Rückkehr nach River's End - Nora Roberts - E-Book
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Rückkehr nach River's End E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Eines Nachts wird die kleine Olivia Zeugin eines blutigen Mordes und verliert auf schreckliche Weise ihre Eltern. Erst in der friedlichen Abgeschiedenheit von River’s End, weit entfernt vom Ort des Geschehens, verlieren die Bilder über die Jahre ihre bedrohliche Kraft. Aber Olivia muss noch einmal in ihre Vergangenheit eintauchen, denn sie kann dem Mann, der hinter dem Verbrechen steht, nicht entrinnen.

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Seitenzahl: 738

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Das Buch

Die kleine Livvy ist das glückliche Kind eines Hollywood-Traumpaares. Doch Alkohol und Drogen zerstören ihre heile Welt. Eines Nachts findet das vierjährige Mädchen seine Mutter tot im Wohnzimmer. Daneben ein Mann mit einer langen Schere in den blutigen Händen: Livvys Vater. Um sie vor der sensationsgierigen Presse zu schützen, bieten Livvys Großeltern dem verstörten Kind eine neue Heimat im friedlichen River’s End.

Olivia wird eine hübsche junge Frau und engagierte Biologin. Die Schreckensnacht ihrer Kindheit ist tabu, und die grausamen Bilder verlieren über die Jahre an Kraft. Und doch spürt sie, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen muss. Als sie den jungen Schriftsteller Noah trifft, bietet sich die Gelegenheit. Während sich Olivia nur zögernd den Erinnerungen öffnet, überstürzen sich die Ereignisse. Der Mann, der hinter dem Verbrechen zu stehen scheint, wird vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Und sein Ziel ist schnell klar: River’s End.

Die Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 400 Millionen Exemplaren überschritten. Mehr als 170 Titel waren auf der New-York-Times-Bestsellerliste, und ihre Bücher erobern auch in Deutschland immer wieder die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Keedysville, Maryland.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDie AutorinWidmungPrologOlivia
Erstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes Kapitel
Noah
Neuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes Kapitel
Der Wald
Siebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes Kapitel
Das Monster
Achtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes KapitelDreißigstes KapitelEinunddreißigstes KapitelZweiunddreißigstes KapitelDreiunddreißigstes KapitelVierunddreißigstes Kapitel
Copyright

Für Mom und Pop, danke, dass ihr meine Eltern seid.

Wie großartig und wunderbar ist dieser WaldSo unergründlich tief, dunkel und kalt.Doch meine Versprechen bleiben besteh’nUnd bis ich schlafen kann,muss ich noch weit, weit geh’n.

– ROBERT FROST

Prolog

Das Monster war zurückgekehrt. Der Geruch von Blut klebte an ihm. Seine Schritte lösten Panik in ihr aus.

Sie musste rennen, doch dieses Mal lief sie ihm entgegen.

Der dichte, dunkle Wald, der ihr früher als Zufluchtsort gedient hatte, der ihr immer ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt hatte, umgab sie wie in einem Alptraum. Die hohen, majestätischen Bäume erschienen ihr plötzlich nicht mehr wie ein Beweis für die Allmacht der Natur, sie wurden zu einem lebendigen Käfig, der für sie zur Falle werden konnte und dem Monster als Versteck diente. Der leuchtend grüne Moosteppich saugte sich als brodelnder Morast an ihren Stiefeln fest. Sie hastete durch Farnkraut, zerriss die grünen Fächer zu glitschigen Fetzen, glitt auf einem verrotteten Baumstamm aus, zerstörte die unzähligen Mikrokosmen, die er beherbergte.

Vor ihr, neben ihr, hinter ihr tauchten grüne Schatten auf, schienen ihren Namen zu flüstern.

Livvy, mein Liebling. Ich will dir eine Geschichte erzählen.

Ihr Atem ging stoßweise, sie spürte Trauer, Furcht und Verlust in sich aufkeimen. Das Blut an ihren Fingerspitzen war inzwischen eiskalt.

Der Regen trommelte unablässig auf die windgepeitschten Baumkronen und lief in Rinnsalen über die flechtenbedeckte Baumrinde bis auf den Boden, der ihn durstig aufsaugte. Die ganze Welt schien feucht und unersättlich.

Sie wusste nicht mehr, ob sie Jägerin oder Gejagte war, aber ein tiefer, ursprünglicher Instinkt sagte ihr, dass sie in Bewegung bleiben musste, wenn sie überleben wollte.

Sie würde ihn finden, oder er würde sie finden. Und dann wäre es vorbei. Sie wollte nicht als Feigling sterben.

Und wenn es auf dieser Welt einen Schimmer von Hoffnung gab, würde sie den Mann finden, den sie liebte. Lebendig.

Sie spürte sein Blut auf ihrer Handfläche, strich zuversichtlich darüber.

Nebel wehte um ihre Stiefel, brach sich an ihren langen, entschlossenen Schritten. Ihr Herz pochte in einem wilden, pulsierenden Rhythmus gegen ihre Rippen, ihre Schläfen, ihre Fingerspitzen.

Über sich hörte sie ein Donnern, ein gewaltiges Krachen, und sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite, ehe ein morscher alter Ast auf dem Waldboden zerbarst.

Ein kleiner Tod, der neues Leben brachte.

Sie schloss ihre Hand fester um ihre einzige Waffe und wusste, dass sie töten würde, um zu überleben.

Und in dem dunkelgrünen Licht, hinter tiefen Schatten versteckt, sah sie das Monster, das sie aus ihren Alpträumen kannte.

