Sexuelle Bildung in der Schule - Beate Martin - E-Book

Sexuelle Bildung in der Schule E-Book

Beate Martin

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Beschreibung

Sexualerziehung ist ein eigenständiges Fachgebiet innerhalb schulischer Gesamterziehung; sexuelle Bildung zu organisieren zählt zum schulischen Bildungsauftrag. Dabei geht es zunächst um Informationsvermittlung über körperliche Vorgänge. Sexualerziehung ist darüber hinaus aber immer auch Sozialerziehung. Der Bildungsauftrag der Schule zielt dabei letztlich auf die Förderung und Befähigung zur sexuellen Selbstbestimmung. Das Buch gibt eine kleine Einführung in die Sexualpädagogik in der Schule, wobei vor allem die Rolle des Lehrers thematisiert wird. Es liefert didaktisch-methodisches Grundwissen dafür, wie im Unterricht mit diesem Thema umgegangen werden kann und wie entsprechende Unterrichtseinheiten gestaltet werden. Ein Schwerpunkt wird auf die Medienkompetenz gelegt, ohne die heute Sexualerziehung und -aufklärung nicht mehr denkbar sind.

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Seitenzahl: 154

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Brennpunkt Schule

Herausgegeben von

 

Fred Berger

Wilfried Schubarth

Beate Martin

Jörg Nitschke

Sexuelle Bildung in der Schule

Themenorientierte Einführung und Methoden

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

 

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032471-8

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-032472-5

epub:   ISBN 978-3-17-032473-2

mobi:   ISBN 978-3-17-032474-9

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Einleitung

Sexualaufklärung in der Schule: Wichtig – aber nicht unproblematisch!

Das Thema Sexualität im Unterricht und die Rolle der Lehrkraft

Methodik-Didaktik von sexueller Bildung im Fokus Schule

Gewusst wie?! – Was ist beim methodisch-didaktischem Vorgehen zu beachten?

Medienkompetenz

Zur Vielfalt von Lebens- und Liebesformen

Zielgruppen

Über Sexualität sprechen

Mit und ohne Worte – über Sexuelles ins Gespräch kommen

Darüber spricht man nicht oder doch?

Kommunikation kann auch Missverständnisse befördern

Sprache ist von den eigenen Bezugspunkten abhängig

Tipps für den Unterricht

Methodenteil

Körper- und Sexualaufklärung

Jugendliche schätzen Schule und Eltern als Wissensvermittler

Gleichaltrige und Medien tragen zu Kompensation bei, wenn Erwachsene fehlen

Über Körper und Sexualität in der Schule zu sprechen, bleibt bedeutsam

Heterogenität muss im Sexualkundeunterricht Berücksichtigung finden

Methodenteil

Fruchtbarkeit, ein vernachlässigtes Thema in der sexuellen Bildung: Verhütung, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch und Elternschaft

Kinder ja, aber erst später

Gesellschaftlicher Paradigmenwechsel

Akzeptanz vielfältiger Lebensentwürfe

Schule als Raum für Sehnsüchte, Fantasien und Visionen

Partnerschaftliches und verantwortungsvolles Verhütungsverhalten

Pille und Kondom bleiben beliebt

Schwangerschaft im Jugendalter

Ein bisschen schwanger gibt es nicht

Elternschaft im Jugendalter und jungem Erwachsenenalter

Einbeziehung der Jungen und jungen Männer

Methodenteil

Sexuell übertragbare Infektionen

Historisch: Werte- und Moraldiskussion

Heute: Auch andere Infektionen auf dem Vormarsch

Erreger: Von Viren und Bakterien

STI und pädagogische Herausforderungen in der Schule

Gesundheit ist etwas Positives

Methodenteil

Körper und Sinnlichkeit – ein Bildungsthema im schulischen Kontext

Ganzheitliches Lernen auch in der Schule

Sexualität und Körper

Sexualpädagogik, sexuelle Bildung und Körperlichkeit

Körperübungen als Bestandteil früher und später sexueller Bildung

Körper und Gesellschaft

Sport tut gut!

