Seneca - Marion Giebel - E-Book

Seneca E-Book

Marion Giebel

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lucius Annaeus Seneca wurde vor rund 2000 Jahren geboren. Als stoischer Philosoph, Tragödiendichter, Erzieher und Minister ist er eine der vielseitigsten Gestalten der Antike. Unter Kaiser Caligula verfolgt, unter Claudius verbannt und von Nero zum Selbstmord gezwungen, gab er der Nachwelt die Frage auf, ob und wie man philosophisches Denken und politisches Handeln vereinen kann. In seinen brillanten Essays weist er den Weg zur inneren Freiheit und Seelenruhe, zum «Leben gemäß der Natur», in Gemeinschaft mit den Menschen, die alle, auch die Sklaven, einen Funken des göttlichen Geistes in sich tragen. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 235

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Marion Giebel

Seneca

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Lucius Annaeus Seneca wurde vor rund 2000 Jahren geboren. Als stoischer Philosoph, Tragödiendichter, Erzieher und Minister ist er eine der vielseitigsten Gestalten der Antike. Unter Kaiser Caligula verfolgt, unter Claudius verbannt und von Nero zum Selbstmord gezwungen, gab er der Nachwelt die Frage auf, ob und wie man philosophisches Denken und politisches Handeln vereinen kann. In seinen brillanten Essays weist er den Weg zur inneren Freiheit und Seelenruhe, zum «Leben gemäß der Natur», in Gemeinschaft mit den Menschen, die alle, auch die Sklaven, einen Funken des göttlichen Geistes in sich tragen.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Über Marion Giebel

Dr. Marion Giebel, geboren 1939 in Frankfurt am Main, Studium der Klassischen Philologie und Germanistik, 1965 Promotion in Frankfurt bei Harald Patzer über «Athene als göttliche Helferin in der Odyssee. Untersuchungen zur epischen Aristie» (Marion Müller, Heidelberg 1966). Anschließend Verlagsausbildung. Als Verlagslektorin Herausgabe antiker und deutscher Literatur. Dann freiberufliche Tätigkeit als Autorin, Übersetzerin und Herausgeberin. Zweisprachige kommentierte Ausgaben, darunter mehrere Cicero-Reden, Briefe Ciceros Quintilian, Sueton, Augustus, Plutarch, Livius, Plinius, Velleius Paterculus und Seneca. Rowohlts Monographien «Cicero» (1977), «Sappho» (1980), «Augustus» (1984), «Vergil» (1986), «Ovid» (1991), außerdem: «Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Rom, Griechenland und Ägypten», Zürich-München 1990, ND Düsseldorf-Zürich 2000; «Cicero zum Vergnügen», eine Auswahl aus seinen Werken und Briefen, Stuttgart (Reclam) 1997; «Das Orakel von Delphi. Geschichte und Texte», Stuttgart (Reclam) 2001; «Reisen in der Antike», Düsseldorf-Zürich 1999; «Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter», Düsseldorf-Zürich 2002; «Tiere in der Antike», Darmstadt-Stuttgart 2003; «Träume in der Antike», Stuttgart (Reclam) 2006; «Dichter Kaiser Philosophen. Ein literarischer Führer durch das antike Italien», Stuttgart (Reclam) 2007; «Rosen und Reben. Gärten in der Antike», Darmstadt 2011. Regelmäßige Rundfunksendungen sowie Volkshochschultätigkeit. Lebt bei München.

Die Familie

Seneca, der Philosoph, der in seinen Schriften den stoischen Gleichmut pries, hat zugleich Tragödien geschrieben, die sich durch grelles Pathos und exzessive Leidenschaft auszeichnen. Als Lehrer und Berater Kaiser Neros stand er an der Spitze des Römischen Reiches, doch er starb den Tod eines Hochverräters. Um so viel Gegensätzliches in den Blick zu bekommen, bietet sich eine Formel von Friedrich Nietzsche an. Er hat Seneca den «Toreador der Tugend» genannt und ihm damit die Arena als sein Wirkungsfeld zugewiesen.[1] In Senecas Lebenszeit, dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, lebte und starb man in der Tat bühnenreif: heute auf den Höhen des Glücks, morgen Opfer eines jähen, gewaltsamen Todes. Sejan, der Günstling des Tiberius, Kaiser Caligula, Kaiserin Messalina und schließlich Nero sind die prominentesten Beispiele. Dem Untergang der Großen folgten Säuberungswellen, denen wahllos viele Römer zum Opfer fielen, die oft nur durch Adel und Abstammung in den Kreis der Missliebigen gerieten.

Der Tod war allgegenwärtig, umso kostbarer war das Leben. Es zeigte das Wirken der zerstörerischen Kräfte des Menschen, forderte aber andererseits dazu heraus, sich seiner unzerstörbaren Substanz zu versichern. Seneca, der Philosoph und Tragödiendichter, stellte sich der Herausforderung seines Zeitalters: Er wollte zeigen, wie man lebt und wie man leben sollte.

