Schritte im Dunkeln - Georgette Heyer - E-Book
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Schritte im Dunkeln E-Book

Georgette Heyer

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Beschreibung

Die Geschwister Peter, Celia und Margaret erben das ehemalige Klostergebäude Priory. Angeblich soll es in dem alten Gemäuer spuken, aber die jungen Leute glauben nicht an Geister und beschließen, in das herrliche Landhaus zu ziehen. Schon in der ersten dort verbrachten Nacht bestätigen sich allerdings die Gerüchte - ein furchterregendes, durchdringendes Stöhnen reißt alle aus dem Schlaf. Gemeinsam versuchen sie, der wahren Ursache für den Spuk auf den Grund zu gehen. Was zunächst als ein unterhaltsames Spiel beginnt, wird bald bitterer Ernst, denn es geschieht ein Mord ...

Georgette Heyer auf den Spuren Agatha Christies. Spannend und amüsant - Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

"An Heyers Figuren und Dialogen habe ich immer wieder meine helle Freude." Dorothy L. Sayers


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Seitenzahl: 402

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Über dieses Buch

Die Geschwister Peter, Celia, Margaret und deren Ehemann Charles erben gemeinsam das ehemalige Klostergebäude Priory. Den Gerüchten, dass es in dem alten Gemäuer spuken soll, schenken sie keinen Glauben. So entschließen sie sich, mit ihrer schwerhörigen alten Tante Lilian in das herrliche Landhaus einzuziehen. Schon in der ersten dort verbrachten Nacht bestätigen sich allerdings die Warnungen der Nachbarn – ein furchterregendes, durchdringendes Stöhnen reißt die jungen Leute aus dem Schlaf. So schnell lassen sie sich aber nicht vertreiben. Sie versuchen, der wahren Ursache für den Spuk auf den Grund zu gehen. Was zunächst als ein unterhaltsames Spiel beginnt, wird bald bitterer Ernst, denn es geschieht ein Mord …

Über die Autorin

Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.

Georgette Heyer

Schritte im Dunkeln

Aus dem Englischen von Ilse Winger

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Copyright © Georgette Heyer, 1932

Die Originalausgabe FOOTSTEPS IN THE DARK erschien 1932 bei Longmans and Co.

Copyright der deutschen Erstausgabe:

© Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1986.

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Umschlaggestaltung: © Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: sbelov | joloei

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-4322-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Kapitel 1

„Ich nehme an, das ist der Abreitplatz“, sagte Charles Malcolm, „mit vielen natürlichen Hindernissen.“

Würdevoll erwiderte seine Frau Celia: „Nein, das ist der Tennisplatz, mein Lieber.“ Charles brummte verächtlich. „Man muss den Platz nur ein bisschen einebnen“, meinte Celia.

„Es müssen nur ein Mähdrescher und eine Dampfwalze her“, sagte Charles unfreundlich. „Und das ist der Besitz, den du nicht verkaufen wolltest!“

Seine Schwägerin mischte sich ein. „Er ist zauberhaft, und du weißt es. Sobald Celia und ich hierherkamen, haben wir uns in diesen Ort verliebt.“

„Das glaube ich gern“, sagte Charles, „ein, zwei Schiebefenster, eine verfallene Kapelle, und schon sinkt ihr beide in die Knie. Aber Peter hat euch doch begleitet. Was hat ihm so gefallen? Das Bier im Dorfwirtshaus?“

„Am Ende des Gartens ist ein Forellenbach“, erklärte Margaret.

„Richtig“, gab Charles zu, „und bei nassem Wetter gibt es auch einen im Dienstbotentrakt. Bowers hat ihn mir gezeigt.“

„Nur weil eine Scheibe im Fenster fehlt“, erwiderte Celia ärgerlich. „Natürlich regnet es da herein.“

Margaret legte ihre Hand auf Charles’ Arm. „Warte, bis du dein Schlafzimmer gesehen hast. Die Wände sind holzgetäfelt, mit einem eingebauten Schrank, den du nicht so leicht finden wirst.“

„Riesig lustig“, bemerkte Charles. „Wenn jemand bei uns einbricht, wird er nicht einmal meinen Morgenrock finden. Vielleicht sollte ich die Stelle mit einem Kreuz markieren.“

„Nein, du hast einen Kompass. Gehen wir hinein, und ich werde dir alles zeigen“, sagte seine Frau.

Auf einem der verwahrlosten Wege wanderten sie zwischen Blumenbeeten zur Terrasse an der Südseite des Hauses.

„Charles, kannst du jetzt, da die Sonne auf das graue Gemäuer scheint, das Haus ansehen und uns Vorwürfe machen, dass wir uns nicht davon trennen wollen?“, rief Margaret aus.

„Ich werde warten, bis ich mein Zimmer gesehen habe“, erwiderte Charles.

Er musste jedoch zugeben, dass dieses Haus, das seine Frau, ihre Schwester und ihr Bruder geerbt hatten, vom künstlerischen Standpunkt aus keinen Wunsch offen ließ. Vor vielen hundert Jahren aus grauem Stein erbaut, war es heute teilweise stark verfallen; im Lauf der Zeit war vieles hinzugebaut worden, sodass das heutige Haus ein weitläufiges, verschachteltes Gebäude war. Die Eichen in dem großen Park waren vermutlich schon da gewesen, als Wilhelm der Eroberer landete. Eine etwa zweihundert Meter lange Zufahrt führte an den alten Bäumen vorbei zum Parktor an der Straße nach Framley. Fuhr man über die Straße, so waren es fast zwei Kilometer bis zu dem Dorf; wenn man hinter dem Haus über die Felder ging, war die Strecke jedoch viel kürzer. An der Straße zum Dorf, aber auf dem Gelände der Priory gelegen, befand sich die Ruine jener Kapelle, die Celias Fantasie so angeregt hatte. Während der Reformation geplündert, von Cromwells Kanonen beschossen, stand nicht mehr viel davon außer ein paar Mauerresten, die aus dem Gras hervorragten. Da und dort war noch ein gotisches Fenster zu erkennen, aber die meisten Mauern waren kaum höher als ein, zwei Meter.

Die Priory selbst war restauriert worden, und die vielen Zu- und Neubauten ließen kaum mehr etwas von der alten Behausung der Mönche erahnen. Celia – sie hatte ein Buch über alte Klöster gekauft – erklärte, dass die Bibliothek, ein großer Raum vor der Terrasse, ursprünglich das Refektorium gewesen sei; die Holzvertäfelung allerdings stamme vermutlich aus einer späteren Zeit.

Der Besitz war ihr ganz unerwartet in den Schoß gefallen. Ein Onkel, den sie gemeinsam mit Peter und Margaret pflichtschuldigst von Zeit zu Zeit zu besuchen pflegte, hatte die Priory seinem Neffen und seinen beiden Nichten hinterlassen. Er selbst – kein Freund ländlicher Einsamkeit – hatte das Haus nie bewohnt. Er hatte es von seiner Schwester geerbt, die während ihrer Ehe und ihrer Witwenschaft dort gelebt hatte. Das Haus war heute noch so, wie sie es verlassen hatte, und kaum hatten es Celia Malcolm und Peter und Margaret Fortescue gesehen, als sie erklärten, es sei genau das Haus, von dem sie seit Jahren geträumt hätten. Das heißt, die beiden Schwestern sagten das. Peter war weniger begeistert, gab jedoch zu, dass es schade wäre, den Besitz zu verkaufen.

Man hatte eine ganze Weile versucht, die Priory zu vermieten, doch seit die ersten Mieter, die das Haus zwei Jahre lang bewohnt hatten, ausgezogen waren, hatte sich niemand mehr dafür interessiert.

