Schwarzbuch Tirol - Alexandra Keller - E-Book

Schwarzbuch Tirol E-Book

Alexandra Keller

4,9

Beschreibung

Der Tiroler "Agrar-Krimi" hat viele unheimliche Facetten. Eine davon ist, dass die Grundlage für die flächendeckenden Regulierungen der Gemeindegrundstücke, welche sich als "Enteignungen" entpuppten, wohl unter dem NS-Regime in Osttirol gelegt wurde. Nicht nur das ist ein schwer verdauliches Erbe. Seit das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom Juni 2008 klarstellte, dass die in den 1950er-Jahren in Nordtirol begonnene Übertragung von über 2.000 Quadratkilometern öffentlichem Gemeindegut auf bäuerliche Agrargemeinschaften verfassungswidrig passierte, befindet sich das Land Tirol in einem Ausnahmezustand. Obwohl die grundlegenden Aussagen zu den Übertragungen in den Folgejahren mehrfach von den Höchstgerichten wiederholt bzw. bestätigt wurden, müssen die betroffenen Gemeinden weiterhin um ihr Grundeigentum kämpfen. Wieder geht es um Macht. Wieder geht es um Geld. Und wieder scheinen die Gemeinden bzw. die Mehrheit der Tiroler gegenüber einer kleinen Minderheit den Kürzeren zu ziehen. Nicht "die Bauern" sind dabei ihre Gegner. Längst steht mit der Agrargemeinschaftsfrage das "System Tirol" am Pranger. Doch das reinigende Gewitter für das Land steht noch aus.

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Alexandra Keller

Schwarzbuch

Tirol

© 2012 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.studienverlag.at

Dieses Buch befasst sich mit den aktuellen Entwicklungen in der Causa Agrargemeinschaften. Die Ereignisse bis zum Frühjahr 2009 werden umfassend im „Schwarzbuch Agrargemeinschaften“ von Alexandra Keller (ISBN 978-3-7065-4696-6) dargestellt.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-5707-8

Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder

Satz: Studienverlag/Maria Strobl, [email protected]

Umschlag: Studienverlag/Vanessa Sonnewend, www.madeinheaven.at

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

Einleitung

Unheimlich. Richtig unheimlich ist der Zustand, in dem sich das Land Tirol seit Sommer 2008 befindet. Es ist ein Zustand, in dem der Zynismus der Macht Feste feiert mit seiner Gefährtin Arroganz. Ein Zustand, in dem als unmöglich erkannte Normen kaum gehemmt weiterhin die Maßstäbe der politischen Taten diktieren und der entlarvenden Agrar-Affäre neue Würze geben. Ein Zustand, in dem die ohnehin schon so schwach ausgeprägte Demokratie Gefahr läuft, ihre letzten Anhänger zu verlieren – die letzten Demokraten quasi, deren Hoffnung auf ein reinigendes Gewitter, eine Katharsis für das System Tirol, sich bislang nicht erfüllte. In diesem Zustand, der durch den steten Blick in eine wenig schmeichelhafte Vergangenheit und den Blick in eine nicht schmeichelhaftere Zukunft janusköpfig wirkt, wird Geschichte geschrieben. Und diese Geschichte ist so unheimlich, dass einem der Atem stockt. Sie ist spannend wie ein Krimi und nach wie vor geht es um Macht, um Geld und darum, wem Tirol gehört. Die Gesichter mögen andere sein, doch die Triebfedern sind die gleichen geblieben. Fast brach im Sommer 2008 eine neue Zeitrechnung an. Fast.

