Rose - So wild - Monica Murphy - E-Book
SONDERANGEBOT

Rose - So wild E-Book

Monica Murphy

4,5
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Anders als meine beiden Schwestern Violet und Lily stehe ich nie im Mittelpunkt. Jetzt bin ich an der Reihe. Die Zeit ist gekommen, meine Schwestern in den Schatten zu stellen, alles hinter mir zu lassen – und schon laufe ich direkt in die Arme eines geheimnisvollen Fremden. Doch was, wenn Caden mehr ist, als ich wollte? Sicher, bei ihm fühle ich mich begehrenswert und frei, doch da ist noch mehr, das ich nicht ganz einordnen kann – etwas Gefährliches. Vielleicht hat sich unsere „zufällige“ Begegnung doch nicht einfach so ergeben. Vielleicht hat er aus gutem Grund nach mir gesucht. Was immer seine Beweggründe sein mögen – ich kann nicht mehr zurück.

Und vielleicht will ich das auch gar nicht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 471

Bewertungen
4,5 (26 Bewertungen)
19
2
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Man sagt, das jüngste Kind hat es am leichtesten, doch das stimmt nicht. Anders als meine beiden Schwestern Violet und Lily stehe ich nie im Mittelpunkt. Ich schufte mich bei Fleur Cosmetics zu Tode und bekomme dafür keine Anerkennung. Doch ich bin einmal zu oft an meine Grenzen gebracht worden. Jetzt habe ich endlich den Mut gefasst, etwas dagegen zu unternehmen.

Vielleicht spielt dabei das bezaubernde weiß-rosa Diamantcollier eine Rolle, das ich auf der Party in Cannes trage. Kaum berühren diese funkelnden Erbjuwelen meine Haut, wecken sie ein tiefes und schmerzliches Verlangen in mir und ich weiß, dass das brave Mädchen etwas Ungezogenes tun wird.

Zur Autorin

Die New York Times-, USA Today- und Internationale-Bestseller-Autorin Monica Murphy stammt aus Kalifornien. Sie lebt dort im Hügelvorland unterhalb Yosemites, zusammen mit ihrem Ehemann und den drei Kindern. Sie ist ein absoluter Workaholic und liebt ihren Beruf. Wenn sie nicht gerade an ihren Texten arbeitet, liest sie oder verreist mit ihrer Familie.

Lieferbare Titel

Total verliebt

Zweite Chancen

Verletzte Gefühle

Unendliche Liebe

Aus dem Amerikanischen von Pauline Kurbasik

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel Stealing Rose bei Bantam Books.Taschenbucherstausgabe 06/2016Copyright © 2015 by Monica MurphyCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Uta DahnkeUmschlaggestaltung: Zero Werbeagentur GmbH, Münchenunter Verwendung FinePic®, MünchenSatz: Fotosatz Amann, MemmingenISBN 978-3-641-18510-7V001www.heyne.de

»Gestohlene Küsse sind stets die süßesten.«Leigh Hunt

Kapitel 1

Rose

Was machst du, wenn du etwas über deine Familie herausfindest, was du überhaupt nicht wissen willst?

Du tust so, als wäre es nicht existent. Als wäre deine perfekte kleine Familie völlig intakt. Eine Bilderbuchfamilie ohne jegliche Tragödien weit und breit. Wir zumindest wollen diesen Eindruck erwecken. Es gibt Bücher, nicht autorisierte Familienbiografien über meine Großmutter und ihr Vermächtnis, Fleur Cosmetics. Sie handeln von den Bemühungen meines Vaters, meiner Schwestern und mir, dieses Vermächtnis so gut wie möglich weiterzuführen, und in allen diesen Büchern werden wir irgendwie unzulänglich dargestellt. Daddy hat aus der Firma ein florierendes Unternehmen gemacht, aber er überlässt Grandma die Lorbeeren dafür, und sie – die gierige alte Dame – nimmt dankend an.

Ich liebe diese unersättliche alte Lady von ganzem Herzen. Wirklich von ganzem Herzen.

Meine älteste Schwester hat das Unternehmen ziemlich beschissen weitergeführt und gibt es ganz offen zu. Ihre gnadenlose Ehrlichkeit schätze ich an ihr am meisten, obwohl ich ihr Vorgehen und die Aufmerksamkeit, die sie damit auf sich zieht, sonst nicht gutheißen kann. Diese Frau muss immer im Rampenlicht stehen. Und wenn der Scheinwerfer einmal nicht auf sie gerichtet ist, tut sie einfach alles, damit er auf sie gerichtet wird und sie sich wieder in seinem Licht aalen kann.

Dann ist da noch Violet, die mittlere Schwester. Die stille. Die insgeheim stark ist. Mein Gott, ja, wirklich stark. Sie hat so viel durchgemacht. Ihr Leben war von Tragödien bestimmt, und trotzdem ließ sie sich nicht unterkriegen. Nun ist sie mit diesem Kerl, Ryder, glücklich, und das kann ich ihr nicht verdenken. Manchmal ist er so angespannt, dass man es fast mit der Angst zu tun bekommt, aber dann sieht er Violet, und sein Blick wird ganz verträumt … Er ist ihr mit Haut und Haaren verfallen.

Das ist süß. Zu süß. Meine eifersüchtige Seite kann es kaum ertragen.

Ich? Ich bin die Fowler-Schwester, die jeder für normal hält, die mit der kämpferischen Ader. Grandma sagt, ich sei ihr vom Charakter her am ähnlichsten, und ich würde ihr gern glauben, aber ich weiß nicht recht. Will ich wirklich so sein wie sie? Wie überhaupt jemand aus meiner Familie? Seit dieser schlimmsten aller schlimmen Nächte bin ich absolut ernüchtert, was das Image der Fowlers betrifft.

Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll, nach dem, was ich gerade über unsere Mutter herausgefunden habe. Über die Tragödie, über die nie jemand ein Wort verliert. Selbst diese nicht autorisierten, skandaltriefenden Familienbiografien beschönigen den Tod von Victoria Fowler. Ich kann mich kaum noch an meine Mom erinnern, und die wenigen Erinnerungen, die ich habe, sind bestenfalls verschwommen. Ihr Andenken wird aber von meinen Schwestern am Leben gehalten, weil sie sich tatsächlich noch an unsere Mutter erinnern können, vor allem Lily. Der Verlust hat sie besonders hart getroffen und ist dafür verantwortlich, dass sie sich seit ihrem vierzehnten Lebensjahr so haarsträubend benimmt.

Zumindest schieben wir, Lily eingeschlossen, es auf Moms Tod. Ich fände es schön, wenn sie auch nur ein einziges Mal für ihr Tun die volle Verantwortung übernehmen würde, denke aber nicht, dass das jemals geschehen wird.

