Sonnentage - Nonni's Jugenderlebnisse auf Island - Jón Svensson - E-Book

Sonnentage - Nonni's Jugenderlebnisse auf Island E-Book

Jón Svensson

0,0

Beschreibung

Der kleine Nonni wächst in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf Island auf. Das Buch enthält Erzählungen und Erlebnisse aus seiner – mit den Worten des Autors - "sonnig-heiteren" Jugendzeit. Da kann es in der rauhen, wilden Natur Islands passieren, dass man vom Schnee lebendig begraben wird oder dass man bei einem nächtlichen Ausflug in die Berge von Pferd und Stier bedroht werden kann.ZUM AUTOR:Jón Stefán Sveinsson (1857 – 1944) war durch seine Nonni-Bücher einer der in Deutschland bekanntesten isländischen Schriftsteller. Er veröffentlichte seine Werke weltweit unter dem Namen Jón Svensson. Im Jahr 1870 verließ er Island. In Frankreich – nach dem deutsch-französischen Krieg - nahm er den katholischen Glauben an und trat in den Jesuitenorden ein. Seit 1906 schrieb er die 12 "Nonni-Bücher" über seine Jugend auf Island und sein späteres Leben und Wirken in Europa, USA und Japan in deutscher Sprache. Sie wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. -

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 254

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jón Svensson

Sonnentage

Nonni’s Jugenderlebnisse auf Island

Saga

Das Schönste, was ein Schriftsteller in ein Buch schreiben kann, sind die Gefühle, die in seiner Seele aufsteigen bei der Erinnerung an die ersten Tage seiner Jugend.

Chateaubriand

Vorwort

Ermutigt durch die günstige Aufnahme, die mein Buch „Nonni“ (Freiburg 1913, Herder) und die Erzählung „Nonni und Manni“ (Regensburg 1914, Habbel) in Deutschland gefunden haben, wage ich es, meinen deutschen Freunden ein neues Isländerbuch darzubieten.

Ich nenne es „Sonnentage“, weil es Erzählungen und Erlebnisse aus meiner auf der fernen Insel Island verlebten sonnig-heitern Jugendzeit enthält. Der es liest, gewinnt damit zugleich einen Einblick in das tägliche Leben auf meiner Heimatinsel.

Vier von den Erzählungen sind schon früher in Dänemark im Druck erschienen und mit Erlaubnis des Verfassers von Herrn Joh. Mayrhofer ins Deutsche übersetzt worden. Es sind dies: „Wie Júlli und Dúfa lebendig begraben wurden“, „Klein Kjartans Gesicht“, „Die Vala kommt“ und „Die Geschichte von der gefahrvollen Nachtwache“. —

An dieser Stelle möchte ich noch den Lesern des „Nonni“, den kleinen wie den grossen, meinen tiefempfundenen Dank aussprechen für die vielen liebenswürdigen Zuschriften, die sie mir gesandt haben; ich konnte sie leider unmöglich alle beantworten.

Ganz besonders gilt dieser Dank der frischen, fröhlichen deutschen Jugend, den vielen Knaben und Mädchen, die aus Pensionaten, Schulen und Erziehungsanstalten „dem kleinen Nonni“ schriftliche Grüsse und Dank geschickt haben. Solche von deutschen Kinderhändchen geschriebene Brieflein und Kärtchen haben mich herzlich gefreut, und es ist mein sehnlichster Wunsch, dass diese meine zahlreichen kleinen Freunde und Freundinnen unter der mir so liebgewordenen deutschen Jugend ebensoviel Freude und heitern Sonnenschein aus meinen „Sonnentagen“ schöpfen mögen, wie sie es vorher aus „Nonni“ getan haben.

Feldkirch in Vorarlberg, Stella matutina (Österreich), im Dezember 1914.

Jón Svenslon

Wie Júlli und Dúfa lebendig begraben wurden

1. In Ferien.

Die Begebenheit, die ich hier erzählen will, gehört zu den erschütterndsten Erlebnissen aus meinen Knabenjahren; sie hat einen so starken Eindruck in meiner Erinnerung zurückgelassen, dass ich sie mein Leben lang nicht vergessen werde.

Es war gegen Schluss des Februar auf einem der grösseren Höfe von Nord-Island.

Ich hielt mich da bloss vorübergehend auf, um Ferien zu machen.

Das Leben auf diesem Bauernhof war überaus angenehm und schön. Ich kann in Wahrheit sagen, dass diese Stätte für mich ein kleines irdisches Paradies war.

Es war ein reicher Hof. So etwas wie ein Edelhof, ein wirklicher Herrensitz.

Er hatte zahlreiche Bewohner: viele Familien, viele Mägde und Knechte, viele frische, fröhliche Kinder; er hatte viele Pferde, viele Kühe, viele Hunde und viele, viele Schafe.

Ja, es war reges Leben und viel fröhliches Treiben auf dem Hofe.

