Stadt-Wölfe - Masih Samin - E-Book
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Stadt-Wölfe E-Book

Masih Samin

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Beschreibung

In unseren Hunden schlummert wölfisches Erbe. Die Herausforderung ist, diese Naturinstinkte mit den Gegebenheiten im urbanen Umfeld in Einklang zu bringen. Als Sichtjäger stehen sie z. B. bei dem vorbeifahrenden Auto/Radfahrer/Bus vor der Herausforderung, nicht in den Jagdmodus zu verfallen. Und sicher sah die Natur nicht vor, dass ein Schäferhund mit seinen 250 Millionen Riechzellen den Abgasen und tausenden anderen Reizen ausgesetzt ist. Wie schützen sich die Menschen vor dieser täglichen Flut? Und wie erleben unsere Stadt-Wölfe diesen Lebensstil? Masih Samin lebt selbst mit seien Hunden im Herzen Kölns. Seine Erfahrungen hat er in diesem Buch zusammengetragen, mit dem er Hundehaltern helfen will, ihren Alltag zu koordinieren.

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Seitenzahl: 274

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Impressum

© eBook: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

GU ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Anita Zellner

Lektorat: Sylvie Hinderberger

Bildredaktion: Petra Ender, Sylvie Hinderberger

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Yuliia Antoniuk

ISBN 978-3-8338-7617-2

1. Auflage 2021

Bildnachweis

Coverabbildung: Debra Bardowicks

Fotos: Debra Bardowicks, Julian Weiser, privat

Syndication: www.seasons.agency

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GRÄFE UND UNZER VERLAG

EIN PAAR GEDANKEN VORAB

Wir prägen unsere Hunde viel mehr, als wir denken. Daher verdienen sie unsere volle Aufmerksamkeit. Erst recht, wenn sie in einem Umfeld wohnen, das so gar nicht ihrer Natur entspricht.

Ob in meinen Seminaren oder im privaten Unterricht: Immer öfter wollen Menschen mehr über die artgerechte Kommunikation und den richtigen Umgang mit ihren Hunden erfahren. Viele von ihnen haben Probleme mit ihrem geliebten Tier – mal mehr, mal weniger schwerwiegend. Was die wenigsten von ihnen wissen: Die Erfahrungen, Gewohnheiten und Fähigkeiten der Hundehalter sind für die Beziehung häufig ausschlaggebender als die ihrer Hunde. Denn unser eigenes Verhalten hat weitreichende Folgen für unser Umfeld. Dabei sind wir uns vieler Dinge gar nicht bewusst, denn wir schleppen jede Menge Gedanken und Gefühle mit uns, die wir nicht wahrhaben (wollen). Hunde aber fordern eine klare Verfassung, alles andere wäre für sie zu riskant. Die Verantwortung liegt also in unseren Händen.

Dass Hunde ihren Menschen recht zügig die Quittung dafür erteilen, wie sie sich verhalten, dürfte bekannt sein. Glücklicherweise lassen sie sich aber auch recht schnell auf neue Gegebenheiten ein. Und so kann ein und derselbe Hund in einem anderen Umfeld ein vollkommen anderes Verhalten zeigen.

Wir wissen vermutlich alle, wie es ist, wenn wir uns gelassen und gut gelaunt durch den Tag bewegen. Weil Positives häufig Positives anzieht, klappt dann alles wie am Schnürchen. Negatives folgt leider demselben Gesetz. In Bezug auf unsere Vierbeiner bedeutet das: Möchte man das Verhalten seines Hundes verstehen oder ändern, muss man erst einmal sein eigenes Befinden erkennen und ein mögliches Ungleichgewicht ausbalancieren. Doch wie viel Spielraum hat zum Beispiel eine Familie mit Kind, in der beide Eltern in Vollzeit arbeiten, für die Work-Life-Balance, wenn sie sich auch noch um die Erziehung ihres pubertären Hundes kümmern muss? Zugegeben: Es ist nicht immer leicht, aber durchaus möglich, alles so unter einen Hut zu bringen, dass jeder glücklich ist. Es geht nämlich weniger darum, sein gesamtes Leben umzukrempeln, als darum, das eigene Verhalten zu reflektieren, bewusste Entscheidungen zu treffen und die Geschehnisse anders zu bewerten.

»Wie wir selbst entscheiden und handeln, ist ausschlaggebend für die Beziehung zu unseren Vierbeinern. Wir sollten daher reflektieren, was uns bewegt und antreibt.«

Das Leben ist bekanntlich kein Wunschkonzert, aber wir können tatsächlich entscheiden, wie wir auf den Rhythmus tanzen. Es ist wunderbar, dabei einen Hund als Partner zur Seite zu haben. Hunde halten uns einen sehr ehrlichen Spiegel vor und liegen mit ihrer Kritik erstaunlich oft richtig.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft wie der unseren selten einfach ist. Der Wunsch nach Glück und Zufriedenheit sollte daher nicht nur auf jeder Geburtstagskarte stehen, sondern auch ganz oben auf der To-do-Liste unseres Lebens. Ich selbst nahm das Angebot dankend an und machte mich mit Anfang 20 mit hündischer Unterstützung auf den Weg zu mir selbst.

