Tatort Autobahn - Uli Röhm - E-Book

Tatort Autobahn E-Book

Uli Röhm

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Beschreibung

Korruption und Scheinselbstständigkeit, gefälschte Papiere und manipulierte Fahrtenschreiber, übermüdete Fahrer und technische Mängel: Auf Deutschlands Straßen ist das düstere, aber alltägliche Realität. Organisierte Kriminalität in der Speditionsbranche verursacht gewaltige Schäden und stellt ein enormes Sicherheitsrisiko dar.

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Röhm, Uli; Voigt, Wilfried

Tatort Autobahn

Kriminelle Machenschaften im Speditionswesen

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2006. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40294-9

|7|Vorwort

Sie sind der Anlass für ungezählte Autofahrerflüche, Grund für kilometerlange Staus und Ursache schwerer Karambolagen. Sie sind in jeden fünften tödlichen Unfall verwickelt. Sie belasten Brückenbauwerke und Straßen, und wegen der von ihnen verursachten Schäden müssen Milliarden Steuergelder für Instandhaltung und Reparaturen aufgewendet werden. Sie sind laut und sie stinken und sie sind das Dauerthema neben dem schlechten Wetter: die schweren Laster im Güterfernverkehr auf Deutschlands Straßen.

Alle schimpfen über die Blockierer auf der rechten Autobahnspur, aber kaum jemand kennt die Hintergründe dieser Branche, die in Deutschland mehr als 550000 Menschen beschäftigt, davon rund 350000 hinter dem Steuer. Und sie wird weiter wachsen, denn die spätkapitalistische Wirtschaft produziert immer mehr und schickt ihre Güter rund um den Globus. Bereits jetzt wird nahezu die Hälfte aller Waren auf der Straße transportiert.

Das Transportgewerbe ist ein ziemlich brutaler Markt, mit skandalösen Arbeitsbedingungen für die Fahrer. Sozialdumping, Betrug, Urkundenfälschung, illegale Beschäftigung, Steuerhinterziehung und Korruption gehören inzwischen zum Alltag in diesem Wirtschaftszweig, ohne |8|dessen Funktionsfähigkeit die moderne Industriegesellschaft sofort zusammenbrechen würde. Gekämpft wird auch untereinander mit extrem harten Bandagen. Seit der Öffnung der Ostgrenzen tobt ein ruinöser Verdrängungswettbewerb, das Lohngefälle zwischen Ost und West bestimmt die gewaltigen Unterschiede bei den Transportkosten in Europa. Und Deutschland ist mittendrin: das Transitland Nummer eins mit dem dichtesten Autobahnnetz und dem höchsten Verkehrsaufkommen.

Tatort Autobahn schildert die Machenschaften skrupelloser Spediteure, die ihre Fahrer als moderne Sklaven halten. Ein Großteil der Trucker aus Mittel- und Osteuropa sitzt illegal hinter dem Lenkrad. Wir beschreiben, wie die Betrüger in Osteuropa Fahrer anwerben und wie sie mit der Gründung von Briefkastenfirmen den deutschen Fiskus um Hunderte von Millionen Euro schädigen. Das alles wäre nicht möglich ohne die Hilfe korrupter Beamter im In- und Ausland. Erst diese treiben den sauberen Teil der Branche in den wirtschaftlichen Ruin.

Ein besonders extremes Beispiel ist der Fall Rolf Kreienhop, Vizepräsident des Bundesamtes für Güterverkehr, der Behörde, die für die Überwachung der Speditionsbranche und die Kontrolle der Lastwagen auf Deutschlands Straßen zuständig ist. Für ein Luxusauto und diverse Reisen soll er der Reutlinger Firma Willi Betz, eine der größten Speditionen in Europa, Dienstgeheimnisse über Kontrollen verraten und in Bußgeldverfahren zugunsten des Unternehmers eingegriffen haben. Gegen Betz läuft ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart unter anderem wegen des Verdachts der massenhaften illegalen Beschäftigung, Steuerhinterziehung, Betrug und Bestechung. Noch üppiger geschmiert |9|als der deutschte Behördenchef wurden hochrangige Beamte in Georgien und in Aserbaidschan. Unter anderem zahlte die Spedition für gefälschte Transportgenehmigungen laut Ermittlungsbehörde rund 4 Millionen Euro.