Blutbeschmiert stand es da und starrte sie an.

Olivia

Er lernte zu atmen gerad’ eben,der Säugling in einfachen Kissenund spürt in allen Gliedern Leben,Wie soll er vom Tode wissen?

– WILLIAM WORDSWORTH

Erstes Kapitel

Beverly Hills, 1979

Olivia war vier, als das Monster kam. Es brach in Träume ein, die keine Träume waren, und es griff mit seinen blutigen Händen nach jener Unschuld, die Monster am allermeisten begehren.

In einer Hochsommernacht, als der Mond hell und voll am Himmel stand und der Duft von Rosen und Jasmin in der Luft lag, schlich es sich ins Haus, um zu jagen und zu töten. Zurück blieben nur die unbeteiligte Dunkelheit und der Geruch von Blut.

Nichts war mehr wie früher, seit das Monster da gewesen war. Das elegante Haus mit den vielen großen Räumen und den glänzenden Fußböden war für alle Zeiten von seinen Spuren gezeichnet, und das Echo von Olivias verlorener Unschuld klang lange nach.

Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass es keine Monster gab. Es gab sie nur im Spiel, und ihre bösen Träume waren keine Wirklichkeit. Aber in der Nacht, als sie das Monster sah, als sie es hörte und roch, konnte ihre Mutter nicht mehr behaupten, dass alles nur ein Spiel war.

Danach gab es niemanden mehr, der an ihrem Bett saß, über ihr Haar strich und ihr schöne Geschichten erzählte, bis sie wieder einschlief.

Ihr Vater kannte die besten Geschichten, herrlich alberne, die von rosa Giraffen und Kühen mit zwei Köpfen handelten. Aber dann wurde er krank, und die Krankheit ließ ihn böse Dinge tun, er sagte böse Worte mit einer lauten, hastigen Stimme, die gar nicht zu ihrem Daddy gehörte. Er musste fortgehen. Ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass er fortgehen musste, bis er wieder gesund war. Deshalb konnte er sie nur hin und wieder besuchen, und Mama, Tante Jamie oder Onkel David mussten die ganze Zeit im Zimmer bleiben.

Einmal erlaubte Mama ihr, Daddy in seinem neuen Haus am Strand zu besuchen. Tante Jamie und Onkel David brachten sie hin, und durch das große Fenster beobachteten sie fasziniert, wie sich die Wellen hoben und senkten, wie sich das Meer weiter und weiter erstreckte, bis es schließlich mit dem Himmel zusammenstieß.

Dann wollte Daddy mit ihr am Strand spielen, Sandburgen bauen, sie beide ganz allein. Aber ihre Tante sagte Nein. Das war nicht erlaubt. Sie stritten sich, erst in den tiefen, zischenden Tönen, von denen Erwachsene offenbar annehmen, dass Kinder sie nicht hören können. Aber Olivia hatte sie gehört, und sie hatte dabei vor dem großen Fenster gehockt und beharrlich auf das Wasser gestarrt. Als dann die Stimmen lauter wurden, hatte sie sich gezwungen, nicht zuzuhören, weil sich ihr Magen verkrampfte und ihre Kehle brannte.

So hörte sie nicht, wie Daddy Tante Jamie gemeine Dinge an den Kopf warf, wie Onkel David mit rauer Stimme sagte: »Nimm dich in Acht, Sam. Nimm dich nur in Acht. Damit tust du dir keinen Gefallen.«

Schließlich entschied Tante Jamie, dass es Zeit sei, nach Hause zu fahren, und trug sie zum Auto. Über die Schulter ihrer Tante winkte sie ihrem Vater zu, aber Daddy reagierte nicht. Er starrte nur vor sich hin und hielt die Hände zu Fäusten geballt.

Danach erlaubte Mama ihr nicht mehr, zum Strandhaus zu fahren und den Wellen zuzusehen.

Aber es hatte schon früher angefangen. Wochen vor dem Strandhaus, viele Wochen, bevor das Monster kam.

Es fing in der Nacht an, als Daddy ihr Zimmer betrat und sie aufweckte. Er lief auf und ab und murmelte vor sich hin. Seine Stimme hatte einen harten Unterton, aber als sie in ihrem großen Bett mit dem weißen Spitzenhimmel aufwachte, fürchtete sie sich nicht. Schließlich war er ihr Daddy. Auch wenn sein Gesicht im Mondlicht böse wirkte und seine Augen bedrohlich funkelten, war er immer noch ihr Daddy.

Ihr Herz hüpfte vor Liebe und Freude.

Er ging zu ihrer Kommode und zog die Spieluhr mit der Blauen Fee aus Pinocchio auf.

Sie setzte sich auf und lächelte verschlafen. »Hallo, Daddy. Erzähl mir eine Geschichte.«

»Ich erzähle dir eine Geschichte.« Langsam wandte er den Kopf und starrte seine Tochter an, den verwuschelten blonden Haarschopf und die großen Augen. Aber er sah nur seine eigene Wut. »Ich erzähle dir eine verdammte Geschichte, Livvy, mein Liebling. Über eine schöne Nutte, die lernt, wie man lügt und betrügt.«

»Wo lebte diese Stute?«

»Welche Stute?«

»Die schöne Stute.«

Da drehte er sich um, und durch seine Lippen entwich ein Knurren. »Du hörst mir nicht zu! Du hörst mir genauso wenig zu wie sie. Ich habe Nutte gesagt, verdammt noch mal!«

Olivias Magen verkrampfte sich, als er sie so anschrie, und in ihrem Mund spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben den seltsam metallischen Geschmack von Angst. »Was ist eine Nutte?«

»Deine Mutter. Deine verdammte Mutter ist eine Nutte.« Er fuhr mit dem Arm über die Kommode, und die Spieluhr und ein Dutzend andere kleine Schätze fielen krachend zu Boden.

