenská, übergeben und so ist zwar nicht alles, aber doch vieles davon erhalten geblieben. Max Brod hob alles auf und trug zusammen, was sich von Kafkas Arbeiten bei anderen befand. Nach Kafkas Tod fand sich in seinem Nachlaß ein Brief an Max Brod, in dem er ihm seine letzte Bitte mitteilt: Alles, was sich an Manuskripten, Tagebüchern und Briefen bei ihm oder anderswo befinde, restlos zu verbrennen. Max Brod hat diesen letzten Willen seines Freundes nicht erfüllt. Er hat im Gegenteil für die Veröffentlichung alles nur Erreichbaren Sorge getragen. Leicht ist es ihm nicht geworden, Kafkas Wunsch zuwider zu handeln. Er hat sich mit diesem sittlichen Problem ernstlich auseinandergesetzt, hat schwer mit sich gerungen und seine Entscheidung im Nachwort zum „Prozeß“ aufs genaueste zu rechtfertigen versucht. Dort teilt er alle Gründe mit, die ihn schließlich zur Erkenntnis führten, daß er trotz dieses Briefes dem wahren Willen Kafkas mit der Veröffentlichung seiner Schriften nicht zuwiderhandele. Und man spürt, daß in dieser Untreue dem Wortlaut des Briefes gegenüber eine tiefere Treue dem Freunde Kafka gegenüber enthalten ist. Vielleicht läßt sich auf diese Tat eine der bekanntesten Dichtungen Kafkas, die Legende Vor dem Gesetz, in einem ganz bestimmten Sinn anwenden: Ein Mann steht, heißt es dort, vor dem Tor zum Gesetz, und obwohl er den Glanz des Gesetzes durch das Tor erblickt, getraut er sich nicht, dort einzutreten, weil ein mächtiger Türhüter ihn daran hindert. So bleibt er sein Leben lang vor dem Tor sitzen, bis er unmittelbar vor dem Tod, als es schon zu spät ist, erfährt, daß eben dies jenes Tor zum Gesetz war, das gerade für ihn allein bestimmt gewesen ist … Max Brod ist das Gegenbild dieses Mannes. Er trat in dieses Tor ein, obwohl es ihm der berufenste Türhüter verwehrte – Kafka selber. Brod hat wohl dennoch gefühlt, daß dieses Tor für ihn bestimmt gewesen ist.

Max Brod begann bald nach Kafkas Tod mit der Herausgabe seiner Werke. Das war keine leichte Arbeit, da die Manuskripte durchaus nicht druckfertig waren, die Romane lediglich Fragmente darstellten, in denen es gestrichene Stellen und Kapitel und andere Probleme mancher Art gab. Noch schwieriger gestaltete sich die Arbeit bei den Notizen und Tagebüchern. Hier lagen Selbstgespräche vor, bei denen Kafka nicht an einen Leser gedacht hatte, und das gilt in weit stärkerem Maße für die Briefe, die aus einer bestimmten Situation an eine bestimmte Person gerichtet waren und in denen mancherlei stand, was sich auf noch lebende Menschen bezog. Hier galt es den schmalen Weg zwischen Gewissenhaftigkeit und Takt zu finden, und das war gerade bei Kafka nicht leicht; denn nichts Kafka Eigentümliches sollte verlorengehen und doch mußte gerade bei ihm auf das besondere Reinlichkeits- und Taktgefühl Rücksicht genommen werden, das ihm in so hohem Maße zu eigen war, und auf die Tatsache jenes Nachlaßbriefes, der gerade in persönlichen Dingen eine ernste Mahnung bedeutete.