Spurensucher -  - E-Book

Spurensucher E-Book

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Beschreibung

Projektarbeit an Schulen bietet einzigartige Chancen für einen lebendigen Unterricht des Faches Geschichte. Schülerinnen und Schüler können authentische Orte erforschen, mit Zeitzeugen sprechen und das historische Geschehen unmittelbar nachvollziehen. Dafür bedarf es aber immer wieder der methodischen Unterstützung und Anregung. Der »Spurensucher« liefert hierzu sowohl Grundlagen als auch zahlreiche Anregungen und Beispiele, die den Unterricht bereichern und außerschulische Projekte methodisch verankern. Er folgt dem bewährten Aufbau eines historischen Projekts - von der Fragestellung über die Projektdurchführung bis hin zur Präsentation. Die Autorinnen und Autoren stammen aus dem Umfeld des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten, der über den Erfahrungsschatz von über 22000 Projekten in seiner 40-jährigen Geschichte verfügt. Ein unverzichtbares Hand- und Arbeitsbuch für alle Lehrerinnen und Lehrer, eine Ideenbörse für die lokalhistorische Projektarbeit.

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Vorwort

Projektarbeit ist als Lernform in Unterricht und Schule längst anerkannt. Während noch bis vor wenigen Jahren intensiv darum gerungen wurde, ob es sich bei diesem anspruchsvollen didaktischen Konzept um den Königsweg oder letztlich um eine unerreichbare Utopie handelt, wird diese Debatte heute nur noch selten geführt. Gleichwohl zeigt sich in der schulischen Praxis, dass Projektarbeit eher Ausnahme als Regel ist. Der Grund dafür ist nicht zuletzt, dass Projektarbeit kein Selbstgänger ist. Sie braucht Unterstützung, Erfahrungswissen und gute Beispiele, lebt von Anregungen und der Überwindung von Stolperfallen.

Den bundesweit wohl größten Erfahrungsschatz für die Leistungsfähigkeit wie auch die Grenzen historischer Projektarbeit versammelt der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, den die Körber-Stiftung seit 1973 durchführt. Seither haben sich über 130.000 junge Menschen daran beteiligt und mehr als 28.000 historische Projekte vor Ort durchgeführt. Alle zwei Jahre gilt es, zu einem Rahmenthema ein lokales Beispiel zu suchen und über ein halbes Jahr hinweg zu erforschen. Der Wettbewerb ist in den mehr als vier Jahrzehnten seines Bestehens zu dem wohl wichtigsten Labor für die Erprobung verschiedener Wege des projektförmigen Lernens, Entdeckens und Forschens geworden. Rund um ihn herum ist dabei ein lebendiges und weitverzweigtes Netzwerk von Experten und Praktikern der schulischen und außerschulischen Bildung entstanden, die seine Methodik immer wieder auf den Prüfstand stellen und aus der Praxis heraus weiterentwickeln.

Die Erfahrungen des Netzwerks sind erstmals 1997 in den »Spurensucher« eingeflossen, der die Grundtechniken historischen Arbeitens übersichtlich und praxisnah vermittelte und seither mehrfach aufgelegt wurde. Nun liegt der »Spurensucher« in einer vollständig neuen Überarbeitung vor. Ziel war es nicht nur, ihn zu aktualisieren, sondern die Praxisanteile weiter zu vergrößern und den Charakter als wettbewerbsbegleitendes Handbuch mit zahlreichen Tipps und Hinweisen für die Projektarbeit zu stärken. Der Aufbau des Bandes folgt dem klassischen Gang eines lokalhistorischen Forschungsprojektes: von der Themenfindung und Projektplanung über die Techniken der Recherche, der Materialauswertung und Deutung bis hin zu verschiedenen Formen der Ergebnispräsentation. Ein eigenes Kapitel zu den Wettbewerbserfahrungen in unterschiedlichen Schulformen, zur Sicht der Tutoren, der Teilnehmer und der Wettbewerbsorganisatoren ergänzt die Methodenbeiträge.

Das Handbuch fasst das Wissen und die Erfahrungen vieler Menschen zusammen, die sich seit Jahren mit der lokalhistorischen Projektarbeit befassen. Die meisten von ihnen sind Tutoren oder Juroren des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten. Von ihrer Expertise, ihren Erfahrungen und ihrem Engagement lebt und profitiert nicht nur der Wettbewerb, sondern in hohem Maße auch dieses Handbuch. Ihnen allen gilt daher unser besonderer Dank ebenso wie Professor Michael Sauer, der ohne zu zögern die Herausgeberschaft übernommen, und Jörg Peter Müller, der die Redaktion und das Lektorat besorgt hat.

Hamburg, im August 2014Sven Tetzlaff

Projekte und Projektarbeit in Geschichte

von Michael Sauer

Definition und historischer Hintergrund

Ein Projekt ist eine Arbeitsform, in der Schülerinnen und Schüler möglichst eigenständig ein Thema bearbeiten – von der Formulierung einer Fragestellung bis zur Präsentation der Ergebnisse. Auf diese Minimaldefinition wird man sich über unterschiedliche Ansätze und Fächer hinweg rasch verständigen können. Darüber hinaus freilich gibt es eine Vielzahl konzeptioneller Unterschiede. Das signalisieren schon die verschiedenen Begriffe, die nebeneinander und zumeist ohne klare Abgrenzung Verwendung finden: Projekt, Projektunterricht, Projektarbeit, Projektmethode, Projektgedanke oder Projektorientierung.

Die ursprüngliche gesellschaftspolitische Implikation des Projektgedankens wird heute bei der Umsetzung kaum noch mitgedacht. John Dewey und William Kilpatrick, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Projektgedanken im Feld der Pädagogik entwickelten, wollten damit auf die gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen der Zeit reagieren. Dementsprechend sollte in einem Projekt ein reales, lebensweltliches Problem von gesellschaftlicher Relevanz mit dem Anspruch auf Lösung bearbeitet werden. Heute steht zumeist der methodische Aspekt des selbst gesteuerten, handlungsorientierten, entdeckenden oder forschenden Lernens im schulischen Kontext im Vordergrund, wie ihn der Begriff »Projektmethode« akzentuiert. Der Begriff »Projektarbeit« geht in dieselbe Richtung, weist aber zugleich darauf hin, dass Projekte auch in außerschulischen Kontexten praktiziert werden, etwa in der Jugend- und Erwachsenenarbeit von Kirchen und Verbänden. Der Begriff »Projektunterricht« dagegen bildet in gewisser Weise einen Widerspruch in sich selbst, da »Unterricht« ja gerade die übliche lehrgangsförmige, von der Lehrkraft angeleitete Lernform bezeichnet. Der Begriff »Projektorientierung« schließlich enthält eine Relativierung: Er lässt deutlich werden, dass wir es im schulischen Kontext meist mit Vorhaben zu tun haben, bei denen der ursprüngliche Projektgedanke nicht in allen seinen Aspekten realisiert wird.

Auseinandersetzungen über die Definition des »richtigen« Projektbegriffs und der Rückbezug auf historische Gewährsleute sind für den heutigen Umgang mit dem Thema nicht sonderlich ertragreich. Es ist auch wenig sinnvoll, von einem sehr weitreichenden, gewissermaßen radikalen Projektbegriff auszugehen, der mit dem herkömmlichen Konzept von Schule und Unterricht gar nicht zu vereinbaren ist. In der Regel werden Projekte heutzutage nicht als grundsätzliche Alternative zum institutionalisierten lehrgangsförmigen Lernen aufgefasst, sondern als Ergänzung, die sich durchaus auch im Rahmen der Institution Schule realisieren lässt. Jürgen Oelkers hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass sich die ursprünglich angelegte konträre Gegenüberstellung von Schulunterricht und Projekt historisch überlebt hat; denn heutiger Unterricht hat sich weit von jener Art der Unterweisung entfernt, gegen die sich der Projektgedanke bei seiner Entstehung im reformpädagogischen Kontext wendete (vgl. Oelkers 1999, S. 27). Im Hinblick auf praktische Umsetzung dürfte es deshalb am ertragreichsten sein, von einem flexibleren, variantenreichen Projektbegriff auszugehen, der sich den jeweiligen Bedingungen, Möglichkeiten und Zielsetzungen vor Ort anschmiegt.

Voraussetzungen und Potenziale

Dennoch: Zwischen den Zielen, Bedingungen und Notwendigkeiten des üblichen schulischen, lehrgangsförmigen Fachunterrichts und dem Projekt besteht zunächst einmal ein Gegensatz. Der Unterricht denkt vom Fach, seinen Inhalten und Methoden her; er dient der systematischen und methodisch kontrollierten Vermittlung von als gesellschaftlich relevant angesehenen Kenntnissen und Fertigkeiten. Das Projekt definiert sich von einer Aufgabe her, zu deren Bewältigung man sich – der Idee nach eigentlich unabhängig von Fächern – der gerade passenden und hilfreichen Verfahren bedient. Und das Projekt verlangt eine längerfristige und kontinuierliche Beschäftigung mit dieser Aufgabe, die die übliche Organisationsform der Schule eigentlich nicht zulässt.

