Summertime Feelings - Jo Berger - E-Book

Summertime Feelings E-Book

Jo Berger

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Beschreibung

Ohne Mütze geht sie nie aus dem Haus, ihr Herz trägt sie auf der Zunge und das einzige männliche Wesen, bei dem sie sich völlig fallenlassen kann, ist Jupp, ihre Hängematte. Charlotte, genannt Schoscho, lebt als Tauchlehrerin an einem der schönsten Plätze der Welt. Hier, an der Küste des Roten Meeres kann sie gleichzeitig ihrer Leidenschaft fürs Tauchen nachgehen und ihrer Vergangenheit mit all ihren Problemen ausweichen. Leider ist Himmelreich überall, und so findet Schoscho sich gegen ihren Willen bald zurück in der alten Heimat – und bis zum Hals in Schwierigkeiten. Mit Josh, ihrer alten Liebe, hatte sie längst abschließen wollen. Jetzt ist er wieder da, immer noch ein Typ zum Niederknien, und es ist schwer, ihm in dem kleinen Dorf … Verzeihung, der kleinen Stadt … aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig nehmen die Ermittlungen rund um den Tod der Freundin Nattie Fahrt auf. Endlich gibt es einen Verdächtigen, und alle Freundinnen sind sich einig: Ihn lassen sie nicht davonkommen. *** Witzig, spritzig, spannend und sexy. Die Mischung hat es in sich. *** »Summertime Feelings« ist der dritte Band zu einer fünfteiligen Romanreihe der Bestseller Autorinnen Emma Wagner, Lana N. May, Jo Berger, Stine Mertens und Mia Leoni.

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Summertime Feelings

Summertime Romance 3

Jo Berger

Inhalt

Kapitel 1

Hummeln im Hintern

Kioskblues

Auf die FLossen, fertig, los

Licht aus

Wer ist Sunny?

Himmelreich und Honigduft

Bierbaumpudding

Unsichtbar

Ein Brief von Nattie

Honigeis

Schnöselanzug und Halspastillen

Dorffest

Prima Ballerina

Honigduft

Zu Hause

Haialarm

Planung ist alles

Alles Karma oder was?

Akku alle

Schlüsselszenen

Zitronenlimonade

Jetzt wird abgerechnet

Mondscheindonuts

Flip und Flop

Liebe Leserinnen und Leser!

Nachwort

For you

Wortwechseleien

Gesamter Lesestoff

Über die Autorin

Jo Berger

Summertime Feelings

Band 3

Dieser Roman ist eine Neuauflage von

Himmelreich und Honigduft (2016)

Band 1: Summertime Kisses, Emma Wagner

Band 2: Summertime Heartbeat, Lana N. May

Band 3: Summertime Feelings, Jo Berger

Band 4: Summertime Dreams, Stine Mertens

Band 5: Summertime Love, Mia Leoni

Copyright © 2016/ 2023 Jo Berger

Dieser Roman ist eine Neuauflage von

Himmelreich und Honigduft (2016)

Jo Berger

c/o Die Bücherfee Karina Reiß Heiligenhöfe 15 c

37345 Am Ohmberg

E-Mail: [email protected]

Website: www.jo-berger.com

Lektorat & Korrektorat:

Susanne Pavlovic (www.textehexe.com)

Umschlagsgestaltung: Truelove Coverdesign 

Umschlagabbildung: ©Shutterstock / Halay Alex, ©Shutterstock / LookerStudio, ©Shutterstock / lemonkate, ©Taydoo

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung bedarf der ausschließlichen Zustimmung der Autorin. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Verwertung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Orten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

Dieser Roman ist eine Neuauflage von Himmelreich und Honigduft

Hummeln im Hintern

Was macht der denn da? Spinnt der?

»Hey!« Ich lege die Hände wie einen Trichter um meinen Mund. »Hallo!«

Der Mann steht ungefähr zehn Meter vor mir im Meer, rückt sein Basecap zurecht und hat mir den Rücken zugewandt. Offenbar fühlt er sich in keiner Weise angesprochen.

Jetzt bückt sich der Hohlkopf auch noch!

Okay, ich muss zugeben, pinkfarbene Shorts mit Seesternenmuster sind ähnlich abtörnend wie Muscleshirt an Wabbelbizeps, aber die Rückseite dieses dunkelhaarigen Mannes lässt zwei attraktive Händchen voll unter dem grausigen Dekor erwarten. Aber hey, es ist doch immer das Gleiche mit den Touristen! Kaum entdecken sie ein paar bunte Korallen, müssen sie sie befummeln. Dabei stecken überall Schilder im Sand, die darauf hinweisen, diese Lebewesen nicht anzufassen.

Und schon gar nicht, draufzustehen, verflucht! Der Depp hat Nerven!

Der Typ steht am Beginn der flachen Korallenbank, das sehe ich von hier, da brauch ich meinen Kopf nicht unter Wasser zu hängen.

Und irgendwie kommt er mir bekannt vor.

Wütend pfeife ich durch die Finger und rufe: »Hey! Hey, Sie da! Steigen Sie sofort von den Korallen runter!« Gleichzeitig schwenke ich meine leere Jutetasche, um auf mich aufmerksam zu machen.

Ertappt zuckt er zusammen und dreht sich um, wobei er aus dem Gleichgewicht gerät und wild mit den Armen rudert.

Recht so, soll er doch auf einen Steinfisch fallen!

»Was?«, ruft er.

Dachte ich es mir doch, nicht nur ignorant, auch noch schwerhörig! Bitte, wo ist ein Hai, wenn man ihn mal braucht?

»Runter von den Korallen! Das ist verboten! Können Sie nicht lesen?« Ich deute auf das Schild neben mir und koche innerlich. Wenn das so weitergeht und alle unbekümmert auf den Korallenbänken herumspazieren, ist es in absehbarer Zeit ziemlich tot am Hausriff.

»Hä?«

Herrje!

»Ver-bo-ten! Runter von den Korallen!«

»Das geht nicht!«, ruft er, blickt besorgt nach unten und deutet auf irgendetwas im Wasser. »Da ... da ist was, das mich beißt.«

»Wie groß?«, rufe ich.

Zögerlich bringt er seine Handflächen in einem Abstand von vielleicht ... nee jetzt ... fünf Zentimetern zusammen?

Ich ahne, was da Jagd auf ihn macht, und kann mir ein Lachen kaum verkneifen.

»Silberfarben mit einem schwarzen Strich?«

Er nickt hektisch und sucht mit flatterndem Blick die Wasseroberfläche ab.

Gut, er steht auf hochempfindlichen Korallen, aber auf die Minute mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an. Diesen Denkzettel hat er mehr als verdient.