Methodenteil

Sexuelle Identitäten

Ein stetiges oder veränderbares Puzzle

Kinder und Jugendliche benötigen mehr eindeutige Orientierung als Erwachsene

Schule als Ort der Auseinandersetzung mit den Themen »Geschlecht und sexuelle Orientierung«

Gendersensible Konzepte und die Berücksichtigung vielfältiger Lebensentwürfe fehlen im Schulalltag

Methodenteil

Liebe, Freundschaft und Partnerschaft

Einleitung

Partnerschaften: Kürzer, länger oder noch gar nicht

Jugendliche wünschen sich stabile Beziehungen, Vertrauen und Treue

Erwartungen in der Partnerschaft

Sexualität wird in Beziehungen gelebt

Gewalt in freiwillig gewählten Beziehungen

Bindung oder Autonomie: Eine Frage der Herkunft

Methodenteil

Sexuelle Vielfalt

Schule und Vielfalt

Kleine Auswahl an Begriffen

Sexuelle Bildung und Transkulturalität

Zum Begriff der Transkulturalität

Neue Migrationsbewegungen

Methodenteil

Sexualität und Medien

Pornografie: Neue Medienkompetenzen gefordert

Kompetenzen fördern

Sexting: Voyeurismus und Exhibitionismus mit dem Smartphone

Schule braucht Medienpädagogik

Cybermobbing: Das Netz vergisst nichts

Soziales Lernen für ein gutes Schulklima

Methodenteil

Sexuelle Gewalt

Begriffe und Definitionen erschweren den Diskurs und die Wahrnehmung

Das Streben nach Gewissheit

Prävention muss auf verschiedenen Ebenen stattfinden

Sexuelle Gewalt, Prävention und Schule

Methodenteil

Literatur

Weiterführende Informationen/Anlaufstellen

Danksagung

Verfasserin und Verfasser der einzelnen Kapitel

 

Einleitung

Sexualaufklärung in der Schule: Wichtig – aber nicht unproblematisch!

Sexuelle Bildung zu organisieren zählt zu den schulischen Aufgaben. Während Kinder und Jugendliche im Elternhaus und in der Gleichaltrigengruppe größtenteils vertrauensvolle Gespräche suchen, fällt der Schule die Aufgabe zu, über körperliche Vorgänge sowie über sexuelle und emotionale Zusammenhänge zu informieren. Dazu zählt auch die Vermittlung von sozialem Lernen in Bezug auf diese Themen, die damit verbundene Vielfalt und die Organisation der ganzheitlichen Betrachtung des Sexuellen. Sexualerziehung ist auch immer Sozialerziehung. Heranwachsende bestätigen, dass sie nicht nur rein biologische Zusammenhänge erfahren möchten, sondern ihr Interesse an Aufklärung umfasst die Berücksichtigung vielfältiger Aspekte. Dazu zählen beispielweise die Themen Kennenlernen, Partnerschaftsgestaltung, sexuelle Reaktionsweisen oder Pornografie. Auch wenn Jugendliche durch die mediale Verbreitung von sexuellen Inhalten alltägliche Berührungspunkte mit diesen haben, bedeutet das nicht, dass sie gut aufgeklärt sind, Bescheid wissen oder über ausreichendes Sachwissen verfügen. Deshalb bleibt schulische Sexualerziehung bedeutsam.

