Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785 - Streicher, Andreas - kostenlos E-Book

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Streicher, Andreas

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Project Gutenberg's Schillers Flucht von Stuttgart, by Andreas StreicherThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Schillers Flucht von Stuttgart       und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785Author: Andreas StreicherCommentator: J. WychgramRelease Date: October 16, 2015 [EBook #50234]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHILLERS FLUCHT VON STUTTGART ***Produced by The Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription

Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Schillers Fluchtvon Stuttgart

undAufenthalt in Mannheimvon 1782–1785

VonAndreas Streicher

Herausgegeben und mit einer Einleitung versehenvonProf. Dr. J. Wychgram

Leipzig Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

Übersetzungsrecht vorbehalten

Einleitung.

Das Buch, das wir, nachdem es zum ersten- und einzigen Male im Jahre 1836, drei Jahre nach dem Tode seines Verfassers, erschienen war, nun zum Schiller-Jubiläumstag neu in die Welt senden, ist nicht mit Unrecht ein Kleinod unserer Literatur genannt worden. Nicht als ob es schriftstellerische Vorzüge aufweisen könnte. Sein Wert liegt vielmehr einmal in den berichteten Tatsachen, die für die Kenntnis von Schillers Entwicklung von außerordentlichem Werte sind und die uns unbekannt geblieben sein würden, wenn nicht Streicher sie uns erzählt hätte, sodann aber in dem Geist und Sinn, der aus dem Buche spricht. Da die Vorbereitungen zur Flucht aus Stuttgart und ihre Ausführung selbst sehr geheim gehalten werden mußten und da das, was außerhalb des Weichbildes von Mannheim mit Schiller geschah, nur Streicher zum Zeugen hatte, so können wir in der Tat den Wert dieser Aufzeichnungen nicht genug schätzen; aber auch, daß dieser Zeuge gerade Streicher war, ist von der größten Bedeutung. Denn wir haben in diesem Manne, der ja, wie der Leser aus dem Buche selbst erkennen wird, mit einer Art Vergötterung an Schiller hing, einen Berichterstatter, der alle diese aufregenden und abenteuerlichen Erlebnisse mit der größten Einfachheit, ohne subjektive Färbung und mit einem treuen geschichtlichen Sinne uns erzählt. Freilich ist das Buch selber erst geschrieben worden, als Streicher bereits im Greisenalter stand; aber die Ereignisse der Jugend standen ihm, soweit er sie selbst miterlebt hatte, als die denkwürdigsten seines ganzen Lebens vor der Seele, und später erschienene Briefe bezeugen uns, daß Streicher in der gewissenhaftesten Weise überall da, wo entweder sein Gedächtnis ihn nicht mehr sicher beriet oder wo er von Dingen zu erzählen hatte, die er selbst nicht mit angesehen (wie zum Beispiel in dem Berichte über die letzte Begegnung Schillers mit seiner Schwester und seiner Mutter), durch briefliche Erkundigung die Lücke zu ergänzen oder falsche Gerüchte zu berichtigen suchte. Einen solchen Brief teilen Speidel und Wittmann in ihrem vorzüglichen Buche »Bilder aus der Schillerzeit,« S. 26, mit. So kann man sagen, daß die Partien des Streicherschen Buches, die sich mit der Flucht und den auf die Flucht folgenden Ereignissen beschäftigen, durchaus zuverlässig sind und nur in ganz unwesentlichen Einzelheiten, in den Angaben einiger Monatsdaten und ähnlichen Kleinigkeiten, von der späteren Schiller-Forschung berichtigt worden sind.

Streicher hat nun dem Berichte von der Flucht eine kurze Übersicht über Schillers Leben bis 1782 beigegeben; diese Übersicht mußte er nach den damals zugänglichen Quellen abfassen, und sie ist daher, wie wir gleich hier bemerken, nicht in demselben Maße unanfechtbar, wie der eigentliche Kern des Buches. Insbesondere waren Streicher die näheren Umstände, die das Zerwürfnis Schillers mit dem Herzog veranlaßten, nicht bekannt; vermutlich hat Schiller selbst von dem, was an Intrigen gegen ihn und gegen seinen Vater sich abgesponnen hat, nicht alles gewußt. Wir verzichten hier darauf, die Einzelheiten zu berichtigen, da der Leser dazu jede moderne Schillerbiographie benutzen kann; es sei gestattet, auf die betreffenden Abschnitte in der von mir verfaßten Biographie Schillers (4. Auflage, Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing; Volksausgabe, ebenda 1904), zu verweisen, wo ein ausführliches Bild gegeben wird. Die Universal-Bibliothek bietet die Schiller-Biographie von Rudolf von Gottschall (Nr. 3879/80), die in gedrängterer Form berichtet.

