So was macht die Liebe - Bo R. Holmberg - E-Book

So was macht die Liebe E-Book

Bo R. Holmberg

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Beschreibung

Liebe ist schon etwas Komisches, findet Agnes. Seit ihr Bruder Martin eine Freundin hat, schließt er ständig seine Tür ab und unternimmt kaum noch etwas mit Agnes. Auch ihr Onkel Jörgen hat nur noch Augen für seine Sybilla. Und warum benimmt sich Douglas aus der Schule immer so seltsam, wenn er in ihrer Nähe ist? Als plötzlich auch Papa wieder unter der Dusche singt und sein Kopfkissen nach Parfum riecht, scheint die Welt endgültig Kopf zu stehen. Agnes begibt sich auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Liebe und macht erstaunliche Beobachtungen.Rezensionszitat"Ein glaubwürdiger, anrührender und zugleich humorvoller Roman mit Tiefgang." Neue Wiener BücherbriefeBiografische AnmerkungBo R. Holmberg wurde am 5. Februar 1945 in Schweden geboren. Er studierte Literaturwissenschaft, Skandinavistik und Anglistik und arbeitete viele Jahre als Lehrer. Seit seinem Debut als Schriftsteller hat er insgesamt 30 Bücher herausgegeben, die meisten davon Kinderbücher. Alle Bücher spielen in seinem Heimatland Schweden. Holmberg wurde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Astrid-Lindgren-Preis im Jahr 1998 und der Kulla-Gulla-Preis im Jahr 2003.-

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Bo R. Holmberg

So was macht die Liebe

Aus dem Schwedischenvon Angelika Kutsch

Saga

An Martins Tür

Agnes lauschte an Martins Tür.

Sie drückte das Ohr fest dagegen, um besser hören zu können. Kein Ton drang heraus. Es war ganz still da drinnen.

Sie legte die Hand auf die Türklinke und drückte sie vorsichtig herunter. Nur ein bisschen.

Die Tür war nicht abgeschlossen.

Agnes schloss sie genauso leise, wie sie sie geöffnet hatte.

Dann versuchte sie durchs Schlüsselloch zu gucken. Aber der Schlüssel steckte im Schloss.

War es dunkel da drinnen?

Sie ging zurück in ihr eigenes Zimmer und legte das Ohr gegen die Wand. Bei Martin war es immer noch still. Nicht mal Musik war zu hören.

Lag er auf dem Bett?

Mit ihr ...

Agnes schob eine Kassette in den Kassettenrekorder und stellte ihn laut. Sie warf einen Blick auf die Uhr.

Bald elf.

Sie summte vor sich hin. Erst nur leise, dann immer lauter. Rasch verließ sie ihr Zimmer, knallte die Tür zu und rief: »Martin!«

Heftig riss sie seine Tür auf.

»Ich will bei dir schlafen!«, rief sie.

Im Zimmer war es dunkel. Das schwarze Rollo war heruntergezogen. Aber im Licht aus dem Vorraum waren sie deutlich zu sehen.

Er lag auf dem Bett.

Und sie auch. Elenor.

Sie bewegten sich hastig und fuhren hoch.

»Entschuldigung!«, rief Agnes. »Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.«

Sie zog sich rückwärts zurück, während sie mit weit geöffneten Augen alles aufzunehmen versuchte, was sie erfassen konnte.

Sie waren nicht nackt.

Sie hatten angezogen auf dem Bett gelegen und sich in den Armen gehalten.

Jetzt saßen sie da, als ob sie plötzlich geweckt worden wären.

Und dann Martins wütende Stimme: »Du blödes Gör, du!«, schrie er.

»Entschuldigung«, flüsterte Agnes noch einmal und machte die Tür schnell zu, blieb aber davor stehen. Sie hörte ihre Stimmen, hörte, wie sie aufstanden. Sie erkannte Martins Schritt, als er zum Tisch ging. Und dann kam die Musik.

Agnes ging die Treppe hinauf, an dem roten Sessel vorbei, und ins Wohnzimmer.

Papa saß mit den Füßen auf dem Tisch da.

»Soll die hier schlafen?«, fragte sie.