Im Vergleich der beiden Ansätze wird dem Unterricht (und insbesondere dem Fachunterricht) oftmals vorgeworfen, dass er komplexen Problem- und Lebenszusammenhängen nicht gerecht werde. Er nehme sie nur partiell und aus einer Perspektive wahr, sie verlangten aber einen weiteren und offeneren Zugang. Zudem sei der Zuschnitt der Schulfächer oft nur eine Sache der Tradition und der Konvention oder aber zu sehr an den Fachwissenschaften orientiert. Daraus folgt dann die Forderung nach projektförmigen und/oder fächerübergreifenden Vorgehensweisen. Freilich werden hier Fächer allzu statisch gesehen. Sie definieren sich ja nicht einfach nur über spezifische Gegenstandsbereiche, sondern repräsentieren jeweils bestimmte Denk- und Arbeitsweisen. Wollte man auf diese spezifischen Zugänge verzichten, bedeutete dies einen Verlust an Kompetenzen, auf denen überhaupt erst nicht fachbezogene Vorhaben aufbauen können.

Was sind unter diesen Voraussetzungen die Potenziale von Projekten – allgemein und speziell im Bereich Geschichte?

Der Projektgedanke korrespondiert mit dem heute in der Pädagogik und der pädagogischen Psychologie vorherrschenden konstruktivistischen Ansatz. Lernen wird dort nicht als bloße (passive) Aufnahme von Wissen betrachtet, sondern als aktiver, gestaltender Prozess, in dem der Lernende das zu Lernende auf der Basis von Vorwissen und Vorerfahrungen jeweils individuell »konstruiert«. Projekte können einen Rahmen bieten, in dem sich Lernen in dieser Weise besonders gut entfalten kann.

Schülerinnen und Schüler können im Rahmen von Projekten vielfältige Kompetenzen erwerben. Üblicherweise werden hier vor allem allgemeine Kompetenzen ins Feld geführt: »Planungs-, Entscheidungs-, Rollen-, Problemlöse-, Forschungs-, Konfliktlösungs- und Organisationskompetenz« (Emer 3. Aufl. 2011, S. 549). Freilich hat sich die Kompetenzdebatte in den vergangenen zehn Jahren vor allem mit fachspezifischen Kompetenzen beschäftigt, von denen her die Ziele und die Qualität des Fachunterrichts begründet und beschrieben werden sollen. Dass Projekte hier eine besondere Nähe zum Fach Geschichte aufweisen, wird deutlich, wenn man die fachüblichen Stundenverlaufsmodelle oder Artikulationsschemata betrachtet. Ihnen liegt das Konzept zugrunde, dass Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht – in stark reduzierter Form – den Prozess historischer Forschung und Erkenntnisgewinnung nachvollziehen können. Abgebildet wird dieser Prozess in dem klassischen Dreischritt, dessen einzelne Schritte allgemeindidaktisch üblicherweise als Einstieg – Erarbeitung – Sicherung und fachdidaktisch als (Historische) Fragestellung – Untersuchung – Erklärung benannt werden. Im Unterricht wird die historische Frage in der Regel von der Lehrkraft aufgeworfen oder geht aus einem von ihr vorgenommenen Arrangement hervor. Anschließend arbeiten die Schülerinnen und Schüler mit Materialien, die die Lehrkraft für sie gezielt zusammengestellt hat. Die Sicherung soll zwar von den Schülerinnen und Schülern geleistet werden, das Format dafür aber ist wiederum von der Lehrkraft vorgedacht.

Im Projekt nun wird (jedenfalls der Idee nach) jeder dieser Arbeitsschritte von den Schülerinnen und Schülern selbstständig(er) realisiert: Sie werfen von sich aus eine einschlägige Frage auf und formulieren gegebenenfalls erste Antwortmöglichkeiten, Erklärungsvorschläge, eine Hypothese. In der Untersuchung arbeiten sie nicht mit vorgegebenen Materialien, sondern finden diese selbst und werten sie selbstständig und methodenbewusst aus. Im dritten Schritt formulieren die Schülerinnen und Schüler Antworten auf ihre Ausgangsfrage oder modifizieren geäußerte Vermutungen, sie stellen abschließend ihre Ergebnisse in geeigneter Form dar. Es lässt sich leicht erkennen, dass die Idee der fachspezifischen Untersuchung unmittelbar mit dem Projektkonzept korrespondiert: »Projektarbeit (…) ist für das Fach Geschichte kein aufgesetztes modernistisches Konzept, sondern hat eine besondere Affinität zu den Zielen und Methoden des Faches.« (Adamski 2006, S. 2)

Unterricht und Projekt sind also hier vom Konzept her zunächst in gleicher Weise gedacht. Allerdings lässt sich die Idee der Untersuchung im Unterricht in aller Regel nur so realisieren, dass ihr ein Arrangement der Lehrkraft zugrunde liegt. Man kann den Unterschied zwischen beidem mit den Begriffen »Entdeckendes Lernen« und »Forschendes Lernen« beschreiben: »Von dem weitergehenden Begriff des forschenden Lernens unterscheidet sich das entdeckende Lernen dadurch, dass es sich auf schon gewonnene Erkenntnisse und Wissensbestände bezieht, die die Lernenden aber selbständig aus ausgewählten, vorbereiteten und arrangierten Mitteln erschließen sollen. Während also das entdeckende Lernen in der Regel auf ein Nachentdecken ausgerichtet ist, kommt es beim forschenden Lernen zu Einsichten und Erkenntnissen, die bis dahin noch nicht bekannt waren.« (Henke-Bockschatz 3. Aufl. 2011, S. 15)

Forschendes Lernen in diesem Sinne kann in Projekten stattfinden. Natürlich wird es dabei nicht zu grundstürzend neuen historischen Einsichten kommen; aber Schülerinnen und Schüler arbeiten mit Quellen, die bislang noch nicht ausgewertet wurden oder die überhaupt erst von ihnen generiert werden (Zeitzeugenaussagen), und gelangen dabei zu eigenen, begrenzt neuen Befunden. Dabei müssen sie fachspezifische Methoden anwenden und können sie auf diese Weise trainieren und weiterentwickeln. Freilich können die Schülerinnen und Schüler die notwendigen Kompetenzen nicht erst in der Projektsituation selbst erwerben. Zumindest Grundlagen müssen vorhanden sein bzw. benötigte Kompetenzen müssen vorbereitend geübt werden. Aus fachspezifischer Sicht geht es dabei vor allem um das Formulieren von Fragen und Hypothesen, um die Quellenrecherche (wie arbeite ich in einem Archiv?), um den Umgang mit unterschiedlichen Quellengattungen (Texten, Bildern, evtl. auch Sachquellen), um Interviews mit Zeitzeugen und deren kritische Auswertung; dies alles soll dann münden in eine eigene, argumentativ plausible und beleggesättigte historische Darstellung und Deutung und deren adäquate Präsentation. Hier wird deutlich erkennbar: Je stärker kompetenz- und methodenorientiert der Geschichtsunterricht ohnehin ist, desto besser lassen sich Unterricht und Projektarbeit miteinander verknüpfen, desto günstiger sind die Voraussetzungen für Projekte und desto mehr profitiert umgekehrt wiederum von ihnen der normale Unterricht.

Speziell im Hinblick auf den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten fasst Detlef Siegfried die Potenziale der Projektarbeit so zusammen: »Die Erfahrungen des Schülerwettbewerbs haben gezeigt, dass die Arbeit an einem historischen Forschungsprojekt einen beträchtlichen Motivationsschub bewirkt, die Selbstständigkeit der Teilnehmer, methodisches Vorgehen und auch Lesebereitschaft beträchtlich fördern kann. Vor allem bietet es durch das Eintauchen in unbekannte historische Dimensionen Möglichkeiten zum Perspektivenwechsel, zur Infragestellung der eigenen Position und zur Erfahrung von Mehrdeutigkeiten, die im herkömmlichen Unterricht kaum zu machen sind. Diese Art der Erwerbung von historischer Kompetenz durch eigene Urteilsbildung ist einer der wesentlichen Effekte historischer Projektarbeit – nicht losgelöst, aber in einem richtigen Mischungsverhältnis zu traditionelleren Formen des Geschichtsunterrichts.« (Siegfried 2002, S. 41)

Freilich muss man wiederum einschränkend sagen, dass ein solcher Befund auf einer ausgesprochenen Positivauswahl von Erfahrungsdaten beruht. Das gilt auch für sonstige Praxisberichte, in denen in der Regel Erfolgsgeschichten erzählt werden – Negativberichte, darauf hat Meik Zülsdorf-Kersting zu Recht hingewiesen, werden in aller Regel nicht publiziert (Zülsdorf-Kersting 2012, S. 69). Tragfähige empirische Befunde zu den Erträgen von Projektarbeit liegen bislang offenbar nicht vor (nach Frey 2007, S. 175).

Hemmnisse und Probleme

Bodo von Borries hat vor mittlerweile 15 Jahren festgestellt, dass Projekte und offene Lernformen zwar auf große prinzipielle Zustimmung stoßen, aber letztlich selten realisiert werden (von Borries 1998, S. 277). Auch wenn dazu keine Erhebungen vorliegen, lässt sich vermuten, dass sich daran nichts Grundlegendes verändert hat. Abgesehen von den obligatorischen Projektwochen werden Projekte wohl vornehmlich von ausgesprochenen Projektfans umgesetzt, während ansonsten im Alltag eher die Skepsis überwiegt. Zwar werden mittlerweile in den meisten Geschichtscurricula der Bundesländer Projekte erwähnt und empfohlen, aber in aller Regel unverbindlich. In Hessen und Baden-Württemberg sind als Teil der Hauptschulabschlussprüfungen Projektprüfungen vorgesehen, die naturgemäß die Durchführung eines Projekts voraussetzen. Das Curriculum Berlin-Brandenburg schreibt in der Sekundarstufe I mindestens einmal im Halbjahr die Durchführung eines Projekts vor. Für die Sekundarstufe II sind die Hinweise in Schleswig-Holstein am detailliertesten, hier werden auch konkrete Vorschläge für Projektthemen und Präsentationsformate gemacht. Nordrhein-Westfalen räumt die Möglichkeit ein, die Facharbeit in Geschichte durch einen zweisemestrigen Projektkurs zu ersetzen.