Hinter dem Ableben unserer Mutter steckt mehr, als ich bislang ahnte. Ich frage mich, wie viel Lily und Violet wissen. Das Thema ist heikel, ich spreche es ihnen gegenüber nie an, wirklich nie. Auch mit Daddy rede ich nicht über Mom. Er hat den Tod unserer Mutter unter den Teppich gekehrt, so was kann er gut. Er hat sich in seine Arbeit gestürzt, statt sich auf seine Töchter zu konzentrieren, obwohl er nicht per se ein schlechter Vater war. Nur manchmal vielleicht ein wenig gleichgültig.

Ja. Das gewiss.

Wir streben nach Perfektion, erreichen sie aber nicht, ganz und gar nicht. Als ich noch klein war, lebte ich beschützt in diesem silbrigen, watteweichen Kokon, in dem mir und denjenigen, die mir wichtig waren, niemand etwas anhaben konnte. Noch nicht einmal der tragische Tod meiner Mutter, den sie selbst herbeigeführt hatte, konnte mich erschüttern. Wie auch, wenn nie jemand darüber sprach?

Aber jetzt möchte ich über sie reden, nachdem ich ihr letztes Tagebuch gelesen habe. Dieses Tagebuch habe ich entdeckt, da ich von Daddy eine Kiste mit ihren alten Sachen bekam. Am Ende hat er die Zimmer und Schränke meiner Mutter doch noch ausgeräumt. Lange Jahre hatte er die Sachen aufbewahrt, aber als seine neue … Freundin auf der Bildfläche erschien, hat er alles, was an Mutter erinnerte, aus seinem Haus verbannt. Für immer.

Beim Anblick des Inhalts dieser Kiste wurde ich entsetzlich nervös, mir wurde richtig übel. Monatelang habe ich gar nicht hineingeschaut. Erst vor einigen Tagen habe ich sie eines Abends geöffnet und fand Moms Tagebuch mit Einträgen bis zu dem Tag, an dem sie sich das Leben genommen hat.

Eine faszinierende Lektüre. Und eine traurige.

Unfassbar traurig.

Heute Abend könnte einiges ans Licht kommen. Ausgewählte Momente unserer Familiengeschichte werden auf großer Leinwand gezeigt. Und zwar unter Aufsicht meiner Großmutter, was bedeutet …

Alles wird beschönigt, alles wird perfekt glänzen. Ist das nicht die Wortkombination, die Violet für ihre Kollektion verwendete, als es um die Verpackung ging? Perfekter Glanz, das könnte das Motto der Familie Fowler sein.

Ich sehe, wie meine Großmutter zu mir herüberkommt, ein zärtliches Lächeln auf dem Gesicht, die Augen voller Erinnerungen.

»Ich möchte, dass du die heute Abend umlegst.« Grandma Dahlia hält mir eine eckige Schatulle entgegen. Ihre zarten Hände zittern ein klein wenig, und das lässt ihre Diamantringe funkeln. »Die hat seit Ewigkeiten niemand mehr getragen.«

Wir befinden uns in meinem Hotelzimmer. Meine Großmutter hat vor einigen Minuten an die Tür geklopft, als ich mich gerade fertig machte. Eigentlich wollten wir uns später alle treffen, aber jetzt steht sie schon hier, strahlend in ihrem tollen schwarzen Spitzenkleid. Ein süßes Lächeln umspielt ihren Mund, während sie mich eingehend mustert.

Ich habe keine Ahnung, warum sie das macht, und ich mag das Unbehagen nicht, das mich überkommt, als ich die Schatulle entgegennehme und über den schwarzen Samt streiche. Der Stoff ist alt, schwer, und die Farbe ist leicht verblichen. Langsam öffne ich die Schatulle. Vorfreude und Angst durchströmen mich, und ich atme tief aus, als ich den Inhalt erblicke.

Eine Kette. Aber nicht irgendeine Kette – die Steine sind entweder brillantweiß oder zartrosa, und jeder einzelne Stein ist vollendet geschliffen und harmoniert mit den anderen. »Sie ist wunderschön«, flüstere ich, von der Größe der Steine überrascht. Diese Kette habe ich nie zuvor gesehen, und ich dachte, meine Schwestern und ich hätten mit allen Schmuckstücken der Familie entweder schon als Kinder gespielt oder sie bereits getragen. »Was sind das für rosafarbene Steine?«, frage ich und fahre mit den Fingern fast schon ehrfürchtig über das Collier.

»Na, Diamanten natürlich, sehr exquisite Steine. Dein Großvater hat mir dieses Collier vor langer, langer Zeit geschenkt.« Grandma klingt sowohl traurig als auch stolz. »Zur Geburt deiner Tante Poppy.« Ein wehmütiger Seufzer entfährt ihr, und sie wendet den Blick ab. Ihre Mundwinkel senken sich, und in ihren Augen sammeln sich unvergossene Tränen. »Du erinnerst mich so sehr an sie.«

»Wirklich?«, frage ich sanft, denn ich möchte sie nicht verletzen. Ich habe meine Tante Poppy leider nie kennengelernt. Sie ist noch vor meiner Geburt bei einem furchtbaren Autounfall gestorben. Ich habe Bilder von ihr gesehen, und eine gewisse Ähnlichkeit ist vorhanden, aber ich hätte nie gedacht, dass ich ihr besonders gleiche.

Eine weitere Tragödie. Ein weiterer Todesfall. Noch ein Familienmitglied, das wir verloren haben und kaum erwähnen. Es ist frustrierend, wie leicht wir vergessen, was denjenigen zustieß, die von uns gegangen sind. Werden mich auch alle vergessen, wenn ich weg bin?

Ich will niemanden vergessen. Ich will mich an meine Mutter erinnern. Und an meine Tante Poppy. Ich will mehr erfahren. Aber der heutige Abend ist etwas Besonderes, deswegen behalte ich meine Gedanken für mich. Dieser Abend gehört meiner Großmutter, der Familie und Fleur.

Ich muss das einfach akzeptieren.

»O ja.« Grandma schaut mich wieder an, die Tränen sind verschwunden, sie hat wieder die gewohnt entschlossene Miene aufgesetzt. Zeichen der Schwäche zeigt sie kaum, das mag ich sehr an ihr. Sie hat einen enorm großen Einfluss auf uns alle, und gerade kann ich ihre Stärke gut gebrauchen. »Ihr seht euch ein wenig ähnlich, aber vor allem ist es deine Art. So, wie du sprichst, dich benimmst, wie du denkst. Genau wie meine Poppy. Sie war so dynamisch, so lebendig, und sie ließ sich von nichts abbringen, wenn sie an etwas glaubte. Genau wie du.« Ihre faltigen Hände umschließen mein Gesicht, die Finger liegen kühl auf meiner Haut. Ich lächele sie an, aber das fühlt sich falsch an, deswegen werde ich ernst. Ich halte die Samtschatulle, meine Finger berühren die Steine. »Trage die Kette heute Abend, und denke dabei an Poppy. Und an Fleur.«

»Aber Grandma, heute Abend geht es nur um dich.« Wir sind zum Filmfest in Cannes, zur Premiere einer Dokumentation über Grandma, die Gründerin von Fleur. Sie hat jeden Schritt der Dreharbeiten überwacht und bezeichnet den Dokumentarfilm als Ergebnis einer von Liebe geprägten Zusammenarbeit zwischen ihr, dem Regisseur und dem Produzenten.