»Schläfst du noch nicht?«, fragte er zurück und gähnte.

»Schläft sie hier?«

»Es ist bald elf«, sagte er.

»Elenor«, sagte Agnes, »soll die hier schlafen?«

»Es ist elf Uhr. Ihr solltet beide schlafen, Martin und du«, sagte Papa.

»Dann sag es ihnen doch!«

Er gähnte wieder und biss ein wenig an einem Fingerknöchel herum.

»Sag du es ihnen«, sagte er.

Agnes nahm die Treppe in drei Sprüngen und schrie: »Es ist jetzt Abend! Soll ich euch von Papa sagen.«

Sie hörte Martins schnelle Schritte. Der Schlüssel wurde herumgedreht.

Sie stand ganz still vor seiner Tür. Die Musik dröhnte. Plötzlich wurde die Stereoanlage abgestellt und es wurde mucksmäuschenstill.

Agnes zählte stumm.

Ein Mississippi, zwei Mississippi, drei ...

In einem Film hatte sie gelernt Sekunden mit ein Mississippi, zwei Mississippi, drei Mississippi zu zählen. Und Papa hatte gesagt, manchmal muss man bis zehn zählen, bevor man etwas Bestimmtes sagt oder tut.

Jetzt kamen die Schritte auf die Tür zu!

Rasch glitt sie in ihr Zimmer, riss sich die Kleider herunter, machte das Licht aus, zog die Decke über das Gesicht und wartete.

Erst als sie hörte, wie Martin die Stereoanlage wieder einschaltete und die Musik schwach in ihr Zimmer drang, entspannte sie sich.

Elenor war gegangen.

Das war jetzt eine andere Musik.

Es ist die CD, die er von mir zu Weihnachten bekommen hat, dachte Agnes, bevor sie einschlief.

Geborgen ist ein Adjektiv

Ein Adjektiv drückt aus, wie etwas ist oder aussieht«, sagte die Lehrerin Elna. »Zum Beispiel grün oder nett. Jetzt schreibt ein paar Adjektive auf.«

Agnes saß neben Mirjam. Mirjam hatte schwarze Haare, die glänzten und glitzerten.

Agnes schrieb schwarz.

Dann knabberte sie an ihrem Stift und schrieb gelb.

Mirjam hatte schon zehn Wörter in einer Reihe geschrieben. Die Lehrerin kam vorbei und las Mirjams Wörter.

»Verstehst du alle Wörter, die du aufgeschrieben hast?«, fragte sie. »Zum Beispiel einheimisch.«

»In Schweden geboren«, antwortete Mirjam.

»Du kannst bestimmt noch ein paar andere Wörter als Farben«, sagte Elna zu Agnes.

»Mucksch?«, sagte Agnes.

»Das ist kein richtiges Wort«, sagte Elna. »Schreib lieber müde.«

Agnes drehte sich um.

Douglas saß neben Kevin.

Auf dem Tisch vor ihm lag die Mütze, auf der Colorado Avalanche stand.

Wie etwas ist, dachte Agnes. Douglas ist ...

Sie knabberte an ihrem Stift und schrieb schließlich hin: hell, fröhlich, Hockeyspieler, lieb, hübsch

Mirjam flüsterte ihr zu: »Hockeyspieler ist ein Substantiv.«

Agnes strich das Wort aus und reckte die Hand.

Elna hatte sich an das Pult gesetzt. Ihre Brille trug sie an einer Schnur um den Hals, aber jetzt hatte sie sie in ihre Haare geschoben.

»Ist verliebt ein Adjektiv?«, fragte Agnes.

Sandra stand beim Bleistiftanspitzer. Sie warf den Kopf zurück und schmatzte mit den Lippen.

»Himmel«, sagte sie und schlug sich gegen die Stirn.

»Doch, ja«, sagte Elna.

Agnes guckte wieder auf ihr Heft und schrieb:

verliebt

»Ich hab an Martin gedacht«, sagte sie. »Meinen Bruder. Er hat eine Freundin. Er ist verliebt.«

»Ich weiß noch was über Liebe!«, schrie Oskar.

Elna stand hastig auf.