Im Jahre 1994, ich war etwa sechseinhalb Jahre alt, zog meine Familie nach Deutschland und wir hatten das Gefühl, als wären wir von einem Hundert-Seelen-Dorf direkt in einer Millionenmetropole gelandet. Nicht, dass Kabul, die Hauptstadt Afghanistans, wo ich geboren bin, kleiner wäre. Mit knapp vier Millionen Einwohnern ist sie sogar die größte Stadt des Landes. Aber für meine Eltern war Kabul damals wie ein Dorf, in dem gefühlt jeder jeden kannte. In Köln dagegen waren wir am Anfang ganz auf uns allein gestellt und fühlten uns daher erst einmal ein wenig verloren. Alles war fremd, alles so groß. Noch größer als die Stadt und ihre Gebäude war für meine Eltern jedoch die Verunsicherung darüber, welchen Einfluss diese moderne Gesellschaft auf uns Kinder haben würde.

Heute weiß ich: Sie haben sich umsonst gesorgt. Deutschland hatte einen positiven Einfluss auf uns und unsere Fähigkeiten, die wir hier frei entfalten durften. Wir lebten uns schnell ein, lernten die Sprache und fühlten uns immer wohler. Meine Eltern arbeiteten, meine Schwester und ich besuchten die Schule und fanden Freunde. Deutschland wurde zu meiner Heimat. Es heißt: In der Sprache, in der du träumst, bist du zu Hause. Und ich träumte schon bald auf Deutsch.

Bereits nach wenigen Jahren in Köln hatte ich das Gefühl, ich würde jede Ecke und fast jeden Menschen kennen. Das Leben in der Metropole war spannend. Und besonders aufregend wurde es, als ich in die Pubertät kam. Köln schläft bekanntlich nie, genauso wie Teenager. Als ich alt genug war, um abends länger auszubleiben, trafen meine Freunde und ich uns daher in der Innenstadt. Wir nahmen einen Ball mit und kickten bis spät in die Nacht unter dem Licht der Laternen des Stadtparks. Hatten wir keinen Ball, tranken wir Bier und schossen uns die platt gedrückten Getränkedosen zu. Das Leben war sorglos. Wir hatten wenig Geld in der Tasche, aber dafür das Gesicht voller Lachen.

Wenn wir Lust hatten zu tanzen, versuchten wir in die Clubs zu kommen. Wir machten uns schick, gelten uns die Haare und machten uns gegenseitig Komplimente. Wir wurden von den bunten Neonröhren der Reklametafeln vor den Lokalen angezogen wie Motten vom gleißenden Licht und schwirrten ohne jegliches Ziel in der Innenstadt herum. Typisch Teenager eben. Doch bekanntlich hat alles ein Ende, auch die Sorglosigkeit.

WILLKOMMEN IM LEBEN

Die Teenager-Rebellion drängte mich dazu, mit 17 von zu Hause auszuziehen – und plötzlich musste ich neben den Vorbereitungen aufs Abitur arbeiten, um mir mein Leben zu finanzieren. Schluss mit gewaschener Wäsche, Adieu voller Kühlschrank. Dafür begrüßte ich jede Menge Rechnungen und eine Kostenkalkulation über meine Ausgaben.

Ich veränderte mich und mein Lebensstil wandelte sich ebenfalls drastisch. Schneller, als mir lieb war, kam von Jahr zu Jahr mehr Verantwortung auf mich zu. Ich fing an, mir Gedanken über mein Leben zu machen und darüber nachzudenken, was ich eigentlich mit mir anfangen wollte. Ich erinnere mich, dass ein Lehrer in der zehnten Klasse uns nach unseren Berufswünschen fragte. Die meisten meiner Klassenkameraden hatten eine genaue Vorstellung davon, was sie machen wollten. Mein bester Freund zum Beispiel war sich sicher, dass er eine Karriere als Chemikant machen würde – was er im Übrigen auch sehr erfolgreich gemeistert hat. Nur ich wusste nicht, was ich werden wollte. Ich erinnere mich, dass mich allein der Gedanke daran, eine Entscheidung treffen zu müssen, wütend machte. »Wie kann man von einem so jungen Menschen erwarten, eine Entscheidung für das gesamte Leben treffen zu können?«, dachte ich. Ich wusste noch nicht einmal, was ich zu Mittag essen wollte, wie sollte ich da entscheiden, womit ich die nächsten Jahrzehnte meinen Lebensunterhalt finanzieren sollte.