„Ihr Onkel hatte ziemliche Schwierigkeiten mit dem Haus“, sagte der Anwalt. „Seine Schwester hat sich, solange sie dort lebte, nie beklagt, aber sie war eine exzentrische alte Dame, und vielleicht hat sie nichts gestört. Es ist jedoch eine Tatsache, Mrs Malcolm, dass das Haus einen schlechten Ruf hat. Die Leute, die es für drei Jahre von Ihrem Onkel gemietet hatten, zogen nach einem Jahr aus. Sie behaupteten, es spuke darin.“

„Ach!“, rief Margaret aus. „Wie aufregend!“

Der Anwalt lächelte. „Ich würde mir diesbezüglich keine großen Hoffnungen machen, Miss Fortescue. Wahrscheinlich finden Sie darin nichts Aufregenderes als Ratten. Aber ich wollte Sie jedenfalls warnen, damit Sie, wenn Sie keine Lust verspüren, ein als verwunschen geltendes Haus zu bewohnen, vielleicht dieses Angebot in Erwägung ziehen.“ Er nahm einen Briefbogen vom Schreibtisch und sah Peter fragend an.

„Ist dies das Angebot, von dem Sie uns geschrieben haben?“, fragte Peter. „Irgendjemand, der die Tafel ‚Zu vermieten‘ gesehen hat, als er hier durch die Gegend fuhr, und jetzt Genaueres wissen möchte?“

Mr Milbank nickte. Celia und Margaret wandten sich eifrig an ihren Bruder und betonten wieder, wie herrlich es sein werde, ein Landhaus zu besitzen, das so nahe der Stadt, aber trotzdem ideal gelegen sei.

Mit der Erwähnung des Forellenwassers überzeugten sie ihn. Charles, ein junger Anwalt mit einer stetig gedeihenden Praxis, hatte, wie er sagte, keine überflüssige Zeit, ein Haus anzusehen, das seine Frau um jeden Preis bewohnen wollte, gleichgültig, ob es ihm gefiel oder nicht. Er vertraute auf Peter.

„Und du hast mein Vertrauen missbraucht“, sagte er jetzt vorwurfsvoll beim Tee in der Bibliothek. „Drei Monate lang seid ihr drei hin und her geschossen, um das Haus ‚bezugsfertig‘ zu machen, wie ihr es nennt. Meine bösen Vorahnungen habt ihr mit Lügengeschichten zerstreut, bis ich fast glaubte, das Haus entspreche tatsächlich euren Beschreibungen. Du“ – anklagend wies er auf Maragaret – „hast behauptet, es sei das ideale Heim. Die Tatsache, dass nur ein Badezimmer existiert und die Warmwasserversorgung nur für ein heißes Bad pro Tag ausreicht, habt ihr wohlweislich verschwiegen.“

„Es wird dir guttun, ab und zu ein kaltes Bad zu nehmen“, meinte Peter und strich Jam auf eine gebutterte Brotschnitte. „Wir haben ja nicht die Absicht, hier den ganzen Winter zu verbringen, und außerdem könnten wir eines der Schlafzimmer in ein zweites Badezimmer umwandeln. Auch eine bessere Warmwasseranlage könnte man installieren – nicht sofort, aber irgendwann einmal.“

Charles sah ihn kühl an. „Und wie steht es mit dem Licht? Und mit dem Telefon? Ich nehme an, wir können überall Leitungen legen lassen. Das ist es vermutlich, was Celia unter ‚ein Landhaus praktisch umsonst bekommen‘ versteht. Ich hätte es mir denken können.“

„Ich persönlich ziehe Kerzen und Leuchter vor“, warf Celia ein. „In einem solchen Haus wäre elektrisches Licht fehl am Platz. Und was das Telefon betrifft, genau das wollte ich los sein.“ Sie nickte ihrem Mann vergnügt zu. „Dieses Jahr wirst du einmal richtige Ferien haben – völlig abgeschnitten von der Stadt.“

„Danke vielmals“, sagte Charles. „Und was hast du vorhin erwähnt? Irgendetwas, dass man ins Dorf gehen sollte, um Speck fürs Frühstück zu kaufen?“

„Du kannst ja das Auto nehmen“, erklärte Celia, „und dich im Dorf auch nach einem Gärtner umsehen. Ich fürchte, du und Peter allein werdet mit dem Garten nicht fertigwerden.“

„Nein, ganz bestimmt nicht“, sagte Charles mit Überzeugung.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und eine freundlich aussehende, rundliche Dame in den besten Jahren trat ein. Es war Mrs Bosanquet, die Tante der Fortescues. Sie setzte sich, nahm eine Tasse Tee, lehnte ein eher solide aussehendes Stück Kuchen ab und entschied sich für ein Butterbrot.

„Ich habe meine Kisten ausgepackt“, verkündete sie, „aber leider konnte ich den Schrank nicht finden – gleich zweimal.“

„Aber nein, hast du auch einen, der so witzig versteckt ist?“, erkundigte sich Charles.

Mit freundlich fragender Miene wandte sich Mrs Bosanquet ihm zu. Sie war fast taub. Als Charles seine Frage wiederholt hatte, nickte sie. „Ja, mein Lieber, aber ich habe ein Stück Papier auf das Schloss geklebt. Ein sehr seltsames altes Haus. Ich unterhielt mich mit Mrs Bowers, und sie behauptet, in den Kellern könne man sich verirren.“

„Das ist noch gar nichts“, warf Charles ein und stand auf, „ich hab den Weg verloren, als ich von meinem Zimmer in das Ankleidezimmer gehen wollte. Natürlich würde es die Dinge vereinfachen, wenn wir ein paar leere Räume abschlössen, aber das wäre vielleicht unsportlich. Kommst du mit ins Dorf, Peter?“

„Ja, ich werde dir zeigen, wo man ausgezeichnetes Fassbier bekommt.“

„Dann nur los!“, sagte Charles, etwas frohgemuter.

Die schmale Forststraße nach Framley war so hübsch, dass sie sogar Charles ein paar beifällige Worte entlockte. Peter, der eben eine Haarnadelkurve nahm, meinte, „im Ernst, Chas, das Haus ist nicht übel.“

„Das leugne ich nicht. Aber was soll all der Unsinn mit Gespenstern und Schritten im Dunkel?“

„Das weiß kein Mensch. Jedenfalls bekreuzigt sich fast jedermann im Dorf, wenn die Priory erwähnt wird. Vermutlich sind es Ratten. Milbank sagt …“

„Willst du damit andeuten, dass du von all diesen Gespenstergeschichten wusstest, bevor wir hierhergekommen sind? Und hast mir kein Wort davon gesagt?“

Etwas erstaunt erwiderte Peter: „Ich hab das alles doch nicht ernst genommen. Willst du am Ende behaupten, du hättest dich geweigert, hier einzuziehen, wenn du vorher davon gehört hättest?“

„Schon möglich“, antwortete Charles düster. „Hättest du so viele schöne Ort und angenehme Hotels überstürzt verlassen wie ich, nur weil Celia ‚etwas sonderbar vorkam‘, du hättest dich diesem Haus nie auch nur genähert.“

„Celia sagt, sie glaube nicht, dass etwas mit dem Haus nicht in Ordnung sei. Alles nur Dorfklatsch.“

„Tatsächlich? Gut, ich wette zehn zu eins, dass die erste Ratte im Gebälk unsere sofortige Abreise zur Folge haben wird. Besonders, solange Bowers zitternd durch das Haus wankt.“