Andreas Streicher wurde als der Sohn unbemittelter Eltern im Jahre 1761 in Stuttgart geboren; er widmete sich der Tonkunst und sollte bei Emanuel Bach in Hamburg seine Ausbildung als Musiker erhalten. Von der Reise nach Hamburg aber wurde er durch die von ihm selbst erzählten Umstände abgehalten; er blieb vielmehr einige Jahre, mit Schiller und auch noch nach Schiller, in Mannheim, wandte sich dann nach München und ging 1794 nach Wien, wo er als Klavierlehrer eine auch an äußeren Erfolgen reiche Tätigkeit entwickelte. Später hat er in Wien die Pianofortefabrik seiner Frau, einer geborenen Stein aus Augsburg, übernommen und es in dieser Tätigkeit zu erheblichem Wohlstande gebracht. Er starb am 15. Mai 1833. Wie sehr er an dem Jugendfreunde hing, zeigt nicht nur das Buch selber, das er etwa in den Jahren 1828–30 verfaßt hat, sondern dies wird uns auch aus Briefen, die er nach Schillers Tode an dessen Angehörige schrieb, deutlich. Man hat wohl bemerkt, es sei auffallend, daß Schiller selbst später nicht wieder an den aufopferungsfreudigen Freund seiner Jugend geschrieben habe, insbesondere Julian Schmidt hat in seinem Buche »Schiller und seine Zeitgenossen« dieses Befremden ausgedrückt; man ist aber damit im Irrtum gewesen. Wir besitzen noch einen Brief von Schiller, der uns zeigt, wie Schiller in dankbarem Herzen die Erinnerung an Streicher bewahrt hat. Im Jahre 1795 hatte Streicher einem Herrn seiner Bekanntschaft einen Empfehlungsbrief an Schiller mitgeschickt; Schiller antwortete darauf:

»Mein teurer und hochgeschätzter Freund!

Gestern erhielt ich durch Herrn von Bühler Ihren Brief, der mich auf eine sehr angenehme Weise überraschte. Daß Sie mich nach einer zehnjährigen Trennung und in einer so weiten Entfernung noch nicht vergessen haben, daß Sie meiner mit Liebe gedenken und mir ein gleiches gegen Sie zutrauen, rührt mich innig, lieber Freund, und ich kann Ihnen auch von meiner Seite mit Wahrheit gestehen, daß mir die Zeit unseres Zusammenseins und Ihre freundschaftliche Teilnahme an mir, Ihre gefällige Duldung gegen mich und Ihre auf jeder Probe ausharrende Treue in ewig teurem Andenken bleiben wird.

Wie erfreuen Sie mich, lieber Freund, mit der Nachricht, daß es Ihnen wohl geht, daß Sie mit Ihrem Schicksale zufrieden sind und nun auch die Freuden des häuslichen Lebens genießen. Diese sind mir schon seit sechs Jahren zu teil geworden, und ich könnte, im Besitze eines hoffnungsvollen Knaben, sowie in meiner unabhängigen äußeren Lage ein ganz glücklicher Mensch sein, wenn ich aus dem Sturme, der mich so lange herumgetrieben, meine Gesundheit gerettet hätte. Indessen macht ein heiteres Gemüt und der angenehme Wechsel der Beschäftigung mich diesen Verlust noch ziemlich vergessen, und ich finde mich in mein Schicksal.

Eben dieser Zustand meiner Gesundheit läßt mich nicht daran denken, eine Reise zu unternehmen, und raubt mir also die Freude, Ihre freundschaftliche Einladung anzunehmen. Aber was mir unmöglich ist, können Sie vielleicht ausführen, und um so eher, da ein Tonkünstler überall zu Hause ist und selbst auf Reisen die Zeit nicht verliert. Daß mir Ihre Erscheinung in Jena unbeschreiblich viele Freude machen würde, bedarf keiner Versicherung, und daß auch Sie nicht unzufrieden sein sollen, dafür, glaube ich, gutsagen zu können. Ich könnte Ihnen wenigstens dafür stehen, daß Sie in Weimar, wo man Musik zu schätzen weiß, eine sehr erwünschte Aufnahme finden sollten.

Ihr aufrichtig ergebener

Schiller.

Jena, den 9. Oktober 95.

An Herrn Andreas Streicher, Tonkünstler in Wien.«

Man sieht aus diesem Briefe, daß Schiller, wenn auch keine häufigeren Anlässe zu lebhafterem Briefwechsel mit seinem Jugendfreunde vorlagen, ihn doch in dankbarer Erinnerung bewahrte. Folgende beiden Briefe mögen noch dem Leser zeigen, mit welcher Wärme Andreas Streicher spät nach Schillers Tode für die Pflege von dessen Andenken gesorgt hat. Der erste dieser Briefe ist am 30. August 1826 an Schillers einzige überlebende Schwester Christophine, die verwitwete Hofrätin Reinwald in Meiningen, gerichtet, der andere am 29. April 1829 an Schillers bekannten Freund Körner. Die Briefe lauten folgendermaßen:

I.

»Wohlgeborne Frau!

Seit dem Tode Ihres herrlichen Bruders sind einundzwanzig Jahre verflossen, und noch ist er nicht begraben, sondern sein Sarg steht in Weimar in dem Gewölbe einer Sterbkassen-Gesellschaft unter dreißig bis vierzig andern versteckt, so daß es unmöglich ist, zu ihm zu gelangen oder ihn nur zu sehen.

