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Nichts behindert sozialen Aufstieg so sehr wie mangelnde Sprachkenntnisse. Und kaum etwas hängt so eindeutig mit späterem Erfolg zusammen wie ein großer Wortschatz in frühen Jahren. Wie aber gedeiht Sprache am besten? Die großen Themen der Zeit sind manchmal kompliziert. Aber oft genügt schon eine ausführliche und gut recherchierte GEO-Reportage, um sich wieder auf die Höhe der Diskussion zu bringen. Für die Reihe der GEO-eBook-Singles hat die Redaktion solche Einzeltexte als pure Lesestücke ausgewählt. Sie waren vormals Titelgeschichten oder große Reportagen in GEO.
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Seitenzahl: 23
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Herausgeber:
GEO
Die Welt mit anderen Augen sehen
Gruner + Jahr GmbH & Co KG,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
www.geo.de/ebooks
Die Macht der Wörter
Von Sebastian Kretz
Zusatzinfos
Sprachtheorien und Spracherwerb
Sprachförderung
Fremdspracherwerb
Nichts behindert sozialen Aufstieg so sehr wie mangelnde Sprachkenntnisse. Und kaum etwas hängt so eindeutig mit späterem Erfolg zusammen wie ein großer Wortschatz in frühen Jahren. Wie aber gedeiht Sprache am besten?
Von Sebastian Kretz
„Da-Deng!“, sagt mein Sohn, wenn er dringend eine Banane braucht. „Da-Deng“ sagt er, wenn auf dem Dach gegenüber eine Krähe landet. „Da-Deng“ heißen ferner Omnibusse, Trinkgläser und Smartphones. Sein übriger Wortschatz umfasst die Worte Wawa, Wüwü, Mama und Baba. Sogar mir als stolzem Vater kommt das überschaubar vor.
Aber das gilt nur aus der Sicht eines Erwachsenen. Denn in den 15 Monaten, die seit seiner Geburt vergangen sind, hat er Wundersames geleistet: Scheinbar ohne jegliches Wissen darüber, was Sprache ist, wozu sie dient und welchen Gesetzen sie folgt, hat er einen Schwall von Lauten sortiert und Regelmäßigkeiten erkannt.
Zu dem zweibeinigen Wesen, das ihn mit Milch versorgt, gehört die Lautfolge Ma-ma, während bellende Geschöpfe mit Fell eher als Wa-wa bezeichnet werden. Er hat über hundert Muskeln in Mund, Rachen und Atemwegen durch beständiges Brabbeln darauf trainiert zusammenzuarbeiten, bis sie auf seinen Wunsch hin ein M formen oder ein W.
Er hat sich, ohne auch nur bewusst zu ahnen, was Artikel, Nomina, Fälle sind, die Grundzüge der deutschen Sprache angeeignet: ihre Laute, die Melodie ihrer Sätze. Schon wenige Wochen nach der Geburt war er in der Lage, einen korrekt gebildeten Satz von sinnlosem Wortwirrwarr zu unterscheiden.
In wenigen Monaten wird mein Sohn seinen Vokabelspurt beginnen. Dann lernt er täglich bis zu zehn neue Begriffe – ganz ohne Lehrbuch und Hausaufgaben. In einigen Jahren wird er wie selbstverständlich wissen, dass es „das Ding“ heißt, aber „der Hund“. Eines Tages wird er in seinen Bewerbungen schreiben, Deutsch sei seine Muttersprache.
Wie geht das? Wie gelingt es ihm, sich eine Sprache wie das Deutsche anzueignen, ohne über das mächtigste Werkzeug zur Vermittlung von Wissen zu verfügen – die Sprache selbst? Und wieso schafft es ein Menschenkind, anders als jedes andere Geschöpf auf Erden, mühelos eine so komplexe Kommunikationsform zu erlernen wie die menschliche Sprache? Die laut dem Humanisten und Sprachphilosophen Wilhelm von Humboldt sogar derart zum Wesen des Menschen gehört, dass der Mensch erst zum Menschen wird durch Sprache?
Ohne die Zuwendung der wichtigsten Bezugspersonen – also meist der Eltern – findet kein Kind zur Sprache
Lange schon streitet die Wissenschaft