Projekte fordern von allen Beteiligten einen erheblich höheren Zeit- und Arbeitsaufwand als normaler Unterricht. Für diese Investition muss es gute Gründe geben. Bereits genannt wurde der Erwerb fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Hinzu kommt die Motivation, die für die Beteiligten von einem solchen Vorhaben ausgehen kann – die aber dann auch intensiv und dauerhaft genug sein muss, um über die zahlreichen Stolpersteine, die es geben kann, hinwegzuhelfen. Projektarbeit braucht einen langen Atem.

Häufig wird auf den »Stoffzwang« verwiesen: Man müsse im Unterricht einen bestimmten »Stoff« abarbeiten und könne deswegen keine Zeit erübrigen. Dieses Argument ist nur bedingt plausibel. Die curricularen Vorgaben sind heutzutage – von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – weniger eng und bieten durchaus Auslegungsspielräume. Ausgeprägter sind die Zwänge allerdings in der Sekundarstufe II mit der Ausrichtung auf die Erfordernisse des (Zentral-)Abiturs.

Größere Zeitkontingente für die Durchführung von Projekten stehen im System Schule normalerweise nicht zur Verfügung. Innerhalb des obligatorischen Ein- oder Zweistundentaktes lassen sich allenfalls Miniprojekte realisieren. Genutzt werden können die mittlerweile üblichen Projektwochen, die aber ebenfalls klare zeitliche Vorgaben haben. Ansonsten muss man auf die unterrichtsfreie Zeit ausweichen, was im Gymnasium unter den Bedingungen des achtjährigen Durchgangs noch schwieriger geworden ist als früher.

Probleme kann für alle Beteiligten auch der Rollenwechsel bereiten, den Projektarbeit verlangt; die Lehrkraft muss loslassen, ihre Planungshoheit aufgeben und auch dabei zusehen können, wie Schülerinnen und Schüler Fehler begehen, aus denen sich vielleicht lernen lässt. Außerschulische Aktivitäten von Schülern oder Schülergruppen werfen unter Umständen aufsichtsrechtliche Fragen auf. Ein Problem stellt auch die Benotung dar, die nicht in der üblichen Weise individuell vorgenommen werden kann (dazu unten mehr).

Häufig ist mit Projekten die Hoffnung und Vermutung verbunden, ein anderes, ganzheitliches und handlungsorientiertes Lernen könne gerade auch kognitiv weniger leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern entgegenkommen. Freilich weisen die empirischen Befunde gerade umgekehrt darauf hin, dass von offeneren Arbeitsformen, angefangen bei der Gruppenarbeit, ohnehin leistungsstarke Schülerinnen und Schüler stärker profitieren. Deshalb besteht gerade bei Projekten die Gefahr, dass jüngere und weniger leistungsstarke Schülerinnen und Schüler überfordert werden, »und zwar nicht nur kognitiv, sondern auch emotional, moralisch und motivational, indem sie ihrer (noch) mangelnden Fähigkeit zur (Selbst-)Organisation und (Selbst-)Disziplinierung ›ausgeliefert‹ werden« (von Borries 1998, S. 301). Auch die notwendige Methodenkompetenz kann, wie schon erwähnt, nicht einfach vorausgesetzt, sondern muss zuvor erst erlernt werden. Ausgeglichen werden kann dies nur durch intensivere Vorbereitung und Begleitung, was dann wiederum zur Einschränkung des »reinen« Projektcharakters führen kann.

Dass die hohen Ansprüche von Projektarbeit eher von ohnehin leistungsfähigeren Schülerinnen und Schülern realisiert werden können, zeigen auch die Erfahrungen im Geschichtswettbewerb. Zwar hat er vom Konzept her immer auf eine Breitenwirkung über alle Altersstufen und Schulformen hinweg gesetzt; tatsächlich aber dominieren in der Beteiligung und bei den prämierten Leistungen Arbeiten aus dem Gymnasialbereich, und auch hier wiederum von solchen Schulen, in denen einzelne Tutorinnen und Tutoren besonders engagierte Betreuungsarbeit leisten: »Man kann auch von einem Elitenkonzept sprechen, jedenfalls ist der Anteil ausgesprochen guter und preisgekrönter Arbeiten von außerhalb des Gymnasiums immer ziemlich begrenzt und symbolisch geblieben. Wenn man auch Hauptschul- und Berufsschularbeiten gerecht bewerten und sie hoch prämieren will, müssen sich die Maßstäbe ändern: Soziale, handwerkliche und darstellerische Leistungen, soweit sie für solche Klassen ungewöhnlich sind, sind dann ganz hoch zu berücksichtigen (…).« (von Borries 2009, S. 134f.)

Merkmale von Projektarbeit

Die Merkmale von Projektarbeit werden in der Literatur im Detail unterschiedlich, aber im Kern weitgehend übereinstimmend beschrieben. Dieser Kern lässt sich folgendermaßen zusammenfassen (vgl. Gudjons 1984, S. 262–264, Emer 3. Aufl. 2011, S. 547f.):

Projekte greifen lebenswelt- und situationsbezogene Aufgaben und Probleme auf.Sie orientieren sich dabei an den Interessen und Erfahrungen der Beteiligten.Projektaufgaben sollen möglichst gesellschaftliche Relevanz haben; Ziel ist das Eingreifen und die Wirksamkeit in einer Ernstsituation.Schülerinnen und Schüler planen, organisieren und verantworten ihre Projektarbeit eigenständig und kooperativ. Die Lehrkraft gibt nach Bedarf Unterstützung.Es gibt keinen von außen definierten zeitlichen Rahmen, die Zeitplanung ergibt sich aus den Bedürfnissen des Projekts.Die methodischen Verfahren orientieren sich an der Aufgabenstellung. Nach Bedarf können Verfahren aus unterschiedlichen Fächern herangezogen werden. Fragestellung und Methoden können aber auch im Bereich eines Faches liegen.Projektarbeit sollte handlungsorientiert sein und nach Möglichkeit viele Sinne einbeziehen.Projektarbeit zielt auf die Erstellung eines sinnvollen und nützlichen Produkts, das auch nach außen präsentiert wird.Zur Projektarbeit gehört die Reflexion des Arbeits- und Kommunikationsprozesses durch die Projektteilnehmer.Der Wert der Projektarbeit liegt nicht nur im Ergebnis, sondern in der Gesamtheit des Arbeitsprozesses und seiner Reflexion.

Die Unterschiede zum üblichen lehrgangsförmigen Unterricht sind offenkundig (vgl. Barricelli 2008, S. 112):

Die Themenwahl orientiert sich nicht vorrangig am Curriculum.Der Zeitrahmen herkömmlichen Unterrichts wird gesprengt.Lern-, Kooperations- und Kommunikationsformen verändern sich.Die Arbeit findet vielfach an Orten außerhalb der Schule statt.Die Rollen von Schülerinnen und Schülern wie auch Lehrkräften verändern sich.

Die Rolle der Lehrkraft

Aufgabe der Lehrkraft ist die Begleitung und Beratung der Projektteilnehmerinnen. Dabei muss sie ihre Angebote klug dosieren: Mal gilt es, bei auftretenden Problemen Zurückhaltung zu üben, weil die Schülerinnen und Schüler selbst zu einer Lösung finden sollten; mal ist ein Impuls oder Ratschlag angebracht. Idealerweise sollten die Schülerinnen und Schüler bereits ihr Projektthema selbst finden. In der Realität ist dies sicherlich der Ausnahmefall. Bei der Themenwahl müssen bereits die Umsetzungsmöglichkeiten mitgedacht werden. Deshalb bedarf es der Absprache zwischen Lehrkraft und Projektteilnehmern. Und es ist sinnvoll, wenn die Lehrkraft auch eigene Vorschläge in der Hinterhand hat, die sie zur Wahl stellen und für die sie die Teilnehmerinnen motivieren kann. Beim Geschichtswettbewerb ist ja ohnehin das Rahmenthema vorgegeben, das es dann für die eigene Arbeit zu konkretisieren gilt. Dazu arbeiten auch teilweise Archivpädagogen in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung Themenvorschläge mit passenden Quellen aus.

Ein wichtiger Punkt für vorherige Klärung und Beratung durch die Lehrkraft ist die Frage nach der Durchführbarkeit des Projekts. Ist eine ausreichende Materialbasis mit vertretbarem Arbeitsaufwand zu beschaffen und zu bearbeiten? Oder ist umgekehrt das Material viel zu umfangreich und nicht zu bewältigen? Welche Kontakte und Besuche bei Institutionen, Experten oder Zeitzeugen sind notwendig? Lassen sie sich tatsächlich realisieren? Auch wenn zu einem Projekt eigentlich gehört, Irrwege und Fehler in Kauf zu nehmen und daraus zu lernen, muss die Gefahr des völligen Scheiterns vermieden werden. Sinnvoll kann es auch sein, dass die Lehrkraft überschaubare Materialien bereitstellt, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler überhaupt erst einmal ins Projekt starten können.

