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So war es und nicht anders im Staat der SED. Unterhaltsames, Musikalisches aber auch Fakten über die Wahrheit im ehemaligen Ostteil Deutschlands. Und nicht nur für junge Menschen.
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Seitenzahl: 298
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So war es in der DDR und nicht andersAus dem Leben erzählt und nicht verklärt
Gerd Leonhardt
SO WAR ES IN DER DDR UND NICHT ANDERS
Aus dem Leben erzählt und nicht verklärt
Engelsdorfer Verlag Leipzig 2013
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.
Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
ISBN 9783954888115
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titelseite
Impressum
Vorwort
Dankeswort
Reparationen
Unser Uran
Eine soziale DDR!?
Sowjetische Musikauffassung
Die Arbeit
1968 und der von der „Links-Partei“ vergessene Einmarsch in die CSSR
Die Arbeit und die Kunst
„Unsere“ Gastarbeiter!?
Die Musiker
Auf Tournee
Der ABV
Die nationale Volksarmee
Die Kasernierte Volkspolizei
In Nordböhmen 1971
Atheismus
Die „Aktion Rose“
Die Arbeit
Die Bevölkerung
Der Chef des Staatssicherheitsdienstes
Die Grabweihe
Die Lebensmittelkarten
Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen
Die Betriebsräte
17. Juni 1953
In der DDR konnte jeder werden was er wollte, ob er will oder nicht!
Staatsverrat
Im Schlachthof in Karl-Marx-Stadt
Hausarbeitstag für Frauen
Freiheitssender 904
Die Bauern
Ein Abstecher in der Kosmos Bar
Fussnoten
Akzise
Noch einmal Fichtelberg
Aufbau des Sozialismus
Der „drive“ und die Musik
Die Wehrpflicht (Stand 1960 vor Mauerbau)
Faschismus
Haftarbeitslager
Politische Häftlinge
Bei der Ferdy Mothes Combo
Fussnoten
Es war nicht alles schlecht in der DDR. Diesen Satz hört man öfter. Es war auch nicht alles schlecht in anderen Diktaturen, könnte man ebenfalls sagen. So allerdings geht das nicht.
Die Ziele eines Staates sind maßgebend für das Gesamtbild. „Ganz Deutschland soll des Volkes eigen sein“, propagierte die SED. „Die DDR ist der einzig rechtmäßige deutsche Staat“. Das nennt man Alleinvertretungsanspruch und hat mit Demokratie nichts zu tun!
Dieses Buch soll nicht nur jungen Menschen helfen, sich ein wahrhaftes Bild zu machen über diesen ehemaligen Staat, sondern auch jenen, die später einmal den Beruf eines Musikers ergreifen wollen. Der Verfasser beschreibt ein umfangreiches Bild, wie man als Amateur oder nicht privilegierter Berufsmusiker in der DDR lebte. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Und wer wie ich die „komplette“ DDR erlebt hat, wird auch manchmal schmunzeln!
Ich möchte mich an dieser Stelle bei dem Deutschen Bundeswehrverlag – ehm. Deutscher Bundes-Verlag – bedanken für die freundliche Genehmigung des Druckes von Zitaten aus der Broschüre: „Ein Taschenbuch – und Nachschlagebuch über die sowjetische Besatzungszone Deutschlands.“
Im Grunde bin ich eigentlich froh, dass mein Großvater ehemals am Leipziger Konservatorium Musik studierte und mir den einzigen Anreiz gab, wenn auch ganz unbewusst – ich möchte Musik machen! Für uns Kinder, wir hatten ja keinen Vater, was nach dem Krieg als normal galt, war es das großartigste, wenn der Opa sagte: „Am Sonntag gehen wir nach Lichtenwalde.“ (Lichtenwalde liegt nebenbei erwähnt an der östlichen Peripherie von Chemnitz, ausgestattet mit einem Park, der als schönster seiner Art in Deutschland ausgezeichnet ist.) Das hieß für uns, es gibt ein 50-zig-Pfennigstück aus gutem Nachkriegskupfer, denn die Russen hatten bis zum Jahr 1954 noch nicht alles „raus geschafft“. Und jetzt kommt die Hauptsache. Der Opa spielt in der ersten Kneipe nach Ende der Straßenbahnhaltestelle Klavier! Dies war eine Prozedur der besonderen Art. Zumeist musste der „Bienenstock“ herhalten, eine kleine Gaststätte vor dem Schloss Lichtenwalde gelegen. Für uns damals 9- bis 12-jährige Cousins war es immer ein tolles Erlebnis. Kaum in dieser Gaststätte angekommen, ging mein Großvater schnurstracks zum Klavier, welches zu dieser Zeit noch kultureller Normalbestand einer jeden Kneipe war. Er klappte den oberen Deckel auf, danach wurde die vordere und untere Abdeckung vom Klavier entfernt. Meistens waren wenige Gäste anwesend, denen wurden dann mindestens eine Stunde lang klassische Variationen und Fantasien angeboten. Von Händel über Bach, Wagner und Liszt, nebenbei bemerkt sein Lieblingskomponist, spielte mein Opa sich in Rage, dass er schwitzte und dabei sehr laut die Luft ausstieß. Dann aber wusste ich – jetzt kommt das Finale. Dieses war das einfache „La Paloma“. Natürlich konnten wir damals nur maximal 10-15 Takte mit“hören“, danach war es vorbei. Eine Fantasie, inbrünstig vorgetragen und mit Harmonien gestaltet, von denen wir damals noch wenig Ahnung hatten. Mit Liszt, von dem man sagte, er habe Hände von der Größe eines Scheißhausdeckels, konnte er super umgehen. Mein Großvater konnte auf dem Klavier einen Tonumfang von 17 Halbtönen greifen und dies inklusive kannibalischer Harmonien mit 10 Fingern. Wir haben das später einmal nachgezählt. Leider wusste er aber nicht mehr, welche Harmonien er einst griff, denn er hatte alles vergessen. Aber das geht jeden angehenden Musiker so.