Olivia rollte sich im Bett zusammen und weinte.

Er schrie sie an, sagte ihr, dass es ihm leidtäte. »Hör sofort auf zu weinen!« Er würde ihr eine neue Spieluhr kaufen. Er trat zu ihr, um sie auf den Arm zu nehmen, doch er roch eigenartig, wie das Wohnzimmer nach einer Erwachsenenparty, bevor Rosa saubermachte.

Dann stürzte Mama herein. Ihr Haar war offen, ihr Nachthemd leuchtete weiß im Mondlicht.

»Sam, in Gottes Namen, was machst du hier? Ruhig, Livvy, hör auf zu weinen. Es tut Daddy leid.«

Ihr heftiger Ausbruch hatte ihn fast wieder zur Besinnung gebracht. Er sah, wie sich die beiden blonden Köpfe aneinanderschmiegten. Die schockierende Erkenntnis, dass er seine Fäuste geballt hatte, und dass diese Fäuste es gar nicht erwarten konnten, endlich zuzuschlagen, ließ ihn aus seiner Trance erwachen. »Ich habe mich schon entschuldigt.«

Als er sich auf sie zu bewegte, blickte seine Frau auf. In der Dunkelheit glänzten ihre Augen mit einer Schärfe, die an Hass grenzte. »Komm ihr bloß nicht zu nahe.« Der ernste, bedrohliche Unterton in der Stimme ihrer Mutter ließ Olivia aufschluchzen.

»Sag mir nicht, dass ich mich von meiner eigenen Tochter fernhalten soll. Ich bin deine Befehle leid, Julie, verdammt leid.«

»Du bist wieder high. Ich lasse dich nicht in ihre Nähe, wenn du Drogen genommen hast.«

Danach hörte Olivia einen schrecklichen Streit, erneutes Krachen, den schmerzerfüllten Aufschrei ihrer Mutter. Sie sprang aus dem Bett und versteckte sich in ihrem Wandschrank unter einem Berg von Stofftieren.

Später fand sie heraus, dass es ihrer Mutter gelungen war, ihn aus dem Zimmer zu drängen und von Livvys Micky-Maus-Telefon aus die Polizei anzurufen. Aber in jener Nacht wusste sie nur, dass ihre Mutter zu ihr in den Wandschrank gekrochen war, sie an sich gedrückt und ihr versprochen hatte, dass alles wieder gut würde.

Danach war Daddy fortgegangen.

Erinnerungen an jene Nacht schlichen sich manchmal in ihre Träume ein. Wenn das passierte und sie aufwachte, kletterte Olivia aus ihrem Bett und schlich in das Schlafzimmer ihrer Mutter am anderen Ende des Korridors. Nur um ganz sicher zu sein, dass sie auch da war. Und um nachzuschauen, ob Daddy nicht vielleicht nach Hause gekommen war, weil es ihm wieder besserging.

Manchmal schliefen sie in einem Hotel oder in einem anderen Haus. Die Arbeit ihrer Mutter brachte es mit sich, dass sie viel reisen musste. Nachdem ihr Vater krank geworden war, begleitete Olivia sie auf jeder Reise. Die Leute sagten, dass ihre Mutter ein Stern am Filmhimmel sei. Sie wusste, dass Sterne kleine Lichter am Firmament waren, und ihre Mutter war einer von ihnen.

Ihre Mutter war Schauspielerin, und viele, viele Leute wollten sehen, wie sie so tat, als sei sie jemand anderes. Daddy war auch Filmschauspieler, und sie kannte die Geschichte, wie ihre Eltern sich kennengelernt hatten, während sie so taten, als ob sie andere Leute wären. Sie hatten sich in einander verliebt, geheiratet und ein kleines Mädchen bekommen.

Wenn Olivia ihren Vater vermisste, sah sie sich das große Lederalbum mit den Hochzeitsfotos an, auf denen ihre Mutter eine Prinzessin in einem langen, glitzernden weißen Kleid war, und ihr Vater in seinem schwarzen Anzug der Prinz.

Außerdem gab es eine große Torte, ganz in silber und weiß, und Tante Jamie trug ein blaues Kleid, in dem sie fast so hübsch aussah wie Mama. Olivia stellte sich vor, dass sie selbst auch auf diesen Bildern wäre. Sie hätte ein rosa Kleid an und Blumen im Haar, würde ihre Eltern an den Händen halten und lächeln. Auf diesen Bildern lächelten alle und waren fröhlich.

In jenem Frühling und Sommer sah Olivia sich oft das große Album an.

In der Nacht, als das Monster kam, hörte Olivia die Schreie im Schlaf. Sie wimmerte und wand sich hin und her. Tu ihr nicht weh, dachte sie. Tu meiner Mama nicht weh. Bitte, bitte, bitte, Daddy.

Sie erwachte von einem Schrei, dessen Echo noch in der Luft lag. Und sie sehnte sich nach ihrer Mutter.

Sie kletterte aus dem Bett, ihre Schritte wurden vom Teppich gedämpft. Olivia rieb sich die Augen und ging den Korridor entlang, der sanft erleuchtet war.

