Rosa Luxemburg zur Einführung - Ossip K. Flechtheim - E-Book

Rosa Luxemburg zur Einführung E-Book

Ossip K. Flechtheim

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Beschreibung

Leben und Werk Rosa Luxemburgs geben Zeugnis von einem humanen Sozialismus, der die Schöpferkraft und Würde der Massen achtet. Ossip K. Flechtheim skizziert in diesem Band u.a. ihre Ausnahmestellung in der deutschen Sozialdemokratie, ihre Kritik an Lenin und den Bolschewiki, ihren Kampf für den Sieg der Arbeiterbewegung über Kapitalismus, Militarismus und politische Unterdrückung. Er macht verständlich, warum Rosa Luxemburg bis heute ein Vorbild für alle geblieben ist, die eine sozialistische Perspektive jenseits von reformistischer Anpassung und diktatorischer Bevormundung suchen.

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Impressum

Ossip K. Flechtheim: Rosa Luxemburg zur Einführung Als E-Book veröffentlicht im heptagon Verlag, Berlin 2013 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-87-5

Das zugehörige Printbuch ist im Junius-Verlag erschienen: Ossip K. Flechtheim: Rosa Luxemburg zur Einführung. Junius-Verlag. 2. Auflage. Hamburg 1986.

Lebenslauf

Rosa Luxemburg wurde am 5. März 1871 (dem Geburtsjahr Karl Liebknechts) in Zamosc in Russisch-Polen als Tochter eines emanzipierten jüdischen Kaufmanns geboren.1 Bereits in ihren letzten Schuljahren arbeitete sie in einem illegalen revolutionären Zirkel mit und floh – noch nicht achtzehnjährig – über die Grenze. Während ihres Studiums in Zürich, das sie mit einer – nach dem Urteil ihres Lehrers Julius Wolf – »trefflichen Arbeit über die industrielle Entwicklung Polens« abschloß, blieb sie der polnischen Arbeiterbewegung verbunden.

Nach dem Abschluß ihres Studiums lebte sie seit 1896 in Deutschland – vor der Ausweisung geschützt durch die mittels einer Scheinehe mit Gustav Lübeck erworbene deutsche Staatsangehörigkeit. Mit ihrer ganzen Kraft stürzte sie sich alsbald in die Arbeit der deutschen Sozialdemokratie. Auch als theoretische Wortführerin der deutschen Marxisten blieb sie zugleich Internationalistin und Weltbürgerin. Nach dem Ausbruch der ersten russischen Revolution 1905 ging sie illegal nach Warschau, wo sie 1906 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Leo Jogiches verhaftet wurde. Nach Stellung einer Kaution freigekommen, kehrte sie nach Deutschland zurück. Seit 1907 wirkte sie als Dozentin an der zentralen Parteischule der SPD. Aus dieser Arbeit erwuchs die erst nach ihrem Tode veröffentlichte Einführung in die Nationalökonomie sowie ihr theoretisches Hauptwerk Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus (1913).

Für die Humanistin und Kriegsgegnerin, die schon 1900 auf dem Pariser Kongreß der II. Internationale vorhergesagt hatte, der Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung werde »durch eine durch die Weltpolitik herbeigeführte Krisis erfolgen«, und die auf den Kongressen der Internationale 1907 in Stuttgart und 1912 in Basel den Kampf gegen Krieg und Militarismus zu steigern versucht hatte, wirkten der Ausbruch des Weltkrieges und die Kriegspolitik der SPD als furchtbare persönliche Schicksalsschläge. Zusammen mit Karl Liebknecht suchte sie mühselig das kleine Häuflein kompromißloser Kriegsgegner in der SPD zu sammeln und zu organisieren – erst in der Gruppe Internationale, dann im Spartakusbund. Doch schon am 18. Februar 1915 wurde sie zur Abbüßung einer einjährigen Gefängnisstrafe festgesetzt. Am 18. Februar 1916 war sie wieder frei – doch schon am 10. Juli 1916 wurde die »Schutzhaft« über sie verhängt. Erst am 9. November 1918 öffneten sich die Gefängnistore auch für Rosa Luxemburg. Sie verzehrte sich nun im Kampf gegen die neue Ebert-Scheidemann-Regierung für die Weiterführung der Revolution, der auch die Gründung der KPD (Spartakusbund) dienen sollte. Nachdem ein Aufstand, den Rosa abgelehnt hatte, fehlgeschlagen war, wurde sie am 15. Januar 1919 zusammen mit Karl Liebknecht von Regierungstruppen festgenommen und brutal ermordet. Ihre Leiche wurde erst nach Monaten aus dem Landwehrkanal geborgen. Die Mörder wurden freigesprochen – der damalige Hauptmann Pabst lebte noch lange bei bester Gesundheit in der BRD.

1

Zweifel hinsichtlich ihres Geburtsjahres sind von Peter Nettl in seiner monumentalen Biographie: Rosa Luxemburg, Köln/Berlin 1967, S. 62, geklärt worden. Erstaunlicherweise ist Nettl ein Irrtum unterlaufen: er schreibt auf S. 614, Rosa Luxemburg sei am 22. Januar 1916 aus der Schutzhaft entlassen worden. Das korrekte Datum ist aber der 18. Februar – genau ein Jahr nach ihrer Einlieferung.

