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Einen toten Mann bringt man nicht um! In der Dimension X ist die Zombieapokalypse ausgebrochen. Alle Ortschaften werden von menschenfressenden Horden belagert, nur eine einzige Stadt ist noch nicht befallen. Dorthin hat sich der tyrannische Herrscher Mevolent zurückgezogen. Plant er jetzt etwa eine Invasion der Erde? Das Sanktuarium ist besorgt und schickt die Toten Männer los. Skulduggery Pleasant und Walküre Unruh sind natürlich dabei. Ausgerüstet mit den drei Göttermörderwaffen und dem Zepter der Urväter sollen sie Mevolent töten. Dazu müssen sie ihn aber erst einmal finden. Es beginnt eine monatelange, gefährliche Irrfahrt durch eine verwüstete Dimension. Und dann fehlt plötzlich Walküre … Die Kultserie geht weiter. Denn eine Kleinigkeit wie das große Finale seiner Reihe um den zaubernden Skelett-Detektiv konnte Bestsellerautor Derek Landy nicht aufhalten, sich weitere Geschichten über Skulduggery Pleasant auszudenken. Untotenland ist der dreizehnte Band der schwarzhumorigen Urban-Fantasy-Horror-Reihe.
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Seitenzahl: 693
INHALT
Frühling
»Ich weiß nicht mehr …
Rote Kerzen …
Jason grinste …
Omen Darkly …
Walküre …
Schwarzer Anzug …
Sebastian Tao …
Wenn das Oberste Sanktuarium …
Jemanden zu töten …
Die Lage …
Sebastian …
In einem Privatzimmer …
Dexter …
Es war seltsam …
Krisensitzung der Darquise-Gesellschaft …
Xena …
Sie trafen die anderen …
Großmagier …
Das Land …
»Man nennt sie …
Serafinas …
Sie näherten sich …
Sie bereiteten …
Walküre …
Sie wichen zurück …
Walküre …
Darquise …
Sie waren …
Nachdem sie an Land …
Tief gebückt …
Sie landete …
Als die Anführerin …
Er wachte auf …
Sommer
Es war offiziell Sommer. …
Kommandant Hoc …
Ein Vogel …
Es war Mittwochnachmittag …
Während des ersten Monats …
Die tote Stadt …
Es hatte angefangen …
Skulduggery …
Walküre …
Adam Brate …
Am vierundneunzigsten Tag …
Der Tunnel …
Eine Frau …
Sie saßen …
Sie saßen …
Saracen …
Never …
Es gab nur noch …
Die Tür …
Walküre …
Tanith …
Walküres Knie …
Als es in Tahil na Sin …
Herbst
Die Welt war dunkel …
Langsam öffnete …
Walküre …
Die Frau …
Es war der erste Tag …
Temper Fray …
Die Busse …
Omen …
»Betest du eigentlich?«, …
Drei Wochen …
Eine Gruppe …
Sie trafen den Teleporter …
Wie so oft …
Die Busse …
Sie liefen weiter. …
Etwas schüttelte ihn …
Tanith …
Darquise …
Sie entdeckten Draugar …
Filament …
Die Haustür …
Sie beobachteten …
Sie flohen …
Tanith …
Omen …
Im Kino …
Walküre …
Tanith …
Etwa fünfzig. …
Dunkle Linien …
Der Schultag …
Saracens Zustand …
Walküre …
Noch zehn Tage …
Die Demokraten …
Was Kerker …
Temper …
Ihre Zeit …
Warten gehörte …
Winter
Sebastian …
Axelia …
Sie brachten …
Walküre …
Zwei Wachen …
Der Schutzschild …
Walküre …
Es war seltsam …
»Wie bitte?« …
Tanith …
Tanith …
Im Haus …
Walküre Unruh …
Trotz der Ketten, …
Walküre …
Professor Nye …
Roarhaven …
Walküre …
Es war nicht …
Sie war überrascht …
Der Regen …
Die Tiefgarage …
Es war der Vormittag …
Hinter dem dicken …
»Keiner bewegt sich!« …
Ein Soldat …
Es schneite. …
Skulduggery …
Omen und Never …
Walküre …
China …
Sie lag neben Militsa …
Es war Weihnachtsmorgen. …
Früher hatte Sebastian …
Walküre …
Es wurde Mitternacht. …
In der Ringzone …
Im Laufschritt. …
Die Sensenträger …
Das Oberste Sanktuarium …
Es fühlte sich unheimlich an …
Mevolent …
In der Memory Lane …
Omen …
Walküre …
»Mevolent.« …
Omens Eltern …
Nachdem Militsa …
Temper Fray …
Februar …
Dieses Buch ist dem nächsten Schwung Nichten und Neffen gewidmet.
Cameron und Samira, Elle und Evan –
ihr seid ein seltsamer Haufen,
da gibt es kein Vertun.
Ich bin mir sicher,
dass ihr euch sehr gut entwickeln werdet.
Aber momentan seid ihr irgendwie merkwürdig,
und einer von euch hat die kalten,
toten Augen eines zukünftigen Serienmörders.
Aber ich sage nicht, wer es ist.
Und alles war Erinnerung.
Die Erinnerung an Götter und Menschen.
FRÜHLING
»ICH WEISS NICHT MEHR, wer ich bin.«
»Okay.«
»Ich dachte, ich wüsste es. Ich war eine von den Guten. Ich stammte von den Letzten der Urväter ab. Ich habe die Welt gerettet.«
»Und was hat sich geändert?«
»Das weißt du selbst.«
»Du glaubst, du gehörst nicht mehr zu den Guten?«
»In meinen Adern fließt das Blut der Gesichtslosen. Wie kann ich eine der Guten sein, wenn ich von Mord und Tod und Folter und Hass abstamme? Und weißt du, was das Schlimmste ist? Dass alles jetzt plötzlich einen Sinn ergibt. Dass Darquise all diese Leute getötet hat. Die Spiegelung, die Crystal umgebracht hat. Dass ich Alison getötet habe. Alle, die ich verletzt habe. Und all die schlimmen Dinge, die ich getan habe.«
»An alldem gibst du deiner Abstammung die Schuld?«
»Oh nein. Nein, nein. Ich gebe mir die Schuld. Aber wegen meines Bluts bin ich so, wie ich bin.«
»Und was ist mit Alison? Ist sie auch eine von den Bösen?«
»Sie ist acht.«
»Aber du hast sie in der Zukunft gesehen, kurz bevor sie ihrem Erzfeind entgegentritt. Glaubst du, sie ist in dieser Geschichte der Held oder der Schurke?«
»Das ist egal. Die Zukunft kann man verändern. Ich werde sie verändern. Welchen Weg sie auch einschlagen wird, ich kann sie abfangen.«
»Wie geht es ihr? Weint sie sich noch immer in den Schlaf?«
»In manchen Nächten schon. Meine Eltern sind mit ihr zu einem Kinderpsychologen gegangen, der meint, es könnte ein verdrängtes Trauma sein. Ich sollte es ihnen sagen, oder? Sie müssen wissen, was passiert ist, damit sie ihr helfen können.«
»Wenn du es ihnen erzählst …«
»Ich weiß.«
»Wenn du es ihnen erzählst, reden sie vielleicht nie wieder mit dir. Und sie werden dir ganz bestimmt nicht erlauben, Alison zu sehen.«
»Aber sie werden ihr helfen können.«
»Wie denn? Wie soll ihr das helfen? Was sollen sie diesem Psychologen denn erzählen? Als unsere Tochter ein Baby war, hat ihre große Schwester sie getötet und ihre Seele zerbrochen? Wie soll irgendein sterblicher Psychologe daraus schlau werden? Wie kann … Was ist los?«
»Nichts.«
»Hast du wieder Kopfschmerzen?«
»Es ist nichts. Und ich weiß nicht, inwiefern das helfen würde und wie sie das erklären sollen, ohne total durchgeknallt zu klingen. Aber ich habe es ihnen schon viel zu lange verschwiegen. Sie müssen endlich die Wahrheit erfahren.«
»Nein, müssen sie nicht. Was hätte es für einen Sinn, die Beziehung zu deinen Eltern zu ruinieren? Du liebst sie, und sie lieben dich, und sie müssen nie erfahren, dass Alisons Seele zerbrochen war. Schließlich hast du alles wieder in Ordnung gebracht, oder? Du bist durch die Hölle gegangen, um die Fragmente ihrer Seele zu finden und sie wieder zusammenzusetzen. Warum solltest du deinen Eltern erzählen, was passiert ist? Alison wird das nicht tun. Sie versteht ja gar nicht richtig, was damals passiert ist.«
»Vielleicht sollte sie es ihnen erzählen. Ich zwinge sie, ein riesiges, traumatisierendes Geheimnis vor ihren eigenen Eltern zu bewahren. Ich habe ihr schon vor Jahren geschadet, als sie noch ein wehrloses kleines Baby war. Und als ich versucht habe, das Problem zu beheben, hab ich ihr nur noch mehr geschadet. Während ihre Seele zerbrochen war, hat sie zumindest keine Traurigkeit empfunden. Und was habe ich getan? Was genau habe ich getan, um ihr Leben zu verbessern? Ich habe ihr nur diese Traurigkeit zurückgegeben, auf einen Schlag. Jeden Schmerz, jeden Kummer, all das Trauma und den Schrecken, alles …«
»Walküre. Hör auf. Du tust es schon wieder.«
»Ich habe sie zerstört.«
»Hör auf. Du drehst dich im Kreis.«