Als das Erkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur Causa Agrargemeinschaft Mieders veröffentlicht wurde, war die Landtagswahl dieses Jahres bereits geschlagen. Das Agrarthema hatte den Wahlkampf auf weite Strecken beherrscht. Die Nervosität angesichts der nur schwer fassbaren Auswirkungen der so heimtückischen „Enteignung“ so vieler Tiroler Gemeinden zugunsten einer kleinen Minderheit war prickelnd spürbar gewesen. Doch, es bleibt lediglich eine Herausforderung für die Phantasie, sich auszumalen, wie die Wahl wohl ausgegangen wäre, hätten die Höchstrichter der Republik schon vor dem 8. Juni 2008, dem Wahltag, zum wiederholten Mal klargestellt, wem Tirol gehört und immer schon gehörte. Die Wächter über die Verfassung beziehungsweise die Grundlagen des österreichischen Staats- und Rechtssystems waren im Zusammenhang mit der längst abenteuerlich wirkenden Übertragung des Miederer Gemeindegutes an eine Handvoll Bauern zum Schluss gekommen, dass diese „offenkundig verfassungswidrig“ passiert war. Synonyme für offenkundig sind deutlich, augenscheinlich, eklatant, ersichtlich oder handfest, was wiederum den Schluss zulässt, dass die dafür verantwortlichen Politiker sowie die Beamten des Landes genau wussten, dass es Unrecht und aus juristischer Sicht vollkommen undenkbar war, den betroffenen Tiroler Gemeinden weit über 2.000 Quadratkilometer zu nehmen und mit hanebüchenen Begründungen einzelnen Gemeinschaften aus alteingesessenen Bauern zu geben. Was ab den 1950er Jahren passierte, war schon ein starkes Stück und den Akt dieser historischen Eigentumsverschiebung als „kriminell“ zu bezeichnen, war nie arg weit hergeholt.

Dass der „Kriminalfall“ (Zitat Georg Willi) nach 1982, als der Verfassungsgerichtshof dieses Unrecht erstmals erkannt und dementsprechend verbannt hatte, ungehemmt fortgesetzt wurde, verleiht der Tiroler Politik einen besonders schillernden Orden für die damit eindrucksvoll bewiesene Verfassungsignoranz. Dass ebendiese Tradition nicht nur nach 1982, sondern auch nach 2008 fortgesetzt wurde, als handle es sich um eine Sucht, eine Abhängigkeit, von der man sich nicht so schnell lösen kann, macht aus der Causa Agrargemeinschaften ein entscheidendes Kapitel der Tiroler Geschichte im 20. wie auch im 21. Jahrhundert.

Die Landtagswahl 2008 wäre jedenfalls weit spannender geworden, wären all die Einzelheiten des zweiten VfGH-Erkenntnisses zuvor bekannt gewesen beziehungsweise wäre deren Tragweite in der breiten Öffentlichkeit erfasst worden.

Die Wahlschlappe der Tiroler ÖVP wirkte trotzdem historisch – in Zahlen wie in den Auswirkungen. Mit 40,5 Prozent der Stimmen und einem Minus von 9,39 Prozent gegenüber der Wahl des Jahres 2003 hatte die traditionelle Machtpartei des Landes eine bittere Niederlage erfahren. Die Liste des ehemaligen AK-Präsidenten Fritz Dinkhauser (Bürgerforum/Liste Fritz) schaffte auf Anhieb mit 18,35 Prozent den Einzug in den Tiroler Landtag. Koalitionsgespräche zwischen Bürgerforum, SPÖ, Grünen und FPÖ scheiterten, es kam zu einer Fortsetzung der schwarz-roten Koalition, doch die Regierungsriege der Tiroler VP wurde fast komplett ausgetauscht. Fast.

Der Spitzenkandidat der Wahl 2008 und VP-Obmann des Debakels, Alt-Landeshauptmann Herwig van Staa, wurde zum Landtagspräsidenten geadelt. Ex-Minister Günther Platter wurde neuer Landeshauptmann und der einzige aus der alten Riege verbleibende Landesrat sein Stellvertreter. Bauernbundobmann Anton Steixner wurde damit zum roten Faden für die Fortsetzung des „Tiroler Krimis“ und zur Personifizierung für die dabei sichtbar gewordene Tiefe und krakenhafte Ausdehnung der Macht seines Bundes auf oder über alle relevanten Schaltstellen des Landes.