Das ist nicht das einzige gerichtsanhängige Verfahren in Deutschland. Seit Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Saarbrücken gegen eine andere deutsche Großspedition: die saarländische Firma Fixemer, die laut Anklage mehrere Tausend Fahrer aus Osteuropa ausgebeutet haben soll. Auch dieses Strafverfahren wird in nächster Zeit die Öffentlichkeit beschäftigen. Für 35 bis 150 Euro Grundlohn plus Spesen, aber minus firmeninterner Bußgelder mussten die Trucker oft 18 Stunden am Tag am Lenkrad sitzen. Manche Fahrer, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in Containern auf dem Firmengelände zusammengepfercht hausten, hatten am Ende nichts verdient, sondern nur einen Schuldenberg aufgetürmt. Auch dort sollen die Eigentümer hohe Bestechungssummen an osteuropäische Staatsbedienstete gezahlt haben. Finanziell profitiert hat auch ein Betriebsprüfer der saarländischen Finanzverwaltung, der für die Kontrolle der Spedition zuständig war. Trotz der ungeheuerlichen Vorwürfe verzichtete die Justiz des hochverschuldeten Saarlandes auf gesonderte Finanzermittlungen gegen die Steuerhinterzieher.

Mit Tatort Autobahn versuchen wir Einblick in eine Branche zu geben, die sich ihre eigenen Gesetze geschaffen hat. Wir dokumentieren, was vor unseren Augen tagtäglich auf den Straßen geschieht, ohne dass sich die dahinterliegenden Verhältnisse offenbaren würden. Neben den illegalen Praktiken der Branche schildern wir auch, mit welchen Methoden und mit welcher Strategie einige Staatsanwaltschaften |10|, Polizei, Zoll und Steuerbehörden inzwischen gegen die schwarzen Schafe vorgehen, um diese Form von Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen. Die Beamten fühlen sich dabei jedoch oft von der Politik allein gelassen. Zwar wird in Deutschland relativ viel kontrolliert, aber wenn die Ermittler fündig werden, kommen die Spediteure häufig mit geringen Geldbußen davon. Vor allem für jene Unternehmer, die illegal ausländische Fahrer beschäftigen, ist das Entdeckungsrisiko gering und wirtschaftlich kalkulierbar. Wir beschränken uns deshalb nicht auf die Schilderung einzelner Kriminalfälle, sondern analysieren zugleich die Strukturen dieses bedeutenden Wirtschaftszweiges und werfen einen Blick in die technologische und wirtschaftliche Zukunft der Branche.

Wir haben mit Staatsanwälten gesprochen, uns bei der Polizei sachkundig gemacht, die Mitarbeiter des Bundesamts für Güterverkehr bei Kontrollen beobachtet und Steuer- und Zollfahnder begleitet. Wir haben uns mit Fernfahrern getroffen, aber auch von Speditionsunternehmern über die Machenschaften der Branche aufklären lassen. Viele von ihnen haben uns mit wichtigen Informationen versorgt. Fachlich beraten wurden wir von Peter Baranowski vom ver.di-Bundesvorstand, zugleich Vorsitzender der Sektion Straßentransport der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) in London.

Uli Röhm, Wilfried Voigt

|11|Der Fall Erich Müller

Zigarettenschmuggel 

Die Polizei wartete geduldig. Irgendwann musste der Gringo in dem Lager auftauchen, und alles war vorbereitet für den Zugriff. Im März 2003 war den spanischen Ermittlern in Barcelona ein Container mit der Nummer ARKU 430086-1 aufgefallen. Inhalt: 40 Tonnen Sonnenblumenöl in Flaschen. Wegen veterinärpolizeilicher Probleme blieb die Ladung erst mal im Hafen liegen. Die Bürokratie in Spanien kann sich mit jeder anderen auf der Welt messen. Erst Anfang Juli wurde die Fracht von der Firma Pro Ex/Barcelona zum freien Verkehr abgefertigt und in ein Depot bei Gerona verfrachtet. Um die Zollformalitäten hatte sich ein Mann aus Deutschland gekümmert: Erich Müller, 60, einer der ehemals einflussreichsten Spitzenbeamten des Saarlandes, Jurist, früher Chef der saarländischen Steuerfahndung, zu Zeiten von Oskar Lafontaine als Ministerpräsident im Saarland einer der wichtigsten Bürokraten. Im Finanzministerium unter dem damaligen SPD-Minister Hans Kasper stieg Erich Müller schnell zum persönlichen Referenten des Ressortchefs auf. Und galt unter den Genossen sogar als der heimliche Finanzminister des Saarlandes. Bei allen relevanten Entscheidungen des Hauses hatte er seine Finger im Spiel.

Unangenehm fiel Erich Müller erstmals auf, als ruchbar |12|wurde, dass er von Unternehmern Parteispenden direkt im Ministerium angenommen hatte – etwa 150000 Mark. Endgültig ins Abseits geriet er, als herauskam, dass er seinen Einfluss nutzte, um zu verhindern, dass die Finanzbehörde eine höhere Steuerschuld eines ihm bekannten Privatmannes eintrieb. Dafür wurde Erich Müller schließlich wegen schwerer Steuerhinterziehung verurteilt; es war das Ende seiner Karriere als Spitzenbeamter. Er schied aus dem Landesdienst aus, reüssierte zwischendurch als Verwaltungschef eines Krankenhauses im Saarland, schlug sich als Berater dubioser Firmen in Ostdeutschland durch; als seine Finanznot immer prekärer wurde, wechselte er die Seiten und wurde professioneller Zigarettenschmuggler.

