Sand Castle Ruins - The Boys of Sunset High - Vivien Summer - E-Book

Sand Castle Ruins - The Boys of Sunset High E-Book

Vivien Summer

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Beschreibung

Er balancierte am Abgrund. Sie war sein einziger Halt - bis er sie beide in die Tiefe stürzte

Nie wieder wird sie Connor Quinn in ihr Leben lassen - das hat Kit sich geschworen, als ihr ehemals bester Freund ihr vor vier Jahren das Herz brach und ihrer Heimatstadt ohne ein Wort des Abschieds den Rücken kehrte. Doch jetzt ist er zurück an der Westside University - zurück in den Ruinen ihrer Vergangenheit. Und als Kit plötzlich auf seine Hilfe angewiesen ist, verlangt Connor im Gegenzug das Unmögliche von ihr: Um zu beweisen, dass er bereit ist, das Erbe seines millionenschweren Familienunternehmens anzutreten, soll Kit seine Freundin spielen. Dass sie sich dabei so nahekommen wie nie zuvor, war allerdings nicht Teil des Deals ...

"SAND CASTLE RUINS ist eins von diesen Büchern, die man nicht mehr aus der Hand legen kann. Spannend, emotional und absolut zum Verlieben - macht euch bereit für die heißesten Bookboys des Jahres!" ANNA SAVAS

Band 1 der THE-BOYS-OF-SUNSET-HIGH-Reihe von Vivien Summer

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Seitenzahl: 670

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Motto

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Vivien Summer bei LYX

Impressum

VIVIEN SUMMER

Sand Castle Ruins

Roman

ZU DIESEM BUCH

Connor Quinn ist es gewohnt, dass ihm als Erbe des millionenschweren Familienunternehmens Silver Horizons die Welt zu Füßen liegt – nur seine ehemals beste Freundin Kit würde eher den Teufel tun, als jemals wieder ein Wort mit ihm zu wechseln. Vier Jahre sind vergangen, seit er ihr das Herz brach und ohne Erklärung aus Solane verschwand. Doch jetzt studiert er an der Westside University – und ist damit zurück in Kits Leben. Sie geht ihm aus dem Weg, wo sie nur kann, aber schneller als ihr lieb ist, hat Connor die Stadt wieder für sich in Besitz genommen und begegnet ihr überall. Als Kit plötzlich ausgerechnet seine Hilfe braucht, verlangt Connor im Gegenzug das Unmögliche von ihr: Um den Vorstand von Silver Horizons davon zu überzeugen, dass er die nötige Reife besitzt, das Erbe seines Vaters anzutreten und die Geschäfte der Firma zu übernehmen, soll Kit seine Freundin spielen. Dass die beiden sich dabei in den Ruinen ihrer Vergangenheit wieder so nahekommen wie nie zuvor, war allerdings nicht Teil des Deals …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr auf hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Vivien und euer LYX-Verlag

Für Anna und Michelle.

PLAYLIST

Theme Song

Just Pretend – Bad Omens

You and I – PVRIS

Bad Habits – Nerv

Cross – Echos

Church – Chase Atlantic

OHMAMI – Chase Atlantic

Okay – Chase Atlantic

Bad Things – I Prevail

Self-Destruction – I Prevail

DiE4u – Bring Me The Horizon

sTraNgeRs – Bring Me The Horizon

maybe – Machine Gun Kelly, Bring Me The Horizon

Bad Life – Sigrid, Bring Me The Horizon

last november – Machine Gun Kelly

TELL ME ABOUT TOMORROW – jxdn

Pray – jxdn

THE DEATH OF PEACE OF MIND – Bad Omens

lovebomb – Nessa Barrett

Dead Inside – Future Palace

Can You Hold Me – NF, Britt Nicole

Shut Up and Listen – Nicholas Bonnin, Angelicca

Goosebumps (TBT Version) – JVLA

Can’t Force The Love – Siamese

Even when our sand castle caved in

With thousand broken promises left in stone

You’ll always be my favorite sin

And I’ll be your forever throne.

Maybe we were doomed

Two halves of an open wound

But, baby – listen to the unseen

the demons in our ruin whispering

»Long live the Devil and his queen.«

PROLOG

KIT

Vergangenheit

8 Jahre alt

Du darfst nicht lügen.

Du darfst nicht lügen.

Du darfst niemals lügen.

»Sie lügt!« Daddy warf beide Hände in die Luft und lief in der Küche auf und ab. »Sie ist ein Kind, Sharon. Ein verdammtes Kind. Sie weiß überhaupt nicht, was sie gesehen hat. Ich würde niemals –«

»Willst du mich verarschen, Jimmy?!«, unterbrach Mom ihn so laut, dass ich hinter dem Treppengeländer zusammenzuckte und mich instinktiv kleiner machte. »Das ist alles, was dir dazu einfällt? Zu behaupten, unsere Tochter lügt?« Ihre Stimme brach weg, und obwohl ich sie nicht sehen konnte, hörte ich, dass sie weinte. Das tat sie schon, seit sie angefangen hatten, sich zu streiten.

Meinetwegen.

Ich war schuld daran, dass meine Eltern sich schon seit Minuten anschrien, und fühlte mich unendlich schlecht.

Ich wollte nicht, dass sie sich stritten.

Mein Vater ließ frustriert seine Arme sinken; er stand hinter dem Küchentisch. »Du kennst ihre blühende Fantasie. Vielleicht hat sie sich das nur ausgedacht, weil ich in letzter Zeit nicht so viel zu Hause war, und das tut mir leid. Ich werde das ändern und öfter da sein«, fuhr Dad fort, atmete tief aus und schloss dabei die Augen. »Aber, bitte, Sharon, Babe, ich würde dir das niemals antun. Ich liebe dich. Ich liebe unsere Kinder. Ich würde das für nichts auf der Welt –«

»Ach ja? Dann solltest du dir das vielleicht mal ansehen.« Mom drückte ihm kräftig die Kamera gegen die Brust, die auf dem Küchentisch gelegen hatte.

Es war meine Kamera. Die, die ich von Daddy zum Geburtstag bekommen hatte und mit der ich seitdem herumlief, als wäre sie ein zusätzliches Körperteil.

»Danach kannst du mir gerne erklären, was davon genau sich unsere Tochter ausgedacht haben soll.«

Mom wartete darauf, dass Dad das Video abspielte, das ich aus Versehen aufgenommen hatte, als ich mit meinem kleinen Bruder um die Wette durchs Haus gerannt war, aber das tat er nicht. Stattdessen hielt er die Kamera einfach nur in der Hand, starrte erst sie und dann wieder Mom an, während es unerträglich still wurde.

In meinem Bauch formte sich ein dicker, schwerer Klumpen. Meine Unterlippe fing an zu zittern, und ich wünschte mir mit jeder Sekunde mehr, die Zeit zurückdrehen zu können. Niemals in Daddys Büro geplatzt zu sein, das sich im Anbau unseres Hauses befand und in dem er immer seine Fotoshootings machte. Und niemals, niemals gesehen zu haben, was meine Kamera aufgenommen hatte.

»Sag Mommy nichts, okay, Kitty? Das bleibt unser kleines Geheimnis«, hatte er gestern zu mir gesagt, danach, und vielleicht war das ja der Grund, wieso er jetzt böse auf mich war. Weil er dachte, dass ich mein Versprechen gebrochen und Mom alles gesagt hatte.

Aber das hatte ich nicht. Hätte ich nie getan.

»Sharon, ich … ich weiß nicht, was …«, hörte ich Dad schließlich sagen, leiser und auch nicht mehr so wütend wie zuvor. Nur müde. Traurig. »Es hat nichts bedeutet … es … es war ein dummer Fehler, das musst du mir glauben …«

»Dir glauben?! Du hast mir gerade ins Gesicht gelogen und behauptet, unsere Tochter hätte sich das alles nur ausgedacht!«, zischte Mom, und jedes einzelne Wort fühlte sich wie ein kleiner Stich in meiner Brust an. »Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast. In unseremHaus – als die Kinderda waren. Mit dieser … dieser …« Sie brach ab und fing heftig an zu schluchzen.

Ich konnte nicht verstehen, was Dad antwortete, aber irgendwie wollte ich das auch nicht. Alles in meinem Körper fing an zu brennen, Tränen schossen mir in die Augen, sodass ich kaum noch etwas sehen konnte. Und bevor ich wusste, was ich tat, lief ich die Stufen runter und verschwand durch die Haustür nach draußen.

Ich rannte bis zum Spielplatz, auf dem meine beiden Brüder mit Freunden Ball spielten, blieb jedoch hinter dem hohen Zaun stehen und klammerte meine Hände daran fest. Als ich Jackson und Logan aus der Ferne lachen hörte, brachte ich nichts raus, konnte sie nicht rufen.

Was, wenn sie mich auch hassen würden, wenn sie von der Frau und meinem Video erfuhren? Wenn sie mir die Schuld geben würden, wenn Mom und Dad sich trennten?

Allein die Vorstellung ließ mich so unkontrolliert weinen, dass ich damit die Aufmerksamkeit mehrerer Mütter erregte, die mit großen Sonnenbrillen auf der Bank saßen. Sie musterten mich besorgt. Bevor eine davon aufstehen konnte, drehte ich mich einfach um und rannte ziellos weiter.