„Was ist mit ihm los? Hat er auch das Geschwätz gehört?“

„Vermutlich, und dazu kommt seine angeborene geistige Trägheit. Während er meine Sachen auspackte, war er die Verkörperung des geheimnisvollen Butlers aus einem Roman. ‚Ich kann nur sagen, Sir, nach Einbruch der Dunkelheit würde ich, auch wenn man mir viel dafür zahlte, nicht in den Keller gehen.‘ Ja, und natürlich hörten er und Mrs Bowers in der ersten Nacht, bevor du angekommen bist, Schritte vor der Tür und eine Hand, die über die Wandverkleidung fuhr.“

„So ein Esel!“, sagte Peter. „Aber sei getrost, es braucht mehr als ein Gespenst, um die beherzte Mrs Bowers aus der Fassung zu bringen. Erlaube mir jetzt, darauf hinzuweisen, dass wir uns dem Bell Inn nähern. Absolut vierzehntes Jahrhundert – zumindest teilweise.“

Das Auto hatte die Forststraße verlassen und die ersten Häuser des Dorfes erreicht, das planlos entlang der schmalen Hauptstraße entstanden war. Das Bell Inn, ein pittoreskes, weitläufiges Gebäude mit Innenhof, war eines der ersten Häuser an der Straße. Peter Fortescue parkte den Wagen knapp neben dem Eingang und sagte grinsend: „Freu dich Chas, das Wirtshaus ist offen, und ich garantiere für die Güte des Bieres.“

Sie betraten einen langen, niedrigen Schankraum mit Deckenbalken und kleinen vergitterten Fenstern. Eichenbänke bildeten verschiedene abgeschlossene Nischen und Winkel. Hinter der Theke stand ein Wirt von solcher Leibesfülle und solche Milde ausstrahlend, dass er einem Buch von Dickens hätte entstiegen sein können.

An der Theke lehnte, in ein offenbar langweiliges Gespräch mit Mr Wilkes vertieft, sein absolutes Gegenteil – ein drahtiger kleiner Mann mit scharfen Zügen und hellen Augen, die so rasch von einem Gegenstand zum andern wechselten, dass er den Eindruck von Verschlagenheit erweckte. Als Peter eintrat, warf er ihm einen schnellen Blick zu und sah sofort wieder weg.

„Guten Abend, Wilkes“, sagte Peter, „ich habe meinen Schwager mitgebracht, damit er Ihr Lagerbier kostet.“

Mr Wilkes strahlte die beiden Männer an. „Es freut mich immer, einen Freund von Ihnen hier zu sehen, Sir. Zwei Krüge Bier, Sir? Sofort.“ Er holte zwei Zinnkrüge von einem Bord und zapfte zwei halbe Pinten schäumendes Bier. Hierauf wischte er einmal mechanisch über die Theke und fragte freundlich: „Und wie geht es Ihnen dort in der Priory, wenn ich fragen darf?“

„Danke, recht gut. Bis jetzt haben wir auch das Gespenst noch nicht gesehen. Wann pflegt es zu erscheinen?“

Das Lächeln verschwand. Mr Wilkes sah Peter etwas merkwürdig an und sagte mit veränderter Stimme: „Ich an Ihrer Stelle würde darüber keine Scherze machen, Sir.“

Charles tauchte hinter seinem Maßkrug auf. „War mein Diener Bowers schon einmal hier bei Ihnen?“, fragte er.

Der Wirt war erstaunt. Der klein gewachsene Fremde, der bei der Ankunft der neuen Gäste ein wenig zur Seite gerückt war, warf einen raschen Blick auf Charles.

„Ja, Sir, schon einige Male“, antwortete Wilkes.

„Das dachte ich mir. Und haben Sie ihm gesagt, dass sich das Gespenst in den Korridoren herumtreibt und an alle Türen klopft?“

Wilkes zuckte zurück. „Hat er es schon wieder gehört?“, wollte er wissen.

„Oh mein Gott, was heißt gehört? Alles was er hörte, war das, was Sie ihm erzählt haben, plus seiner eigenen Einbildung.“

„Ganz im Ernst, Wilkes, Sie glauben doch nicht wirklich an diese Dinge, oder doch?“, fragte Peter.

Der kleine Mann, der zuerst aussah, als wolle er etwas sagen, begab sich unauffällig zu einem Platz am Fenster, fischte eine Zeitung aus der Tasche und begann zu lesen.

Einen Moment lang schwieg Wilkes, dann sagte er schlicht: „Ich habe es gesehen, Sir.“ Peter zog ungläubig die Brauen hoch, und Wilkes fügte hinzu: „Außerdem sah ich, wie ein Mann, der ebenso vernünftig war wie Sie, seine Sachen packte und das Haus verließ, obwohl er es für zwei weitere Jahre gemietet hatte. Ich kam vor etwa fünf Jahren hierher, und damals war die Priory so leer, wie Sie sie vorgefunden haben. Ich nehme an, die alte Mrs Matthews, der das Haus gehörte, war damals seit ungefähr einem Jahr oder fünfzehn Monaten tot. Sie soll etwas seltsam gewesen sein. Also, da war dieses Klostergebäude, das langsam verfiel, und niemand traute sich auch nur in die Nähe, wenn es dunkel wurde – nicht für viel Geld. Nun, ich hoffe, Sie halten mich nicht für einen Spinner, Sir, und ich bin auch keiner. Als ich zum ersten Mal hörte, was die Leute über die Priory redeten, lachte ich, genauso wie Sie jetzt. Dann behauptete der Mühlenbesitzer Ben Tillman, ich würde mich nicht trauen, in der Nacht zu der Ruine zu gehen.“ Der Wirt hielt inne und wischte wieder gedankenverloren über die Theke. Dann holte er tief Atem, als erinnere er sich an etwas Schreckliches. „Nun, ich ging hin, Sir. Ich hatte auch keine Angst – damals noch nicht. Es war mondhell, und überdies hatte ich meine Taschenlampe bei mir. Ich brauchte sie nicht. Ich setzte mich auf eines der alten von Unkraut und Gras überwachsenen Gräber, die sich nahe der Kapelle befinden. Eine ganze Weile geschah nichts. Wenn ich mich recht erinnere, pfiff ich vor mich hin, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich kann nicht sagen, wie lang es dauerte, bis ich die Veränderung bemerkte. Wahrscheinlich kam sie allmählich.“

„Was für eine Veränderung?“, fragte Charles unbeeindruckt.

Wieder hielt der Wirt inne. „Das ist schwer zu beschreiben, Sir. Es war nichts, was man wirklich hätte fassen können, sozusagen. Die Dinge hatten sich nicht verändert, und es wehte nur ein schwacher Wind, trotzdem war es auf einmal viel kälter. Und es war eine schöne, ruhige Sommernacht. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, damit Sie es verstehen, Sir, aber es war, als lege sich die Kälte über mich und dringe in mich ein. Und anstatt zu pfeifen und daran zu denken, wie ich Ben Tillman auslachen würde, saß ich ganz still da – still und starr wie der Tod. Ohne dass ich es bemerkte, hatte sich diese Angst in mich eingeschlichen, die Angst, mich zu bewegen. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum das so war, aber ich wagte nicht, einen Finger zu rühren oder einen Ton von mir zu geben. Ich kann Ihnen versichern – diese Angst saß mir so sehr in den Knochen, dass ich alles dafür gegeben hätte, weglaufen zu können. Aber ich konnte es einfach nicht. Irgendetwas hinderte mich. Nein, ich weiß nicht, was es war, Sir, und ich kann es auch nicht erklären, aber es war nicht lustig. Wissen Sie, wie das ist, wenn man plötzlich Schiss hat und man sitzt und lauscht so angestrengt, dass einem fast das Trommelfeld platzt? So jedenfalls hab ich dagesessen und gehorcht und geschaut. Wann immer ein Blatt geraschelt hat, versuchte ich zu erkennen, was dort war. Aber es war nichts dort. Dann plötzlich war ich überzeugt, dass irgendetwas hinter mir war.“ Er machte eine Pause und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Nun ja, dieses Gefühl kennt jeder, der sich wirklich fürchtet, aber es war mehr als ein Gefühl. Ich wusste es. Noch war ich halbwegs bei Verstand, und ich wusste, dass ich nur eins tun konnte: mich umdrehen und schauen. Ja, das klingt sehr einfach, aber ich schwöre Ihnen, Sir, es erforderte meinen ganzen Mut. Ich tat es. Ich drehte mich um, während mir das Blut in den Schläfen hämmerte. Und ich sah es, genauso wie ich Sie jetzt sehe. Es stand hinter mir und sah auf mich herab.“

„Was sahen Sie?“, fragte Peter aufgeregt.