Ab dem 25. Juli 2003 war Erich Müller kein freier Mann mehr: Beim Betreten des Depots bei Gerona wurde er von spanischen Beamten verhaftet. Zwischen den vielen Flaschen Sonnenblumenöl, einer reinen Tarnladung, waren drei Millionen Zigaretten der Marke »Souvereign« versteckt. Steuerschaden: rund 260000 Euro. Ein Jahr verbrachte Müller in spanischer Untersuchungshaft und lernte die Landessprache derart gut, dass er sich ohne Anwalt verständigen konnte. Zu erklären gab es allerdings nicht besonders viel, die Masche war immer die gleiche. Versteckt in Tarnladungen schleusten Müller und seine Helfershelfer mehrere Millionen Zigaretten aus Osteuropa in die Europäische Union ein. Mindestens zwölf Tarnfirmen wurden dafür in Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Spanien neu gegründet – oder bestehende Unternehmen aufgekauft.

Die Staatsanwaltschaft unterstellte einen »fest gefügten und auf Dauer angelegten engen organisatorischen Zusammenschluss«. Angesichts der Größenordnung der Schmuggeltätigkeit |13|handelte es sich laut Anklage »um einen einheitlichen Verband, dessen Gruppenwille darauf gerichtet war, Straftaten zu begehen, insbesondere Zigaretten in erheblichem Maße in die Gemeinschaft einzuschmuggeln« – so die gedrechselte juristische Formulierung, um den Tatbestand einer »kriminellen Vereinigung« zu beschreiben. Exemplarisch listeten die Fahnder sieben Schmuggelsendungen auf. Besonders beliebt bei der »Müller-Gruppe« war der Ostuferhafen in Kiel. Im Mai 2002 versuchte sie mit einem litauischen Lastzug, offiziell beladen mit 72 Paletten Nylonnetzen auf Rollen, 2,5 Millionen Zigaretten einzuführen (Steuerschaden 230000 Euro). Bestimmt war die Ware für die Firma Nord-Est Import SA im lothringischen Saargemünd. Kaum zwei Wochen später unternahm die Gruppe erneut einen Anlauf in Kiel mit einem litauischen Transporter, der diesmal 33 Paletten mit Baueimern geladen hatte. Adressat der Plastikwaren war die Firma »Handelswueren« (Handelswaren) in Luxemburg. Beim Weitertransport nach Frankreich entdeckten Zöllner in den Baueimern 2,6 Millionen Zigaretten der Marken »Regal« und »Number One« (Steuerschaden rund 240000 Euro). Gesteuert wurde die Firma »Handelswueren« von Erich Müller. Im Dezember desselben Jahres versuchten es die saarländischen Schmuggler mit einem rumänischen Lastkraftwagen mit einer Ladung Walnusskerne aus Moldawien nach Belgien. Als die Ware in Antwerpen zur Verzollung angemeldet wurde, entdeckten Zollbeamte eine Ladung Schmuggelzigaretten, die kurz vor der Einfahrt in den Eurotunnel in Calais beschlagnahmt wurde, immerhin 3,7 Millionen Zigaretten der Marken »Business Club« und »Super Kings« (Steuerschaden fast 330000 Euro). Auch in diesem Fall war Hauptdrahtzieher der frühere Erfolgsbeamte |14|aus dem Saarland. Zur Tarnung hatte er in diesem Fall seine Firmenkorrespondenz ausschließlich über ein Büro-Service-Unternehmen abgewickelt. Noch weitere vier Mal probierte die Gruppe, Tabak in die EU einzuführen, aber die versteckten Ladungen flogen immer auf. Weder half eine Tarnladung fiberglasverstärkter Netze zur Verwendung in der Bauwirtschaft, noch ein Stapel gusseiserner Kanaldeckel aus Russland, und auch Polstermöbel aus Kanada konnten die Zöllner letztlich nicht vom wahren Inhalt der Ladungen ablenken: Sie fanden immer wieder Zigaretten.

Nach der von der Bundesregierung im Mai 2003 beschlossenen Erhöhung der Tabaksteuer um einen Euro ab dem 1. März 2004 verschärfte sich das Schmuggelproblem drastisch. Nach Schätzung des Bundesfinanzministeriums erreichte der volkswirtschaftliche Schaden durch Zigarettenschmuggel im Jahr rund 500 Millionen Euro, eine gigantische Summe. Weltweit wird der Gesamtverlust an Steuern und Einnahmen durch Zigarettenschmuggel von Experten auf bis zu 30 Milliarden Euro geschätzt. Eine zentrale Rolle bei der Verteilung der illegalen Zigarettenkontingente spielen naturgemäß Speditionen, wobei die Fahrer oft im Unklaren über ihre schwarze Fracht gelassen werden, um sie bei Kontrollen nicht unnötig zu verunsichern. Kritiker werfen den international agierenden Tabakkonzernen ein originäres Interesse am Zigarettenschmuggel vor, dieser erhöhe den Absatz und davon profitierten die Unternehmen. Die wiederum weisen die Kritik gern mit dem Hinweis zurück, sie seien nicht verantwortlich dafür, wenn mit ihren Produkten illegal gehandelt werde.