Die Leute warm durchaus nicht bäuerisch ungebildet. Sie waren verständig, höflich und geweckt.

Namentlich hatten sie Sinn für Poesie.

Oft an den langen Winterabenden wurden Sagas vorgelesen und noch lieber lange Skaldenlieder gesungen. Oft auch erzählten die, welche besonderes Geschick dazu hatten, lange spannende Geschichten.

Die isländischen Sagas sind, wie der Leser ja wohl weiss, unvergleichliche Meisterwerke der Erzählungskunst. Sie sind die herrlichsten Geistesschöpfungen des skandinavischen Nordens und gehören zu den schönsten und vollendetsten Erzählungen in der ganzen Weltliteratur.

Diese Sagas, Lieder und Geschichten also machen auf den isländischen Höfen zumeist die Abendunterhaltung aus, und all das gibt dem Volke eine gewisse geistige und auch äussere Bildung, wie man sie in andern Ländern bei Leuten dieses Standes nicht leicht in so hohem Grade findet.

Die Familie, bei der ich mich aufhielt, war gut befreundet mit meinen Eltern, und ich hatte es dort sozusagen wie der Dotter im Ei.

Zudem hatte ich die heiterste und fröhlichste Kindergesellschaft, die ich mir nur denken konnte, und das war etwas, woran mir viel lag und was ich sehr hoch schätzte.

Ich war nämlich damals erst neun Jahre alt.

Wir Kinder tummelten uns die meiste Zeit draussen im Freien.

Doch mussten wir jeden Tag auch zur Schule gehen und lernen.

In diese Schule hatten wir aber nicht weit; sie war im Hause selbst, und unser Lehrer war — die Frau des Hauses!

Sie unterrichtete uns nicht bloss im Lesen und Schreiben, sondern auch in Geographie, Geschichte und im Katechismus.

Die Geschichte des Altertums trug sie uns so lebendig und so schön vor, dass ich sie seither nicht vergessen habe.

Sie erzählte uns von den Taten Alexanders des Grossen, von seinen Kriegen und seinem Zuge nach Indien. Als wir hörten, wie er seinen guten Freund Klitus tötete, da brachen wir in Tränen aus.

Die Geschichten von Horatius Cocles, Mucius Scävola, Pompeius und Cäsar kannten wir bald gründlich.

Von Pompeius nahm es mich besonders wunder, wie er sagen konnte: wenn er auf den Boden stampfe, könne er so viele Legionen herausbekommen, wie er wolle.

Später hörte ich, dass dies dem grossen Manne doch nicht gelang, und gerade da nicht, als er es am meisten nötig hatte.

Ausser bei der Hausmutter gingen wir noch ein wenig in die Schule bei einem ehrwürdigen Greis auf dem Hofe. Bei ihm lernten wir Rechnen und etwas Dänisch, ja sogar ein bisschen Deutsch.

Von den dänischen Büchern, die wir lasen, weiss ich noch zwei: es waren der „Kinderfreund“ und ein anderes altes Buch mit den Fabeln Äsops und einigen erbaulichen Erzählungen.

Die deutsche Sprache kam uns sehr schwer vor. Wir hatten sie aber trotzdem doch ganz gern.

Ein aneiferndes Beispiel gaben uns mehrere Knechte und Mägde des Hofes, die freiwillig an dem Sprachunterricht des alten, guten Lehrers teilnahmen.

Besonders glänzende Fortschritte haben wir allerdings in keiner der beiden Sprachen gemacht.

Einzelne deutsche Wörter und Ausdrücke lernten und merkten wir uns aber doch.

So erinnere ich mich noch, welches Vergnügen wir hatten, als wir erfuhren, eine kleine Säge werde von den Deutschen „Fuchsschwanz“ genannt.

Es muss doch etwas Gemütliches an den Deutschen sein! dachten wir. Einen Menschen aber von diesem grossen fernen Lande hatten wir noch nie gesehen.

Merkwürdig leicht behielten wir Schlingel einen andern, etwas weniger feinen deutschen Ausdruck, und wir wandten ihn auch manches Mal gegenseitig auf uns an.

In unserer Muttersprache hätten wir uns nicht getraut ihn zu gebrauchen.

Es war der ganz kurze, gewiss nicht schöne Reim:

„Halt ’s Maul,

Du bist faul!“

Aber das gefiel uns.

Wollten wir einen von unsern erwachsenen Mitschülern necken, so geschah es mit diesem fremden Sprüchlein.

Und wenn uns darauf andere, weniger „gelehrte“ fragten, was das wäre, wovon wir da redeten, dann sagten wir nur, wir übten uns im Deutschreden.

Ja, ein wenig unartig konnten wir hie und da schon auch sein! —

Aber jetzt ist es an der Zeit, dass ich dem Leser meine kleinen Spiel- und Schulkameraden vorstelle.

Es waren vier nette, lustige Bübchen und ebensoviele muntere, lebhafte kleine Mädchen.

Die Familie hatte nämlich im ganzen acht Kinder.