Aber der Raum mit dem großen blauen Bett und den hübschen weißen Blumen war leer. Wenigstens lag der tröstliche Geruch des Parfums ihrer Mutter in der Luft. Die vielen Fläschchen und Tiegel standen auf dem Frisiertisch. Olivia spielte eine Zeit lang mit ihnen und tat so, als ob sie die Farben und Düfte auflegte, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte.

Eines Tages würde sie auch so hübsch sein wie ihre Mutter. Das sagte man ihr immer wieder. Sie summte vor sich hin, während sie vor dem großen Spiegel hin und her stolzierte und bei der Vorstellung kicherte, sie trüge ein langes weißes Kleid wie eine echte Prinzessin.

Dann wurde ihr das Spiel langweilig, und sie fühlte sich schläfrig, also tapste sie los, um ihre Mutter zu suchen. Als sie sich der Treppe näherte, sah sie, dass unten noch Licht brannte. Die Haustür stand offen, und die Spätsommerbrise wehte um ihr Nachthemd.

Sie fragte sich, ob vielleicht Besuch gekommen war, womöglich gab es noch Kuchen. Leise wie ein Mäuschen schlich sie die Treppe hinunter und presste ihre Hand an die Lippen, um ein Kichern zu unterdrücken.

Und dann hörte sie Dornröschen, die Lieblingsmusik ihrer Mutter.

Hinter der Eingangshalle lag das Wohnzimmer mit den hohen, gewölbten Decken. Eine Seite des Zimmers bestand nur aus Fenstern, sie gaben den Blick auf den Garten frei, den ihre Mutter so liebte. Von der Tür aus sah sie den riesigen, dunkelblauen Kamin und die Fußböden aus reinem, weißem Marmor. Die großen Kristallvasen vermochten die vielen Blumen kaum zu fassen, und die Schirme auf den silbernen Leuchten und Lampen schimmerten wie kostbare Juwelen.

Aber an jenem Abend waren die Vasen zerbrochen, die Scherben auf den Fliesen verstreut, und die eleganten, exotischen Blumen lagen zertrampelt auf dem Boden. Die glänzenden, elfenbeinfarbenen Wände waren mit roter Farbe bespritzt, und die Tische, die das fröhliche Hausmädchen Rosa stets voller Eifer auf Hochglanz polierte, waren umgestürzt.

Ein unangenehmer Geruch stieg Livvy in die Nase, ließ etwas Widerwärtiges in ihrer Kehle aufsteigen, so dass sich ihr Magen zusammenzog.

Die Musik erreichte ihr Crescendo, und die schluchzenden Saiten verklangen.

Auf dem Boden blitzten Glasscherben wie verstreute Diamanten, überall sah sie rote Flecken. Weinend rief Olivia nach ihrer Mutter und betrat den Raum. Und dann sah sie es.

Hinter einer Ecke des großen Sofas lag ihre Mutter auf der Seite, eine Hand ausgestreckt, die Finger gespreizt. Ihr blondes Haar war voller Blut. So viel Blut! Ihr weißer Hausmantel war blutbefleckt und zerrissen.

Olivia wollte schreien, aber aus ihrer Kehle drang kein Laut. Ihre Augen weiteten sich, ihr Herz pochte schmerzhaft gegen ihre Rippen, ein warmes Rinnsal lief ihre Beine hinunter. Aber sie konnte nicht schreien.

Und dann blickte das Monster, das sich über ihre Mutter gebeugt hatte, auf. Seine Hände waren bis zum Handgelenk mit Blut beschmiert, in seinem Gesicht und auf seiner Kleidung glänzten feuchte, rote Spuren. Seine Augen funkelten wie das Glas auf dem Boden.

»Livvy«, sagte ihr Vater. »Mein Gott, Livvy.«

Als er sich erhob, entdeckte sie die silberne, blutverschmierte Schere in seiner Hand.

Sie gab keinen Laut von sich, aber sie rannte los. Das Monster war wirklich gekommen, das Monster verfolgte sie, und sie musste sich verstecken. Sie hörte einen gedehnten, klagenden Laut, wie das Heulen eines sterbenden Waldtiers.

Sie lief zum Wandschrank und versteckte sich unter ihren Kuscheltieren. Dort versteckte sie auch ihre Seele. Wie blind starrte sie auf den Boden, lutschte still an ihrem Daumen und nahm kaum wahr, dass das Monster heulte, nach ihr rief und sie suchte.

Türen knallten wie Gewehrschüsse. Das Monster schluchzte und schrie, polterte durch das Haus und brüllte ihren Namen. Ein wilder Stier mit blutigen Hörnern.

Olivia rollte sich reglos zwischen ihren Puppen zusammen und wartete darauf, dass ihre Mutter sie aus diesem Alptraum wecken würde.

Dort fand Frank Brady sie. Fast hätte er sie unter den vielen Teddybären, Stoffhunden und Puppen übersehen. Sie bewegte sich nicht, lag ganz still. Ihr Haar war von einem blassen, zarten Blond und schimmerte wie Regen auf ihren Schultern. Aus dem bleichen Oval ihres Gesichts starrten ihn riesige, bernsteinfarbene Augen an.

Die Augen ihrer Mutter, dachte er mitleidig. Augen, in die er so oft auf der Leinwand geblickt hatte. Augen, die er noch vor weniger als einer Stunde gesehen hatte, verschleiert und leblos.

Die Augen des Kindes blickten ihn an, sahen durch ihn hindurch. Er erkannte, dass die Kleine unter Schock stand, ging in die Hocke und legte seine Hände auf seine Knie, anstatt sie nach ihr auszustrecken.