Ich wusste nicht wohin, wollte nicht zurück nach Hause und mich einfach nur verstecken. Irgendwo dort, wo mich niemand finden würde.

Als ich an unserer Kirche vorbeikam, lief ich die Stufen hoch und stieß die schwere Holztür auf. Meine Schritte und Schluchzer waren das einzige Geräusch, das von den hohen Wänden des einsamen Kirchensaals widerhallte, während ich an den leeren Bänken vorbeilief. Als ich den hohen Beichtstuhl aus dunklem Holz erreichte, riss ich den Vorhang auf und zog ihn hektisch hinter mir wieder zu.

Ich warf mich auf den Sitz, kauerte mich darauf zusammen und weinte, weinte und weinte. Ich hatte das Gefühl, mir die Augen auszuweinen, als würde mein Kopf jeden Moment platzen und ich keine Luft mehr bekommen.

»Alles okay?«

Als plötzlich eine Stimme neben mir ertönte, gab ich einen erschrockenen Laut von mir und spürte, wie mein Herz in meiner Brust hüpfte.

»Wer ist da?« Ich wischte mir mit meiner Hand unter meiner laufenden Nase entlang und entdeckte einen Schatten auf der anderen Seite des blickdichten Gitters sitzen.

Es war nicht der Pater, dafür klang seine Stimme viel zu jung, und er schien außerdem nur ein bisschen größer zu sein als ich. Ich konnte gerade mal die Umrisse seines Kopfes erkennen, der aussah, als würde er eine Baseballkappe tragen.

»Ist das wichtig? Ist so ein Beichtstuhl nicht dafür da, nicht zu wissen, wer man ist?«

Ich schniefte. »Stimmt. Aber du bist kein Priester. Also weiß ich nicht, ob das dann zählt.«

»Such’s dir aus. Wir können das Sichtgitter aufmachen, wenn’s dir lieber ist. Oder auch zulassen.«

»Lieber zulassen.«

»Okay. Also … willst du darüber reden, wieso du weinst?«

Kopfschüttelnd wischte mir ein weiteres Mal unter der Nase entlang. Ich wollte diesem Jungen nicht sagen, was passiert war, aber … er konnte mich nicht sehen, also wusste er auch nicht, wer ich war, oder?

Bevor ich es verhindern konnte, sprudelten die Wörter nur so aus mir heraus. Ich fing dabei wieder an zu weinen. Ich schlang meine Arme um mich selbst, während ich erzählte, und verstand manchmal selbst nicht, was ich überhaupt sagte.

Als ich fertig war, war es eine Weile still, und ich dachte schon, dass er vielleicht genauso glauben könnte, dass es meine Schuld war, als er sagte: »Was für ein Bullshit.«

Mir klappte erschrocken der Mund auf. »Was?«

Hatte er gerade geflucht?

In der Kirche?

»B-U-L-L-Shit«, wiederholte er noch mal und schnaubte laut. »Wenn einer schuld ist, dann dein Dad und nicht du. Deine Eltern streiten sich nicht, weil du deiner Mom das Video gezeigt hast. Sie streiten sich, weil dein Dad etwas getan hat, das deine Mom verletzt hat.«

»Verletzt? Er hat ihr nicht wehgetan.«

»Nein, ich meine …, na ja, ihr Herz, verstehst du?«

Als er das sagte, drückte ich meine Hand auf meine Brust. Mein Herz tat auch weh. »Ich glaube schon …«

»Und damit hast du nichts zu tun. Wenn es nicht durch dein Video rausgekommen wäre, wäre es auf eine andere Weise passiert. Das ist immer so, mit der Wahrheit. Und vielleicht hätte es deine Mom dann noch mehr verletzt. Es ist also nicht deine Schuld.«

Ich fühlte mich trotzdem schuldig, schwieg jedoch und schniefte wieder nur.

Vielleicht hatte der Junge ja recht …

»Damit hast du also keine Sünde begangen und kommst dafür nicht in die Hölle.«

Überrascht stieß ich ein halbes Lachen aus. »Oh, gut. Ich möchte nicht in die Hölle. Mom sagt immer, der Teufel ist keine gute Gesellschaft.«

Als er daraufhin nicht sofort antwortete, sah ich das erste Mal wieder zum Gitter und fragte mich, ob ich ihn vielleicht doch kannte. Ich hatte seinen Akzent schon mal gehört, aber ein kalifornischer war es nicht.

»Glaubst du daran?«

»An den Teufel?«, hakte ich mit gerunzelter Stirn nach und nickte. »Auf jeden Fall.«

»Nein, ich meine, dass er keine gute Gesellschaft ist.«

Ich dachte kurz darüber nach und zog meine Nase hoch. »Mom sagt, er ist der Böse, also … ich denke schon, dass ich das glaube. Außerdem sagt die Bibel das auch.«

»Stimmt, aber darin steht auch, dass er ein gefallener Engel ist. Er hat gegen Gott rebelliert und wurde dafür in die Hölle geworfen«, erwiderte der Junge leichthin. »Ich schätze, davor war er vielleicht ganz in Ordnung.«

Ich musste wieder lachen. »Ja, vielleicht. Und was ist mit dir? Warum bist du hier? Hast du auch geweint?«

Er machte ein leises, amüsiertes Geräusch. »Nee. Ich versteck mich hier vor meinen Eltern.«

»Streiten die sich auch?«

»Schön wär’s. Die sind eher von der peinlichen Happy-Family-Sorte. Du weißt schon. Sie tanzen ständig am Kamin, mein Dad kauft meiner Mom jedes Jahr zum Hochzeitstag einen Stern, und wenn er könnte, würde er wahrscheinlich noch den Boden küssen, auf dem sie geht.«

Ich erwischte mich dabei, wie ich leise kicherte. »Das klingt echt peinlich. Aber ziemlich cool mit den Sternen. Ich hätte auch gern mal einen. Ich mag Sterne. Und das Weltall.« Ich sah an mir runter und strich mit einer Hand über das dunkelblaue Kleid, das ich trug. Darauf waren weiße Sterne.

Die hatte ich schon immer faszinierend gefunden.

»Den Mond mag ich am liebsten«, erzählte ich ihm, keine Ahnung, wieso eigentlich. Ein bisschen war ich froh darüber, über etwas anderes zu reden als über das, was gerade passiert war. »Ich mag’s, dass er sich verändert, und mal da ist und mal nicht. Aber ist ja auch egal. Wieso versteckst du dich denn hier vor deinen Eltern?«

»Mein Grandpa ist gestorben.«

»Oh«, machte ich leise. »Das tut mir leid.«

»Muss es nicht, er war ein Arschloch.«

Wieder sah ich erschrocken durch das Sichtgitter. »Du kannst doch nicht in der Kirche fluchen! Oder so etwas über dein Grandpa sagen.«

»Wieso nicht? Es ist die Wahrheit, und man soll ja nicht lügen, oder?«

Niemals.

Froh darüber, dass er das genauso sah wie ich, wollte ich ihn gerade fragen, ob er gar nicht traurig war, als ich jemanden rufen hörte.

»Connor! Cooooooonnor!« Es war die Stimme eines anderen Jungen. »Connor, bist du hier?«

Er stöhnte genervt. »Nerv nicht, Ash.«

»Ah, da bist du ja. Mom und Dad suchen dich schon die ganze Zeit. Wir müssen langsam zum Flughafen. Kommst du raus?«, fragte er fröhlich und zog dabei einen Vorhang auf. Allerdings nicht den von dem Jungen, den er Connor genannt hatte, sondern meinen.

Erschrocken fuhr ich zusammen und sah plötzlich in das Gesicht eines dünnen, kleinen Jungen, der ungefähr so alt sein musste wie ich. Er hatte dunkelbraune Haare, die ihm wild ins Gesicht fielen, und große grüne Augen. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen, doch sobald er erkannte, dass ich nicht Connor war, fielen seine Mundwinkel nach unten.

»Kit?«

Überrascht formten meine Lippen ein kleines O. »Asher?«

Ich kannte ihn. Genauer gesagt, hatten wir uns erst vor ein paar Wochen im Sommercamp gesehen, in das ich immer mit meinem älteren Bruder Jackson fuhr. Asher war cool, vor allem, weil er viel über das Weltall wusste und mir sein Buch über das Sonnensystem geschenkt hatte.

The Beautiful Secrets Of The Milky Way.

Ich hatte es immer noch und las jeden Tag darin.

»Wieso hast du denn geweint? War mein Bruder gemein zu dir? Wenn ja, dann vermöbel ich ihn«, sagte er und hob mit einer übertriebenen Geste die Faust.

»Halt die Klappe, Squarehead.« Plötzlich tauchte Connor neben Asher auf und stieß ihn neckisch an der Schulter weg. Ash grinste ihn an und ich … ich spürte, wie ich rot wurde.