»Okay, ganz ruhig! Bleiben Sie, wo Sie sind«, rufe ich und wedle mit den Armen. »Das ist der hochgiftige Wadenbeißer der Gattung Harmlosia Glaubstekaum.«

Seine Augen weiten sich und ich halte die Luft an, um nicht loszuprusten. Der Typ hat Schiss vor ein paar Putzerfischen, die ihm ein paar Hautschüppchen von den Waden knuspern wollen.

»Kommen Sie schon her«, rufe ich und winke ihn zu mir, »das sind harmlose Putzerfische, die tun Ihnen nichts.«

»Sicher?«

»Unbedingt! Die beißen nicht, die knabbern nur.« Genervt stemme ich die Hände in die Hüften und warte, bis er mich erreicht. »Wunderbar, Sie leben noch.«

»Ja, sieht so aus. Sie glauben gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass ... Schoscho?« Er kneift die Augen zusammen. »Tatsächlich, du bist es!«

Ich runzle die Stirn. Okay, er kennt mich. Und irgendwie kommt er mir tatsächlich bekannt vor. In Sekundenschnelle versuche ich, das männliche Objekt zu scannen und mit abgespeicherten Erinnerungen zu vergleichen. Zwecklos, die Suche ergibt keinen Treffer. Dabei funktioniert sowas bei NCIS immer.

Dunkle kurze Haare, relativ groß, etwa mein Alter. Und gut sieht er aus, wenngleich nicht mein Typ. Dunkel ist Lisas Einsatzgebiet, nicht meines. Moment, das ist doch ...

»Marcel?«

Tatsächlich, vor mir steht Lisas Ex. Himmelreich scheint mich nicht loszulassen.

»Richtig! Komm, lass dich mal herzen, Mädchen.«

Im nächsten Moment zieht er mich kraftvoll an sich, meine Wange quetscht sich gegen seine harte Männerbrust und ich rieche eine Mischung aus herbem Rasierwasser, Pancakes und Mann.

»Schglaube dasch reischd«, presse ich heraus und fürchte schon, den Schriftzug »American heartbreak« vollzusabbern, als er mich von sich schiebt, meine Schultern umfasst und mich ansieht, als hätte er ein totgeglaubtes Familienmitglied gefunden. Meine Wange fühlt sich taub an und eigentlich könnte er mich jetzt loslassen.

Was er dann auch tut.

»Haha, schon verrückt, was? Zwei Himmelreicher treffen sich in Ägypten. Ich hätte ja nicht im Traum dran gedacht, dir zu begegnen, auch wenn ich von Lisa weiß, dass du in Ägypten lebst. Das ist ja ein witziger Zufall.«

»Du machst hier Urlaub?«, frage ich und weiß nicht, ob ich mich freuen oder dem Schicksal mal gehörig die Meinung sagen soll. Das ist alles ein bisschen viel Himmelreich in meinem Leben, obwohl ich von diesem Ort eigentlich nichts mehr wissen will.

Seit wenigen Tagen bin ich wieder zurück aus Himmelreich, zurück von Natties Beerdigung, und habe alles mit fliegenden Fahnen hinter mir gelassen. Dachte ich zumindest. Und jetzt scheint es, als drängelte sich Himmelreich wie ein konturloser Tauchschüler in der hinteren Reihe unaufhörlich fingerschnipsend in mein Bewusstsein.

»Nein«, antwortet er. »Ich bin beruflich hier und hatte nur eine Nacht in diesem Hotel. Gegen Mittag sitze ich leider wieder im Cockpit.«

»Stimmt«, sage ich. »Du bist ja Pilot. Und? Ganz alleine unter ägyptischer Sonne?«

»Ganz alleine, ja.« Ein Schatten huscht über sein Gesicht. »Der Rest der Crew hat es vorgezogen, in einem Hotel direkt in Hurghada die Nacht zu verbringen. Ich wollte heute mal diese Location ausprobieren. Und ...« Er macht eine ausholende Bewegung, »... ich bin positiv überrascht. Na ja, bis auf diese ... Putzerfische im Wasser. Ich ziehe dann doch lieber künftig den Pool oder unseren See vor.«

»Ja, das Hotel ist traumhaft und nicht so überlaufen wie viele hier an der Makadi Bay. Aber sag mal, wer hat dir diese ... dezenten Badeshorts ausgesucht?«

Er blickt an sich herunter und sieht mich anschließend fragend an. »Na, ich. Wer sonst? Wieso?«

»Och ..., ich meine nur, diese Farben ...«

Er seufzt. »Pink mit gelben Seesternen ... Ich weiß, ziemlich hässlich, hm? Die waren günstig, und im Hotelshop hatten sie nur noch diese Farbe. Habe meine Badesachen vergessen.«

»Das erklärt natürlich alles.« Ich zwinkere ihm zu und beschließe, die Sache mit den Shorts auf sich beruhen zu lassen.

Allerdings würde ich ihn gerne fragen, warum er nicht auf Natties Beerdigung war. Obwohl ... wahrscheinlich hatte er zu diesem Zeitpunkt in irgendeinem Flieger gesessen. Außerdem scheint mir diese Frage irgendwie unangebracht, warum, weiß ich selbst nicht. Also schlucke ich sie runter.

Hm, Josh war ebenfalls nicht auf der Beerdigung, obwohl er Nattie gut gekannt hatte.

»Komm«, sage ich und schultere die Jutetasche. »Lass uns ein paar Minuten am Strand entlang gehen. Ich muss in diese Richtung.« Ich deute mit dem Finger.

Genau genommen müsste ich jetzt sofort links abbiegen und den Weg zum Hotelkiosk nehmen, aber mir ist jetzt nach Strand. Und in mir brennt eine Frage, die raus will, obwohl ich gleichzeitig weiß, dass ich die Antwort im Grunde genommen nicht hören möchte. Marcel weiß wahrscheinlich genauso viel wie meine Freundinnen, nämlich nichts. In Himmelreich hat mich auch niemand auf Josh angesprochen. Ja, die dachten wohl auch, dass die Vergangenheit besser ruhen sollte. Das ist Himmelreich. Die unschönen Dinge werden gerne unter den Teppich gekehrt und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Weglächeln und hinter verschlossen Türen die Köpfe schütteln. Das war unter anderem ein Grund, warum ich fort bin.

Ich sollte die Vergangenheit ruhen lassen und Marcel unter keinen Umständen nach Josh fragen. Auf gar keinen Fall.

»Hast du eigentlich mal was von Josh gehört?«

Marcel sieht mich plötzlich ernst an und mir wird ganz anders.