Nach zwei kurzen Alibi-Studiengängen, die nur dazu dienten, Zeit zu schinden, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen: Ich wollte lieber ein volles Herz als ein volles Portemonnaie. Vor allem aber wollte ich eine bewusste Entscheidung treffen. Nicht eine, die mich irgendwann ins Unglück stürzte. Und so fragte ich mich: »Welche Vorstellung hast du vom Leben? Was macht dich eigentlich glücklich – nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft und vielleicht sogar bis ins hohe Alter? Was kannst du aus deinen Möglichkeiten machen? Welche Fähigkeiten zeichnen dich aus?«

»Schon als kleiner Junge fühlte ich mich stark zu Hunden hingezogen. Aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich endlich erfuhr, was mir diese Tiere wirklich geben können.«

Ich liebte Tiere, insbesondere Hunde, das wusste ich. Sie faszinierten mich. Ich konnte sie stundenlang beobachten. In ihrer Gegenwart verspürte ich eine Ruhe, die mich für einen Augenblick von allem löste. Hunde waren für mich die unkomplizierteren Menschen. Schon als kleines Kind in Afghanistan beobachtete ich die Straßenhunde und fühlte mich wahnsinnig zu ihnen hingezogen. Doch was könnte ich mit dieser Liebe anfangen?

Wo meine Hunde sind, bin ich zu Hause. Erst durch sie fühle ich mich angekommen.

Irgendwann stieß ich auf den Begriff »Hundeverhaltenstherapie«. Ich hatte noch nie zuvor davon gehört und wusste nicht, dass es diesen Beruf überhaupt gab – und wie vielfältig er wirklich ist, sollte ich erst Jahre später bemerken.

Ich würde lügen, würde ich sagen, ich wäre mir von Anfang an zu 100 Prozent sicher gewesen. Meine Eltern hatten schließlich viel auf sich genommen, um mir und meiner Schwester unsere Freiheit zu ermöglichen. Mein Vater trug als junger Mann die gesamte Verantwortung für die Familie auf seinen Schultern und zog mit uns über drei Jahre hinweg erst von Afghanistan nach Pakistan, dann nach Russland und schließlich nach Deutschland. Er konnte damals nicht einfach so seinem Traum folgen und genoss nicht den Luxus, sich von seinem persönlichen Glück tragen zu lassen. Er hatte Pflichten. Ich wollte seinen Bemühungen gerecht werden und etwas aus mir machen. Mein Erfolg sollte ihm und meiner Mutter meine tiefe Dankbarkeit deutlich machen – auch wenn ich Erfolg anders definierte als sie. Aber mit Hunden arbeiten? In den Augen meiner Eltern war das definitiv kein richtiger Beruf. In ihrer Kultur ist angesehen, wer als Mediziner oder Jurist Karriere macht. Aber als Hundetrainer? Sicher nicht! Das hörte sich in ihren Ohren eher an wie Schlangenbeschwörer. Wie sollte ich ihnen bloß erklären, was ich vorhatte?

Auf der anderen Seite schnürte mir der Gedanke an einen »normalen« Job die Kehle zu. Ich war schon immer ein Querkopf und ich merkte, dass dies das Ende meiner sorglosen Teenagerjahre war. Der Ernst des Lebens hatte mich eingeholt und nun saß ich mitten in seinem Wohnzimmer und wusste nicht weiter.

Ich wohnte damals, mit Anfang 20, mit meiner Freundin in einer kleinen zentral gelegenen Dachgeschosswohnung. In dieser Zeit war ich recht in mich gekehrt und hatte sehr mit mir und meinen Gefühlen zu kämpfen. Ganz offensichtlich hatten die Erfahrungen, die ich als Kind und Heranwachsender gemacht hatte, ihre Spuren hinterlassen. Ich stellte mir die essenziellen Fragen des Lebens und suchte dringend nach Antworten – häufig vergeblich.

Selbst die langweiligste Straße kann für Hunde zu einer Herausforderung und damit zum Problem werden.

Daher müssen sie sicher sein, dass sie sich jederzeit an uns orientieren können und wir auf sie achten.

Wenn ich morgens auf dem Balkon meinen Kaffee trank, konnte ich die Menschen auf der belebten Straße vor meiner Wohnung beobachten. Sie erinnerten mich an einen Ameisenstaat, der sich seinen Weg durch die grauen Straßen der Stadt bahnte. Verrückt, wie alle simultan funktionieren, als hätten sie eine Choreografie eingeübt, dachte ich nur. Der Gedanke, meinen Kaffee auszutrinken und mich ebenfalls in diese Choreografie einzufügen, bedrückte mich. Ich wollte nicht »funktionieren«. Ich wollte nicht irgendeinen Job machen und von montags bis freitags ausharren, um völlig erschöpft das Wochenende zu erreichen. Nein, das wollte ich auf keinen Fall!

Ich redete mir ein, dass meine Eltern dafür sicher nicht all die Strapazen auf sich genommen hatten. Und vor allem hielt ich an der naiv-romantischen Vorstellung fest, dass das Leben zu kostbar sei und mein Wunsch nach Glück und Zufriedenheit zu groß, als dass ich ihn einfach verschwenden könnte.

Je älter ich wurde, desto mehr sah ich Köln aus einer anderen Perspektive. Alles, was mir bisher an dieser Großstadt gefiel, bedrückte mich plötzlich. Sie wurde mir zu laut, zu schnell, zu impulsiv. Ich hatte das Gefühl, dass alles um mich herum in einem Tempo anwuchs, dem ich niemals hinterherkommen könnte. Das Leben schien so viel mehr zu verlangen, als es meinen Fähigkeiten entsprach. Ich wollte den Zug anhalten oder rausspringen. Doch das ging nicht. Noch nicht. Doch dann wurde eines Tages alles anders. Lisel zog ein.