Bereits im August 2001 haben die Europäische Union und zehn ihrer Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, in den |15|Vereinigten Staaten die Tabakkonzerne Philip Morris (jetzt Altria Group), Reynolds und Japan Tobacco wegen deren vermeintlicher Verwicklung in den Zigarettenschmuggel verklagt. Nach Ansicht der EU beteiligen sich amerikanische Tabakkonzerne zulasten europäischer Haushalte am Zigarettenschmuggel. Obwohl diese Klage im Februar 2002 von einem New Yorker Gericht abgewiesen wurde, startete die EU einen neuen Anlauf. Michaela Schreyer, EU-Haushaltskommissarin, erklärte, die EU werde den Zigarettenschmuggel weiter als organisierte Kriminalität bekämpfen »und alles tun, um die Vertriebswege zu sperren und die Herkunft der Ware aufzudecken«. Solange das Preisgefälle bei den Zigaretten groß ist, wird der Anreiz zum Schmuggel jedoch weiter immens sein. Als Kanada beispielsweise schon in den achtziger Jahren den Preis pro Packung auf knapp fünf Euro erhöhte, sank zwar zunächst die Raucherquote, dafür blühte ein reger Zigarettenschmuggel zwischen den USA und Kanada auf, da in den Vereinigten Staaten die Zigaretten wesentlich billiger waren. Ein ähnliches Phänomen gibt es in Großbritannien, wo die Preise höher sind als auf dem Kontinent. Der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. zufolge, die sich massiv für die Kontrolle des legalen wie des illegalen Zigarettenhandels einsetzt, wurden etwa im Jahr 2003 »ungeheure Mengen von Zigaretten von den Herstellern nach Afghanistan, Andorra, Zypern und nach Moldawien exportiert, um anschließend nach Großbritannien geschmuggelt zu werden«.

Karl-Heinz Matthias, Präsident des Zollkriminalamtes Köln, hält den organisierten Zigarettenschmuggel, der ohne Speditionen gar nicht denkbar ist, nach wie vor für ein »bedeutendes Kriminalitätsfeld«. Je höher die Steuern, |16|desto größer sei der Schmuggelanreiz. Da in allen Ländern der Steueranteil an den Zigaretten den Warenpreis um ein »Vielfaches« übersteige, sei der Zigarettenschmuggel »ein sehr profitables Geschäft«. Laut Karl-Heinz Matthias beträgt der Gewinn »eines voll mit Zigaretten beladenen Lastkraftwagens, der am Zoll vorbeigeschleust wird, rund eine Million Euro«.

Wie wichtig die internationalen Ermittlungsbehörden das Thema nehmen, wurde bei einer Konferenz in New York im Sommer 2002 klar. Organisiert wurde das Treffen vom US Bureau of Alcohol, Tobacco und Firearms (ATF) in Kooperation mit den Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Es wurde eine Reihe von Forderungen erhoben, deren Umsetzung in der Praxis jedoch bisher gescheitert ist: zum Beispiel eine Kaution für Tabakexporte, die erst nach Erreichen der Produkte im Zielland zurückerstattet wird; die Abschaffung des zollfreien Handels (duty-free); höhere Bürgschaften für Transitware; forciertere Überwachung des Vertriebs von zoll- und steuerfreien Tabakprodukten.

In Europa wurden die Zollkontrollen in den letzten Jahren tatsächlich verstärkt. Nachdem sich im Zuge der Osterweiterung die Zollabfertigung an der Grenze zu Tschechien ab Mai 2004 stark reduziert hatte, wurden verstärkt mobile Kontrollgruppen (MKG) eingesetzt. In Bayern sind seitdem zwölf mobile Einheiten mit rund 400 Beamten im Einsatz. Sie setzen dabei unter anderem Laser- und Strahlenmessgeräte ein. Außerdem verfügen die Fahnder etwa über eine mobile Röntgenprüfanlage zum Durchleuchten kompletter Zugmaschinen. Die bayerischen Zöllner haben allein 2004 mehr als 13 Millionen Schmuggelzigaretten sichergestellt, bundesweit waren es fast 420 Millionen Stück.