»Ich bin Frank.« Er sprach ruhig und schaute ihr dabei in die Augen. »Ich tue dir nichts.« Am liebsten hätte er seinen Partner gerufen oder jemanden von der Spurensicherung, aber das hätte sie nur unnötig erschreckt. »Ich bin Polizist.« Langsam hob er seine Hand und berührte die Polizeimarke an seiner Brusttasche. »Du weißt doch, was ein Polizist tut, nicht wahr, Kleines?«

Sie starrte ihn weiterhin an, aber er glaubte, in ihrem Blick ein Flackern zu entdecken. Sie versteht mich, sagte er sich. Sie kann mich hören. »Wir helfen den Menschen. Ich bin hergekommen, damit ich mich um dich kümmern kann. Sind das deine Puppen?« Er lächelte sie an und griff nach Kermit, dem Frosch. »Den kenne ich. Der ist aus der Sesamstraße. Siehst du dir die im Fernsehen an? Mein Chef ist genauso missmutig wie Oscar. Aber das muss unter uns bleiben.«

Als sie nicht reagierte, zog er nacheinander sämtliche Tiere aus der Sesamstraße hervor und gab seinen Kommentar dazu ab. Kermit ließ er auf sein Knie hüpfen. Die Art, wie sie ihn mit großen, erschreckend ausdruckslosen Augen ansah, ging ihm ans Herz.

»Möchtest du jetzt herauskommen? Zusammen mit Kermit?« Er streckte eine Hand aus und wartete.

Sie hob ihren Arm wie eine Marionette. Als ihre Hände sich schließlich berührten, fiel sie ihm in die Arme und verbarg ihr Gesicht zitternd an seiner Schulter.

Seit zehn Jahren war er nun Polizist, und immer noch gingen ihm solche Situationen zu Herzen.

»So, Kleines, jetzt ist es vorbei. Alles wird gut.« Er streichelte ihr Haar und wiegte sie hin und her.

»Das Monster ist hier«, flüsterte sie.

Frank wurde sich seiner Bewegungen bewusst, hielt sie nach wie vor fest und stand auf. »Es ist fort.«

»Hast du es verjagt?«

»Es ist fort.« Er sah sich im Zimmer um, fand eine Decke und wickelte sie darin ein.

»Ich musste mich verstecken. Er hat mich gesucht. Er hatte Mamas Schere. Ich will zu meiner Mama.«

Gott. Großer Gott, dachte er immer wieder.

Als sie im Korridor Schritte hörte, stieß Olivia einen klagenden Laut aus und klammerte sich fester an Frank. Er murmelte beruhigend auf sie ein und klopfte ihr sanft auf den Rücken, während er sich auf die Tür zu bewegte.

»Frank, da ist noch – oh, du hast sie schon gefunden.« Detective Tracy Harmon betrachtete das kleine Mädchen, das sich an seinen Partner drückte, und fuhr sich durchs Haar.

»Die Nachbarin sagt, es gibt eine Schwester. Jamie Melbourne. Ihr Mann heißt David Melbourne, er ist Musikagent. Sie wohnen nur ungefähr eine Meile entfernt.«

»Wir müssen es ihnen mitteilen. Möchtest du zu deiner Tante Jamie, Schatz?«

»Ist meine Mama bei ihr?«

»Nein, aber ich glaube, sie möchte, dass du zu Tante Jamie gehst.«

»Ich bin müde.«

»Dann schlaf ein Weilchen. Mach einfach deine Augen zu.«

»Hat sie etwas gesehen?«, murmelte Tracy.

»Ja.« Frank streichelte Olivias Haar. Ihre Augenlider wurden schwer. »Ja, ich fürchte, sie hat viel zu viel gesehen. Wir können Gott danken, dass das Schwein zu high war, um sie zu finden. Ruf die Schwester an. Wir sollten das Kind zu ihr bringen, bevor die Presse auftaucht.«

Es kam wieder. Das Monster kam zurück. Sie sah, wie es mit dem Gesicht ihres Vaters und der Schere ihrer Mutter durch das Haus schlich. Blut tropfte in dünnen, glänzenden Schlieren von den Klingen. Mit der Stimme ihres Vaters flüsterte es immer wieder ihren Namen.

Livvy, Livvy, mein Liebling. Komm aus deinem Versteck, dann erzähle ich dir eine Geschichte.

Und die langen scharfen Klingen in seiner Hand schnappten auf und zu, als er sich auf den Wandschrank zu bewegte.

»Nein, Daddy! Nein, nein, nein!«

»Livvy. O Schatz, es ist alles in Ordnung. Ich bin ja hier. Tante Jamie ist bei dir.«

»Lass ihn nicht wiederkommen. Er soll mich nicht finden.« Schluchzend drängte sich Livvy in Jamies Arme.

»Das wird er nicht. Er findet dich nicht, ich verspreche es dir.« Entsetzt presste Jamie ihr Gesicht in den Nacken ihrer Nichte. Im schwachen Licht der Nachttischlampe wiegte sie sich hin und her, bis Olivias Schluchzen endlich nachließ. »Ich passe auf dich auf.«

Sie lehnte ihre Wange an Olivias Stirn und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie unterdrückte das heiße, bittere Schluchzen, das in ihr aufstieg und gegen ihre Kehle presste. Lautlose Tränen rannen über ihre Wangen und tropften auf das Haar des Kindes.

Julie. O Gott, o Gott, Julie.