»Na und? Dann dreh ich mich eben im Kreis. Ich habe es verdient. Nach allem, was ich getan habe, habe ich noch viel Schlimmeres verdient. Du weißt nicht, wie es ist, diese Gedanken im Kopf zu haben. Du weißt nicht, wie es ist, wenn sie ständig im Kopf herumwirbeln und immer lauter werden. Es ist ohrenbetäubend laut hier drin. Ich kann nichts anderes mehr hören. All diese schrecklichen Stimmen, die diese furchtbaren Dinge sagen. Die Schuld … mein Gott, die Schuld. Du hast keine Ahnung. Sie ist überall. Sobald ich die Augen öffne, ist sie da. Sobald ich die Augen schließe, ist sie da. Sie ist immer da. Selbst wenn ich mit Militsa zusammen bin. Selbst wenn Skulduggery bei mir ist. Ich weiß nicht … Ich weiß nicht, wie lange ich noch weitermachen kann.«
»Hey.«
»Oh Gott.«
»Hey. Sieh mich an. Hör mir zu. Du wirst weitermachen – weil du das nämlich immer so machst. Ich weiß nicht besonders viel, aber ich kenne dich. Ich bin du, wenn auch ein bisschen schlauer und eindeutig hübscher.«
»Ich glaube, ich kann das nicht.«
»Du zweifelst an dir selbst. Das ist in Ordnung. Jeder hat Zweifel. Du hasst dich selbst. Ich verstehe auch das. Du wurdest in unmögliche Situationen gebracht und gezwungen, unvorstellbare Dinge zu tun. Aber so, wie du dich jetzt fühlst … das wird nicht ewig anhalten. Du glaubst, dass es ewig so sein wird. Aber das stimmt nicht. Du bist in einem tiefen Loch, aber du bist früher auch immer herausgeklettert, und du wirst es wieder tun.«
»Ich bin zu müde.«
»Ich glaube, das ist egal. Du wirst nicht aufhören zu klettern. Ich weiß es.«
»Du … du kennst mich nicht so gut, wie du glaubst. Du bist nicht ich. Du bist ein Teil von Darquise, den sie zurückgelassen hat.«
»Und Darquise ist ein Teil von dir.«
»Also bist du ein Teil eines Teils von mir, aus der Zeit, als ich achtzehn war. Aber seitdem habe ich mich verändert.«
»Das weiß ich. Sieh dir nur all die Muskeln an, die du aufgebaut hast. Warum konntest du vor sieben Jahren keine solchen Bauchmuskeln haben? Dann hätte ich die jetzt auch.«
»Das hatte ich eigentlich nicht damit gemeint.«
»Du redest, als wolltest du aufgeben. Aber wie oft in der Woche gehst du in dieses Fitnessstudio? Und dieses Zeug, das du isst. Wann hast du das letzte Mal eine Pizza gegessen?«
»Ich …«
»Wenn du aufgegeben hättest, würdest du nicht trainieren. Wenn du aufgegeben hättest, würdest du nicht überlegen, wann du für die nächste Proteinzufuhr sorgen musst. Du würdest dir über so was keine Gedanken mehr machen.«
»Aber das ist Gewohnheit. Das ist … Keine Ahnung. Ich tue es, um mich abzulenken. Wenn ich mich darauf konzentriere, mehr Gewichte zu heben als vorige Woche, dann brauche ich für ein paar Momente nicht all die schrecklichen Dinge zu hören, die sich in meinem Kopf abspielen.«
»In dir ist immer noch jede Menge Kampfgeist, Walküre. Ich weiß es. Ich kann es sehen.«
»Ich glaube nicht, dass du recht hast. Ich bin kein Roboter. Ich marschiere nicht einfach weiter. Irgendwann kann man einfach nicht mehr. Und irgendwann ist man so oft in das Loch gefallen, dass man sich fragt, warum man überhaupt herausklettert, wenn man morgen sowieso wieder hineinfällt.«
»Ich … Du brauchst Hilfe. Und zwar nicht von mir und auch nicht von dieser verdammten Spieluhr. Du brauchst professionelle Hilfe und vielleicht ein paar anständige Medikamente. Auf jeden Fall musst du mit jemandem reden, der weiß, was er tut.«
»Die Spieluhr hilft.«
»Nein, tut sie nicht.«
»Ich könnte morgens nicht aufstehen, wenn ich sie nicht hätte.«
»Das ist nicht gesund.«
»Sie beruhigt mich.«
»Sie macht dich zu einem Zombie. Ich hab dich beobachtet, wenn du ihr zuhörst. Du sitzt nur da und starrst die Wand an. Ich hab sogar deinen Namen gerufen, hab dich angeschrien, aber du hast gar nicht gemerkt, dass ich überhaupt da war.«
»Du übertreibst.«
»Ich wünschte, es wäre so. Die Spieluhr ist nicht gut für dich.«
»Sie hilft.«
»Und was ist mit diesen kleinen Spritzern Magie? Hast du wirklich geglaubt, ich wüsste nichts davon?«
»Ich nehme sie nur, wenn es sein muss.«
»Dir ist schon klar, dass das eine Droge ist, oder? Wie? Dazu hast du nichts zu sagen?«
»Ich rede nicht mit dir, damit du mich verurteilst. Ich rede mit dir, weil ich sonst mit niemand über diese Dinge reden kann. Und ich rede mit dir, weil … Weißt du, was passieren würde, wenn ich es nicht täte? Du würdest herumschweben, durch Wände gehen oder was auch immer du tust, wenn ich nicht da bin, und niemand würde dich sehen oder hören oder überhaupt von deiner Existenz erfahren. Also tu mir bitte den kleinen Gefallen, und verurteile mich nicht, okay? Du bist ein Teil eines Teils von mir, der eine beschissene Mörderin ist. Der eine unmenschliche Psychopathin ist und die ganze verdammte Welt vernichten wollte.«
»Du bist in keiner guten Stimmung, das merke ich.«
»Lass mich einfach in Ruhe, Kes. Ich muss allein sein.«
»Du wirst nie allein sein, du Dummerchen. Das ist das Leben, das du dir ausgesucht hast: ein Leben voller Abenteuer. Und das nächste wartet, wie immer, direkt hinter der nächsten Ecke.«
ROTE KERZEN, ungefähr ein Dutzend. Ziegelsteinwände. Holzbalken und Querstreben, Schatten, große dunkle Flächen, ein Holzboden. Sie war in einem Keller, saß aufrecht mit dem Rücken gegen etwas Metallisches. Sie spürte, wie sich die Streben in ihren Rücken bohrten. Ihre Arme waren über dem Kopf mit einem Seil zusammengebunden. Auch die Fußgelenke hatte man ihr gefesselt.
Sie hatte einen sauren Geschmack im Mund und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Offenbar hatte man sie unter Drogen gesetzt. Ihr Verstand fühlte sich träge an, aber der kleine Schuss Magie, den sie in ihr System gab, sorgte dafür, dass sie sofort wieder einen klaren Kopf bekam.
Sie fragte sich, ob ihr Make-up verschmiert war. Hoffentlich nicht, schließlich hatte das Auftragen eine Ewigkeit gedauert. Ihre Schuhe waren verschwunden. Gut so – sie waren ohnehin schrecklich gewesen. Aber sie trug noch immer das unpraktische Kleid, das viel zu kurz und zu eng war. Dafür passte es gut zu dem Totenschädelamulett aus dunklem Metall. Es lag an ihrer Hüfte wie eine cool aussehende Schnalle.
Langsam hob sie den Kopf und betrachtete ihre Umgebung durch die Haare, die ihr ins Gesicht hingen. Auf Podesten standen Glaskästen, in denen okkulte Gegenstände ausgestellt waren, als sei das hier eine Art Museum der schwarzen Magie. An Fesseln entlang der Wände hingen gut gemachte, in Lumpen gekleidete Skelette – wenn auch aus Plastik. Der Boden unter ihren nackten Füßen fühlte sich klebrig an. Sie saß genau in der Mitte eines Pentagramms, das auf die Bodendielen gemalt worden war, und war sich ziemlich sicher, dass die dunklen Flecken von reichlich verspritztem Blut stammten.
»Sie ist wach«, sagte jemand vor ihr in der Dunkelheit. »Hey, sie ist wach. Hol die anderen.«
Schritte auf Holzstufen ertönten, dann strömte von oben gelbes Licht herein. Ein großer Schatten schob sich davor, und dann wurde die Kellertür geschlossen. Sie blieb mit den flackernden roten Kerzen und demjenigen zurück, der gerade gesprochen hatte.
Gekleidet in eine dunkle rote Robe und mit aufgesetzter Kapuze, trat er aus der Dunkelheit hervor.
»Wie heißt du?«, fragte er. Seine Stimme war sanft, amerikanisch und warm.
»Walküre«, antwortete sie.
»Valerie?«
»Walküre. Mit k.«
»Das ist ein schöner Name. Ungewöhnlich. Ist das irisch?«
»Norwegisch.«
»Ach. Mein Freund meinte, du kommst aus Irland.«
»Ja schon. Aber mein Name nicht.«
»Ah.« Er kam ein wenig näher. Jetzt konnte sie die untere Hälfte seines Gesichts sehen, sein markantes Kinn und seine gleichmäßigen weißen Zähne.
»Du flippst jetzt wahrscheinlich aus. Das versteh ich. Wirklich. Schließlich wachst du in einem dunklen Keller auf, siehst satanisches Zeug um dich herum und denkst vermutlich, dass du in irgendeinem Opferritual grausam abgeschlachtet werden sollst, stimmt’s?« Er zog seine Kapuze herunter, und sein Lächeln wurde breiter. »Tja, und genau das wird gleich passieren.«
»Ich kenne dich«, sagte Walküre.