Seine Familie gehörte zum Ritterstand und stammte aus Corduba, Córdoba im heutigen Andalusien. Dort ist Lucius Annaeus Seneca um die Zeitenwende geboren. Trotz sorgfältiger Recherchen ist es nicht gelungen, sein Geburtsjahr zweifelsfrei zu bestimmen: Es war zwischen 4 vor und 1 nach Christi Geburt, am ehesten wohl 1 v. Chr.[2] Corduba war ursprünglich ein iberischer Ort, bis hier um 152 v. Chr. eine römische Stadt gegründet wurde, die bald einen großen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung nahm. Als Hauptstadt der Provinz Baetica – nach dem Fluss Baetis benannt, dem heutigen Guadalquivir – wurde sie zu einem Zentrum der Romanisierung. Man weiß nicht, ob Senecas Familie auf die iberische Urbevölkerung zurückging oder ob die Annaei Abkömmlinge römischer Siedler waren. Für Letzteres spricht das Ansehen, das Senecas Vater Lucius Annaeus Seneca der Ältere (ca. 55 v. Chr. bis 37 n. Chr.) in Rom genoss.

Senecas Familie war begütert; man kann neben Landbesitz mit Olivenanbau an Pachterträge aus den dortigen Bergwerken denken. So konnte sich der Vater neben seiner Amtstätigkeit in der kaiserlichen Verwaltung und neben seinen Geschäften ausgedehnte Studienaufenthalte in Rom leisten. Dort hörte er die bekanntesten Redner seiner Zeit und erlebte einen bedeutsamen Wandel in der Bildungsgeschichte Roms.

Die Rhetorik, die Leitwissenschaft des römischen Erziehungssystems, war bisher darauf abgestimmt gewesen, den jungen Römer für seine Aufgaben im Staat auszubilden. Er musste als Anwalt auf dem Forum juristische Fälle verhandeln, im Senat seine politische Meinung abgeben, vor der Volksversammlung sprechen, als Ädil, Prätor und Konsul vielfältige Aufgaben wahrnehmen, zu denen jeweils öffentliche Stellungnahmen gehörten. Cicero war das große Vorbild des allumfassend gebildeten, überzeugend auftretenden Römers, der auf dem Forum, im Senat wie in der Volksversammlung seinen Mann stand. Aber Cicero hatte sich mit seinen «Philippischen Reden» gegen Marcus Antonius buchstäblich um Kopf und Kragen geredet. Er fiel als Opfer der Militärdiktatur, und mit ihm starb nicht nur die römische Republik, sondern auch das Ideal des römischen Redners. Dessen Ausbildung und Tätigkeit war auf die Mitwirkung in einer res publica ausgerichtet gewesen, die, wie Cicero es formulierte, eine res populi, die Sache des Volkes, war oder sein sollte. Seit Caesars Diktatur gab es diese res publica nicht mehr. Der Bürgerkrieg nach Caesars Ermordung an den Iden des März 44 v. Chr. wurde schließlich durch die Alleinherrschaft seines Adoptivsohnes und Erben Octavian beendet, der als Augustus den Prinzipat begründete. Diese Regierungsform sollte nach dem Willen ihres Schöpfers die noch lebensfähigen Elemente der römischen Republik bewahren, gleichzeitig aber durch eine monarchische Spitze den Gefahren neuer Bürgerkriege vorbeugen. Augustus hatte aus dem Beispiel Caesars gelernt; er vermied dessen autokratischen Führungsstil und trat nicht als Diktator, sondern als Princeps, als der erste Mann im Staat auf. Die Pax Augusta, die lange Friedens- und Erholungszeit, die er dem gesamten Reich nach den blutigen Bürgerkriegsjahren bescherte, und die Stabilität seines Staatsbaues, die auch unfähige Nachfolger überdauerte, sprechen zu seinen Gunsten.

Was sich im Staat und für den Einzelnen geändert hatte, wurde im Bereich der Rhetorik evident. Der junge Römer wurde zwar weiterhin als Redner und Anwalt ausgebildet und war im Prinzipat durchaus nicht zum Schweigen verurteilt. Die Kaiser nahmen Anteil am Gerichtswesen, es wurden Plädoyers gehalten, und man konnte im Consilium, im Rat des Princeps, seinen sachverständigen Rat abgeben und seine juristischen Kenntnisse zur Geltung bringen. Aber es gab keine aufsehenerregenden Prozesse mehr wie zu Ciceros Zeiten, keine Reden gegen Aufrührer und Volksfeinde, gegen einen Catilina oder Marcus Antonius. Man musste keine unruhige Volksversammlung mehr zu überzeugen suchen oder in turbulente Wahlkämpfe eingreifen. Und so zog sich die Redekunst vom Forum in die Schule zurück; statt großer Volks- und Staatsreden übte man sich in Deklamationen, in Reden über fiktive Rechtsfälle. Man trug Suasorien vor, Beratungsreden, oder Controversien, die das Für und Wider eines Rechtsfalles darstellten, jetzt aber zu reiner Unterhaltung wurden. Es entstand ein öffentliches Vortragswesen, bei dem Redner als Virtuosen brillierten. Ob dieser «Show-Stil» modern oder eine Verfallserscheinung war, wurde diskutiert, von Tacitus in seinem Rednerdialog (Dialogus de oratoribus) und auch von Seneca dem Älteren.