„Wer seine Fähigkeiten nicht ausbaut, pflegt und erweitert, wird schlechter“. Frei nach dem logisch bekannten Spruch: „Stillstand ist Rückschritt!“
Als Kinder gingen wir, meine Mutter hielt uns dazu an, jeden Sonntag in die Kirche, um vielleicht wieder ein paar Sternbuchblümchen zu erhalten. Also bunte Bilder mit Engelchen darauf. Später, als ich 10 Jahre alt war – die Kirche bekam gerade wieder neue Glocken – wurde uns in der Schule gesagt, wir sollten doch nicht mehr in die Kirche gehen. Schließlich könnten wir dort nichts lernen. Wir standen da und wussten nicht, was wir machen sollten. Der Kalender zeigte das Jahr 1954.
Mein damaliger Klassenkamerad und Freund war Sohn einer Bauernfamilie und musste genauso wie Beethoven an das Klavier geprügelt werden, welches in der so genannten „Guten Stube“ stand und nur aus diesem Grunde einmal in der Woche aufgeschlossen wurde. Die Klavierstunde war für ihn das schlimmste Vorkommnis in der ganzen Woche. In meinen Augen war er ein unmusikalisches Rindvieh, denn ich durfte ihn in der Schule ja „singen“ hören. Ich wäre froh gewesen, wenn meine Mutter die Zeit und das Geld hätte aufbringen können mich zum Klavierunterricht zu schicken. Von einem eigenem Klavier ganz zu schweigen. Ganze zwei Jahre später, ich war indessen 14 Jahre alt, konnte ich mir mein erstes Instrument leisten. Es war natürlich kein Klavier, sondern ich kaufte mir von meinem ersten Lehrlingsgeld eine Akkordzither, und dies zu einem Wahnsinnspreis von 21.- Mark der DDR. Dieses wunderschöne Instrument begleitete mich bis heute, und es klingt immer noch so, als hätte ich es gerade erst gekauft! Wer eine Akkordzither nicht kennt, dazu Folgendes: Es gibt dazu so genannte Unterlegenoten. Man braucht also nur die Melodiestimme mit dem rechten Daumen abzuspielen und mit den linken Daumen den bezifferten entsprechenden Akkord anzuzupfen. Natürlich gehörte kein großes Können dazu, dieses Instrument in kurzer Zeit einigermaßen zu beherrschen. Die Noten dafür musste jemand geschrieben haben, der entweder keine Ausbildung hatte oder kein musikalisches Gehör, denn die meisten Harmonien waren falsch. Ich habe dann die meisten bekannten Stücke für die Zither selber geschrieben. Alsbald bekam ich neuen „Hunger“ und kaufte mir kurz darauf meine erste Gitarre. Doch weil das Geld nicht zu etwas Besserem reichte, war es eine traurige „Wandergitarre“. Ein furchtbares Instrument, die Saitenlage war grauenvoll hoch. Es gab kein Schallloch, sondern zwei S-förmige Schlitze. Die Resonanz entsprach annähernd dem Klang einer Glocke aus Plastik. Aber wie soll Sperrholz schon klingen? Ein großer „Meister“ sagte einmal: „Das beste Instrument ist gerade gut genug zum Lernen“. Na, dann guten Appetit!
Zu dieser Zeit – so 1958 – kam der Musikinstrumentenbau in Sachsen langsam wieder in Hochform.
1 „Obwohl der Umfang der von Deutschland zu leistenden R. praktisch erst mit dem Industriebeschränkungsplan vom März 1946 von den vier Alliierten festgelegt wurde, führte die SU (Sowjetunion) bereits vor diesem Zeitpunkt in der SBZ {sowjetisch – besetzte Zone}, umfangreiche Demontagen durch, von denen nicht bekannt ist, ob die Gegenwerte dem Reparationskonto gutgeschrieben wurden. Eine Abrechnung über die Entnahmen ist bis heute noch nicht veröffentlicht worden. Sie wird kaum jemals erfolgen, da die Sowjets im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen ohne Zustimmung der Westalliierten ungeheure Entnahmen aus der laufenden Produktion forderten. {...} a) Beuteaktionen: Die Besetzung Ost- und Mitteldeutschlands durch die Rote Armee war mit einem rücksichtslosen Beutezug verbunden. Ohne irgendwelche Registrierung wurden riesige Sach- und Kunstwerte aus öffentlichem und Privatbesitz beschlagnahmt und ostwärts verfrachtet. Ferner erbeuteten die Sowjets Mrd.-Beträge an Reichsbanknoten, denen sie später deutsche Lieferungen und sonstige Leistungen „bezahlten“. Der Wert der bei den Beuteaktionen entnommenen Gegenstände wird auf etwa 5 Mrd. Mark geschätzt; die Menge der erbeuteten Banknoten muss mit ebenfalls mindestens 5 Mrd. Mark angenommen werden.