»Ach ja?«
»Du bist dieser Schauspieler. Aus diesem Film. Du bist Jason Randal.«
»Willst du ein Autogramm?«
»Wie wär’s mit einem Selfie? Wenn du mir mal mein Handy reichen könntest …«
Er lachte. »Ich mag dich. Die meisten Mädchen, die wir hier opfern, stellen in dieser Phase jede Menge panische Fragen, als könnten sie begreifen, was geschieht … als könnten sie einfach nicht glauben, dass sie gleich ermordet werden.«
»Wie hieß noch gleich der Film, in dem du mitgespielt hast? Der mit dem Typ aus The Big Lebowski?«
Jason legte den Kopf leicht auf die Seite. »Ich habe in keinem Film mitgespielt, in dem …«
»Doch, du kennst ihn. Ihr spielt beide tote Cops, die noch immer Verbrechen aufklären und so. Ihr seid keine Zombie-Cops oder Geister-Cops, aber … Wie heißt er noch gleich? Nicht RIP, sondern …«
Jasons Lächeln verblasste. »R.I.P.D.«, sagte er.
»Genau. Das war ein schrecklicher Film. Warum hast du dabei mitgemacht?«
Er kratzte sich am Kinn. »Das war Ryan Reynolds. Du meinst Ryan Reynolds.«
»Das warst du gar nicht?«
»Nein.«
Walküre runzelte die Stirn. »Bist du dir sicher?«
»Ich werde ja wohl wissen, in welchen Filmen ich mitgespielt habe.«
»Ich hätte schwören können, dass du das warst.«
»Tja, war ich aber nicht.«
»Das war ein wirklich schrecklicher Film.«
»Keine Ahnung. Ich hab ihn nicht gesehen und nicht darin mitgespielt.«
»Er ist wirklich sehr schlecht.«
»Wie wär’s dann, wenn wir nicht mehr darüber reden?«
»Schämst du dich, weil er so schlecht ist?«
»Ich habe nicht darin mitgespielt.«
Walküre musterte ihn. »Wenn du einen besseren Agenten hättest, würdest du vielleicht auch bessere Angebote bekommen.«
Gelbes Licht flutete den Keller, und Schatten bewegten sich die Treppe hinunter: drei Gestalten in roten Roben.
»Ist der Meister endlich hier?«, fragte Jason Randal leicht genervt.
»Er ist unterwegs«, antwortete die Frau, die vor den beiden anderen stand. Walküre kam nicht auf ihren Namen, aber in letzter Zeit wurde sie immer als die Freundin oder Ehefrau des Helden besetzt. Vor wenigen Jahren war sie noch selbst die Hauptdarstellerin in ein paar Filmen gewesen. Gar nicht mal schlechte Filme. Der Typ hinter ihr – einer der Stars einer grässlichen Sitcom, von der Walküre behauptet hatte, sie würde ihr gefallen – war derjenige, der ihr in der überfüllten Bar den mit Drogen versetzten Drink spendiert hatte. Jetzt erkannte sie auch die letzte Person. Ein Schauspieler mit einem albernen Namen, an den sie sich nicht erinnern konnte … aus einer TV-Show, die sie nie gesehen hatte.
Die Frau hatte ein erstaunliches Lächeln, einen unglaublichen Knochenbau und wundervolle Haare, die im Kerzenlicht glänzten. »Ich nehme an, Jason hat dir erklärt, was gleich passieren wird«, sagte sie.
»Bei der brauchst du dir keine Mühe zu geben«, meinte Jason mürrisch. »Sie ist nicht besonders helle.«
Walküre ignorierte ihn. »Ich bin ein großer Fan«, wandte sie sich an die Frau. Victoria … so hieß sie. Victoria Leigh.
»Ah danke.«
»Dieser Film, in dem du dich an den Typen rächen wolltest, die deinen Mann getötet hatten … Der war großartig.«
»Das ist wirklich reizend von dir. In diesem Film habe ich viele meiner Stunts selbst gemacht.«
»Die Kampfszenen waren fantastisch.«
Victoria strahlte. »Müssen wir sie umbringen? Sie hat so einen guten Geschmack!«, fragte sie ihre Kumpane.
Die anderen lachten leise – alle, bis auf Jason. Er verzog keine Miene.
»Wir sollten es jetzt sofort durchziehen«, sagte er.
Victoria zog eine Augenbraue hoch. »Bevor der Meister kommt?«
»Es ist fast Mitternacht. Wir müssen es sowieso tun, mit oder ohne ihn.«
»Das wird den Meister bestimmt nicht freuen«, vermutete der Sitcom-Star.
»Dann sollte der Meister für das Menschenopfer rechtzeitig hier sein«, antwortete Jason schnippisch. »Wir anderen sind schließlich alle pünktlich. Und im Gegensatz zu ihm sind wir berufstätig. Ich muss in zwei Stunden am Set sein. Und musst du morgen nicht auch früh raus?«
»Ich muss wirklich früh raus«, murmelte der Sitcom-Star.
Victoria schaute auf die schmale goldene Uhr an ihrem schmalen blassen Handgelenk. »Okay gut, bereitet alles vor. Wir warten bis zur letzten Sekunde. Wenn der Meister rechtzeitig kommt, wunderbar. Wenn nicht, machen wir es Schlag Mitternacht selbst.«
Die anderen nickten und marschierten los, um zu holen, was auch immer sie holen mussten. Victoria trat jedoch näher und strich Walküre die Haare aus dem Gesicht.
»Du bist hübsch«, sagte sie. »Keine Hauptrollenschönheit, aber definitiv hübsch, wie das typische Mädchen von nebenan. Und diese Schultern! Fantastisch! Schultern wie ein Linebacker. Ich kann verstehen, warum Tadd dich ausgesucht hat.« Ihre Stimme wurde leiser. »War er respektvoll? Ich musste ihn deswegen schon mehrfach zurechtweisen.«
»Ja, könnte man so sagen.«
»Gut. Ich habe in meinem Job viel zu oft erlebt, wie Mädchen respektlos behandelt wurden, und ich würde es verabscheuen, Teil einer Gruppe zu sein, die ein solches Verhalten unterstützt.«
»Habt ihr nicht vor, mich in ein paar Minuten umzubringen?«
Sie lachte kurz. »Ich weiß, das ist ein Widerspruch.«
»Gut«, sagte Walküre. »Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.«
»Ich muss sagen … Wie heißt du?«
»Walküre.«
»Ah, aus der nordischen Mythologie. Sehr schön. Ich muss sagen, Walküre, du nimmst das Ganze überraschend gelassen.«
Walküre zuckte mit den Schultern, so cool sie konnte. »Ich will ja nicht angeben, aber ich hab schon schlimmere Situationen erlebt.«
»Wirklich?«
»Aber letztendlich ist immer alles gut ausgegangen.«
»Ich hasse es, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, aber das wird heute Nacht nicht der Fall sein.«
»Wir werden sehen.«
»Ja, da hast du recht, Walküre. Das ist eine tolle Einstellung. Also, was führt dich nach L.A.? Bist du Schauspielerin?«
»Eigentlich überlege ich, ob ich Stuntfrau werden soll. Ich arbeite gern mit meinem Körper: Leute durch die Gegend schleudern, durch Fenster springen, von Dächern fallen … das ist total mein Ding.«
»Ah, ich bewundere Stuntleute so sehr. Ehrlich. Ich kenne da dieses tolle kleine Team in Glendale. Echt schade, dass du heute Nacht stirbst – jemand, der so athletisch ist wie du, hätte da perfekt reingepasst.«
»Kann ich dich was fragen? Dieser Meister, auf den ihr wartet – wer ist das?«
»Willst du das wirklich wissen? Also gut, warum auch nicht – du kannst es ja keinem mehr verraten. Er ist ein Zauberer.«
»Wie einer dieser Straßenmagier?«
Victorias Lachen war so schön wie ihre Augen. »Nein, nein. Er besitzt echte magische Fähigkeiten und kann Dinge einfach durch eine Geste bewegen. Er schnippt mit den Fingern und hält dann einen Feuerball in der Hand.«
»Echt?«
»Ich schwöre es.«
»Und warum will er, dass ihr Menschen opfert?«
»Nun ja, er bekommt seine Kraft von Satan. Er ist der Abgesandte Satans hier auf der Erde. Wir in unserer kleinen Gruppe sind für die Mädchenopfer zuständig, und als Belohnung verleiht Satan unserem Meister die Kraft, unsere wildesten Träume zu erfüllen.«
»Donnerwetter«, sagte Walküre.
»Ich weiß.«
»Und, funktioniert es? Werden eure wildesten Träume wahr?«
Victoria machte eine abwägende Handbewegung. »Es ist keine hundertprozentige Formel. Während der Pilotphase bekommen wir sehr viele Anrufe, viel Interesse seitens Casting-Agenturen und Regisseuren … aber eigentlich öffnet Satan nur die Tür. Wir müssen selbst hindurchgehen.«
»Verstehe«, meinte Walküre. »Es gibt Satan also wirklich?«
»Oh ja.«
»Wow. Und mehr verlangt er nicht? Nur Menschenopfer?«
»Ja. Und eine Provision.«
»Eine Provision?«
»Die geht an den Meister. Für Lebenshaltungskosten.«
»Dann bekommt der Meister also einen Anteil von allem, was ihr verdient? Wie viel?«
Victoria zögerte. »Vierzig Prozent.«
»Ernsthaft?«
»Ja, aber es lohnt sich. Tadd hätte die Rolle in dieser Sitcom ohne den Meister nicht bekommen, und ich bin in der engeren Auswahl für die Rolle einer Kriegskorrespondentin. Der Film basiert auf einer wahren Geschichte, und es wird schon viel über das Drehbuch geredet.«
»Dann wünsche ich dir viel Glück. Ich hoffe, du bekommst die Rolle.«
»Danke.«
Die anderen kehrten zurück. Tadd hielt einen Leuchter mit sieben hohen, nicht angezündeten schwarzen Kerzen in der Hand. Und der andere – der Schauspieler, an dessen albernen Namen Walküre sich nicht erinnern konnte – trug eine Kiste aus poliertem Eichenholz. Jason Randal öffnete die Kiste und nahm einen langen, krummen Dolch heraus. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, als er Walküre ansah.