Dieser schrieb auf Wunsch seiner Söhne ein rhetorisches Werk, in dem er die Redner seiner Zeit darstellt und kritisiert und die Themen der suasoriae und controversiae skizziert. Ihm verdanken wir die Kenntnis der oft romanhaft übersteigerten fingierten Rechtsfälle und der theaterhaften Vortragspraxis in der frühen Kaiserzeit. Dieses Werk hat seinem Verfasser den Namen Seneca Rhetor eingebracht, ursprünglich zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Sohn, Seneca Philosophus; man glaubte aber später, dass der ältere Seneca selbst Redelehrer gewesen sei (sofern man ihn überhaupt von seinem Sohn zu unterscheiden wusste). Der Vater Seneca liebt die klassische Redeweise Ciceros und kritisiert die Übertreibungen des modernen Stils, ist aber einsichtig genug, um nicht ins Archaisieren zu verfallen. Einmal nennt er einen Redner «hominem inter scholasticos sanum, inter sanos scholasticum – einen Mann, der unter den Gelehrten ganz normal wirkt, unter normalen Menschen aber als Gelehrter»: eine Wendung, die seine Distanz zum Deklamatorenwesen erkennen lässt, in ihrer Pointiertheit aber den Stil seines Sohnes vorwegnimmt.[3]

Das rhetorische Werk war seinen drei Söhnen gewidmet: Lucius Annaeus Seneca, dem späteren Philosophen, sowie dem ältesten, Novatus, und Mela, dem jüngsten. Novatus wurde später, wie dies in Rom öfter vorkam, von einer kinderlosen Familie adoptiert, und zwar von der des Rhetors Junius Gallio. Unter seinem neuen Namen Gallio ging er in die Geschichte ein, denn als er im Jahr 52 Statthalter der Provinz Achaia (Griechenland) war, erschien vor seinem Richterstuhl in Korinth der Apostel Paulus, den die Juden angeklagt hatten. Gallio war kein zweiter Pilatus; er wies die Klage ab, denn es handele sich hier um Streitfragen über religiöse Lehren.[4] Mela blieb in Corduba; sein Sohn Marcus Annaeus Lucanus wurde als Dichter des Epos «Pharsalia» berühmt und starb wie sein Vater und dessen Brüder als Opfer Neros.

Die Mutter Helvia lernen wir aus dem Trostbrief kennen, den Seneca aus dem Exil in Korsika an sie schrieb. Sie war offenbar beträchtlich jünger als ihr Gatte (dieser war im reifen Alter gestorben, während ihr Vater noch lebte) und war in ihrem Bestreben, sich eine umfassende Bildung anzueignen, von ihrem Gatten eingeschränkt worden. Hierin war der Vater, wie Seneca sagt, von allzu großer altertümlicher, provinzieller Strenge; er hatte Frauen vor Augen, die sich mit den Wissenschaften beschäftigen, um sich damit herauszuputzen und anzugeben, nicht um innere Werte zu gewinnen. Wir kennen von Juvenal das satirische Bild der Frau, die beim Gastmahl sogleich die Unterhaltung an sich reißt und über literarische Themen diskutieren will, was einen gewissen Ermüdungseffekt bei ihren Partnern hervorruft. «Sit non doctissima coniunx – Und nicht zu gescheit sei mir die Gattin», bemerkt der Dichter Martial augenzwinkernd als einen seiner Wünsche an das Leben.[5] Helvia besaß eine rasche Auffassungsgabe, sodass sie sich genügend Grundwissen, auch in der Philosophie, aneignen konnte. Während ihr Mann in Rom weilte, stand sie in Corduba dem Hauswesen vor, und nach seinem Tode verwaltete sie das Vermögen der Söhne, führte also wohl auch die umfangreichen Geschäfte weiter, die den Grundstock des Familienvermögens bildeten. Und als die Söhne dann zu Rang und Ansehen kamen, wollte sie keinen Anteil daran; sie war nicht, sagt Seneca, wie jene Mütter, die Machtpositionen ihrer Kinder ausnutzen, um durch diese ihren eigenen Ehrgeiz zu befriedigen. Seneca sollte eine solche Mutter noch kennenlernen. Helvia hatte eine ältere Schwester (oder Stiefschwester), von der Seneca erzählt, dass sie ihn auf den Armen trug, als er zum ersten Mal nach Rom kam, wo er seine Erziehung und Ausbildung erhielt. Von Kind auf sollte er schon den sermo urbanus, die feine hauptstädtische Redeweise, erlernen, die für einen gebildeten Römer der oberen Kreise unerlässlich war.[6]