Connor war Ashers älterer Bruder und auch im Sommercamp gewesen. Allerdings hatte er nie mit uns gespielt, sondern immer nur mit drei älteren Jungen, die alle mindestens zehn oder elf sein mussten. Connor war ein Stück größer als Ash, trug eine dunkle Jeans mit Rissen an den Knien und ein schwarzes Trikot der New York Rangers, das ihm locker von den schmächtigen Schultern hing. Seine dunkelbraunen Haare lugten unter den Rändern seiner verkehrt herum aufgesetzten schwarzen Baseballkappe hervor, und während ich mich noch darüber wunderte, dass er so was in der Kirche trug, musterte er mich und mein Sternenkleid mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, die so leuchtend grün waren wie Palmenblätter.

Meine Wangen glühten inzwischen wie Herdplatten; so sehr, dass man darauf ein Spiegelei hätte braten können.

»Jungs!«

Connors und Ashers Köpfe fuhren herum, als ein Mann nach ihnen rief.

»Was macht ihr denn da? Wir müssen los, also beeilt euch.«

»Einen Moment noch, Dad!«, rief Ash durch die Kirche zurück, Connor rollte mit den Augen. »Sollen wir dich nach Hause bringen? Ich kann Dad fragen, ob –«

»Nein, schon gut, danke. Ich wohne nicht weit weg, und ich glaube, ich bleibe noch ein bisschen hier«, sagte ich schnell und lächelte ihn dankbar an.

Ash lächelte zurück. »Na gut. Dann bis nächsten Sommer, und pass gut auf mein Buch auf, okay?«, nahm er mir noch mal das Versprechen ab, das ich ihm schon vor Wochen gegeben hatte, und ich nickte.

»Mach ich. Habt einen schönen Flug nach Hause und bis nächsten Sommer«, verabschiedete ich mich und winkte ihnen zu. Connor und Asher wohnten in New York, aber Asher hatte mir erzählt, dass sie jeden Sommer hierher nach Kalifornien kamen, weil der Großteil ihrer Verwandten hier lebte.

Mein Blick glitt noch einmal zu Connor, der mich mit seinen Augen stumm fragte, ob wieder alles gut war.

Als ich daraufhin lächelte, lächelte er zurück und verschwand dann mit seinem Bruder in Richtung Ausgang.

Ich ließ sofort meine Schultern sinken. Es ging mir zwar besser, aber ich wollte trotzdem noch nicht nach Hause.

»Geh schon mal, ich komm gleich«, hörte ich Connor noch mal sagen. Dann Schritte, die näher kamen.

Fragend sah ich hoch, als er wieder vor mir auftauchte und eine Hand nach mir ausstreckte.

»Gib mir mal deinen Arm.«

Ohne zu fragen, wieso, tat ich es einfach. Er griff mit einer Hand danach und zog mit der anderen einen schwarzen Filzstift aus seiner Hosentasche. Mit den Zähnen löste er die Kappe und malte mir eine kleine Sonne aufs Handgelenk.

Als er damit fertig war, ließ er meinen Arm wieder los. »Du hast gesagt, du magst am liebsten den Mond«, meinte er und lächelte, dieses Mal aber nur mit einem Mundwinkel, und warum auch immer hüpfte mein Herz dabei. »Ich mag die Sonne lieber.«

Damit ging er und kam nicht noch mal zurück.

Eine Weile saß ich einfach nur da, sah die Sonne auf meinem Handgelenk an und fühlte mich damit später auf dem Nachhauseweg, als hätte er mir einen Mutmacher dagelassen.

Eine kleine Erinnerung daran, dass es nicht meine Schuld war und ich nichts falsch gemacht hatte.

Damit ich es nicht vergaß.

Ich hielt mich daran fest, als ich nervös unser Haus betrat und es vollkommen still war. Weder meine Eltern noch meine Geschwister schienen da zu sein. Ich rief nach ihnen, bekam aber keine Antwort.

In der Küche fand ich schließlich meine Kamera.

Sie lag auf den Fliesen. Das Objektiv war zerbrochen, das Display von mehreren Rissen durchzogen.

Mir schossen sofort wieder die Tränen in die Augen, und ich drückte mir mein Handgelenk mit der Sonne an die Brust.

Es ist nicht meine Schuld.

Nicht meine Schuld.

Nicht meine Schuld.

Doch nach diesem Tag sollte meine Kamera nicht das Einzige sein, von dem nur noch Scherben übrig blieben.

Nach diesem Tag war nichts mehr, wie es mal war.

CONNOR

Vergangenheit

Sechs Jahre später, 16 Jahre alt

Traurige Bestätigung: Forbes World’s Billionaire Stephen Quinn († 37) erliegt schweren Verletzungen

New York City – Nach den tragischen Ereignissen am vergangenen Freitag und dem bereits bestätigten Tod seines Sohnes Asher Quinn († 14) (wir berichteten) erlag nun auch der erfolgreiche Selfmade-Millionär und Silver-Horizons-CEO Stephen Quinn heute Nacht seinen schweren Verletzungen. Er hinterlässt seine Frau Rebecca Quinn (36) und seinen Sohn Connor Quinn (16). Die Beisetzung wird im privaten Rahmen der Familie in Solane, Los Angeles County, Kalifornien stattfinden. Ein genaues Datum ist noch nicht bekannt.

Die Familie bittet um Privatsphäre in dieser schweren Zeit und dankt für die zahlreiche Anteilnahme.

Die Ermittlungen des NYPDs dauern weiterhin an.

1

KIT

Gegenwart

Kit, 21 – Connor, 24

Optimismus war ein Konzept, das ich nie verstehen würde. Nicht nur, weil es noch weniger in mein Leben passte als ein All-Inclusive-Fünf-Sterne-Trip auf die Bahamas, sondern auch, weil ich nicht verstehen konnte, wie es funktionierte.

Ehrlich, ich bewunderte jeden, der auf alles ein bisschen Glitzer streuen konnte und über die Enttäuschung hinwegkam, die unweigerlich eintreffen würde – aber ich war kein besonders großer Fan davon.

Von Enttäuschungen.

»Himmel, du ziehst ein Gesicht, als wäre man dir über’n Fuß gefahren«, stellte meine beste Freundin Lana mit einem Drink in der Hand fest, während sie neben mir an der Bar zum Song mitwippte, der im Six Six – einem angesagten Club in der Nähe der Strandpromenade – über die tanzende Menge dröhnte.

Eigentlich hätte ich heute gar nicht mehr die Zeit, geschweige denn die Lust gehabt, auszugehen, aber Lana etwas auszuschlagen, wenn man die Hälfte der Verabredungen regelmäßig absagen musste, war nicht besonders leicht. Also hatte ich mich von ihr überreden lassen, meine »neue, schillernde Zukunft« zu feiern und wenigstens mal für ein paar Stunden zu vergessen, dass zu Hause eine Menge Arbeit liegen geblieben war.

»Jetzt freu dich doch endlich mal!« Sie stupste mich mit ihrer Hüfte an und schob den Sex On The Beach, den ich in der Hand hielt, näher an meinen Mund. »Und trink! Wer weiß, wann du das nächste Mal dafür Zeit hast, wenn du bald in Lernstoff versinkst.«

Ich rollte mit den Augen, zog aber ihr zuliebe an meinem Strohhalm und trank. Okay, auch mir zuliebe.

Es war nur … einfach komisch, sich über etwas zu freuen, für das man nicht mal etwas getan hatte.

Vor allem, wenn es sich darum um einen nur schwer zu ergatternden Kursplatz an einer Elite-Universität handelte.

»Ich verstehe nur immer noch nicht, wieso Brandon mir das angeboten hat und auch noch bezahlt«, rief ich Lana über die Musik, »Such a Whore« von JVLA, zu. Ihre schwarzen langen Haare streiften mich bei jeder tanzenden Bewegung, die mir verriet, dass sie gerade lieber auf der Tanzfläche den Typen den Kopf verdrehen wollte.

»Weil du es verdient hast, Baby? Du arbeitest seit über einem Jahr für Brandon und machst einen klasse Job. Wieso sollte er sich also nicht denken: Hey, ich revanchier mich und sorge dafür, dass sie einen richtig guten, richtig festangestelltenJob bei mir bekommt?«

Vielleicht.

Ich arbeitete seit eineinhalb Jahren für das SolaneSunMagazine, das Brandon Michaels gehörte, allerdings nur als freiberufliche Fotografin. Er gab mir hin und wieder Aufträge für seine Artikel, aber am Anfang der Woche hatte er mich mit dem Angebot überfallen, mir einen Buchhaltungskurs zu finanzieren, und mir dann, sobald ich den Kurs abgeschlossen hatte, eine Festanstellung in seiner Buchhaltung zu ermöglichen.

Heute hatte ich den Vertrag dafür unterschrieben.

Ich hatte es schwarz auf weiß gesehen, aber ich konnte trotzdem nichts gegen das Misstrauen tun.

Mein Leben funktionierte so nicht. So … leicht. So simpel.

Immer, wenn etwas »gut« lief, endete das häufig darin, dass die Sache einen Haken hatte.

Die mir zugesagte Stelle als Barista wurde doch an jemanden mit einem Abschluss in Quantenphysik vergeben.