Schon vor der Landtagswahl 2008 war es kein Geheimnis gewesen, dass der Bauernbund – der mehr als tonangebende politische Funktionärsloge betrachtet werden sollte, denn als Interessenvertretung für die schwindende Zahl der Tiroler Landwirte – überproportionalen Einfluss auf die Entscheidungsfindungsprozesse auf allen politischen Ebenen hat. Nach der Wahl 2008 wurde dieser Einfluss zunehmend greifbar – aber auch angreifbar. Die Zeit nach dem Erkenntnis war die Zeit der großen Demaskierung und es überraschte, wie viele Gesichter dem bäuerlichen Machtmonopol zugeschrieben werden mussten. Es erstaunte, wenn Funktionäre des AAB oder des Wirtschaftsbundes keine Lanze für die Gemeinden oder jene bündischen Mitglieder brachen, auf deren Kosten das Unrecht über Jahre passieren durfte. Es erschütterte, dass die Staatsanwaltschaft so viel Zeit verstreichen ließ, um endlich tätig zu werden. Die jungfräuliche Zurückhaltung der Justizbehörden angesichts der im Zusammenhang mit den Agrargemeinschaften so zahlreich auftretenden Verdachtsmomente ist in ihrer Auswirkung nicht zu unterschätzen. Auch die Justizbehörden unterstützen damit auf Umwegen die Haltung der agrarischen Hardliner, die bislang weder Tod noch Teufel fürchten mussten, wenn sie sich dem Gesetz und der Verfassung zum eigenen Wohl und zum Schaden der Gemeinden widersetzen durften. Dass einige Vertreter von Gemeindeguts-Agrargemeinschaften alle rechtlichen Register ziehen, um die Verfügungsgewalt über die Gemeindegrundstücke zu behalten, ist aus deren Sicht nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar bleibt jedoch, dass der Landesgesetzgeber diese Wege nicht kraft seiner Kompetenz und auf Grundlage der höchstgerichtlichen Erkenntnisse abschneidet und die verfahrene Causa in eine verfassungskonforme und „friedliche“ Richtung lenkt.

Die agrarischen Hardliner – und das ist ein entscheidender Punkt in der Debatte – dürfen nicht mit „den Bauern“ bzw. jenem Stand, der aktive Landwirtschaft betreibt und dabei ständig an die Grenzen des Machbaren stößt, gleichgesetzt werden. Die echten Vertreter des Bauernstandes, deren Bild in jeder landwirtschaftlichen Debatte so gerne bedient wird, sind nicht die treibenden Kräfte hinter der Diskussion, die das Land in ein dunkles Licht rückt. Wie die Figuren auf dem Schachbrett müssen sie jedoch als Bollwerk dienen, hinter welchem sich die verantwortlichen Machtpolitiker verschanzen. Dass Kritiker des Agrargemeinschafts-Systems in Windeseile als „Bauernhasser“ bezeichnet werden, ist nicht nur dümmlich, es greift auch zu kurz. Unter anderem, weil knapp zwei Drittel der Mitglieder von Tiroler Gemeindegutsagrargemeinschaften keine Landwirte mehr sind oder gar nie etwas mit Landwirtschaft zu tun hatten.

Das unwürdige Spiel mit den Gemeinden selbst, die vom Land Tirol auf einen unmöglichen Weg geschickt wurden, um vor den verschiedenen Instanzen und Gerichten dafür zu kämpfen, dass sie zurückbekommen, was ihnen ohne jegliche rechtliche Grundlage entzogen worden war, wurde von weiten Teilen der Tiroler ÖVP gedeckt. Immer unheimlicher wurde damit die wachsende Gewissheit darüber, was die Tiroler VP im Inneren zusammenhält.

Gemeindeverbands-Präsident Ernst Schöpf und Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl stachen innerhalb der ÖVP als Kämpfer für die Gemeinden heraus und ihre, vom täglichen landespolitischen Trubel oder parteiinternen Auseinandersetzungen unabhängigen Positionen ließen den Schluss zu, dass es für in Landespolitik oder Landes-Ämtern Ehrgeizige nach wie vor nicht ratsam zu sein scheint, sich gegen die Bauernloge zu stellen. Und sei deren Ideologie noch so fragwürdig oder undemokratisch.