|17|Einen blutigen Höhepunkt erreichte der illegale Handel mit Zigaretten bereits Mitte der neunziger Jahre in Berlin. Dort hatten sich vietnamesische Banden den Markt aufgeteilt. Immer wieder kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. Mehr als 40 Todesopfer forderte der Krieg der Schmuggler. Nachdem einige der Clanchefs dingfest gemacht und zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, beruhigte sich die Szene etwas. Inzwischen rivalisieren Dealer verschiedener Nationalitäten. Die Autobahn A 2, die von Berlin aus ins Ruhrgebiet führt, wird von Schmugglerjägern nur »Warschauer Allee« genannt – eine der Hauptrouten für die Tabakschwarzhändler aus dem Osten. Immer öfter produzieren die Schmuggler die Konterbande aber gleich im Inland. In Koblenz, Köln und Oberhausen entdeckten die Ermittler illegale Zigarettenfabriken mit kompletten Produktionsstraßen.

Eine wachsende Rolle bei der Bekämpfung der Schmuggler spielt das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF). Erfolgreich konnten die OLAF-Beamten beispielsweise im Hafen von Antwerpen 25 Millionen Zigaretten sicherstellen, die in einer Schiffsladung Torf versteckt waren. In einer anderen belgischen Stadt hoben die Ermittler eine Fabrikationsanlage für Zigaretten aus, in der britische Markenzigaretten gefälscht wurden.

Immer mehr illegale Tabaklieferungen kommen nach den Erkenntnissen der Polizei aus China. Beamte des Zollfahndungsamtes Köln beschlagnahmten in einem Lager in Aachen einen kompletten Container mit neun Millionen gefälschten Marlboro-Zigaretten. Der offiziell mit Schuhen beladene Container aus China war über den Hamburger Hafen eingeführt worden. Nicht immer sind die Tarnladungen |18|sehr professionell gestaltet. Bei der Abfertigung eines Containers aus Ägypten, der laut Papieren eigentlich vor allem arabisches Gebäck enthalten sollte, stieg Beamten des Zollamtes Straelen der Duft von Tabak in die Nase. Der Container enthielt 5,5 Millionen unversteuerte Zigaretten und war für ein Lebensmittelgeschäft in Euskirchen bestimmt.

In den Bundestagsfraktionen werden zunehmend Überlegungen angestellt, den Strafrahmen des Paragraphen 373 der Abgabenordnung für den gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggel zu verschärfen. Die Arbeitsgruppe Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion etwa hält dies für eine angemessene Reaktion auf die in den letzten Jahren vermehrt beobachteten mafiosen Strukturen gerade beim Zigarettenschmuggel. Durch die »Hochstufung zu einem Verbrechenstatbestand beim Schmuggel« würden auch »erfolgversprechendere strafprozessuale Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen«, etwa die Überwachung der Telekommunikation.

Manchmal hilft aber schon die Kombinationsgabe der Ermittler. Bei einer Lastkraftwagen-Routinekontrolle auf dem Rasthof Stillhorn West an der A 1 fiel Beamten ein griechischer Transporter auf, der zwei Baggerarme, jeweils 10 Meter lang und zweieinhalb Tonnen schwer, geladen hatte. Was die Fahnder stutzig machte: Laut Frachtpapieren waren die monströsen Teile für einen Heimwerkermarkt bestimmt. Da kaum ein Bastler »mit derart schwerem Gerät« arbeitet, so die Schlussfolgerung der Beamten, ließen sie den Lastkraftwagen kurzerhand komplett röntgen. Ein Volltreffer: Die Baggerarme waren mit 3,5 Millionen unverzollten Zigaretten der Marke »Souvereign« gefüllt. Rund 350000 Euro hätte die |19|Schwarzmarktware gebracht, dem Staat wären Steuern in Höhe von etwa 450000 Euro entgangen.

Finanz- und Justizbehörden gehen unterdessen davon aus, dass auch bekannte Zigarettenproduzenten wie Reemtsma den Schmuggel unterstützten. Besser mit billiger Ware den Absatz fördern, als kein Geschäft machen, so die vermeintliche Devise. Bereits seit Ende der neunziger Jahre ermittelte die Polizei gegen Reemtsma wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Mehrere Manager wurden in diesem Zusammenhang suspendiert, der frühere Reemtsma-Chef Manfred Häussler trat von seinem Amt zurück. Im Mai 2005 konnten er und seine Mitbeschuldigten aufatmen, das Strafverfahren wurde gegen Geldauflage eingestellt. Ein Reemtsma-Sprecher bestätigte, Imperial Tobacco habe sich »durch Zahlung eines Betrages mit den Zollbehörden geeinigt«. Die Höhe der Summe nannte er nicht, verwies nur darauf, der Betrag, gerüchteweise war von mehr als 6 Millionen Euro die Rede, komme weder von Imperial Tobacco noch von Reemtsma. Möglicherweise zahlte der Kaffeekonzern Tchibo. Tchibo hatte Reemtsma 2002 an Imperial Tobacco verkauft. Offenbar hatte sich der Käufer gegen spätere Forderungen abgesichert. Angeblich war auch das Bundesfinanzministerium an den Gesprächen zur Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen beteiligt, immerhin entstehen dem Bund durch die aus dem Zigarettenschmuggel resultierenden Steuerausfälle große Schäden. Den Skandal um Reemtsma nahm die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. zum Anlass, von der Bundesregierung die Einrichtung eines unabhängigen Instituts zu verlangen. Dessen Aufgabe solle es sein, »die Aktivitäten und das Geschäftsgebaren der in |20|der Bundesrepublik agierenden Tabakfirmen zu analysieren und transparent zu machen«.