Man sagt, daß diese ungeheure Vernachlässigung die Schuld der Witwe sei.

Als ich im Jahre 1820 die erste Nachricht hierüber in der »Allgemeinen Zeitung« las, schrieb ich sogleich nach Weimar und erkundigte mich um die Wahrheit derselben. Leider wurde solche bestätigt und die Vermutung geäußert, daß wohl der Vermögenszustand der Schillerschen Familie einige Schuld daran haben könne. Sogleich entschloß ich mich, eine kleine von mir verfaßte Schrift: »Schillers Flucht von Stuttgart und sein Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785,« die erst nach meinem Tode erscheinen sollte, jetzt schon, und zwar zu dem Zwecke herauszugeben, damit für den eingehenden Betrag Schiller ein ordentliches Grabmal errichtet werden könnte.

Mancherlei Schwierigkeiten, die ich nicht beseitigen konnte und deren Aufzählung zu weitläufig sein würde, brachten diese Sache ins Stocken, bis endlich bei der Austeilung des neuen Kirchhofs in Weimar sich Frau von Schiller entschloß, eine Familiengruft zu wählen, und nur noch ihre Rückkehr von Köln erwartet wurde, um eine vollkommene Entscheidung herbeizuführen. Allein ein Schlagfluß überraschte sie in Bonn, wohin sie sich wegen einer Augenoperation begeben hatte, und brachte diese Sache insoferne wieder aufs neue zum Stillstande, als man sich deshalb nun an den ältesten Sohn in Köln wenden mußte. An diesen habe ich nun geschrieben, und es läßt sich erwarten, daß er die Pflicht des Sohnes erfüllen und das Murren aller Reisenden, sowie die in so vielen Zeitschriften darüber erhobenen Klagen stillen wird.

Ich habe Herrn von Schiller auch zugleich um genaue Nachrichten in betreff der letzten Lebensjahre seines Vaters ersucht, welche in den Schriften von Körner, H. Döring und andern entweder ganz übergangen oder unrichtig angegeben sind, indem mir daran liegt, daß meine Schrift als (wenigstens kleines) Ganzes sich darstelle. Da aber die Angaben über seine Eltern, über seine ersten Jugendjahre gar zu karg aufgeführt sind, und solche weder in der Zeitfolge noch in der Sache selbst zusammenpassen, so legt man diese Schriften desto unbefriedigter weg, je gespannter man auf alle Nachrichten ist, welche diese merkwürdige Familie betreffen.

Von dieser Periode lassen sich nun nur noch von Ihnen, wohlgeborne Frau, die allerzuverlässigsten Nachrichten erwarten, indem Sie der einzige noch lebende Zeuge derselben sind. Ich nehme mir daher die Freiheit, Ihnen einige Fragen vorzulegen, welche diesen Zeitraum betreffen, mit der Bitte, selbige einiger Aufmerksamkeit würdigen und mir gefälligst beantworten zu wollen. Da ich meine Absicht, warum ich alles dahin Gehörige zu wissen wünsche, deutlich ausgesprochen, so darf ich nicht fürchten, daß Sie diese Fragen als aus bloßer Neugierde oder aus einer unedlen Ursache gestellt ansehen werden, sondern habe gegründete Ursache, zu hoffen, daß Sie dem Jugendfreunde und Leidensgefährten Ihres Bruders sein Verlangen um so weniger versagen werden, weil dieses nur zur Verherrlichung des Verewigten gereichen solle. Da aber die Schrift schon in einigen Monaten in Druck gegeben werden muß – da erst, wenn dieser schon im Gange ist, die Unterzeichnung darauf öffentlich angekündigt werden kann – da auch nur alsdann erst zur Erbauung eines ordentlichen, würdigen Grabmals geschritten wird, wenn man der Kostendeckung versichert ist – da meine Geschäfte mir nur sehr wenig Zeit zur Vollendung dieser Schrift gestatten, und da mein Alter, sowie meine Gesundheit es nicht ratsam machen, diese Angelegenheit noch länger als bis zum 9. Mai 1827 zu erstrecken, so muß ich den dringenden Wunsch beifügen, daß Sie die Güte haben und mir Ihre Antwort sobald als möglich übermachen wollen. Keine Ihrer Nachrichten soll für mein Eigentum abgegeben, sondern dankbar dem Publikum die Quelle genannt werden, aus welcher mir solche zugeflossen.

Es sind nun volle dreiundvierzig Jahre, daß mir nicht mehr vergönnt ward, Sie zu sehen, und nur meine lebhafte Erinnerung an Sie, sowie an Ihr ganzes Haus, kann mir einige Schadloshaltung für dieses Glück gewähren.

Mein innigster Wunsch ist, daß dieser Brief Sie, sowie Ihren Herrn Gemahl in bestem Wohlsein treffe, und daß von diesem durch eine gefällige Antwort recht bald die Überzeugung erhalte, wohlgeborne Frau, Ihr hochachtungsvoll ergebenster Diener

Andreas Streicher, Tonkünstler.