Der junge Seneca absolvierte wie üblich den Unterricht beim Elementarlehrer, dem grammaticus, wo er neben den Grundschulkenntnissen die Dichter kennen- und lieben lernte. Es folgte die Ausbildung beim Rhetor, wo mit der Redekunst zugleich auch die bonae artes, die schönen Künste, wie griechische und lateinische Literatur und römische Geschichte, gelehrt wurden. Mit Eifer widmete er sich dann dem Studium der Philosophie. Als Seneca etwa zwanzig Jahre alt war, musste er seine Studien unterbrechen, um ein hartnäckiges Leiden zu kurieren, das ihm schwer zu schaffen machte. Als Katarrh hatte es begonnen, dann waren Husten, Fieber und schwere Atemnot mit Erstickungsanfällen dazugekommen. Der junge Mann magerte stark ab und wurde depressiv. Die Eltern schickten ihn schließlich nach Ägypten, wo sich Helvias Schwester seiner annahm. Ihr Mann, C. Galerius, war unter Kaiser Tiberius hier Statthalter (Präfekt). Der junge Seneca sollte versuchen, in der trockenen, milden Luft Ägyptens Heilung zu finden für seine Krankheit, bei der es sich möglicherweise um Tuberkulose und Bronchialasthma gehandelt hat.[7] Bis in unsere Zeit war Ägypten ein Ziel für Kranke mit Asthma und Lungenleiden. Senecas Zustand besserte sich, und er kehrte mit Tante und Onkel im Jahr 31 nach Rom zurück. Auf der Seereise, während eines heftigen Sturms, starb Galerius. Die Tante bemühte sich in der Folgezeit bei ihren und ihres Mannes alten Freunden um Unterstützung für ihren Neffen. Sie hatte Erfolg: Seneca wurde Quästor (34/35 n. Chr.), einer der den Konsuln und Statthaltern untergeordneten Verwaltungsbeamten. Das Amt war das erste im cursus honorum, der römischen Ämterlaufbahn; sein Träger wurde Mitglied des Senats.

Die stoische Philosophie und ihre Lehrer

Seneca berichtet später, dass er während seiner gesundheitlichen Krise allen Lebensmut verloren hatte und sogar an Selbstmord dachte. Neben der Pflege durch seine Tante und dem Zuspruch von Freunden war es vor allem die Philosophie, die ihm gleichsam zu einem neuen Leben verhalf.[8]

Er hatte sich der Stoa angeschlossen. Ihr Gründer, Zenon von Kition auf Zypern, hatte um 320 v. Chr. in Athen eine Philosophenschule eröffnet. Sie hatte ihren Namen von dem Versammlungsort ihrer Anhänger, einer mit Malereien geschmückten Säulenhalle, der Stoà poikíle. Außerdem gab es noch die Schule der Akademiker, der Jünger Platons, dann die Peripatetiker mit dem Schulgründer Aristoteles und die Kyniker mit ihrem bekanntesten Vertreter Diogenes. Um 307 v. Chr. war Epikur nach Athen gekommen; seine Wirkungsstätte hieß Kepos, der Garten.