b) Demontagen: Die Sowjets hielten sich nicht daran, kriegswichtige Industrien zu entfernen, sondern demontierten und beschlagnahmten auch für die Friedenswirtschaft unentbehrliche industrielle Kapazitäten. Folgende Abschnitte der Demontagen sind erkennbar:
1. Welle von Mai bis Anfang Juli 1945. Bis zum Beginn der Besetzung Berlins durch die vier Alliierten räumten die Sowjets hier alle in dieser kurzen Zeit nur irgend demontierbaren Fabriken, vor allem in West-Berlin, aus. Etwa 460 Berliner Betriebe wurden von den Sowjets voll demontiert und abtransportiert, davon 149 Betriebe des Maschinen und Apparatebaus, 51 Metallurgiebetriebe, 46 Betriebe der Feinmechanik und Optik und 44 Betriebe der Elektroindustrie. Etwa 75 v.H. der bei der Kapitulation noch vorhandenen Kapazitäten wurden betroffen. 2. Welle von Anfang Juli bis Herbst 1945. Hiervon wurden industrielle Großbetriebe der gesamten Zone ebenso wie mittlere und kleinere Werke betroffen. Zu dieser Zeit begann auch der Abbau der zweiten Gleise auf sämtlichen Eisenbahnstrecken der Zone. Wieder wurden Produktionskapazitäten von Friedensindustrien abgebaut: Braunkohlenindustrie, Ziegeleien, Textil- und Papierfabriken, Zuckerfabriken usw. 3. Welle von Frühjahr bis Spätsommer 1946. Nach einer vorbereiteten Liste wurden weit mehr als 200 große Industriebetriebe der chemischen Industrie, der Papierindustrie, Schuhfabriken, Textilwerke usw. demontiert. 4. Welle von Oktober 1946 bis Frühjahr 1947. Obwohl Marschall Solokowski bereits am 21.05.1946 die Demontagen für abgeschlossen erklärt hatte, setzte einige Monate später eine vierte Welle ein, von der z.B die Zeisswerke Jena, Kraftwerke, Druckereien und einige Rüstungsbetriebe, die bis dahin für die Sowjets weitergearbeitet hatten, betroffen wurden. 5. Welle Herbst 1947. Nach einem weiteren halben Jahr wurden nochmals wichtige Betriebe der Friedensindustrie abgebaut: Braunkohlenwerke, Brikettfabriken, Kraftwerke und weitere 1.100 km Eisenbahngleise. 6. Welle Frühjahr 1948. Bei dieser vorläufig letzten Welle wurden drei Betriebe, die vorher zu SAG-Betrieben erklärt worden waren, voll oder zum Teil demontiert, darunter Anlagen des Buna-Werkes in Schkopau (Sowjetische Aktiengesellschaften).
Von den Demontagen wurden oft auch solche Betriebe betroffen, die inzwischen durch die deutschen Arbeiter wieder in Gang gebracht worden waren. Der „Bremer Ausschuss für Wirtschaftsforschung“ gibt in seiner 1951 veröffentlichten Schrift „Am Abend der Demontagen“ u.a folgende Demontageverluste der SBZ im Vergleich zum Jahre 1936 an: Walzwerke 82 v. H., Eisenschaffende Industrie 80 v. H., Hohlziegelerzeugung 75 v. H., Zementindustrie 45 v. H., Papiererzeugung 45 v. H., Energieerzeugung 35 v. H., Schuhindustrie 30 v. H., Textilindustrie 25 v. H., Zuckererzeugung 25 v. H., Braunkohlenbergbau 20 v. H., Brikettfabriken 19 v. H.,´“
Im August des Jahres 1958 begannen Verhandlungen über die Rückkehr deutscher Kriegsgefangener. Dies haben die Menschen im Ostteil Deutschlands nicht Ulbricht, sondern Adenauer zu verdanken! Leider kam mein Vater nicht wieder. Da im Westteil der Marshallplan den Aufbau Westdeutschlands beschleunigte, hatte die Sowjetunion in Mitteldeutschland erst einmal jedes zweite Gleis der deutschen Reichsbahn ausgebaut und weggeschafft. Und die Hauptindustriegebiete befanden sich vor dem Krieg – außer dem Ruhrgebiet – vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Dennoch sollten die nächsten 10 Jahre für die nachwachsenden Musiker gute Zeiten werden. Die besten Musikinstrumente aus dem Erzgebirge und dem Vogtland konnten frei gekauft werden. Derweil begann die SED, sowohl die Privatwirtschaft als auch die fleißig arbeitenden Bauern langsam, aber immer intensiver zu attackieren. Die Entwicklung interessierte uns junge Burschen vorerst wenig, obwohl ich schon damals spürte, dass in unserem von Russen besetzten Territorium etwas nicht stimmte.
Ein Spruch war damals sehr beliebt unter uns Kindern. Die Frage lautete: „Was ist, wenn dein Schlüssel abbricht?“ Antwort: „Da ist der Bart ab“.
„Der Spitzbart muss weg“ – genau diesen Spruch haben wir bedenkenlos überall hingekritzelt. Ich verfügte schon als Kind ein grauenvolles und gnadenloses „Gerechtigkeitsgefühl“, und dieses brachte mich auch später oft in Bedrängnis.
Aber für mich gab es vorerst nur eines, und zwar ein Gitarrenlehrbuch kaufen und „bimsen“. Das ist sächsisch und heißt: Lernen, dass die Schwarte knackt. Mir schmerzten manchmal abends die Hände vom vielen Greifen. In der Schule war ich nicht ganz so fleißig. Ich habe mir nur in solchen Dingen Mühe gegeben, die mir Spaß machten.
Etwa so wie Karl May, der ja bekanntlich aus dem nahen Hohenstein-Ernstthal stammte und ähnlich wie ich öfters mal die Schule schwänzte. Erst im Jahr 1985 brachte es die totalitäre Führung der Betonkommunisten fertig, in dessen Geburtshaus ein Museum zu eröffnen. Karl-May-Bücher waren in der DDR ja verboten. Wie? Nein, das ist Tatsache! Ich besaß trotzdem eines – den vom Großvater „geerbten“ zweiten Band von Winnetou. Allerdings konnte ich noch mehr von denen lesen, denn bei meinen Großeltern im Haus nannte ein älterer Architekt fast alle Bände dieses großen sächsischen Sohnes sein eigen. Im Ernstfall wäre er alle Bücher los gewesen. Die kommunistischen Ereiferer verbrannten zwar diese Bücher nicht wie die NSDAP im Jahr 1933, doch sie waren ein Stachel im Geiste der „Freien deutschen Jugend“, wie die Kaderschmiede der SED genannt wurde. Ein jedes, was aus dem „Westen“ kam, war verboten! Alle sollten der FDJ beitreten. Weiterhin mussten viele in die lächerliche „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ eintreten. Es war ekelhaft. Wir sollten die Rotarmisten ehren, und gleichzeitig wurde meine Klassenkameradin von Russen, wie sie von uns Kindern genannt wurden, vergewaltigt! Das Mädchen war derzeit zehn Jahre alt! Da wurde viel versucht, dieses Verbrechen zu vertuschen. Noch 1989, kurz vor unserer Flucht in die Freiheit, wurde die Tochter unserer Sängerin im Zeisigwald nahe Karl-Marx-Stadt von Russen vergewaltigt.