Nie ging es in der Diskussion um die Kuh im Stall, nie um die echten beziehungsweise praktizierenden Landwirte, deren ursprüngliche, also an den konkreten Haus- und Gutsbedarf gekoppelte Nutzungsrechte am Gemeindegut auch durch die Umsetzung der verfassungskonformen Grundlagen nicht tangiert würden. Nein, die große Demaskierung, die im Zusammenhang mit den Agrargemeinschaften stattfand, offenbarte schlicht eine Oligarchie, also die Macht einiger weniger, die sich so wenig wie möglich darum scheren, was der Mehrheit zusteht und was die Verfassung verlangt. Dreist wird zugelassen oder gar gefördert, dass die zuständigen Landesbeamten erneut erstaunlich ignorant gegenüber den Gemeinden agieren und erstaunlich günstig für die Agrargemeinschaften entscheiden. Es wird zugelassen, dass Bürgermeister betroffener Gemeinden sich beim Kampf um die jahrzehntelang missbrauchten Grundstücke ihrer Kommunen die Zähne ausbeißen. Es wird zugelassen beziehungsweise sogar gefördert, dass Bürgermeister sich durch Vereinbarungen mit den Gemeindegutsagrargemeinschaften möglicherweise strafrechtlich verfolgbar machen. Es wird zugelassen, dass die Agrargemeinschaften – trotzdem klargestellt wurde, dass sie den Gemeinden untergeordnet sind – sich gebärden, als würden nach wie vor sie es sein, die das Gemeindeeigentum beherrschen. Auch wird zugelassen, dass es für Agrargemeinschaftsmitglieder, die nicht nur die Verfassung akzeptieren, sondern auch das vom Verfassungsgerichtshof mehrfach festgestellte Unrecht erkennen, unmöglich wurde, erhobenen Hauptes zu sagen: Schluss jetzt, das Gemeindegut gehört der Gemeinde, ich will keine Vorteile aus vermeintlichen Urrechten lukrieren.

Eine Krux des ungleichen Kampfes mag sein, dass die Gier ein Luder ist, wie man in Tirol so schön sagt, und dass manch Agrargemeinschaftsmitglied nicht auf die liebgewonnenen Vorteile, wie Gratisholz oder Gewinnausschüttungen, verzichten will. Das erklärt die Motivation Einzelner, die – wie über 60 Prozent der Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder – keinen Hof mehr bewirtschaften und lediglich Nutznießer des vermeintlichen Urrechts waren, ohne groß darüber nachzudenken. Geht es um ganz konkrete Eigeninteressen von Agrar-Mitgliedern, ist die persönliche Einsatzbereitschaft weit größer, als jene von Bürgern betroffener Gemeinden, die mit dem Gemeindegut an sich wenig anzufangen wissen und sich eventuelle Vorteile aus der Bewirtschaftung des Gemeindegutes durch den rechtmäßigen Eigentümer nicht direkt errechnen oder ausmalen können. Dabei wäre es leicht, die Mehreinnahmen aus der Nutzung der den Gemeinden über Jahrzehnte vorenthaltenen Gemeindegründe auf Infrastrukturmaßnahmen „umzumünzen“, mit denen das Leben der Einwohner verbessert oder erleichtert werden kann und die angesichts des vielfach traurig wirkenden kommunalen Budgets nicht möglich sind. Doch da schlägt gleichsam der Bauer den König.

Es geht um Macht. Es geht um Geld. Die Beweggründe mögen menschlich sein, doch genährt durch die Propaganda der Tiroler Bauernloge, die selbst in höchsten Kreisen eine leicht trunkene, den „Mir-sein-mir“-Komplex bedienende Stammtischmentalität zeigt, werden sie gefährlich. Unheimlich werden sie, weil dadurch die Auseinandersetzung in den Gemeinden angespornt wird.

Obwohl seit dem klaren Erkenntnis vom Juni 2008 jeder relevante Rechtsweg vom Verfassungs- wie vom Verwaltungsgerichtshof zugunsten der Gemeinden und gegen die „eigentums-anmaßenden“ Agrarier beendet wurde, konnte dieser Sporn mitten in die Gemeindeherzen vordringen und die Stimmung vergiften. Das Spannungsfeld zwischen dem Wissen um den einzig richtigen Weg und den von höchsten politischen Ebenen propagierten Irrwegen ist für Bürgermeister betroffener Gemeinden kaum auszuhalten. Dabei müsste das Land bzw. müssten die Regierungsparteien nur hergehen und das 2010 in Kraft getretene neue Tiroler Flurverfassungslandesgesetz (TFLG) um ein paar kleine Zusätze erweitern, damit die ganze Angelegenheit so rasch wie möglich erledigt werden könnte und die Gemeinden endlich wieder Herr über ihre Grundstücke sowie das damit über Jahrzehnte erwirtschaftete Vermögen werden könnten.