»Meine Hunde haben mich gelehrt, die Stadt mit ganz neuen Augen zu betrachten. Mehr noch: Sie haben mich gelehrt, mich selbst neu zu sehen.«

Mit 20 Jahren bekam ich meinen ersten eigenen Hund: eine kleine Terrierhündin, die ich vom ersten Augenblick an liebte. Ich wusste, dass sich von nun an alles verändern würde, denn mit Lisel erfüllte sich mein größter Wunsch. Alles fühlte sich plötzlich richtig an. Ich trug auf einmal Verantwortung für ein anderes Lebewesen. Mir gefiel diese Aufgabe, vielleicht auch weil ich nun nicht mehr nur über mich nachdenken musste. Erst später sollte ich erfahren, dass ich noch nie mehr über mich nachdenken musste als mit Hund.

Obwohl ich dachte, Köln wie meine Westentasche zu kennen, lernte ich mit Lisel völlig neue Ecken kennen. Ruhigere Ecken. Ich bemerkte eine ganz andere Lebensqualität. Bis dahin hatte ich nur die Hunde von Nachbarn und Freunden ausgeführt. Das hatte Spaß gemacht und ich war gut darin. Aber jetzt begann ich, meine Intuition mit Wissen über Hunde zu ergänzen. Ich arbeitete ehrenamtlich als Pflegestelle für den Tierschutz, nahm traumatisierte Hunde auf und veränderte ihr Verhalten – und ich verstand mehr und mehr, wie wichtig mein eigenes Verhalten dafür war. Ich hörte mehr auf mich und auf meinen Körper, ging achtsamer mit meinen Entscheidungen um und erfuhr mich auf gänzlich neue Art. Paradoxerweise lernte ich durch Hunde, wer ich als Mensch bin. Ich habe verstanden, dass ich das Leben oder die Umstände zwar manchmal nicht verändern kann, aber durchaus entscheiden kann, welche Wirkung alles auf mich hat und wie ich damit umgehe.

Ich studierte die Verhaltenspsychologie der Hunde und bekam gar nicht genug davon, mehr über die Tierwelt und insbesondere über Hunde zu erfahren. Ich hatte nun eine genaue Vorstellung von mir. Ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ich führte mit Lisel an meiner Seite die Hunde der Nachbarn aus, verbrachte viele Stunden auf Hundewiesen und studierte jede ihrer Verhaltensweisen. Ich hatte plötzlich einen Lebensgeist, für den es sich lohnte aufzustehen. Nach all den Jahren des Zweifelns tanzte ich plötzlich nach meiner eigenen Musik, in meiner persönlichen Choreografie.

Meine Hunde zeigen mir jeden Tag, wie sie ticken und wie ein harmonisches Zusammenleben funktionieren kann.

Finanziellen Erfolg hatte ich noch nicht, aber das war mir egal. Darum ging es mir nicht, darum ging es noch nie. Wie gesagt: Ich wollte ein volles Herz – und je mehr ich mich in meiner Berufung verlor, desto mehr füllte es sich.

Nichtsdestotrotz musste ich auch meine finanziellen Kosten decken. Ich arbeitete daher drei Nächte die Woche in einem Lager, in dem ich für 15 Euro die Stunde Tiefkühlkost aus LKWs umpackte. Anschließend ging ich noch einem Zweitjob nach und putzte den Friseursalon eines Bekannten. So verdiente ich mir etwas Taschengeld und konnte meine Studiengebühren und die unverschämt hohe Miete in Köln finanzieren. Ich mochte diese Zeit und finde sie bis heute wertvoll für meine Entwicklung. Essen schmeckt ja bekanntlich auch am besten, wenn man hungrig ist.

Um 5.30 Uhr hatte ich Feierabend. Um kurz nach 6 Uhr kam ich im Friseursalon an. Alles wirkte friedlich, als wollte sich die Straße eine Ruhepause gönnen von den Tritten der Menschen. Als wollte sie einmal tief durchatmen …

Ich schloss die Tür auf, schaltete die Lichter an und machte mir erst einmal einen Kaffee. Ich trank ihn vor dem Salon und beobachtete, wie die Sonne aufging und nach und nach den Rest der Stadt weckte. Ich dachte an »meine« Hunde, die auf mich warteten. Ich wollte später gleich einen langen Spaziergang mit ihnen machen und plante in Gedanken eine Strecke, die wir noch nicht so oft gelaufen waren. Doch erst hatte ich noch ein wenig Arbeit vor mir. Also leerte ich meine Tasse, streckte mich und drehte die Musik laut an, um eine Runde mit dem Staubsauger zu tanzen.