»Wir haben noch zwei Minuten«, sagte Victoria.
»Sie muss um Mitternacht tot sein«, antwortete Jason.
»Ich kenne die Vorschriften.«
»Wir sollten es jetzt tun, um sicherzugehen, dass sie stirbt.«
»Wir tun es um eine Minute vor zwölf. Wenn du ihr ins Herz stichst, ist sie innerhalb von Sekunden tot. Zünde die Ritualkerzen an.«
Der Schauspieler mit dem albernen Namen stellte die Kiste auf den Boden, kam rasch herüber und kramte ein silbernes Sturmfeuerzeug aus seiner Robe. Nachdem er es aufgeklappt hatte, fuhr er mit dem Zündrädchen über seinen Oberschenkel und zündete mit der Flamme die sieben schwarzen Kerzen an. Tadd hob den Leuchter hoch.
»Die Kerzen brennen«, sagte er.
»Der Dolch ist scharf«, intonierte Jason.
»Der Moment«, fügte Victoria mit einem Blick auf ihre Uhr hinzu, »ist gekommen.«
JASON GRINSTE, hob den Dolch – und die sieben Kerzen gingen aus.
»Ups«, sagte Tadd. »Entschuldigung.«
»Zünd sie wieder an«, befahl Jason grimmig.
Der Schauspieler mit dem albernen Namen klappte das Sturmfeuerzeug wieder auf, fuhr erneut mit dem Zündrädchen über seinen Oberschenkel und zündete die Kerzen wieder an.
Verlegen hielt Tadd den Kerzenleuchter hoch. »Die Kerzen brennen.«
Doch sie gingen wieder aus.
»Herrgott noch mal«, murmelte Jason.
»Stehst du vielleicht im Durchzug?«, fragte Victoria. »Komm hierher, und halt den Leuchter dieses Mal nicht so hoch. Mach schon, wir haben nicht mehr viel Zeit. Zünd sie wieder an.«
Der Schauspieler mit dem albernen Namen klappte das Sturmfeuerzeug auf.
»Wenn du damit noch einmal über dein Bein fährst, ersteche ich dich statt des Mädchens«, knurrte Jason. »Hast du verstanden? Zünd einfach die verdammten Kerzen an.«
Der Schauspieler kniff die Augen enger zusammen. »Du brauchst nicht so …«
»Zünd die Kerzen an, Maverick!«, befahlen Jason und Victoria gleichzeitig.
Maverick. So hieß er. Maverick Reels. Was für ein alberner Name. Okay – jemand, der sich selbst Walküre Unruh nannte, sollte nicht mit Steinen werfen, aber trotzdem.
Während Maverick mit dem Feuerzeug herumfummelte, schwang die Kellertür auf, und ein Mann rauschte die Treppe hinunter. »Heil Satan!«, rief er.
»Heil Satan!«, antworteten die anderen.
»Heil Satan«, sagte auch Walküre, weil sie ebenfalls zu den coolen Kids gehören wollte.
»Mitternacht ist gekommen!« Der Meister rief eine Flamme in seiner Hand herbei, fuhr damit über den Leuchter und zündete die einzelnen Dochte an. »Warum lebt dieses Mädchen noch? Tötet sie! Übergebt ihre Seele dem Herrn der Finsternis!«
»Voldemort?«, fragte Walküre stirnrunzelnd.
Der Meister zog seine Kapuze herunter. Er sah nicht aus wie ein Meister, eher wie ein Abteilungsleiter der mittleren Führungsebene, mit einem ungepflegten Kinnbart. Kurzsichtig starrte er sie an. »Kenne ich dich?«
»Ach ja?«
»Ich habe dich schon einmal gesehen.«
»Tatsächlich?«
»Ich habe ein Foto von dir gesehen«, sagte er.
»Wo?«
»Ich versuche, mich zu erinnern.«
»Streng dich an.«
»Sei still.«
»Vielleicht war ich es ja gar nicht«, meinte Walküre. »Wurde das Foto in einer brennenden Stadt aufgenommen? Dann war ich es nicht. Das war eine Göttin, die so aussieht wie ich.«
Er riss die Augen auf. »Oh nein.«
Walküres Magie begann zu knistern. Weiße Blitze tanzten um ihre Hand- und Fußgelenke und brannten sich durch die Seile.
Panisch riss der Meister Jason den Dolch aus der Hand, als eines der in Lumpen gehüllten Skelette sich von der Wand löste und ihn am Handgelenk packte.
»Wir wollen doch nichts überstürzen«, sagte Skulduggery, woraufhin die gesamte Gruppe der Satansanbeter aufschrie und zur Seite sprang, als er dem Meister einen Kinnhaken verpasste.
Der Meister ging in die Knie und fiel bewusstlos in Skulduggerys Arme, während sich Walküre von den Balken losriss und den Schauspielern die Kellertreppe hinauf folgte.
Sie packte Maverick genau in dem Moment, als die Tür aufflog, und zerrte ihn von der Treppe. Er schlug wie wild um sich, und sie duckte sich und versetzte ihm einen Hieb gegen das Kinn. Steif kippte er nach hinten, und Walküre setzte den anderen nach.
Vom Keller gelangte sie in ein beeindruckendes großes Gebäude – die Villa eines Filmstars. Jede Menge Glas, frei liegende Ziegelsteine und weite Räume. Sie folgte den panischen Stimmen zur Eingangstür, wo Jason, Victoria und Tadd sich gegenseitig verfluchten, während sie versuchten, die Sicherheitsschlösser zu öffnen.
Sie hörten sie kommen. Tadd stürzte sich brüllend auf sie. Er war kleiner und leichter als Walküre, und sie machte nur einen Schritt vorwärts, um ihn mit der Schulter aufzuhalten. Er geriet ein wenig ins Taumeln. Sofort griff sie in seine Locken und schlug sein Gesicht wieder und wieder gegen das Gemälde an der Wand, bis er zusammensackte.
Victoria rannte in ein anderes Zimmer, während Jason Randal seine Robe abwarf und direkt auf Walküre zusteuerte. Er war groß, hatte Muskeln und bewegte sich, als wüsste er, was er tat. Oder als hätte er zumindest schon mal mit einem Kampf-Choreografen gearbeitet. Sein erster Schlag war steif und linkisch und verfehlte sein Ziel um mindestens eine Handbreit. Er hatte keine Ahnung und war es nicht wert, sich an ihm die Knochen zu verstauchen. Also feuerte Walküre ein paar kleine Blitze auf ihn ab, die ihn nach hinten gegen die Tür schleuderten. Er sackte zu einem bewusstlosen Haufen zusammen, und Walküre setzte jetzt Victoria nach. Die stand in dem riesigen Wohnzimmer und hielt einen Schürhaken wie einen Baseballschläger.
»Das wird mir nicht helfen, oder?«, fragte sie nach einem kurzen Augenblick.
Walküre zuckte mit den Schultern, woraufhin Victoria seufzte und den Schürhaken auf den Boden fallen ließ.
»War das da unten ein echtes Skelett oder irgendein Spezialeffekt?«
»Ein echtes Skelett. Er ist lebendig und spricht. Sein Name ist Skulduggery.«
»Ja natürlich«, sagte Victoria und setzte sich resigniert auf die Couch. »Dann bist du also auch eine Zauberin?«
»Ja.«
»Und bist du auch Satanistin?«
Walküre setzte sich ihr gegenüber und schlug die Beine übereinander. »Dieser Typ ist kein Satanist. Keiner von uns ist das. Magie hat nichts mit Religion zu tun. Diese Leute, die ihr geopfert habt … Der Teufel hat ihre Seelen nicht eingesammelt. Sie sind einfach gestorben.«
Victoria brauchte einen Moment, bevor sie antwortete. »Aber warum hat der Meister uns dann befohlen, sie zu töten?«
»Tja, da es offensichtlich bei dem Ganzen um Geld geht, hat der Idiot, den ihr Meister nennt, euch vermutlich nur deshalb dazu gebracht, einen Haufen unschuldiger Leute zu töten, um euch an ihn zu binden. Damit ihr es euch nicht anders überlegen und später wieder aussteigen konntet.«
Victorias Gesicht erschlaffte. »Wir hätten diese Mädchen gar nicht töten müssen?«
»Nein.«
»Aber … aber unsere Karrieren … Wie hat er …?«
»Es gibt einen Trick, den Zauberer anwenden können, wenn sie den Geburtsnamen einer Person kennen. Dann können sie demjenigen befehlen, bestimmte Dinge zu tun. Keine großen, lebensverändernden Dinge – aber zum Beispiel hätte er Casting-Agenten nahelegen können, euch zu einem zweiten Vorsprechen einzuladen.«
»Oh Gott …«
»Ja, ganz genau.«
»Was … was passiert jetzt mit mir?«
»Du gehst ins Gefängnis.«
»Ich sollte meinen Anwalt anrufen.«
»Du brauchst keinen Anwalt«, sagte Walküre. »Ihr kommt in eins unserer Gefängnisse. Ihr vier werdet einfach verschwinden. Niemand wird erfahren, wo ihr seid.«
»Aber meine Familie … Meine Fans …«
»Sie werden dich nie wiedersehen.«
Victoria starrte sie an. »Das könnt ihr nicht machen.«
»Nach unserer Schätzung habt ihr vier gemeinsam sechzehn junge Frauen getötet. Wir könnten uns natürlich irren – vielleicht waren es sogar noch mehr.«
»Aber der Meister hat es uns befohlen.«
»Hör auf, ihn Meister zu nennen. Er ist nichts weiter als ein unbedeutender Zauberer, der keine Lust hatte, die Arbeit eines richtigen Agenten zu tun, und deshalb diesen Satanisten-Quatsch erfunden hat, um mit euch Idioten etwas Geld zu verdienen. Und es ist mir egal, was er euch befohlen hat. Ihr hattet die Wahl. Ihr hättet euch dagegen entscheiden können, sechzehn unschuldige junge Frauen zu töten. Aber offensichtlich habt ihr das nicht getan.«
Victoria beugte sich vor, die Ellbogen auf den Knien und die Hände in den weiten Ärmeln ihrer Robe verborgen. »Ich kann nicht ins Gefängnis gehen«, sagte sie langsam. »Ich bin in der engeren Auswahl. Diese Rolle könnte mir einen Golden Globe bescheren.« Sie richtete sich auf. Plötzlich hielt sie eine Pistole in der Hand. »Es tut mir wirklich leid.«
Walküre zog eine Augenbraue hoch, reagierte aber nicht weiter.