Oh? Oh! Ist mit Josh alles in Ordnung? Ist er krank? Verheiratet? Ist er ... lebt er noch? Die Gedanken überschlagen sich, und bevor ich sie zurückhalten kann, sprudeln sie aus mir heraus wie Wasser aus einem geplatzten Rohr.

»Hey, ganz locker, Schoscho«, grinst er, »Alles gut. Elias, also Josh, er lebt noch. Glaube ich zumindest.«

»Wo?«, will ich wissen und erinnere mich, dass die einzigen, die Joshs ersten Namen verwenden, sein Vater und ein paar damalige Schulfreunde sind.

Elias Joshua König. Mein Josh ...

»In Köln, das ist zumindest mein letzter Stand, aber das ist jetzt auch schon ein paar Jahre her.«

»Ihr habt also auch keinen Kontakt mehr ...«

Marcel lacht und schüttelt gleichzeitig den Kopf. »Wie das eben so ist, neue Frau, neue Stadt. Wer will schon in dem Kaff Himmelreich sein Dasein fristen? Ich meine, außer mir natürlich.«

Meine Hummeln im Hintern, die ich ständig mit mir herumschleppe, werden ungeduldig.

Neue Frau?

Jetzt will ich alles wissen.

Kioskblues

Endlich weiß ich, was mit Josh los ist, und das finde ich ehrlich gesagt zum Kotzen.

Warum schaffe ich es nicht, meine Klappe zu halten? Das hätte ich mir nun wirklich sparen können. Ich sollte diesen Idioten jetzt endlich vergessen. Jetzt, wo ich weiß, dass er verheiratet ist. Hat der Hammel doch tatsächlich diese versnobte Schlampe geheiratet, die sein Vater angeschleppt hatte!

Gut, okay, der Besuch in Himmelreich hat alte Wunden aufgerissen, und Beerdigungen sind nichts, was man mal eben mit einem Glas Hochprozentigem runterspülen kann. Der Tod von Nattie geht mir übel an die Nieren. Hätte eine von uns Fünfen ihn verhindern können, wenn sie Nattie zurückgerufen hätte? Auch ich habe gesehen, dass sie versucht hatte, mich zu erreichen. Fuck, warum habe ich mich nicht sofort gemeldet? Warum war es mir wichtiger, mit erlebnishungrigen Touristen ins Meer zu hüpfen? Warum habe ich es immer wieder auf den nächsten Tag geschoben?

Und, verdammte Kacke, warum musste mir ausgerechnet Marcel über den Weg laufen?

Ich schnaufe kurz durch, fühle mich an allem Elend rund um Himmelreich schuldig und gebe dem Einkaufswägelchen einen Ruck. Im Schneckentempo schiebe ich ihn den Gang des winzigen Lebensmittelmarktes entlang, der alles hat, was Touristen brauchen. Jede Ritze ist mit Artikeln vollgestopft. Ganz im Gegensatz zu meinem Magen, der sich wie eine leere Höhle anfühlt. Wenn ich hineinschreien würde in diesen Hohlraum, gäb´s wahrscheinlich ein Echo.

Josh ist verheiratet ...

Ich lege Toastbrot und Erdbeermarmelade in den Wagen. Was bleibt mir anderes übrig? Die Alternative wäre trockener Toast oder trockener Toast mit Honig. Doch Honigduft erinnert mich blöderweise an Himmelreich und ...

Schon wieder! Lass das, Schoscho.

Ich schleiche weiter den schmalen Gang entlang. Was brauchen wir noch? Ach ja, eine Flasche Weißwein, den günstigsten, zwei Rollen Toilettenpapier und einen Deoroller. All diese Dinge kommen mir so bedeutungslos vor. Brauche ich Deo zum Überleben? WLAN, ja, aber Deo? Meine Finger greifen trotzdem zum Deostick, als gehörten sie nicht zu mir, und ich sehe mir zu, wie ich das Teil in den Wagen lege. Ich starre es an und stelle es kurzentschlossen in das spärlich ausgestattete Regal zurück. Es gibt keine andere Sorte in dem Supermarkt direkt neben dem Hotel, und ich mag den Geruch des Deos nicht. Außerdem ist es zu teuer. Warum also soll ich etwas kaufen, das ich nicht mag und das mein Budget sprengt?

Ich presse meine Lippen aufeinander und möchte mich einfach nur in eine Ecke setzen und weinen. Weinen hilft. Manchmal. Ich fühle mich dann wie ein bis an den Rand gefüllter Stausee, dessen Einfassung aus Beton auch schon bessere Zeiten gesehen hat.

Und dann passiert es, ich kann nichts dagegen tun. Heiße Tränen brennen in meinen Augen und schwappen über den Wimpernrand.

»Englischer Adel!«, hatte der Bürgermeister vor vielen Jahren getönt. »Eine Bereicherung für unseren Ort! Man stelle sich vor: Blaues Blut vermischt sich mit dem der Königs, und darüber hinaus würden unserer Gemeinde nicht unbeträchtliche finanzielle Mittel zuteil.«

Wie ich diesen Mann heute noch verabscheue. Und dann hatte zu allem Übel auch noch mein Vater urplötzlich in Karl Königs Horn geblasen.

Die Erinnerung bricht durch und ich sehe ihn vor mir, den knapp achtzehnjährigen Josh, der mir eines Nachts unter Tränen am See mitteilte, dass er für ein paar Tage mit den McLaughlins nach England reisen werde, weil sein Vater ihm das Messer auf die Brust gesetzt und gedroht hatte, ihn zu enterben, wenn er ihm nicht folgte. Er hatte versprochen, mir jeden Tag zu schreiben, eine Lösung zu finden und zu mir zurückzukehren. Und nach drei Wochen ohne ein Wort von ihm und Königs Lobhudelei auf seine künftige Schwiegertochter zerbröckelte meine Welt wie getrocknete und in der Hand zerriebene Rosenblätter.

Der Schmerz, den ich vor vielen Jahren nicht glaubte, aushalten zu können, überschwemmt mich wie ein Tsunami.

Zum Glück ist es früh am Morgen und um diese Uhrzeit verirrt sich normalerweise kein Mensch in den kleinen, hoteleigenen Supermarkt. Keiner bekommt mit, wie meine Unterlippe für einen Moment unkontrolliert zittert. Ich hasse diesen Augenblick, wenn ich gegen meine Gefühle verliere und mein Brustkorb sich zusammenzieht, als wäre in 30 Metern Tiefe plötzlich meine Sauerstoffflasche leer.

Schnell flüchte ich hinter den mit Strandkleidern und Strohhüten dicht behängten Ständer und schließe die Augen. Bewusst atmen, sage ich mir. Langsam atmen. Ein und aus, ein und aus.