»Das Leben ist kein Wunschkonzert, aber wir können darüber entscheiden, wie wir auf diesen Rhythmus tanzen.«

Etwa eine Stunde später machte ich mich zu Fuß auf den Heimweg. Ich war müde, aber nicht erschöpft. Außerdem konnte ich mich so für den Spaziergang aufwärmen. Innerhalb weniger Minuten füllten sich die Straßen mit Autos, die Fußgängerzonen mit Menschen und die Köpfe allem Anschein nach mit Stress. Es wurde zunehmend lauter und hektischer, die Autofahrer hupten, als könnten sie damit die Ampeln beeinflussen, und die Radfahrer fuhren, als ginge es um ein gelbes Trikot. Ja, spätestens jetzt war Köln wach. Guten Morgen! Auf mich wirkte die Stimmung aber nicht frisch und aufgeweckt, sondern unruhig und erschöpfend. Mir fiel auf, dass das Tempo der Passanten hoch war und Blicke eher vermieden wurden. Alle waren in Eile und ich bezweifelte, dass die meisten an etwas Schönes dachten, so tief versunken, wie sie ihren Blick hielten. Schade!

Ich dagegen war voller Vorfreude. Denn das Beste kam ja erst noch. Gleich sollte es gemeinsam mit »meinen« Hunden auf Abenteuerreise gehen. Genau so fühlten sich unsere langen Spaziergänge nämlich an: wie ein kleines Abenteuer. Wir streiften mehrere Stunden durch den Stadtwald und währenddessen bespaßte und trainierte ich meine Vierbeiner.

An diesem Morgen erschien mir der Wald noch schöner als sonst. Alles wirkte friedlich und ausgeglichen. Es roch wie nach einem Sommerregen. »Nirgendwo wäre ich jetzt lieber«, dachte ich und nahm einen tiefen Atemzug. Wir liefen dynamisch auf den schmalen Wegen zwischen den Wiesen. Meine Hunde waren motiviert und hielten das Tempo mit. Ich animierte sie, noch enger zusammenzubleiben, und sie folgten mir dicht auf den Fersen.

Auf bestimmten Wiesen und Wegen gab ich ihnen dann ein Signal, zu entschleunigen und herumzuschnüffeln, oder bot ihnen ein gemeinsames Spiel an. Ich hatte das Gefühl, dass sie meine Energie als sehr motivierend empfanden. Kein anderer Hund, kein Hase war interessant genug, unsere Dynamik zu stören. Wie jedes Mal nach so einer Hunderunde hatte ich das Gefühl, meinen Geist gesäubert zu haben und vollkommen geerdet zu sein. Und am liebsten hätte ich allen Menschen, denen ich an diesem Morgen begegnete, davon erzählt.

Eines war mir gewiss: Das Leben ist auch deshalb so kostbar, weil es nicht ewig währt. Es ist ein Geschenk und steckt voller Herausforderungen und Möglichkeiten, an denen wir wachsen können. Wie bei einem guten Spiel liegt die größte Freude weniger darin, es irgendwann zu beenden, sondern mittendrin zu stecken. Ich hätte damals meine Freude am liebsten laut hinausgeschrien. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich heute, etwa ein Jahrzehnt später, meine Gedanken »hinausschreiben« darf. Meine Hunde haben mir eine Freude gegeben, die kein Unglück mindern kann.

Das ist einer von meinen Vieren: Fritzi!

Unsere Hunde sind motivierende Partner, die uns auf eine äußerst sensible Weise jeden Tag aufs Neue den Spiegel vorhalten. Lasst uns einen Blick hineinwerfen und erkennen, wie wir unserem Leben die gewisse Leichtigkeit geben können. Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen und Ihrem Vierbeiner mit diesem Buch helfen kann, das Beste aus Ihrem gemeinsamen Alltag zu holen und gemeinsam in Gelassenheit und Zuversicht seinen Herausforderungen zu trotzen. Nichts verbindet Mensch und Hund so sehr wie eine gemeinsame Herausforderung.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und noch mehr Freude beim gemeinsamen Meistern der Herausforderungen.

DER GANZ NORMALE WAHNSINN

MENSCH UND HUND SIND SEIT JAHRTAUSENDEN EIN EINGESPIELTES TEAM. ABER KANN SO EINE BEZIEHUNG AUCH IN UNSEREN MODERNEN STÄDTEN FUNKTIONIEREN?

WARUM WIR HUNDE BRAUCHEN

Der Hund ist nicht nur der beste Freund des Menschen. Er kann ihm gerade in der Großstadt auch dabei helfen, sich selbst und der Natur wieder näherzukommen – und das Glück zu finden.

Lump stand Pablo Picasso nicht nur jahrelang Modell, sondern wurde von ihm auch innig geliebt. Dash galt als der engste Jugendfreund von Königin Victoria und Fala war auf Wahlkämpfen Franklin D. Roosevelts treuester Begleiter. Wohl keinem Tier kommt in der Geschichte der Menschheit eine so immens große Bedeutung zu wie den Nachfahren des Wolfes. Vom einfachen Hirten bis hin zu Kaisern: Alle waren von der Treue ihrer Hunde überzeugt. Am besten brachte es wohl Friedrich der Große auf den Punkt, der einst meinte: »Hunde haben alle guten Eigenschaften des Menschen, ohne gleichzeitig ihre Fehler zu besitzen.«

Tatsächlich ist es Hunden egal, wie wir aussehen, wie viel Geld wir haben oder wo wir herkommen. Sie sind unbefangen und leben das Leben mit einer Akzeptanz, die nur ganz wenigen Menschen vorbehalten ist.