Alle Schulen waren geprägt durch die Sokratik. Von Sokrates stammte sowohl der methodische Ansatz des Fragens und Definierens als auch das Anliegen der Philosophie, die «Sorge um die Seele, dass sie möglichst gut werde». Sokrates war für seine Überzeugung in den Tod gegangen und zum «Vater der Philosophie» geworden, der er den Grundsatz vom absoluten Primat der Aretē, der Tugend, vermacht hatte. Der Gründer der Stoa, Zenon, übernahm die Einteilung der Philosophie in drei Teile: Logik, Physik und Ethik. Zur Logik gehören die Dialektik und Rhetorik mit Poetik und Grammatik sowie die Erkenntnistheorie. Die Physik oder Naturlehre der Stoa kennt als Grundprinzip der Welt eine göttlich-geistige Kraft (Pneuma, Nous), die alles durchwaltet und Weltvernunft, Geist, Gott, Vorsehung und Schicksal zugleich ist. Diese Kraft wirkte auch bei der Entstehung des Kosmos, als ein Urfeuer, aus dem sich die Elemente Äther, Wasser, Erde, Luft entwickelten. In periodischen Abständen – dem großen Weltenjahr (ca. 12000 Jahre) – wird die Welt im Feuer zerstört (Ekpyrosis) und entsteht dann von Neuem. Der Mensch besitzt einen Funken des göttlichen Geistes und damit Keimkräfte des Logos, die er erst entwickeln muss, um sein wahres Sein herauszubilden. Der Mensch und das All entsprechen sich als ein lebendiger Organismus, als Makro- und Mikrokosmos. So führt die Physik zur Anthropologie und zur Ethik, dem Herzstück des stoischen Systems. Aus der Schau der göttlichen Weltnatur wird der oberste Grundsatz der Ethik abgeleitet: gemäß der Natur zu leben ( – secundum naturam vivere). Die Natur will, dass der Mensch glücklich lebt; diese Glückseligkeit (Eudaimonia) wird ihm aber nur zuteil, wenn er in sich ruht, die Apathia erreicht, das Freisein von Affekten. Wer sich von seinen Begierden, von der Sucht nach Macht und Ehre, Ruhm und Reichtum und anderen Dingen treiben und beherrschen lässt, wird keine innere Ruhe finden und der Spielball der Fortuna sein. Für den Weisen, das heißt denjenigen, der nach den Regeln der Philosophie lebt, gibt es nur ein wirkliches Gut, die Tugend, die sittliche Vollkommenheit: Aretē, virtus, die auch das honestum, das Ehrenhafte, genannt wird. Sie umfasst die vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Klugheit und das daraus entspringende soziale und humane Handeln. Nach diesem höchsten Gut muss der Mensch streben; das größte Übel, die sittliche Fehlhaltung (wie Habgier, Grausamkeit, Machtstreben, maßlosen Ehrgeiz, Menschen- und Götterverachtung), hat er zu meiden. Mit Hilfe seiner Vernunft, dieser göttlichen Gabe, verschafft er sich die rechte Einsicht in das Wesen der Dinge. Dann erkennt er, dass alle sogenannten Güter nur Adiáphora oder indifferentia sind, «Dinge, auf die es nicht ankommt», wertneutrale Güter. Wenn sie vom Schicksal geschenkt werden, darf man sie annehmen; man darf sie auch als angenehm empfinden, wie die Gesundheit, aber man muss auch ruhigen Herzens auf sie verzichten können. Der einzig wirkliche Wert, die Tugend, kann nicht geraubt werden, daher trägt der Weise alles Seinige immer bei sich. Diese philosophische Haltung, zu der die Beherrschung der Affekte gehört, muss eingeübt werden: Philosophieren ist eine lebenslange Übung (Askesis, exercitatio).

Als die Römer die Nachfolge der hellenistischen Königreiche antraten, kamen sie auch mit der griechischen Philosophie in Berührung. Panaitios von Rhodos (ca. 180–109 v. Chr.) und Poseidonios von Apameia (ca. 135–51 v. Chr.), die Vertreter der mittleren Stoa – nach der älteren mit Zenon, Chrysipp und Kleanthes –, übten große Wirkung auf viele bedeutende Persönlichkeiten aus. Scipio Africanus der Jüngere war mit Panaitios befreundet, Cicero war ein Schüler des Poseidonios auf Rhodos. Von besonderer geistiger Tragweite für das junge römische Weltreich wurde der stoische Gedanke eines humanitären Kosmopolitismus. Da in allen Menschen der göttliche Funke lebt, sind sie Bürger einer Welt. Der Mensch ist in Analogie zum Kosmos geschaffen, in dem eines mit dem anderen zu einer harmonischen Ordnung, einem Zusammenwirken, verbunden ist. Daher kann er sich nur als Gemeinschaftswesen wahrhaft verwirklichen. In Rom verband sich im sozialen und politischen Bereich stoisches Denken mit der römischen Wertewelt. Die Traditionen der Vorfahren, die exempla bedeutender Männer, gaben Richtlinien, die sich mit den philosophischen Lehrsätzen verknüpfen ließen. Der römische Grundwert war die virtus, die längst nicht mehr nur kriegerische «Mannhaftigkeit» umfasste, sondern zum Ideal einer beherrschten, verantwortungsbewussten Persönlichkeit geworden war. Das Wirken in der staatlichen Gemeinschaft, in der res publica, war seit jeher die Bestimmung des Römers. So konnte die stoische Schule mit dem Römertum eine nachhaltige Verbindung eingehen, die über Schulgrenzen und Dogmatik hinauswirkte. Cicero, der sich zur Schule der platonischen Akademie bekannte, hat in seinem Staatsdenken und in seiner Pflichtenlehre stoisches Gedankengut ins römische Denken und Handeln eingebracht. Marc Aurel regierte das römische Weltreich als Stoiker und römischer Kaiser.