Die Knaben hiessen Waldi, Bjössi, Stebbi und Óli.

Das waren aber ihre Kosenamen. Wenn sie älter wurden, hiessen sie Waldimar, Björn, Steffán und Ólafur.

Die Kindernamen der Mädchen waren: Jmba, Simba, Gunna und Sigga. Erwachsen hätten sie Ingibjörg, Sigurbjörg, Guðrún und Sigríður geheissen.

Es waren alles sehr artige, liebe Kinder, rotbackig und blühend von Gesundheit.

Oft kamen auch die Kinder der Dienstbotenfamilien, die auf dem Hofe wohnten, zu uns.

Doch wir neun bildeten gewissermassen einen geschlossenen Kreis, den wir mit einem Ausdruck aus den alten isländischen Sagas Fóstbræðralag nannten.

Auf Deutsch würde das so etwas wie „Blutsbruderschaft“ oder „Kampfgenossenschaft“ heissen.

Gewiss, die andern Kinder waren alle auch unsere lieben, guten Freunde und Freundinnen. Aber ganz gleich und ebenbürtig waren sie uns doch nicht, es fehlte ihnen etwas dazu: sie waren, kurz gesagt, nicht in unser Fóstbræðralag aufgenommen. —

Unser Tun und Treiben auf dem abgelegenen Hofe war wie von selbst bestimmt.

Es war ja mitten im Winter.

Mehrere Wochen hatten wir nicht einen einzigen warmen Tag gehabt, nur Schnee und ununterbrochenes Frostwetter.

Wir Kinder freuten uns über dieses Wetter; denn mit Ausnahme der kleinsten Mädchen konnten wir fast den ganzen Tag Schlitten fahren, Ski oder Schlittschuh laufen.

Der Kälte wurde da nicht mehr geachtet, wir waren schon ganz abgehärtet.

Am Abend gingen wir oftmals mit den Melkmädchen in das Fjós (den Kuhstall), schauten dem Vieh beim Fressen zu, streichelten die grossen, gutmütigen Kühe oder zählten sie der Reihe nach ab, und wenn die Mädchen fertig waren, dann gab es frisch gemolkene Milch zu trinken.

Oder wir schlossen uns einem der Schafhirten an und zogen mit zu dem oder jenem der gewaltigen Schafställe, die zehn bis fünfzehn Minuten vom Hofe entfernt lagen und von denen jeder über hundert Schafe fassen konnte.

Dort durften wir dann umherlaufen und Versteck spielen zwischen den frommen, blökenden Schafen — für uns Kinder ein prächtiges Vergnügen!

Aber das war nicht das einzige, was wir in den Schafställen trieben.

Oft sprangen wir auch hinauf in die vierzig Ellen lange Krippe, die mitten durch den ganzen Stall ging, und überblickten von da aus die langen Reihen sanfter Lämmer, die uns — mehr als hundert Paar leuchtende Lämmeraugen! — ebenfalls neugierig betrachteten.

Dann wieder verschwanden wir mit einem Mal in der Heuscheune, die immer mit der Krippe in Verbindung steht.

In der dunklen Scheune vergruben wir uns in dem würzig duftenden Heu oder sprangen darauf herum und warfen mutwillig einander nieder, bis schliesslich der Hirt kam und uns hinausrief.

Denn nun sollten die Schafe gefüttert werden!

Das war auch immer ein köstliches Vergnügen für uns.

Flugs waren wir wieder draussen und liefen durch die Krippe ihrer ganzen Länge nach.

Die hundert Schafe standen bereits, in zwei langen Reihen aufgestellt, zu beiden Seiten der Krippe, streckten Kopf neben Kopf vor und schnupperten an uns und schnappten sogar nach unsern Kleidern: denn jetzt dufteten wir ja nach dem leckern Heu, und deshalb kamen wir den Schafen so appetitlich vor.

Ja wir mussten geradezu aufpassen, dass wir nicht ganz von ihnen verspeist wurden. Einige fassten uns nämlich nicht bloss mit den Lippen, sondern auch mit den Zähnen.

Nach der Fütterung ging es dann in der finstern Nacht unter Anführung des Hirten wieder heim.

Er hielt eine Laterne in der Hand, und wir scharten uns um ihn.

Bisweilen brauchte er aber keine Laterne, denn das Nordlicht leuchtete am Himmel mit einem solchen Glanz, dass es fast geradeso hell wurde wie am lichten Tag.

Auf dem Hofe angelangt, liefen wir immer gleich in die grosse Stube, wo die Leute beisammen sassen und jemand eine Saga vorlas oder ein Skaldenlied sang.

Leider aber wurden wir oft zu Bett kommandiert, bevor der Sagamann oder der singende Skalde fertig war, und das war dann ein schweres Opfer für uns.

2. Júlli und Dúfa.

Unter den fünf Schafställen, die zum Hof gehörten, war einer mit dem merkwürdigen Namen Spanski Kofinn, die „Spanische Hütte“. Darin war einstmals eine Anzahl Schafe untergebracht, die aus dem fernen Spanien nach Island eingeführt waren.