Sexualerziehung ist ein eigenständiges Fachgebiet innerhalb schulischer Gesamterziehung. Sie gelingt am besten, wenn diese fächerübergreifend gelehrt wird. Die Vernetzung verschiedener Fächer, z. B. Deutsch, Kunst, Sport, Biologie, ist zum Thema Sexualität möglich und gewünscht (z. B. durch die Gestaltung gemeinsamer Projekte innerhalb einer Klasse, Projektwoche in einer Jahrgangsstufe etc.). Sexualerziehung bezieht sich auf zahlreiche Themen und unterschiedliche Lebensaspekte. Deshalb sollte sich das didaktische Konzept an den Prinzipien ganzheitlichen und multisinnlichen Lernens orientieren. Je nach Fach, Thema und Übungsfeld sollten die Methoden so variieren, dass körperliche, kognitive, emotionale oder soziale Lernebenen in den Vordergrund treten. Die aktive Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler sowie prozessorientiertes Lernen erleichtert den gewinnbringenden Verlauf der Unterrichtseinheiten. Es ist sinnvoll, wenn ein vertrauensvolles Verhältnis in der Gruppe untereinander und in Bezug zur Lehrkraft besteht, so dass die Schülerinnen und Schüler sich trauen, eigene Themen und Meinungen einzubringen und Fragen zu stellen. Unterrichtsinhalte lassen sich besser vermitteln und wirken nachhaltiger, wenn die Lernenden ein Interesse am Thema haben und motiviert sind. Der Erwerb einer Reflexions- und Handlungskompetenz in Bezug auf sexualitätsbezogene Themen ist ein erstrebenswertes Ziel bei der Planung von einzelnen Unterrichtseinheiten. Weitere nennenswerte Ziele schulischer Sexualaufklärung sind:

•  Sexualinformationen zu geben und das Halb- und Falschwissen der Schülerinnen und Schüler zu korrigieren bzw. Wissenslücken zu schließen.

•  Eine Begleitung und Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen zu ermöglichen.

•  Die Kommunikationsfähigkeit über Sexualität zu fördern, um beispielsweise Partnerschaftskonflikten und Sexualstörungen vorzubeugen.

•  Zur präventiven Gesundheitsvorsorge beizutragen, weil Aufklärung vor ungeplanten Schwangerschaften, sexuell übertragbaren Infektionen oder sexuellen Übergriffen schützen kann.

•  Die Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen auch zu sexualitätsbezogenen Themen zu fördern, um Respekt und Toleranz zu erlernen. Beispielsweise auch dadurch, dass der eigene »Normalitätsbegriff« hinterfragt wird.

•  Eigene Norm- und Wertevorstellungen bewusst werden zu lassen, zu reflektieren und sich mit anderen auseinanderzusetzen, um einen eigenen Standpunkt zu finden.

•  Gefühle wahrzunehmen und zu thematisieren, z. B. Angst und Unsicherheit.

•  Die Förderung des Dialogs innerhalb des eigenen Geschlechts, mit dem anderen Geschlecht sowie interkulturelle Unterschiede (z. B. Umgang mit dem Jungfernhäutchen oder Beschneidung) in den Blick zu nehmen.

•  Selbstverantwortung zu spüren und zu fördern, was zu einer Erhöhung der Lebenskompetenz führt und die Persönlichkeitsentwicklung unterstützt.

•  Kenntnisse über die sexuellen und reproduktiven Rechte zu erwerben und einen respektvollen Umgang miteinander zu üben.

Das Thema Sexualität im Unterricht und die Rolle der Lehrkraft

Sexualität ist ein menschliches Bedürfnis, das je nach Lebensalter, Lebensphase, täglich wechselndem Befinden variabel gestaltet wird. Sie lässt sich nicht auf einzelne Facetten, wie Zärtlichkeit, Orgasmus, Küssen oder Geschlechtsverkehr, reduzieren, sondern beinhaltet viele Teilaspekte, die von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterschiedlich empfunden werden. Sexualität äußert sich u. a. in dem Wunsch nach körperlicher Lust, nach Nähe und Distanz, Wohlbefinden, Zärtlichkeit, Erregung oder Befriedigung. Sie steht aber auch immer im Spannungsfeld zwischen Intimität und Veröffentlichung. Während die alleinige Informationsvermittlung über das Sexuelle ohne Einbeziehung der Lebensverhältnisse sowie der kulturellen und religiösen Einflüsse und Gegebenheiten unzureichend wäre, besteht beim Sprechen über Sexualität auch immer die Gefahr, das Intime, Private des Sexuellen zu veröffentlichen.