Dieser Philosophie verpflichtete sich auch Seneca, der auf dem Höhepunkt seines Wirkens einen Kaiser lenkte und leitete. Lebenslang behielt er die Begeisterung für die stoische Lebenslehre, die ihm in der Jugend vermittelt worden war und die ihm dann über die Krisen seines Lebens hinweghelfen sollte. Er erzählt von seinen Lehrern und ihrem Unterricht, der geeignet gewesen war, junge Menschen anzusprechen. Seneca und seine Freunde hörten bei dem Stoiker Attalus. Sie kamen als Erste und gingen als Letzte, ja, sie bedrängten den Philosophen sogar bei seinen Spaziergängen mit Fragen. Er ging bereitwillig auf seine Schüler ein, denn Lehrer und Schüler müssten auf das gleiche Ziel eines inneren Fortschritts ausgerichtet sein. Wer einen Philosophen besucht, muß täglich etwas mitnehmen: Er muß gesünder oder doch zur Gesundung eher bereit nach Hause gehen. Darin beruht ja die Kraft der Philosophie, daß sie ihre Schüler fördert.[9] Wir erfahren auch, dass in der Schule des Attalus nicht nur solch eifrige Adepten waren wie der junge Seneca. Es gab andere, für die die Schule des Philosophen nur ein deversorium otii, eine Herberge des Zeitvertreibs, war. Es ging ihnen nicht darum, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, sondern einen Ohrenschmaus zu genießen. Manche hatten Schreibtäfelchen dabei und notierten sich alle Kernsätze des Lehrers, aber nur, um sie bei Gastmählern zu zitieren und dadurch Eindruck zu machen. Auch Geizhälse beklatschten dann eine geschliffene Sentenz über die Verachtung des Reichtums.

Der wahre Schüler der Philosophie aber muss aus den Worten des Lehrers einen Appell heraushören, sein ganzes Leben, seine Haltung und Einstellung grundlegend zu ändern. Um eine solche Umkehr zu erreichen, ist eine wirkungsvolle, kunstreiche Redeweise durchaus geeignet, meint Seneca – nur darf sie nicht Selbstzweck sein, sondern muss als Heilmittel zu Nutz und Frommen der Hörer dienen. So war es bei Attalus, der seinen Schülern das Bild eines römischen Triumphzugs vor Augen führte, den er einmal gesehen hatte. Alle Pracht, aller Luxus und Reichtum der ganzen Welt wurden da zur Schau gestellt: Und das alles war doch im Grunde überflüssig – für solche Dinge sollte man sich ein Leben lang plagen? So einprägsam wusste Attalus zu reden, dass sich Seneca noch im Alter genau daran erinnerte. Eloquentia und sapientia, Redekunst und Philosophie, so lernte er damals, sollen miteinander im Bunde sein, nur so können sie den Menschen wahrhaft nützen. Dies war schon Ciceros Forderung gewesen, und Seneca machte sie sich zu eigen.

Attalus war Stoiker, aber seine Unterweisung war keine schulmäßig beschränkte Kathederphilosophie, sondern Lebenslehre. Er wandte sich, wie auch die Vertreter der anderen Philosophenschulen, gegen Luxus, gegen Leidenschaften und Begierden, die den Menschen unfrei machen und ihn hindern, sich der Entwicklung und Vervollkommnung seiner Persönlichkeit zu widmen. Für diesen Weg in die innere Freiheit und Unabhängigkeit gab Attalus seinen Schülern praktische Anweisungen. Alles, was das alltägliche Bedürfnis übersteige, sei nur eine überflüssige Belastung für Körper und Geist – so vor allem der unsinnige Tafelluxus mit immer ausgefalleneren, exotischen Leckereien, die nicht nur den Magen, sondern auch den Geldbeutel ruinieren. Auch übermäßigen Weingenuss und heiße Bäder lehnte Attalus ab, und Seneca folgte ihm darin. Ja, er erklärte später, dass er in seinem Alter immer noch auf einer harten Matratze schlafe, wie es sein Lehrer damals geraten habe.

Neben Attalus hörte Seneca auch bei Sotion, einem Philosophen, der zwar der Stoa nahestand, aber ein Nachfolger des Neupythagoreers Q. Sextius war. Letzterer hatte zur Zeit des Augustus in Rom nicht nur eine Schule, sondern, wie es den Grundsätzen des Pythagoras entsprach, eine Lebensgemeinschaft gegründet. Dem pythagoreischen Glauben an die Seelenwanderung entsprechend verzichtete man auf Fleischgenuss. Diese Auffassung, nach der nichts untergeht, sich vielmehr alles beständig wandelt und auch die Seelen in einem steten Kreislauf sind, hatte in der frühen Kaiserzeit viele Anhänger gefunden. Auch Ovid zeigt sich am Ende seiner «Metamorphosen» davon beeinflusst. Sotion trug diese Gedanken seinen Schülern vor, ließ ihnen jedoch freie Hand, ob sie seiner Überzeugung beipflichten wollten oder nicht. Er wies allerdings darauf hin, dass der Vegetarismus in jedem Falle von Vorteil sei. Sextius habe gesagt, das Zerstückeln von Lebewesen zum eigenen Genuss erziehe zur Grausamkeit. Und der Mensch müsse sich nicht wie Löwen und Geier ernähren. Seneca folgte diesem Rat und hatte bald das Gefühl, dass sein Geist freier und leichter wurde.