Der Wirt zitterte. „Man nennt ihn hier den Mönch“, antwortete er schaudernd. „Ich nehme an, dass er es war. Ich sah nur eine große schwarze Gestalt, kein Gesicht, nur zwei Augen, die mich aus der Dunkelheit anstarrten.“

„Ihr Freund Tillman hat sich verkleidet, um Sie zu erschrecken“, meinte Charles.

Wilkes sah ihn an. „Ben Tillman hätte nicht verschwinden können, Sir. Aber der Mönch tat es; er verschwand einfach. Sie werden sagen, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Ich kann nur wiederholen: Nicht für tausend Pfund möchte ich das noch einmal erleben, was ich in jener Nacht erlebt habe.“

Stille trat ein. Der Mann neben dem Fenster stand auf und verließ den Schankraum. Peter stellte seinen Maßkrug nieder. „Vielen Dank für die heitere kleine Geschichte.“

Charles hatte den Fremden beobachtet. „Wer ist der Mann, der eben fortging?“, fragte er.

„Ein Vertreter, Sir. Soviel ich weiß, läuft er hier in der Gegend herum mit Staubsaugern, und dazwischen geht er hin und wieder fischen.“

„Er schien sich sehr für Gespenster zu interessieren“, sagte Charles kurz.

Als sie das Wirtshaus verließen, fragte Peter plötzlich: „Was hast du damit gemeint, Chas? Glaubst du, der Kerl hat uns zugehört?“

„Glaubst du es nicht auch?“

„Vermutlich, aber es scheint mir nicht sehr verwunderlich.“

„Nein, doch er wollte sein Interesse vor uns verbergen. Wo ist übrigens der Lebensmittelladen, den wir suchen?“

Im Geschäft, das, wie es in einem Dorf oft der Fall ist, zugleich auch Postamt und Weißwarenhandlung war, wurden die beiden von einem geistlichen Herrn angesprochen, der Briefmarken kaufte. Es war der Pfarrer, der sich vorstellte und sagte, er und seine Frau warteten nur, bis die Neuankömmlinge sich in der Priory eingewöhnt hätten, dann würden sie ihnen einen Besuch abstatten.

„Wir freuen uns, dass die Priory wieder bewohnt ist“, fügte er hinzu. „Leider werden allzu viele unserer alten Häuser heutzutage gemieden, weil sie keine ‚modernen Annehmlichkeiten‘ bieten.“

„Wir haben eher den Eindruck, dass unser Haus wegen der Gespenster gemieden wird“, sagte Peter.

Der Pfarrer lächelte. „Ich fürchte, Sie müssen eine Bestätigung dieser Geschichte bei leichtgläubigeren Menschen suchen, als ich es bin. Ich glaube, solche Gerüchte ranken sich doch immer um verlassene Häuser. Ich wage zu behaupten, dass das Gespenst bestenfalls eine Maus ist – oder vielleicht eine Ratte.“

„Das glauben wir auch“, antwortete Charles. „Ärgerlich ist nur, dass meine Frau damit gerechnet hat, ein Mädchen aus dem Dorf zu engagieren, aber es melden sich nur Mädchen für tagsüber, die sehr darauf bedacht sind, längstens bei Sonnenuntergang wieder zu verschwinden.“

Mr Pennythorne hörte mit einem nachsichtigen Lächeln zu. „Merkwürdig, wie hartnäckig diese einfachen Dorfbewohner an ihrem Aberglauben hängen“, erwiderte er nachdenklich. „Aber ich hoffe, dass sie nicht ganz ohne Hauspersonal sind?“

„Nein, nein, wir haben unseren Diener und dessen Frau.“ Charles nahm das Wechselgeld vom Ladentisch und drückte Peter ein unförmiges Paket in die Hand. „Gehen Sie in unsere Richtung, Sir? Können wir Sie irgendwo absetzen?“

„Nein danke. Ist das Ihr Auto vor dem Bell Inn? Wenn ich darf, werde ich Sie bis dorthin begleiten.“

Sie verließen den Laden und schlenderten durch das Dorf. Der Pfarrer machte sie auf verschiedene architektonisch interessante, aber verwahrloste Häuser aufmerksam und versprach, sie demnächst persönlich durch die Kirche zu führen. „Leider ist sie nicht so alt wie Ihre Kapelle“, sagte er seufzend, „aber wir sind stolz auf unser Ostfenster. In den letzten Jahren konnten wir genügend Geld für dessen Reinigung aufbringen – keine billige Angelegenheit, mein lieber Mr Malcolm –, aber wir sind Oberst Ackerley, der sich wie immer überaus großzügig zeigte, sehr zu Dank verpflichtet.“ Das brachte den Pfarrer auf einen anderen Gedanken. „Sie haben ihn doch bestimmt schon kennengelernt? Einer unserer Kirchenvorsteher und ein schätzenswerter Mensch – ein pukka sahib, wie ich es nennen würde.“

„Wohnt er in dem weißen Haus hinter dem unseren?“, fragte Peter. „Nein, wir haben ihn noch nicht kennengelernt, aber ich glaube, ihn einmal im Bell gesehen zu haben. Ein leicht ergrauter, fröhlich aussehender Mann mit regelmäßigen Zügen und einem kleinen Schnurrbart? Fährt er einen Vauxhall?“

Zwar stellte der Pfarrer fest, dass er keine Ahnung von Automarken habe, fand jedoch, dass die Beschreibung auf Oberst Ackerley passte. Inzwischen hatten sie das Gasthaus erreicht; der Pfarrer verabschiedete sich und marschierte flott weiter.

Als Charles und Peter in der Priory eintrafen, war es fast schon Zeit für das Abendessen; die Schatten waren bereits lang. Die beiden Schwestern und Mrs Bosanquet saßen in der Bibliothek. „Ach, da seid ihr ja. Wir vergaßen, euch zu bitten, ein paar gewöhnliche Wandlampen zu kaufen.“

„Warum noch mehr Lampen?“, wollte Peter wissen, der sich erinnerte, eine ganze Kiste davon ausgepackt zu haben.

„Wir haben keine für den oberen Treppenabsatz“, erklärte Celia, „und Bowers meint, ohne Beleuchtung gehe er nicht gern hinauf. Hast du je so einen Unsinn gehört? Ich habe ihm gesagt, er soll Kerzen nehmen.“

„Um ehrlich zu sein“, gab Margaret zu, „ich gehe auch nicht sehr gern im Dunkeln hinauf.“

Charles blickte zur Decke. „Schon jetzt!“, sagte er.

„Nein, so ist das auch nicht“, verwahrte sich Margaret. „Ich meine, ich denke nicht an Gespenster oder solchen Blödsinn, aber es ist ein großes Haus, und natürlich hört man alle möglichen Geräusche – ja, ich weiß, es sind nur Ratten, aber in der Nacht ist man töricht und bildet sich alles Mögliche ein, und überdies hat man das Gefühl, dass … dass man beobachtet wird. Es ist mir schon oft so ergangen in alten Häusern.“

„Hast du das tatsächlich auch hier verspürt?“, fragte Celia erstaunt.