Den laufenden Arbeitsprozess gilt es, soweit das möglich ist, zu beobachten. Unterstützung kann bei inhaltlichen, forschungsmethodischen, aber auch kommunikativen Problemen gefragt sein. Reflexion und interne Evaluation des Projekts sollte vornehmlich in Eigenregie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer stattfinden; aber auch hier können Hilfestellungen und Anregungen notwendig sein. Eine genuine Aufgabe der Lehrkraft ist dann üblicherweise im schulischen Kontext die Bewertung der Projektarbeit.

Alle genannten Punkte zeigen: Die völlige Selbstständigkeit, wie sie der Projektidee prinzipiell zugrunde liegt, wird sich nur in den seltensten Fällen realisieren lassen. Die Maxime sollte lauten: so viel Selbstständigkeit wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig.

Phasen / Arbeitsschritte

In der vorliegenden Literatur werden die Arbeitsphasen von Projekten mit unterschiedlicher Differenziertheit beschrieben (besonders detailliert Frey 2007). Die folgenden Schritte bilden gewissermaßen ein Minimalprogramm:

Initiierung: Thema finden, Untersuchungsfrage formulierenPlanung: in Gruppen organisieren, Arbeitsaufgaben verteilen, Lernorte, Materialien, Methoden, Zeitplanung, Produkt / Präsentation, Adressaten klärenDurchführung: Materialien recherchieren und beschaffen, methodenorientiert untersuchen, Teilergebnisse festhalten und zusammenführen, Ergebnisse intern zusammenfassen, Arbeitsprozess dokumentieren (Projekttagebücher, Protokolle, Arbeitsberichte)Produkterstellung und Ergebnispräsentation: unterschiedliche Produkt- und Präsentationsformate mit verschiedenartiger Reichweite bzw. Adressatenschaft, z.B. Portfolio, Broschüre, Wandzeitung, Plakat, Ausstellung, Artikel für die Schul-Homepage, anderweitige Web-Präsentation, szenische Darstellung, Film, Leserbrief, Zeitungsartikel, Initiative zu Straßennamen oder Denkmälern, PodiumsdiskussionReflexion: das Projekt am Ende abschließend reflektieren; während des Projekts wechselseitig Informationen austauschen, organisatorische Fragen gemeinsam beraten und klären (Frey 2007, S. 55: »Fixpunkte«), sich über Gruppenprozesse verständigen (Frey 2007, S. 55: »Metainteraktion / Zwischengespräch«)

Kriterien und Beispiele für Themen

Für Projekte besonders geeignet sind lokal- oder regionalgeschichtliche Themen. Hier ist oft der direkte Bezug zur Lebenswelt und zu den Erfahrungsbereichen der Schülerinnen und Schüler gegeben; häufig sind einschlägige Themen auch von geschichts- und erinnerungskultureller Aktualität und Relevanz. Praktische Forschungsprobleme sind weniger ausgeprägt als bei anderen Themen (vgl. Horst 2002, S. 205f.): Objekte (Orte, Gebäude, Denkmäler), Personen (Zeitzeugen oder Experten) und Institutionen (Bibliotheken, Archive, Verwaltungen, Betriebe) können leichter aufgesucht werden. Schülerinnen und Schüler können also besser forschendes Lernen praktizieren. Und schließlich besteht eine größere Chance, mit den Ergebnissen eines Projekts lokale Aufmerksamkeit zu gewinnen (durch einen Pressebericht, eine Ausstellung, eine Eingabe).

Ein geeignetes und überschaubares Thema in diesem Sinne kann die Geschichte eines Denkmals, eines Hauses, einer Straße, einer Schule, einer Kirche oder Synagoge, eines Vereins oder Betriebs sein. Das Projekt kann dann münden in einen Zeitungsbericht, der die Ergebnisse für ein breiteres Publikum aufbereitet; in eine Dokumentation als Basis für eine historische Selbstverständigung der untersuchten Institution; in eine Initiative, die Straße oder das Denkmal mit einer Informationstafel zu versehen, für deren Text im Projekt ein Vorschlag erarbeitet worden ist.

An solchen Themen lässt sich im Fach Geschichte echtes forschendes Lernen realisieren – außerhalb des lokal- und regionalgeschichtlichen Kontextes ist das kaum möglich. Im besten Falle betreten Schülerinnen und Schüler mit ihrem Projekt tatsächlich Neuland: Sie machen bislang ungenutzte Quellen ausfindig und erschließen sie, interviewen Zeitzeugen, die noch nicht zu mit verfestigten Erzählungen auftretenden »Profi-Zeitzeugen« geworden sind, fördern neue Informationen zutage und gelangen am Ende für ihr begrenztes Untersuchungsfeld zu neuen Erkenntnissen und Deutungen.

Aus der Perspektive des Geschichtsunterrichts sind Projektthemen dann besonders geeignet, wenn sie exemplarischen Charakter haben, also im Besonderen das Allgemeine sichtbar werden lassen: Allgemeinere historische, nach Möglichkeit curricular verankerte Fragen werden in einer lokalen Fallstudie konkretisiert, vertieft und exemplarisch untersucht (vgl. von Borries 1993, S. 581–583). Bei einem curricularen Bezug tritt auch jenes Problem weniger zum Vorschein, das sich sonst bei Projekten häufig stellt: Wie soll die im Projekt untersuchte Nahraum- oder Mikrogeschichte mit der Makrogeschichte verknüpft und in sie eingebettet werden? Welches allgemeinere Kontextwissen ist erforderlich, um Mikrogeschichte richtig verstehen zu können und die Bezüge zwischen beiden überhaupt erst fruchtbar zu machen? Bodo von Borries nennt als Beispiel die biografische Erfahrung der deutschen Teilung: »Wenn man erst die ›ganze‹ BRD- und DDR-Geschichte als Informationsinput eingeben will, verlieren die Lernenden gewiss Lust und Interesse. Man bleibt dann hoffnungslos im Stoff stecken, den man auch in seiner Fülle methodisch nicht mehr anzugehen weiß.« (von Borries 2005, S. 341) Geht man aber von Themen aus, die im Geschichtsunterricht ohnehin gerade behandelt werden oder behandelt worden sind, so ist dieser Kontext von vornherein gegeben.

Spielarten von Geschichtsprojekten

Eine besonders anspruchsvolle Form von Projektarbeit im Bereich Geschichte stellen die Arbeiten im Geschichtswettbewerb dar, auch wenn nicht einmal dort Projektarbeit mit jener ausgeprägten Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der Teilnehmer stattfindet, wie es der Projektgedanke idealerweise vorsieht. Eine gewichtige Einschränkung ist ohnehin, dass es sich häufig um Einzelvorhaben handelt. Während in der Anfangszeit des Wettbewerbs besonderer Wert auf Gruppenarbeiten gelegt wurde, dominieren längst die einfacher durchzuführenden und zu betreuenden Ein-Personen-Projekte. Diese erreichen »oftmals Spitzenqualitäten«: »Und darin besteht schließlich die Absicht eines Wettbewerbes, zu ungewöhnlichen Leistungen zu ermuntern. Diese Absicht steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem nach wie vor hoch gehaltenen Anspruch, Breitenförderung zu betreiben, denn sie begünstigt auch und besonders jene, die von vornherein besonders ambitioniert und befähigt sind.« (Siegfried 2002, S. 37)

Wie lässt sich Projektarbeit über diesen Elitenbereich hinaus und stärker an den Geschichtsunterricht angebunden realisieren? Wenngleich sich »normaler« Unterricht und Projekte typologisch unterscheiden lassen, sollte man sie pragmatisch nicht nur in Reinform denken. Sinnvoll ist es vielmehr, ein Übergangsfeld genauer in den Blick zu nehmen: Projekte, die nicht der Idealform entsprechen, sondern in einzelnen Merkmalen stärker unterrichtsförmig bleiben; oder umgekehrt Unterricht, der in einzelnen Aspekten projektförmig geöffnet und erweitert wird. Das lässt sich am ehesten dann realisieren, wenn Projektarbeit im Rahmen des Klassenverbands stattfindet.

Projektförmige Vorhaben können sich im Hinblick auf die Ausprägung einzelner Projektmerkmale unterscheiden: im Hinblick auf größeren oder geringeren Zeitaufwand; mehr oder weniger Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler bei der Wahl des Themas, der Methoden oder der Präsentationsformate; Vollständigkeit oder Reduzierung der Projektphasen; Originalität der Ergebnisse. Kleinere, flexible Formen von Projektarbeit sollten nicht als defizitär, als Notlösungen, sondern als funktional sinnvolle Varianten angesehen werden. Kurzprojekte können nur wenige Stunden umfassen, sie lassen sich auch im normalen Unterricht realisieren, wenn die Lern- und Kompetenzgewinne in den Augen der Lehrkraft den Zeiteinsatz rechtfertigen. Größere Spielräume bestehen in Wahlpflichtkursen und in der Sekundarstufe II, soweit sich hier Zeiten finden lassen, die nicht von der Fixierung auf das (Zentral-)Abitur bestimmt werden. Wichtig ist, dass die Materialien mit einem überschaubaren Aufwand bearbeitet werden können. Dabei kann und muss es nicht jedes Mal zu neuen »Forschungsergebnissen« kommen. Es handelt sich vielmehr eher um eine begrenzte und arrangierte »Nach-Erforschung« statt echter »Neu-Erforschung«, bei der aber doch so viel Gewicht auf dem methodischen Zugang liegt, dass sie mehr ist als »entdeckendes« oder »nachentdeckendes« Lernen (vgl. Adamski 2006, S. 109f.).