Gerade der war unser liebster Aufenthalt.

In der Spanischen Hütte war nämlich ein ganz junges, schneeweisses, überaus niedliches Schäfchen, das wir Dúfa (Taube) nannten.

Dúfa kannte uns, und wir kannten Dúfa.

Zeigten wir uns in der Tür der Spanischen Hütte, so bahnte Dúfa sich gleich einen Weg durch all die andern Schafe und gab nicht nach, bis sie bei uns war.

Sie legte dann gern ihr kleines weisses Köpfchen unter unsere Arme und Jacken und folgte uns überall, wohin wir gingen.

Wir brachten ihr aber auch jedesmal, wenn wir in der Heuscheune waren, eine Handvoll von dem duftigen Heu mit.

Oft steckten wir einen Teil des Heues in unsere Taschen, und Dúfa musste dann danach suchen.

Gefunden hat sie es immer, und wir hatten einen riesigen Spass, wenn sie uns aus der Tasche frass.

Unsere Freundschaft mit Dúfa wurde jeden Tag inniger.

Waren wir eine Zeitlang nicht in der Spanischen Hütte gewesen und sahen hernach unsern Liebling wieder, dann hätten wir vor Freude fast weinen mögen, und auch an Dúfa selbst konnten wir merken, wie sehr sie nach uns verlangte.

Eines Tages nun wurden auf dem Hof ein paar Schafe geschlachtet.

Da kam uns Kindern ein schrecklicher Gedanke: Wie — wenn man auch unsere Dúfa einmal schlachten sollte!

Nein, das durfte nie und nimmer geschehen! Der Gedanke war uns unerträglich.

Schnell liefen wir zum Hausherrn und baten ihn inständig, er solle doch niemals unsere liebe kleine Dúfa schlachten lassen. Und wir liessen nicht eher mit Bitten nach, als bis er uns das Versprechen gab.

Wir waren glückselig! Dúfa sollte immer leben dürfen! —

Was uns ausser Dúfa an die Spanische Hütte fesselte, war der Hirte gerade dieses Stalles.

Er war eigentlich nur ein grosser Knabe, kaum 16 Jahre alt, und hiess Júlli (Julius).

Er stammte aus guter Familie, und wir hatten ihn ungemein gern. Er war so gut und zugleich so fröhlich und frisch.

Er war gross und stark, hatte ein feines Gesicht, blondes Haar und klare, blaue Augen.

Alle auf dem Hof hatten ihn gern. Er war immer so freundlich, arbeitsam und opferwillig und half jedem, wo er nur konnte.

Auch ein guter Skalde war er.

Er konnte aus dem Stegreif die schönsten Verse dichten, worüber es auch sein sollte. Sie waren immer treffend, und die Form war so natürlich und klar, dass man sie nur einmal zu hören brauchte, um sie nicht mehr zu vergessen.

Stets hatte er ein grosses Notizbuch bei sich in der Tasche. Darein schrieb er besonders schöne Verse, die ihm gelegentlich einfielen.

Das konnte zu jeder beliebigen Zeit sein. So erinnere ich mich noch, wie er einmal in der Spanischen Hütte plötzlich sein Buch hervorholte, einige Zeilen niederschrieb, sie ein paarmal ganz glückselig lächelnd durchlas, das Buch wieder rasch in die Tasche steckte und die Arbeit fortsetzte, als ob nichts geschehen wäre.

Niemals aber versäumte er wegen dieser dichterischen Einfälle seine Arbeit, obschon er oft gleichsam in Gedanken ging.

Übrigens machten es die meisten Hirten und Arbeiter des Hofes ebenso wie Júlli. Auch sie dichteten und hatten ihre Notizbücher bei sich, um darin ihre Verse aufzuzeichnen, eine Sitte, die auf Island unter hoch und nieder ziemlich weit verbreitet ist.

So wie Júlli aber konnten es die andern nicht. Er galt bei allen als das grösste poetische Talent, und man prophezeite ihm eine grosse Zukunft als Dichter. Er hatte trotz seiner Jugend schon so viele, zum Teil ausgezeichnete Verse und kleine Gedichte geschrieben, dass sie einen ganzen kleinen Band hätten füllen können.

Sassen die Männer an den langen Winterabenden in der grossen Stube beisammen, dann sprachen sie oft von ihren Gedichten und lasen einander bisweilen auch vor, was sie in der letzten Zeit verfasst hatten.

Júlli war immer sehr bescheiden, wenn man ihn bat, seine Verse vorzutragen, und doch wurden gewöhnlich die seinigen am meisten gelobt.

Neidisch wurde aber deswegen keiner auf ihn.

Das war auch ganz natürlich so, denn er hatte etwas ausserordentlich Reines und Hohes an sich, das ihm unwillkürlich die Herzen gewann.