Mitte Dezember 2011 fand ein Gespräch zwischen den agrarischen Hardlinern der „Agrar West“ und den beiden VP-Landeshauptleuten Günther Platter und Anton Steixner statt. Toni Riser, Obmann der Agrar West, hielt den Gesprächsverlauf in einem Protokoll fest, welches er im Online-Forum seiner Vereinigung (www.agrar-west.at) öffentlich machte. Demnach stellten Platter und Steixner im Rahmen des Gespräches fest, dass bei der Erarbeitung der TFLG-Novelle „das Höchstmögliche für die Agrargemeinschaften und deren Mitglieder“ erreicht worden sei. Dieser Satz, den LH Platter gegenüber dem Tiroler Monatsmagazin ECHO weder bestätigen noch dementieren wollte, ist es wert, ihn auf der Zunge zergehen zu lassen, zeigt er doch mit kaum zu überbietender Deutlichkeit die Triebfeder der Tiroler Regierungsspitzen im Umgang mit dem Agrargemeinschafts-Debakel. Statt bei der Erarbeitung jenes Gesetzes, mit dem der legendäre Millionen-Coup an den Gemeinden und ihren nichtbäuerlichen Bewohnern wiedergutgemacht werden hätte sollen, das Wohl der Gemeinden vor Augen zu haben oder die Verpflichtung des Landes, die Verfassung einzuhalten sowie den Rechtsstaat zu verteidigen, wurde darauf geachtet, „das Höchstmögliche“ für „die Diebe“ bzw. deren Erben herauszuholen (als „Diebstahl“ hatte der ehemalige SP-Landeshauptmannstellvertreter Hannes Gschwentner die gesetzwidrigen Übertragungen bezeichnet). Damit wird nicht nur nachvollziehbar, warum die Novelle den Gemeinden keine nennenswerten Vorteile im Kampf um ihr Grundvermögen brachte, sondern auch, warum sich die Landesregierung so vehement dagegen wehrt, das Gesetz so zu modifizieren, dass die Gemeinden rascher und unkomplizierter zu ihrem Recht kommen. Es wäre einfach, doch würde damit wohl nicht mehr „das Höchstmögliche für die Agrargemeinschaften und deren Mitglieder“ erreicht.

Dass Landeshauptmann Platter und sein Stellvertreter Steixner, laut Risers Protokoll, am Ende des Gespräches vom Dezember 2011 darauf hingewiesen haben, dass weiterhin einvernehmliche Lösungen zwischen Gemeinden und Agrargemeinschaften gesucht werden würden und dass es langfristig zu weiteren Hauptteilungen kommen werde, rundet das Bild ab und lässt für die Zukunft nichts Gutes und auch nichts sonderlich Verfassungskonformes erwarten. Bei den so genannten einvernehmlichen Lösungen werden die Gemeinden – Axams ist dafür ein prächtiges Beispiel – derart über den Tisch gezogen, dass es einem zweiten, amtlich besiegelten „Diebstahl“ gleichkommt. Und bei den Hauptteilungen, welche Platter und Steixner den Agrariern in Aussicht stellten, passiert nichts anderes als die gewiefte Perfektion des teils vor über 60 Jahren begonnenen „Raubzuges“. Bei der Hauptteilung wird das Grundvermögen der Gemeinden genommen und zweigeteilt – ein verschwindend kleiner Teil bleibt bei der Gemeinde, der Löwenanteil aber wird den Agrargemeinschaften ins Eigentum übertragen. Einfach so. Ohne Grund. Endgültig. Mit Hauptteilungen, wie sie etwa für die Außerferner Gemeinde Höfen von der Agrarbehörde ausgearbeitet wurde, versündigt sich das Land Tirol neuerlich an der Mehrheit seiner Bewohner. Das ist unheimlich. Das macht die Politik der Regierungsverantwortlichen unheimlich. Scheint es doch vollkommen egal, was die Verfassungs- und Verwaltungsrichter mehrfach festgestellt haben. Scheint es doch vollkommen egal, dass durch die Lösungen, welche Platter und Steixner da anstreben, eine kleine Minderheit über alle Maßen und wider jegliche Vernunft bevorzugt wird.