»Jetzt lest mal eure Adjektive vor. Und dann können wir abstimmen, welches das beste ist, und ihr schreibt ein kleines Stück darüber.«

Die Wahl fiel auf ein Wort von Mirjam. Geborgen.

Agnes schrieb:

Papa hat Kleber an den Fingern. Mama ist tot, wir besuchen ihr Grab. Martin, ich und Papa. Aber Martin ist nicht mehr so traurig. Es ist, als ob er ...

Ihr fiel ein Wort ein, das Papa nach Weihnachten gesagt hatte, als Martin so furchtbar traurig gewesen war. Es galt Martin und dass es ihm jetzt besser ging.

»Wie schreibt man akzeptieren?«, fragte Agnes.

»Das ist kein Adjektiv«, sagte Elna.

»In dem Stück können doch nicht nur Adjektive vorkommen«, sagte Mirjam. Dann schrieb sie akzeptieren auf ein Blatt Papier und zeigte es Agnes.

Agnes fuhr fort:

... akzeptiert hätte, dass Mama nicht mehr da ist.

Dann knabberte sie wieder am Stift.

Und jetzt ist er auch noch verliebt, dachte sie und nahm ein neues Blatt und schrieb:

Martin + Elenor, Agnes + Douglas.

Douglas schrieb nichts. Er hatte Kevin am Nacken gepackt und drückte seinen Kopf auf den Tisch.

Elna stand an der Tür.

»Jetzt ist Pause«, sagte sie.

»Jetzt ist sie mucksch«, sagte Agnes.

»Das ist kein richtiges Wort«, sagte Mirjam.

In der Schlange im Konsum

Es war ein Samstag und sie hatten Tauwetter. Tagsüber schmolz der Schnee und von Dächern und Bäumen tropfte es. Das bedeutete, dass es fast Frühling war.

Agnes ging den Hügel hinunter. Den Tretschlitten konnte sie nicht mehr benutzen. Nur noch ein paar Flecken Schnee leuchteten in der Sonne. Es war März und die Sonne hatte Kraft. An den Fenstern rannen Wassertropfen. Pling, fielen sie runter. Jetzt konnte sie an der Kirche vorbeigehen ohne allzu sehr an Mama zu denken. Sie hieß Amanda und sie war schon fünfeinhalb Jahre tot. Ihr Grab zu finden war leicht. Im letzten Jahr hatte Agnes die Schritte mit geschlossenen Augen gezählt. Sechzig Schritte geradeaus und dann vierzehn nach rechts. Dort war Mamas Grab.

Das Wort fiel ihr wieder ein. Akzeptieren. Martin hatte akzeptiert, dass Mama nicht mehr da war. Jetzt waren sie nur noch drei. Agnes, Martin und Papa.

Gar nicht wenig, würde Papa sagen.

Sie war auf dem Weg zum Konsum, wollte nur ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Papa hatte alles auf eine Rechnung geschrieben, auf der auch seine Postgironummer und sein Name standen: Stig Lövstrand, Teppichverleger. Der Zettel hatte auf dem Tisch gelegen, als Agnes aufgestanden war.

Papa war schon weg gewesen.

Milch, Margarine und drei Koteletts, hatte Papa geschrieben. Und: Sonst haben wir alles. Darunter hatte er ein kleines Herz gemalt.

Auf dem Parkplatz standen die Container, die blauen. Sie sahen wie gefährliche Monster aus.

Agnes ging nicht mehr hin zu ihnen, wie sie es noch im letzten Jahr gemacht hatte. Sie reckte sich nicht mehr auf die Zehen und rief ihre Frage hinein, ob da Kinder wären zwischen all den Zeitungen und Kartons. Nein, damit hatte sie aufgehört.

In der Schlange beim Konsum stand Irene. Sie war groß und dick und außerdem war sie Douglas’ Mama. Als Agnes näher kam, sah sie, dass Douglas vor ihr stand. Irenes mächtiger Körper hatte ihn verdeckt.

»Ohoi!«, schrie Agnes. »Douglas!«

Er und Irene drehten sich um. Douglas zog eine Grimasse. Er kniff die Augen zusammen und zeigte seine Zähne.

»Ach, du bist das, Agnes!«, sagte Irene.