Ja, Júlli war der Liebling aller, aber ganz besonders der unsere. Deshalb gingen wir, wie gesagt, fast immer mit ihm zur Spanischen Hütte.

Der Hausherr war damit wohl zufrieden, denn er wusste, wir befanden uns in guter Gesellschaft, wenn wir bei ihm waren.

Júlli erzählte auch oft schöne Geschichten, und das gefiel uns sehr.

Etwas aber prägte er uns beständig ein, nämlich dass wir uns lieber ein kurzes Leben mit Ehre wünschen sollten als ein langes Leben mit Schande.

Das sagte er so oft zu uns, dass wir es zuletzt alle auswendig konnten, ohne jedoch recht zu verstehen, was er damit meinte.

Immer wenn er so ernst zu uns redete, schauten wir mit einer wahren Ehrfurcht zu ihm auf, und so jung ich damals noch war, begriff ich doch seine reine, edle Gesinnung.

Ich muss da kurz etwas erzählen, was sich den Sommer vorher zugetragen hatte, und ich gedenke dabei noch heute dankbar unseres gutherzigen Júlli.

Wir Kinder hatten einmal mit riesiger Mühe und Ausdauer einen kleinen Bergbach von seinem gewohnten Laufe abgedämmt und das Wasser zu einer Senkung im Erdboden geleitet.

Der Einfall war uns gekommen, als uns die Hausmutter, unsere Lehrerin, erzählte, wie König Cyrus Babylon einnahm.

Das machte er bekanntlich folgendermassen: Er leitete die Gewässer des Euphrat, der mitten durch die Stadt floss, von ihrem Laufe ab, und sein Heer konnte auf dem trockenen Bett des Flusses nachts in die Stadt eindringen.

Etwas ähnliches wollten wir auch tun.

Der Bach füllte die Vertiefung, und wir hatten uns so einen kleinen Teich, ein Schwimmbassin geschaffen.

An einem warmen Tage nun fiel es uns ein, in dem Wasser zu baden.

Wie wir gerade von der Sache sprachen, kam Júlli zu uns.

Da er hörte, worum sich das Gespräch drehte, riet er uns, das Baden sein zu lassen. Wir könnten uns leicht erkälten, sagte er. Auch war das Wasser stellenweis so tief, dass man keinen Grund finden konnte.

Und dann, meinte er, würden die Eltern nicht damit einverstanden sein.

Diesmal folgten wir Knaben seinem Rate nicht, und es wurde wirklich in dem kalten, tiefen Wasser gebadet.

Ganz blau vor Kälte stiegen wir bald wieder heraus.

Während wir uns ankleideten, kam ein kleiner Knabe vom Hofe her zu uns gelaufen.

Er brachte uns die Meldung, dass man uns gesehen habe, und der Hausherr habe gesagt, wir sollten gleich alle heimkommen auf sein Zimmer.

Uns wurde angst und bang; denn was jetzt folgen würde, das konnten wir uns denken: nichts anderes als die für alle Kinder so fürchterliche Rute! — Ja, es war gewiss die Rute, die uns daheim erwartete!

O hätten wir doch nicht gebadet! Hätten wir doch Júllis guten Rat befolgt und wären wir nicht in das kalte Wasser gegangen!

So machten wir uns jetzt Vorwürfe.

Mit Tränen in den Augen zogen wir uns vollends an und wollten dann heimgehen.

Da kam wie ein rettender Engel Júlli wieder zu uns.

Unvergesslich ist mir sein Benehmen bei dieser Gelegenheit geblieben.

Er schalt nicht mit uns, sondern warf uns stillschweigend einen ernsten, aber zugleich so innig teilnehmenden Blick zu, dass es uns sofort klar wurde, er wolle uns vor der gefürchteten Strafe retten.

Darauf sagte er bloss:

„Kinder, ich werde mit euch gehen!“

Nun trottete die ganze kleine Truppe dem Hofe zu, die Kleinsten ihre Augen mit den Knöcheln der Hände reibend, wie weinende Kinder zu tun pflegen.

Langsam gingen wir hinein ins Haus durch die langen, winkligen Gänge.

Dann mussten wir durch die grosse Stube, wo die Leute beisammen sassen.

Wir schämten uns unsäglich. Alle sahen stumm und ernst auf uns hin.

Endlich kamen wir zum Zimmer des Hausherrn.

Júlli klopfte.

„Herein!“ rief es von innen.

Júlli öffnete die Tür und schob uns sachte hinein, während er mit der linken Hand den Türgriff festhielt.

Er ging zuletzt hinein und schloss die Tür.

Der Hausvater, der an seinem Tische sass, drehte sich jetzt zu uns und sah einen Augenblick auf die vielen Sünder, welche dastanden und vor Angst zitterten.

Dann begann er ernsthaft, aber ruhig:

„Wer hat euch die Erlaubnis gegeben, da oben am Bache zu baden?“

„Niemand“, antwortete in weinerlichem Tone die kleine Heldenschar, die eben noch so mutig in dem kalten Wasser geplätschert hatte.