Sie wollte den Namen ihrer Schwester laut rufen. Ihn hinausbrüllen. Aber sie musste an das Kind denken, das sich in ihren Armen langsam entspannte.

Julie hätte gewollt, dass sie sich um Livvy kümmerte. Gott wusste, dass Julie versucht hatte, das kleine Mädchen zu schützen.

Und jetzt war Julie tot.

Während Olivia in ihren Armen schlief, wiegte Jamie sich weiter, um sich selbst zu beruhigen. Diese wunderschöne, intelligente Frau mit dem kehligen Lachen, dem großen Herzen und dem unglaublichen Talent – ermordet im Alter von nur zweiunddreißig Jahren. Getötet, so hatten die beiden Detectives ihr ernst erklärt, von dem Mann, der behauptet hatte, Jamie bis in den Wahnsinn zu lieben.

Sam Tanner war wahnsinnig, soviel stand fest, dachte Jamie, während sie ihre Hände zu Fäusten ballte. Wahnsinnig vor Eifersucht, vor Drogen und vor Verzweiflung. Nun hatte er das Objekt seiner Besessenheit zerstört.

Aber das Kind würde er nicht anrühren.

Vorsichtig legte Jamie Olivia wieder ins Bett, glättete ihre Decke und berührte das blonde Haar einen Augenblick lang mit ihren Fingerspitzen. Sie dachte an die Nacht, als Olivia geboren wurde, daran, wie Julie zwischen den Wehen gelacht hatte.

Nur Julie MacBride konnte sich über Geburtswehen lustig machen. Sam hatte unglaublich attraktiv und nervös ausgesehen, seine blauen Augen leuchtend vor Aufregung und Besorgnis, sein schwarzes Haar so zerzaust, dass Julie es glattgestrichen hatte, um ihn zu beruhigen.

Dann hatte er das wunderschöne kleine Mädchen zur Trennscheibe gebracht, und in seinen feuchten Augen spiegelten sich Liebe und Erstaunen.

Daran erinnerte sie sich, und sie wusste noch, dass sie ihm durch die Scheibe zugelächelt und gedacht hatte, dass sie einfach perfekt zueinander passten. Alle drei.

So hatte es damals gewirkt.

Sie ging zum Fenster und starrte ins Leere. Julie hatte sich damals gerade auf dem Weg zur Spitze befunden, und Sam war bereits ganz oben angekommen. Sie hatten sich bei Dreharbeiten kennengelernt, sich Hals über Kopf ineinander verliebt, und vier Monate später waren sie verheiratet, begleitet von den schwärmerischen Kommentaren der Presse.

Jamie gab zu, dass sie sich Gedanken gemacht hatte. Alles war so schnell gegangen, so typisch für Hollywood. Aber Julie hatte schon immer genau gewusst, was sie wollte, und sie wollte Sam Tanner. Eine Zeit lang hatte es so ausgesehen, als ob sie bis in alle Ewigkeit glücklich zusammenleben würden, genau wie die Leute in den Gute-Nacht-Geschichten, die Julie ihrer Tochter erzählte.

Aber das Märchen ist zum Alptraum geworden – nur wenige Straßen von meinem Haus entfernt, während ich geschlafen habe, dachte Jamie und presste ihre Augen zusammen, als in ihrer Kehle ein Schluchzen aufstieg.

Das plötzliche Aufblitzen der Scheinwerfer ließ sie zurückschrecken, ihr Herz klopfte schneller. Dann wurde ihr bewusst, dass es David sein musste und eilte ihm entgegen. Als sie die Treppe herunterkam, öffnete er gerade die Tür.

Der hochgewachsene Mann mit den breiten Schultern blieb für einen langen Augenblick stehen, sein dunkelbraunes Haar war ungekämmt, seine blaugrünen Augen blickten müde und erschrocken. Sie hatte sich immer auf seine Stärke verlassen, auf seine Stärke und Stabilität. Jetzt sah er mitgenommen und völlig erschüttert aus, sein normalerweise dunkler Teint wirkte fahl, ein Muskel zuckte in seinem festen, breiten Unterkiefer.

»O Jamie. O Gott.« Seine Stimme versagte, und irgendwie machte das alles noch schlimmer. »Ich brauche einen Drink.« Er drehte sich um und ging unsicher in den vorderen Salon.

Sie musste sich am Geländer festhalten, bevor sie ihren Beinen befehlen konnte, sich in Bewegung zu setzen und ihm zu folgen. »David?«

»Ich brauche einen Moment.« Seine Hände zitterten, während er eine Karaffe nahm und sich daraus Whisky einschenkte. Er stützte eine Hand auf das Sideboard, hob das Glas mit der anderen und kippte den Inhalt wie Medizin hinunter. »Gott, was hat er ihr angetan!«

»O David.« Ihre Stimme brach. Seit die Polizei an ihre Tür geklopft hatte, hatte sie sich zur Beherrschung gezwungen, jetzt sank sie weinend auf den Boden.

»Es tut mir leid, es tut mir leid.« Er lief zu ihr und nahm sie in die Arme. »O Jamie, es tut mir so leid.«

Sie saßen auf dem Fußboden. Langsam brach der Tag an. Jamie schluchzte in harten, gequälten Schüben.

Die Schübe wurden zu Seufzern, sie seufzte den Namen ihrer Schwester, dann verstummten auch die Seufzer.