Von den Pythagoreern stammte auch eine Übung, die in die philosophische Praxis aller Schulen übergegangen war: die tägliche Gewissensprüfung. Später erzählte Seneca, wie er allabendlich diese von Sextius empfohlene Selbsterforschung vornahm. Das Licht ist gelöscht, seine Frau, seit langem vertraut mit seiner Angewohnheit, verhält sich still, und er geht den ganzen Tagesablauf noch einmal durch und gibt sich schonungslos Rechenschaft, etwa wo er jemanden zu scharf kritisiert und dadurch beleidigt habe. So werden schlechte Angewohnheiten oder Leidenschaften wie zum Beispiel der Zorn gemäßigt und besser unter Kontrolle gehalten, wenn sie gleichsam wissen, dass sie jeden Tag vor dem Richter erscheinen müssen. Und wie gut schläft man dann, wenn man sich zuvor kritisch betrachtet und sich mit Lob und Tadel auf den rechten Weg gebracht hat.[10]

Die Schriften des Sextius richteten Seneca immer wieder auf und entließen ihn voller Selbstvertrauen. Hier ging es wie bei seinem Lehrer Attalus nicht um schwierige Lehrsätze, um das unerreichbare Ideal des vollkommenen Weisen; es wurde nicht zum Disputieren, sondern zum Leben erzogen. Davon wurde Seneca geprägt: Die Philosophie war für ihn kein Lehrgebäude, sondern ein Haus, um darin zu leben und schließlich auch zu sterben. In diesem Haus sollte man nicht allein wohnen, sondern mit gleichgesinnten Freunden, mit denen gemeinsam man sich seine Fortschritte oder auch Rückschritte bewusst machte. Auch diese Maxime blieb für Seneca bestimmend. Seine Philosophie entfaltete sich im Dialog mit einem Partner, dem Bruder Novatus und Freunden wie Serenus oder Lucilius.

Für Senecas Philosophieren galten also von Jugend auf folgende Grundsätze: das Streben nach innerer Freiheit durch Abweisung von belastenden Äußerlichkeiten, Kontrolle über die Affekte in stetiger Selbstprüfung, Lebenslehre statt Theorie, philosophische Lebensgemeinschaft mit Freunden. Diese Grundprinzipien lassen sich nicht ausschließlich einer philosophischen Schule, wie der Stoa, zuweisen. Horaz, der sich in einem, wenn auch lockeren, Bunde mit Epikur weiß, berichtet ebenfalls von der abendlichen Gewissensprüfung, die Hingabe an äußere Güter wird in allen philosophischen wie religiösen Lehren abgelehnt, und die Freundschaft wird von Akademikern, Peripatetikern, Epikureern und Stoikern gleichermaßen gepriesen. Obwohl sich Seneca als Stoiker versteht, erklärt er: Veneror inventa sapientiae inventoresque; adire tamquam multorum hereditatem iuvat. Mihi ista adquisita, mihi laborata sunt – Ich verehre die Erfindungen der Weisheit und ihre Erfinder; sich sozusagen das Erbe all der vielen anzueignen, macht Freude. Für mich ist das erworben, für mich ist es erarbeitet worden.[11] Die Philosophie soll keine secta, kein esoterischer Zirkel, sondern eine universale Lebenslehre sein, denn wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule ist es, dass man überhaupt philosophisch lebt. Zu Senecas Vorbildern gehören nicht nur die großen Philosophen wie Sokrates, sondern auch Persönlichkeiten wie Cato der Jüngere, der strenge Moralist, oder andere vorbildliche Männer aus Roms Geschichte, denn: Handeln lehrt die Philosophie, nicht reden[12], sagt er. Als Lebenslehre muss sie sich in Roms Wirklichkeit bewähren.