Wahrscheinlicher ist aber, dass meine Großmutter ihnen genau vorgegeben hat, was erzählt werden soll. Einer Dahlia Fowler widerspricht man eben nicht. Denn damit ginge man ein hohes Risiko ein. Diese Frau hat kein Problem mit der Behauptung, sie könne Menschen ruinieren.

Sie hat Menschen ruiniert. Nicht nur einmal.

»Du solltest diese Kette tragen, nicht ich«, sage ich, da sie immer noch nichts erwidert hat. Sie starrt mich an, als könne sie meine Gedanken lesen, und ich blinzele entschlossen. Verdränge meine Gedanken, meine Wut, meinen Frust. Aber sie kann diese Gefühle womöglich trotzdem sehen.

Doch sie redet nicht darüber.

»Nein.« Sie schüttelt den Kopf und löst die Hände von meinem Gesicht. »Du sollst sie tragen. Für heute Abend gehört sie dir. Violet hat ihren jungen Mann, und Lily hat … was auch immer sie für erstrebenswert hält. Wie schade, dass sie nicht hier ist.« Sie presst verbittert ihre Lippen zusammen, und ich würde meiner Schwester gern eine runterhauen, weil sie schon wieder alle im Stich lässt. »Du … Du hast sie verdient. Trage sie mit Stolz. Es ist auch dein Erbe, meine Liebe, vergiss das nie.«

Mein Erbe. Meistens habe ich das Gefühl, es gehöre nicht mir, sondern Daddy und Violet, so langsam auch Ryder. Oder Lily? Eher nicht. Sie trägt gern Kosmetik von Fleur und gibt das Geld von Fleur aus, aber das war’s auch schon. Sie möchte nicht zum Familienbetrieb gehören. Sie ist gegen Arbeit allergisch.

Und sie hat’s gut, sie kommt damit durch.

Ich schufte wie eine Verrückte, und keinem fällt es auf. Ich bin es langsam leid, meine Zeit in das Unternehmen zu stecken. Ich bin es leid, mich mit Daddy und seiner grauenvollen Beziehung zu dieser Schlampe Pilar Vasquez herumzuschlagen. Diese Frau will sich zu einem festen Mitglied von Fleur Cosmetics mausern, indem sie den Nachnamen Fowler ergattert, ganz einfach. Aber liegt ihr tatsächlich etwas an Dad? Wohl eher nicht. Mein Vater ist blind vor Begierde. Er sieht nur ihre riesigen Titten und ihre vermeintlich großartigen Ideen.

»Mein Erbe«, murmele ich, nehme die Kette aus der samtbezogenen Schatulle und halte sie ins Licht. Sie glitzert. Die rosafarbenen Steine sind noch umwerfender, wenn sie funkeln. Ich erinnere mich dunkel, dass ich von Poppys Kette gehört habe, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dieses Schmuckstück im Augenblick in den Händen halte.

Dieses Collier passt perfekt zu dem weißen Kleid, das ich heute Abend tragen werde. Weiß mag für Jungfräulichkeit und Reinheit und solchen Unsinn stehen, aber erst einmal abwarten, bis man mich in diesemKleid erblickt. Die werden Augen machen.

Denn ich bin in Schockierlaune. Will eine kleine Abschiedsvorstellung geben, bevor ich nächste Woche meinem Vater die Kündigung überreiche. Ja, ich verlasse Fleur, ich kann dort einfach nicht mehr bleiben. Ich hatte mir eine kurze Auszeit genommen, nachdem herausgekommen war, dass Daddy sich mit einer der niederträchtigsten Angestellten trifft, die Fleur Cosmetics jemals beschäftigt hat. Pilar reibt es uns so oft wie möglich unter die Nase, dass sie unseren Vater um den kleinen Finger gewickelt hat.

Ich hasse sie. Ich weigere mich, mit ihr zu arbeiten, besonders jetzt, da mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind, dass Daddy sie befördern will. Mit mir hat er jedenfalls nicht darüber geredet. Mir sagt nie jemand etwas. Ich werde bei Fleur ignoriert. Derart ignoriert, dass ich dort nicht mehr arbeiten will …

Da ich davon ausgehe, dass ich an diesem Abend wahrscheinlich zum letzten Mal für sehr lange Zeit die Familie Fowler mit repräsentiere – Daddy wird garantiert wegen der Kündigung explodieren –, gehe ich aufs Ganze. Außerdem war ich bisher noch nie in Cannes bei den Filmfestspielen. Die Kette wird meine Wirkung noch unterstreichen.

Unsere Familie stand schon immer im Licht der Öffentlichkeit, und meistens macht es mir nichts aus, obgleich ich mich lieber im Hintergrund halte, genau wie Violet. Lily soll unsere Familie in der Öffentlichkeit repräsentieren. Sie macht zwar Daddy mit ihren Eskapaden nicht glücklich, aber sei’s drum. Oder vielleicht sollte Grandma diese Aufgabe übernehmen, wenn man bedenkt, wie skandalös meine älteste Schwester ist. Sie ist ein wenig ruhiger geworden, hat aber nach wie vor einen Hang zu Skandalen.

Aber heute Nacht werde ich ihr mal den Rang abjagen, was Skandale angeht. Seit ich in Frankreich bin, fühle ich mich wie neugeboren. Die Energie des Festivals lässt mich aufleben. Ich will etwas wagen.

Zum Beispiel ein Kleid tragen, das für einen Skandal gut ist. Zum Beispiel mir im Kopf die Worte für meinen Vater zurechtlegen, wenn ich ihm nach unserer Rückkehr meine Kündigung mit einer Frist von zwei Wochen überreiche.

»Ja«, sagt Grandma bestimmt, »dein Erbe. Und Violets. Sogar Lilys. Ich bin stolz auf das, was ich erschaffen habe, und ich bin gespannt darauf, was du und Violet aus Fleur macht. Vielleicht ist sogar Lily dabei, falls sie jemals den Arsch hochkriegt.«

»Grandma!« Was sie sagt, sollte mich nicht schockieren, überrascht mich aber doch manchmal.