»Ich bringe dich nach oben, du solltest dich ausruhen.«

»Nein, nein, nein.« Die Tränen hatten ihr geholfen, zumindest redete Jamie sich das ein, obwohl sie sich leer und ausgebrannt fühlte. »Livvy könnte aufwachen. Sie braucht mich. Es geht mir gut, es muss mir gutgehen.«

Sie lehnte sich zurück und rieb ihr Gesicht, um die Tränen fortzuwischen. Ihr Kopf pochte wie eine Wunde, ihr Magen hatte sich zusammengekrampft. Aber sie stand auf. »Du musst es mir erzählen. Du musst mir alles erzählen.« Als er den Kopf schüttelte, reckte sie ihr Kinn. »Ich muss es wissen, David.«

Er zögerte. Sie sah so erschöpft aus, so blass und zerbrechlich. Während Julie groß und gertenschlank gewesen war, war Jamie klein und zierlich. Beide wirkten zerbrechlich, aber er wusste, dass dieser Eindruck täuschte. Er hatte oft Witze darüber gemacht, dass die MacBride-Schwestern hart im Nehmen wären, dazu geboren, Berge zu erklimmen und Wälder zu durchqueren.

»Lass uns Kaffee kochen. Dann erzähle ich dir, was ich weiß.«

Wie ihre Schwester bestand Jamie darauf, dass das Personal nicht im Haus wohnte. Es war schließlich ihr Heim, und sie war nicht bereit, ihre Privatsphäre zu opfern. Das Hausmädchen kam erst in zwei Stunden, also kochte sie den Kaffee selbst, während David an der Frühstücksbar saß und aus dem Fenster starrte.

Sie sprachen nicht. Im Kopf bedachte sie hastig die Aufgaben, die sie im Laufe des Tages erledigen musste. Zunächst der Anruf bei ihren Eltern. Dann mussten die Beerdigungsformalitäten erledigt werden – und zwar vorsichtig, um so viel Würde und Privatsphäre wie möglich zu wahren. Die Presse würde geifern. Sie musste dafür sorgen, dass der Fernseher ausgeschaltet blieb, solange Olivia im Haus war.

Jamie stellte die zwei Kaffeetassen auf die Bar und setzte sich. »Fang an.«

»Ich weiß auch nicht viel mehr als das, was uns Detective Brady schon gesagt hat«, setzte David an. »Die Tür wurde nicht aufgebrochen. Sie ließ ihn herein. Sie hatte sich, äh, schon zum Schlafen umgezogen, war aber noch nicht im Bett gewesen. Anscheinend war sie im Wohnzimmer mit ihren Zeitungsausschnitten beschäftigt. Du weißt, dass sie euren Eltern immer Ausschnitte schickte.«

Er rieb sich das Gesicht und hob seine Tasse. »Sie müssen sich gestritten haben. Es gibt Anzeichen für einen Kampf. Er hat die Schere gegen sie gerichtet.« Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen. »Jamie, er muss den Verstand verloren haben.«

David sah sie an und hielt ihren Blick fest. Als er die Hand ausstreckte, griff sie nach seinen Fingern. »Hat er – war es schnell vorbei?«

»Ich weiß nicht – ich habe noch nie – er ist einfach durchgedreht.« Einen Moment lang senkte er die Lider. Sie würde es doch erfahren. Es würde durchsickern, die Medien würden alle möglichen Lügen und Wahrheiten verbreiten. »Jamie war … er hat immer wieder auf sie eingestochen und ihr die Kehle aufgeschlitzt.«

Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, aber ihre Hand blieb fest in seiner. »Sie hat sich gewehrt. Sie muss sich gewehrt haben. Sie muss ihn verletzt haben!«

»Ich weiß es nicht. Es wurde eine Autopsie angeordnet. Danach wissen wir mehr. Sie gehen davon aus, dass Olivia zugesehen, etwas mitbekommen und sich dann versteckt hat.« Er nahm einen Schluck Kaffee in der schwachen Hoffnung, dass er seinen nervösen Magen damit beruhigen würde. »Sie wollen mit ihr sprechen.«

»Das können sie ihr nicht antun.« Diesmal zuckte sie zurück, ließ seine Hand los. »Sie ist noch so klein, David. Ich lasse nicht zu, dass sie das durchmachen muss. Sie wissen, wie er es getan hat«, sagte sie zornig. »Ich erlaube nicht, dass die Tochter meiner Schwester von der Polizei verhört wird.«

David stieß einen langen Atemzug aus. »Er behauptet, dass er Julie so gefunden hat. Dass sie schon tot war, als er sie fand.«

»Er lügt.« Ihre Augen loderten, und ihr hartes, leidenschaftliches Gesicht bekam wieder Farbe. »Das Schwein! Er soll sterben. Ich würde ihn am liebsten selbst töten! Im letzten Jahr hat er ihr Leben zerstört, und jetzt hat er sie ermordet. In der Hölle zu schmoren ist noch zu gut für ihn.«

Sie wirbelte herum, wollte auf etwas einschlagen, etwas in Fetzen reißen. Doch sie hielt abrupt inne, als sie Olivia mit großen Augen in der Tür stehen sah.

»Livvy!«

»Wo ist meine Mama?« Ihre Unterlippe zitterte. »Ich will zu meiner Mama.«

»Livvy …« Während sich ihre Wut zunächst in Schmerz und dann in Hilflosigkeit verwandelte, beugte Jamie sich hinunter und nahm das Mädchen auf den Arm.

»Das Monster ist gekommen und hat Mama wehgetan. Geht es ihr jetzt besser?«

Über Olivias Kopf sah Jamie verzweifelt zu ihrem Mann. Er streckte eine Hand aus, sie trat zu ihm, und alle drei hielten einander umschlungen.