„Ach, es hat nichts zu bedeuten, aber du weißt doch, wie es ist, wenn man Holyrood oder Hampton Court besucht. Es ist eine bestimmte Atmosphäre. Ich kann es nicht erklären, aber du weißt, was ich meine.“

„Vielleicht die Luftfeuchtigkeit?“, schlug Peter vor.

Die Schwestern sahen ihn voller Verachtung an. „Nein, du Dummkopf“, sagte Margaret. „Es ist, als würden die Geister aller Verstorbenen von den Wänden auf einen herabblicken. Das ist es auch, was ich hier fühle.“

Mrs Bosanquet legte ihre Handarbeit nieder und sagte sanft: „Du hast das Gefühl, dass jemand in der Wand ist, meine Liebe? Ich hoffe zu Gott, dass es hier nicht irgendwo ein Skelett gibt. Ich konnte den Gedanken an Skelette nie ertragen; sie scheinen mir so unnatürlich.“

„Tante“, schrie Celia. „Ein Skelett in der Wand? Sag nicht so schreckliche Dinge. Warum sollte eines da sein?“

„Ich nehme an, es ist keines da, meine Liebe, aber ich muss immer an eine höchst unerfreuliche Geschichte über ein Kloster denken, die ich einmal las. Sie hatte irgendwie mit Mönchen zu tun.“

„Oh, Tante Lilian!“, stöhnte Charles. „Auch du, mein Brutus!“

„Müsste ich auch nur einen Moment glauben, dass jemand in diesem Haus eingemauert ist“, sagte Celia nachdrücklich, „würde ich es sofort verlassen.“

„Ganz richtig, meine Liebe“, pflichtete ihr Mrs Bosanquet bei. „Man kann nie vorsichtig genug sein. Ich denke immer daran, dass einmal die Pest ausbrach, weil man irgendwo in London einen alten Friedhof aufließ.“

In der Halle ertönte ein Gong. „Nach diesem erfreulichen Gespräch wollen wir uns zum Dinner begeben“, sagte Charles. „Hat jemand Appetit?“

Es zeigte sich, dass Tante Lilians düstere Erinnerungen niemandem den Appetit verdorben hatten. Das Dinner wurde in dem quadratischen Esszimmer an der Seitenfront des Hauses serviert, und obwohl die Vorhänge nicht geschlossen waren und das milde Abendlicht hereinließen, hatte Celia Kerzen auf den Tisch gestellt, sodass der Raum warm und einladend wirkte. Man kam überein, nicht mehr über Gespenster und Skelette zu sprechen. Nach dem Essen gingen alle wieder in die Bibliothek, und Mrs Bosanquet legte eine komplizierte Patience, während die anderen sich an den Bridgetisch setzten. Selbst als die Gesellschaft durch ein Geräusch in der Wandverkleidung aufgeschreckt wurde, beruhigte sie sich gleich wieder, als die Männer die vielen Ratten erwähnten.

„Ich weiß“, sagte Celia und nahm ihre Karten. „Mrs Bowers wird eine Falle aufstellen.“

„Ich mag keine Ratten“, bemerkte die Tante. „Gegen Mäuse habe ich nichts, es sind arme kleine Dinger. Ach, wäre das eine rote Königin gewesen, hätte ich sie auslegen können. Ich war einmal in einem Bauernhaus, wo sie im Heuboden über uns umherliefen wie ein Rudel Terrier.“

Margaret stand auf und ging zum Fenster. Der Mond tauchte den Garten in silbernes Licht. „Schaut, wie schön!“, rief sie aus. „Ich wollte, man könnte von hier die Kapelle sehen.“ Sie trat auf die Terrasse und lehnte sich an das niedrige Gitter. Die Nacht war still und wolkenlos, und die Schatten der Bäume sahen aus wie dunkle Teiche. Das dichte Gebüsch verbarg die Ruine der Kapelle.

„Du kannst sie von deinem Schlafzimmer aus sehen, glaube ich“, rief Peter. „Komm herein. Dank deiner leichtsinnigen Ansage sind wir zweimal gefallen.“

Widerwillig kam Margaret zurück und nahm wieder ihren Platz am Bridgetisch ein. „Es ist schade, an so einem Abend Bridge zu spielen. Hat jemand Lust, mit mir zur Kapelle zu laufen?“

„Meldet euch nicht alle gleichzeitig“, spöttelte Charles.

„Ich gehe nach diesem Rubber zu Bett“, sagte Celia. „Wir könnten ein andermal alle zusammen hingehen.“

Eine halbe Stunde später waren nur mehr die zwei Männer in der Bibliothek. Charles schloss und verriegelte die Fenster. „Glaubst du, sollen wir noch hinten im Haus nachsehen?“, fragte er gähnend.

„Mein Gott, nein! Bowers hat bestimmt alles gut abgeschlossen. Ich werde die Kette vor die Eingangstür legen.“

Peter ging, und Charles verriegelte das letzte Fenster, dann löschte er die große Petroleumlampe, die an einer Kette von der Decke hing. Das Mondlicht fiel durch die Fenster; als Charles sich zur Tür wandte, hörte er etwas, das wie das Rascheln eines Rockes an der Wand hinter ihm klang. Rasch blickte er über die Schulter. Es war niemand außer ihm im Zimmer, und doch hätte er schwören können, Schritte gehört zu haben.

Peter rief aus der Halle: „Kommst du, Chas?“

„Gleich.“ Charles suchte in seiner Tasche nach Streichhölzern, zündete eines an und machte ein paar Schritte, bis die Flamme die dunkle Zimmerecke erhellte.

Eine Kerze in der Hand, erschien Peter an der Schwelle. „Was machst du da? Suchst du etwas?“

Das Streichholz erlosch. „Nein, ich dachte, ich hätte etwas gehört – eine Ratte“, sagte Charles.

Kapitel 2

Zwei Tage später statteten der Pfarrer und seine Frau der Priory einen Besuch ab. Mrs Pennythorne trug einen Zwicker und weiße Glacéhandschuhe und teilte Celia mit, dass es nur wenig nachbarliche Kontakte gäbe. Im Manor House wohnten die Mastermans, aber sie besuchten niemanden, und dann war da Mr Titmarsh in Crossways, aber er hatte so sonderbare Gewohnheiten, dass Mrs Pennythorne den gesellschaftlichen Umgang mit ihm kaum empfehlen konnte. Weitere Fragen brachten die Natur dieser sonderbaren Gewohnheiten ans Licht: Mr Titmarshs Hobby war das Sammeln von Nachtfaltern. Mrs Pennythorne fand sein Benehmen überaus rüde, und außerdem wandere er nachts herum, vermutlich auf der Suche nach Exemplaren für seine Sammlung. Dann gab es noch Dr. Roote und seine Frau, und obwohl Mrs Pennythorne sehr ungern Schlechtes über ihre Mitmenschen sagte, müsse sie Celia doch warnen, dass der Doktor vermutlich ein Trinker sei. Schließlich war da noch Oberst Ackerley im White House, der weder trank noch Falter sammelte, jedoch Junggeselle war und dies sei wahrlich bedauerlich. Mrs Pennythorne fuhr fort, die Schwächen verschiedener Bauern und Dorfbewohner aufzuzählen, bis Charles, dem – wie seine Frau sagte – immer ein Mittel zur Flucht einfiel, dem Pfarrer einen Spaziergang zur Kapelle vorschlug.

Der Pfarrer hatte nichts dagegen, und Charles führte ihn, einen teils drohenden, teils flehenden Blick seiner Frau ignorierend, ins Freie.

In der Kapelle sprach der Pfarrer über normannische und frühenglische Architektur und versuchte, die längst unleserlichen Inschriften auf den wenigen, von Gras und Unkraut überwucherten Gräbern zu entziffern.