»Zauberer sind doch nicht kugelsicher, oder?«, fragte Victoria.
»Nein, das sind wir nicht«, antwortete Walküre.
»Das hier tut mir wirklich leid.«
»Ach ja?«
Victoria zog den Hahn zurück, der leise klickte. »Ich bin nicht die beste Schützin der Welt«, sagte sie, »aber ich bin auch nicht gerade schlecht. Dieser Rache-Film, in dem ich mitgespielt habe … Mein Waffentrainer hat mir versichert, ich sei ein Naturtalent. Aber selbst, wenn ich die mieseste Schützin der Welt wäre, könnte ich aus dieser Entfernung gar nicht danebenschießen. Nicht einmal, wenn ich es wollte.«
»Ach, ich wette, du könntest, wenn du es versuchst.«
»Kann man mit einer Pistole deinen Skelett-Freund umbringen?«
»Nicht mit dieser Pistole.«
»Dann töte ich eben nur dich.«
Walküre klopfte auf das Amulett an ihrer Hüfte, und der schwarze Anzug breitete sich über ihre Haut und ihre Kleidung aus, floss bis hinunter zu ihren Füßen und zu ihren Fingerspitzen, noch bevor Victoria die Augen ganz aufgerissen hatte.
Ein Schuss löste sich. Die Kugel traf Walküre in den Bauch, und sie ächzte und beugte sich leicht vor. Rasch zog sie die Kapuze hoch, als auch schon eine zweite Kugel in ihrer Brust einschlug. Das tat weh. Ihre Finger ertasteten die Maske in der Kapuze. Sie zog sie herunter und spürte, wie sie sich auf ihrem Gesicht verfestigte, während Victoria aufstand und weitere Schüsse auf sie abfeuerte. Walküre fragte sich, wie die Schädelmaske wohl heute aussehen mochte. Jedes Mal, wenn sie die herunterzog, war sie ein wenig anders als beim Mal zuvor. Genau wie Skulduggerys Fassade.
Victorias letzte Kugel traf Walküre in die Stirn und brachte die Maske zum Vibrieren. Walküre stand auf.
»Du hast doch gesagt, du wärst nicht kugelsicher«, sagte Victoria leise. Die Pistole baumelte nutzlos an ihrer Seite.
»Bin ich auch nicht«, antwortete Walküre und wischte eine zerdrückte Kugel von ihrer Brust. »Aber der Anzug schon. Ich wollte dir die Wahl lassen, dieses Haus in Handschellen oder bewusstlos zu verlassen, aber …«
»Aber ich habe gerade versucht, dich umzubringen.«
Walküre zuckte mit den Schultern und nahm ihr die Pistole ab.
»Bitte«, flehte Victoria, »nicht ins Gesicht.«
»Klar, kein Problem«, sagte Walküre und donnerte ihr trotzdem die Faust auf die Nase.
OMEN DARKLY ging ins Gefängnis.
Er mochte es nicht besonders. Es war groß, grau und einschüchternd und roch nach Angst und Schweiß. Alle schienen schlecht gelaunt zu sein, und alles in allem war er froh, dass er nur ungefähr eine halbe Stunde hier verbringen würde.
Er hätte es nicht lange im Gefängnis ausgehalten. Schließlich war er erst fünfzehn. Und erlebte gerade seinen lang erwarteten »Wachstumsschub«, der ihm das Gefühl gab, die vielen Gelenke passten einfach nicht alle in seinen Körper.
Omen hatte allerdings den starken Verdacht, dass sein Zwillingsbruder hier drin hervorragend zurechtgekommen wäre. Groß und stark, hätte Auger es als der geborene Anführer bestimmt direkt am ersten Tag mit dem schlimmsten Häftling aufgenommen und dann das Gefängnis zu seinem Königreich gemacht.
Aber allein die Vorstellung war lächerlich. Auger war der Auserwählte und besaß ein angeborenes Verständnis dafür, was richtig und was falsch war. Er gehörte zu den Guten – jemand, auf den man sich verlassen konnte und der einen nie im Stich lassen würde.
Aber zurzeit lag er auf der Krankenstation, nachdem er fast getötet worden wäre – und Omen besuchte den Typ, der ihn dorthinein befördert hatte.
Jenan Ispolin saß auf der anderen Seite des Tischs und starrte mit schweren Lidern vor sich hin, die Lippen zu einem verächtlichen Grinsen verzogen. Omen hatte eine Glaswand zwischen ihnen erwartet, aber da war keine.
Plötzlich schienen alle einleitenden Worte, die er wieder und wieder im Kopf aufgesagt und vor dem Spiegel geübt hatte, völlig unpassend. Es waren die Worte eines harten Burschen, der beeindrucken wollte. Aber Omen war kein harter Bursche, war nie einer gewesen. Und es kam ihm unglaublich dumm vor, so zu tun, als wäre er einer – hier in einem Gefängnis voller Typen, die hart sein mussten, um zu überleben.
Stattdessen fragte er also: »Wie geht es dir?«
Jenan antwortete nicht.
»Lässt man euch regelmäßig an die frische Luft? Ich habe den Innenhof gesehen. Dürft ihr da Sport treiben? Welche Sportart?«
Während ihrer gemeinsamen Schulzeit hatte Jenan viel Sport getrieben, das wusste Omen. Er war gut darin.
»Wir treiben keinen Sport«, sagte Jenan.
»Verstehe«, antwortete Omen. Das war eine blöde Frage gewesen. Er wechselte das Thema. »Darf deine Familie dich oft besuchen?«
Jenan beugte sich vor. »Was willst du?«
»Ich … ich weiß es eigentlich gar nicht.«
»Warum bist du dann hier?«
»Vermutlich wollte ich dich zur Rede stellen. Und dir Gelegenheit geben, das zu sagen, was du zu sagen hast.«
»Wovon redest du? Was müsste ich dir denn sagen?«
»Keine Ahnung«, räumte Omen ein. »Aber es gibt doch bestimmt einen Grund, warum du mich mit einem Messer angegriffen hast. Oh Mann, ich weiß natürlich, dass du mich nicht leiden kannst. Das weiß ich! Aber das geht doch tiefer, oder? Ich meine … du hast versucht, mich zu töten. Und das wäre dir auch gelungen, wenn Auger mich nicht gerettet hätte. Ich glaube, du musst ein paar unbewältigte Probleme haben.«
Jenan starrte ihn an. »Deswegen bist du hergekommen? Damit ich über meine unbewältigten Probleme reden und sie verarbeiten kann?«
»Ja«, sagte Omen. »Wir alle haben was zu verarbeiten. Das weiß ich. Ich bin herkommen, um dir zu zeigen, dass ich noch lebe, dass es mir gut geht und dass du es nicht geschafft hast, deinen Plan umzusetzen. Aber jetzt, wo ich hier sitze und wir uns unterhalten, kann ich das nicht. Du hast versucht, mich umzubringen. Das ist … furchtbar. Du hast auf mich eingestochen. Ich habe zwar keine Narbe mehr, aber es tut manchmal noch weh. Die Wunde ist noch nicht vollständig verheilt. Außerdem hättest du Auger fast umgebracht. Das macht mich wütender als alles andere. Er wurde von denselben Heilern und Ärzten behandelt wie ich, aber seine Verletzungen waren viel schlimmer als meine.«
Jenan nickte. »Das hab ich gehört.«
»All das, was die Ärzte rasend schnell machen mussten, um ihm das Leben zu retten, hat seine Genesung kompliziert. Die Wunden sind nicht richtig verheilt. Er liegt noch immer auf der Krankenstation des Obersten Sanktuariums.«
»Hier drin bin ich als der Typ bekannt, der fast den Auserwählten getötet hätte«, sagte Jenan. »Sie respektieren mich deswegen. Viele von ihnen haben Angst vor mir.«
»Ich verstehe nicht, wie man auf so was stolz sein kann.«
Jenan lachte. »Natürlich nicht. Denn du bist ein Kind.«
Omen senkte die Stimme. »Meine Eltern wollten, dass du die Todesstrafe bekommst.«
»Mir egal.«
»Sie wollten, dass du hingerichtet wirst, Alter.«
Jenans Lachen glich jetzt eher einem Bellen. »Alter«, ahmte er Omen nach. »Alter.«
Omen seufzte. »Okay, lach mich ruhig aus. Ich versuche einfach, nur zu verstehen, warum du es getan hast.«
»Warum ich es getan habe?«, wiederholte Jenan. »Ich habe zu Abyssinias Armee gehört. Ich war der Anführer der Ersten Welle. Du und deine kleinen Freunde … ihr habt alles kaputt gemacht. Selbstverständlich wollte ich, dass ihr sterbt! Wir waren dabei, die Welt zu verändern!«
Omen musterte ihn stirnrunzelnd. »Nein, wart ihr nicht.«
»Doch, wir alle!«
»Nein«, widersprach Omen. »Ihr nicht. Die Erste Welle sollte als Sündenbock für die Ermordung all dieser Navy-Leute in Oregon dienen. Abyssinia hatte vor, euch zu töten.«
»Du weißt ja nicht, wovon du redest.«
»Doch, das weiß ich sehr wohl«, sagte Omen, »weil ich da war, genau wie du. Du hast nie zu ihrer Armee gehört, Jenan. Sie hat dich und die anderen nur benutzt. Ihr wart für sie nur eine Lachnummer.«
Jenan saß einen Augenblick wie versteinert da und stürzte dann über den Tisch auf Omen zu. Doch bevor er ihn berühren konnte, schrie er auf und fiel seitlich vom Stuhl.