Wien, am 30. August 1826.«

II.

»Das Werk erscheint gegen Unterzeichnung, und der reine Ertrag desselben, wenn er sich auf 20 000 Gulden beläuft, soll erstens dazu verwendet werden, um eine Stiftung zu gründen, damit alle zehn Jahre die Interessen dieses Kapitals demjenigen (oder dessen Erben) eingehändigt werden, der während dieser Zeit das beste Schauspiel, Drama oder Trauerspiel, dessen Inhalt aus der deutschen Geschichte genommen sein muß, gedichtet hat. Zweitens, da aber die 10 000 Gulden Interessen des Kapitals in zehn Jahren wieder 2500 Gulden abwerfen, so werden diese demjenigen Schriftsteller als Preis zugeteilt, der in diesem Zeitraume das beste Werk für die Jugend oder das Volk in dem Sinne geschrieben, wie es Schiller in der Rezension von Bürgers Gedichten in den Worten: »Welches Unternehmen usw. bis: würden sie endlich selbst von der Vernunft abfordern,« angedeutet hat. Diese Preise würden einmal in Stuttgart, als der Hauptstadt von des Dichters Vaterland, das andere Mal in Weimar, wo er Unterstützung fand und starb, und das dritte Mal in Wien, wo seine hohe, gemütvolle Dichtung noch am meisten gewürdigt und empfunden wird, öffentlich und feierlich erteilt werden. Jeder der genannten Orte würde drei Schiedsrichter ernennen, welche die des Preises würdigsten Stücke bezeichnen würden.

Dies ist das Hauptsächlichste von dem, was ich mir hierüber ausgedacht und auch Herrn Ernst von Schiller mitgeteilt habe. Dieser aber erwidert mir, daß ich durch Ausführung dieses Vorsatzes dem Verkaufe der sämtlichen Werke seines Vaters bedeutenden Schaden zufügen und vielleicht das ganze Unternehmen gefährden würde. Allein ich habe Freiherrn von Cotta diesen Plan voriges Jahr mündlich mitgeteilt und weder damals, noch seit jener Zeit irgend einen Widerstand von ihm erfahren. Auch scheint die abgesonderte Herausgabe des Briefwechsels von Goethe und Schiller darauf hinzudeuten, daß vorerst alles bisher noch Unbekannte von Schiller einzeln herausgegeben und dann erst in späterer Zeit eine ganz vollständige Ausgabe seiner Werke veranstaltet werden solle.

Da ich nun den Zweck der Herausgabe von Nachrichten über unsern Dichter genau und wahr angegeben: da alles, was darauf Beziehung hat, gänzlich von einer Nebenabsicht frei und rein ist, da nichts anderes dadurch erreicht werden soll, als daß seine schwere Laufbahn die eines nicht unwürdigen Nachfolgers erleichtern solle; da es auch nicht gleichgültig ist, das Volk, für das er lebte und schrieb, nicht nur zu einer dauernden Anerkennung seines außerordentlichen Geistes aufzufordern, sondern damit auch zugleich der Dichtkunst einen Rang anzuweisen, den sie schon lange bei andern Nationen, aber leider bei den hadersüchtigen, nur nach Geld und Titeln strebenden Deutschen bisher nicht hatte; da eine genaue Schilderung seines Lebens, seines himmlischen Gemütes, der Tiefe und Fülle seiner Empfindung nur von denen getreu dargestellt und erwartet werden kann, die ihn im Glück und Unglück handeln sahen – so werden Sie dieses Schreiben sowohl als auch die Fragen mit Nachsicht aufnehmen und nicht kalt zurückweisen.«

***

Streicher ist durch Christophine und auch aus seinen anderen Quellen nicht immer ganz richtig unterrichtet worden; es sind in dem Originaldruck eine Reihe von Versehen. Diese sind in unserem Neudruck entweder ohne weiteres korrigiert oder aber durch Fußnoten kenntlich gemacht worden.

Im übrigen verweisen wir auf Streichers Büchlein selber; es mag durch sich und für sich sprechen.

Berlin, im Februar 1905.

J. Wychgram.

Vorrededer Hinterbliebenen Streichers zur Ausgabe von 1836.

Der Verfasser des nachstehenden Werkchens, Andreas Streicher, lebt nicht mehr. Zu den schönsten Erinnerungen seines reich beschäftigten Lebens gehörten die Tage, die er in Schillers Nähe zugebracht hatte, dessen Andenken er mit liebender Begeisterung, mit schwärmerischer Verehrung bewahrte. Er hatte den edlen Dichterjüngling im Unglücke gesehen, im Kampfe mit feindlichen Verhältnissen, und treu und aufopfernd an ihm festgehalten. Und gerade jenen Zeitraum, so wichtig für die Darstellung von Schillers Charakter, als er es für die Entwicklung desselben und seiner äußern Lage gewesen, fand der Verfasser in allen Biographien des Verewigten fast nur erwähnt, nur kurz und unvollständig behandelt. Er wußte, daß wenige der Überlebenden in dem Falle waren, so richtig und ausführlich darüber zu berichten als er, und es drängte ihn, die Feder zu ergreifen, um das Seinige zur Charakteristik des für Deutschland und die Menschheit denkwürdigen Mannes beizutragen. In weit vorgerückten Jahren begann er mit der strengsten Wahrhaftigkeit und sorgsamer, gewissenhafter Liebe die folgenden Mitteilungen auszuarbeiten. Diese Sorgfalt bewog ihn, immer noch daran zu bessern; diese Liebe machte, daß er zuletzt auch Materialien über spätere Lebensabschnitte seines Jugendfreundes sammelte, und über dem Sammeln, Sichten, Ordnen – ereilte ihn der Tod.