„So — und wer war der erste und hat die andern dazu verleitet?“ lautete die weitere Frage.

„Das — das — war ich —“, schluchzten zwei oder drei von den Älteren unter uns.

Kaum aber hatten sie dies ehrliche Bekenntnis abgelegt, da trat auch schon Júlli einen Schritt vor und sagte:

„Der eigentlich Schuldige bin ich. Ich war nämlich mit den Kindern zusammen und hätte sie am Baden hindern sollen, habe es aber leider nicht getan.“

Das sagte er sehr bestimmt, aber zugleich äusserst bescheiden und mit gesenktem Blick. Drauf schwieg er und blieb ruhig stehen.

Der Hausvater sass nun einige Zeit da und sah sinnend vor sich hin, als ob er nicht recht wüsste, was er tun sollte.

Wir Kinder fingen laut zu weinen an, diesmal weniger aus Furcht vor der Rute, als weil wir uns schämten, dass ein Unschuldiger so edelmütig die ganze Verantwortung auf sich nehmen wollte.

Endlich nahm der kleine Waldi, gewiss der ritterlichste von uns allen, das Wort und stammelte weinend vor sich hin:

„Nein, Vater, Júlli ist nicht schuldig. Er hat uns sogar davon abgeraten, ins Wasser zu gehen.“

„Ja“, fiel Júlli ein und legte sanft die Hand auf Waldis Schulter, „ich sagte aber, ich hätte es verhindern sollen, und deshalb bin ich ebenso schuldig wie ihr.“

Jetzt machte der Hausvater der Verhandlung ein Ende.

„Gut, Kinder!“ sagte er, „diesmal will ich es euch noch ungestraft hingehen lassen, in Zukunft aber gibt’s das nicht mehr! — Und immer vorher fragen, verstanden!“

Die letzten Worte betonte er ganz besonders.

Wir trockneten unsere Tränen, verliessen das Zimmer, sprachen Júlli unsern innigsten Dank für seine Güte aus, und in unglaublich kurzer Zeit kehrten Freude und Sonnenschein wieder in unsere jungen Kinderherzen zurück.

*

Eines Abends waren wir wieder draussen in der Spanischen Hütte.

Wir spielten eben Versteck zwischen den Schafen und waren über die Massen lustig und vergnügt.

Da mitten in unserem grössten Eifer ruft Júlli durch den Stall:

„Horcht, Kinder! seid einmal still!“

Wir schauten auf und spitzten die Ohren.

Auch die Schafe hörten auf zu blöken, standen still und blickten neugierig um sich.

Was mochte das sein? ...

Ein gewaltiger Wind heulte um den Stall und rüttelte und zerrte an den Wänden, dass sie ächzten und wankten.

„Es ist Hláka (Tauwetter)“, sagte Júlli; „morgen werden alle Schafe ausgetrieben.“

„Ha! morgen werden die Schafe ausgetrieben!“ wiederholten wir alle zusammen und liefen zu Júlli hin und hüpften vor Freude um ihn herum.

„Da dürfen wir aber auch mit, Júlli, nicht wahr?“

„Gewiss, ihr dürft auch mit; aber ihr müsst eure Lederstrümpfe anziehen, denn sonst bekommt ihr nasse Füsse, und das will die Mutter nicht haben. Bis morgen gibt es viel Schneewasser.“

„In den meinigen sind aber Löcher!“ sagte der kleine Stebbi betrübt.

„O, das macht nichts, Stebbi“, tröstete ihn Júlli; „Gunna flickt dir deine Strümpfe heute abend noch, und dann kannst du auch mit.“

„Ja, ja, Stebbi“, erklärte die gute Gunna sich bereit, „ich flicke dir die Strümpfe gleich, wenn wir heimkommen.“

Stebbi ward ganz glückselig, man sah es ihm an. Er nahm Gunna bei der Hand und konnte es nun gar nicht mehr erwarten, bis wir heimgingen. —

Draussen raste noch immer der Wind, und es war schon ganz Nacht geworden.

Júlli holte die Laterne, wir machten uns auf den Weg.

Bei dem heftigen Wind ging aber bald das Licht aus. Júlli musste den Jüngsten von uns auf die Schultern nehmen und ihn auf dem ganzen Heimweg tragen.

Mit Mühe erreichten wir den Hof.

Dann aber wurden schnell die Lederstrümpfe nachgesehen, geflickt und bei unsern Betten zurecht gelegt.

Nach einem kurzen Nachtgebet gingen wir schlafen.

Als wir des Morgens erwachten, hatte der warme Südwind Schnee und Eis von den Bergen, Hügeln und Klüften fortgeleckt; die Schafherden konnten hinausgetrieben werden.