Meine Eltern waren leider nicht verschollen, sondern mal wieder nur nächtelang im Royal Island gewesen – einem miefigen Casino, das den Titel Royal nicht mal dann verdient hätte, hätte einer der 5-Dollar-Plastikkronleuchter über den Poledance-Stangen echte Juwelen.

Wieso sollte ich also glauben, dass es dieses Mal gut ging?

Ich meine, der Buchhaltungskurs war an keiner einfachen, bodenständigen Abendschule – sondern an der Westside University. Einer der renommiertesten und teuersten Universitäten Kaliforniens.

Allein ein Studiensemester hätte auf dem Schwarzmarkt den Wert einer Handvoll lebenswichtiger Organe.

Während ich zweimal die Woche darüber nachdachte, ein paar davon zu verkaufen, gingen auf die WSU nur Leute, die sich auch einen Privatjet leisten konnten. Wenn einer von denen die Rechnungen auf unserem Küchentisch sehen würde, würde er mir mit einem bedauerlichen »Ist ja süß« den Kopf tätscheln.

»Oder willst du den Job und den Kurs doch nicht machen?«, hakte Lana nach, als ich zu lange für eine Antwort brauchte.

»Doch, schon. Ich glaube, ich muss mich nur erst mal mit dem Gedanken anfreunden, das ist alles.«

»Du kriegst das schon hin. Vor allem, weil du dann endlich bei diesem Schmierlappen-Devon kündigen kannst. Wenn du mich fragst, solltest du das gleich morgen tun.«

Schön wär’s. Ich war nur leider am Ende jeden Monats nicht pleite, weil ich so auf den Nervenkitzel des Existenzminimums abfuhr …

Und weil mir der Kurs vorerst auch nicht den Kühlschrank füllte, konnte ich noch keinen meiner Jobs kündigen.

Anders als Lana und neunundneunzig Prozent der Leute hier lebte ich auf der Northside der Stadt – dem heruntergekommenen Viertel, in dem sich Langzeitarbeitslose, Alkoholiker und der Nachwuchs von Pablo-Escobar-Junior die Hände schüttelten. Dort fiel einem nichts in den Schoß, und um zu überleben, musste man halt manchmal in den sauren Apfel beißen und in »Schmierlappen-Devons« Kino Käsesoße über halb verbrannte Nachos gießen und wissen, wie oft derselbe Typ mit verschiedenen Frauen in denselben Film ging.

Es war immer noch besser als alles, womit die meisten anderen ihr Geld auf der Northside verdienten: auf dem Rücken liegend oder mit gepanschten Tütchen.

»Ich überleg’s mir mal«, wich ich Lana aus und wollte sie gerade fragen, ob wir tanzen gehen würden, als ein vertrautes Gesicht vor uns auftauchte.

»Na, wenn das nicht mal die zwei schönsten Ladys sind, die die Natur je hervorgebracht hat.« Nate trat mit einem Bier in der Hand und einem unverschämten Lächeln auf den Lippen auf uns zu und verströmte dabei wie üblich den Charme seiner guten Laune.

Meine eigene sank um ein paar Grad in den Keller.

Nicht direkt wegen Nate, er war ein Freund. Aber er ging praktisch nirgends ohne seine drei besten Freunde hin, und speziell auf einen davon konnte ich verzichten.

»Hi, Nate. Rutschst du eigentlich jemals auf deiner Schleimspur aus?«

»Nicht, wenn es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist.« Er hielt feierlich eine Hand hoch und zog mich in eine kurze, Nate-typische Umarmung, die mich von den Füßen hob. Nachdem er mich wieder abgesetzt hatte, wandte er sich an Lana und zog sie dabei halb mit seinem Blick aus. »Und die Eisprinzessin die Dritte ist auch da. Bitte sag mir nicht, dass du vorhast, heute jemanden damit zu erstechen.« Er deutete auf Lanas geschnürte Sandalen, die tatsächlich einen mörderischen Absatz hatten.

Aber eigentlich war alles an Lana mörderisch. Sie war über und über von Goth-Tattoos übersät und hatte elegante Kurven, auf denen schätzungsweise jeder Zweite in diesem Club mal eine Runde drehen wollte.

Sie lächelte süß und warf sich ihre spiegelglatten schwarzen Haare über die Schultern. »Manche würden töten, um diesen beiden Hübschen näher zu kommen.«

»Von welchen beiden Hübschen redest du? Oder, ah, nein, warte! Sag’s nicht. Ich mag’s mysteriös.« Nate zwinkerte ihr zu, ehe er auf sie zutrat und sie an sich zog. Anders als bei mir blieb es aber nicht nur bei einer Umarmung.

Er küsste sie heftig, wobei er ihren Oberkörper nach hinten beugte, und damit so ziemlich jede Hoffnung anderer Kerle zunichtemachte.

Ich hörte, wie ein paar Mädels hinter uns von Neid erfüllt nach Luft schnappten, zwei andere schossen Lana giftige Blicke zu.

Teilweise konnte ich es verstehen. Auch wenn es hier genug attraktive Typen gab, spielte Nate Renshaw in der Extraklasse. Mit seinen aschblond-gefärbten Haaren und dem dunklen Naturansatz, dem markanten Gesicht und seinem ganz besonderen Charme könnte er reihenweise Frauen aus dem Club hinter sich herziehen.

»Dein Ernst?«, brummte Lana, nachdem Nate sie wieder losgelassen hatte. »Du hast mir gerade ’ne sichere Nummer versaut.«

Nate grinste unbekümmert und prostete der besagten sicheren Nummer zu. Lana hatte schon den halben Abend über Blicke mit so einem Kerl an der Bar geflirtet, der gerade sichtlich den Schwanz einzog.

Hauptsächlich, weil Nate war, wer er war – ein Sprössling der reichsten Familie der Stadt – und weil jeder wusste, dass er mit seinen drei Buddys hier war, die ebenfalls zu den reichsten Familien der Stadt gehörten.

Niemand wollte ihnen auf den Schlips treten. Weil, ja … Geld, Macht, Einfluss, und so weiter. Dieser ganze Kram, der für jemanden aus meinen sozialen Verhältnissen so wenig nachvollziehbar war wie der Kauf von dreißig Autos, wenn man nur eins brauchte.

Wie ausgerechnet ich im Gegensatz zu denjenigen, die immer wieder hoffnungslos versuchten, Teil dieses Freundeskreises zu werden, hineingestolpert war? Nun, das war eine lange und vor allem schon lang vergessene Geschichte, die keine Rolle mehr spielte.

»Sorry, Eisprinzessin. Aber das wird kein großer Verlust sein, versprochen.« Nate sah neugierig zwischen uns hin und her. »Und, was treibt ihr hier so?«

»Wir häkeln, sieht man das nicht?«, spöttelte Lana, während sie mit dem Strohhalm in ihrem fast leeren Cocktail rührte. Dann sah sie aber zu mir und meinte: »Also eigentlich haben wir etwas zu feiern, aber die Spaßbremse hier zerbricht sich schon wieder den Kopf.«

Fragend blickte Nate von Lana zu mir.

Seufzend und weil ich wusste, dass er ohnehin keine Ruhe geben würde, erzählte ich ihm von meinem Jobangebot und dem Buchhaltungskurs, der nächste Woche starten würde.

Gleich darauf pfiff er dem Barkeeper zu und hob eine Hand. »Ey, jo! Alles, was diese Lady hier heute bestellt, geht auf mich! Und diese hier auch!« Er zeigte von mir zu Lana, woraufhin der Barkeeper ihm einen Daumen zeigte.

»Muss das sein?« Ich verzog die Lippen. Ich hasste es, wenn jemand Geld für mich ausgab. Es war schon schlimm genug, dass ich Lana »zur Feier des Tages« den Eintritt in diesen Club und meinen Cocktail hatte bezahlen lassen.

»Ausnahmsweise«, neckte Nate mich. »Weil ich mich für dich freue und weiß, dass du den Kurs rocken wirst. Aber sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Ich bin zwar nicht gut mit Zahlen, aber ich kann gut zuhören.«

Ich verstand jetzt nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, aber okay …

»In welcher Welt kannst du gut zuhören?«, wollte Lana amüsiert wissen. »Du schläfst bei der Hälfte deiner Vorlesungen ein, und ich muss dir dann alles noch mal erklären, damit du nicht durch die Prüfung rasselst.«

»Na ja …« Er grinste wieder breit, zog sie an der Hüfte an seine Seite und stupste ihr mit seiner Bierflasche spielerisch gegen die Nasenspitze. »Dir kann ich gut zuhören. Vor allem, wenn du so sexy Wörter benutzt wie … steigende Kurven … zu groß … Höhepunkt …«

»Ich glaube, da braucht aber einer mal einen Realitätscheck«, erwiderte sie spitz, ich konnte aber sehen, wie sie sich das Schmunzeln zu verkneifen versuchte.

Was zwischen Nate und Lana lief, hatte ich bis heute nicht so richtig verstanden. Sie waren kein Paar. Lana hasste die Vorstellung einer Beziehung mehr als eine Wurzelbehandlung, und Nate war ebenso wenig ein Beziehungstyp, wie ich Millionärin war. Sie hatten nur ihren Spaß miteinander, und, na ja, ich war mit Sicherheit die Letzte, die ein Urteil darüber fällen würde.