Der Begriff des Verfassungsbogens wird meist im Zusammenhang mit politischen Parteien angewandt und der Frage, ob deren Programm und Ziele sich mit der Verfassung vereinbaren lassen. Menschenverachtende Ansätze rechtsradikaler Gruppierungen etwa finden nicht in diesem Bogen statt, was deren Verbot zur Folge haben kann. Der Begriff des Verfassungsbogens sollte möglicherweise ausgeweitet und auch für den Umgang des Landes Tirol mit den Gemeindegutsagrargemeinschaften angewandt werden. Wegen „demokratieverachtender Ansätze“ etwa. Dass sich das Land innerhalb des Verfassungsbogens bewegt, scheint angesichts dessen, was seit Juni 2008 passierte und was noch erwartet werden darf, denkunmöglich.

Eine Ironie dieser Tiroler Geschichte ist es, dass ausgerechnet die Hardliner unter den Agrargemeinschaften der Tiroler ÖVP das Messer ansetzen. Zu lange hat der parteibestimmende Bauernbund gegenüber seinen Mitgliedern behauptet, dass sie nichts zu befürchten hätten, sie durch die Übertragung Eigentümer der Gemeindegrundstücke geworden wären und die Gemeinden keine Chance hätten, diese Grundstücke zurückzubekommen. Das nur schwer zu verantwortende Informationsspiel fruchtete. Neben der Plattform Agrar wuchs die parteiähnliche Vereinigung Agrar West, die abenteuerliche Ziele verfolgt und gegen die Verfassung bzw. die Urteile des Verfassungsgerichtshofes kämpft. Dass die Argumente der Hardliner vielfach jene sind, welche der Bauernbund in seiner Parteizeitung über Jahre hinweg seinen Mitgliedern vorkaute, wirkt so fatal wie erheiternd. Die ungerechte Tradition frisst ihre Kinder. Viele Mitglieder der Plattform Agrar und der Agrar West machen – etwa in den Online-Foren der Vereinigungen – keinen Hehl daraus, dass sie mit der Tiroler ÖVP und dem Bauernbund nichts mehr anfangen können. Die VP bei der kommenden Landtagswahl zu wählen, kommt für viele nicht mehr in Frage. Kaum waren die Abspaltungstendenzen der Agrarier öffentlich geworden, war mit dem BZÖ auch schon eine Partei da, die das Potenzial erkannte und sich schützend vor die Verfassungs-Ignoranten stellt.

In einem gar absurden Wirrwarr bewegt sich das Land der nächsten Landtagswahl entgegen. Wieder wird das Agrargemeinschafts-Thema eine gravierende Rolle spielen. Wieder dürfen die letzten Demokraten Hoffnung auf ein reinigendes Gewitter oder eine Katharsis für das System Tirol haben. Wieder ist Humor gefragt. Denn nach wie vor ist der Zustand, in dem sich das Land Tirol befindet, unheimlich. Richtig unheimlich.

Kapitel 1 Die Dimensionen

Die Dimensionen sind gigantisch. In jeder Beziehung. Ob es die Art betrifft, wie ab den 1950er Jahren das Grundeigentum vieler Nordtiroler Gemeinden in die Hände einer kleinen Gruppe von Bauern „wanderte“. Ob es die Größe der dabei den Gemeinden entzogenen Flächen betrifft. Oder ob es die Hintergründe betrifft, vor denen diese Eigentumsverschiebungen in die Wege geleitet wurden.

In einer längst als verfassungswidrig erkannten Art wurden in Nordtirol ab den 1950er Jahren weit über 2.000 Quadratkilometer Gemeindegut in die Verfügungsgewalt alteingesessener Bauern, die fortan die Agrargemeinschaften bildeten, verschoben. Einfach so. Klammheimlich. Gleichsam über Nacht und ohne gesetzliche Grundlage. Es sollte sichergestellt werden, dass diese öffentlichen Flächen im Sinne der Bauern und zum Wohl derselben verwendet werden. Das war’s. Die Gemeinden wurden mit einem Federstrich entmachtet. Ein Grundvermögen, dessen Wert viele Milliarden Euro „schwer“ ist, wurde verschoben.

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