Schwiegermutter, dachte Agnes. Große Schwiegermutter.

»Ich muss fürs Wochenende einkaufen«, sagte Agnes. »Wie geht’s dir, Douglas?«

Er hatte eine Verpackung mit drei Überraschungseiern in der Hand, legte sie aufs Band und schlenderte zu Agnes.

Sie dachte an seine Hand, aber er stand zu weit entfernt. »Wollen wir uns heute Abend treffen?«, fragte sie.

»Wie, wo?«, sagte er.

»Bei mir zu Hause. Was Gutes essen und fernsehen vielleicht«, antwortete Agnes. »Vielleicht sind Martin und Elenor auch da.«

»Wir besuchen meine Cousins«, sagte Douglas. »Für die sind die Eier.«

»Ach, du lieber Douglas«, sagte Agnes.

»Bah«, sagte er.

»Komm jetzt!«, rief Irene.

Sie hatte zwei Tüten voll gepackt und hielt sie in ihren Händen. Douglas kniff wieder die Augen zusammen.

»Wir sehn uns«, sagte er.

»Viel Spaß«, sagte Agnes.

Jetzt muss er aber aufhören mit diesen albernen Grimassen, dachte sie, während sie bezahlte.

Es tropfte vom Dach vorm Konsum. Douglas sah wie ein winziger Junge aus neben seiner großen Mama.

Agnes ging in die andere Richtung. Sie sah nicht zu den Containern.

Elenor

Elenor saß mit gekreuzten Beinen in dem roten Sessel und blätterte in einer Zeitschrift.

»Wo ist Martin?«, fragte Agnes.

»Er joggt«, antwortete Elenor.

»Bleibst du hier heute Abend?«

Elenor guckte auf. Sie hatte die Lippen rot geschminkt und in der Oberlippe eine kleine Perle. Die bewegte sich, wenn sie sprach.

»Vielleicht«, antwortete sie.

»Wir haben aber nur drei Koteletts«, sagte Agnes.

Elenor leckte über ihre Perle. Sie spreizte die Finger und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

In Agnes’ Ausweis stand, dass sie blonde Haare hatte. Der Ausweis war neu. Den hatte sie sich erst vor einigen Wochen besorgt. Im Juni brauchte sie ihn. Dann wollten sie in die Türkei, sie, Martin und Papa. Aber Douglas nicht. Und Elenor auch nicht.

In Elenors Ausweis stand wahrscheinlich dunkelblond.

Oder mausfarben, dachte Agnes.

»Vielleicht ess ich nicht hier«, sagte Elenor.

»Bist du in ihn verliebt?«, fragte Agnes. »In Martin?«

»Aber hallo«, sagte Elenor. »Was für eine Frage.«

»Er ist wahrscheinlich in dich verliebt«, sagte Agnes. »Und ich bin in Douglas verliebt.«

Elenor lachte ein piepsendes Lachen.

»Verliebt?«, sagte sie.

»Das ist ein Adjektiv, wie verknallt«, sagte Agnes.

»Und wie neugierig.«

»Martin hat es nicht leicht gehabt«, sagte Agnes. »Deshalb will ich nicht, dass ...«

Sie verstummte und starrte Elenor an, als ob sie sie zum ersten Mal sähe. Sie war schlank in ihrer braunen Stretchhose, dazu trug sie eine gelbe Bluse. Wenn sie sich bewegte, wippte eine kleine Halskette in ihrem Ausschnitt.

»Wir werden Schwägerinnen«, sagte Agnes, »du und ich.«

Elenor piepste wieder und strich mit den Händen über ihre Hosenbeine, wie um sie zu glätten.

»Wie lange er wegbleibt«, sagte sie.

Agnes hob eine der Hanteln an, die auf dem kleinen Tisch lagen, und versuchte sie mit ausgestrecktem Arm zu halten.

»Ich kann sie zehnmal über den Kopf stemmen.«

»Wirklich?«, sagte Elenor.

»Aber jetzt hab ich damit aufgehört. Seit ich zehnmal geschafft habe. Martin macht aber weiter. Außerdem joggt er.«

Elenor stand auf.

»Er ist wirklich lange weg.«