Wer sich weigerte, in bestimmte DDR-Organisationen einzutreten, wie: Junge Pioniere, FDJ, GST oder Ordnungsgruppen, machte sich bereits verdächtig. Ich wurde auch nur Mitglied der FDJ, weil alle Lehrlinge eintreten sollten. Nachdem ich merkte, dass es hierbei nur um Zahlen für die Meldung nach Ostberlin ging, war ich nach vier Wochen wieder draußen, indem ich das Mitgliedsbuch zerriss. Mein Verhalten konnte man schon als Eklat bezeichnen, und es war „dumm“ von mir, denn diese Daten wurden natürlich ohne mein Wissen gespeichert. So etwas ging nur wieder gutzumachen, indem man sich z. B später für drei Jahre freiwillig zur Nationalen Volksarmee verpflichtete. Danach standen dem korrekten DDR-Bürger männlichen Geschlechts logischerweise alle Türen offen.
Mein langjähriger Freund Gerold gehörte auch dazu. Er hat Hauer in den unmenschlichen Wismutgruben des Erzgebirges gelernt, in denen die Sowjetunion uns in Form von Reparationen das sächsische Uran entnahm.
2 „Der Uranbergbau in der SBZ wird von der sowjetischen Wismut AG., seit 1.1.1954 angeblich zu einer deutsch-sowjetischen Aktiengesellschaft umgewandelt, betrieben. Die Sowjets schufen damit ein völkerrechtliches Novum, da erstmalig die Siegermacht eines Krieges ohne Fühlungsnahme mit früheren Verbündeten nach eigenem Ermessen in dem von ihr besetzten Gebiete die Bodenschätze als Reparationsleistungen ausbeutet. {...} 1. Erzgebirge und Vogtland mit den Hauptzentren in und um Aue, Johanngeorgenstadt, Falkenstein und Schneeberg; 2. Thüringen mit Hauptzentren um Ronneburg.
Die Zahl der im Uranbergbau beschäftigten Deutschen wird von der Wismut AG. streng geheimgehalten. Nach zuverlässigen Schätzungen betrug der Beschäftigungsstand bei der Wismut AG. im Herbst 1951 etwa 225.000.´“
Viele Bergschadengebiete im Erzgebirge sind durch den Uranbergbau noch heute zu sehen. (Aue, Johanngeorgenstadt, Falkenstein, Schneeberg, Ronneburg und andere.)´“
Nach der Lehre in den Wismutgruben verpflichtete sich mein Kindergartenfreund Gerold für drei Jahre zur Marine nach Peenemünde. Als er entlassen wurde, bekam er einen Posten beim Stadtbezirksbüro als „Kulturreferent“ – einem typischen, subventionierten „Sinnlosberuf“ der DDR. Davon gab es viele Zehntausende im Terrorstaat DDR. Man besucht mal den Tierpark, fragt nach Problemen, die es ohnehin immer gab. Oder es wurde ein neuer Jugendclub eröffnet, wo er den Leitern mitteilte, was die neuen politischen Vorgaben sind. Mein Freund konnte das nicht lange durchstehen, da wir alle eine andere Meinung hatten gegenüber der kommunistischen Diktatur, die sich immer weiter herauskristallisierte.
Trotzdem muss ich sagen, in der einstmaligen DDR haben wir eine gute Allgemeinbildung erhalten. Beim Betrachten der heutigen Pisaergebnisse, wird mir schlecht. Selbst angeblich gebildete Studenten in den „Fernsehgewinnshows“, die gar die einfachsten Fragen nicht beantworten können, beweisen, dass die Allgemeinbildung in Deutschland rapide auf dem Rückzug ist. Da bin ich ja noch froh, dass neben den Bayern die Sachsen, Thüringer und Baden-Württemberger die „Spitze“ bilden. Aber auch sie erbleichen gegenüber den Leistungen von Finnland oder Südkorea zum Beispiel. „Der Staat ist nun mal das Eben- und Leitbild der politischen Führungselite“ Und da wird es, dank linker Schulpolitik in Deutschland, in den nächsten Jahren noch viel schlechter werden.
Leider waren die politische Verblödung und dazu das sinnlose Lernen der Russischen Sprache vollkommen fehl am Platze. Ein einziges Mal konnte ich meine russischen Kenntnisse anwenden. Bei einem Spaziergang auf dem Karl-Marx-Städter Brodway, der „Straße der Nationen“, sprach mich ein junger Rotarmist an, der gerade vom Hauptbahnhof kam und zu seiner neuen Garnison wollte. Ich konnte ihm fast fließend mitteilen, welche Straßenbahn er zu nehmen hatte. Etwa so, wie sich Angela Merkel mit dem ehemaligen Dresdner „Stasilehrling“ Putin unterhält. Ich wäre froh gewesen, man hätte mir Französisch beigebracht, zumal meine Großmutter aus der französischen Schweiz stammte und mein Großvater in Straßburg geboren wurde.
Inzwischen lernte ich erst einmal weiter Gitarrespielen ohne Lehrer, denn das Geld dafür konnte meine fleißige Mutter, die zwei Jungen versorgen musste, nicht aufbringen. Doch das war ein Vorteil unserer Generation. Wir hatten kein Fernsehen. Das Fahrrad wurde mit Teilen vom Schuttabladeplatz zusammengebaut. Während der Schulferien trieben wir die Kühe aus, natürlich für Geld, und zum Essen fanden wir genug in fremden Gärten. Es gab auch eine neue Wurstsorte, die von Nikita Chruschtschow angeregt wurde. Sein Rat bestand darin, nicht so viel Fett zu essen, sondern die „Wurst am Stengel“ zu verspeisen – den Mais! Wir waren also hart gesotten und kein bisschen verwöhnt, und all das sollte sich im späteren Leben auch auszahlen! Die beste Lebensschule, die man bekommen kann, ist – nicht verwöhnt zu werden!