»Und du bist mit den Jungs hier?«, fragte sie dann, woraufhin er mit dem Bier an seinen Lippen nickte und irgendwo hinter sich deutete.

Ohne dass ich es verhindern konnte, folgte ich der Richtung und blieb sofort an einem Tisch in der VIP-Sitzecke hängen, in der drei Kerle saßen.

Jesse Cameron – Adoptivsohn eines Star-Strafverteidigers und der Erbin eines Schmuck-Imperiums. Er war so was wie TikTok-fame, weil er professionell Motocross fuhr und mit seinen kurzen Clips (und vermutlich auch, weil er mit den schwarzen, gelockten Haaren und tiefblauen Augen aussah wie ein griechischer Gott) durch die Decke gegangen war. Er war der Einzige von den Jungs, der einen richtigen Social-Media-Account besaß, was ich darauf zurückführte, dass er die Aufmerksamkeit liebte. Er hatte einen höheren Frauenverschleiß, als die Woche Tage hatte.

Dann Alec Hawthorne – Sohn eines Luxus-Autohändlers. Für seine Grumpy-Cat-Attitude bekannt. Überall tätowiert, mit dunklen Haaren, die er zum Undercut trug, und Perfektionist in der stummen Ausstrahlung: »Was zum Teufel willst du eigentlich von mir, und kannst du dafür aus meinem Sichtfeld verschwinden?«

Jesse und Alec unterhielten sich miteinander, aber dann war da noch die dritte Person, die die beiden ignorierte und mit einer Glasflasche in der Hand, einem Bein gegen den niedrigen Tisch gestemmt und einer verkehrtherum aufgesetzten Basecap offen in unsere Richtung starrte. Und mit offen meinte ich, dass es ihn nicht kümmerte, dass ich seinen Blick erwiderte, und mich nicht davon einschüchtern ließ, wie finster seine Miene war.

Er starrte mich an, als hätte ich hier nichts verloren.

Als hätte ich sein Territorium betreten und wäre hier mehr als unerwünscht.

Darf ich vorstellen?

The Devil himself.

Connor »Fick dich bis ans Lebensende« Quinn.

Er war der Goldjunge der Stadt. Erbe eines mächtigen Milliarden-Imperiums für Luxus-Immobilien und Luxus-Yachten. Und das größte Arschloch in seiner Freundesgruppe.

Ach, was – auf der Welt.

Um ihm zu demonstrieren, dass mir seine Du-gehörst-hier-nicht-hin-Blicke am Arsch vorbeigingen, verdrehte ich unbeeindruckt die Augen und sah dann wieder zu Nate, der mich mit hochgezogener Braue amüsiert ansah.

»Ich wollte gerade fragen, ob ihr euch zu uns setzen wollt. Um über ein paar Dinge zu reden, andere zu vergessen, Kriegsbeile zu begraben, du weißt schon. Aber ich sehe, das ist wohl keine gute Idee.«

Hundert Punkte.

Es war nicht das erste Mal, dass Nate versuchte, mich mit seinem Cousin an einen Tisch zu bekommen – aber ich würde eher ohne Seil einen Bungeejump machen, als ein Wort mit Connor zu wechseln.

Warum?

Auch das war eine lange Geschichte. Sagen wir einfach … Wenn dein bester Freund dir nicht wie alle anderen ein Messer in den Rücken, sondern einfach direkt in die Brust rammt, und es ihm scheißegal ist, dass du vor seinen Augen verblutest … Dann gab es keinen Grund, auch nur in seine Richtung zu atmen.

»Nein, kein Bedarf.«

Nate seufzte. »Ehrlich, Sonnenblume? Wieso seid ihr eigentlich beide so stur?«

Wir waren schon mal gar nichts. Und vor allem nicht stur. Es gab nur einfach nichts, was ich ihm noch zu sagen gehabt hätte. Von ein paar Beleidigungen mal abgesehen.

»Ich weiß zu schätzen, was du versuchst, aber lass gut sein.« Um meine Aussage zu unterstreichen, trank ich meinen Cocktail aus und stellte ihn demonstrativ auf die Bar, bevor ich mich an Lana wandte. »Wollen wir jetzt ein bisschen tanzen oder weiter hier rumstehen?«

»Oh, yes!«, rief sie begeistert, griff nach meinem Handgelenk und winkte Nate mit einem Zwinkern weg. »Wir sehen uns später.«

»Kann’s kaum erwarten, Eisprinzessin.« Er schüttelte grinsend den Kopf, und ich hörte noch, wie er mir ein »Bitte reiz ihn nicht zu sehr, ich musste ihn schon überreden …« hinterherrief, aber der Rest ging in der lauten Musik unter.

2

CONNOR

Vergangenheit

Kit, 14 – Connor, 17

Eine Stadt in Trauer: Beerdigung von Stephen Quinn († 37) und Asher Quinn († 14)

Solane – Der plötzliche und tragische Tod von Silver-Horizons-CEO Stephen Quinn und seinem jüngsten Sohn Asher Quinn hat das Land im Mai dieses Jahres tief getroffen. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurden sie vergangenen Samstag auf dem Santa Ana Cemetery in Solane im engsten Familienkreis beigesetzt, während die trauernde Öffentlichkeit Blumen für die Verstorbenen vor den Toren des Friedhofs niederlegte.

Laut mehreren Augenzeugenberichten kam es nach der zunächst friedlichen Beisetzungszeremonie jedoch zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Quinns ältestem Sohn Connor (16) und einem Fotografen des Solane Sun Magazines. Wie uns mitgeteilt wurde, hatte sich der Fotograf der trauernden Familie unrechtmäßig genähert.

Alle Angehörigen der Familie Quinn bitten weiterhin, in dieser schweren Zeit ihre Privatsphäre zu wahren.

Verliere nie deinen Anker, Connor. Egal, wie schwer das Leben manchmal wird – und das wird es –, verlier ihn nicht. Wir alle brauchen hin und wieder etwas, das uns rettet, wenn wir im Sturm untergehen.

Die Worte meines Dads hallten in meinen Ohren wider, als ich mich mit dröhnendem Schädel vom Boden hochstemmte und mir Blut unter der Nase wegwischte.

Meine Lippen verzogen sich spöttisch.

Was für ein Anker, Dad?

Was für ein beschissener Anker soll mich jetzt noch retten?

»Hast du nicht langsam genug, Westside?«, knurrte das Arschloch über die hämmernden Klänge von Bring Me The Horizons »Shadow Moses« und spuckte aus. Seine Knöchel, die in weiße Tapes gebunden waren, waren nur noch rot.

Beinahe hätte ich gelacht.

Ich hatte noch nicht genug. Es würde nie genug sein.

»Wovon? Von den Schlägen einer Pussy?«, rief ich laut genug, damit er mich über die tobende Menge des FLOOR 22 überhaupt hören konnte, und bleckte provozierend die Zähne. Wohlwissend, dass ich über ein Minenfeld rannte und jederzeit eine neue Sprengung auslösen könnte. Ich machte keine vorsichtigen Schritte. »Oder sprichst du von deiner Freundin, die mir nachher noch den Schwanz lutscht?«

Mehr brauchte es nicht.

Der Wichser stürzte sich brüllend auf mich und rammte mir seine Faust in den Magen. Ich ließ ihn gewähren, auch wenn mir die Luft wegblieb und Schmerz unter meinen Rippen explodierte. Anstatt mich sofort zu wehren, ihm die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, so wie er es jede Sekunde mit mir tun würde, hielt ich inne und nahm den Schmerz in mir auf. Atmete ihn ein wie ein verdammter Junkie sein Crack.

Du gehst nicht nur unter.

Du verblutest – und es gibt verdammt noch mal nichts, was du dagegen tun kannst.

Ehe der Typ – er war höchstens ein Jahr älter als ich – noch mal zuschlagen konnte, warf ich mich auf ihn und riss ihn unter dem Brüllen der Menge zu Boden. Meine Faust landete in seinem Gesicht. Sein Knie donnerte in meine Seite. Er versuchte mich von sich runterzuwerfen, und auch wenn ein erbärmlicher Teil in mir nachgeben und ihn so lange auf mich einschlagen lassen wollte, bis ich überhaupt nichts mehr spürte, bis ich daran erstickte – ich konnte nicht.

Fuck, ich konnte nicht.

Irgendwas in mir hatte die Kontrolle an sich gerissen. Vielleicht diese ganze verfickte Wut, die mich seit Monaten von innen heraus in Stücke riss, vielleicht die Bilder, die Erinnerung, vielleicht auch dieses ganze gottverdammte Blut.

Es war überall. Aber es war nicht genug.

Wann zur Hölle war es endlich genug?

»Was glaubst du eigentlich, wer du bist, huh?«, zischte mir der Bastard ins Gesicht, nachdem er es geschafft hatte, mich mit seinem Knie auf meiner Brust auf den Boden zu pinnen.