Eine Grundregel für Taucher lautet: Panik ist tödlich. Das war das Erste, was ich lernte. Gleichmäßig atmen, ruhig bleiben. Sogar wenn die Angst übermächtig wird. Angst ist nicht tödlich, Angst ist erlaubt. Nur darf die Angst keine Panik auslösen. Also wende ich diese Methode auch jetzt an, obwohl Ich keine Angst, sondern nur Schmerz verspüre. Ein lächerlicher Schmerz. Allerdings einer, der mich glauben macht, auf der Stelle sterben zu müssen, wenn ich nicht sofort ...

Mein Josh ist tatsächlich verheiratet ...

Schluss jetzt! Herrje, das muss doch irgendwann mal ein Ende haben!

Die Atemmethode hilft. Immer. Das Beben in mir lässt nach, der Wasserstrom versiegt. Zurück bleibt eine Stimme in mir, die ...

Schnauze!

Halbwegs gefasst und mit steifen Schritten schiebe ich den Wagen Richtung Kasse, lege die Waren auf das Band und lächle die ältere Kassiererin an, die immer brav ihr Haar unter einem Kopftuch verbirgt. Sie spricht nur wenig Englisch und ihr Vokabular begrenzt sich auf »Good morning«, »Bye« und »Thank you«. Sie gibt mir mit einem einstudierten »Thank you. Bye, bye, Schoscho« das Wechselgeld zurück. Es ist nicht viel und muss die restliche Woche reichen. Noch vier Tage Toast mit Marmelade, dann gibt es wieder Lohn.

Der Gewohnheit folgend packe ich die überschaubare Ausbeute in meinen Jutesack, Wein unten, Toast oben, und in all dieser Zeit denke ich nur an Josh. An sein verschmitztes Lächeln, seine lachenden Augen, seine dunklen Locken, die immer unfrisiert aussehen, seine unvergleichlich sanften Lippen auf meiner Haut. Es macht mich schier verrückt.

Verdammt nochmal, dieser Name klebt an mir wie frisches Harz und doch gehört er in meine Vergangenheit. Nach Himmelreich. Zu allem, was ich geliebt und hinter mir gelassen habe.

Und ich kann nichts mehr daran ändern. Josh ist verheiratet.

Und unsere Nattie ist tot.

Wieder steigt mir Wasser in die Augen. Ach, Nattie. Ach, Josh ... Hastig reibe ich mir die Augen. Jetzt nicht die Fassung verlieren. Einatmen, ausatmen, zusammenreißen und schnell an etwas anderes denken.

Ich bin Charlotte von Hilsenhain, Partygirl und stets gut drauf. Beliebt bei Männern, weniger beliebt bei Frauen, wie zum Beispiel Kami, dieser aufgeblasenen Zicke, die jede Gelegenheit ergreift, um mir eins auszuwischen.

Dieser Gedanke lenkt mich ab und das ist gut so. Ich bin in Ägypten. Ich arbeite dort, wo andere Urlaub machen. Mir geht es blendend. Blen-dend! Ach, was sag ich, fantastisch geht es mir. Ich recke mein Kinn vor und schiebe mich durch die Tür nach draußen.

Vor dem Supermarkt stülpt sich schlagartig die Hitze der ägyptischen Sonne über mich. Die milden Monate sind vorbei, jetzt im Juli beginnt der heiße Teil des Jahres an der Makadi Bay und treibt mir mit über dreißig Grad im Schatten morgens um acht die Schweißperlen auf die Stirn. Ob ich mich irgendwann daran gewöhnen werde?

Der ewig gleiche »Good morning Song« der Poolanimation schallt zu mir herüber. In der Luft liegt der frische Duft des Meeres, vermischt mit dem Aroma von frischgebackenen Pfannkuchen aus dem Speisesaal, und lässt in mir so etwas Ähnliches wie Hunger aufkommen. Kein Wunder, sagt mein Bauch, ich brumme seit einer Stunde und du ignorierst mich.

Er legt noch ein dunkles Grollen nach und ich beschließe, den Toast einfach in Milchkaffee zu tunken. Pfannkuchen, ja, das wäre jetzt was, leider ist der Speisesaal ausschließlich den Touristen vorbehalten. So ist das eben, wenn man in einem Urlaubsparadies arbeitet. Pfannkuchen für die Gäste, trocken Toast für die Mitarbeiter.

Wäre ich ein Gast, so müsste ich jetzt nur wenige Schritte um die Ecke gehen und könnte mich an einem opulenten Frühstücksbuffet bedienen, das keine Wünsche offenlässt. Ich könnte vom Buffet direkt in den Pool fallen und anschließend über den unmittelbar angrenzenden Strand an der Beachbar vorbei ins Meer rennen.

Hinter mir gleitet die Tür mit einem Bimmeln ins Schloss. Die Sonne blendet. Auf der weiß gekalkten Mauer gegenüber dem Supermarkt hockt Kami mit einer Zigarette in der Hand unter der Palme und lässt ihre dürren Beine baumeln. Die ausladenden Fächer der Pflanze schenken dem kleinen Platz vor dem Supermarkt erst ab der Mittagszeit Schatten, wenn er sowieso geschlossen hat. Jetzt blicke ich gegen die Sonne und muss kurz blinzeln.

Als Kami mich sieht, grinst sie schräg und drückt ihre Zigarette in der Palmenerde aus.

»Hi, Kami. Na, wieder zu wenig Platz für zwei im Supermarkt?« Dabei hoffe ich inständig, dass meine Augen nicht rot sind. Gleichzeitig bin ich dankbar, dass mich diese blöde Kuh in das Hier und Jetzt zurück katapultiert.

»Och, das Schoschochen hat wieder geheult ...« Sie verzieht ihr Gesicht. »Hast lange gebraucht da drin. Ich frag mich, wie man in diesem Drecksladen so viel Zeit verbringen kann. Ach, halt, warte. Du hast die Sonnenhüte vollgeflennt. Oder waren es diesmal die Konservendosen? Nun, da du offensichtlich damit fertig bist ...«

Sie streicht sich mit einer lasziven Bewegung ihre dunkelroten Locken aus dem Gesicht, hüpft grazil von der Mauer und schiebt ihren trotz ihrer 35 Jahre wohlgeformten Hintern an mir vorbei.

Gut, ich bin gerade mal sieben Jahre jünger als sie. Das ist nichts, doch Kami sieht das anders. Sie hält sich für den Mittelpunkt der Welt und alles, was Titten hat, hat nichts zu melden.