Er hatte sich oft und gern mit Entwürfen in Hinsicht auf die Verwendung des Ertrages seiner Schrift zu einer passenden Stiftung, einem Dichterpreis, irgend einem gemeinnützigen Zwecke beschäftigt. Seine Hinterbliebenen halten es für ihre Pflicht gegen ihn und das Publikum, die Herausgabe des Werkes zu besorgen, an welcher den Erblasser selbst ein unerwartetes Ende hinderte. Überzeugt, ganz in seinem Sinne zu handeln, legen sie das Honorar, welches die Verlagshandlung ihnen dafür zugesagt, als Beitrag zu dem Denkmale Schillers, auf den Altar des Vaterlandes nieder.

Sie geben das Werk, wie sie es in Reinschrift in seinem Nachlasse fanden.

Sie befürchten nicht, daß der Titel »Flucht« auch nur einen leisen Schatten auf das Andenken oder den Namen Schillers werfen dürfte, da es allbekannt ist, wie dessen Entfernung von Stuttgart keineswegs Folge irgend eines Fehltrittes war, sondern ganz gleich der Flucht seines »Pegasus,« der mit der Kraft der Verzweiflung das Joch bricht, um ungehemmten Fluges himmelan zu steigen.

Wie an dem Titel, so glauben sie auch an dem Inhalte, ja selbst an dem Stile nichts willkürlich ändern zu dürfen, um das Eigentümliche nicht zu verwischen, woran man den Zeitgenossen der frühesten Periode und den Landsmann unsers gefeierten Dichters erkennen mag. Der Verfasser war Musiker, nicht Schriftsteller, und was ihm die Feder in die Hand gegeben, nur seine glühende Verehrung Schillers und der frohe und gerechte Stolz, ihm einst nahe gestanden zu sein.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, den sie festzuhalten bitten, wird seine Leistung nachsichtige Beurteiler in den geneigten Lesern finden.

Schillers Flucht von StuttgartundAufenthalt in Mannheim von 1782–1785.

Johann Kaspar Schiller, geboren 1723, war der Vater unseres Dichters und ein Mann von sehr vielen Fähigkeiten, die er auf die beste, würdigste Weise verwendete, und die sowohl von seiner Umgebung als auch von seinem Fürsten auf das vollständigste anerkannt wurden.

In seiner Jugend wählte er zum Beruf die Wundarzneikunde und ging, nachdem er sich hierin ausgebildet, in seinem zweiundzwanzigsten Jahre mit einem bayrischen Husarenregiment nach den Niederlanden, von wo er, nach geschlossenem Frieden, in sein Vaterland Württemberg zurückkehrte und sich 1749 zu Marbach, dem Geburtsorte seiner Gattin, verheiratete. Dem höher strebenden und mehr als zu seinem Fache damals nötig war, ausgebildeten Geiste dieses Mannes konnte aber der kleine, enge Kreis, in dem er sich jetzt bewegen mußte, um so weniger zusagen, als er durchaus nichts Erfreuliches für die Zukunft erwarten ließ, und er auch bei früheren Gelegenheiten, wo er gegen den Feind als Anführer in den Vorpostengefechten diente, Kräfte in sich hatte kennen lernen, deren Gebrauch ihm edler sowie für sich und seine Familie nützlicher schien als dasjenige, was er bisher zu seinem Geschäft gemacht hatte. Er verließ daher bei dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, an welchem der Herzog gegen Preußen teilnahm, die Wundarzneikunde gänzlich, suchte eine militärische Anstellung und erhielt solche 1757 als Fähnrich und Adjutant bei dem Regiment Prinz Louis um so leichter, da er schon früher den Ruhm eines tapfern Soldaten und umsichtigen Anführers sich erworben hatte.