In den enteigneten Betrieben der DDR wurden die Eltern unterstützt. Alle Kinder ab dem Schulalter konnten auf „volkseigene Betriebs- und Staatskosten“ einmal im Jahr 14 Tage in den Urlaub fahren. Das war eine gute Sache. So war ich 9-mal in den Kinderferien und obendrein immer in anderen Gegenden der DDR. Die Eltern, meistens war es nur die Mutter, bekamen somit auch Gelegenheit, sich von den Arbeitsstrapazen zu erholen. Nein, es wurde nicht geschlafen in der DDR! Aber das hirnlose Wirtschafts- Plan und Subventionssystem, welches von der Sowjetunion diktiert wurde, war eine „Teilhauptursache“ der Misswirtschaft in der DDR.
Indessen verbreitete sich ein „böser“ Virus, denn nun schwappte die „Westmusik“ zu uns rüber, inklusive Rock´n Roll. Dazu konnte die Führung der SED nichts anderes entgegensetzen, als möglichst vieles von „drüben“ zu verbieten. Dies sollte ich auch ganz schnell merken. Wir waren oft zum so genannten „Schloßteichfest“ in der Stadt. Weil wir am Stadtrand wohnten, liefen wir durch den Küchwald, um Straßenbahngeld zu sparen und ich nahm ab und zu meine Brennholzgitarre mit. Inzwischen konnten wir ja die Hits von Gus Backus, Bill Ramsey, Martin Lauer, Peter Kraus, Peter Beil und vielen anderen auswendig. Dann saßen wir manchmal am Schloßteich und machten etwas Musik.
Es dauerte nicht lange, da erschien auch schon die erste Polizeistreife und meinte: „Ausweis, und sofort aufhören!“
„Warum?“, fragte ich das erste Mal.
„Das ist Ruhestörung!“
„Aber die Musik von den Fahrgeschäften ist doch viel lauter“, meinte ich.
„Da komm mal mit“. Ich wurde regelrecht verhaftet und in das nahe gelegene Polizeipräsidium gebracht. Dort wurden meine Angaben und der Ausweis überprüft, und ich wurde aufgeklärt, dass das Musizieren auf der Straße verboten sei. Straßenmusik ist „Ruhestörung“ und kann als „Landstreicherei“ bestraft werden. Apropos Ruhestörung: Das nächste Wohnhaus stand etwa 300 m entfernt! Ja, und das nächste Mal würde meine Gitarre konfisziert.
An meiner Stimme kann es nicht gelegen haben, denn meine Freunde sagten allesamt: „Leo hat ’ne Superstimme:“
Im Sommer gab es dann immer das so genannte „Pressefest“. Heute übrigens immer noch. Da kam mal eine Beat bzw. Gitarrengruppe aus Schweden, wo es uns so richtig kribblig den Rücken runter lief. Vier „Bretter alias E-Gitarren“ und Drums. Damals bekannte Hits nur mit reinem Gitarrensound gespielt. Wie sagten wir zu dieser Zeit? „Die blanke Lecke“, und obendrein mit einer Superanlage, dass wir aus dem Staunen gar nicht herauskamen. Hier sagte ich mir: „Ach, wenn du bloß Musiker werden könntest.“
Nach einer gebrauchten Halbresonanz Schlaggitarre – ebenfalls mit chaotischer Saitenlage – kaufte ich mir auf Teilzahlung eine E-Gitarre. Ein Super Brett mit einer Spielbarkeit bis über den 24-ten Bund, und auch darüber hatten die Finger noch genügend Platz! Der Gitarrist weiß, was das heißt. Die Saiten blieben fast kerzengerade, ohne auch nur minimal zum Steg aufzusteigen.
Warum auch? Dieses Instrument hätte ich 10 Jahre später nie und nimmer kaufen können. Für ganze 378,- Mark der DDR. Dies wären nach dem „Umtauschkurs“, den wir nach unserer Flucht 1989 in Coburg vorfanden, ganze 34,36 DM oder heutzutage 17,50 €!
Also, am „Ausverkauf der DDR“, wie die Genossen immer schimpften, war schon was dran. Auch habe ich auf der Musikmesse in Frankfurt/Main, nach der Wende, ein solches Instrument niemals wieder gesehen!
Doch noch einmal zurück. Früher – also vor oder während des Krieges – gab es in allen größeren Städten in Deutschland die so genannten Stadtpfeifen. Das waren keine Personen, auch niemand, der in der Politik arbeitet, sondern die damaligen Musikschulen. Also ging es ab in derartige Einrichtungen, und man ließ sich musikalisch und auch politisch bilden.
Der Verfasser: zweiter von rechts mit dieser E-Gitarre vorm Haus „Bärenstein“ beim „Stoneln und Beateln“. Anno 1964
In der DDR war die geistig-politische Ausrichtung teilweise wichtiger als die musikalische. So wurde jedenfalls gesagt: Ohne die richtige Weltanschauung kannst Du auch keine ordentliche Musik machen. Das war in der DDR um Gottes Willen, nein, um Karl Marx’ Willen kein Widerspruch. Wir kommen noch später darauf zurück.
Die Waldbühne in Berlin/West haben wir kurz vor „Ladenschluss“, also im Jahr 1961, und unwissentlich, was bald passieren wird, noch einmal besucht. Hier verspürte ich große Lust, gleich dort zu bleiben. Doch ich ließ mich von meinen Freunden überreden und habe es dennoch zwei Monate später bereut. Wie sagte doch Walter Ulbricht, genannt die „Sportulbe“, kurz vor dem Mauerbau!?