Auf Island geschieht das allenthalben. Sobald der Schnee durch plötzliches Tauwetter schwindet, zieht von jedem Hof der Hirt mit seiner Herde auf die Weide, ob sie auch mager ist in solcher Jahreszeit. Der Bauer wartet sehnsüchtig darauf, denn bei 500—600 Schafen schmilzt der Heuvorrat während der langen Dauer des Frostes gar schnell zusammen.

Für die Kinder aber ist es eine helle Freude, wenn es mit den Schafen das erste Mal wieder hinaufgeht auf die Berge.

Rascher als sonst tranken wir an jenem Morgen unsern Kaffee, den man in Island sozusagen als Vorfrühstück ans Bett bekommt, und dann standen wir eiligst auf.

Zum Ankleiden war alles hergerichtet, was wir brauchten.

Über die Wollstrümpfe zogen wir ein Paar andere von Schaffell. Die reichten ganz hinauf bis zu den Knien und wurden um die Waden geschnürt.

Statt der schweren Schaftstiefel, in denen man nicht so gut springen kann, nahmen wir die leichten Schaflederschuhe und banden sie fest zu, damit das Wasser nicht durchdringe.

So waren wir gegen die Nässe geschützt und konnten laufen und springen, als hätten wir nichts an den Füssen gehabt.

Nachdem wir dann gefrühstückt, gingen wir hinaus und begleiteten die Hirten, welche bald die Schafe aus den warmen Ställen hinauszutreiben begannen.

All die verschiedenen Herden wurden zu einer einzigen grossen vereinigt und den Berg hinangetrieben, eine kleine halbe Stunde vom Hofe entfernt.

Dort waren die Halden ganz frei von Schnee, und das kurze, grüne Gras sah recht saftig aus und appetitlich für die Tiere.

Wir gingen natürlich mit unsern Lieblingsschafen von der Spanischen Hütte. Die kleine Dúfa lief gleich zu uns her und wollte nur in unserer Gesellschaft sein.

Als die einzelnen Schafherden zusammenkamen, begann ein allgemeines Blöken, so stark, dass wir einander kaum noch sprechen hörten.

Vielen von den Tieren schien es zu gefallen, dass sie zu denen von den andern Ställen kommen und mit ihnen bekannt werden durften.

Einige jedoch zeigten sich sehr streitsüchtig und griffen ihre fremden Kameraden an.

So wurden unterwegs mehrere Zweikämpfe ausgefochten.

Die Kämpfenden stellten sich einander gegenüber ungefähr wie zwei Hähne.

Dann gingen sie ein paar Schritte zurück, senkten die Hörner1 und rannten wütend aufeinander los.

Kopf stiess gegen Kopf mit solcher Wucht, dass man hätte glauben mögen. Köpfe und Hörner müssten zerbrechen.

So machten sie es drei-, viermal.

Einer dieser Kämpfe endete damit, dass der Besiegte wie tot niederfiel. Es war jedoch nur eine vorübergehende Ohnmacht. Er erhob sich bald wieder und lief munter hintendrein. Als wir nachher auf dem Weideplatz anlangten, mischte er sich friedlich unter die andern.

Die Schafe wurden jetzt sich selbst überlassen.

Von Dúfa nahmen wir besondern Abschied. Wir streichelten sie zärtlich und sprachen in kindlicher Art zu ihr, sie solle sich von den schlechten Kameraden fernhalten, denn die würden ja nur raufen und sie quälen.

Dann gingen wir mit den Hirten und den vielen Schäferhunden heimwärts.

Dúfa schaute uns wie verlassen noch lange nach. — Sie hatte uns wohl lieber als die eigenen Kameraden.

Die andern Schafe grasten bereits alle in voller Gier.

Die Herde sollte nun bis zum Nachmittag draussen bleiben auf der Weide und dann wieder in die Ställe heimgeholt werden.

Allein es kam anders.

3. Der Schneeorkan.

Auf Island ändert sich das Wetter, namentlich im Winter, oft unglaublich schnell und stark.

Selten aber habe ich dort ein so erschütterndes Schauspiel der Natur erlebt wie an jenem Tage, da wir so glücklich und friedlich zum erstenmal mit der Herde ausgezogen waren.

Wir sassen nach dem Mittagessen beisammen in der Wohnstube.

Auf einmal wurde es ganz eigenartig still ums Haus. Der Wind hörte auf, und in wenigen Minuten verfinsterte sich der Himmel.

Es wurde unheimlich.

Die Leute sprangen erregt von ihren Plätzen auf, ein Knabe lief hinaus vor den Hof.

Kaum dass er fort war, kam er schon wieder hereingestürmt und schrie laut in die Stube:

„Stórhríð! Es kommt Stórhríð!“2

„Du guter Gott!“ hörte ich eine Magd rufen, „dann ist es zu spät!“...

Die Hirten und Knechte hatten inzwischen die Winterjacken angelegt und die Schneekappen über den Kopf gezogen.

Jetzt stürzten sie alle hinaus, wir Kinder natürlich hinterher.

Einen Augenblick blieben wir stehen und sahen in die Ferne.