Omen schaute auf ihn hinunter. »Nicht anfassen!«, sagte er.
Jenan stöhnte, und die Gefängniswärterin kam näher.
»Alles in Ordnung hier?«, fragte sie.
»Ja danke«, antwortete Omen. »Er wollte nur mal umarmt werden.«
Die Wärterin nickte, und Omen wartete, bis Jenan sich wieder auf seinen Stuhl hochgezogen hatte.
»Deine Freunde befinden sich in Haftanstalten«, sagte er. »Offener Vollzug. Nicht so wie hier. Das hier ist ein richtiges Gefängnis, für richtige Verbrecher. Du bist kein richtiger Verbrecher, Jenan. Du solltest in der Schule sein. Temper Fray – du weißt doch, wer Temper Fray ist, oder? Er ist Hauptmeister bei der Stadtwache. Jedenfalls hat Temper Fray mir die Wahrheit gesagt: Man respektiert dich hier drin nicht. Niemand hat Angst vor dir. Er sagte, dass du dich fast jeden Abend in den Schlaf weinst und jeden Tag deine Eltern anrufst und sie anflehst, dass sie dich besuchen sollen. Deine Mum ist nur ein paarmal hier gewesen, dein Dad noch gar nicht. Dir geht es erbärmlich, Alter. Ich … ich wollte nur sehen, ob ich irgendwas für dich tun kann.«
Jenan versuchte, eine trotzige Miene zu ziehen. Aber Tränen liefen über seine Wangen, und seine Unterlippe zitterte. »Ich hasse dich«, stieß er mit seltsam hoher Stimme hervor. »Du hast alles kaputt gemacht. Du hast mein Leben zerstört, du erbärmlicher kleiner Niemand. Wenn ich hier rauskomme, bring ich dich um. Es ist mir egal, wie viele Jahre es dauert. Ich bring dich um! Hast du mich verstanden?«
Omen sah zu, wie er weinte. »Ja, ich habe dich verstanden«, sagte er traurig und stand auf.
WALKÜRE stellte den Timer ihres Handys auf sechzig Sekunden, legte es auf das Armaturenbrett und klappte die Spieluhr auf dem Beifahrersitz auf. Langsam erfüllte die Melodie das Wageninnere, und Walküre fielen die Lider zu. Sie hatte das Gefühl, als würde das Blut in ihren Adern langsamer fließen und ihr Herz sanfter schlagen. Als würden sich Anker an ihre Gedanken heften und sie zum Anhalten zwingen. Frieden legte sich über ihren Verstand, wie die aufgehende Sonne, die alles in ihren warmen Trost hüllte. Sie konzentrierte sich auf ihren Atem – das Einzige, was im Universum existierte.
Irgendwo in der Ferne ertönte ein Alarm, aber er war leise, gedämpft und unwichtig. Mühelos entglitt er ihrer Aufmerksamkeit … und wieder zählte nur ihr Atem.
Dann eine Stimme – nein, mehrere – und Lachen. Walküre öffnete die Augen und blinzelte, als eine Gruppe herumalbernder Teenager an ihrem Wagen vorbeiging. Der Timer klingelte. Sie klappte die Spieluhr zu, stellte den Alarm ab und saß einen Moment in der stillen Kälte.
Ihre Gedanken kehrten zurück, und sie schaute auf die Uhr.
»Verdammt.«
Hastig öffnete sie die Tür und sprang aus dem Wagen. Als sie ihr Handy in die Tasche stecken wollte, fiel ihr auf, dass sie ein Kleid trug. Ein elegantes blaues Kleid. Warum hatte sie ein Kleid angezogen? Diese Geschichte in L.A. hatte sie daran erinnert, dass sie manchmal gern Röcke und Kleider trug. Nicht immer. Nur zu besonderen Anlässen. War das ein besonderer Anlass? Warum war sie hier?
Fergus. Sein Geburtstag.
»Verdammt«, murmelte sie erneut.
Sie wandte sich wieder zum Auto, nahm ihre Handtasche und stopfte Schlüssel und Handy hinein, während sie zum Eingang des chinesischen Restaurants lief. Sie war rechtzeitig hier gewesen, aber jetzt zwanzig Minuten zu spät. War ja klar.
Sie marschierte durch die Tür, lächelte der netten Empfangsdame zu und gab ihr zu verstehen, dass sie sich hier mit anderen Gästen traf. Kurz darauf fand sie den Tisch im hinteren Teil des Restaurants, wo ihre Eltern und ihre Schwester, Fergus, Beryl und Crystal bereits saßen. Aber von Carol keine Spur.
»Da ist sie ja«, sagte Desmond, und Alison sprang auf und lief zu ihr. Walküre lachte, als ihre kleine Schwester die Arme um ihre Taille schlang.
»Wir haben auf dich gewartet!«, teilte Alison ihr mit.
»Das ist aber lieb.« Walküre lächelte herzlich. Der letzte Rest an Panik versank im warmen Meer der Ruhe, das die Spieluhr erzeugt hatte. »Entschuldigt die Verspätung«, sagte sie, als Alison sie an der Hand zu ihrem Platz führte.
Sie hatte eigentlich eine spitze Bemerkung von Beryl erwartet, aber alle lächelten nur, zuckten mit den Schultern und sagten, es mache nichts.
Dann kam der Kellner und nahm ihre Bestellungen entgegen. Walküre wandte sich an Alison und zwinkerte ihr zu. »Na du«, sagte sie.
»Na du«, wiederholte Alison.
»Hab dich schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Was hast du gemacht?«
Alison zuckte mit den Schultern. »Sachen.«
»Aha, Sachen?«
»Und Zeug.«
»Zeug auch? Dann warst du ja ganz schön beschäftigt. Wie läuft’s in der Schule?«
»Ich hab zehn von zehn Punkten beim Diktat geholt. Aber die Wörter waren echt leicht, also haben alle aus unserer Klasse so gut abgeschnitten – bis auf einen Jungen, der vergessen hatte, dass wir einen Test schreiben. Zumindest hat er das behauptet, aber ich glaube, er hatte nur keine Lust, die Wörter zu lernen. Und wir haben einen neuen Jungen in der Klasse.«
»Wirklich?«
»Er heißt Dima. Wir haben alle eine Begrüßungskarte für ihn geschrieben, und Mom hat nachgesehen, was Willkommen in der Schule auf Russisch heißt. Ich hab es aufgeschrieben und ihm die Karte gegeben. Heute hat er mir auch eine Karte gegeben, und auf der steht, dass er mich liebt.«
Walküre zog eine Augenbraue hoch. »Oh, wow …!«
Melissa beugte sich vor. »Er hat geschrieben: Du bist schön. Oder?«
Alison nickte. »Ja. Du bist schön und Ich liebe dich. Und er hat recht: Ich bin schön.« Sie grinste Walküre mit ihren Grübchen und ihrer Zahnlücke an. Walküre musste lachen.
Die Vorspeise wurde serviert, und das vor ihr stehende Gericht lenkte Walküre so ab, dass es ihr leichter fiel, sich mit den anderen zu unterhalten. Die Speisen verschafften ihr Zeit, nachzudenken und Antworten zu formulieren, und gaben ihr einen Vorwand, sich im Notfall kurzzufassen.
Danach räumte der Kellner die Teller ab, und Alison verkündete, dass sie zur Toilette müsse, und rutschte von ihrem Stuhl.
»Ich komm mit«, sagte Beryl, und Walküre unterdrückte ein Lachen, als Alison die Augen verdrehte.
Lächelnd wandte sich Walküre den anderen am Tisch zu. Alle sahen sie an, und ihr Lächeln erstarb.
»Was ist?«, fragte sie.
Crystal beugte sich vor. »Warum bist du zu spät gekommen?«, fragte sie leise. »Hast du die Welt gerettet?«
Es war echt merkwürdig, hier mit Familienangehörigen zu sitzen, die alle über Magie Bescheid wussten. »Nein«, antwortete Walküre, »ich war einfach nur spät dran.«
»Wir sprechen darüber nicht in der Öffentlichkeit«, mahnte Fergus.