Die Förderung und Befähigung zur sexuellen Selbstbestimmung ist Teil des Bildungsauftrags, den die Schule zu leisten hat. Dazu zählt auch die Vermittlung und Sensibilisierung für Fremdes, für unterschiedliche Lebens- und Liebesweisen. Die Förderung respektvoller Begegnungen ist dabei ein wichtiges Ziel. Die Balance dieses Spannungsfeldes macht die angemessene Thematisierung sexueller Inhalte nicht einfach, zumal die Vermittlung der Unterrichtsinhalte durch die Richtlinien vorgeschrieben ist. Schülerinnen und Schüler haben keine Wahlmöglichkeit und sie dürfen beispielsweise dem Unterricht nicht aus Desinteresse oder Scham fernbleiben. Die Besonderheiten der Zielgruppen müssen deshalb bei der Planung und Themenauswahl Beachtung finden.

Die Erfahrung zeigt, dass konkretes Körper- und Sexualwissen besser in geschlechtshomogenen Gruppen besprochen werden kann. In weiterführenden Schulen gilt dies häufig für pubertierende Schüler und Schülerinnen oder für die Gruppenarbeit mit interkulturellen Gruppen. Die Bedeutung von gruppendynamischen Prozessen sowie das Aufkommen unterschiedlicher Gefühle (z. B. Scham) ist bei den Themen Sexualität und Partnerschaft nicht zu unterschätzen. Auch der Lehrkörper steht in diesem Dilemma. Ohne Vertrauen kann keine zufrieden stellende Sexualerziehung gelingen, aber wenn er/sie sich als Person zu sehr einbringt, besteht die Gefahr, an Autorität zu verlieren bzw. von den Teilnehmenden sexualisiert zu werden. Dazu ein Beispiel aus der Praxis:

Eine Lehrerin an einer Hauptschule wurde von einer Mädchengruppe, die sie einmal wöchentlich begleitet, gebeten, ihnen zu erklären, wie Oralverkehr funktioniert. Eine Woche später hatte sich in der gesamten Schule herumgesprochen, dass diese Lehrerin Oralverkehr als Sexualpraxis bevorzugt. Als die Mädchen befragt wurden, warum sie dieses Gerücht verbreitet hätten, gaben sie zur Antwort, dass diese Lehrerin ihnen ihre Frage so gut und detailliert beantwortet hat, dass es gar nicht anders als aus eigenen Erfahrungen gespeist sein kann.

Deshalb ist es für die Aufarbeitung mancher Themeninhalte sinnvoll, mit externen Fachkräften (wie z. B. pro familia Beratungsstellen) zusammenzuarbeiten. Das bedeutet nicht, dass die Schule dadurch von ihrem Bildungsauftrag befreit ist. Vielmehr geht es hierbei um ein ergänzendes Angebot im Rahmen einer Projektwoche oder Unterrichtsreihe, die sich mit Aufklärung, Liebe, Partnerschaft und Sexualität beschäftigt. Eingebettet darin können heikle Themen wie z. B. Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität, Pornografie oder sexuelle Reaktionsweisen behandelt werden. Externe Personen, die diese Themen anders und lebensnäher gestalten können, arbeiten in der Regel als Mann-Frau-Team zusammen, so dass zusätzlich bei bestimmten Themen eine Geschlechtertrennung vorgenommen werden kann. Auch das ist im schulischen Alltag ansonsten schwierig bzw. gar nicht zu realisieren. Hier könnten sich die Männer in einer Jungengruppe z. B. dazu bekennen, schon einmal einen Porno gesehen zu haben. Das hilft häufig dabei, dass sich die Jungen trauen, über eigene Erlebnisse zu sprechen. So kann das von ihnen Gesehene besprochen oder relativiert werden. Auch gibt es die Möglichkeit, über Gefühle wie Lust, Ekel oder Scham zu sprechen. Über Heikles sprechen ist auch deshalb für externe Fachkräfte leichter, weil sie in der Regel der Schweigepflicht unterliegen und nach dem Projekt keinen weiteren Unterricht mehr mit den Schüler/innen haben.