Mein Kopf flog zur Seite, als er mir einen Kinnhaken verpasste. Schmerz schoss durch meinen Körper, und ich spürte sofort, wie mir noch mehr Blut aus der Nase lief. Er gab mir das Zeichen, dass es reichte – aber das, was auch immer mich gerade beherrschte, mich kontrollierte, lachte nur und inhalierte diesen gottverfluchten Schmerz.

Es war das Einzige, das diesen ganzen Scheiß in mir erträglicher machte. Mich irgendetwas anderes fühlen ließ als dieses klaffende Loch zwischen meinen Rippen, das seit drei Monaten jeden verdammten Tag größer wurde.

Ich grinste zu dem Bastard hoch und ignorierte das Blut, das mir übers Gesicht lief. Was ich glaubte, wer ich war?

»Frag deine Freundin. Sie wird’s dich wissen lassen, wenn sie meinen Namen schreit.«

Wie erwartet traf mich daraufhin ein weiterer Schlag.

Wieder schoss Schmerz durch mich durch, fing irgendwo hinter meiner Stirn an und hörte in meiner Brust auf. Wieder konnte ich etwas freier atmen.

Der Vollpfosten, der immer noch nicht kapierte, dass ich ihn nur provozierte und seine Freundin nicht mal mit dem kleinen Finger anfassen würde, packte mich am Kiefer.

»Du hast dir gerade dein eigenes Grab geschaufelt, Westside.«

Ich lachte auf und würde nicht lügen: Ein Teil in mir hoffte, er meinte es ernst. Als ich das letzte Mal nachgesehen hatte, hatte ich sowieso nichts mehr zu verlieren.

Es war schon alles weg.

Ich konnte mich später nicht mehr daran erinnern, wie ich das FLOOR 22 verlassen hatte und auf dem Santa Ana Cemetery gelandet war. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, wie lange ich schon auf dem Boden sitzend an einem fremden Grabstein lehnte, wie viel Gras ich mir reingezogen hatte, um irgendwie damit klarzukommen, dass offenbar jeder Zentimeter meines Körpers in seine Einzelteile zerlegt worden war, und am allerwenigstens hatte ich eine Ahnung, wer zur Hölle dieses Mädchen war.

Sie war einfach da, als ich meine Augen wieder öffnete.

Im ersten Moment fragte ich mich, ob ich zu viel gekifft hatte und mir jetzt schon Geister, Zombies oder so einen Bullshit einbildete, aber sie sah eher lebendig als tot aus.

Sie stand vor dem Grab, in dem schon mehrere Generationen meiner Familie eingeäschert waren, ein großes Buch an die Brust gedrückt, und bemerkte mich nicht. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, nur ihre blonden Haare, die sich im Mondlicht wie Schnee von der Dunkelheit abhoben, das Skateboard, das zwischen den Trägern ihres Rucksacks steckte, und den hellgrauen Pullover der Northside High, der ihr locker drei Nummern zu groß war.

Sie trat näher ans Grab heran, das mit der auf einem Podest stehenden Engelsstatue eher an ein Denkmal erinnerte, und betrachtete den ganzen Kram davor: die Blumen, Kuscheltiere, Fotos. Obwohl die Beerdigung fast vier Wochen zurücklag, brachten die Leute immer noch sämtlichen Scheiß hierher. Dabei hatten sie sie kaum gekannt. Meinen Vater wahrscheinlich, aber meinen …

Etwas in mir verkrampfte und meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich schob den Gedanken beiseite, konzentrierte mich wieder auf das Mädchen, das ein paar Schritte mit dem Rücken zu mir ums Grab herumging. Aus irgendeinem Grund fuckte es mich ab, dass sie überhaupt auf dem Friedhof war.

Was zum Teufel wollte sie denn hier? Mitten in der Nacht? Und wie war sie überhaupt reingekommen? Das Tor und der Zaun des Friedhofs waren über zweieinhalb Meter hoch. War sie ernsthaft darübergeklettert?

Wie groß war sie? Eins sechzig?

Fuck, was kümmert es dich?

Ich zog genervt meine Brauen zusammen und vergaß für einen Moment, dass sich mein halbes Gesicht anfühlte, als wäre es in eine Kreissäge gefallen. Ich gab ein undefiniertes Geräusch zwischen Zischen und Stöhnen von mir, woraufhin das Mädchen zusammenzuckte und zu mir herumwirbelte.

»O Gott!« Sie stolperte über irgendwas, das vorm Grab lag, fing sich aber schnell wieder und starrte mich dann mit Augen so groß wie Golfbälle an. »Himmel, hast du mich – oh mein Gott, geht’s dir gut?!« Entsetzen spiegelte sich in ihrer Miene, während ihr Blick über mein Gesicht bis zu dem Blutfleck glitt, der sich auf meinem weißen T-Shirt schwarz abhob.

Bevor ich darauf antworten konnte – was ich, wenn wir mal ehrlich waren, nicht vorhatte; es ging mir verdammt fantastisch –, überbrückte sie die wenigen Schritte zwischen dem Grab meiner Familie und dem, an dem ich lehnte, und kniete plötzlich direkt neben mir.

»Scheiße, was ist denn passiert?« Sie warf ihren Rucksack zwischen uns und fing an, darin herumzuwühlen. »Ich ruf dir einen Rettungswagen, du musst ins –«

»Nein«, knurrte ich, griff nach ihrem kleinen Stoffrucksack und zog ihn ihr weg.

»Hey!«, setzte sie fassungslos an, verstummte dann aber. Strähnen ihrer langen blonden Haare hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und wehten ihr ins Gesicht, das ich gerade das erste Mal überhaupt richtig wahrnahm.

Wie alt war sie? Dreizehn? Vierzehn?

Sie war jünger als ich, und entweder war ich wirklich high as fuck, oder sie hatte die größten Augen, die ich jemals ohne diese lächerlichen Snapchat-Filter gesehen hatte.

Weil ich nicht schnell genug war, schaffte sie es, mir wütend ihren Rucksack wieder zu entreißen. »Was soll das? Ich versuche dir zu helfen! Du blutest!«

»Niemand hat dich darum gebeten. Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß, Cali«, fuhr ich sie an und ignorierte, dass sie recht hatte. Ich blutete – sie bezog sich aber vermutlich auf mein Gesicht, das so beschissen aussehen musste, wie es sich anfühlte, und nicht auf den ganzen Rest in mir.

Ich hatte mein Gesicht zwar nicht selbst gesehen, aber weil ich nicht das erste Mal bei einem der Kämpfe gewesen war, für deren Teilnahme man ein so hohes Startkapital hinblättern musste, dass niemand dumme Fragen stellte, hatte ich eine ungefähre Vorstellung davon.

»Ist das gerade dein Ernst? Du könntest ernsthaft verle–«

»Was geht dich das an? Wenn ich einen beschissenen Rettungswagen bräuchte, kann ich ihn mir selbst rufen«, unterbrach ich sie kalt und log schamlos. Der Akku meines Handys war schon seit Stunden leer.

»Du könntest ohnmächtig werden.« Sie sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

Möglich, dass das der Fall war. Wenn man mal bedachte, dass ich nicht des Preisgeldes wegen beim Kampf mitgemacht hatte, und schätzungsweise dreimal, seitdem ich hier war, das Bewusstsein verloren hatte …

Aber wen zum Teufel kümmerte es?

Die einzige Person, bei der es überhaupt von Bedeutung gewesen wäre, befand sich gerade nicht mal in derselben Zeitzone wie ich.

»Ist nicht dein Problem. Verschwinde einfach.«

Leider tat sie das nicht. Sie blieb stumm neben mir sitzen, mit zusammengeschobenen Brauen und einem Blick, der über mein Gesicht fuhr wie Fingernägel über Sonnenbrand.

Ich wartete darauf, dass auch bei ihr das Mitleid an die Oberfläche kommen würde, das mir seit Monaten von Wildfremden auf der Straße überreicht wurde und das ich nicht ertragen konnte. Aber dieser Blick kam nicht.

Sie schnaubte nur leise, nahm ihren Rucksack und das Buch, um sich keine zwei Meter entfernt an dem Grabstein neben mir wieder fallen zu lassen, den Blick stur auf das Grab meiner Familie geheftet.

Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen zu ihr rüber. »Was soll der Scheiß jetzt?«

Sie lehnte sich ebenfalls gegen den Grabstein und winkelte ihre Beine an. »Ich sitze hier.«

»Sitz woanders.«

»Sitz du doch woanders.« Schnippisch nahm sie das Buch in die Hand und legte es mit aufeinandergepressten Lippen auf ihren Oberschenkeln ab.

Hätte ich noch aufstehen können, ohne dass meine Rippen aus ihrem Gerüst springen und sämtliche meiner Organe wie Butter durchschneiden würden, wäre ich spätestens jetzt weg gewesen. Aber, fuck – allein, dass ich versucht hatte, ihr den Rucksack wegzunehmen, hatte wieder derartig pochende Schmerzen in meiner Seite heraufbeschworen, dass ich mich keinen Zentimeter bewegen konnte oder wollte.

Anstatt sie das wissen zu lassen, beschloss ich, sie zu ignorieren, und kramte meine Zigaretten raus. Ich hätte einen Joint vorgezogen, aber solange der nicht auf magische Weise vom Himmel fiel, musste ich wohl drauf verzichten.