Solche Kurzprojekte können sogar fest im Lehrgang verankert werden. So würde es sich zum Beispiel empfehlen, sich in den Klassen 9 und 10 obligatorisch mit einzelnen Straßennamen und Denkmälern vor Ort zu befassen. Thematisch lässt sich vor allem an die Zeiten des Kaiserreichs von 1871 und an die Weimarer Republik anknüpfen, aus denen die meisten einschlägigen Denkmäler und Straßennamen stammen; so sind im Moment in vielen Städten Diskussionen darüber im Gange, wie man mit der Benennung von Straßen und Plätzen nach dem kaiserlichen Generalfeldmarschall und Weimarer Staatspräsidenten Paul von Hindenburg verfahren solle. Auch Namen wie Waldersee oder Lettow-Vorbeck und viele andere stehen in der Diskussion. Dabei geht es stets nicht nur um die einzelne Namensgebung, sondern vielmehr allgemeiner um die Frage, wie man mit örtlichen Erinnerungslandschaften in Form von Namensgebungen umgehen solle. Auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist interessant: In den Ländern der alten Bundesrepublik wurden beispielsweise Straßen nach Städten und Landschaften aus den verloren gegangenen Gebieten benannt und Denkmäler für Flüchtlinge und Vertriebene errichtet; in den neuen Bundesländern lohnt sich die Beschäftigung damit, wie in Straßennamen und Denkmälern zunächst eine neue sozialistische Erinnerungskultur gestiftet und diese dann nach der Wiedervereinigung zu erheblichen Teilen wieder beseitigt wurde. Hier bietet sich für den Geschichtsunterricht auch die Möglichkeit, der Geschichtskultur mehr Platz einzuräumen – wie von der Geschichtsdidaktik schon seit Längerem gefordert.

Es gibt noch eine ganz andere Projektvariante, in der es nicht um Forschung, sondern um künstlerische Gestaltung und Darbietung geht. Damit können auch allgemeine Geschichtsthemen ohne spezifische lokalgeschichtliche Anbindung aufgegriffen werden. Hierher gehört die Revue zu den 1920er- oder den 1950er-Jahren, bei der zeitgenössische Schlager, Gedichte, Kabaretttexte zu Gehör gebracht werden; oder die Vorbereitung einer Gedenkfeier für den 9. November 1938, zu der Schülerinnen und Schüler Gedenktexte zusammenstellen oder gar selbst verfassen. Selbstverständlich ist es auch hier notwendig, sich zunächst einmal im Überblick mit dem Thema vertraut zu machen. Die eigentliche Arbeit besteht dann in der Auswahl und im Arrangement geeigneter Texte, Lieder, Bilder oder modischer Accessoires und in der Entwicklung eines Erzählrahmens, der die Inszenierung zusammenhält. Dabei muss zwangsläufig fächerübergreifend gearbeitet werden: Perspektiven, Materialien und Darbietungsweisen von Fächern wie Deutsch, Musik, Kunst und Geschichte kommen zusammen. Trotz des fächerübergreifenden Zuschnitts würde diese Art von Vorhaben den meisten oben beschriebenen Merkmalen von Projekten nicht entsprechen. Auch für den Geschichtswettbewerb käme es nicht in Frage, es sei denn, eine Aufführung dieser Art würde die Ergebnispräsentation eines zunächst auf Forschung angelegten Projekts bilden. Dennoch ist auch ein solches Unternehmen, wenn es ernsthaft betrieben wird, motivierend, lehrreich und unterhaltsam und kann eine ausgesprochene Bereicherung des Schullebens darstellen.

Für kürzere und nicht im vollen Umfang des Projektgedankens ambitionierte Projekte können auch die mittlerweile in den Schulen obligatorischen Projektwochen genutzt werden. Es ist kein Widerspruch, wenn diese auch der Auflockerung des Schullebens dienen, eine Anreicherung für das Schulprofil liefern oder der Schule mit vorzeigbaren Produkten den Beifall der Elternschaft oder die Aufmerksamkeit der Lokalpresse einbringen sollen.

Bewertung von Projektarbeit

Bewertung von Schülerleistungen gehört zum System Schule. Dem Projektgedanken ist sie eigentlich fremd (vgl. Frey 2007, S. 168f.). Dort wird eine gemeinsame Leistung erbracht, bei der sich einzelne Anteile oft nur schwer auseinanderhalten lassen und sich im Idealfall auch gar nicht auseinanderhalten lassen sollten. Das Produkt selbst soll eigentlich schon einen Leistungsnachweis für die Projektarbeit darstellen. Wesentlich ist die Prozessqualität der gemeinsamen Arbeit; sie ist weitaus schwerer einzuschätzen als die üblichen unterrichtsbezogenen Leistungsnachweise. Genau diese Qualität der gemeinsamen Erarbeitungsprozesse sollte in der Nachbereitung eines Projekts gemeinsam reflektiert und beurteilt werden – Bewertung also nicht durch Zuschreibung von außen, sondern durch interne Verhandlung und Verständigung.

Dennoch: Projektarbeit als schulische Pflichtveranstaltung verlangt eine Bewertung von Schülerleistungen. Und auch aus Schülersicht wird ein Projekt häufig erst durch eine solche Bewertung ernst genommen und gewürdigt. Wie aber kann man dabei dem aufwendigen, komplexen und kooperativen Arbeitsprozess gerecht werden? Grundsätzlich gibt es zwei Bewertungsmöglichkeiten: Eine Projektgruppe wird ausschließlich gemeinsam bewertet, oder man versucht darüber hinaus, auch individuelle Bewertungen vorzunehmen. Für eine Einzelbewertung ließe sich ins Feld führen, dass sich auch innerhalb einer Gruppe einzelne Beteiligte unterschiedlich einbringen und gegebenenfalls unterschiedliche Aufgaben haben, die sich auch differenziert bewerten lassen. Am einfachsten lässt sich das dort umsetzen, wo bestimmte Tätigkeiten tatsächlich in Einzelarbeit realisiert worden sind, also etwa die Erledigung einzelner organisatorischer Aufgaben oder die Beschaffung einzelner Materialien. Die vergleichende Bewertung verschiedener Teilleistungen bleibt jedoch eine Herausforderung, denn die jeweiligen Aufgaben und methodischen Verfahren können sich erheblich unterscheiden.

Gegen eine Einzelbewertung spricht, dass es sich um ein gemeinsames Vorhaben und ein gemeinsames Produkt handelt, die konsequenterweise auch insgesamt zu würdigen sind. Als Basis der Beurteilung können jene Aufzeichnungen dienen, mit deren Hilfe die Lernenden ohnehin ihren Arbeitsprozess dokumentieren, reflektieren und eigenständig evaluieren sollen: Projekttagebücher, Gruppenprotokolle, Arbeitsberichte, Projektmappen. Die eigentlichen gruppeninternen Arbeitsprozesse, auch dies spricht gegen eine Einzelbewertung, werden von der Lehrkraft ohnehin nur von außen und selektiv wahrgenommen, zumal Projektarbeit zu wesentlichen Teilen außerhalb des Klassenraums stattfindet (vgl. Adamski 2006, S. 7). Und wenn eine Einzelbewertung angestrebt wird, kann dies sogar Kooperationsprozesse behindern, weil dann die Beteiligten unter Umständen stärker auf individuelle Profilierung achten.

In den Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen sind, wie schon erwähnt, Projektprüfungen als Teil der Hauptschulabschlussprüfung vorgesehen. Weil die Prüfungen in eine individuelle Notengebung münden sollen, müssen hier Einzelbewertungen vorgenommen werden. Die hessische Prüfungsverordnung nennt dafür »Kriterien wie fachliche Ansprüche, fachgerechte Vorgehensweisen, Problemlösefähigkeit, Qualität des Ergebnisses, Selbstständigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Verantwortungsübernahme und Kooperationsfähigkeit« (Verordnung zur Ausgestaltung der Bildungsgänge und der Abschlussprüfungen 2005).

Diese Stichworte berücksichtigen inhaltliche, methodische, aber auch kommunikative Aspekte. Diese Bereiche sind auch bei einer Gruppenbewertung von Belang. Klaus-Ulrich Meier hat dafür die folgenden, genauer ausformulierten Kriterien vorgeschlagen (Meier 2003, S. 22):

Aber es gibt auch Möglichkeiten, Gruppen- und Einzelbewertungen sinnvoll miteinander zu verbinden und dabei dem Prozess- und Diskurscharakter von Projektarbeit gerecht zu werden. Wolfgang Emer und Uwe Horst schlagen einen »Reflexionsbogen« vor, »in dem zunächst die Schüler ihre eigene und die Gruppenleistung beschreiben und dann der Lehrende kommentierend antwortet« (Horst 2002, S. 214, genauer in Emer/Horst 2002, S. 195f.). Peter Gautschi beschreibt eine Variante, in der die Lehrkraft zunächst die Projektgruppe mit einer Gesamtnote bewertet. Die Gruppe erhält dann die Möglichkeit, diese Notengebung intern noch einmal in Einzelnoten zu differenzieren, wobei der Durchschnitt der Einzelnoten der von der Lehrkraft erteilten Gesamtnote entsprechen muss. Am Ende muss das Notenensemble bei allen Beteiligten Zustimmung finden (Gautschi 2003, S. 134). Dass solche komplexen Verfahren viel Reflexivität und Einsichtsfähigkeit auf Seiten der Schülerinnen und Schüler voraussetzen, liegt auf der Hand.