»Was? Ist doch wahr.« Grandma zuckt die Achseln. »Außerdem werde ich eines Tages nicht mehr da sein, weißt du.«

»Aber …«, will ich protestieren, doch sie bringt mich direkt zum Schweigen.

»Psssst. Du weißt, dass ich recht habe. Ich bin dreiundachtzig Jahre alt, ich lebe nicht ewig, ganz egal, wie sehr mir das gefallen würde.« Sie zeigt auf die Kette, die ich mit einer Hand fest umklammere, die samtbezogene Schatulle halte ich in der anderen Hand. »Dreh dich um, mein Kind, und lass mich dir die Kette umlegen. Warum trägst du noch deinen Morgenmantel? Solltest du nicht längst angezogen sein? Die Premiere fängt bald an.«

»Ich bin fast fertig.« Auf einmal wird mir flau im Magen, und ich stelle die Schatulle auf die Kommode neben mir, reiche Grandma den Schmuck, damit sie ihn mir um den Hals legen kann, und drehe mich um. Ich bin größer als Grandma, deswegen gehe ich leicht in die Knie. »Haare und Make-up sind fertig. Ich muss nur noch das Kleid und die Schuhe anziehen.«

»Dann beeil dich lieber.« Sie schließt den Haken der Kette in meinem Nacken und tritt einen Schritt zurück. »Fertig. Lass dich einmal ansehen.«

Ich drehe mich wieder zu ihr, hebe das Kinn. Ich kann einfach nicht fassen, dass sie mich diese Kette tragen lässt. Von den wenigen Geschichten, die ich über das Schmuckstück gehört habe, weiß ich, dass es kaum oder vielleicht sogar noch nie in der Öffentlichkeit vorgeführt wurde. »Und? Wie findest du sie?«, frage ich.

Sie betrachtet mich, ihr Gesicht ist ernst, die Augen hat sie zusammengekniffen. »Schön. Ursprünglich wollte ich, dass Lily sie trägt, weil sie die Älteste ist, aber sie ist nicht hier. Und je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass die Kette besser zu dir passt, weil du Poppy so sehr ähnelst.«

Schuldgefühle überwältigen mich fast, aber ich kämpfe dagegen an. Ich will kein schlechtes Gewissen wegen meiner Pläne haben. Ich kann nichts dafür, dass Daddy seine hinterhältige Freundin mir vorzieht. Aber ganz so einfach wird er mich nicht übergehen können. Ich muss für meine Überzeugungen eintreten.

Und auf gar keinen Fall werde ich mir von Pilar Vasquez je irgendetwas vorschreiben lassen. Die Schlampe wird eher verrecken als mir sagen, was ich zu tun habe.

»Du wolltest nicht, dass Violet sie trägt, oder?« Ich berühre die Kette und drehe mich nach rechts zum Spiegel. Sie ist umwerfend, selbst zu dem weißen seidenen Morgenmantel, den ich anhabe, und ich starre mein Spiegelbild an, überwältigt von dem, wofür die Kette steht.

Grandma hat recht. Fleur ist auch mein Erbe. Ich muss mir das vor Augen halten und darf mich nicht in die ganzen Intrigen verwickeln lassen, die Violet und Ryder gegen Daddy und Pilar spinnen.

Bah. Wenn ich nur an diese Schlampe denke, kommt es mir schon hoch.

Aber ich kann unmöglich einfach nichts tun und alles auf mich zukommen lassen. Ich muss etwas unternehmen. Ich muss Vater vor Augen führen, dass ich seine Strategie nicht gutheiße. Etwas muss passieren. Jemand muss den Mund aufmachen.

Wenn ich das sein muss, dann ist das eben so.

Grandma winkt ab. »Ich bitte dich. Violet trägt diesen schönen Diamanten am Finger. Sie braucht gerade keinen anderen Schmuck.« Das stimmt natürlich. Ryder hat erst vor einigen Tagen um Violets Hand angehalten, und meine Schwester ist in einen wahren Freudentaumel verfallen.

Eine ganze Weile lang hatte ich Angst, dass sie ihr Leben mit diesem Idioten Zachary Lawrence verbringen würde, aber glücklicherweise ist sie schlauer und hat einen Mann gefunden, der sie zu schätzen weiß. Der sie versteht. Der sie respektiert. Und dass er blendend aussieht und wahnsinnig sexy ist, stört dabei auch nicht sonderlich.

Ich bin ein wenig neidisch auf das Glück meiner Schwester, aber ich kann es ihr nicht verübeln. Sie musste sich so vielen Herausforderungen stellen und hat jede einzelne gemeistert. Ich bin stolz auf sie. Freue mich für sie.

Von ganzem Herzen.

»Viel Vergnügen mit dem Collier. In dem Film heute wird es auch kurz erwähnt.« Grandma zwinkert mir zu und geht zur Tür. »In zwanzig Minuten treffen wir uns in der Suite deines Vaters. Komm pünktlich, verstanden?«

»Verstanden«, rufe ich ihr zu und schüttele den Kopf, als sie die Tür laut hinter sich zufallen lässt.

Ich schaue erneut in den Spiegel, löse den Gürtel meines Morgenmantels, lasse die weiße Seide auseinanderfließen und mir dann von den Schultern gleiten. Ich schiebe den Stoff mit dem Fuß zur Seite und richte mich auf.

Auf meiner Haut sieht die Kette schön aus. Ich atme tief ein und schaue zu, wie sich meine nackten Brüste heben und senken. Vielleicht benötige ich einen Drink oder auch zwei, bevor ich in das Kleid schlüpfe. Ich werde den Mut später brauchen, wenn ich meiner Familie entgegentrete.

Daddy wird das Kleid vermutlich hassen. Violet wird schockiert sein. Grandma wird lachen und mir insgeheim applaudieren. Und Pilar? Sie ist ja heute Abend mit von der Partie, was ich total daneben finde. Mir ist es scheißegal, was sie über das Kleid denkt. Oder über mich. Oder über andere Mitglieder unserer Familie.

Seufzend gehe ich zum Schrank und nehme das Kleid heraus, fahre mit den Händen über den weißen, aufgebauschten Chiffon, aus dem der Rock besteht. Da das Kleid trägerlos ist, wird die Kette perfekt zur Geltung kommen. Ich frage mich, was für eine Geschichte der Schmuck hat.

Das werde ich früh genug herausfinden, nehme ich an.

»Schönes Kleid.«

Die warme, einladende Stimme jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Ich blicke über die Schulter, und da steht ein äußerst gut aussehender Mann, der mich leicht überheblich angrinst und unverhohlen von Kopf bis Fuß mustert.