Während ich rauchte, saß sie schweigend da, und obwohl mir die angepissten Fragen auf der Zunge lagen, was sie eigentlich da machte, ob sie kein Zuhause hatte, stellte ich sie nicht. Also saßen wir was weiß ich wie viele Stunden bloß rum, ignorierten uns und wahrscheinlich dämmerte ich dabei auch ein paarmal ein. Irgendwann ging jedenfalls die Sonne wieder auf, und als wäre das endlich mal Grund genug, zu verschwinden, erhob sich das Mädchen vom Boden. Sie legte das Buch vor dem Grab ab und warf mir mit ihrem Skateboard unterm Arm noch einen eindringlichen Blick zu.

Einen Moment lang sah sie aus, als würde sie etwas sagen wollen, und öffnete schon den Mund, entschied sich aber wohl anders, schloss ihn wieder und ging.

Ich kapierte nicht, wieso ich ihr so lange hinterhersah, bis sie nicht mehr zwischen den Gräbern auszumachen war – und ich kapierte auch nicht, wieso ich mich zu der Stelle schleppte, an der sie das Buch abgelegt hatte.

Es war ein großes Hardcover mit dem Titel The Beautiful Secrets of the Milky Way.

Ich kannte dieses Buch. Ich hatte Ash dasselbe …

Ein Bild schoss in mir hoch, und unter meinen Rippen zog sich etwas zusammen. Für den Hauch einer Sekunde sah ich ihn lachend mit dem Buch in der Hand die Treppe runterlaufen, aber bevor ich mich daran erinnern konnte, was er zu mir gesagt hatte, was er …

Ich kniff meine Augen zusammen und zwang mich dazu, die Faust, die sich gerade durch meinen Brustkorb rammte, wegzuatmen. Sobald ich die Augen wieder öffnete, flirrte mein Blick.

Ich verstand nicht, woher sie das Buch hatte.

Warum sie es hatte. Wie sie …

Ohne darüber nachzudenken, nahm ich es in die Hand und schlug es wie gelähmt auf. Mehrere Zettel fielen daraus auf den Boden.

Nein, keine Zettel. Polaroids.

Auf einem war nur ein weißer Punkt auf schwarzem Hintergrund. Auf einem anderen das Riesenrad vom Pier, hinter dem die Sonne unterging. Auf einem weiteren der Strand. Auf dem nächsten ein altes Karussell.

Ich griff nach einem, auf dessen Rückseite sie etwas geschrieben hatte. Die Buchstaben waren so klein und eng aneinandergesetzt, dass ich Mühe hatte, es zu lesen.

Ash … ich weiß, wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen … ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, ob du mich noch erkennen würdest. Es ist auch total komisch, dir zu schreiben, weil ich weiß, dass du nichts hiervon je lesen wirst, aber ich wünschte, du könntest es. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, wie leid es mir tut. Wie sehr ich wünschte, du wärst immer noch hier. Es ist nicht fair, was dir passiert ist, und es ist auch nicht fair, was deinem Dad passiert ist. Es ist einfach nicht fair. Es ist nicht fair, dass ich dem Jungen, der mir dieses Buch geschenkt hat, nie wirklich Danke sagen konnte, und ich hasse es, dass ich es auch jetzt nicht mehr kann. Ich hoffe so sehr, dass du weißt, wie viel mir dieses Buch bedeutet. Es war für mich da, als ich etwas gebraucht habe, an dem ich mich festhalten konnte. Es war da, als meine ganze Welt auseinandergebrochen ist, und war das Einzige, das alles in mir zusammengehalten hat. Also, danke, Asher. Danke, dass du mich gerettet hast, als es sonst niemand konnte.

Es tut mir so unfassbar leid, dass ich dir das nie sagen kann. Es tut mir so leid, dass ich nicht …

Der Rest ihres Textes ging in Flammen unter.

Ich ließ das brennende Polaroid fallen und nahm kaum wahr, wie ich das Zippo, das meinem Dad gehört hatte, um meine Faust schloss. Wie ich so fest, dass meine immer noch blutverschmierten Knöchel wieder aufrissen, gegen den Grabstein schlug.

Ich spürte es nicht, als ich es immer und immer wieder tat.

Und wieder.

Und wieder.

Und wieder.

3

KIT

Weil aus einem Cocktail ungefähr sechs zu viele geworden sind, verbrachte ich den nächsten Tag eher im Zombie-Modus. Ich stand in aller Herrgottsfrühe als Zombie auf, bereitete die Lunchpakete meiner drei jüngeren Geschwister als Zombie vor und fuhr als Zombie mit dem Bus und meinem Skateboard zu meiner, wie ich es nannte, Tag-Arbeit ins Drop Ink. Einem Tattoo-Studio, in dem ich als Mädchen für alles arbeitete, allerdings nicht als Tätowiererin. Eine Dreijährige hätte mehr Zeichentalent als ich.

Mein Auffassungsvermögen für so ziemlich alles heute war also kleiner als ein Shot-Glas (von denen ich gestern definitiv hätte die Finger lassen sollen). Das wiederum hieß, dass ich auch gern mein Handy ignoriert hätte, als ich, während ich so lahm wie die Faultiere aus ZOOMANIA Tattoo-Anfragen beantwortete, von der Schule meines Bruders angerufen wurde. Sie versuchten es inzwischen gar nicht mehr bei unseren Eltern, weil die eh nie zu erreichen waren.

»Logan war heute wieder in eine Auseinandersetzung mit einem Mitspieler aus seinem Football-Team verwickelt«, erklärte mir die Sekretärin der Sunset High in einem leicht herablassenden Oberschicht-Ton. »Wie Sie sicher wissen, ist das bereits das dritte Mal seit Beginn des Schuljahres.«

Cool, dreimal in zwei Wochen. Das war ein neuer Rekord.

Fast schon resigniert, weil man sich ja wohl denken könnte, was nach drei Strikes passierte, seufzte ich. »Bedeutet das, dass er jetzt von der Schule fliegt?«

»Nein, Logan wird nur zwei Wochen nachsitzen müssen«, erwiderte sie und klang wie jemand, der für die Höchststrafe plädiert hätte.

Mich durchfuhr stattdessen pure Erleichterung.

Er muss nicht wieder an die Northside High.

Nicht wieder dorthin, wo es regelmäßig Spindkontrollen und Metalldetektoren an den Eingängen gab und wo jeder Dritte schon eine Zelle mit seinem Namen im Knast sicher hatte. Wahrscheinlich sogar jeder Zweite.

»Hören Sie, Miss Callahan, Direktor Curtis hat mich nur gebeten, Sie über die Auseinandersetzung in Kenntnis zu setzen. Logan war bereits bei der Schulkrankenschwester, aber falls Sie noch mit ihm ins Krankenhaus wollen, wird Mister Sherwood für alle anfallenden Kosten aufkommen. Geben Sie Logan die Rechnung einfach mit, ich leite sie dann weiter. Alles andere haben wir bereits mit Mister Quinn geklärt. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen –«

»Moment, äh …«, unterbrach ich sie, weil sie so schnell sprach, dass ich ihr kaum folgen konnte.

Schulkrankenschwester? Wie schlimm war Logan verletzt?

Mister Sherwood? Wer sollte das sein und wieso sollte er die Krankenhausrechnung bezahlen?

Und was – zum Teufel – hatte der Nachname Quinn bei dieser Aufzählung verloren?

Mein Puls fing an zu hämmern. »Mister … Quinn?«

»Ja, Mister Quinn.«.

»Entschuldigung? Ich verstehe nicht ganz, was er mit meinem Bruder und der ganzen Sache zu tun hat …?«

»Er bezahlt doch Logans Schulgebühren.«

Er macht bitte was?

Ich stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Das kann überhaupt nicht sein. Logan hat ein Stipendium.«

Für das er sich den Arsch aufgerissen hatte und das sein Ticket raus aus dem Loch war, das sich unser Leben nannte. Nach dem Abschluss an der Sunset High, einer privaten, sauteuren Highschool für versnobte Millionärs-Kinder, würden ihm sämtliche Tore offen stehen.

Und dafür hatte er ein Stipendium.

»Wenn Mister Quinn die Schulgebühren für jemanden bezahlt, dann sicherlich nicht für meinen Bruder.«

»Äh«, machte sie, als hätte ich die News des Jahrhunderts verschlafen. »Logan hat kein Stipendium. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, aber ich habe jetzt Feierabend. Klären Sie das doch bitte persönlich mit Mister Quinn.«

Mir fiel alles aus dem Gesicht. »Wie bi–«

»Einen schönen Tag noch.« Sie legte einfach auf.

Fassungslos starrte ich auf mein Handydisplay, fragte mich, ob ich wegen Übermüdung eingeschlafen war und das hier nur geträumt hatte, aber das war so unwahrscheinlich wie eine neue Eiszeit.

Was zum … Teufel?!

Was hatte Connor – und es gab keinen anderen Mister Quinn, der infrage kam – noch mit meinem Bruder zu tun? Mit seinem Schulgeld? Wieso … was … wie … hä?!