So lange als das württembergische Korps im Felde stand, machte er diesen Krieg mit, benutzte aber die Zeit der Winterquartiere, um mit Urlaub nach Hause zu kehren, und war im November 1759 bei der Geburt seines Sohnes, der auch der einzige blieb, gegenwärtig. Nach geschlossenem Frieden wurde er in dem schwäbischen Grenzstädtchen Lorch als Werboffizier mit Hauptmannsrang angestellt, bekam aber, sowie die zwei Unteroffiziere, die ihm beigegeben waren, während drei ganzer Jahre nicht den mindesten Sold, sondern mußte diese ganze Zeit über sein Vermögen im Dienste seines Fürsten zusetzen. Erst als er dem Herzog eine nachdrückliche Vorstellung einreichte, daß er auf diese Art unmöglich länger als ehrlicher Mann bestehen oder auf seinem Posten bleiben könne, wurde er abgerufen und in der Garnison von Ludwigsburg angestellt, wo er dann später seinen rückständigen Sold in Terminen nach und nach erhielt. Sowohl während der langen Dauer des Krieges als auch in seinem ruhigen Aufenthalte zu Lorch war sein lebhafter, beobachtender Geist immer beschäftigt, neue Kenntnisse zu erwerben und diejenigen, welche ihn besonders anzogen, zu erweitern. Den Blick unausgesetzt auf das Nützliche, Zweckmäßige gerichtet, war ihm schon darum Botanik am liebsten, weil ihre richtige Anwendung dem Einzelnen, sowie ganzen Staaten Vorteile verschafft, die nicht hoch genug gewürdigt werden können. Da zu damaliger Zeit die Baumzucht kaum die ersten Grade ihrer jetzigen, hohen Kultur erreicht hatte, so verwendete er auf diese seine besondere Aufmerksamkeit und legte in Ludwigsburg eine Baumschule an, welche so guten Erfolg hatte, daß der Herzog – gerade damals mit dem Bau eines Lustschlosses beschäftigt – ihm 1775 die Oberaufsicht über alle herzustellenden Gartenanlagen und Baumpflanzungen übertrug.

Hier hatte er nun Gelegenheit nicht nur alles, was er wußte und versuchen wollte, im großen anzuwenden, sondern auch seine Ordnungsliebe und Menschenfreundlichkeit auf das wirksamste zu beweisen. Um seine Erfahrungen in der Baumzucht, welche nach der Absicht seines Fürsten für ganz Württemberg als Regel dienen sollten, auch dem Auslande nutzbringend zu machen, sammelte er solche in einem kleinen Werke: Die Baumzucht im großen, wovon die erste Auflage zu Neustrelitz 1795 und die zweite 1806 zu Gießen erschien.

Auch außer seinem Berufe war die Tätigkeit dieses seltenen Mannes ganz außerordentlich. Sein Geist rastete nie, stand nie still, sondern suchte immer vorwärts zu schreiten. Er schrieb Aufsätze über ganz verschiedene Gegenstände und beschäftigte sich sehr gern mit der Dichtkunst – zu welcher er eine natürliche Anlage hatte.

Es ist nicht wenig zu bedauern, daß von seinen vielen Schriften und Gedichten weiter nichts als obiges Werkchen unter die Augen der Welt kam; wäre es auch nur, um einigermaßen beurteilen zu können, wie viel der Sohn im Talent zum Dichter und Schriftsteller vom Vater als Erbteil erhalten habe. Der Herzog, der ihm endlich den Rang als Major erteilte, schätzte ihn sehr hoch; seine Untergebenen, die in großer Anzahl aus den verschiedensten Menschen bestanden, liebten ihn ebenso wegen seiner Unparteilichkeit, als sie seine strenge Handhabung der Ordnung fürchteten; Gattin und Kinder bewiesen durch Hochachtung und herzlichste Zuneigung, wie sehr sie ihn verehrten.

Von Person war er nicht groß. Der Körper war untersetzt, aber sehr gut geformt. Besonders schön war seine hohe, gewölbte Stirn, die durch sehr lebhafte Augen beseelt, den klugen, gewandten, umsichtigen Mann erraten ließ. Nachdem er seine heißesten Wünsche für das Glück und den Ruhm seines einzigen Sohnes erfüllt gesehen und den ersten Enkel seines Namens auf den Armen gewiegt hatte, starb er 1796 im Alter von 73 Jahren an den Folgen eines vernachlässigten Katarrhs nach achtmonatlichen Leiden in den Armen seiner Gattin und der ältesten Tochter, die von Meiningen herbeigeeilt war, um mit der Mutter die Pflege des Vaters zu teilen, zugleich auch die schwere Zeit des damaligen Krieges und ansteckender Krankheiten ihnen übertragen zu helfen.

Die Mutter des Dichters, Elisabetha Dorothea Kodweiß, war aus einem alt-adligen Geschlecht entsprossen, das sich von Kattwitz nannte und durch unglückliche Zeitumstände Ansehen und Reichtum verloren hatte. Ihr Vater, der schon den Namen Kodweiß angenommen, war Holzinspektor zu Marbach. Eine fürchterliche Überschwemmung beraubte ihn dort seines ganzen Vermögens. Aus Not griff er nun, um seine Familie nicht darben zu lassen, zu gewerblichen Mitteln, bei welchen er jedoch nichts vernachlässigte, was die Bildung des Herzens und Geistes seiner Kinder befördern konnte.

Diese edle Frau war groß, schlank und wohlgebaut; ihre Haare waren sehr blond, beinahe rot; die Augen etwas kränklich. Ihr Gesicht war von Wohlwollen, Sanftmut und tiefer Empfindung belebt, die breite Stirne kündigte eine kluge, denkende Frau an. Sie war eine vortreffliche Gattin und Mutter, die ihre Kinder auf das zärtlichste liebte, sie mit größter Sorgfalt erzog, besonders aber auf ihre religiöse Bildung, so früh als es rätlich war, durch Vorlesen und Erklären des Neuen Testaments einzuwirken suchte.