Mein Lächeln verschwindet, ich straffe den Rücken. Seine Stimme hat falsche Vorstellungen in mir erweckt. Der Kerl klang zwar sexy und witzig, ist aber in Wahrheit nur ein Schleimer. Ich sage nichts und wende mich ab, doch er legt die Hand auf meinen Ellenbogen und hält mich fest.

Ich blicke auf die Hand auf meinem Arm herab, dann hebe ich meinen Kopf und starre ihn vernichtend an. Er zuckt nicht einmal mit der Wimper und lässt mich auch nicht los. »Sind Sie nicht Rose Fowler?«

Ich kann seinen Akzent nicht genau einordnen. Durch den ganzen Raum schwirren verschiedene Akzente und Sprachen, Menschen aus der ganzen Welt besuchen diese Party heute Abend. »Die bin ich, ja«, sage ich und versuche, mich dezent aus der Umklammerung zu befreien. Seine Finger halten mich ganz und gar nicht dezent gepackt, und ich fühle mich wie in der Falle.

»Das habe ich mir gedacht.« Er lächelt mich an, aber seine dunklen Augen lächeln nicht mit. Alles an ihm ist dunkel. Sein Haar, der Teint, die Art und Weise, wie er mich anlächelt. Plötzlich fühle ich mich unwohl und schaue mich nach meinem Vater, meiner Schwester oder – noch besser – Ryder um, der dieses Arschloch verscheuchen würde, wenn ich ihn darum bäte. »Interessante Doku über Ihre Familie.«

»Vielen Dank.« Ich versuche, weiterhin höflich zu bleiben, doch er macht es mir schwer. Er zieht mich ein wenig näher zu sich. Der Duft seines starken Eau de Cologne steigt mir unangenehm in die Nase, und seine Finger, die über meine Haut streichen, widern mich an. »Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen würden. Ich werde erwartet.«

»Von wem?« Er lächelt, seine Zähne sind zu weiß, besonders in dem dunklen Gesicht.

Ich ärgere mich. »Was geht Sie das an?«

»Sie sind heute Abend allein hier, oder? Ich habe Sie auf dem roten Teppich gesehen.«

Er zerrt derart an meinem Arm, dass ich ins Straucheln gerate und fast in ihn hineinfalle. »Kommen Sie, wir trinken ein Glas zusammen.«

Von Höflichkeit ist nicht mehr viel zu spüren, als ich ihm die Hand auf die Brust lege und versuche, ihn wegzustoßen. Er rührt sich nicht von der Stelle. Seine Finger graben sich schmerzhaft in meinen Arm, wahrscheinlich wird ein blauer Fleck zurückbleiben. »Lassen Sie mich los!«, fauche ich durch zusammengebissene Zähne und kämpfe gegen die aufsteigende Panik an.

»Haben Sie das nicht verstanden?«, knurrt ein anderer Mann hinter mir. Seine tiefe, äußerst gereizte Stimme lässt mir jedes einzelne Haar zu Berge stehen. »Nehmen Sie Ihre dreckigen Flossen von der Frau. Sofort.«

Die Finger des Mannes lassen ruckartig los, als hätte jemand einen Schlüssel umgedreht und seinen Griff damit gelöst. Er weicht zurück, hält die Hände entschuldigend in die Höhe, als würde er um Gnade bitten, und lacht nervös. »Wusste nicht, dass sie mit Ihnen hier ist«, stammelt er. Dann dreht er sich um und rennt fast davon.

Ich reibe mir den Arm, drehe mich um und will mich bei meinem Retter bedanken, bringe aber kein Wort heraus. Dunkelbraune Augen sehen mich an, der Mann wirkt still und gelassen, die Lippen hat er zusammengepresst. Er trägt keinen Smoking, sondern einen schwarzen Anzug, der an den Nähten leicht abgewetzt aussieht, als besäße er ihn schon recht lange und hätte ihn zu oft in die Reinigung gegeben. Trotz der alten Kleidung wirkt er elegant. Und zugleich ungeschliffen, als gehöre er nicht richtig in diese schillernde, mächtige und sehr reiche Gesellschaft.

»Vielen Dank«, krächze ich, räuspere mich und fühle mich wie eine Idiotin.

»Alles in Ordnung?« Er tritt näher zu mir, doch seine Nähe fühlt sich nicht bedrohlich an. Eher beschützend. Der besorgte Ausdruck macht sich hervorragend in seinem hübschen Gesicht. Er hat die Augenbrauen zusammengezogen, und eine goldbraune Strähne hängt ihm in die Stirn.

Ich habe auf einmal das Bedürfnis, ihm das Haar aus dem Gesicht zu streichen, weil es so schön weich aussieht. Das ist … verrückt.

»Alles okay.« Ich lächele ihn schief an, woraufhin er die Stirn noch stärker runzelt. »Kannten Sie den Mann?«

»Noch nie gesehen. Aber zu solchen Partys kommen viele Arschlöcher. Cannes scheint sie anzuziehen«, sagt er angewidert.

Ich möchte lachen. Mein Retter hat kein Problem mit derben Ausdrücken, das gefällt mir. Wenigstens ist es authentisch. Die meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, wählen ihre Worte mit Bedacht, als hätten sie Angst, mich vor den Kopf zu stoßen.

»Vielen Dank, dass Sie ihn vertrieben haben.« Gedankenverloren reibe ich mir den Arm und schaue auf den roten Abdruck, den die Finger des Mannes hinterlassen haben.

»Das sieht aber übel aus.« Er ergreift meine Hand, und sie versinkt in seiner großen Pranke, während er meinen Arm untersucht. Er beißt die Zähne zusammen, hebt den Kopf und sucht mit geübtem, gnadenlosem Blick den Raum ab. »Ich sollte ihm einen ordentlichen Arschtritt verpassen.«

»Ach was.« Mein Herz klopft, weil der Mann sich als wahrer Beschützer erweist, aber ich rufe mich zur Raison: Genug. »Es verblasst schon. Sehen Sie?«

Langsam senkt er den Kopf und öffnet die Lippen, während er meinen Arm untersucht. Er lässt meine Hand los, fährt mit dem Daumen sanft über die rote Stelle, sodass ich eine Gänsehaut bekomme. »Tut das weh?«

»Nein.« Ich schüttele den Kopf und betrachte fasziniert, wie er mich einfach berührt. Seine Hand ist so groß, die Haut gebräunt und die Daumenkuppe rau. Zwangsläufig wundere ich mich über den Unterschied zwischen den beiden Männern. Beide sind Fremde, und doch reagiere ich auf beide völlig unterschiedlich.