Methodik-Didaktik von sexueller Bildung im Fokus Schule

Die flexible und möglichst offene (zielgruppen- und prozessorientierte) Gestaltung von Unterrichtseinstiegen ist beim Thema »Sexualität« empfehlenswert. Gelungene Sexualerziehung berücksichtigt die verschiedenen Liebes- und Lebensformen, Eigen- und Mitverantwortung sowie die unterschiedlichen Erfahrungen des Individuums und die Verschiedenheit der Gefühle zu sexuellen Themen (z. B. Angst, Unsicherheit, Spaß, Liebe, Vertrauen, Scham). Schüler/innen können lernen, über Sexualität zu sprechen, eigene Grenzen wahrzunehmen, Toleranz zu zeigen und zu üben. Inwieweit eigene Erfahrungen von Seiten der Schüler/innen mit eingebracht werden können, sollte wohl überlegt und zu Beginn des Unterrichts thematisiert werden. Das hängt sehr von der Gruppe, dem Thema und dem dort bestehenden Miteinander ab. Weil es sich in der Institution Schule anders als in der Freizeit um keine freiwillige Zusammenkunft handelt, sind dort Grenzen zu berücksichtigen, die bei der methodisch-didaktischen Vorbereitung bedacht werden müssen. In der Praxis hat es sich bewährt, zu Beginn des Unterrichtsinhalts »Sexualität« (Sonder-)Regeln mit den Schüler/innen über Erwartungen und etwaige Benotungen zu sprechen.

Empfehlenswert ist es, auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen zu achten. Ein Stuhlkreis oder kleinere Sitzgruppen können unterstützend wirken, weil eine andere Atmosphäre im Klassenzimmer hergestellt wird. Die jeweiligen Unterrichtseinheiten sollten so gestaltet sein, dass sich die Schüler/innen wohlfühlen und keine Leistungsbewertung erfolgt. Erfolgversprechend ist es bei diesem Themenbereich auch, wenn es die Möglichkeit gibt, den Klassenraum zu verlassen und in einem anderen Raum zu wechseln, z. B. in die Teestube. Einige Schulen benutzen beispielsweise an Projekttagen die örtlichen Jugendzentren.

Gewusst wie?! – Was ist beim methodisch-didaktischem Vorgehen zu beachten?

Der Einstieg in eine Unterrichtseinheit oder in ein Projekt trägt wesentlich zum Gelingen bei. Bereits zu Beginn entscheidet sich oft, wie das Thema angenommen wird. Deshalb ist es wichtig, die Methoden so zu wählen, dass sie vertrauensbildend sind, Spaß machen, motivierend wirken. Beim Themenkreis »Sexualität« ist die Einbeziehung der Schüler/innen bei der Prozessgestaltung gewinnbringend für den gesamten Verlauf der Einheit bzw. des Projekts. Es empfiehlt sich, die Sozialformen zu wechseln, damit alle Teilnehmenden körperlich und kognitiv in Bewegung bleiben. Offene Methoden ermöglichen prozessorientiertes Arbeiten und bieten Einzelnen die dringend erforderlichen Rückzugsmöglichkeiten.

Bei der Methodenauswahl sollten folgende Kriterien berücksichtigt werden:

•  Die ausgewählten Themen müssen verschiedene Blickrichtungen enthalten.

•  Gespräche und Diskussionen sind so zu gestalten, dass sie zum Nachdenken und Mitmachen anregen und nicht zu kompliziert oder zu komplex sind.

•  Die Benutzung eines gemeinsamen Sprachjargon ist empfehlenswert. Dieser sollte allgemein akzeptiert und verständlich, weder anbiedernd (z. B. nur Jugendjargon) noch zu sehr medizinisch ausgerichtet sein.