Gute Bücher liebte sie leidenschaftlich, zog aber – was jede Mutter tun sollte – Naturgeschichte, Lebensbeschreibungen berühmter Männer, passende Gedichte sowie geistliche Lieder allen andern vor. Auf den Spaziergängen leitete sie die Aufmerksamkeit der zarten Gemüter auf die Wunder der Schöpfung, die Größe, Güte und Allmacht ihres Urhebers. Dabei wußte sie ihren Reden so viel Überzeugendes, so viel Gehalt und Würde einzuflechten, daß es ihnen in späten Jahren noch unvergeßlich blieb. Ihre häusliche Lage war bei dem geringen Einkommen ihres Gatten sehr beschränkt, und es erforderte die aufmerksamste Sparsamkeit, sechs Kinder standesgemäß zu erhalten und sie in allem Notwendigen unterrichten zu lassen.

Die allgemeine Lebensart und Sitte, welche damals in Württemberg herrschte, erleichterte jedoch eine gute Erziehung um so mehr, als eine Abweichung von Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Rechtschaffenheit sowie der aufrichtigsten Verehrung Gottes als ein großer Fehler angesehen und scharf getadelt worden wäre. Die Begriffe von Redlichkeit, Aufopferung, Uneigennützigkeit suchte man damals jedem Kinde in das Herz zu prägen. In der Schule wie zu Hause wurde auf die Ausübung dieser Tugenden ein wachsames Auge gehalten. Die Vorbereitungen zur Ablegung des Glaubensbekenntnisses waren größtenteils Prüfungen des vergangenen Lebens sowie eindringende Ermahnungen, daß alles Tun und Lassen Gott und den Menschen gefällig einzurichten sei.

Ein nicht unbedeutender Teil der Bewohner Württembergs, zu welchem sich aus allen Ständen Mitglieder gesellten, konnte sich aber an derjenigen Religionsübung, welche in der Kirche gehalten wurde, nicht begnügen, sondern schloß noch besondere Vereinigungen, um die innerliche, geistige Ausbildung zu befördern, und den äußern Menschen der Stimme des Gewissens ganz untertänig zu machen, damit dadurch hier schon die höchste Ruhe des Gemüts und ein Vorgeschmack dessen erlangt würde, was das Neue Testament seinen mutigen Bekennern im künftigen Leben verspricht. Aber es war keine müßige, innere Anschauung, welcher diese Frommen sich hingaben, sondern sie suchten auch ihre Reden und Handlungen ebenso tadellos zu zeigen, als es ihre Gedanken und Empfindungen waren.

Konnten auch die weltlicher Gesinnten einer so strengen Übung der Religion und Selbstbeherrschung sich nicht unterwerfen, so hatten sie doch nachahmungswürdige Vorbilder unter Augen, vor welchen sie sich scheuen mußten, die rohe Natur vorwalten zu lassen oder etwas zu tun, was einen zu scharfen Abstand gegen das Sein und Handeln der Frömmern gemacht hätte. Für das Allgemeine hatten diese abgeschlossenen, stillen Gesellschaften die gute Folge, daß der württembergische Volkscharakter als ein Muster von Treue, Redlichkeit, Fleiß und deutscher Offenheit gepriesen wurde, und Ausnahmen davon unter die Seltenheiten gezählt werden durften.

In diesem Lande, unter solchen Menschen lebten die Eltern unseres Dichters, und nach solchen frommen Grundsätzen erzogen sie auch ihre Kinder. Die Eindrücke dieser tief wirkenden Leitung konnten nie erlöschen; sie begleiteten die Kinder durch das ganze Leben, ermutigten in den schwersten Prüfungen die Töchter und sprechen sich mit der höchsten Wärme in den meisten Werken des Sohnes aus.

Auch diese gute, geliebte Mutter erlebte noch den ersehnten Augenblick, ihren einzigen Sohn und Liebling als glücklichen Gatten und Vater, mit errungenem Ruhm gekrönt, im Vaterlande selbst umarmen zu können.

Ein sanfter Tod entriß sie den Ihrigen im Jahr 1802. Ihre Ehe, die ersten acht Jahre unfruchtbar, ward endlich durch sechs Kinder beglückt, von denen gegenwärtig nur noch Dorothea Luise Schiller, geboren 1766, an den Stadtpfarrer Frankh zu Möckmühl im Württembergischen verheiratet, und Elisabetha Christophina Friederika Schiller, geboren 1757, Witwe des verstorbenen Bibliothekars und Hofrats Reinwald zu Meiningen, am Leben sind. Die jüngste Schwester, Nannette, geboren 1777, verschied infolge eines ansteckenden Nervenfiebers, das durch ein auf der Solitüde anwesendes Feldlazarett verbreitet wurde, in ihrer schönsten Blüte schon im achtzehnten Jahre. Zwei andere Kinder starben bald nach der Geburt.