»Gut«, sagt er schroff, obwohl ich merke, dass er mit meiner Antwort unzufrieden ist. Er lässt meinen Arm los, und ich frage mich, ob er meinen »Angreifer« verfolgen wird, aber er bleibt neben mir stehen, als wäre es sein einziger Zweck auf dieser Welt, mich heute Abend zu beschützen. »Einen Drink?«

»O, gern.« Bevor ich ihm sagen kann, was ich möchte, geht er wortlos davon, und vor seinem breitschultrigen Körper entsteht eine Schneise in der Menge. Alle weichen automatisch aus. Er überragt die Menschen um einen Kopf, deswegen kann ich ihn auf seinem Weg zur Bar gut im Auge behalten.

Er lächelt niemanden an, unterbricht seinen Weg auch nicht für eine kleine Unterhaltung.

Ich bin völlig hin und weg.

»Wer ist dieser Typ?« Wie von Zauberhand taucht Violet neben mir auf. Ihr Blick fällt auf mein Kleid, besonders auf die seitlichen Schlitze, die je nach Bewegung den Blick auf meine Oberschenkel freigeben. »Hast du ihn mit dem Kleid angelockt oder was?«

»Nicht alle sind über das Kleid so empört wie du«, murmele ich und ärgere mich, dass sie mir die Stimmung verdirbt. Violet und ich sind normalerweise immer einer Meinung, aber in dem Augenblick, in dem ich vor der Premiere in Daddys Suite getreten bin, wusste ich, dass ihr mein Kleid nicht gefiel.

Und das tat weh, trotz meines tapferen Gesichts und meines unbeschwerten Auftretens. Ich führe es darauf zurück, dass sie mich schon immer eher mütterlich behandelt hat. Daddy gefiel das Kleid auch nicht, doch das war vorauszusehen. Ryder hat mir vor dem Aufbruch grinsend High five gegeben, und das gefiel mir. Ich klammere mich an seine Zustimmung wie an einen Rettungsring, der mich vor dem Ertrinken bewahrt. Um den heutigen Abend zu überstehen, brauche ich jede Unterstützung, die ich bekommen kann.

Daran bist du selbst schuld. Du kannst es nicht auf jemand anderen schieben.

Diese nörgelnde kleine Stimme in meinem Kopf muss endlich verstummen.

»Darf ich ehrlich sein?« Violet dreht sich zu mir um, ihr Gesicht düster, und ich bin vorgewarnt: Mir wird nicht gefallen, was sie zu sagen hat.

Ich kann den Seufzer, der mir entfahren will, gerade noch unterdrücken. »Klar doch.«

»Du erinnerst mich an Lily.« Sie kraust die Nase und sieht dabei zugleich niedlich und angewidert aus. Dass sie mir sagt, ich erinnere sie an Lily, ist der ultimative Tiefschlag. Der Stich geht direkt ins Herz. »Das schrille Outfit, die Kette. Wusstest du, dass Grandma dir heute Abend die Kette gibt?«

Ah, darum geht’s also? Dass Grandma diese Kette mir und nicht ihr überlassen hat? Vielleicht war die Entscheidung für das Kleid dumm. Die Reporter wollten alles Mögliche wissen, als wir auf dem roten Teppich posierten. Sie fragten mich, wer das Kleid designt habe, wo Lily sei und seit wann ich so mutig wäre. Nach der Kette wurde kaum gefragt.

Ich frage mich, ob das Grandma verärgert hat.

»Nein, wusste ich nicht«, antworte ich. »Sie hat mir die Kette eine halbe Stunde, bevor wir uns alle getroffen haben, gebracht. Ich wusste nicht einmal, dass sie die Kette dabeihat.«

»Sie hat mir vor einiger Zeit erzählt, dass sie den Schmuck nach Cannes mitnehmen würde. Aber ich dachte, er wäre für Lily. Da die allerdings nicht hier ist …« Violet stockt.

»Du hast recht. Sie wollte, dass Lily die Kette trägt. Außerdem hat sie gesagt, ich erinnere sie am meisten an Poppy.« Geistesabwesend streiche ich über die Steine, mein Daumen gleitet über den größten, der in der Mitte sitzt. »Deswegen lässt sie mich heute Abend die Kette tragen. Sie meinte, du bräuchtest sie nicht, weil du ja schon einen großen Diamanten am Finger trägst.«

Sofort streckt Violet die Hand aus und spreizt die Finger. Der Diamant funkelt im Licht. Ein kleines Lächeln legt sich auf ihre Lippen, während sie den Ring betrachtet. »Wahrscheinlich hat sie recht.«

»Ich weiß«, sage ich trocken. Mein Blick hängt an meinem Retter, der immer noch an der Bar wartet. Seine Schultern sind wahnsinnig breit, und er ist so groß. Sein Haar ist hinten länger, es sollte dringend geschnitten werden, und genau als ich das denke, kratzt er sich gedankenverloren im Nacken, bevor er sich umdreht. Unsere Blicke treffen sich, obwohl der ganze Raum zwischen uns liegt.

Der Ausdruck in seinen Augen lässt mich erstarren und verschlägt mir den Atem. Ich öffne die Lippen, und das Rauschen in meinen Ohren wird lauter, übertönt, was Violet zu mir sagt, schirmt jedes kleinste Geräusch ab, bis ich nur noch ihn wahrnehme.

Er wendet den Blick nicht ab. Er lächelt nicht, zieht keine Braue in die Höhe, winkt nicht, bestätigt in keiner Weise, dass wir uns ansehen. Langsam, fast unmerklich, bewegt sich sein markanter Kiefer, er presst die Lippen zusammen, seine Brust hebt sich, während er tief einatmet. Er blinzelt, ein Mundwinkel hebt sich leicht, ein schiefes, angedeutetes Lächeln blitzt kurz auf.

Alles geht ganz schnell.

Der Mann dreht sich um, steht wieder mit dem Rücken zu mir, und ich frage mich, ob ich mir das alles eingebildet habe. Blinzelnd reiße ich mich von seinem Anblick los und wende mich wieder meiner Schwester zu, die immer noch redet. Ich habe keine Ahnung, was sie gerade gesagt hat. Überhaupt keine Ahnung.

Ich kann nur an den Mann denken, der mich gerettet hat.

Und ich weiß noch nicht einmal, wie er heißt.

Kapitel 2

Caden

In dem Moment, in dem ich die Kette am Hals der falschen Schwester sehe, bin ich sauer.

Genervt.

Megawütend.

Genau. Alles gleichzeitig.

Ich hatte einen Plan, und ich weiche sehr ungern von meinem Plan ab. Ich dachte, Lily Fowler würde zu dieser Premiere kommen. Dies ist ein wichtiger Abend für die Familie Fowler und ihr Unternehmen. Und dann ist die älteste Tochter noch nicht einmal mit der Familie hier bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Was für ein Scheiß!

Zugegeben, ich hatte nicht erwartet, dass Lily die Kette tragen würde, sondern eher Violet. Die stille Schwester, die treibende Kraft hinter Fleur. Sie ist voll bei der Sache und bringt das Unternehmen voran. Ich hatte allerdings den neuen Freund nicht berücksichtigt. Der Typ weicht ihr nicht von der Seite und starrt jeden finster an, der sie auch nur ein wenig interessiert anschaut.