Im Prinzip hat sie lediglich ein Problem damit, die Älteste an der Tauchstation zu sein. Und sie glaubt tatsächlich, die Beste zu sein, ist es aber nicht. Ich schaffe es, bis zu drei Minuten die Luft anzuhalten. Sie bringt es höchstens auf neunzig Sekunden. Ich weiß, das nagt an ihr, das und die Tatsache, dass sie schon Mitte dreißig ist, machen es auch nicht besser. Im Prinzip könnte sie mir leidtun, denn fünfunddreißig wird unter der Hand als die statistische Halbwertszeit abgeschmiert. Der Zerfall wird langsam sichtbar, aber man bekommt im Bus noch keinen Sitzplatz angeboten.

Zum Glück finde ich schnell zurück zu meiner Betriebstemperatur, richte mich innerlich auf und schiebe meine Mütze etwas hoch.

Ja, ich weiß, ich trage selbst bei vierzig Grad im Schatten Mützen, ich finde, ich sehe gut damit aus. Heute trage ich eine Sommermütze: hell, dünner Stoff. Aufschrift: Einen Scheiß muss ich!

Und schon gar nicht muss ich diese Hexe mögen. Es reicht, gelegentlich mit ihr zu Tauchgängen eingeteilt zu sein.

»Sag mal, Kami, warst du eigentlich zu lange unter Wasser oder warum quatschst du so einen Scheiß?«

»Zu lange unter Wasser? Ich war heute noch nicht ...«

»Ich mein ja nur ..., dein Foto hängt seit vorhin an der Fischbestimmungstafel aus.« Grinsend schultere ich meine Tasche und laufe an ihr vorbei.

»Was? Wie? Kann gar nicht sein. Du veräppelst mich«, höre ich sie hinter mir herrufen und hebe kurz den mittleren Finger in ihre Richtung.

In diesem Moment erschallt der Guten-Morgen-Song der Poolanimation zum zweiten Mal und verschluckt Kamis Flüche, die sie mir mit auf den Weg gibt. Und plötzlich finde ich das nervtötende Geträller, das ich auswendig mitsingen könnte und mich anfangs sogar im Traum verfolgte, gar nicht mehr so schlimm.

Ich kann mich dazu entscheiden, den Rest meiner Tage zu leiden oder nach vorne zu blicken. Ich kann das jetzt tun oder irgendwann. Irgendwann bringt mich aber nicht weiter, denn ändern kann ich sowieso nichts mehr. Also beschließe ich, alles abzustreifen, blicke kurz durch Palmen hindurch auf das Meer und verabschiede mich mit einem letzten Gedanken von Himmelreich.

Mein Leben ist hier, in Ägypten. Bei Nina, bei Samir, bei meinen Tauchkollegen. Bei den stolzen Pferden und gemächlichen Kamelen am Rande der Anlage. Ich liebe dieses Leben. Punkt.

Ich nicke, schnaufe einmal kräftig durch, marschiere los und hüpfe über eine Luftmatratze, die quer über dem Weg liegt. Dabei singe ich lauthals den Poolanimationssong mit. Er stammt aus dem uralten Film Singin in the rain:

Good morning, good morning

We’ve talked the whole night through,

Good morning, good morning to you.

Der Hunger ist vergessen und ich fühle mich freier. Puh!

Ich liebe dieses fantastische Wetter hier, den Geruch des Meeres, das warme Wasser und meine Tauchgänge in die unglaublich vielfältige Unterwasserwelt des Roten Meeres. Kurz wundere ich mich: Eben befand ich mich noch am Arsch der Gefühlsgrenzen und jetzt sprudelt in mir eine gute Laune zum Kugelfischaufblasen. Ist das Leben nicht herrlich?

Ich schwinge die Tasche zum letzten Good morning und ... treffe.

»Autsch!«

Spontan bremse ich ab und komme kurz vor Samir zu stehen. Der reibt sich den Ellenbogen und sieht mich einer Mischung aus Schmerz und Erheiterung an. »Ich hatte gehofft, dich zu treffen, Schoscho ...«, sagt er lächelnd. »Jetzt hast du mich getroffen ... Ach, wir haben heute Del­fintour. Vergessen? Heute geht es zur Abwechslung mal an ein Riff, an dem wir noch nicht waren. Hast du die Tauchausrüstung überprüft? Ihr solltet vorher runter und das Riff abchecken. Und was zur Hölle ist in dieser Tasche? Ein Backstein?«

Erschrocken prüfe ich die Tasche. Wein noch ganz? Tasche nass? Zum Glück ist die Flasche heil geblieben.

»Wein. Entschuldige, Samir. Hab ich völlig vergessen. Also nicht den Wein. Die Tour meine ich. Wie spät ist es? Müssen wir los? Wer geht alles mit?« Auweia, ich muss die Tauchausrüstung noch richten. Na Mahlzeit.

Samir reibt sich immer noch den Ellenbogen und ich blicke ihn zerknirscht an. »Tut es arg weh? Verzeih bitte.«

»Geht schon wieder.«

»Hm, vielleicht hat der Toast den Aufprall abgedämpft«, sage ich und hoffe, dass wir das Weißbrot in ganzen Scheiben aus der Verpackung pflücken können, sonst wird es schwierig, die Brocken aus dem Toaster zu bekommen.

»So wird es sein«, antwortet er und sieht an mir vorbei. »Ah, da vorne ist Kami. Jetzt sind wir vollzählig.«

»Sie geht mit?« Meine Laune verabschiedet sich und macht es sich zwischen den Toastscheiben gemütlich. Auf die Gesellschaft von Kamilla kann ich getrost verzichten.

»Ja, ihr beide seid heute vom Chef eingeteilt. Problem damit?«

»Ach was«, lüge ich. »Okay, ich lade die Einkäufe bei Nina ab und komme zum Auto. Wie immer vor dem Hoteleingang?«

Samir nickt, sieht mich mit dem seltsamen Blick an, der mir seit längerer Zeit schon aufgefallen ist, und ich mache mich aus dem Staub, bevor Kami uns erreicht. Ein ganzer Tag mit ihr liegt vor mir, den muss ich nicht unbedingt in die Länge ziehen.

»Schoscho?«

»Ja?« Ich drehe mich nochmal um.

»Das wird ein fantastischer Tag! Habe gehört, dass ein Walhai in der Nähe sein soll.«

Ich hebe den Daumen und grinse dümmlich. Verdammt, er hat aber auch wirklich schöne Augen. Also Samir, nicht der Walhai, den durfte ich noch nicht kennenlernen.