Wir Hundehalter erleben das tagtäglich. Ich habe Hunde kennengelernt, die mehr Freude beim Zerkauen eines Astes hatten als mancher Mensch beim Fahren seines teuren Autos. Hunde sind beneidenswert in ihrer Lebensweise. Auch deshalb leben schätzungsweise zehn Millionen Hunde in deutschen Haushalten. Mit einigen habe ich im Lauf meines Lebens gearbeitet und vier von ihnen gehören zu mir. Wie bereichernd diese Begegnungen für meine Persönlichkeitsentwicklung waren, ist faszinierend.

Es werden mir sicher alle Hundehalter zustimmen, dass unsere Hunde irgendeine Eigenschaft besitzen, die wir an unseren engsten Mitmenschen vermissen. Sie verlangen wenig und geben so viel. Sie erinnern uns an unseren Ursprung und an unsere Natur. Bei ihnen holen wir uns eine Auszeit.

Wer hätte vor ca. 35 000 Jahren gedacht, dass dem Lagerwolf die treueste Seele an der Seite des Menschen entspringt? Aus einer Zweckgemeinschaft wurde Freundschaft und aus Nutztieren wurden wertvolle Familienmitglieder. Sie bewachen Haus und Hof, treiben oder schützen das Vieh, sie führen uns oder suchen nach uns, wenn wir verloren gehen. Hunde bringen uns zum Reden, wenn wir augenscheinlich nur schweigen können. Sie therapieren uns, wenn die Medizin an ihre Grenzen stößt. Es scheint fast so, als hätte die Natur uns Menschen den Hund geschenkt, um das Leben besser meistern zu können.

Wir Menschen sind mit Abstand die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten und haben Technologien entwickelt, die jegliche Vorstellungskraft überschreiten. Unsere Welt ist größer und schneller denn je. Und natürlich ist es ein unglaubliches Privileg, in einem fortschrittlichen System zu leben, das jedem Bürger Bildung und Sicherheit ermöglicht. Dennoch lastet mehr und mehr Druck auf uns.

Wenn wir geboren werden, bekommen wir bedingungslose Liebe, einfach weil wir da sind. Unser Sein ist vollkommen genug. Doch wenn wir älter werden, reicht das nicht mehr und wir werden gemessen, bewertet und eingestuft. In einem erfolgsorientierten System wie dem unseren macht sich schnell Erschöpfung breit, denn wer stehen bleibt, verliert. Die sozialen Medien tragen ihr Übriges dazu bei. Ständig vergleichen wir uns, werden dadurch zunehmend unzufriedener und fühlen uns mitunter wie Fremde in unserem eigenen Leben.

Ich bin überzeugt, dass der Wunsch nach einem Hund der Sehnsucht Ausdruck verleiht, zu unseren Wurzeln zurückzukehren. Wir wollen uns mit dem Vierbeiner an unserer Seite ein Stück Natur zurückerobern. Wir brauchen Licht, wir brauchen Wasser und manchmal brauchen wir eben einen Hund. Jeder, der schon einmal am Morgen das Gesicht in die ersten warmen Sonnenstrahlen des Tages gehalten hat, weiß, was Glück ist. Und wer dann noch von der feuchten Nase seines freudigen Hundes »geküsst« wird, ist sowieso selig. Man erfährt mit vollem Bewusstsein den Moment, während alles andere kurz still ist. Wie damals, als wir selbst noch Kinder waren – vollkommen unbesorgt.

Der Erwachsene ist dem ent-wachsen. Die Erfahrungen, die wir im Lauf unseres Lebens machen – ob positiver oder negativer Art –, sitzen fest in unserem Bewusstsein und verändern unsere Gedanken, unsere Handlungen, unseren Alltag, unsere Persönlichkeit und schließlich unsere Beziehungen. Hunde reagieren darauf sehr sensibel. Sie sind der Spiegel unseres Verhaltens. Deshalb sind sie heute vielleicht wichtiger für uns denn je. Wir bekommen ständig ihr Feedback. Hunde kritisieren uns, ohne uns zu verurteilen, und sie können uns helfen, uns bewusst zu verhalten und uns auszugleichen.

Mit meinem Mädchen veränderte sich alles. Ich habe nie wieder so viel über mich selbst gelernt wie durch sie.

DER WENDEPUNKT

Es mag verrückt scheinen, aber wir erfahren durch die Arbeit mit unseren Vierbeinern eine erstaunliche Persönlichkeitsentwicklung. Ganz oft bekommen wir für diese Aufgabe einen Hund, der so gut dazu passt, dass man fast glauben könnte, eine höhere Macht stecke dahinter. Am deutlichsten wurde mir dies mit Anfang 20, als meine Kangalhündin Mädchen zu mir kam. Sie können es Fügung oder Zufall nennen, aber es ist, wie es ist.