Als sie zum Haus zurückkehrten, fanden sie einen neuen Besucher vor. Es war Oberst Ackerley, und er erwies sich als wesentlich angenehmerer Gast als die beiden Pennythornes, die sich bald verabschiedeten.

Der Oberst war ungefähr fünfundvierzig. Er hatte das typische Benehmen des Berufsoffiziers, war aber sonst ganz harmlos. Er schüttelte jedem herzlich die Hand und erklärte, er hätte, wäre er von der Anwesenheit der Pennythornes informiert gewesen, sofort die Flucht ergriffen.

Den Schwestern gefiel er sofort. „Sie müssen mit uns Tee trinken“, sagte Celia. „Und trinkt der Doktor tatsächlich, oder nimmt er Drogen?“

„Ach, der arme alte Roote!“, sagte der Oberst mitleidig. „Man soll nicht unchristlich sein, finde ich. Das überlassen wir der Pfarrersfrau!“ Er lachte fröhlich. „Aber ich muss zugeben, dass er manchmal zu tief ins Glas schaut. Er ist wirklich ein guter Arzt, und was immer die Leute sagen, er ist nie angetrunken, soviel ich weiß, außer wenn er keinen Dienst hat. Seine Frau ist ein bisschen lästig, fürchte ich.“

„Und wie ist der exzentrische Mr Titmarsh?“, wollte Margaret wissen.

„Völlig harmlos, meine liebe junge Lady“, versicherte der Oberst. „Komischer Vogel; liegt nicht ganz auf meiner Linie, leider. Man sagt, er sei sehr klug. Erschrecken Sie nicht, wenn Sie ihm eines Abends in der Dunkelheit begegnen. Es war der Schock meines Lebens, als ich ihn zum ersten Mal in meinem Garten antraf. Hielt ihn für einen Einbrecher.“ Wieder lachte er vergnügt. „Er erklärte mir, dass er Vogelleim oder etwas Ähnliches auf einen Baum streiche. Er ist ein – wie nennt man das? – ein Entomologe.“

Peter reichte dem Oberst seine Teetasse. „Ich bin froh, dass Sie uns gewarnt haben, Oberst. Sonst hätten wir ihn vielleicht für ein Gespenst gehalten.“

„Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie diese Geschichte glauben?“

„Natürlich nicht“, sagte Celia, „aber unser Butler glaubt sie – und auch das Hausmädchen. Bowers schwört, er habe in der Nacht Geisterhände über seine Tür streichen gehört.“

Der Oberst stellte die Tasse nieder. „Sagte er das tatsächlich? Aber Sie selbst haben doch nichts gehört, oder?“

Celia zögerte. Es war Margaret, die antwortete. „Ich glaube, wir alle haben etwas gehört, aber wir glauben, dass es Ratten waren.“

Der Oberst sah von einem zum anderen. „Sie meinen Schritte?“

„Ja, und auch andere Geräusche. Aber es hat sicher nichts zu bedeuten.“

Der Oberst leerte seine Tasse in zwei Zügen. „Ich muss sagen, man trifft nicht oft zwei so vernünftige junge Damen. Ich für meinen Teil würde es nicht lang aushalten in einem Haus, in dem man seltsame Geräusche hört. Kugeln und Geschosse machen mir nichts aus, aber Gespenster, die mag ich nicht. Ja, die mag ich wirklich nicht, und ich schäme mich nicht, es zuzugeben.“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung“, pflichtete Mrs Bosanquet bei und schenkte dem Oberst eines ihrer milden Lächeln. „Diese moderne Vorliebe für das Übernatürliche gefällt mir nicht. Ich habe mich einmal eine ganze Stunde lang mit einer Alphabettafel herumgeplagt, und das einzige, was sie schrieb, war ein M, ungefähr hundertmal, und dann etwas, das aussah wie ‚Mutters Marmelade‘, was mir absurd vorkam.“

„Du solltest es hier versuchen, Tante“, meinte Margaret, „und wenn etwas daran ist, wird dir unser Gespenst vielleicht seine Lebensgeschichte erzählen.“

„Wer weiß“, sagte Peter hoffnungsvoll, „vielleicht führt es uns sogar zu einem verborgenen Schatz!“

Mrs Bosanquet schüttelte den Kopf, aber die Idee schien sie zu beschäftigen, denn als Peter und Charles den Oberst hinausbegleitet hatten und zurückkamen, erklärte sie plötzlich: „Wenn hier wirklich ein Gespenst wäre, wüsste ich genau, was ich tun würde.“

„Natürlich, Liebste“, sagte Charles. „Du würdest den Kopf unter die Bettdecke stecken und beten, so wie du es gemacht hast, als in deiner Wohnung eingebrochen wurde.“

Mrs Bosanquet ließ sich nicht einschüchtern. „Ich würde sofort den Pfarrer rufen, um die Dämonen austreiben zu lassen“, sagte sie würdevoll.

Charles’ Gelächter wurde abrupt unterbrochen. Etwas wie ein Stöhnen, scheinbar gedämpft durch das Gemäuer, verschlug ihm die Rede. „Mein Gott, was war das?“, rief er aus.

Celia war plötzlich ganz blass, und Margaret presste sich instinktiv an ihren Bruder. Das Seufzen hatte fast wie ein Wehklagen geklungen – lang gezogen und nur allmählich verebbend.

Niemand antwortete Charles. Celia zitterte und blickte sich ängstlich um. Mrs Bosanquet brach das Schweigen. „Was ist los, meine Liebe?“, fragte sie ruhig.

„Hast du es nicht gehört?“, erwiderte Margaret. „So als ob … als ob … jemand einen furchtbaren Seufzer ausgestoßen hätte.“

„Nein, meine Liebe, aber du weißt ja, ich höre nicht gut. Wahrscheinlich eine quietschende Tür.“

Charles hatte sich erholt. „Nicht nur wahrscheinlich, sondern bestimmt“, sagte er. „Ich war einen Moment lang erschrocken. Das kommt davon, wenn man von Gespenstern spricht. Ich werde eine Ölkanne holen und die Runde machen.“ Einen unwillkürlichen Aufschrei seiner Frau ignorierend, verließ er das Zimmer.

„Glaubt ihr wirklich, dass es das war?“, fragte Margaret. „Ich glaube nicht an Gespenster, aber es schien von irgendwo unten zu kommen.“

„Sei nicht dumm, Peg“, mahnte ihr Bruder. „Wenn du mich fragst, kam es von draußen. Ich wette, es ist die Tür zum Gartenzimmer. Ich wollte schon immer die Angel schmieren, und seit dem Regen ist es noch schlimmer.“

„Wenn du nachsehen willst, begleite ich dich“, sagte Margaret bestimmt.

Celia stand ebenfalls auf, setzte sich dann aber wieder.

„Ich werde Tante Lilian Gesellschaft leisten“, verkündete sie im Tonfall einer Heldin. „Wer hat je von Gespenstern bei Tag gehört? Wir sind alle zu nervös. Ich verbiete mir künftig jedes Gespenstergespräch.“

Im Gartenzimmer, wo Celia für gewöhnlich die Blumen in den Vasen arrangierte, stießen Peter und Margaret auf Charles. Bowers stand neben ihm, in der zitternden Hand eine Ölkanne.