Einstweilen setzen die Behörden auf andere Methoden. Zur wirksameren Bekämpfung hat das Zollkriminalamt Köln im August 2005 ein Telefon für anonyme Hinweise auf Zigarettenschmuggler eingerichtet. Die bundeseinheitliche und gebührenfreie Nummer lautet: 0800 – 996 63 99.

Im November 2005 verurteilte das Landgericht Saarbrücken Erich Müller wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten. Der ehemalige Steuerfander konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen, weil die Richter elfeinhalb Monate Untersuchungshaft unter katastrophalen Bedingungen in einem spanischen Gefängnis doppelt anrechnete.

|21|Kapitel 1

Der Transportmarkt

Noch bis zur vorletzten Jahrhundertwende waren es Pferdefuhrwerke, die das Transportwesen in den Städten bestimmten. Kutscher brachten Fässer und Kisten vom Bahnhof zum Empfänger und holten sie ebenso wieder ab. Später kamen die Ein- oder Zweispänner der »Bahnamtlichen Rollfuhrunternehmer« dazu. In diesen Zeiten wurde jedes Stück einzeln auf die Pritschenwagen gepackt, zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht und dort in Gepäckoder Güterwagen verladen. Meist wechselte die Ware auf weiteren Stationen noch mehrmals das Transportmittel, bis sie vielleicht sogar in einem Hafen landete, um dort in einem Schiffsbauch verstaut zu werden. Beim Weitertransport zum Empfänger spielte sich das Ganze in umgekehrter Reihenfolge ab.

Diese Transportidylle hat sich gewaltig geändert, sowohl in der Form als auch in den Strukturen. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs tauchten immer mehr Lastkraftwagen auf, die in der Lage waren, Fracht auch über längere Strecken zu transportieren. Durch seine große Flexibilität entwickelte sich der privat organisierte Warentransport auf der Straße zu einer bedrohlichen Konkurrenz für die staatliche Bahn. An deren Existenz hatten alle europäischen Staaten damals ein militärisch-strategisches |22|Interesse. Der Eisenbahnverkehr war von ausschlaggebender logistischer Bedeutung, die es zu schützen und zu erhalten galt. Mit Eisenbahnverkehrsgesetzen und einer Eisenbahnverkehrsordnung sorgte die Reichsregierung dafür, dass das Transportwesen in staatlich geordneten Bahnen blieb und gelenkt wurde. Wichtig war, dass ein Wettbewerb über den Preis ausgeschlossen blieb. Die Frachtpreise sollten sich lediglich nach Gewicht und Entfernung richten. Zum Schutz der Bahn bestimmte 1936 ein Reichskraftwagentarif die Entgelte für alle Arten von Warentransporten. Im Straßengüterverkehr wurden Transportgenehmigungen erteilt, die noch bis in die neunziger Jahre den Gütertransportmarkt bestimmt haben. Staatliche Stellen überwachten die Einhaltung der vorgeschriebenen Tarife. Diesen Frachtenprüfstellen mussten monatlich die Abrechnungen und die erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden. Bei Verstößen konnten diese Aufsichtsämter empfindliche Strafen aussprechen und Bußgelder verhängen.

Auf der Schiene wie auf der Straße galt die gleiche Tarifsystematik: Beide machen sich gegenseitig keine Konkurrenz. Für beide gilt das gleiche Prinzip: je länger der Transportweg, desto höher das Entgelt. Für abgelegene Orte gibt es keinen Aufschlag, für das Massengeschäft keinen Rabatt. Dabei handelte es sich auch um eine massive Wirtschaftsförderung der Landwirtschaft und des Mittelstandes. Es war politisch gewollt, dass wirtschaftlich schwache Branchen und Regionen, die dazu auch noch verkehrsungünstig gelegen sind, davon profitieren. Das ähnliche Prinzip gilt noch heute für die Post, die den berühmten Brief auf die weit entfernte Nordseehallig oder auf die Zugspitze für genau das gleiche Porto zuzustellen hat, das auch innerhalb einer Stadt fällig wird.