•  Ein Wechsel der Sozialform (z. B. Einzelarbeit, Kleingruppe, Plenum) motiviert zur aktiven Beteiligung.

•  Methoden sind ein Mittel, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Zuviel kann zuschütten, ein Zuwenig kann zu Sprachlosigkeit und Langeweile führen. Methoden dürfen nicht grenzüberschreitend wirken.

•  Bestimmte Themen, beispielsweise aus dem Bereich der Körper- und Sexualaufklärung wie Menstruation, Vorhautverengung, sexuelle Reaktionsweisen oder Selbstbefriedigung, können meistens einfacher in geschlechtshomogenen Gruppen besprochen werden. Hingegen Beziehungsthemen, Schwangerschaft und Geburt, Verhütung sowie Normen und Werte in der Sexualität können ebenso gut in gemischt-geschlechtlichen Gruppen thematisiert und erörtert werden. Unter anderem trägt dieses Vorgehen auch zu einem Dialog zwischen den Geschlechtern bei.

Medienkompetenz

Die Schule ist eine Bildungseinrichtung, der familienergänzend die Aufgabe zugeteilt wird, Wissen zu vermitteln. Der Erwerb von Medienkompetenz gehört zu den Pflichtaufgaben der Schule, nicht nur in Bezug auf sexualitätsbezogene Informationen. Problematisch dabei ist es, dass viele Jugendliche mehr Medienerfahrung haben als die meisten Erwachsenen. Die Vermittlung von Medienkompetenz beinhaltet aber nicht nur Wissensvermittlung, sondern vor allem Medienkunde, -nutzung, -gestaltung und -kritik. Bei einer erworbenen Medienkompetenz geht es also um mehr als Medienwissen oder -handeln, insbesondere um die Bewertung und bewusste Nutzung. Medien dienen der Kommunikation, der Unterhaltung, der Vernetzung und Informationsvermittlung. Für Jugendliche ist die Nutzung mannigfaltiger Medien aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber die Vielfalt der Möglichkeiten beinhaltet auch Risiken, die den Nutzer/innen teilweise oder gar nicht bewusst sind. Sexualerziehung und Aufklärung sind ohne den Erwerb von Medienkompetenz nicht mehr zeitgemäß. Durch die alltägliche Verfügbarkeit von Medien sind dem Konsum von sexualitätsbezogenen Inhalten kaum noch Grenzen gesetzt. Beachtet werden sollte dabei aber immer, dass auch Heranwachsende unterschiedliche Interessen haben und dass es über die Wirkung von Medien auf Kinder und Jugendliche nur Vermutungen, aber keine gesicherten wissenschaftliche Ergebnisse gibt. Es ist davon auszugehen, dass Medienwirkung so ambivalent, verschieden und individuell ist wie die Mediennutzung selbst. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass Medien ein Einflussfaktor – nicht nur für sexuelles – Verhalten sind. Deshalb ist die Verknüpfung von Medienkompetenz mit dem Thema »Sexualität« sehr zu empfehlen. Medien werden geschlechtsspezifisch unterschiedlich genutzt. Mädchen (46%) bevorzugen Printmedien als Aufklärungsquelle deutlich mehr als Jungen (30%). Jugendzeitschriften sind in diesem Bereich die erste Wahl. Das Internet ist inzwischen die Hauptbezugsquelle für Jungen (50%), aber auch Mädchen (39%) nutzen sie häufig, wenn es um Wissenserwerb zu sexuellen Themen geht (Heßling/Bode 2016: 57ff).