Dunkle Augen, ein warmes Braun mit einem Hauch von Honig. Honig ... In Gedanken bin ich für einen Moment wieder acht Jahre alt und die große Wohnküche duftet nach frischgebackenen Brötchen. Mein Vater streicht Butter fingerdick auf eine Brötchenhälfte, und ich lasse den Honig vom Löffel fließen und male mit der süßen Leckerei ein Herz auf die Butter. Honigduft ist Himmelreich. Und Samirs Augen erinnern mich immer daran. So was Blödes aber auch. Darf der das? Außerdem könnte Samir mein Vater sein. Ich rechne nach. Okay, wenn er mit acht Jahren bereits zeugungsfähig gewesen wäre ...

Die Tatsache, dass ich mich beeilen muss, hilft mir enorm, wieder die Schoscho zu sein, die ich sein will. Schnell etwas essen, schnell an die Basis spurten, die Tauchausrüstung richten, schnell in den kleinen Bus hüpfen, mich neben Kami quetschen und eine halbe Stunde nach Hurghada düsen.

Prinzipiell ist mir eher nach Faulenzen und gemütlich rumschnorcheln im Meer als nach Blubbern mit Kotzkamilla. Das und acht Stunden mit zwanzig Touristen auf einem Boot gehört heute absolut nicht zu meinen bevorzugten Freizeitaktivitäten.

Mittlerweile habe ich so großen Hunger, dass mir beinahe übel wird. Könnte auch an den drei Bier liegen, die ich gestern Abend als Hauptmahlzeit zu mir genommen habe. Ich versuche, an etwas anderes zu denken, während ich stur die Abkürzung über den gepflegten Rasen nehme, den man nicht betreten darf. Es hilft alles nichts, das Bedürfnis, sofort Nahrungsmittel in mich reinzustopfen, wird übermächtig und auch verdammt notwendig. Ich habe einen Tauchgang vor mir und weiß nicht, wie tief das Riff ist. Mit Restalkohol im Blut und leerem Magen kann so etwas bereits bei zwanzig Metern zum Tiefenrausch führen, was unbedingt zu vermeiden ist. Auch wenn sich so ein Rausch anfühlen mag wie die Happy Hour in der Tiefseecocktailbar, kann er sehr schnell tödlich enden. Außer man hat einen guten Buddy bei sich. Ich hake ab und seufze resigniert. Mein Buddy ist Kami. Wahrscheinlich würde sie mich beseelt lächelnd auf den Grund sinken lassen, wenn sie könnte, diese hohle Hupe.

Merke: Alkohol ohne etwas im Magen ist dem Wohlbefinden äußerst abträglich, und Drogen sind immer böse, Sex lebensnotwendig und die Welt ist keine Scheibe ...

Auf die FLossen, fertig, los

»Wir sehen vielleicht heute einen Walhai, Nina.« Ich wuchte die Tasche auf den wackeligen Küchentisch, an den gerade mal zwei Stühle passen, weil er aus Platzmangel in der Ecke steht, und ziehe mir die Mütze vom Kopf.

»Was?« Nina, meine Mitbewohnerin in dem Bungalow am Rand der Anlage, lümmelt auf dem verschlissenen, ockerfarbenen Zweisitzer unter dem Fenster und zieht sich die Stöpsel aus dem Ohr.

»Wahlhai. Heute. Vielleicht«, rufe ich über die Schulter und ziehe Toast, Wein und die restlichen Einkäufe aus der Tasche. Hungrig reiße ich die Verpackung auf, zerre zwei Toastscheiben heraus und stecke sie in den Toaster.

»Funktioniert nicht«, sagt Nina.

Ich bin irritiert und starre sie an. Woher will Nina wissen, ob wir dem Walhai begegnen oder nicht? Verzweifelt versuche ich, die Überreste meines internen Speichers zu sortieren. Gut, es ist früh, in meinem Magen herrscht gähnende Leere und mein freier Tag ist morgen, nicht heute, wie ich mit einem Blick auf den Kalender feststelle. Mein Magen beschließt spontan, die lebensnotwendige Blutversorgung vom Hirn in die Mitte des Körpers zu pumpen, damit wenigstens irgendetwas dort ist, um das er sich kümmern kann. Im Übrigen kann kein Mensch von mir erwarten, dass ich unter diesen verschärften Bedingungen klare Gedanken fassen oder folgerichtige Schlüsse ziehen kann. Von gewählter Artikulation ganz zu schweigen.

»Hä?«

»Der Toaster, er ist kaputt«, sagt sie, zuckt mit den Schultern und beißt in eine Banane.

Eine Banane?

»Wo hast du die her?«, will ich wissen und beiße aus lauter Verzweiflung in die weiche Toastscheibe. Sofort strömt Blut ins Hirn und ich kann wieder denken.

Mein erster Gedanke ist: Für eine Banane würde ich jetzt sofort töten.

»Hab sie mir heimlich vom Buffet geholt. Das war ein Notfall«, kichert sie, beißt ein Stück von der Banane ab und schiebt mit vollem Mund hinterher: »Muss gleich in den Miniclub. Aber da vorne sind noch welche.« Ihr Finger deutet zur Ablage neben dem Kühlschrank.

Oh mein Gott, es gibt dich! Ich hechte zu den goldgelben Früchten, schäle gleich zwei, lasse mich auf den Stuhl fallen und beiße abwechselnd links und rechts ab. Ich schwöre: Diese beiden göttlichen, gelben Dinger in meinen Händen, die mit jedem Bissen die Ähnlichkeit mit bestimmten männlichen Körperteilen verlieren, sind die besten Bananen der Welt!

Wer war nochmal Josh?

Zwanzig Minuten später wuchte ich meine Tasche mit der ABC-Ausrüstung - Flossen, Brille, Schnorchel - in den Minibus vor dem Hotel und bin stinksauer.

»Ihr hättet mir auch sagen können, dass ihr die Pressluftflaschen und das andere Zeug schon im Wagen habt!« Ich schnaube und steige hinten ein. Wie erwartet sitzt Kami breitbeinig auf dem Rücksitz und bläst Rauch aus dem geöffneten Fenster. Ich hasse nach Rauch stinkende Autos. Und ich hasse es, wenn andere meine Tauchausrüstung checken.

»Wenn du so lange brauchst, deine Mütze in Form zu zupfen ...«, sagt Kami mit einem verächtlichen Blick aus dem Fenster, für den ich ihr am liebsten sofort die künstlichen Fingernägel gekappt hätte. Dabei merkt sie nicht mal, dass ich vor lauter Hektik vergessen habe, die Mütze aufzusetzen. Diese Katastrophe wird mir in diesem Moment bewusst.

»Ich glaube, ich könnte eine kleine Liste zusammenstellen von Dingen, die mich genauso wenig interessieren wie unsere letzte gemeinsame Zeit. Mir fällt nur gerade nichts ein«, sage ich beiläufig.