|23|Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war der Güterverkehr mit der Eisenbahn bedeutsamer als der Transport mit dem Lastkraftwagen. Fast jedes größere Unternehmen hatte einen eigenen Bahnanschluss. Diese sind inzwischen fast überall durch die Bahn selbst demontiert worden. Die Kriegstechnik und -logistik haben sich geändert, die Armee ist nicht mehr vorrangig auf das Schienennetz angewiesen, was das staatliche Interesse am Schienenverkehr hat sinken lassen. Eine ähnliche Entwicklung gab es bei der Post. Lange bevor es das »Fräulein vom Amt« gab, wurden die Telegrafenämter und die Fernsprechvermittlung selbst vom Militär betrieben. Seit der technologische Fortschritt andere, schnellere Formen der Informationsübermittlung bietet, hat der Staat sein Interesse am Einfluss auch auf diese Nachrichtentransportsysteme aufgegeben. Bei der Post verzichtete die Regierung schließlich auf die Monopolstellung, und das Staatsunternehmen wurde privatisiert. Beim Güterverkehr wurden die strengen Verpflichtungen zur Einhaltung der Beförderungstarife nach und nach gelockert. Als Folge hat sich der Warentransport immer mehr auf die Straße verlagert. Beschleunigt wurde die Zunahme des Straßengüterverkehrs durch den politisch veranlassten Bau immer neuer Autobahnen, durch die auf Druck der produzierenden Industrie gewollte und geforderte Liberalisierung der Verkehrsmärkte sowie durch die Globalisierung mit ihren immer größeren Warenströmen. In der Konsequenz führte dies zu einer massiven Senkung der Transportkosten.

Das ist unter mindestens zwei Gesichtspunkten eine bedenkliche Entwicklung. Zum einen der Umwelt wegen, denn bei nationalen und europaweiten Transporten zählen Eisenbahn und Binnenschifffahrt zu den am wenigsten umweltbelastenden |24|Verkehrsträgern, zum anderen wegen der Verkehrssicherheit. Das gilt sowohl für die Transporte selbst als auch für die Gefahren, die für die anderen Verkehrsteilnehmer entstehen. Aus beiden Gründen wäre es zwingend notwendig, den Güterverkehr vor allem auf langen Strecken von der Straße auf diese weniger belastenden Verkehrsträger zurückzuverlagern. Die Entwicklung geht allerdings genau in die gegenteilige Richtung, eine Änderung ist in einem überschaubaren Zeitraum nicht absehbar.

Wahre Warenfluten

Inzwischen ist die Speditions- und Logistikbranche das Scharnier in einer international hochgradig arbeitsteiligen Industriegesellschaft. Alleine in Deutschland gibt es im gewerblichen Güterkraftverkehr über 55000 Unternehmen mit beinahe 550000 Mitarbeitern, von denen rund 350000 als Fahrer beschäftigt sind. Dabei geht es allerdings nicht nur um den wichtigen Transport auf der Straße, sondern auch um den auf der Schiene sowie um die Beförderung von Waren auf Flüssen und Kanälen. Im internationalen Frachtverkehr spielt bei Massengütern die Seeschifffahrt eine große Rolle. Daneben hat sich die Luftfracht zu einem renditeträchtigen Faktor im Speditionsbereich entwickelt. Hohe Zuwachsraten erzielte auch der Transport von Gütern in Rohrleitungen. Dazu gehören nicht nur flüssige und gasförmige Güter wie Benzin und Erdöl, sondern auch solche aus Granulat und Pulver.

Als Folge der immer mehr voranschreitenden Industrialisierung |25|, der Internationalisierung der industriellen Produktion sowie der Strukturveränderungen in Industrie und Handel steigt das Transportvolumen von Waren und Gütern von Jahr zu Jahr kontinuierlich an. Gleichzeitig verlagert sich immer mehr gewerbliche Fracht auf die Straße. Die Globalisierung bringt es mit sich, dass viele Einzelteile und Halbfertigprodukte aus aller Welt in den verschiedenen Endfertigungsstätten just in time angeliefert werden müssen. Das führt zu einer immer wichtigeren strategischen und wirtschaftspolitischen Bedeutung der Speditionsbranche.

Verändert haben sich in den letzten 50 Jahren auch die Organisation und die Form der Transporte. Längst schon wird Ware nicht mehr bei jedem Umladen einzeln in die Hand genommen, sondern bleibt während der gesamten Dauer des Transports von größeren Stückzahlen in oder auf demselben Transportgefäß. Das sind üblicherweise Container oder Paletten. Nicht die Ware, sondern die Transportbehälter werden umgeladen. Seit einiger Zeit lassen sich sogar ganze Fahrzeuge als derartige Transportgefäße handhaben – etwa auswechselbare Sattelauflieger oder kleinere Transportfahrzeuge, die dann vom Lastkraftwagen auf ein Schiff oder auf die Bahn oder von der Bahn auf den Lastkraftwagen umgeladen werden. Eine weitere Variante sind die so genannten »rollenden Landstraßen«, bei der Lastkraftwagen komplett auf die Bahn verladen und von den Fahrern begleitet werden.