»Deine Mutter musste fortgehen, Livvy.« Jamie schloss die Augen und drückte einen Kuss auf Olivias Kopf. »Sie wollte es nicht, aber sie musste.«

»Kommt sie bald zurück?«

Jamies Brust hob sich wie eine Welle, die gegen einen Felsen bricht. »Nein, Liebling. Sie kommt nicht zurück.«

»Sie kommt doch immer zurück!«

»Diesmal kann sie nicht zurückkommen. Sie musste in den Himmel fliegen und ist jetzt ein Engel.«

Olivia kniff die Augen zusammen. »Wie im Film?«

Als ihre Beine zu zittern begannen, setzte Jamie sich und zog ihre Nichte an sich. »Nein, Liebling, diesmal ist es nicht wie im Film.«

»Das Monster hat ihr wehgetan, da bin ich weggelaufen. Deshalb kommt sie nicht zurück. Sie ist böse auf mich.«

»Nein, Livvy, das ist sie nicht.« Sie betete um eine Eingebung, lehnte sich zurück und nahm Olivias Gesicht in beide Hände. »Sie wollte, dass du fortläufst. Sie wollte, dass du ein kluges Mädchen bist und wegläufst und dich versteckst. Damit du in Sicherheit bist. Das wollte sie mehr als alles andere. Wenn du das nicht getan hättest, wäre sie jetzt sehr traurig.«

»Dann kommt sie morgen zurück.« Morgen war für Olivia ein Begriff, unter dem sie später, ein andermal, bald verstand.

»Livvy.« David nickte seiner Frau zu und nahm das kleine Mädchen auf den Schoß. Erleichtert bemerkte er, dass es seinen Kopf an seine Schulter legte und seufzte. »Sie kann nicht zurückkommen, aber sie beobachtet dich vom Himmel aus.«

»Ich will nicht, dass sie im Himmel ist!« Jetzt schluchzte Livvy sanft. »Ich will nach Hause zu meiner Mama.«

Als Jamie den Arm nach ihr ausstreckte, schüttelte David den Kopf. »Sie soll sich ruhig ausweinen«, murmelte er.

Jamie presste die Lippen zusammen und nickte. Dann stand sie auf, ging ins Schlafzimmer und rief ihre Eltern an.

Zweites Kapitel

Die Presse lauerte wie ein Rudel Wölfe, das Blut witterte. Zumindest empfand Jamie es so, während sie sich mit ihrer Familie hinter geschlossenen Türen verbarrikadierte. Gerechterweise musste sie allerdings zugeben, dass sich zahlreiche Reporter schockiert und erschüttert zeigten und über die Angelegenheit mit so viel Takt berichteten, wie die Umstände es erlaubten.

Julie MacBride war beliebt gewesen – begehrt, bewundert und beneidet, aber in erster Linie beliebt.

Doch Jamie stand der Sinn im Augenblick nicht nach Gerechtigkeit. Nicht, wenn sie daran dachte, dass Olivia wie eine Puppe im Gästezimmer saß oder so zart und blass wie ein Geist die Treppe herunterkam. Reichte es denn nicht, dass dieses Mädchen seine Mutter auf so grausame Weise verloren hatte? War es denn nicht genug, dass Jamie selbst plötzlich ohne ihre Schwester, ihren Zwilling, ihre engste Vertraute zurechtkommen musste?

Doch inzwischen lebte sie seit acht Jahren in der Glitzerwelt von Hollywood mit ihren verführerischen Schatten. Und so wusste sie, dass es nie genug war.

Julie MacBride hatte im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden, als Symbol für Schönheit, Talent, Sex, ein Mädchen vom Lande, das sich zu einer glamourösen Filmprinzessin gemausert, den amtierenden Prinzen geheiratet und mit ihm in ihrem Hochglanzschloss in Beverly Hills gelebt hatte.

Die Menschen, die ihr Eintrittsgeld an der Kinokasse bezahlt, die Artikel in People oder die Tratschereien der Regenbogenpresse verschlungen hatten, betrachteten sie als ihr Eigentum. Julie MacBride mit dem stets auf Abruf bereiten, strahlenden Lächeln und der kehligen Stimme.

Aber sie hatten sie nicht gekannt. Vielleicht hatten sie geglaubt , sie aus den Interviews, Reportagen und Porträts zu kennen. Sicherlich hatte Julie die meisten Fragen offen und ehrlich beantwortet. Das war ihre Art, und sie hatte ihren Erfolg nie als selbstverständlich hingenommen. Sie hatte ihn genossen und sich immer wieder aufs Neue darüber gefreut. Doch gleichgültig, wie viel Druckerschwärze, Tonband und Zelluloid der Schauspielerin gewidmet wurde, die Frau in ihr hatten sie nie wirklich verstanden: ihren Sinn für Humor und Verrücktheiten, ihre Liebe zum Wald und zu den Bergen, in denen sie aufgewachsen war, ihre absolute Loyalität ihrer Familie und ihre unerschütterliche Liebe und Hingabe ihrer Tochter gegenüber. Und ihre tragische und unsterbliche Liebe zu dem Mann, der sie schließlich getötet hatte.

Das war es, was Jamie am wenigsten begreifen konnte. Sie hat ihn ins Haus gelassen, dachte sie immer wieder. Ganz zuletzt hatte sie auf ihr Herz gehört und dem Mann, den sie liebte, die Tür geöffnet, obwohl sie wusste, dass es diesen Mann im Grunde nicht mehr gab.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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