„Die Bauarbeiter in Berlin bauen Wohnungen, die haben keine Zeit, eine Mauer zu errichten.“
Viele meiner Schulkameraden sind schon vorher mit Sack und Pack „ausgewandert“. Auch wir versuchten es, nur hat dies meine Mutter bis heute noch nicht erfahren. Jedoch bewog uns das Gebrülle und Hundegebell im Grenzbereich unseres schönen Vogtlands, wieder umzukehren. Wie hieß ein Titel einer unserer Schlagersängerinnen? „Mit 17 hat man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume, in den Himmel der Liebe“. Aber so liebreizend waren die Grenzsoldaten nicht, denn sie hatten Schießbefehl. Und wir verspürten nicht die geringste Lust, wegen „Republikflucht“ eine Weile hinter Gefängnismauern zu hausen. Eine grandiose Zeit brach an nach dem Auferstehen der Mauer. Zehntausende wurden eingesperrt wegen jenes obigen Vergehens. Hunderttausende wurden regelmäßig „überprüft“. Lächerliche „Untaten“ wurden furchtbar bestraft. Es genügte, am Vorabend des 1. Mai ein paar Lämpchen auszudrehen, die am Rand eines Bildes von Walter Ulbricht leuchteten. Ich habe einen Bekannten von mir zwei Jahre nicht mehr gesehen. Er wurde daraufhin für dieses „Vergehen“ eingesperrt!
Liebe Leser, vergleichen Sie bitte nur ein Beispiel über diesen totalitären kommunistischen Staat! Im dritten Reich gab es etwa 7 000 Personen, die für den „Staatsschutz“ tätig waren, den so genannten SD (Sicherheitsdienst). In der humanistischen, menschenfreundlichen, sozialistischen DDR gab es über 90 000 hauptamtlich Beschäftigte der Staatssicherheit. Hinzu kamen 1,9 Millionen Mitglieder der Zuträgerpartei SED.
Jeder Kaderleiter (Personalchef) war logischerweise ein Gehilfe des SSD (Staatssicherheitsdienstes). Obendrein existierten mehrere 100 000 Mitglieder der „Kampfgruppen“, die aufgestellt wurden, um nie wieder einen „17. Juni“ zu erleben bzw. einen solchen im Keim zu ersticken. Der FDGB, genannt „Freier Deutscher Gewerkschaftsbund“ war die größte Frechheit, die sich Kommunisten ausgedacht hatten. Die Verfassung der DDR, bis zum Bau der Mauer, garantierte in Artikel 14 Abs. 2 das Streikrecht der Gewerkschaften. Doch der FDGB lehnte Streiks in VEB, also „volkseigenen Betrieben“, ab. Die Argumentation lautete: Der Bürger kann nicht gegen sein eigenes Eigentum streiken. Privatwirtschaft durfte hingegen bestreikt werden, damit sie noch schneller von der Bildfläche verschwand.
Nach Errichtung der Mauer gab es noch andere nette Dinge, die sich die „Wandlitztruppe“ einfallen ließ. Es gab auf einmal Ordnungsgruppen der FDJ (Freie Deutsche Jugend), die den Auftrag erhielten, sämtliche „Ochsenköpfe“ – Antennen, mit denen man das ARD empfangen konnte – von den Dächern des Landes zu verbannen und herunterzureißen. Wer sich diesem Unterfangen widersetzte, wurde polizeilich vorgeführt, wie dies hieß. Der bayrische Berg „Ochsenkopf“ war für uns in Sachsen – und auch noch etwas weiter nördlich – das Symbol für freies Fernsehen. Im Handel gab es auf einmal keine entsprechenden Aluminiumstäbe mehr, um sich eine Antenne selbst zu bauen. Also machte man folgendes: Wir fuhren in das heutige Mecklenburg-Vorpommern und ließen von Verwandten offiziell die Fernsehantenne für den Kanal 4 kaufen. Das war das DDR-Fernsehen für den Norden. Die Genossen waren darüber natürlich informiert, und deshalb blieb Bürgern aus dem Süden der DDR die Antenne für den Kanal 4 verwehrt! Schließlich musste ja der Personalausweis gezeigt werden!
Mein Ziel bestand erst einmal darin, mich musikalisch zu festigen. Auf meinem Brett, sprich E-Gitarre, alle Titel zu spielen, die ich entweder auf der Mittelwelle oder Langwelle von Radio Luxemburg hörte. Dazu gehörte natürlich eine Truppe, anfangs mit Akkordeon und Gitarre. Dann probten wir in einer Gartenkantine schon zu viert, mit zwei Gitarren, Akkordeon und Schlagzeug. Nun verhielt sich es nicht so, wie hier im vereinigten Deutschland, dass man ohne weiteres Musik machen durfte. Es gab genaue Vorgaben des Kulturministeriums der DDR, in denen stand, dass ein jeder, der musizieren möchte, um damit Geld zu verdienen, erst einmal eine „Einstufung“ absolvieren musste. Dies hatte sich der DDR-Kulturminister, Herr Klaus Gysi, so erdacht.
Da gab es die – man höre und staune – Einstufung A. Das bedeutet, mit dieser Klasse darf man offiziell 4,00 Mark verdienen, pro Stunde natürlich plus Nebenkosten wie Anfahrt, Technik oder Notenmaterial. Die Klasse B war schon ganze 6,00 Mark wert. Die Stufe C umfasste 7,50 Mark, und danach gab es freie Vereinbarung. Dazu gab es für Amateure, wie unsereiner, noch eine theoretische Prüfung sowie ein praktisches Vorspiel. Die theoretische Prüfung bestand darin, dass man von einem kleinen Haufen umgedrehter Zettelchen drei ziehen musste. Auf deren Vorderseite standen Fragen, und wer diese bestand, bekam die Stufe E zugesprochen. Das war die theoretische Grundstufe, die jeder bestehen musste. Diese Prozedur durfte jedes Jahr aufs Neue vollführt werden. Dazu gab es dann verschiedene Hinweise, die beispielsweise lauteten: „Ihr müsst die AWA-Listen (hier GEMA) ordentlich ausfüllen!“ In der DDR natürlich im Verhältnis 60 Prozent zu 40 Prozent, was bedeuten sollte, nur 40 Prozent Hits aus dem Westen und 60 Prozent DDR-Titel. Nur hätten wir uns in der gängigen Praxis daran gehalten, wären wir unweigerlich von der Bühne gefegt worden.