»Mädchen, könnt ihr bitte mit dem Gezicke aufhören?« Samir lässt den Motor an.

Sein ägyptischer Helfer Moses, der neben ihm sitzt, ein bisschen wie Mogli aussieht und in der Lage ist, bis zu fünf Minuten die Luft anzuhalten, starrt ungerührt aus dem Fenster. Wahrscheinlich ist er gedanklich bereits unter Wasser. Genau da wäre ich jetzt auch gerne. Da stinkt es wenigstens nicht nach Rauch, und dumme Sprüche muss man sich auch nicht anhören.

Ich unterdrücke den Drang, Kami wie eine Vorschüler­in die Zunge herauszustrecken, und wende mich ab.

Mist! Ich habe meine Beanie tatsächlich vergessen. Nicht gut. Gar nicht gut. Meine Mützen sind so etwas wie meine Glücksbringer. Kurzentschlossen haste ich um den Wagen herum nach hinten, öffne die Kofferraumklappe und wühle in meiner Tasche.

»Was ist denn jetzt noch, Schoscho? Die Gäste warten!« Samir ist ungehalten.

»Moment«, nuschle ich mit dem Kopf in der Tasche. Ah, da ist sie ja. Ein Gebirge fällt mir vom Herzen und ich lege die Mütze wieder zurück. Auf dem Boot müsste ich sie sowieso ausziehen. Tauchen und Schnorcheln mit Mütze sieht dann doch irgendwie dämlich aus.

Erleichtert setzte ich mich zu Kami auf den Rücksitz und ziehe mein Shirt über die Schulter nach oben, es rutscht mir immer herunter. Und dass es ausgerechnet auf Kamis Seite runterrutscht, damit komme ich nicht zurecht. Obwohl, kalte Schulter und so wäre ja durchaus angebracht. Egal, ich liebe Klamotten, die mir zu groß sind, außer Hosen, die müssen sitzen.

Zum Glück ist der Bus so breit, dass zwischen Kami und mir ein Kalb Platz hätte. Auf diese Weise komme ich nicht mal zufällig mit Kami in Berührung, außer, uns würde unvorhergesehen ein durchgedrehtes Kamel rammen, was vermutlich nicht passieren wird.

Ich sollte mich freuen. Vor mir liegt ein wunderbar wolkenloser Tag mit ruhiger See. Wir werden sicher zwei bis drei Delfinschulen treffen und mit ihnen schnorcheln. Außerdem bekomme ich die Gelegenheit, ein uns unbekanntes Riff zu erkunden.

Jeder Tauchgang bringt mich in eine andere Welt. Die Gedanken kommen zur Ruhe. Es ist diese schwebende Freiheit unter Wasser, ich komme nicht mehr davon los. Unter Wasser ist es still und weich und alles ist langsam. Das ist wunderbar. DAS ist mein Himmelreich.

Ich blicke auf die Uhr. Kami steckt sich noch eine Zigarette an. Ich lächle. Trotzdem. Denn jetzt freue ich mich auf den Gesang der Delfine. Sie pfeifen und zwitschern sich zu, ähnlich wie Vögel in den Baumkronen, und dabei lächeln sie immerfort. Manchmal geben sie auch Klicklaute von sich, damit untersuchen sie ihr Gegenüber.

Die Fahrt erscheint mir ewig. Der unklimatisierte Bus holpert einsam die Straße entlang, und ich ziehe bei jedem Schlagloch aufs Neue mein Shirt über die Schulter.

Mein Blick hat sich auf Samirs Hand fokussiert. Ruhig liegt sie auf dem Schaltknüppel. Die langen Finger mit den gepflegten Nägeln trommeln leicht im Takt der Musik, die hinten kaum hörbar ist. Eine Hand, die fest zupacken, sicher aber auch sehr sanft sein kann. Eine schöne Hand ist das, springt mir in den Kopf.

Bist du bescheuert, Schoscho? Samir und ich kennen uns schon ein Jahr und erst jetzt fällt mir auf, dass er schöne Hände hat? Und warum zieht es leicht im Magen? So ein Quark. Das ist Sexmangel, nichts weiter. Die Hormone hüpfen im Dreieck und stürzen sich auf das nächstliegende Objekt in Reichweite. Mogli scheidet von vorneherein aus. Bei dem Jüngelchen schießt mir ja die Muttermilch ein. Also muss wohl Samir das Objekt hysterisch hüpfender Hormone sein.

Plötzlich nimmt Samir die Hand von Schaltknüppel und massiert sich den Nacken.

»Verspannung?«, fragt Kami.

»Wie die Hölle, muss mich heute Nacht irgendwie verlegt haben.«

Kami, die direkt hinter dem Fahrersitz lümmelt, drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und beginnt, mit beiden Händen seine Nackenregion zu massieren. »Gut so?«

Samir stöhnt wohlig auf.

Hey! Darf die das? Und was ist das eigentlich für ein Blick?

Kamis Gesichtszüge wirken mit einem Male weich und weiblich und in ihren Augen ist dieser bestimmte Glanz, den eine Frau nur hat, wenn sie verliebt ist.

Oha. Kamilla liebt Samir. Dass mir das noch nicht aufgefallen ist?

Ich versuche, diese neue Erkenntnis irgendwie zu verarbeiten.

»So ein Walhai ...«, reißt mich Kamilla massierend aus meinen Grübeleien. »Die fressen ja keine Menschen, soweit ich weiß.«

»Richtig, die sind gigantisch, aber harmlos«, sagt Samir.

»Wir könnten wirklich Glück haben, einen zu treffen. Sie sind ja nur von Mai bis Juli in dieser Gegend, wenn überhaupt, und sie fressen Platon«, versucht Kami zu glänzen.

»Stimmt«, sage ich, »aber nur einmal. Und das ist über zweitausend Jahre her.«

Samir lacht, Mogli starrt aus dem Fenster und Kami zieht mit säuerlicher Miene ihre Hände zurück. Ich zweifle, dass sie den Witz überhaupt verstanden hat.

Aber Samir steht nicht auf Kami, oder doch? Vom Alter her würden die beiden passen, und, ich muss zugeben, auch optisch geben sie ein gutes Bild. Ist mir mein Unterbewusstsein einen Schritt voraus und ich finde plötzlich Samirs Hand nur deswegen so attraktiv, um Kami eins auszuwischen? Nee ...

Komm her, Fensterscheibe, ich will meine Stirn an dich rammen.