»Wann können wir dann darüber sprechen?«, fragte Crystal und schaute ihren Dad grimmig an. »Zu Hause geht es nicht, weil entweder Mom oder Alison da sind. Jetzt ist der einzige Moment, wo wir erfahren können, was los ist. Also, Walküre, sag schon – was ist los?«
»Stephanie«, berichtigte Melissa sie. »Wir nennen sie hier bei ihrem richtigen Namen.«
»Aber das ist nicht ihr richtiger Name, oder?«, konterte Crystal. »Das ist ihr eingetragener Name. Walküre ist ihr richtiger Name.«
»Stephanie ist in Ordnung, wenn ich unter Verwandten bin«, sagte Walküre rasch. »Das macht es leichter, meine Tarnung aufrechtzuerhalten, oder wie auch immer man es nennen will.«
Crystal nickte. »Verständlich.«
Fergus rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Wir sollten das nicht hier besprechen, wo uns jemand zuhören könnte.«
»Keine Sorge«, sagte Desmond. »Wenn jemand hinter dir auftaucht, geb ich dir ein Zeichen und huste in die Hand.«
Fergus musterte seinen Bruder stirnrunzelnd. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
Desmond zuckte mit den Schultern. »In unserer Familie wurde lange genug nicht über diese Dinge geredet, meinst du nicht?«
»Wenn das eine Anspielung darauf sein soll, dass ich dir nie gesagt habe, dass Magie real ist, möchte ich dazu nur sagen, dass du sieben Jahre Zeit hattest, um darüber hinwegzukommen, und dass es langsam lästig wird.«
»Lästig?«
»Ich habe dich beschützt.«
»Du meinst, du hast mich belogen«, sagte Desmond. »Ihr alle habt mich belogen – du, Gordon, Pop. Der Einzige, der mich nicht belogen hat, war Großvater, und von dem habt ihr behauptet, er sei verrückt gewesen.«
»Meinst du, es war leicht?«, fragte Fergus verärgert. »Meinst du, es war lustig? Gordon war ein hoffnungsloser Fall, also hatte ich die ganze Verantwortung …«
Desmond hustete in seine Hand. Sofort verstummte Fergus und starrte auf seinen Teller.
Als sich niemand dem Tisch näherte, blickte er sich zornig um. »Wirklich sehr erwachsen.«
Alison kam hüpfend zurück, dicht gefolgt von Beryl.
»Worüber habt ihr geredet?«, fragte Beryl, während die beiden sich wieder setzten.
»Nichts Besonderes«, sagte Fergus beleidigt.
»Crystal«, sagte Melissa und setzte ein Lächeln auf, »wie macht sich Carol in ihrem neuen Job?«
»Gut, glaube ich«, antwortete Crystal. »Die Stelle ist gut bezahlt, und sie sagt, die Leute seien … wie hat sie das noch mal formuliert? … anspruchslos. Vermutlich bedeutet das, dass sie sich eingewöhnt.«
»Wir hören eigentlich nicht viel von Carol«, meinte Beryl. »Sie hat sich immer mehr von uns entfernt. Ich denke, das ist vermutlich meine Schuld.«
»Nicht, Beryl.« Fergus legte seine Hand auf ihre.
Sie versuchte zu lächeln. »Ich nehme an, ich war keine besonders warmherzige Mutter. Wenn ich dagegen dich sehe, Melissa – dich und Stephanie und jetzt die kleine Alison –, bewundere ich euer Verhältnis. Wie nahe ihr euch steht. Ihr seid eher wie Freundinnen. Ich habe nie verstanden, wie du das geschafft hast.«
»Mum«, sagte Crystal und blinzelte die Tränen fort.
»Mein liebes Mädchen.« Beryl griff nach ihrer Hand. »Es tut mir unendlich leid, dass ich euch eine so schlechte Mutter gewesen bin.«
Walküres Herz trommelte in ihrer hohlen Brust. Jeder Schlag hallte nach. »Entschuldigt«, sagte sie leise und stand auf. Sie schaffte es ohne ein Stolpern bis in den Empfangsbereich und dann durch die Tür.
Frische Luft. Gierig atmete sie tief durch. Ihr war schwindlig. Sie wollte sich mit einer Hand an der Hauswand abstützen, schätzte aber die Entfernung falsch ein und fiel mit der Schulter dagegen. Sie wirkte betrunken. Fühlte sich auch so. Sie brauchte die Spieluhr.
Die Tür des Restaurants schwang auf, und ihre Mutter kam heraus. Walküre richtete sich auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte Melissa.
Walküre nickte. »Ich musste telefonieren.«
Melissa reichte ihr ihre Handtasche. »Dann brauchst du vielleicht dein Handy.«
»Oh. Ja.«
»Ist wirklich alles in Ordnung?«, hakte Melissa nach. Als Walküre nicht antwortete, legte ihre Mum den Arm um sie. »Es ist traurig, dass sich Carol so von ihrer Familie entfernt hat«, sagte sie.
»Beryl kann nichts dafür.«
»Ach, das weiß ich. Sie war nie die Einfachste im Umgang, und wir hatten unsere Differenzen, aber sie hat die Zwillinge vergöttert. Manchmal gibt es keinen Grund für das Verhalten anderer, Liebes. Sie verändern sich. Sie leben sich auseinander. Aber das wird uns nie passieren.«
Walküre lächelte matt und umarmte ihre Mutter. Melissa schwieg eine Weile und meinte dann: »Du brauchst dir nur Alison anzusehen, um zu erkennen, wie sehr Menschen – sogar Kinder – sich verändern können.«
Walküre hob den Kopf und löste sich aus der Umarmung.
»Die Ärzte wissen nicht, was ihr fehlt«, sagte Melissa und schaute einem vorbeifahrenden Auto nach. »Sie sagen, eine derartige Veränderung könnte auf ein Trauma zurückgehen. Aber wenn Alison irgendein Trauma erlebt hat, erzählt sie uns zumindest nichts davon. Hat sie dir gegenüber irgendwas erwähnt?«
Walküre schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, was es ist. Manchmal weint sie den ganzen Morgen über. Kein leises Schniefen, sondern richtiges, herzzerreißendes Schluchzen … Es ist schrecklich.« Melissas Hand zitterte. Sie bemerkte es und strich sich verlegen die Haare hinters Ohr. »Kannst du nicht irgendetwas tun?«, fragte sie.
Die Frage überraschte Walküre. »Was meinst du?«
»Gibt es nichts Magisches, was helfen könnte? Irgendeine Zauberformel oder ein Zauberspruch?«
»Mum, in so einer heiklen Angelegenheit sollte man keine Magie anwenden.«
»Dann gibt es also etwas?«
Walküre wandte den Blick ab. »Wir benutzen keine Zauberformeln«, sagte sie, nicht zum ersten Mal. »Aber selbst wenn, wäre der Versuch, die Gemütsverfassung einer Person zu verändern, nicht richtig …«
Melissa nickte. »Nein. Du hast recht. Es war eine alberne Idee.«
»Es war nicht albern …«
»Ich dachte, es könnte vielleicht eine schnelle Lösung geben. Eine einfache Antwort. Eigentlich wollte ich schummeln. Vor ein paar Tagen habe ich mit deinem Dad darüber gesprochen, einen Hypnotiseur zurate zu ziehen, und dabei erinnerten wir uns daran, dass du uns damals erzählt hast, man könne eine Person mithilfe ihres Namens dazu bringen, bestimmte Dinge zu tun. Wir dachten, so etwas in der Art könnte helfen.«
»Ich weiß nicht recht, Mum. Bei diesen Dingen kann man nie sagen, welche Auswirkungen sie haben. Außerdem hält die Wirkung nur ein paar Sekunden an, wenn man den eingetragenen Namen einer Person benutzt.«
»Aber du nutzt ihn, wenn jemand etwas vergessen soll, oder?«
»So einfach ist das nicht.«
Melissa verzog das Gesicht und brach in Tränen aus. Jetzt nahm Walküre sie in den Arm.
»Ist ja gut«, sagte sie. Der Anblick ihrer weinenden Mutter brach ihr das Herz. »Ist ja gut.«
»Ich weiß einfach nicht, was wir falsch gemacht haben.«
Jetzt liefen auch Walküre Tränen über die Wangen. »Nichts«, brachte sie leise hervor. »Ihr habt nichts falsch gemacht. Nichts von alldem ist eure Schuld.«
Es war Walküres Schuld, genau wie Carols Verhalten. All dieser Kummer, all diese Traurigkeit und Schuld – alles nur ihretwegen.
Ein bitterer Geschmack stieg in ihrer Kehle auf. Sie wäre am liebsten auf die Knie gesunken, hätte geschrien, bis sie heiser war, sich übergeben, bis nichts mehr in ihrem Magen war. Stattdessen drückte sie ihre Mutter an sich, bis Melissa sich wieder gefasst hatte und sich tapfer lächelnd von ihr löste.
»Zurück ins Getümmel«, sagte sie. »Kommst du mit?«
Walküre hielt ihre Tasche hoch. »Ich muss noch telefonieren.«
Melissa lächelte sanft. »Okay, Süße. Bis gleich.«
Als die Tür hinter ihrer Mutter ins Schloss fiel, stürmte Walküre zu ihrem Wagen. Sie kramte in ihrer Tasche und fand den Schlüssel. Der Kofferraum öffnete sich, und sie tauchte förmlich hinein. Sie griff nach der Sporttasche, riss den Reißverschluss auf, holte mit beiden Händen die Spieluhr heraus und klappte mit den Daumen den Deckel auf.
Die Musik umfing sie. Ihre Augen fielen zu, und ihre Aufregung legte sich. Die Übelkeit verschwand und mit ihr all die Stimmen, all das Geschrei in ihrem Kopf. Alles wurde still.
»Danke«, murmelte sie der Spieluhr zu. »Danke.«
SCHWARZER ANZUG, mit Weste. Schwarzes Hemd. Rote Krawatte. Schwarzer Hut mit schwarzem Band, tief über eine Augenhöhle gezogen. Eine Schulter lehnte an der Wand, die behandschuhten Hände steckten in den Taschen. Der erste polierte Schuh stand flach auf dem Boden, der zweite über Kreuz, mit der Spitze zum Pflaster.