„Hast du diese Tür hier gemeint?“, fragte Peter. „Was ist mit Ihnen los, Bowers?“

Bowers sah ihn vorwurfsvoll an. „Wir haben es gehört, ich und Mrs Bowers. Es schien von ganz nahe zu kommen. Mrs Bowers ist so erschrocken, dass sie fast die Bratpfanne fallen ließ. ‚Großer Gott!‘, rief sie aus. ‚Wer wird ermordet?‘ Und sie gehört nicht zu den Leuten, die sich Dinge einbilden, wie Sie wissen, Sir.“ Düster sah er zu, wie Charles die Tür in den Garten öffnete. Sie quietschte laut, aber es klang nicht wie das Stöhnen, das sie gehört hatten. „Nein, Sir, es ist nicht diese Tür – und auch keine andere Tür im Haus, obwohl sie alle quietschen. Etwas ist unheimlich hier, das habe ich gesagt, als ich das Haus zum ersten Mal sah, und ich versichere Ihnen, Sir, hier zu wohnen macht mich täglich ein Jahr älter.“

„Gibt es auf dieser Seite noch eine Tür, die ins Freie führt?“, erkundigte sich Peter. „Ich könnte schwören, dass es aus dieser Richtung kam.“

„Nur die hohe Glastür im Wohnzimmer“, sagte Margaret. Sie trat auf den Kiesweg hinaus und betrachtete die Hauswand. „Mehr Türen sehe ich nicht. Das ist ziemlich scheußlich, findest du nicht? Natürlich weiß ich, dass es einen Widerhall geben kann an solchen Stellen, aber … wer ist denn das?“

Charles kam rasch zu ihr. „Wo?“, fragte er scharf. „Ach, da läuft ja ein Kerl an den Büschen entlang!“ Gefolgt von Peter ging er auf den Fremden zu.

Unter den Bäumen hinter dem Gebüsch, das entlang der Hauswand wucherte, wanderte ein Mann in Anglerkleidung mit Fischkorb und Angel. Er blieb stehen, als Charles ihm barsch etwas zurief, dann kam er ihm entgegen. Der dunkelhaarige junge Mann war um die dreißig, hatte schwarze Brauen, die über der Nase fast zusammenwuchsen, und einen ernsten Zug um den Mund. „Entschuldigen Sie“, sagte er, „ich scheine auf Ihrem Grundstück zu sein.“ Er sprach kurz angebunden, als sei er weder eingeschüchtert noch schuldbewusst. „Ich habe im Crewel gefischt, und ein Mann sagte mir, ich könnte auf einer erlaubten Abkürzung über Ihren Grund ins Dorf gelangen. Leider finde ich sie nicht.“

„Es gibt einen öffentlichen Weg“, erwiderte Charles, „aber er ist etwas weiter weg. Man hat Ihnen die falsche Hausseite angegeben.“

Der Fremde errötete. „Das tut mir leid“, erklärte er steif. „Können Sie mir den richtigen Weg zeigen?“

Margaret, die nachgekommen war und neugierig zuhörte, sagte plötzlich: „Sie sind doch der Mann, der gestern meinen Reifen gewechselt hat!“

Der Fremde zog den Hut und verbeugte sich leicht.

„Wohnen Sie im Bell Inn?“, wollte Margaret wissen.

„Ja, ich bin hierhergekommen, um Forellen zu fischen.“

„Ziemlich gutes Fischwasser hier“, sagte Peter, um eine Pause in der Unterhaltung zu überbrücken.

„Recht gut“, pflichtete der dunkelhaarige junge Mann bei. Er nahm die Angel von einer Hand in die andere. „Kann ich den richtigen Weg von hier aus erreichen, oder muss ich zur Straße zurück?“

„Nein, nein, ich werde Ihnen die Abkürzung zeigen“, sagte Margaret mit ihrem freundlichen Lächeln. „Sie ist auf der andern Seite der Einfahrt.“

„Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich möchte Sie nicht bemühen …“

„Keine Ursache. Und hier ist alles so überwachsen mit Büschen und Bäumen, dass man den Weg leicht übersieht. Peter, geh zurück und sag Celia, dass alles in Ordnung ist. Kommen Sie Mr … Ich fürchte, ich kenne Ihren Namen nicht.“

„Strange“, sagte der junge Mann, „Michael Strange.“

„Ich bin Margaret Fortescue“, sagte sie. „Das ist mein Bruder – und das mein Schwager Mr Malcolm.“

Wieder machte der junge Mann eine kleine Verbeugung. „Bleiben Sie länger in dieser Gegend?“, frage Charles.

„Nur ein, zwei Wochen“, erwiderte Strange. „Ich habe Ferien.“

„Wollen … wollen Sie nicht ins Haus kommen und mit uns einen Cocktail nehmen oder so etwas?“, schlug Peter vor.

„Vielen Dank, aber ich muss weiter, wissen Sie. Wenn Miss Fortescue wirklich so freundlich ist, mir die Abkürzung ins Dorf zu zeigen …“

„Natürlich“, fiel Margaret ein, „vielleicht besuchen Sie uns ein andermal. Gehen wir.“

Sie machten sich auf den Weg, während die zwei anderen ihnen nachblickten.

„Da haben wir es“, sagte Charles. „Offenbar gefällt er ihr. Kannst du mir erklären, wieso ein Mann, anstatt eine wirklich allgemein bekannte Abkürzung einzuschlagen, unter unseren Wohnzimmerfenstern auftaucht?“

Peter runzelte die Stirn. „Falls er überhaupt nach der Abkürzung gesucht hat. Der gesunde Menschenverstand muss ihm doch sagen, dass sie nicht auf dieser Seite sein kann. Um dir die Wahrheit zu sagen, Chas, mir gefällt dein Freund mit den buschigen Brauen nicht. Warum hat er hier herumgeschnüffelt?“

„Er war nicht sehr mitteilsam – also weiß ich es nicht. Vielleicht wollte er bloß die Priory anschauen. Viele Leute lieben Ruinen.“

„Danach sah er mir nicht aus“, sagte Peter, immer noch misstrauisch.

Charles gähnte. „Vermutlich nur ein Esel ohne Orientierungssinn.“

„Danach hat er auch nicht ausgesehen.“

„Gut, gut, dann kam er bestimmt, um Margaret zu entführen. Und was tun wir mit der stöhnenden Tür?“

Michael Strange machte jedoch keinen Versuch, Margaret zu entführen. Sie führte ihn um das Haus herum zur Einfahrt – und dann in den Wald, der zwischen dem Haus und der Straße lag.

„Ich begleite Sie bis hinter die Kapelle“, sagte sie. „Dahinter beginnt der Fußweg. Offenbar haben Sie einen der Dorftrottel danach gefragt. Ist es nicht komisch, dass sie einem nie präzis die Richtung angeben können?“

„Die Leute nehmen immer an, dass man sich in der Gegend auskennt.“ Er nickte. Ein Lächeln, das eine Reihe sehr weißer Zähne sehen ließ, verscheuchte seinen eher grimmigen Ausdruck. „Es heißt immer: ›Hinter Parson Gregory biegen Sie rechts ab – und wenn Sie zur Jackson-Farm kommen …‹, und so fort.“

„Ich weiß“, sagte Margaret lachend. „Ich gehöre auch zu jenen Unglückseligen, die nie wissen, wo der richtige Weg ist. Sagen Sie mir, kennen Sie viele Leute hier, oder ist es Ihr erster Besuch?“

„Mein erster Besuch“, antwortete er. „Man sagte mir, dass die Fischgründe gut seien, und das Gasthaus ist bequem, also dachte ich mir, ich könnte es einmal ausprobieren. Sie sind auch neu hier, nicht wahr?“

„Ja, wir sind vor einer Woche übergesiedelt.“ Ihre Grübchen wurden tiefer. „Ich muss Ihnen etwas sagen, was eher komisch ist: Als wir Sie vorhin sahen, dachten wir, Sie seien unser Gespenst.“

Er sah auf sie herab. „Es gibt ein Gespenst bei Ihnen? Wie aufregend! Welche Art Gespenst?“

„Das wissen wir nicht genau. Jedenfalls quietscht es.“

„Das klingt nicht allzu schlimm. Haben Sie es nie gesehen?“

„Gott sei Dank, nein. Natürlich glaube ich, dass es gar nicht existiert, aber als wir vorhin in den Garten kamen, hatten wir eben ein ganz schreckliches Stöhnen gehört. Wirklich, das Blut gefror uns in den Adern. Daher rennt Chas – mein Schwager – mit einer Kanne herum, um alle Türangeln zu ölen. Sehen Sie, da ist die Kapelle. Sieht sie nicht unheimlich und romantisch aus?“

„Ja, ich glaube nicht, dass ich hier sehr gern allein eine Nacht verbringen möchte“, gab Strange zu.