Die Sozialdemokratie

Um das ambivalente Verhältnis Rosa Luxemburgs zur deutschen Sozialdemokratie besser zu verstehen, muß man sich deren Entwicklung im 20. Jahrhundert vergegenwärtigen, ja darüber hinaus auch die Problematik der modernen deutschen Geschichte andeuten.

Die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts steht im Zeichen einer eigenartigen Tragik. Bei den großen Völkern des Westens war die nationale Frage schon relativ früh in einer Synthese von nationaler Einheit und bürgerlicher Freiheit gelöst worden. In Deutschland wurde die Nation erst spät – zu spät? – mit Hilfe von »Blut und Eisen« geeint. Der aus Bismarcks »Revolution von oben« resultierende typisch deutsche Konstitutionalismus begründete ein Herrschaftssystem, das vor allem auf Kosten der politischen Freiheit, die nur eine Scheinexistenz führte, funktionierte. Auch nach 1871 hatte der imperialistische Kampf gegen die »feindliche« Umwelt – ein Kampf unter autoritärer Führung und im reaktionären Geiste – das Primat. Der Schwäche der freiheitlich-revolutionärdemokratischen Kräfte entsprach die außerordentliche Stärke autoritär-reaktionär-bürokratischer Institutionen, Kräfte und Verhaltensweisen.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein überdauerte der Militär- und Polizeistaat; ihm entsprach eine Obrigkeitsgesellschaft und eine Untertanen-Mentalität. War dieser Staat auch kein totalitärer Staat, so war er doch ein »Überstaat«, der mit seinen Eingriffen ordnend, schützend oder unterdrückend weit in die verschiedenen Lebensbereiche der Gesellschaft hineinreichte. Heinrich Manns Der Untertan wie auch der Hauptmann von Köpenick sagen über diese Seite der deutschen Wirklichkeit mehr aus als alle gelehrten Abhandlungen.

Diesem historisch-sozialen Milieu ist auch die Sozialdemokratie stets verhaftet geblieben, die ja erst nach der schweren Niederlage der achtundvierziger Demokratie, also in einer restaurativen Epoche, entstanden ist.1 Zwar berief sie sich lange Zeit mit Stolz nicht nur auf Lassalle, sondern auch auf Marx und Engels. Sowohl die Einstellung der Mehrheit ihrer Anhänger wie auch die von ihr schon vor 1914 wirklich verfolgte Politik waren jedoch nicht die einer marxistischen Arbeiterpartei.

Der Aufstieg der Arbeiterbewegung fiel in eine Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs, der im neuen Reich besonders zu spüren war.2 So läßt sich eine, wenn auch noch so bescheidene, wirtschaftliche Verbesserung der Lage eines nicht unbeträchtlichen Teils der Arbeiterschaft kaum bestreiten. Vom Beginn der sechziger Jahre bis zur Jahrhundertwende waren, natürlich zum Teil auch als Folge der gewerkschaftlichen Kämpfe, die Reallöhne um nahezu ein Drittel gestiegen; danach waren sie allerdings, infolge des Ansteigens der Lebenshaltungskosten, stabil geblieben. Nicht ohne Wirkung waren auch die Verkürzung des Arbeitstages vom Zwölfstundentag in den siebziger Jahren zum Zehnstundentag 1914, die Leistungen der Sozialversicherung, die Verbesserung des Arbeitsschutzes geblieben. Dem standen allerdings das anhaltende Wohnungselend sowie die zunehmende Differenzierung der Arbeiterklasse in eine Oberschicht mit kleinbürgerlichem Lebenszuschnitt, eine breite Mittelschicht und eine verelendete Unterschicht gegenüber.

Im Kaiserreich sind die Institutionen und Organisationen der Arbeiterbewegung außerordentlich rasch erstarkt. Hierfür nur wenige Zahlen:3