Schwarzgraue Wolken bedeckten den ganzen Himmel. Es war kein Zweifel mehr: ein furchtbarer Schneesturm, eine eigentliche Stórhríð war im Anzug.

Júlli betrachtete den Himmel genau. Plötzlich rief er:

„Seht, wie die Wolken heranjagen! Macht schnell, wir müssen fort! Die Herde muss gerettet werden! Der Schneefall kann jede Minute beginnen.“

Der Hausherr mit sorgenvoller Miene stand daneben.

„Wagt es lieber nicht“, sagte er mit beklommener Stimme; „die Gefahr ist allzu gross. Wir müssen die Schafe ihrem Schicksal überlassen.“

Júlli aber erklärte bestimmt:

„Wenn keiner mit mir geht, dann gehe ich allein.“

„Er ist feigur“3, flüsterte eine von den Mägden.

„Er weiss nicht, was er redet, er wird von seinem Schicksal getrieben“, sagten andere.

Der arme Junge! Ja, er war feigur!

Júlli besann sich nicht mehr lange. Er nahm einen langen Stab, der an dem einen Ende eine starke Eisenspitze hatte, und ohne ein Wort zu sagen, eilte er mit zwei kräftigen Hunden von dannen.

Er wandte sich aber noch einmal um und rief uns einen ganz kurzen Vers zu des Inhalts: wo viel auf dem Spiel stehe, da müsse auch viel gewagt werden.

Der gute, arme Júlli! Es sollte der letzte seiner vielen Verse sein, die er in diesem Leben gedichtet hat.

Ich sah ihm gerade ins Gesicht. Seine Wangen waren rot, seine Augen leuchteten in eigentümlichem Glanze.

Jetzt glaubte auch ich, dass er feigur war.

Als er seinen Spruch gesagt hatte, lief er, so schnell er konnte, fort in der Richtung nach dem Berge.

Drei Hirten und einige Hunde folgten ihm nach.

„Gott sei ihnen gnädig!“ sagten die Frauen und wischten sich mit dem Schürzenzipfel Tränen aus den Augen.

Sonst wurde kaum ein Wort gesprochen.

Schweigend ging man wieder in die Stube.

Einen von den Älteren hörte ich dort sagen:

„Das war Wahnsinn, bei diesem Wetter sich vom Hofe zu entfernen. Sie werden ganz gewiss eingeschneit und frieren sich zuschanden, wenn sie überhaupt mit dem Leben davonkommen.“

„Ja, ja“, fügte nachdenklich ein anderer hinzu, „sie hätten hier bleiben sollen; da droben werden sie ein kaltes Grab finden.“

Der Hausherr war sehr ernst und niedergeschlagen. Ehe er es hatte verhindern können, waren die mutigen Hirten fort, und er hatte jetzt wohl grosse Sorge um sie. —

Eine bange Viertelstunde verstrich.

Dann aber brach der Orkan los mit fürchterlicher Gewalt.

Die Schneemassen schlugen, vom Winde geworfen, mit solcher Wucht auf die Dächer, dass man es im ganzen Hause poltern und krachen hörte.

Ich lief unter die Haustür und starrte hinaus.

Welch ein Anblick!

Man sah weder Erde noch Himmel noch Luft.

Millionen von Schneeflocken wirbelten wie rasend durcheinander. Sie fielen fort und fort hernieder, stets gejagt von neuen Millionen: ein zahlloses Heer beschwingter Eiskristalle, die gekommen schienen, um die Erde zu überfallen und alles unter ihren mächtigen Massen zu begraben, Menschen und Tiere, Häuser und Höhen, Felsen und Klüfte. Nichts konnte ihnen widerstehen.

Wer jetzt draussen war im Freien, der war ihnen wehrund rettungslos ausgeliefert. Man musste sich lebendig begraben lassen und warten, bis der wilde Angriff aufhörte.

Selbst in den Häusern wurde es unheimlich.

Die Haustüren mussten geschlossen werden, damit es den Schnee nicht hereinwerfe und die Gänge verschneie.

Drinnen in der Stube versammelten sich die Leute. Niemand sprach ein Wort; alle waren wie gebannt von der unendlichen Macht der entfesselten Naturkräfte.

In wenigen Augenblicken ward es stockfinster, denn alle Fenster waren im Nu mit einer dicken Lage Schnee bedeckt. Man musste die Lichter anzünden.

Auf allen Gesichtern ruhte tiefer Ernst.

Auch ich sann still und stumm vor mich hin. Meine Gedanken aber weilten draussen auf dem Berge.

Wie wird es den vier Hirten gehen? dachte ich. Und mein lieber, guter Júlli! Er lag jetzt irgendwo tief unter dem Schnee. O, wenn er nur am Leben bliebe!

Mir wurde so weh in der Brust, dass ich hätte weinen mögen.

Und dann all die vielen Schafe, besonders die arme, kleine Dúfa, auch sie litten dasselbe Schicksal.