Dem Bruder an Gestalt, Geist und Gemüt am ähnlichsten ist die edle Reinwald, zu welchen Eigenschaften sich noch eine Handschrift gesellt, welche der des Dichters so ähnlich ist, daß man sie davon kaum unterscheiden kann.

Den frommen Gefühlen der Jugend getreu, konnte sie, auch als kinderlose Witwe, am 16. September 1826 dem Verfasser schreiben: »Aber ich stehe doch nicht allein, überall umgibt mein Alter der Freundschaft und Liebe sanftes Band, und Gott schenkt mir in meinem neunundsechzigsten Lebensjahr noch den völligen Gebrauch meiner Sinne und eine Heiterkeit der Seele, die gewöhnlich nur die Jugend beglückt. So sehe ich mit Zufriedenheit meinem Ziel entgegen, das mich in einer bessern Welt mit den Geliebten, die vorangingen, wieder vereinigt.«

Unser Dichter, Johann Christoph Friedrich Schiller, wurde am 10. November 1759 zu Marbach, einem württembergischen Städtchen am Neckar, geboren. Obwohl Marbach damals nicht der Wohnort seiner Eltern war, so hatte sich dennoch seine Mutter dahin begeben, um in ihrem Geburtsort, in der Mitte von Verwandten und Freunden das Wochenbett zu halten.

Über die ersten Kinderjahre Schillers läßt sich mit Zuverlässigkeit nichts weiter angeben, als daß seine Erziehung mit größter Liebe und Aufmerksamkeit besorgt wurde, indem er sehr zart und schwächlich schien.

Erst von dem Jahr 1765 an werden die Nachrichten bestimmter und verbürgen, daß der Knabe seinen ersten Unterricht im Lesen, Schreiben, Lateinischen und Griechischen von dem Pastor Moser mit dessen Söhnen zugleich in Lorch, einem schwäbischen Grenzstädtchen, erhielt, wohin sein Vater, wie oben erwähnt, als Werboffizier versetzt ward.

Damals schon, im Alter von sechs bis sieben Jahren, hatte er ein sehr tiefes religiöses Gefühl sowie eine sich täglich aussprechende Neigung zum geistlichen Stande. Sowie ihn eine ernste Vorstellung, ein frommer Gedanke ergriff, versammelte er seine Geschwister und Gespielen um sich her, legte eine schwarze Schürze als Kirchenrock um, stieg auf einen Stuhl und hielt eine Predigt, deren Inhalt eine Begebenheit, die sich zugetragen, ein geistliches Lied oder ein Spruch war, worüber er eine Auslegung machte. Alle mußten mit größter Ruhe und Stille zuhören; denn wie er den geringsten Mangel an Aufmerksamkeit oder Andacht bei der kleinen Gemeinde wahrnahm, wurde er sehr heftig und verwandelte sein anfängliches Thema in eine Strafpredigt.

So voll Begeisterung, Kraft und Mut diese Reden auch waren, so zeigte in den häuslichen Verhältnissen sein Charakter dennoch nichts von jener Heftigkeit, Eigensinn oder Begehrlichkeit, welche die meisten talentvollen Knaben so lästig machen, sondern war lauter Freundschaft, Sanftmut und Güte.

Gegen seine Mutter bewies er die reinste Anhänglichkeit sowie gegen die Schwestern die wohlwollendste Verträglichkeit und Liebe, welche von allen auf das herzlichste, besonders tätig aber von der ältesten (der noch lebenden Fr. Hofr. Reinwald) erwidert wurde, die öfters, obwohl sie unschuldig war, die harten Strafen des Vaters mit dem Bruder teilte.

Obwohl ihn der Vater sehr liebte, so war er doch wegen eines Fehlers, durch den die sparsamen Eltern oft nicht wenig in Verlegenheit gesetzt wurden, hart und strenge gegen ihn. Der Sohn hatte nämlich denselben unwiderstehlichen Hang, hilfreich zu sein, welchen er später in Wilhelm Tell mit den wenigen Worten: »Ich hab' getan, was ich nicht lassen konnte,« so treffend schildert.

Nicht nur verschenkte er an seine Kameraden dasjenige, über was er frei verfügen konnte, sondern er gab auch den ärmeren Bücher, Kleidungsstücke, ja sogar von seinem Bette.

Hierin war die älteste Schwester, die gleichen Hang hatte, seine Vertraute, und über diese, da sie, um den jüngern Bruder zu schützen, sich als Mitschuldige bekannte, ergingen nun gleichfalls Strafworte und sehr fühlbare Züchtigungen.

Da die Mutter sehr sanft war, so ersannen die beiden Geschwister ein Mittel, der Strenge des Vaters zu entgehen. Hatten sie so gefehlt, daß sie Schläge befürchten mußten, so gingen sie zur Mutter, bekannten ihr Vergehen und baten, daß sie die Strafe an ihnen vollziehe, damit der Vater im Zorne nicht zu hart mit ihnen verfahren möchte.