Das Vermögen der Freien Gewerkschaften stieg zwischen 1890 und 1914 von 425.845 Mark auf über 88 Millionen. Die Zahl ihrer Mitglieder wuchs im selben Zeitraum von weniger als 300.000 auf über 2,5 Millionen. Viel stärker vergrößerte sich noch der Kreis der festangestellten Funktionäre: Waren es 1900 bei den Zentralverbänden 269 gewesen, so erreichten sie bei Kriegsausbruch die stattliche Zahl von 2.867. 1900 kamen also auf je 10.000 Mitglieder nur 4 hauptamtliche Funktionäre, 1914 dagegen mindestens 11. Die Gesamteinnahmen des Parteivorstandes stiegen von 232.000 Mark 1891/92 auf 1.358.000 Mark 1910/11, das Vermögen von etwa 172.000 Mark 1890 auf etwa 2.335.000 Mark 1913. Die Parteipresse – 1912 gab es 90 Tageszeitungen! – beschäftigte 267 Redakteure, 89 Geschäftsführer, 413 Angestellte als kaufmännisches und Verwaltungspersonal, 2.646 als technisches Personal und 7.589 Zeitungsausträgerinnen; der Literaturumsatz der Buchhandlung Vorwärts belief sich 1911/12 auf 790.000 Mark. Die Partei hatte 1913/14 9.115 Vertreter in Landgemeinden, 2.753 Stadtverordnete, 320 Mitglieder von Gemeindevorständen und Magistraten. Sie verfügte über 231 Landtagsmandate. Als Kuriosum sei erwähnt, daß sie in Schwarzburg-Rudolstadt die absolute Mehrheit im Parlament erringen konnte (9:7). Im Preußischen Abgeordnetenhaus blieb sie eine verschwindende Minderheit (10 von 443 Mandaten). In den Vertretungs- und Verwaltungskörperschaften der Arbeiterversicherung, in den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten und den kommunalen Arbeitsnachweisen saßen bereits 1910 fast 100.000 Sozialdemokraten. Die Mitgliederzahl der SPD hatte sich in weniger als einem Jahrzehnt verdreifacht (1906: 384.000; 1914: 1.086.000). Ihre Erfolge bei den Reichstagswahlen sind geradezu sensationell: Stimmten 1871 weniger als 3% aller – natürlich nur männlichen! – Wähler für sie, so waren es 1912 34,8%. Die Zahl ihrer Stimmen vervierzigfachte sich von 1871 (124.655) bis 1912 (4.250.399), die ihrer Mandate wuchs in diesen vier Jahrzehnten noch mehr – von 2 auf 110 (von diesen Abgeordneten waren 36 Gewerkschaftsführer).

Wie breit war nun die soziale Basis der sozialistischen Organisationen?4 Vor 1914 war nur eine Minderheit der Arbeitnehmerschaft gewerkschaftlich organisiert, die Arbeitnehmer der staatlichen Betriebe und Verwaltungen sowie die Landarbeiter überhaupt nicht, die Gemeindearbeiter und Frauen nur schwach. Die Organisation der Angestellten war noch wenig fortgeschritten. Das Schwergewicht der Gewerkschaften lag bei den Arbeitern in Industrie, Handwerk, Handel und Verkehr. Von diesen hatten sich 1907 etwa 24% den freien Gewerkschaften angeschlossen. Am stärksten organisiert waren die gelernten Arbeiter in den Betrieben mit 10 bis 1.000 Arbeitern, d. h. also die der kleinen und mittleren Betriebe. Aber auch innerhalb der eigentlichen gewerblichen Arbeiterklasse waren die mehr handwerklich geprägten, klein- und mittelbetrieblich bestimmten Industriezweige am stärksten durchorganisiert. An der Spitze standen die damals überwiegend konservativen Buchdrucker. Schwächer waren die Gewerkschaften in der Großindustrie, am schwächsten in der Schwerindustrie. Im Bergbau waren sie ohne großen praktischen Einfluß, in der großen Eisen- und Stahlindustrie hatten sie überhaupt noch nicht Fuß fassen können.

Vor dem Ersten Weltkrieg war die SPD aber nicht nur die stärkste Partei in der Zweiten Internationale, die Freien Gewerkschaften die größten Gewerkschaften der Welt (der britische Trade Union Congress hatte 1913 2,2 Millionen Mitglieder, die amerikanische Federation of Labor nicht ganz 2 Millionen). Daneben hatte sich die deutsche Arbeiterbewegung in einer ganzen Reihe von Neben- und Hilfsorganisationen organisiert, die wie ein dichtes Netz die SPD umgaben. Hierfür nur einige ganz wenige Beispiele: 1913/14 wurden 49 Gesellschaftsreisen für Arbeiter veranstaltet; es gab 147 Arbeiterbibliotheken; es fanden 769 Volksvorstellungen und 38 Kindervorstellungen statt. Dieses organisatorische Geflecht reichte in der Tat vom Konsum bis zum Bestattungsverein, vom Kegelklub bis zur Parteihochschule.

Der weitgehenden Verstoßung des Proletariats von oben entsprach eine zeitweilige, mehr oder weniger unfreiwillige »secessio plebis« von unten. In der zerspaltenden, partikularistischen deutschen Gesellschaft lebte das Proletariat im 19. Jahrhundert in der Tat in einem Leerraum. Das Verlangen dieser vom wilhelminischen Obrigkeitsstaat und von der noch halbfeudal-militaristischen Gesellschaft nicht akzeptierten deutschen Industriearbeiterschaft nach einer neuen Heimat fand seine Erfüllung in einer eigenen Welt von Organisationen und Institutionen, in der der Genosse von der Wiege bis zum Grabe (oder bis zum Ausschluß!) zu leben vermochte. Hier konnte sich auch im besten Falle ein Gefühl von Würde und Kraft entfalten, das gelegentlich bis zu einem ausgesprochenen Sendungsbewußtsein reichen konnte. Dieses suchte sich in einem stark fatalistisch-religiös gefärbten Vulgärmarxismus zu artikulieren, wie er gegen Ende des Jahrhunderts herrschend wurde. Wie Peter von Oertzen5