Im Übrigen geht es natürlich auch im Geschichtswettbewerb um Bewertung. Die entsprechenden Hinweise im Bewertungsleitfaden für die Juroren (Körber-Stiftung 2012/2013) lauten folgendermaßen:

Diese Stichworte weisen eine große Ähnlichkeit mit den bei Meier genannten Punkten auf, werden allerdings im Text sehr viel genauer und anspruchsvoller ausgeführt (mit einer Differenzierung nach Klassenstufen). Kriterien für die Bewertung von Gruppenprozessen gibt es allerdings nicht – hier kommt zum Ausdruck, dass »Projekt« im Wettbewerb doch stärker im Sinne eines Forschungsvorhabens als eines kooperativen Prozesses aufgefasst wird.

Zu einem Projekt gehört auch eine abschließende Selbstreflexion (auch im Wettbewerb ist diese in Form des Arbeitsberichts vorgesehen). Anregungen dazu finden sich in einem »Fragebogen zur Projektbewertung für Schülerinnen und Schüler« aus Baden-Württemberg, der sich allerdings auf Projektwochen bezieht. Angesprochen wird zwar eine einzelne Schülerin oder ein einzelner Schüler, die Stichworte können aber durchaus auch in der Gruppe aufgegriffen werden:

Zur Projektwoche fallen mir fünf Stichworte ein:

Was erscheint dir als das Wichtigste aus deinem Thema?

Wie würdest du nächstes Mal dein Projekt planen?

Wie bist du an Informationen gekommen?

Was ist dir beim Gestalten deines Vortrags gut gelungen, was war nicht so gut?

Wie hast du deinen Vortrag unterstützt (Versuche, Bilder, Folie, Plakate, Filme)?

Mit welchem Teil deiner Arbeit bist du besonders zufrieden oder unzufrieden?

Wo hast du dich überfordert oder unterfordert gefühlt?

Wie habt ihr Meinungsverschiedenheiten in eurer Gruppe gelöst?

Gab es eine »Chefin«, einen »Chef«, oder hattest du auch Chancen, deine Ideen einzubringen?

Schlecht fand ich an dem Projekt …

Gut fand ich an dem Projekt …

(Vorbereitung und Durchführung einer Projektprüfung)

Letztlich gilt für das Problem der Bewertung dasselbe wie für die Beziehung zwischen Projektarbeit und Schule insgesamt: Mit konzeptionellem Purismus ist wenig gewonnen, es kommt auf pragmatische und flexible Lösungen an, um die Potenziale von Projektarbeit für das Fach Geschichte fruchtbar zu machen.

Literatur

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I. Themenfindung und Projektplanungvon Martina Tschirner

Eine historische Spurensuche ist spannend wie eine Detektivarbeit. Hat man erst einmal eine Spur aufgenommen, dann fesselt sie und lässt einen nicht mehr los. Aber wo findet man diese Spur? Wie gelingt es, ihr zu folgen, ohne sie wieder zu verlieren? Sollte man sich lieber im Team oder alleine auf Spurensuche begeben?

1. Einsam oder gemeinsam? Die richtige Arbeitsform finden

Gemeinsam mit anderen, mit der Freundin, der Clique oder gar der ganzen Klasse auf historische Spurensuche zu gehen, kann sehr hilfreich und für das Gemeinschaftsgefühl etwas Wunderbares sein: Mehrere Menschen haben immer mehrere Ideen, bringen unterschiedliche Vorkenntnisse zum Thema ein, und die Arbeit lässt sich auf viele Schultern verteilen. Außerdem gibt es in einer Gruppe immer Experten für bestimmte Aufgaben. So fällt es einem Gruppenmitglied vielleicht sehr leicht, im Archiv alte Handschriften zu entziffern, während andere dabei sehr schnell die Geduld verlieren. Ein Mitglied kann sehr gut Texte schreiben, ein anderer Teilnehmer ist äußerst geschickt bei der Erstellung eines schönen Layouts, wieder andere können gut zeichnen, Bilder oder Filme bearbeiten usw. Alle diese Fertigkeiten sind notwendig, um eine Projektarbeit zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Darüber hinaus gibt es im Laufe der Spurensuche immer wieder Situationen, die sich zu zweit oder in einer Gruppe besser bewältigen lassen. Denn wenn man beispielsweise zuvor noch nie in einer öffentlichen Bibliothek oder einem Archiv war, dann ist der erste Gang dorthin immer sehr schwer. Zu zweit fällt es aber schon viel leichter. Auch manche Gespräche mit Zeitzeugen oder mit Experten lassen sich besser führen, wenn man Mitstreiter hat. Zugleich hat man auch immer eine Ansprechpartnerin, mit der man sich austauschen und die Zwischenergebnisse diskutieren kann. Überdies macht die Arbeit mit anderen in der Regel auch viel mehr Spaß, als alleine für sich zu arbeiten, und es stärkt das Gruppengefühl, sich gemeinsam ein Ziel zu setzen und dieses dann auch zu erreichen. Nebenbei kann jede Teilnehmerin auch ihre Teamfähigkeit weiterentwickeln. Schließlich kann man sich in der Gruppe auch gegenseitig motivieren, wenn ein Mitglied einmal einen »Durchhänger« hat.

Demgegenüber muss der einzelne Spurensucher zwar alles selbst erledigen, er braucht sich aber nicht immer wieder mit anderen abzusprechen, Termine vereinbaren oder sich möglicherweise über andere zu ärgern, wenn Absprachen nicht eingehalten werden oder sich ein Gruppenmitglied als »Bremser« erweist. Was macht man, wenn man mit dem Ergebnis der anderen nicht zufrieden ist und es trotz vieler Diskussionen nicht besser wird? Und was passiert schließlich, wenn einzelne Gruppenmitglieder einfach aus dem Projekt aussteigen und sich nicht mehr für die übernommenen Aufgaben verantwortlich fühlen? Das kann für die gesamte Gruppe und das Projekt schwerwiegende Folgen haben. Leider liest man in den Arbeitsberichten des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten immer wieder, dass dies geschieht: »Kurz vor Weihnachten, als wir schon drei Monate Arbeit in unser Projekt gesteckt hatten, hat ein Mitglied unserer Projektgruppe aufgehört. Jetzt waren wir nur noch vier. Wir anderen fanden das gar nicht toll und haben fast auch die Lust am Projekt verloren.« Viele Projekte drohen in einer solchen Situation zu scheitern, manche scheitern tatsächlich, und dies zum Teil nicht ohne Auswirkungen auf die Freundschaft. Der Einzelarbeiter muss nur sich selbst über einen längeren Zeitraum motivieren, nicht aufzugeben, und das ist manchmal schwer genug.

Wer noch keine oder nur wenig Erfahrung mit der historischen Spurensuche oder mit der Arbeit in anderen Projekten gesammelt hat, sollte sich sehr gut zu Beginn überlegen, ob er alleine, in einer kleineren Gruppe oder in einer Großgruppe arbeiten möchte. Kleinere Gruppen bis zu maximal fünf oder sechs Mitstreiterinnen bieten sich für die Anfängerinnen schon deshalb an, weil der Koordinierungsaufwand nicht so groß ist und sich das Projekt besser in kleinere Unterthemen teilen lässt. Je größer eine Gruppe wird, desto schwieriger und komplizierter werden die verbindlichen Absprachen und Planungen. Schließlich steht auch der Tutor, der die Projektarbeit begleitet, vor größeren Herausforderungen.

Die Wahl der Arbeitsform ist somit eine wichtige Grundentscheidung für die Auswahl des Themas: Einzelarbeiterinnen und kleine Gruppen sollten sich nur wenige und gut überschaubare Themen vornehmen, größere Gruppen müssen umfänglichere Themen finden und ganz anders planen, damit alle Gruppenmitglieder in die Arbeit einbezogen werden können.

Darüber hinaus gilt es, ein Thema zu finden, für das man sich wirklich interessiert, schließlich möchte man sich über einen längeren Zeitraum damit beschäftigen. Und dies geht nur, wenn echtes Interesse vorhanden ist. Die Interessen weniger lassen sich deutlich besser vereinbaren als die einer großen Gruppe. Die Themenfindung, die Eingrenzung des Themas, die Formulierung einer Fragestellung und letztlich die gesamte weitere Planung des Projekts können also erst stattfinden, wenn feststeht, wie viele Personen beteiligt sind.

2. Eine historische Fragestellung entwickeln

Aber wie findet man überhaupt ein Thema, und wie entwickelt man eine Fragestellung? Auch wenn, wie im Geschichts- und anderen Wettbewerben oder im schulischen Projektunterricht, das Rahmenthema vorgegeben ist, bedeutet dies noch nicht, dass damit auch der Gegenstand der Spurensuche festgelegt ist. Im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ist es explizit Teil der Aufgabe, eine eigene Fragestellung zu entwickeln.