Ich selbst war damals auf der Suche nach meiner persönlichen Lebensphilosophie, nach dem, was mich wirklich ausmachte. Ich hatte mich immer noch nicht gefunden und brauchte dringend einen Wegweiser. Ich glaubte zwar viel gesehen zu haben, verstand aber trotzdem nichts. Nach wie vor stellte ich mir die essenziellen Fragen des Lebens und nach wie vor waren die Antworten unbefriedigend. Eine der wichtigsten Fragen war die Frage nach dem Glück. Was ist Glück und wie findet man es? Mir war bewusst, dass es einen Unterschied gab zwischen Glück und Spaß. Glück kommt von Gelingen, Spaß ist die situative Freude über eine bestimmte Sache – und somit vergänglich. Was also machte mein Glück aus?

Eines Tages erhielt ich endlich die Antwort, auf die ich so lange gewartet hatte. Sie erschien in Gestalt einer wunderschönen, hochbeinigen Kangalhündin, die noch namenlos plötzlich in mein Leben trat und von einem Moment auf den anderen alles auf den Kopf stellte. Ich rief sie liebevoll »Mädchen« und der Name blieb.

Mein Mädchen kam als Fundhund zu mir und, ohne zu zögern, nahm ich sie gegen jede Vernunft bei mir auf. Ich arbeitete sowieso viel im Tierschutz und war als Pflegestelle tätig. Warum also nicht auch für diesen Hund? Die Tierheime waren und sind ohnehin voll mit Hunden dieser Rasse.

Mädchen und Lisel: Meine beiden Ältesten sind ein eingespieltes Team auf acht Pfoten.

Der Kangal stammt ursprünglich aus Anatolien, wo er bereits vor Tausenden von Jahren Nomadenvölker aus Zentralasien begleitete und ihre Herden beschützte. Er ist autark und unerschrocken. Die eigenständige Art dieser wunderbaren Tiere und ihr stur wirkender Charakter, gepaart mit einem wuchtigen Körperbau, macht sie allerdings nicht gerade zu leicht erziehbaren Hunden. Sie haben ein stolzes Gemüt und hinterfragen Entscheidungen – dafür treffen sie gern selbst welche …

Auch bei Mädchen genügte ein Spaziergang, um mir über das Ausmaß ihres Gemütes im Bilde zu sein. Dagegen wusste ich über ihre Vorgeschichte so gut wie nichts, wir konnten uns lediglich einiges zusammenreimen: Sie war übergewichtig, hatte ein leicht hängendes Gesäuge und Liegeschwielen, ihre Pfoten waren wund geleckt. Vermutlich war mit ihr gezüchtet worden. Doch sie hatte einen starken und eindringenden Blick, der mich sofort gefesselt hat.

Als Erstes lernte Mädchen meine Hündin Lisel kennen. Beide wirkten in der Anfangszeit etwas angespannt, aber sie akzeptierten sich ohne Vorkommnisse. Lisel ist sehr klar in ihrer Kommunikation und trotz ihrer geringen Größe nicht zu unterschätzen. Andere Hunde nehmen sie ernst – und das tat auch Mädchen.

»Hunde verlangen wenig und geben so viel. Sie erinnern uns an unseren Ursprung und an unsere Natur. Bei ihnen holen wir uns eine Auszeit.«

Trotz meiner Erfahrung mit Hunden kam ich mir mit Mädchen manchmal vor wie ein blutiger Anfänger. Ich nahm meine Leine, sicherte sie am Geschirr und Halsband und führte sie aus. Aber ich hatte Schwierigkeiten, eine Verbindung zu ihr aufzubauen. Normalerweise ist die Leine eine direkte Verbindung zum Hund und ich merke durch sie schnell, wie sich ein Tier wann verhält. Mädchen hingegen ignorierte mich, blieb vor mir stehen, ging weiter, zog mal nach rechts, mal nach links – ganz so, als wäre ich gar nicht da. »So ein Miststück«, dachte ich.

Dann war es so weit. Auf einer geraden und breiten Strecke kam uns ein mittelgroßer Hund an der Leine entgegen. Er wirkte freundlich und besänftigte schon von Weitem, indem er das Tempo verlangsamte und einen Bogen einschlug. Mädchens Energie jedoch veränderte sich augenblicklich. Ihr Blick war starr, die Ohren spitzten sich, ihre Haltung spannte sich an, sie verlangsamte das Tempo und senkte den Kopf wie bei der Jagd. Sie wirkte wie ein Bogen, der gut gespannt gleich einen tödlichen Pfeil abschießen würde. Mir war sofort klar, dass sie in Angriffsstellung ging und es ernst meinte. Ich versuchte sie umzulenken und ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Und als das nichts brachte, blockte ich sie. Erfolglos! Ich bewirkte keinerlei Veränderung.

Als der andere Hund nur noch etwa 25 Meter entfernt war, drehte Mädchen völlig durch. Ich konnte dem nichts entgegensetzen, sondern sie lediglich mit aller Kraft festhalten. Sie stützte sich an mir ab, um zähnefletschend an den anderen Hund heranzukommen. Als er vorbeigezogen war, bemerkte ich die Anspannung in meinem Körper. Es war ganz schön schwer, einen 46-Kilo-Hund festzuhalten, während er durchdrehte. Ich blieb eine Weile stehen und ließ das Erlebnis auf mich wirken. Was war da eben passiert? Ich war erstaunt über die Explosivität, mit der Mädchen in die Leine geschossen war. Und ich war erstaunt darüber, dass sie diese Spannung weiter anhielt – fast so, als würde sie das nächste »Opfer« suchen.