Heute würde ich es begrüßen, wenn junge Amateure eine adäquate Prüfung ablegen würden, denn was in den hiesigen Gazetten als „Spitzenbands“ angepriesen wird, ist größtenteils eine Zumutung. Hier muss ich aber eine große Brücke schlagen zu den Blasorchestern, die ich in den alten Bundesländern kennen gelernt habe. Was bei denen an fleißiger, ehrenamtlicher und notistischer Arbeit geleistet wird, ist mehr als nur enorm. Ja, und diese vielen Musiker aller Altersgruppen treten auf, ohne Geld einzuheimsen. Dazu sind sie alle gewisse Notisten und keine „Banknotenmusiker“ wie die meisten Lärmamateure in Deutschland!
Bei unseren ersten Auftritten als zugelassene Band merkte ich, als Musikus steht man nicht nur auf der Bühne, nein, man wird auch von den jungen Damen bewundert. Also, wenn dies kein Grund ist, zu „Höherem“ zu streben. Unser Akkordeonist arbeitete als Erzieher in einem '„Jugendwerkhof“ für Mädchen. Ein Werkhof war ein offenes Heim für junge Menschen, deren Eltern die Erziehung ihrer Kinder über den Kopf wuchs oder wo die Eltern nicht aufzufinden oder einfach „verschwunden“ waren. Dies sagten jedenfalls die Erzieher. In Wirklichkeit konnten die Erziehungsberechtigten die DDR noch vor dem Mauerbau verlassen und wollten nun die Kinder nachholen. Ein solches Unterfangen war höchst gefährlich. Keineswegs können die jungen Menschen so einfach in den furchtbaren Kapitalismus entlassen werden, meinte man. Und Bossa, so nannten wir unseren Bandchef, denn damals gab es noch keinen „Bandleader“, brachte es fertig und machte zwei Musiktermine aus mit dem Werkhof. Das hieß für uns inzwischen fünf junge Musikanten: Wir spielten die neuesten „Westhits“ vor den Augen von 67 Mädchen, die jungen Erzieherinnen nicht mit eingerechnet. Weshalb ich diese Erlebnisse nicht vergesse, liegt wohl an Folgendem. Als wir eine Pause einlegten und auch mal pinkeln mussten, gingen wir in Richtung Männertoiletten, die gab es dort auch. Nur was war denn das? Sämtliche Toiletten waren schon mehrfach belegt mit Mädchen, die auf einen von uns fünf Kerlen warteten. Die Erzieherinnen mussten die Mädels erst einmal aus den Männertoiletten jagen. Doch beim zweiten Mal blieben die Erzieherinnen fern. Also gab es eine Menge zu tun, und wir mussten uns selbst der „herrlichen Angriffe erwehren“.
Als zwei Jahre später die ersten Beatles- und Stones-Titel erschienen, kamen wir uns damals schon vor wie Superstars, obwohl wir nur kleine Amateure waren. Die Bühnenmode damals bestand aus weißem Hemd, weißen Hosen, und im unteren Teil der Hosenbeine wurde auf „Glocke“ ein blauer Keil eingenäht. Ansonsten alles sehr eng gehalten, auf gut deutsch „Röhrenjeans“ genannt. Manchmal legten wir uns mit Hosen in die Badewanne und ließen sie am Körper trocknen. Dann saßen sie auch ordentlich.
Natürlich hatten wir für den nächsten Sonntag „Termine“ ausgemacht. Dann fuhren wir nach Klaffenbach, so heißt dieser Ort nahe dem heutigen Chemnitz. Wir warteten in der vereinbarten Gaststätte. Da die meisten Mädels Ausgang bekamen, dauerte es auch nicht lange, und für jeden war genug „Arbeit“ vorhanden. In ihren Augen waren wir Stars. Doch die Mädchen hatten es schwer. Arbeit gab es zumeist in der Landwirtschaft, denn sie mussten ja irgendeinen Beruf erlernen. Nach ihrer Ausbildung wurden sie auf alle Bezirke der DDR verteilt.
Mittlerweile spielte ich in einer neuen Formation. Zwei Gitarren, Bass und Drums. Was hatten wir für eine Technik? Eigenbauverstärker mit zwei Boxen. Die Lautsprecher waren jedoch super. Wir kannten jemanden, der als alter Kinotechniker bekannt war. In der Nähe von Karl-Marx-Stadt, gab es einen ehemaligen Stützpunkt aus der Vorkriegszeit, wo noch jede Menge ausrangierter Kinostandlautsprecher zu haben waren! Die befanden sich zwar im total verdreckten Zustand, klangen aber wie neu und machten echt Dampf! Uff, war das eine Wolke! Eben echt deutsche Wertarbeit. Diese Monster waren ziemlich schwer und musste deshalb in der Box auf dem Boden angeschraubt werden, doch mit ihnen konnten wir eine Weile mithalten. Die Boxen haben wir uns selber gebaut. Getragen wurden sie zu viert! Das Hallgerät für mein „Gitarrenbrett“ war ein so genannter Federhall. So gab es für 120,00 Mark ein Selbstbauset mit einer Handvoll Widerständen, zwei Reglern und einem Aluminiumkasten von etwa 60 cm Länge mit zwei langen Metallfedern darinnen. Mit dessen Hilfe konnte man schon einen gewissen Sound erstellen. Jedenfalls besser als gar kein Effekt. Allerdings konnten andere junge Musiker, die ihre Verwandten im freien Teil Deutschlands hatten, mit Original „Echoletten“ uns ziemlich alt aussehen lassen, denn inzwischen gab es eine riesige Welle an „Beattruppen“. Wir nannten uns Jugendtanzorchester „REAL“. Logischerweise fragten uns viele, was denn in Englisch „real“ heißt. Das war uns wurscht. Wir wollten die Stones, Beatles, Birds und alle anderen „echt-real“ nachkupfern. Na ja, uns fehlten wohl auch etwas die Stimmen dazu. Gut, ich konnte schon damals den „Postillon von Lonjumeau“ singen. Wir hatten dieses Stück häufig genug mit Akkordeonbegleitung in Gartenkantinen aufgeführt, nur ein Wildschwein macht noch keine Herde.