Brainstorming

Zunächst einmal sollte man sich auf sich selbst verlassen und den eigenen Gedanken freien Lauf lassen, also ein Brainstorming machen. Dabei ist alles erlaubt, was durch den Kopf geht. Manchmal denkt man dann an Titel von Büchern oder Filmen, oder man erinnert sich an ein Erlebnis usw. Beim Geschichtswettbewerb hilft der genaue Wettbewerbstitel weiter, wenn man länger nachdenkt. So rief der Wettbewerb 2006/07 zur Spurensuche zum Thema »miteinander – gegeneinander? Jung und Alt in der Geschichte« auf. Weshalb gegeneinander von Jung und Alt? In der Regel verstehen sich die Generationen doch gut, die Jungen unterstützen die Alten und umgekehrt. Oder gab es vielleicht eine Zeit, in der das anders war?

Diese ersten Gedanken, Fragen oder auch nur Stichwörter hält man schriftlich fest, und zwar am besten auf Karteikarten oder Zetteln. Wichtig dabei ist, dass man pro Karteikarte nur einen Gedanken notiert, damit man die Gedanken auf den Karten hinterher ordnen kann. Bei der Gruppenarbeit sollte jede Teilnehmerin diesen Schritt zunächst alleine vollziehen. Die Karten des Brainstormings werden dann gemeinsam gesichtet. Arbeitet man im Team, sollte man den anderen die eigenen Karten erklären. Vielleicht gibt es Überschneidungen, vielleicht hängen einzelne Aspekte irgendwie zusammen? Vielleicht verdichten sich schon erste Gedanken, wenn man sie in der Arbeitsgruppe oder auch mit Außenstehenden bespricht? Das Cluster, das auf diese Weise entsteht, bildet die Grundlage für das weitere Nachdenken.

Über ein solches Vorgehen berichten auch immer wieder die Teilnehmer des Geschichtswettbewerbs: Was sind eigentlich Nachbarn? Diese Fragen stellten wir uns zu Anfang, als wir zum ersten Mal vom Thema des Geschichtswettbewerbes 2012/13 hörten: »Vertraute Fremde. Nachbarn in der Geschichte«. Was kann man damit anfangen? Wie macht man daraus ein interessantes Projekt? Wir haben erst einmal damit begonnen, das Thema zu verstehen, und stellten fest, dass man Nachbarschaft sicherlich sehr unterschiedlich definieren kann. Jedermann bekannt sind beispielsweise Tischnachbarn, Hausnachbarn, Grundstücksnachbarn, Dorfnachbarn bis hin zu Nachbarländern (…). (GW 2013-0702, S. 3)

»spurensuchen«

Der nächste Schritt sollte für die Teilnehmerinnen des Geschichtswettbewerbs darin bestehen, das Ausschreibungsheft »spurensuchen«, das zu jedem Wettbewerb neu erscheint, genau zu studieren. Hier erschließt sich eine Vielzahl von Zugängen zum Rahmenthema: Zum einen werden konkrete Projektthemen vorgestellt, zum anderen wird das Thema auf den »gelben Seiten« in der Mitte des Heftes noch einmal genauer erläutert und über Fragen erschlossen. Vielleicht lässt sich das eine oder andere schon mit den eigenen Gedanken in Verbindung bringen?

Gespräche führen

Weiterhin ist es in dieser Phase der Themenfindung wichtig, viele Gespräche über das Vorhaben zu führen: Als Gesprächspartner bieten sich Eltern oder Großeltern, Bekannte oder Nachbarn, Freunde oder Verwandte und natürlich die Lehrer an. Die Spurensucherin kann so ihre eigenen Gedanken beim Darüber-Sprechen verfestigen und bestimmt viele Anregungen erhalten. So berichten viele Wettbewerbsteilnehmer, dass sie letztlich durch ausführliche Gespräche auf ihre Themen gestoßen seien. »Ärgernis, Aufsehen, Empörung. Skandale in der Geschichte« hieß das Thema des Geschichtswettbewerbs 2010/11. An einen Skandal in der eigenen Gemeinde oder Stadt konnten sich viele Eltern und Großeltern der Teilnehmerinnen noch sehr gut erinnern. Die Teilnehmer hatten so ihr Thema gefunden und auch gleich die Zeitzeugen, die sich in der Folge als wichtige Quellen für die Projektarbeit erwiesen.

Bei vielen Themen ist es ratsam, den Kontakt zu Geschichtsexperten vor Ort zu suchen. In vielen Städten und Gemeinden gibt es Geschichtsvereine, deren Mitglieder gerne weiterhelfen und, wie die Erfahrungen aus vergangenen Geschichtswettbewerben zeigen, großes Interesse an der Arbeit junger Spurensucherinnen haben. In der Regel sind sie auch sehr gut vernetzt, das heißt, sie verfügen über vielfältige Kontakte, die für die weitere Spurensuche von Bedeutung sein könnten.

Weiterhin kann es hilfreich sein, Gespräche mit Mitgliedern örtlicher Vereine, Verbände und in öffentlichen Einrichtungen zu führen. So haben beispielsweise viele Teilnehmer des Wettbewerbs »Migration« 2002/03 durch persönliche Gespräche in sogenannten »Freundschaftsvereinen« (z.B. Deutsch-türkischer Freundschaftsverein) ihr Thema gefunden. Beim Wettbewerb »Arbeit« 2004/05 stellten sich Kontakte zu den Gewerkschaften als äußerst nützlich bei der Themensuche heraus. Und dass viele Teilnehmerinnen des Wettbewerbs »Jung und Alt« ihr Thema aufgrund von Unterhaltungen fanden, die sie mit Bewohnerinnen eines Altenheimes führten, verwundert nicht.

Um fremde Menschen anzusprechen und um ein Gespräch zu bitten, bedarf es anfangs einiger Überwindung. Der Tutor oder die Eltern helfen bei der ersten Kontaktaufnahme bestimmt gerne weiter. Aber hat man einmal die Erfahrung gemacht, wie einfach und vor allem wie hilfreich ein Gespräch sein kann, geht es beim nächsten Mal schon viel besser.

Schauen und stöbern

Wer einmal mit der historischen Spurensuche begonnen hat, ist sensibilisiert für das eigene Umfeld. Möglicherweise entdeckt man auf dem Weg zur Schule, dass zum Beispiel das Denkmal, an dem man täglich vorbeikommt, etwas mit dem Thema zu tun haben könnte. Straßennamen werden auf einmal hinterfragt, Gebäude machen neugierig. Weshalb heißt unsere Schule eigentlich so? Wer hat ihr den Namen gegeben? Hieß sie schon immer so?

Oder man stößt beim Stöbern auf Dachböden oder in Kellern auf interessante Dinge: ein altes Fotoalbum, alte Filme, Schulhefte, Kinderspielzeug und -bücher aus Großmutters Erbe. Wenn man sie befragt, können diese Gegenstände von der Vergangenheit erzählen. Natürlich sollte man auch in der örtlichen Stadt- oder Gemeindebücherei stöbern, um sich einem möglichen Thema zu nähern. Die Bibliothekare sind mit Sicherheit behilflich, Bücher zum Thema zu finden. Stöbern kann man selbstredend auch im Internet.

Suchorte und Fundorte

Archive, Verein, Familienfeiern, Dachboden, Straßenschilder, Behörden, Ministerien, alte Stadtpläne, Schulweg, Prospekte und Broschüren, Hilfsorganisationen, Parteien, Verbände, alte Telefonbücher, Schuhkartons, Adressbücher, Bibliotheken, Keller, Unternehmen, Denkmäler, Friedhöfe, Kasernen, Ruinen, alte Fabrikschlote, Zeitungen, Landkarten, Hinweistafeln, Schularchiv, Fotoalben, Filme …

Themencheck

In dieser Phase bildet sich langsam ein Thema heraus, das als Projektthema vielversprechend erscheint. Jetzt gilt es zu überprüfen, ob es auch »trägt«. Dazu sollten nun erste Vorrecherchen in der Bibliothek oder im Archiv unternommen und weitere Gespräche, vor allem mit Archivaren, geführt werden. Diese kennen nicht nur ihren Archivbestand bis ins Kleinste, sie sind darüber hinaus auch noch Experten für die Geschichte des Ortes. Sie kennen sich auch sehr gut in der Literatur und Forschung aus. Viele Archive beschäftigen auch Archivpädagoginnen, deren Aufgabe es ist, die jungen Spurensucherinnen bei ihrer Arbeit zu beraten und zu unterstützen. Auch der Tutor weiß bestimmt, wo sich Material finden lässt. Manchmal kommt es aber auch vor, dass sich das Thema als nicht tragfähig erweist. Es gibt kaum Quellen, oder die Quellen sind zwar vorhanden, lassen sich aber aufgrund des schlechten Zustandes und der altertümlichen Handschrift nicht lesen. Häufig ergeben sich dabei aber Alternativen, sodass man die Spurensuche nicht gleich aufgeben muss.