Offenbar hatte ich genauso wenig Ahnung von irgendwas wie meine Eltern.

Bevor ich etwas Dummes tun würde – zum Beispiel mein Handy quer durchs gerade leere Tattoo-Studio zu schleudern –, rief ich meinen Bruder an, wurde aber mehrmals von seiner Mailbox vertröstet.

Etwas, das ihr über meinen Bruder wissen müsst: Der Anruf der Schule war keine Überraschung. Ich hatte keine Ahnung, was in letzter Zeit mit Logan los war, außer, dass er nur noch Ärger machte. Die Sorte, bei der ich langsam Angst bekam, dass er es bis vor einen Haftrichter schaffen könnte, die Jungen wie ihn, Jungen von der Northside, die ohnehin als das Problemviertel galt, täglich als Nachmittagssnack auf der Speisekarte hatten.

Mit ihm mal darüber zu reden, vernünftig, ohne dass er ständig abhaute und Türen knallte, war schwerer, als ein vollbesetztes Flugzeug zu landen.

Natürlich ging er nicht an sein Handy, als ich versuchte, ihn hundert Mal anzurufen. Und natürlich war er auch nicht zu Hause, wo ich zuerst nach ihm suchte, nachdem ich mal wieder früher von der Arbeit abgehauen war. Aber da war er praktisch nie, und wenn dann nur, um zu duschen, bevor er sich wieder weiß kein Mensch wo herumtrieb.

Ehrlich gesagt war es ein Wunder, dass er sein Stipendium noch nicht …

Ach, nee. Das existierte ja anscheinend nicht.

Ohne zu wissen, was ich tun sollte, rief ich Nate an, der gerade anscheinend noch geschlafen hatte. Um halb drei.

»Hallo Sonnenblume, was für ein wunderbarer Weck–«

»Wo ist Connor?«, knurrte ich ins Handy, wobei ich bereits ziellos aus unserem heruntergekommenen Haus rannte, an dem die Farbe unter der Dauerbestrahlung der Sonne schon seit Jahren abblätterte wie trockenes Herbstlaub.

Okay, nicht ganz ziellos. Ich wusste, dass die Westside – das stinkreiche Viertel der Stadt, wo der Himmel immer blauer war, Geld auf Palmen wuchs und jemand wie ich wie ein frischer Vogelschiss auf einem nigelnagelneuen Sportcabrio behandelt wurde – ein guter Anhaltspunkt war.

Nate gähnte. »Was ist heute für ein Tag?«

»Donnerstag.«

»Ach ja, stimmt, Donnerstag …« Er gähnte wieder. »Donnerstags ist er vor der Uni bei SH, aber was auch immer du vorhast, heute ist das glaube ich keine gute –«

»Danke«, sagte ich noch, dann legte ich schnell auf und wusste genau, dass ich gleich Connors und meinen stillschweigenden Pakt, die Existenz des anderen zu leugnen, brechen würde.

Als ich den Limit Tower erreichte, ein schwarz-verglaster Wolkenkratzer mitten auf der Westside, brodelte ich innerlich auf einer Temperatur, gegen die die Sonne ein Eisklotz war.

Ich wusste nicht, was ich tun würde, sollte ich Connor gleich gegenüberstehen.

Ich wollte nicht mit ihm reden.

Ich wollte überhaupt gar nichts mehr mit ihm zu tun haben, und ich war mir todsicher, dass für ihn dasselbe galt. Immerhin war es exakt das, was er mir vor vier Jahren ins Gesicht gesagt hatte, während das Messer schon bis zum Anschlag in meiner Brust gesteckt hatte.

Ich würde euch ja gern erklären, was damals genau vorgefallen war – aber ich verstand es bis heute selbst nicht.

Es interessierte mich aber auch nicht mehr.

Vier Jahre waren eine lange Zeit, um jemanden dafür, dass er einen mit einer Leichtigkeit aus seinem Leben gekickt hatte, als hätte er nebenher auch noch den Müll rausbringen können, erst zu verfluchen, dann brennend zu hassen, und zuletzt einfach für tot zu erklären.

Denn das war er für mich. Gestorben.

Was ich noch für ihn empfand, war nichts mehr.

War ich trotzdem angepisst gewesen, weil er vier Jahre aus der Stadt verschwunden und vor zwei Monaten nach Solane zurückgekommen war, ohne sich sofort vor mir auf die Knie zu werfen und sich für die Scheiße, die er mit mir abgezogen hatte, zu entschuldigen?

Selbstverständlich – aber nur, weil er mir damit die Genugtuung genommen hatte, ihn einfach stehen zu lassen.

Dass jetzt auch noch ausgerechnet ich diejenige war, die ihn aufsuchen musste, kotzte mich dabei am meisten an.

Fast so sehr wie die lächerliche Argumentation, die eine der beiden Empfangsdamen hinter dem schwarzen Marmortresen hervorbrachte, kaum dass ich das Foyer von SH – Silver Horizons, das Milliarden-Unternehmen von Connors verstorbenem Dad – betreten hatte. »Schätzchen, soll ich Ihnen mal erklären, wie viele Ihrer Sorte jeden Tag hier reinspaziert kommen und verlangen, mit Mister Quinn zu sprechen?« Sie blies gelangweilt eine Kaugummiblase auf, musterte mich, als hätte ich sie und ihr Designer-Outfit mit meinem 4-Dollar-Shirt von Walmart persönlich beleidigt, und wandte sich an ihre Kollegin. »Wir sollten uns mal Gedanken über ein Schild machen. Ich bin es leid, immer und immer wieder erklären zu müssen, dass Mister Quinn niemanden ohne Termin zu sich lässt. Schon gar keine Hipster.«

Sie blies wieder ihr Kaugummi auf, von dem ich hoffte, sie schmierte ihn sich selbst in ihre Extensions.

»Hören Sie, Miss … ach, wissen Sie was, es ist mir egal.« Ich lächelte sie so künstlich an wie ihre Veneers. »Ich muss mit ihm sprechen. Dringend. Rufen Sie ihn verdammt noch mal an, wenn es sein muss.«

Genervt nahm sie den Hörer, drückte eine Taste und hielt ihn sich ans Ohr. »Mister Quinn? Ja, hi. Hier ist eine Ms …?«

»Kit«, sagte ich einfach nur, auch wenn mir »Diejenige, die gleich die Schnauze voll hat«besser gefallen hätte.

»Eine Ms Kit, die mit Ihnen sprechen will.« Kurze Pause. Kaugummiblase. Plopp. »Aha – aha – ja, natürlich richte ich ihr aus, dass Sie niemanden in Ihr Büro lassen, wenn …« Sie wurde leiser, als irgendwo den Flur runter eine entfernte, angepisste Stimme ertönte.

»… für diesen Scheiß keine Zeit. Warum hast du ihr nicht einfach –« Connor trat aus einer der dunklen Ebenholztüren und verstummte, als sein ohnehin schon finsterer Blick an mir hängen blieb.

Sofort ballten sich meine Fäuste.

Connor war komplett in Schwarz gekleidet, in Jeans und Blazer, sein dunkelbraunes kurzes Haar war zerzaust, die sonst für ihn so typische Basecap fehlte. Eine ebenfalls schwarze Uhr umschlang sein Handgelenk und unterstrich nur das, was an ihm haftete wie ein dunkler Schatten – Geld, Macht und ein Desinteresse an praktisch allem und jedem, die Welt, die er irgendwann niederbrennen würde, eingeschlossen.

Anders als seine Freunde war Connor derjenige, über den man kaum etwas wusste und über den trotzdem am meisten gesprochen wurde. Er war derjenige, den man wie einen Tiger mied und gleichzeitig ehrfürchtig bewunderte, weil man die Person sein wollte, die er nicht zerfleischte, sondern beschützte.

Für viele war er deswegen pure Faszination.

Ein Mythos.

Aber für mich?

Für mich war er der Teufel.

Von außen unmenschlich schön, beinahe lächerlich vollkommen – mit einem Gesicht, für das jeder Künstler Blut vergießen würde, einer Kinnlinie, die scharf genug war, dass man sich daran schneiden könnte, und so sündhaft sinnlichen Lippen, dass man nicht einmal mehr bemerkte, welche Lügen man nur allzu bereitwillig davon trank.

Im Inneren war er dafür umso hässlicher – grausam, verdorben und von absoluter Finsternis beherrscht.

Er konnte dich mit einem Wimpernschlag in die Hölle locken, und du würdest glauben, es wäre das in Flammen stehende Paradies. Du würdest, ohne es zu merken, immer tiefer in seine Falle tappen – bis es zu spät war und er sein wahres Gesicht zeigte.

Ich wusste, wovon ich sprach. Ich hatte diesen Fehler schon einmal gemacht und dafür bezahlt.

»Fuck, willst du mich verarschen?« Obwohl er seine von Natur aus schmalen olivgrünen Augen wie zwei auf mich visierte Fadenkreuze in meine bohrte, war mir klar, dass er nicht mit mir, sondern mit Nate am Handy gesprochen hatte.

Dafür musste man kein Genie sein.

Die beiden waren vielleicht nur Cousins, aber manchmal verhielten sie sich wie siamesische Zwillinge.