Jugendliche nutzen hauptsächlich seriöse Quellen, aber auch pornografisches Material, um Sexualwissen zu erwerben. Um Kinder und Jugendliche zu einer kreativen und verantwortlichen Nutzung mit Medien zu befähigen, braucht es Medienkompetenz, die mit Lerninhalten insbesondere bei sexualitätsbezogenen Themen verbunden werden sollte. Medien übernehmen Aufklärungsinhalte, sie helfen, die Neugier zu befriedigen, bieten anonyme, persönliche Beratung an, ermöglichen z. B. in Chats einen Rollentausch oder das Ausprobieren unterschiedlicher (sexueller) Inszenierungen. Schulisches soziales Lernen auch zu sexualitätsbezogenen Inhalten schafft einen Raum für alle Schüler/innen, über Erlebtes, Gehörtes oder Gesehenes mit anderen zu sprechen, Halb- und Falschwissen zu revidieren und einen eigenen Standpunkt zu diesen Themen zu finden.

Zur Vielfalt von Lebens- und Liebesformen

Sexuelle Bildung, die Vielfalt in den Blick nimmt, appelliert zunächst an die Haltung der Lehrerinnen und Lehrer. In den vergangenen Jahren gab es vermehrt Diskussionen über eine Sexualpädagogik der Vielfalt, die in der Berichterstattung über eine Petition gegen die Akzeptanz eines »Bildungsplanes unter der Ideologie des Regenbogens« (Baden-Württemberg) vorläufig gipfelte. In anderen Bundesländern wurde das Thema gleichfalls in den Rahmenlehrplänen aufgenommen. Die Auseinandersetzung kann im Rahmen dieses Buches nicht vertieft werden, doch zwei Merkmale sollen nicht unerwähnt bleiben. Zum einen zeichneten sich Positionen gegen die Sexualpädagogik der Vielfalt in der Bewertung aus, was gut oder böse, natürlich oder widernatürlich, normal und anormal sei. Tatsächlich aber erleben wir keinen plötzlichen Einbruch von etwas Widernatürlichem, sondern befinden uns bereits seit Jahrzehnten in einem Wandlungsprozess der Sexualität, in dessen Verlauf beispielsweise vorehelicher und außerehelicher Geschlechtsverkehr, Homosexualität, Pornografie oder sexuelle Praktiken wie Oral- oder Analsex von ihrer Verschmähung größtenteils befreit und normalisiert wurden (Sigusch 2005: 26). Zum anderen war von der Sorge einzelner Gruppierungen zu lesen, dieses »Andere« könnte gleichsam im schulischen Kontext anerzogen und dazu beitragen, traditionelle Lebensmodelle wie die Familie aufzulösen. Bislang haben sich diese Befürchtungen nicht bestätigt. Die monogame Paarbeziehung mit und ohne Familie ist für viele nach wie vor eine bevorzugte Lebensform; denen sich andere Lebens- und Liebesformen hinzugesellt haben. Diese sind auch kein neuzeitliches Phänomen, waren aber weniger sichtbar, eher unerkannt oder schicksalhaft, denn sie wurden nur heimlich oder gar nicht gelebt, weil diese zu gesellschaftlichen Sanktionen geführt hätten. Diese »neue« Unübersichtlichkeit fordert heraus, schafft Ambivalenzen und fühlt sich zuweilen befremdlich an. Dabei haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten rechtliche Rahmenbedingungen verändert: 1994 wird der § 175 StGB ersatzlos gestrichen, er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. 2001 wird das Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft eingeführt. 2013 tritt das Personenstandsänderungs-Gesetz in Kraft, nun ist es möglich, auf den Geschlechtseintrag im Geburtenregister zu verzichten, wenn das Geschlecht (s. Intersexualität) nicht zweifelsfrei feststeht. Seit September 2014 gibt es unter Vorsitz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Situation inter- und transgeschlechtlicher Menschen. Unter Einbindung von Interessenverbänden sollen weitere Gesetzesänderungen beispielsweise im Transsexuellengesetz beraten werden.

Darüber hinaus soll im Kapitel Sexuelle Vielfalt in die interkulturelle resp. transkulturelle sexuelle Bildung eingeführt werden. Was bedeutet es für den Kontext Schule, wenn Menschen aus anderen Kulturen den Klassenverband bereichern? Braucht es eine besondere Sexualaufklärung oder spezielle Angebote? Benötigt es eine besondere