3. Fragen an die Geschichte stellen – Was will ich wissen?

Ein Thema allein ist noch keine Fragestellung. Historische Projektarbeiten geben Antworten auf Fragestellungen, die erst noch entwickelt werden müssen. Erst durch Fragen werden schriftliche Hinterlassenschaften, Gegenstände, Gebäude und auch Zeitzeuginnen überhaupt zu historischen Quellen. Fragen an die Geschichte zu stellen, ist manchmal kein leichtes Unterfangen. Leichter wird es, wenn man bereits über ein gewisses Vorwissen zum Thema verfügt. Bei jugendlichen Spurensuchern kann man das aber nicht voraussetzen, denn sie fangen ja in der Regel erst an, sich intensiver mit der Geschichte zu beschäftigen. Deshalb hilft es in dieser Phase der Projektarbeit, die eine oder andere Überblicksdarstellung zu lesen, die sich allgemein mit dem Thema beschäftigt oder einen groben Überblick über die historischen Fakten und Zusammenhänge der jeweiligen Zeit gibt.

Dann muss man sich ganz genau überlegen, was man wissen möchte. Dabei bestimmt unsere eigene Gegenwart das Interesse. Ohne eine genaue Fragestellung geht man im »Meer der historischen Fakten« schnell unter, denn erst wenn man genau weiß, was man wissen möchte, kann man entscheiden, welche Quellen überhaupt in Frage kommen, welche weitere Literatur zur Beantwortung der Fragestellung hinzugezogen werden muss.

Eine klar formulierte und gute Fragestellung hilft, ein Thema weiter einzugrenzen, es in Unterthemen zu gliedern. Sehr hilfreich ist bei der Entwicklung der eigenen Fragestellung ein erneuter Blick in die »gelben Seiten« des Ausschreibungsheftes. Hier werden bereits viele Fragen vorformuliert, die man vielleicht in eine Beziehung zum eigenen Thema stellen kann. Die Fragen, die man an das Thema stellt, geben der weiteren Recherche eine Richtung. Eine gute Fragestellung ermöglicht bei der Recherche, festzustellen, was wichtig und was unwichtig ist.

Was sind »gute« Fragen?

Eine gute Frage wird als Fragesatz formuliert. Sie beginnt mit einem Fragewort und endet mit einem Fragezeichen. Diese Feststellung ist zwar banal, dennoch sollte dies betont werden. Historische Fragen sind aber mehr als bloße »W-Fragen«, auch wenn diese wichtig sind, um die Quellen auszuwerten und die Sachverhalte zusammenzustellen. Anders als beim anfänglichen Brainstorming zur Findung eines eigenen Themas folgen die historischen Fragen nicht der spontanen Intuition. Vielmehr sind sie Ausdruck eines individuellen Erkenntnisprozesses. Regeln für das Stellen historischer Fragen gibt es nicht.

Historische Fragen gehen den Dingen auf den Grund: Sie fragen nach den Besonderheiten der Vergangenheit, sie zielen darauf, historische Prozesse und Ereignisse genauer zu erklären und zu verstehen. Sie zeichnen sich durch einen Gegenwartsbezug aus, weil sie nach den Ursachen für gegenwärtige Zustände fragen oder Vergangenes und Gegenwärtiges vergleichen. Vielfach fragen sie auch danach, wie heute oder auch in vergangenen Zeiten mit Geschichte umgegangen wird, und suchen nach Erklärungen in den jeweiligen Zeitumständen.

Eine historische Frage lässt sich in Unterfragen unterteilen, die ihrerseits für den Recherche- und Erkenntnisprozess von Bedeutung sind. Es kann im Laufe des Arbeitsprozesses durchaus vorkommen, dass sich die Fragestellung ändert. Durch die Lektüre der Darstellungen und das Studium der Quellen passiert es immer wieder, dass man eine Frage variiert, sie ganz verwirft und manchmal dann doch wieder aufgreift.

Nicht allen Spurensuchern gelingt es von Anfang an, Fragestellungen zu entwickeln. Das muss auch gar nicht sein. Gerade jüngere Schülerinnen werden zunächst Fakten sammeln und diese in ihren Arbeiten zusammenstellen. Mehr kann von ihnen auch noch nicht erwartet werden. Ältere und erfahrene Spurensucher sollten sich an die Formulierung einer komplexeren Forscherfrage heranwagen.

Der Wettbewerb 2008/09 forderte zur Suche nach »Helden« auf, die »verehrt, verkannt, vergessen« wurden. In den Wettbewerbsarbeiten konnte man die unterschiedlichsten Biografien von vielen Hundert Heldinnen nachlesen. Die meisten Spurensucher beschränkten sich darauf, die zumeist sehr spannende oder auch berührende Lebensgeschichte ihres Helden nachzuerzählen. Besonders erfolgreich waren die Spurensucherinnen, die den Dingen auf den Grund gingen und gute Forscherfragen formulierten, wie eine Schülerin, die die Spur des badischen Revolutionärs Theodor Mögling aus der Zeit der Revolution von 1848/49 aufnahm. Auch sie stellte zunächst das bewegte Leben Möglings vor, weiterhin wollte sie aber wissen, weshalb er in Vergessenheit geriet, »wie ihn seine Zeitgenossen und die Nachgeborenen gesehen und wie sie seinen Einsatz für die Verwirklichung der Demokratie in Deutschland bewertet haben« (GW 2009-1669). Bei der Spurensuche für den Wettbewerb 2012/13 zum Thema »Nachbarn« stieß ein Schüler auf einen Nachbarschaftskonflikt, der sein Interesse weckte: Zu Beginn der 1930er-Jahre wehrten sich Anwohner gegen den Neubau einer Tankstelle in ihrer Nachbarschaft (siehe GW 2013-0420). Mit Unterstützung seines Tutors und des Stadtarchivars fand der Schüler heraus, dass der Quellenbestand zwar nicht vollständig, aber doch hinreichend war, um sich näher mit dem Konflikt zu beschäftigen. Er formulierte Leitfragen, die ihm halfen, die vorhandenen Akten zu analysieren und nach neuen Quellen zu suchen. So wollte er wissen, wie sich die Menschen eine gute Nachbarschaft vorstellten, welche Sorgen und Befürchtungen sie damals gegenüber neuen Nachbarn bzw. Veränderungen in ihrer Nachbarschaft hatten, mit welchen Mitteln sie sich gegen die Veränderungen zur Wehr setzten, ob man den Konflikt aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext heraus erklären konnte bzw. inwiefern man ihn heutzutage nachvollziehen kann.

Die Spurensuche war erfolgreich, weil sich der Schüler ganz konkret überlegt hatte, was er wissen wollte, und es ihm gelang, die Thematik mit seiner Fragestellung einzugrenzen. Dies hat ihn davor bewahrt, in seinen Quellen zu »ertrinken« und lediglich eine ausufernde Aneinanderreihung von Fakten zu verfassen.

Seine Projektarbeit war schließlich von Erfolg gekrönt,

weil es sich bei dem Nachbarschaftskonflikt um ein zeitlich und räumlich überschaubares Ereignis handelte;

weil der Nachbarschaftskonflikt beispielhaft für die Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte der frühen 1930er-Jahre war;

weil sich in den Befürchtungen und Ängsten der Anwohner und ihrem Widerstand gegen den Bau der Tankstelle der Zeitgeist und die allgemeinen Befindlichkeiten jener Zeit widerspiegelten;

weil der Verfasser der Arbeit das Verhalten der Menschen aus ihrer Zeit heraus verstehen wollte;

weil er einen Gegenwartsbezug herstellen konnte.

Das Exposé – Ein erstes Konzept

Hat man die ersten Forscherfragen entwickelt, empfiehlt es sich, ein Exposé zu schreiben. Dies ist eine Art der vorausschauenden Inhaltsangabe. Es nennt den Arbeitstitel, also den vorläufigen Titel der Arbeit, und eine erste, noch sehr grobe Gliederung. Außerdem wird die Fragestellung ausformuliert und erläutert sowie mögliche Recherchewege genannt. Dieses kurze Konzeptpapier sollte nicht mehr als eine Seite umfassen.

Ein solches Konzeptpapier zu schreiben, ist zwar nicht einfach, es hilft aber enorm, die eigenen Gedanken zu sortieren. Außerdem ist es eine hilfreiche Grundlage für das Gespräch mit der Tutorin. Es ist darüber hinaus eine große Hilfe, wenn man im nächsten Schritt zum Beispiel Kontakt zu potenziellen Gesprächspartnern aufnimmt, weil man dadurch bereits einmal aufgeschrieben hat, was man erforschen möchte. So muss man sich also bei einer schriftlichen Kontaktaufnahme zum Beispiel nicht bei jeder E-Mail neue Formulierungen ausdenken.

4. Geschichte »vor Ort« erforschen

Geschichte lässt sich nahezu an jedem Ort finden, und damit sind der Spurensuche eigentlich keine Grenzen gesetzt. Dennoch sollte sie im lokalen bzw. regionalen Umfeld stattfinden. Die Lokal- und die Regionalgeschichte haben den großen Vorzug, dass sie die allgemeine Geschichte »vor der Haustür« verkörpern. Die Beschäftigung mit der Lokal- oder Regionalgeschichte kann eine Nähe zur Vergangenheit schaffen, die für den Bereich der allgemeinen Geschichte nur schwer zu erreichen ist: Wenn sich historische Ereignisse an Orten, auf Straßen und Plätzen ereignet haben, auf denen man sich täglich selbst bewegt, dann wird nicht nur das Interesse an diesen Ereignissen in besonderer Weise geweckt, sondern man ist in der Regel auch viel motivierter, als wenn man sich mit der Geschichte beschäftigt, die an fernen Schauplätzen stattfand.