Sie blieben einen Moment stehen und betrachteten die Ruine. Strange warf einen Blick auf das Haus zurück. „Hm, sie liegt ziemlich versteckt hinter den Bäumen. Können Sie die Kapelle vom Haus aus überhaupt sehen?“

„Von unten nicht, aber von meinem Schlafzimmer und vom Fenster oben an der Treppe. Warum?“

„Ach, ich finde es nur schade, dass man etwas so Pittoreskes nicht sehen kann.“

Langsam gingen sie weiter. „Wenn es ein Gespenst gibt, dann haust es ganz bestimmt in der Kapelle“, sagte Margaret leichthin. „Wenn ich wenigstens so mutig wäre wie eine Maus, was ich nicht bin, würde ich meinen Bruder bitten, dort eine Nacht mit mir zu verbringen und achtzugeben.“

„Ach, ich halte das nicht für unbedingt notwendig“, sagte Strange, und wieder erhellte ein Lächeln seine Züge. „Man weiß nie – und der Gedanke, dass Sie furchtbar erschrecken, wäre mir unangenehm.“

„Jedenfalls ist Peter um keinen Preis bereit, auf sein Bett zu verzichten. Und überdies glaubt er nicht an Gespenster. Hier ist Ihr Weg. Jetzt können Sie ihn nicht mehr verfehlen.“ Sie blieb stehen und streckte die Hand aus.

„Vielen, vielen Dank“, sagte Michael Strange, ihre Hand nehmend, „Es war furchtbar nett, dass Sie mich begleitet haben. Ich … hoffe, Sie haben wieder eine Reifenpanne, wenn ich in der Nähe bin.“

„Wie nett von Ihnen.“ Margaret lächelte und zog ihre Hand zurück. „Kommen Sie uns besuchen, wann immer Sie Lust haben. Auf Wiedersehen!“

Sie blickte ihm nach, als er den Weg weiterging, drehte sich um und schlenderte langsam zum Haus zurück.

„Nun, hast du irgendetwas über den Menschen herausgefunden?“, fragte ihr Bruder, als sie in die Bibliothek kam.

„Ach, er macht hier Ferien“, erwiderte sie.

„Das haben wir angenommen“, sagte Charles. „Was ist er von Beruf?“

„Ich habe ihn nicht gefragt. Warum wart ihr zwei so steif? Ihr glaubt doch nicht, dass er für das Geräusch verantwortlich war, oder doch?“

„Diese Idee ist mir bisher nicht gekommen“, sagte Charles. „Zugegeben, er sieht nicht aus wie jemand, der vor dem Fenster fremder Leute steht und stöhnt. Aber wer weiß!“

Celia hob den Zeigefinger. „Ich protestiere. Wir sprechen nicht mehr von Gespenstern und Seufzern. Einverstanden?“

„Antrag einstimmig angenommen“, sagte Peter.

Der Entschluss hätte länger standgehalten, wäre er nicht durch die Vorfälle der folgenden Nacht erschüttert worden.

Es war etwa halb elf, als das Haus von einem Krachen widerhallte, das sogar Mrs Bosanquet hörte; Celia, die am Klavier saß und vor sich hin klimperte, schlug eine schrille Dissonanz an. Das Geräusch schien von der Treppe im ersten Stock zu kommen, und darauf folgte ein Gepolter, als kollere ein harter Gegenstand die Treppe hinunter.

„Mein Gott, wer zertrümmert jetzt das Haus?“, rief Charles, stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. „Bist du das, Peter?“

Die Tür des gegenüberliegenden Arbeitszimmers wurde aufgerissen. „Nein, was, um Himmels willen, ist passiert?“, fragte Peter.

„Ich weiß nicht. Ohne voreilige Schlüsse ziehen zu wollen, nehme ich an, dass etwas umgefallen ist.“ Charles nahm die Lampe vom Tisch in der Halle und ging zur Treppe.

„Ich glaube, es war ein Bild“, meinte Celia. „Es klang, als zerbräche Glas.“

Sie rannte vor ihm die Treppe hinauf. Auf dem ersten Absatz rief sie aus: „Irgendetwas liegt auf den Stufen! Komm rasch mit der Lampe, Charles!“ Sie bückte sich nach dem Gegenstand, gegen den ihr Fuß gestoßen war. „Was kann denn das sein?“, fragte sie erstaunt. Charles kam zu ihr, und im Lampenlicht sahen sie, was Celia in der Hand hielt.

Es war ein Totenschädel; die leeren Augenhöhlen starrten sie an, die Zähne des Oberkiefers grinsten, als lachten sie über einen makabren Scherz.

Celia stieß einen Schrei aus, ließ den hässlichen Schädel fallen und wich zur Wand zurück. „Oh Charles! Charles“, flüsterte sie wie ein verängstigtes Kind.

Sofort war er neben ihr, nahm sie in die Arme und starrte nun auch auf den Schädel zu ihren Füßen. Einen Moment lang fehlten ihm die Worte.

Zwei Treppen auf einmal nehmend, kam Peter zu ihnen hinauf. „Was ist los?“, fragte er ungeduldig. Dann sah er den Totenkopf.

„Großer Gott“, stammelte er. „Komm nicht herauf, Margaret.“

„Aber was ist denn?“, rief sie. „Warum hat Celia geschrien?“

„Ach, es ist nichts“, rief Charles, der sich wieder gefasst hatte. „Nur ein Totenschädel, der herumrollt. Lauf hinunter Celia, während wir nachsehen, woher er kommt.“

„Ja – ja, ich gehe“, sagte sie und ging mit abgewandtem Blick an dem Schädel vorbei.

„Führ sie in die Bibliothek, Peg“, befahl Charles. Er sah der zitternden Celia nach, dann wandte er sich an Peter. „Weißt du, das ist ein bisschen stark. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin schweißgebadet. Schritte und Seufzer kann ich aushalten, aber wenn die Überreste von Menschen herumliegen, dann reicht’s mir.“

Peter hob den Schädel auf und legte ihn auf das Fensterbrett. „Die Frage ist, woher kommt er? Nimm diese Lampe mit.“

Die Lampe hochhaltend, erklommen sie den letzten Treppenabsatz. Ein großes Bild war zu Boden gefallen, und auf dem Teppich lagen überall Glassplitter. Dort, wo das Bild gehangen hatte, sahen sie eine dunkle Öffnung, und als sie näher traten, stellen sie fest, dass offenbar ein Stück der Wandverkleidung fehlte. Peter suchte nach seiner Taschenlampe, knipste sie an und richtete den Strahl in die Öffnung. Eine kleine Kammer wurde sichtbar – und noch etwas: Auf dem Boden der Kammer lag ein Haufen Knochen.

„Großer Gott! Ein Priesterversteck!“, sagte Peter. „Irgendein armer Teufel verbarg sich da und konnte nicht mehr heraus. Ziemlich ekelhaft, wie?“

Charles stellte die Lampe auf das Wandtischchen und betrachtete schweigend die unheimlichen Überreste.