Die nächste „Vorspielprüfung“ war wieder an der Reihe. Als Kapellenleiter bekam man Bescheid, dass bis zu einem bestimmten Datum die Band zum Vorspiel gemeldet werden musste. Wir spürten – es lag etwas in der Luft. Nur was? Die SED-“Schwarten“ (Zeitungen) trugen zwar viele Namen, wie in Karl-Marx-Stadt die „Volksstimme“, die dann später in „Freie Presse“ umbenannt wurde und auch heute noch so heißt, aber sie schrieben allesamt das Gleiche. Was die SED-Lappen montags schrieben, durften die Blockflötenzeitungen dann am Dienstag nachdrucken. Viele von denen zogen vom Leder gegen die jungen Beatgruppen. Hier wurde schließlich „kapitalistisches Gedankengut verherrlicht“. Wie hieß es doch damals? „Lange Haare, kurzer Verstand“.
Alles wollte man verbieten, was aus dem bösen Westen kam. Genauso verblödet wie heutzutage, wo man jeden jungen Mann, der seine Haare schon frühzeitig verlor, als „Rechtsradikalen“ verdächtigt.
Es war ein Sonntag, als das Vorspiel beginnen sollte. Für diese Prozedur war der große Saal des VEB Gerätewerke auserkoren worden. Der Saal war voll, nicht mit Gästen, aber mit „Beatbands“ aus der gesamten Gegend. Was gab es da? Die „White Stones“, „Black Stones“, „Sputniks“, „Ferdy Herfter“ „Rhytmixer“ und viele schon bekannte Formationen.
Ein Funktionär und damaliger Berufmusiker, mit dem ich später auch noch gemuckt habe, trat auf die Bühne und sprach lautstark durch das Mikrofon: „So, Jungs, hört mal her, alles was hier drei Gitarren und Schlagzeug ist, die können gleich wieder gehen! Das gibt es gar nicht! Das ist keine Musik!“ – Stille und weiter: „Es dürfen nur die Bands vorspielen, die schon eine Spielerlaubnis hatten.“
Aha, also möchte man keine neuen Störenfriede haben, die fast keine DDR-Schlager spielen. Bloß diese DDR-Schnulzen wollte man genauso wenig spielen. Die Alternative bestand darin, eigene Stücke zu schreiben. Diese gab es zwar, doch 90 Prozent der Zuhörer weigerten sich standhaft, sie zu hören. Versuche diesbezüglich waren sinnlos. Dafür fehlte uns wohl die richtige politische „Ausrichtung“!
Es gab logischerweise Aufstand in Maßen. Man beschwerte sich, und wer eine gewisse Durststrecke von ein paar Wochen durchgehalten hatte und nicht zu aufdringlich wurde, konnte trotzdem vorspielen. Diesmal im Rathaus! Die Genossen wurden etwas nervös, und deshalb kam nun die erste Welle der „Kapellenverbote“. Die Richtlinie der SED lautete: Nur die eigene Musikkultur sollte gefördert werden und nicht die „jugendfeindliche Westmusik“.
Für die jungen Leute von damals war es eine harte Zeit. Man musste einfach durchhalten, wenn man ein gewisses Ziel vor den Augen hatte. Wir wollten genauso frei Musik gestalten wie Musiker im anderen Teile Deutschlands. Nur hatten wir entschieden schlechtere Voraussetzungen, aber das machte uns hart!
Musik
3 „Nach der in der DDR maßgebenden sowjetischen Musikauffassung kann „... das Wesen der Musik unmöglich im inhaltlosen Spiel reiner Klangformen bestehen ... sondern darin, die Vielfalt der Wirklichkeit in das Musikgestalten einfließen zu lassen. Musik, in diesem Sinn aufgefasst, spiegelt nicht nur Wirklichkeiten, sondern vermag auch aktiv in die Lebenszusammenhänge einzugreifen und somit zur Veränderung und Umgestaltung der gesellschaftlichen Zustände beizutragen.“´
Dies war für jeden Musikbegabten „leicht und verständlich“ zu verstehen. Hier hat man versucht, die Normen des sozialistischen „Realismus“ auch in der Musik aufleben zu lassen. Man wollte keinen Beat für die Jugend, sondern Klassik mit Paul Dessaus „Herrn Puntila und seinem Knecht Matthi“. Disharmonien statt melodischen Beat. Schmerzende Intervalle, damit jeder drauf hört! Nicht umsonst hat dieser Herr seinem Namen große Ehre gemacht. An seinem Haus soll gestanden haben: „Bissiger Hund“, und dies, obwohl er gar keinen Hund besaß. Böse Zungen sprachen von ihm als „Des-Sau“ oder Cis-Schwein“, und gar viele Sänger hatten Mühe; selbst erlebt in Karl-Marx-Stadt, die „schönen“ schrägen Intervalle sauber zu singen. Natürlich nur mit mäßigem Erfolg oder nur dort, wo es wirkte. Im Sprechtheater ging das Anliegen voll auf. Es gab eine Reglementierung, so dass der überwiegende Teil jener Stücke, die aufgeführt wurden, aus der Sowjetunion stammte. Einzig und allein mit dem Resultat, dass die gebildete Bevölkerung diesen Aufführungen fernblieb. Selbst hier wusste die SED-Führung sich zu helfen. Besonders in den größeren Städten wurden so genannte „Theaterringe“ gegründet. Die Schulen wurden zu monatlichen Theaterbesuchen mit den Kindern zwangsverpflichtet. Aber auch der Normalbürger konnte sich in so einem „Theaterring“ einkaufen. Für die Schüler war es sozialistische Bildung, und die Erwachsenen sorgten unbewusst dafür, dass die Aufführungen der ungeliebten russischen Stücke nicht im Abseits standen, sondern ebenso „gut“ besucht waren wie der „Freischütz“ von Karl Maria von Weber. Das Theateranrecht musste für das ganze Spieljahr gekauft werden, und wer bestimmte Bühnenwerke nicht sehen wollte, hatte somit für das Zuhausebleiben bezahlt. Natürlich waren die Preise lächerlich niedrig im Gegensatz zu den heutigen!