Stattdessen trägt tatsächlich Rose Fowler die verdammte Kette. Die Kleine, die kaum alt genug ist, dass sie Alkohol trinken darf. Die ach so hinreißende und absolut unnahbare Schwester trägt eine Kette, die – wie ich aus Insiderkreisen erfahren habe – in dem Dokumentarfilm vorkommt. Ich habe Connections. Mann, ich habe jemanden, der mir einen Haufen Dollars zahlen würde, wenn ich ihm die Kette bringe. Ich bin in Cannes, weil er darauf bestanden hat, dass ich die Kette für ihn holen soll. Wir beide haben vermutet, dass die Kette heute Abend hier auftauchen könnte, deswegen bin ich hier.

Weil ich Lily Fowler noch von früher kenne, dachte ich, das könnte was werden. Obwohl, »kennen« ist wohl etwas übertrieben. Wir sind gemeinsam zur Schule gegangen, allerdings bin ich jünger als sie. Ich war im zweiten Jahr auf der Highschool, sie im dritten, dann war das Geld aufgebraucht, und ich musste auf eine öffentliche Highschool, was meine Mutter völlig abartig fand.

Wir haben uns zwar nie unterhalten, aber ich war damals ein wenig in Lily verknallt. Ich wollte mich aus verschiedenen Gründen an sie ranmachen, und auf einer Party haben wir geknutscht und so. Sie war betrunken, und der Funke sprang direkt über, aber das war auch nicht so schwer, weil ich es ziemlich darauf angelegt habe. Wir unterhielten uns, flirteten – und schon befummelten wir uns in einer dunklen Ecke.

Ich wäre auch noch weiter gegangen, aber sie ist in meinen Armen ohnmächtig geworden. Mein Begehren war sofort verflogen, als ich merkte, wie fertig sie war.

Deswegen habe ich ihr stattdessen die riesigen Diamantohrringe abgenommen. Diese Klunker haben mir ganz schön viel Kohle eingebracht.

Aber das hat sie nicht mitbekommen. Und selbst wenn, hat sie ganz sicher nichts gesagt. Es gab keine Berichte, die Klatschseiten schrieben nichts über Lily Fowlers verlorene Diamanten, bei der Polizei wurde, soweit ich weiß, nie Anzeige erstattet.

Gerade so, als wäre die ganze Sache … nie passiert. Wir haben uns nach diesem Vorfall sogar einige Male unterhalten, und sie tat so, als hätte sie keine Ahnung, was wirklich vorgefallen war. Was mir bestätigte, dass ich davongekommen war.

Echt krass.

Damals habe ich zum ersten Mal etwas wirklich Wertvolles geklaut und war berauscht davon, wie einfach das war, und von dem Bewusstsein, dass ich Mom nun Geld für die überfälligen Rechnungen geben konnte.

Ich hatte Blut geleckt.

Und es wurde etwas draus. Ich war mit den reichen Kids groß geworden. Scheiße, ich war selbst mal eins. Ein reiches Blag, ein verwöhntes Einzelkind, das immer alles von Daddy bekam und mit Geldausgeben die Zeit totgeschlagen hat. Bis uns alles weggenommen wurde. Stück für Stück, Dollar für Dollar. Bis wir nichts mehr hatten.

Deswegen musste ich losgehen und etwas zum Familienunterhalt beitragen. Mom helfen, weil mein Vater sich einen Scheiß um die Frau gekümmert hat, die immer an seiner Seite geblieben war. Der ganze Skandal, der ganze Herzschmerz, das ganze Unglück. Sie ist nicht abgehauen, dabei hätte sie gute Gründe dafür gehabt. Stattdessen hat sie ihm gesagt, alles würde gut werden, solange sie nur zusammen wären. Und trotzdem ist er gegangen.

Hat sie im Stich gelassen.

Uns beide sitzen gelassen.

Dass Lily jetzt nicht da ist, hat mich vielleicht ein wenig aus dem Konzept gebracht, aber ich komme damit klar. So bin ich halt. Wenn ich mich von jeder Kleinigkeit aufhalten lassen würde, hätte ich schon längst aufgegeben. Oder wäre im Knast gelandet.

Aber mich kann nichts aufhalten. Ich habe den ganzen weiten Weg nach Cannes auf mich genommen, um ein paar Dinge einzusacken. Ich kam mit dem Privatjet meines Freundes, diesem Arsch, den ich schon kenne, seit wir zehn Jahre alt und auf der Privatschule waren. Ich habe ihm seinen ersten Joint besorgt, und das war’s dann. Deswegen sind wir bis ans Lebensende miteinander verbunden.

Der Typ hat so viel Geld, dass er wahrscheinlich Hundertdollarscheine kackt. Aber bei ihm greife ich nichts ab. Ich habe Prinzipien. Meine Freunde beklaue ich nicht.

Leute, die ich nicht kenne? Das geht schon klar.

Heute Abend ist alles easy. Die Security ist locker. Die Juwelen sind riesig, und sie sind überall. Die Besitzer dieser Juwelen sind unvorsichtig. Sie zeigen sie lieber, als auf sie aufzupassen, und das macht es mir leicht. Ich bin wie ein Kind im Süßwarenladen: Ich weiß gar nicht, wo ich hingehen, was ich als Nächstes ausbaldowern soll. Ich möchte von allem kosten, alles nehmen, aber ich muss vorsichtig sein. Echt vorsichtig. Ich muss das Beste aus diesem Besuch machen und die Stücke aussuchen, die mir das meiste einbringen.

Wie beispielsweise Poppys Kette, die sich an den schönen Hals von Rose Fowler schmiegt. Die will ich. Genauso wie mein Auftraggeber, ein alter Kunde, für den ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gearbeitet habe. Ich wurde vor dem Kerl gewarnt, aber er zahlt einfach zu gut, da kann ich nicht widerstehen. Mich juckt es in den Fingern, Rose die Kette abzunehmen. Aber wie? Das Stück ist auffällig, und die Sache wird schwierig.

Aber ich liebe Herausforderungen. Ich habe Rose nicht aus den Augen gelassen, seit ich sie auf der Party entdeckt habe. Ich habe mich im Hintergrund gehalten und alle Möglichkeiten ausgekundschaftet, wie ich ihr die Kette abnehmen könnte.

Und dann habe ich den größten Fehler überhaupt begangen: einen auf Helden gemacht und diesem Arsch gesagt, dass er seine Pfoten von ihr nehmen soll. Ich hätte ihm gern eine reingehauen, aber Rose hielt mich davon ab, Gott sei Dank. Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist.