Endlich steuert Samir den Bus zum Hafen und hält direkt vor seiner kleinen Yacht an. Davor warten bereits die Touristen. Einige haben riesige Taschen vor sich stehen, andere nur ein paar Flossen in der Hand und ein Handtuch über der Schulter hängen. Kinder sind heute nicht dabei. Irgendwie schade, ich mag es, mit Kindern zu schnorcheln. Sie sind so begeisterungsfähig. Na dann, auf geht´s.

Keine halbe Stunde später ist die Yacht auf dem Weg Richtung freies Meer und die Touristen haben ihre Plätze auf dem Sonnendeck oder unter der Überdachung gefunden, trinken ihren ersten Kaffee und beißen in Brote oder in die leckeren süßen Kuchen, die Ismael, der Koch, gebacken hat.

Mogli schleppt große Kisten mit Tauchbrillen, Schnorcheln und Flossen an und beginnt, sie in einer Desinfektionslauge zu reinigen. Währenddessen steht Samir auf einer Bank und erklärt den Touristen, wie der Tag verlaufen wird und wie sie sich den Delfinen gegenüber zu verhalten haben, mit denen wir demnächst schnorcheln werden:

»Ich begrüße Sie heute auf unserer wunderschönen Yacht. Wir werden einen gemeinsamen Tag auf dem Roten Meer verbringen und gegen 16 Uhr wieder im Hafen sein. Den Tag über steht es Ihnen frei, sich zu sonnen, von den Köstlichkeiten unseres Kochs zu naschen und mit Delfinen zu schwimmen. Heute werden wir zwei bis drei Delfinschulen treffen, zwischendurch fahren wir ein Riff an, das Sie erkunden können. Die Unterwasserwelt mit ihren unzähligen ...«

Ich kenne Samirs Ansprache und höre nur mit halbem Ohr hin. Entspannt sitze ich vorne am Bug, lasse die Beine über die Reling baumeln und schlürfe meinen Kaffee, solange Samir spricht. Danach werde ich den Touris helfen, die keine ABC-Ausrüstung dabeihaben, eine passende auszusuchen.

»Schoscho?« Ismael stellt einen Teller mit Brot, Wurst, etwas Käse und einen weiteren Teller mit einem kleinen Kuchen neben mich. »Du was essen. Nicht gut im Meer mit leer Bauch.«

»Danke!«, rufe ich ihm hinterher, denn er ist bereits wieder geschäftig auf dem Weg in die Küche. Wie gewohnt wird er uns ein köstliches Mahl aus verschiedenen ägyptischen Spezialitäten bereiten. Da freue ich mich jetzt schon drauf. Gierig stürze ich mich auf das köstlich duftende Brot.

Nachdem der erste Hunger gestillt ist, dippe ich den Kuchen in den lauwarmen Kaffee und verschlinge das kleine Stück mit einem Happs. Gott, ist das köstlich. Satt und voller Vorfreude auf das Meer, in das ich bald abtauchen werde, hänge ich meine Arme über das untere Gelände, lasse die Hände baumeln und genieße den Fahrtwind, der mir sanft das Haar aus dem Gesicht weht.

Dann endlich höre ich den vertrauten Ruf von Mogli: »Dolphins!«

Ich hebe eine Hand über die Augen und blicke suchend über die Meeresoberfläche. Da sind sie! Wie jedes Mal, wenn ich sie sehe, wird die Sehnsucht nach ihrem Gezwitscher und den freundlichen Gesichtern beinahe unerträglich.

Einige Meter voraus durchpflügen Flossen das Wasser in eleganten Schwüngen. Silbergraue Körper glänzen um die Wette. Sie überholen sich und springen aus dem Wasser und scheinen vor Freude, uns zu treffen, überzusprudeln.

Wie wunderbar, hier tummeln sich an diesem Tag gleich zwei Delfinschulen in einem gewissen Abstand zueinander, also zweimal ungefähr zwanzig bis dreißig Delfine.

Ich stelle die Tasse ab und mache mich auf den Weg nach hinten. Mogli und Kami verteilen bereits Schnorchel und Brillen.

Gleich geht es ins Wasser.

Heilige Scheiße, ich habe einen verdammt geilen Job!

Nach dem ersten Schnorcheln mit Delfinen sitzen die Gäste glückselig in Grüppchen zusammen und schnattern wild durcheinander. Jetzt sind wir auf dem Weg zum Riff. Ich freue mich darauf, hinabzutauchen, und auf die Stille um mich herum.

»Hi.« Samir setzt sich neben mich. Er lehnt sich zurück, stützt den Kopf an die Bordwand und schließt die Augen. »So kann man es aushalten, was?«

Ich nicke, murmele ein »Mhm« und gemeinsam genießen wir so eine Weile schweigend diesen wundervollen Tag, den Fahrtwind, die Sonne.

Er riecht gut, stelle ich fest. Verstohlen betrachte ich ihn von der Seite.

Sein weißes Shirt ist feucht und zeichnet ein Sixpack ab, das aussieht wie gemalt. Auf seiner Stirn und seinen nackten Armen lässt die Sonne die kleinen Wassertropfen auf der gebräunten Haut schimmern. Ich widerstehe dem Drang, einmal kurz mit der Hand über seinen Bizeps zu streichen, um zu erfahren, ob er sich tatsächlich so hart anfühlt, wie er aussieht. Der Mann hat Oberarme, die wahrscheinlich mal Oberschenkel hätten werden sollen.

Ich seufze, lehne mich ebenfalls zurück und schließe die Augen. Verflucht, ich laufe sexuell auf Notstrom. Anders kann ich mir nicht erklären, warum ich auf der Stelle über Samir herfallen könnte. Und so sehr hasse ich Kami nun auch wieder nicht, um ihr eine heimliche Liebe nicht zu gönnen. Warum baggert sie ihn nicht an? Vielleicht, weil sie ihn wirklich liebt und Angst vor Zurückweisung hat? Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut.

Meine Hand liegt neben mir auf dem warmen Kunststoff, meine Gedanken kreisen um Samir und Kami, um Himmelreich, um Nattie. Und um Josh. Auch er hatte eine sehr attraktive Körpermitte und starke Arme, die im Gegensatz zu Samirs eher sehnig und durchtrainiert waren, aber das gefällt mir persönlich ja viel besser und ...

Huch?

Eine zarte Berührung lässt mich zusammenzucken.

Mein Handrücken kitzelt, als Samirs Finger sanft darüber streichen.

Ich erstarre und halte die Luft an. Nicht die Augen öffnen, bloß nicht die Augen öffnen.

Jetzt legt er seine Hand auf meine und umfasst mit leichtem Druck meine Finger. Ich höre ihn atmen, nehme seinen männlichen Geruch wahr und bin absolut außerstande, seinen Druck zu erwidern.

---ENDE DER LESEPROBE---