Unter Caligula

Senecas Vater wollte zwar, dass sich sein Sohn in Rom eine umfassende Bildung aneigne; er missbilligte es aber, dass dieser sich der Philosophie völlig in die Arme warf und bei seiner schwachen Konstitution asketisch und vegetarisch lebte. Zudem galt der Vegetarismus, oder der Verzicht auf das Fleisch bestimmter Tiere, damals als eine bedenkliche Sache, gehörte dies doch zum Brauch in ausländischen Kulten wie dem der Isis-Verehrer oder der Juden, die von Staats wegen beargwöhnt wurden. Senecas Vater drängte den Sohn, zu seinen früheren Essensgewohnheiten zurückzukehren – nicht weil er eine Anzeige fürchtete, sondern weil ihm die Philosophie zuwider war, meint Seneca. Wir denken daran, wie Seneca der Ältere auch die Mutter vom allzu tiefen Eindringen in die Philosophie zurückhielt. Er neigte wohl noch zu der altväterlichen Ansicht: «Philosophieren ja, aber nicht zu viel», wie es in einem bekannten Zitat aus einem Drama des Ennius hieß. Vielleicht war er sich aber auch über die geradezu umstürzlerische Gewalt der Philosophie im Klaren, und er wollte seinem Sohn ein gefährdetes Außenseiterdasein ersparen. Jedenfalls ließ sich Seneca wieder zu einem reichhaltigeren Essen überreden, und er konnte unangefochten die ersten Karriereschritte machen.

Ein junger Mann, der keiner der alten Adelsfamilien Roms entstammte, musste sich als homo novus, als neuer Mann, seinen Weg bahnen. Hierbei war immer noch, wie zu Ciceros Zeiten, ein Talent als Redner förderlich. Im Centumviral-Gericht, dem Kollegium der «Hundert Männer», in der Basilica Julia auf dem Forum wurden Zivilprozesse verhandelt, die zwar nicht spektakulär waren, aber zu Beziehungen verhalfen. Dies war sehr wichtig in der römischen Politik, die keine Parteien im modernen Sinne kannte.

Die Beziehungen seiner Tante hatten Seneca geholfen, das Amt des Quästors zu erhalten, nun verhalf ihm seine Redegabe dazu, sich auch als Mitglied des Senats zu etablieren. Hier ging es nicht nur um beratende Stellungnahmen zur Staatsverwaltung. In der Kaiserzeit diente der Senat immer mehr als Gerichtshof für außerordentliche Kriminalprozesse und als Standesgericht, das heißt als Gerichtshof für angeklagte Senatoren, vor allem in den Majestätsprozessen, die seit den späteren Jahren des Tiberius immer häufiger wurden. Die Angeklagten wurden beschuldigt, sich «staats- und kaiserfeindlich» verhalten zu haben (crimen laesae maiestatis), ein dehnbarer Vorwurf, der zudem noch oft durch berufsmäßige Ankläger vorgebracht wurde und dazu diente, Verdächtige und Missliebige aus dem Wege zu räumen. Die Strafe lautete auf Verbannung oder Tod. Der Senator, der zugunsten eines angeklagten Standesgenossen sprach, konnte sich um Kopf und Kragen reden, wie einst Cicero. Insofern war die kaiserzeitliche Redekunst nicht nur Schulrhetorik.

Die Regierungszeit des Tiberius war inzwischen zu Ende gegangen; in den letzten Jahren hatte zuerst sein Günstling Sejan und nach dessen Sturz der alternde Kaiser selbst eine Schreckensherrschaft aufgerichtet, der viele Römer zum Opfer gefallen waren. Bei der Nachricht vom Tod des Achtundsiebzigjährigen brach das Volk in den Ruf aus: «Tiberius in Tiberim – in den Tiber mit Tiberius!» Es erhoffte eine neue, glückliche Zeit von dem neuen Kaiser, Tiberius’ Großneffen Gaius. Dieser war der Sohn des beliebten, allzu früh verstorbenen Germanicus und hatte seinen Vater schon als Kind ins Feldlager begleitet. Dort hatte er als vergötterter Liebling der Soldaten den Beinamen Caligula (Soldatenstiefelchen) erhalten.

Caligulas Regierungszeit ließ sich vielversprechend an, doch bald zeigte sich, dass der junge Kaiser nicht die charakterliche und sittliche Kraft besaß, um das Reich in der Nachfolge des Augustus zu regieren. Er wollte nicht der Erste Bürger sein, sondern als unumschränkter Herrscher regieren. Man hat sich gefragt, ob die zahllosen unsinnigen und grausamen Maßnahmen des Caligula einer kranken Psyche entsprangen. Sueton berichtet in seiner Biographie von einer schweren Krankheit, die möglicherweise Wesensveränderungen mit sich brachte. Auch waren die Erschütterungen seiner Jugend wohl nicht spurlos an ihm vorübergegangen, zuerst der frühe Tod seines Vaters Germanicus, der möglicherweise einem Giftmord zum Opfer fiel, dann die Ausrottung seiner Familie durch Tiberius und schließlich die erzwungene Lebensgemeinschaft mit dem verdüsterten Herrscher in dessen Zurückgezogenheit auf Capri. Nur durch stillschweigende Unterwerfung konnte er sich am Leben halten. Seine spätere Maxime «Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten!»[13] bewies, was er bei Tiberius gelernt hatte.