Mädchen versuchte jeden Hund anzugreifen, dem wir draußen begegneten, ganz unabhängig davon, wie weit der Bogen war, den wir einschlugen. Allem Anschein nach war ihre Individualdistanz sehr großzügig ausgelegt. Ich war ernüchtert und gleichzeitig überrascht, wie wenig Einfluss ich auf sie hatte. Hatte sie vielleicht einfach einen schlechten Tag? Oder ich?

Zu Hause war Mädchen sehr distanziert und hatte wenig Lust auf Kontakt. Sie aß verhalten und hatte auch sonst wenig Interesse an uns – auch nicht an Lisel. Stattdessen schlief sie viel, sodass ich das Gefühl bekam, sie wäre sehr erschöpft. Klar, sie hatte ja auch einige Ausraster zu verkraften. Sie wimmerte laut im Schlaf und schlug in der Nacht immer wieder mit den Beinen. Ich ging zu ihr und streichelte sie aus ihrem Albtraum heraus.

»Mädchen und ich schienen in zwei völlig unterschiedlichen Welten zu leben. Sie würdigte mich keines Blickes und es gelang mir nicht, positiven Einfluss auf sie zu nehmen.«

Neuer Tag, neues Glück? Direkt am nächsten Morgen machten wir uns in der Früh auf den Weg in den Wald. Ich hatte viel vor, schließlich sollte Mädchen in wenigen Monaten durch eine Tierschutzorganisation vermittelt werden. Doch schon als wir den ersten Schritt vor die Tür setzten, stellten sich bei Mädchen die Nackenhaare auf. Sie senkte den Kopf und nahm Witterung auf. Hier musste vor Kurzem ein Hund vorbeigegangen sein. Ich lenkte sie ab, blieb stehen, drehte um, erhöhte das Tempo, um zielstrebiger zu wirken und ihre Aufmerksamkeit zu bekommen … Nichts half auf Dauer. Es gelang mir einfach nicht, einen Zugang zu ihr zu finden.

Dann trafen wir im Wald die ersten Hunde. Ich war vorbereitet und wusste, was nun kam. Mädchen spannte augenblicklich ihren Körper an. Sie blieb wie versteinert stehen und nahm eine sichelförmige Haltung ein. Eine dunkle Bürste erhob sich von ihrer Rute bis zum Kopf über ihren Rücken. Sie fixierte und atmete deutlich stärker, sodass sich ihre Lefzen aufpumpten.

Als die anderen näher kamen und die Entfernung nur noch etwa 30 Meter betrug, regte sich Mädchen richtig auf und wütete erneut wie ein Tornado. Ich konnte sie nur mit größter Mühe zurückhalten.

Ermüdet von dieser Wucht kehrte ich heim. Ich wusste, ich brauchte einen Plan. Das Beängstigende war weniger ihr aggressives Auftreten, damit hatte ich bereits Erfahrungen. Was mich irritierte, war, wie wenig Einfluss ich auf sie hatte. Ich war für sie überhaupt nicht relevant, sie schaute durch mich hindurch. Meine Worte waren nichts als ein leises Flüstern im Wind.

Wochen vergingen, in denen ich mich unermüdlich an ihr abarbeitete: Wir machten uns jeden Morgen auf den Weg zur Besserung. Wir liefen lange Strecken, ich trainierte die Grundsignale mit ihr und bot ihr verschiedene Aufgaben an, mit denen wir, so dachte ich, gemeinsam einen Erfolg feiern könnten. Sie hingegen interessierte sich recht wenig für mich und meine Animationen. Ihr Interesse war immer nur von kurzer Dauer – dann mussten wir wieder von vorn anfangen. Ich erinnere mich an Tage, an denen ich so erschöpft vom Training mit ihr zurückkam, dass ich mit Schuhen, Jacke und Rucksack auf der Couch einschlief.

Ein Jugendbild: Ich war so stolz, Mädchen an meiner Seite zu haben. Aber ich musste wirklich noch jede Menge lernen.

Weitere Wochen vergingen. An ihrem Verhalten anderen Hunden gegenüber veränderte sich wenig. Immerhin aber schenkte sie mir hier und da einen Blick, der mein Herz aufgehen ließ und mir mehr bedeutete, als ich damals zugeben wollte.

Ich hatte immer eine genaue Vorstellung für Mädchen. Ich hatte dieses eine Bild im Kopf, wie sie frei auf einer Wiese rennt und mit anderen Hunden spielt. Ungezügelt und voller Lebensfreude. Die Realität sah allerdings anders aus. Mal lief es besser, dann wieder schlechter.

Heute sind Mädchen und ich ein unschlagbares Team. Sie ist meine treue Begleiterin und hilft mir bei meinen Trainingseinheiten.