Doch, ich weiß es. Die Abdrücke seiner schmierigen Finger haben mich wütend gemacht. Ich kenne Rose nicht, will sie ja auch nicht kennenlernen, aber ich bin zum Ritter mutiert und wollte ihre Ehre verteidigen. Wie blöd ist das denn? Sie ist schön, ja. Verdammt sexy in ihrem Scheißkleid, mit ihren langen, megaheißen Beinen, die sie unverhohlen zeigt und die meine Fantasie in Gang setzen.

Aber die sollte besser nicht in Gang gesetzt werden. Ich bin nur aus einem Grund hier, und der lautet nicht »Sex«.

Deswegen habe ich nicht sonderlich auf ihren Blick reagiert, als ich bemerkt habe, dass sie mich von der anderen Seite des Raumes anstarrte. Ich habe den Blickkontakt beendet, mich umgedreht, bin zur Bar gegangen und habe uns zwei Gläser Champagner bestellt. Dann habe ich wieder den Raum durchquert, niemanden beachtet, Blickkontakt vermieden. Ich möchte nicht, dass sich heute Abend irgendwer an mich erinnert.

Dennoch kehre ich jetzt mit dem Drink in der Hand zu Rose zurück und reiche ihn ihr. Ihre schmalen Finger berühren meine Hand, als sie das Glas nimmt, und bei dieser Berührung durchfährt es mich wie ein Blitz.

Glühend heiß und elektrisierend.

Ihre Augen weiten sich fast unmerklich, und ihre Hände zittern, als sie das Glas an die Lippen führt und einen ordentlichen Schluck nimmt. »Vielen Dank für den Champagner«, murmelt sie.

»Gern geschehen.« Ich neige den Kopf in ihre Richtung, hebe mein Glas und lasse den Blick aufmerksam durch den Raum schweifen. Ich erkenne eine Frau, die junge Geliebte eines reichen Filmproduzenten. Sie trägt eine Kette mit den größten Diamanten und Saphiren, die ich je gesehen habe, und dabei habe ich in meinem Leben schon einige echt große Klunker gesehen. Sie winkt jemandem, in den Juwelen bricht sich das Licht, ich bin wie hypnotisiert.

Das wäre eine nette Beute. Der Typ, für den ich sonst arbeite, kann für mich aus edlen gestohlenen Dingen gutes Geld machen, alles ganz diskret. Schon krass, was man erreichen kann, wenn man sich anstrengt.

»Kennen Sie sie?«

Roses Stimme dringt in meine Gedanken, ich schaue sie an und setze eine unschuldige Miene auf. »Wen?«

»Die Frau, die Sie anschauen.«

So eine Scheiße. Ich muss schnell weg von Rose Fowler. Sie ist einfach zu aufmerksam. Keine gute Kombination: An einem Abend, an dem ich unerkannt bleiben will, stehe ich mit einer Frau zusammen, die von jeder Kleinigkeit Notiz nimmt. Dumm. »Nein, sie ist nur …« Ich ringe mir eine Erklärung ab. »… Sie erinnert mich an jemanden, den ich kenne.« Lügen. Ich muss schnell das Thema wechseln. »Toller Film.«

»Hm.« Sie nickt und lächelt mit wehmütigen Augen. »Vielen Dank. Heute Abend bin ich besonders stolz auf meine Großmutter. Die Doku hat Ihnen also gefallen?«

Nun verwickelt sie mich in eine Unterhaltung. Ich schaue mir ihr Gesicht an, ihre klaren, hellbraunen Augen, die mich beobachten, ihre samtige Haut, die Bewegungen ihrer Lippen beim Reden.

»Ja, hat sie. Ihre Familie hat in kurzer Zeit viel aufgebaut.« Mein Blick ist von ihren schönen Lippen gefesselt. Sie sind voll, die Unterlippe ist größer als die Oberlippe, ein sexy Schmollmund. Ihr Mund ist in diesem perfekten Rot geschminkt, das in krassem Kontrast zu ihrer ansonsten so natürlichen Erscheinung steht.

»Meine Grandma ist eine sehr zielstrebige Frau.« Sie lächelt, die Zähne wirken im Vergleich zu den tiefroten Lippen besonders weiß. »Niemand legt sich mit Dahlia an.«

Ich habe das Gefühl, dass sich auch niemand mit Rose anlegt, aber ich halte den Mund. Stattdessen fällt mein Blick auf ihren Hals, die Kette, die auf ihrer unfassbar weichen Haut liegt, die nackten Schultern, das Dekolleté, das mich so manches erahnen lässt …

Verdammt. Sie ist einfach fantastisch. Schöner als Lily. Schöner als jede andere Frau, die ich jemals gesehen habe. Sie hat ein Engelsgesicht, unschuldig und süß, und dabei einen Körper, der mich an all die sündigen Dinge denken lässt, die wir zusammen machen könnten …

Ein sexy Widerspruch. Ein Widerspruch, an den ich noch nicht einmal denken sollte.

Ich sollte lieber daran denken, wie ich mir die Kette schnappe, doch wie zum Teufel kann ich das unbemerkt tun?

»Legt sich etwa jemand mit Ihnen an?«

Sie lächelt unbekümmert. »Nur schmierige Typen, die ihre Hände nicht bei sich behalten können.«

Ich muss schmunzeln, und ich schüttele den Kopf. Ich sollte nicht auf die Worte dieser Frau reagieren. Ich muss mich von ihr fernhalten.

Sie legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen und leert das Champagnerglas mit wenigen Schlucken. Ich beobachte sie, ihren zarten Hals, das helle, goldbraune Haar, das am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengefasst ist. Ich stelle mir vor, wie sie wohl mit offenen Haaren aussieht, wie das Haar wellig auf ihre nackten Schultern fällt, und sehe das feurige Glühen in ihren Augen, wenn sie sich mir nähert …

»Wollen wir nicht rausgehen?«, fragt sie. Ihre raue Stimme erfüllt meinen Körper mit Verlangen.

Sag Nein. »Wo würden Sie gerne hingehen?«

Sie weist mit dem Kopf auf eine Flügeltür in der Nähe. »Nach draußen. Ich habe gehört, dort gibt es einen Pool.« Wortlos geht sie. Der Rock ihres Kleides enthüllt ihre Beine. Das skandalöse Kleid erregt so viel Aufsehen, dass man sie beobachtet. Ich folge ihr nicht, drehe mich zur Seite, stehe mit dem Blick zur Wand, habe den neugierigen Beobachtern den Rücken zugedreht. Als ich aber in ihre Richtung schaue, bemerke ich, dass sie stehen geblieben ist. Sie bedeutet mir, ihr zu folgen, wie eine ungeduldige Mutter ihrem ungezogenen Kind.

ENDE DER LESEPROBE