Skulduggery Pleasant. Extrem elegant gekleidet.
»Du versuchst noch immer, die Lumpen vergessen zu machen, die du neulich tragen musstest, oder?«, fragte Walküre, als sie näher kam.
»Nicht unbedingt ein Höhepunkt meiner Existenz, das gebe ich zu«, sagte er. »Aber ich versuche nicht, irgendetwas vergessen zu machen, Walküre. Ich hatte vor, diesen Dreiteiler heute anzuziehen – ungeachtet der Verkleidung, die ich am Wochenende getragen habe.«
»Na dann«, sagte sie, jedoch nicht hundertprozentig überzeugt. Sie gingen in die Humdrums, den Stadtteil Roarhavens, in dem die Sterblichen wohnten. Hier war es ruhiger, und es gab weniger Geschäfte. Die Leute eilten vorbei und schauten sich nervös nach ihnen um.
»Wie war das Geburtstagsessen deines Onkels?«
»Angespannt«, antwortete Walküre. »Aber zum Schluss haben wir alle Happy Birthday gesungen, und die Kellner brachten einen kleinen Kuchen mit einer Kerze darauf. Zumindest Alison hatte Spaß. Wen suchen wir?«
»Unseren mysteriösen Freund.«
»Welchen? Wir haben so viele.«
»Entschuldige. Den mysteriösen Freund, der Briefe ans Oberste Sanktuarium schickt und vor einer drohenden Invasion durch Mevolent warnt.«
»Ach, der mysteriöse Freund. Du glaubst, er ist ein Sterblicher?«
»Nein, aber ich glaube, er versteckt sich unter ihnen. Für einen Zauberer wäre es unfassbar einfach gewesen, unbemerkt aus dem Leibniz-Universum durch das Portal zu schlüpfen, umgeben von Zehntausenden verängstigter Flüchtlinge.«
»Und wissen wir ungefähr, wo wir mit der Suche anfangen müssen? Hier gibt es ja einige Türen, an die wir anklopfen könnten.«
»Ach, ich weiß ganz genau, wohin wir gehen«, sagte Skulduggery. »Unser mysteriöser Freund hat einen nicht gerade subtilen Hinweis in einem Brief hinterlassen, der heute Morgen ankam. Er will sich mit uns treffen.«
Sie blieben stehen und schauten zu einer Kneipe auf der anderen Straßenseite.
»Hierhin hat er uns also bestellt«, folgerte Walküre. »Und wie kannst du sicher sein, dass es keine Falle ist?«
»Gar nicht.«
»Dann hast du Verstärkung mitgebracht?«
»Natürlich«, antwortete er und überquerte die Straße. »Dich.«
Da er seine Fassade nicht trug, hielten alle in der Kneipe bei seinem Anblick inne und starrten ihn an. All diese Sterblichen – noch immer misstrauisch gegenüber jedem, der magische Fähigkeiten besaß. Walküre fragte sich, ob sie diesen Argwohn gegenüber Zauberern jemals überwinden würden, nachdem sie in einer von Mevolent beherrschten Welt gelebt hatten. Sie bezweifelte es.
Im hinteren Teil der Kneipe saß ein Mann an einem Tisch, das Gesicht unter einer alten Baseballkappe verborgen. Er trug ausgefranste Jeans, ein Nirvana-T-Shirt und einen Blazer – Klamotten, die aussahen wie aus einer Kleiderkammer. Seine rechte Hand steckte in einem Handschuh.
Seine rechte Hand. Steckte in einem Handschuh.
Nefarian Serpine sah sie an, während er seinen Stuhl nach hinten kippte, und lächelte. »Ich möchte wetten, dass ihr nicht erwartet habt, mich hier …«
Walküre schnappte sich eine leere Bierflasche und warf sie nach Serpine. Sie prallte gegen seinen Kopf, und er fiel mit dem Stuhl nach hinten.
»Au«, sagte er vom Boden aus.
Skulduggery und Walküre standen über ihm. Er wollte aufstehen, aber Skulduggery stellte ihm einen Fuß auf die Brust.
»Ihr habt vermutlich ein paar Fragen«, meinte Serpine.
»Bei unserer letzten Begegnung hast du die Widerstandsbewegung gegen Mevolent in einer anderen Realität angeführt«, sagte Skulduggery. »Was machst du hier?«
»Also«, setzte Serpine an und versuchte, sich zu entspannen, »nicht lange nach eurer Abreise kam ich zu der Überzeugung, dass ich als Führer des Widerstands eine sehr gefährliche Position hatte. Viele von Mevolents Leuten wollten mich töten. Eigentlich fast alle. Also trat ich mit Bedauern zurück.«
»Wer ist dein Nachfolger?«, fragte Walküre.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Serpine. »Gut möglich, dass ich keinem der Leute in der Widerstandsbewegung gesagt habe, dass ich gehe. Ich mag nun mal keine Abschiede.«
Skulduggery nahm den Fuß von seiner Brust und brachte mit einer Handbewegung den Stuhl dazu, sich wieder aufzurichten. Serpine wäre dabei fast auf den Tisch gekracht. »Danke«, knurrte er.
Walküre zog einen Stuhl vom Nebentisch heran und setzte sich. »Du hast also den Widerstand ohne Führung zurückgelassen, bist davongelaufen, hast dich unter all diese Sterblichen gemischt und bist durch das Portal gekommen.«
»Und seitdem lebe ich hier.«
»Und tust was?«
»Ich integriere mich«, sagte Serpine und nahm seine Kappe ab. »Ich schaue das Fernsehen der Sterblichen und lese ihre Bücher. Ihr habt viel mehr Unterhaltungsangebote in dieser Dimension. Es ist recht kurzweilig. Und ich habe eine Menge über diese Welt und ihre Kultur gelernt. Ich mache keinen Ärger, falls ihr deswegen besorgt seid. Eigentlich bin ich sogar ziemlich hilfreich.«
»Das wissen wir«, sagte Walküre. »All diese Nachrichten, die du ans Oberste Sanktuarium geschickt hast, sind sehr interessant.«
»Meine bescheidenen Bemühungen, ein guter Bürger zu sein.«
»Erzähl uns mehr davon«, forderte Skulduggery. »Von Mevolents Plänen.«
Serpine zuckte mit den Schultern. »Er hasst euch. Ich könnte mir vorstellen, dass er in diese Dimension eindringt, nur um euch beide zu töten. Aber er ist auch davon besessen, eine Parallelwelt zu erobern. Es gibt hier Technologien, die wir nicht haben. Maschinen, Computer, Medizin.«
»Ihr habt da drüben auch eine Menge Dinge, die wir nicht haben«, stellte Walküre klar.
»Das stimmt, aber ein Mann wie Mevolent gibt sich nicht mit dem zufrieden, was er hat. Wenn er etwas Brandneues sieht, will er es haben. Er will eure Welt und eure Waffen. Und hinter alldem steckt die Tatsache, dass er die Vorstellung einer von Sterblichen geführten Welt nicht ertragen kann. Überraschend kleinlich für jemanden, der so groß ist.«
»Hast du uns auch irgendetwas Nützliches mitzuteilen?«, fragte Skulduggery. »Wir wissen, dass eine Invasion oder ein Angriff sehr wahrscheinlich ist. Das ist alles nicht neu. Hast du eine Ahnung, wann Mevolent seine Invasion starten will?«
»Ich vermute, ihr habt allerhöchstens noch bis Ende des Jahres Zeit.«
»Woher weißt du das?«
Serpine zögerte und lächelte dann. »All dieses Reden schwächt mich irgendwie«, sagte er. »Wenn ihr mir einen Drink und etwas zu essen spendiert, könnte ich vielleicht die Kraft aufbringen, mich länger zu unterhalten.«
»Ach, du denkst, das ist eine Unterhaltung? Du denkst, dass wir nur ein Schwätzchen halten. Nein, nein. Das hier ist eine Vernehmung. Wenn wir sie nicht hier durchführen würden, dann wären wir jetzt in einem kalten Raum im Obersten Sanktuarium, und du würdest Fußfesseln tragen«, erwiderte Walküre.
Serpine runzelte die Stirn. »Aber ich habe gegen kein Gesetz verstoßen.«
»Du hast Menschen umgebracht.«
»Aber nicht hier. Nicht in dieser Dimension. Gibt es nicht eine Vorschrift, die besagt, dass eine Person nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn sie in einem Paralleluniversum gegen das Gesetz verstoßen hat? Die gibt es doch, oder? Zumindest sollte es sie geben. Außerdem haben wir eine Abmachung, nicht wahr? Detektiv Pleasant beschuldigt mich nicht, seine Frau und sein Kind getötet zu haben, weil ich nicht seine Frau und sein Kind getötet habe.«
»Du hast die Frau und das Kind eines anderen Skulduggery getötet«, sagte Skulduggery.
»Genau. Vollkommen andere Personen. Das ist ein Präzedenzfall. Ist das nicht der juristische Fachbegriff dafür? Das habe ich in einer eurer Fernsehsendungen gesehen.«
»Das ist richtig«, antwortete Skulduggery. »Und ich gebe dir nicht die Schuld daran. Das war ein anderer Serpine, und der ist tot. Es hat mir ungeheure Befriedigung verschafft, ihn zu töten. Ich hatte meine Rache.«
»Ja. Siehst du? Das ist vernünftig. Du und ich, wir waren nie Feinde, Skulduggery. Kann ich dich Skulduggery nennen? Eigentlich gibt es überhaupt keinen Grund, warum wir nicht Freunde sein können.«