Früher wurden, um höhere Transportkapazitäten zu erreichen, an die Laster ein oder manchmal sogar zwei Anhänger angekoppelt. Wenn Ware an eine Adresse in einer engen Innenstadt geliefert werden musste, konnte der Fahrzeugzug bequem geteilt und ein Anhänger notfalls |26|irgendwo abgestellt werden. Allerdings kostete das Hin- und Herrangieren viel Zeit. Gewerbebetriebe findet man inzwischen kaum mehr in engen Gassen, sondern immer mehr auf der grünen Wiese mit breiten Laderampen für den Gütertransport. Deshalb werden heute überwiegend Sattelkraftfahrzeuge eingesetzt, mit denen man zum Be- und Entladen bequem rückwärts an eine Rampe stoßen kann. Die bestehen aus einer Sattelzugmaschine oder einem Sattelschlepper ohne Ladefläche. Dazu gehören auswechselbare Sattelanhänger oder Sattelauflieger mit einer Ladefläche von 13,50 Metern, die so genannten »Trailer«. Im Kombiverkehr werden auch dreiachsige Zugmaschinen mit zweiachsigen Hängern, die Wechselbrücken tragen, eingesetzt. Beide haben dann jeweils eine Ladefläche von 7,82 Metern. Dadurch ist das Rangieren allerdings zeitaufwändiger, denn beim Wechsel und Abstellen müssen die Beine verklappt werden. Je nach Transportgut sind die entsprechenden Aufbauten als Pritsche, Kipper, Koffer- oder Tankaufbau ausgeführt. Um die Umschlagzeiten noch mehr zu verkürzen, wurde der bimodale Verkehr, der so genannte »unbegleitete Huckepackverkehr«, eingeführt. In diesem Fall werden die Sattelauflieger direkt auf Eisenbahndrehgestelle geschoben und zu Zügen zusammengestellt.

Die Europäische Union verlangt zwar in einem Weißbuch über die europäische Transportpolitik bis ins Jahr 2020 die Verdoppelung des Frachtverkehrs auf der Schiene auf 15 Prozent. Die bisher vorhandene Infrastruktur der Bahnen lässt einen derartigen Mehrverkehr auf lange Sicht überhaupt nicht zu. Das gilt nicht nur für die Kapazitäten, sondern auch für den Wettbewerb um kurzfristige termingenaue Lieferungen. Solange aufgegebene Fracht bei der Fahrt mit der Bahn |27|durch Europa nur mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 Stundenkilometern unterwegs sein kann, bleibt das eine Illusion. Und diese Durchschnittsgeschwindigkeit hat sich auch in den letzten zehn, zwanzig Jahren überhaupt nicht erhöht. Noch immer ist der Lastkraftwagen dreimal so schnell wie die Eisenbahn.

Deregulierung und Liberalisierung

Bis in die frühen neunziger Jahre war der Straßen- oder Güterkraftverkehr streng reglementiert. Bis heute gilt die »geschäftsmäßige oder entgeltliche Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen, die einschließlich Anhänger ein höheres zulässiges Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen haben«, als Güterkraftverkehr. So steht es im Güterkraftverkehrsgesetz, dem GüKG. Es reicht nicht aus, einen Lastkraftwagen zu besitzen, um als Spediteur aufzutreten. Man muss laut Handelsgesetzbuch die »gewerbsmäßige Güterversendung durch Frachtführer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen« besorgen. Wenn ein Spediteur dafür eigene Fahrzeuge, Schiffe oder Flugzeuge einsetzt, ist er für den Gesetzgeber nicht mehr länger Spediteur, sondern hat sich zum Frachtführer gewandelt.

Unterschieden wurde beim Güterverkehr früher in vier Kategorien: den gewerblichen Güterfernverkehr, den gewerblichen Güternahverkehr, den Umzugsverkehr sowie den werkseigenen Nah- und Fernverkehr. Speditionen, die sich auf den privaten Wohnungs- und Möbelumzugsverkehr spezialisiert haben, sind für das Problemthema Straßengüterverkehr |28|nicht relevant. Auf sie soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Im Güternahverkehr durften früher beispielsweise Waren nur innerhalb der Gemeindegrenzen oder innerhalb einer Nahzone befördert werden. Fahrten darüber hinaus galten als Fernverkehr. Heutzutage lassen sich der gewerbliche Nah- und Fernverkehr nicht mehr voneinander unterscheiden oder abgrenzen. Ein absurdes Beispiel ist etwa, dass die meisten Tankstellen in Leipzig von Hamburg aus beliefert werden, die 30000-Liter-Tankfahrzeuge also aus 440 Kilometer Entfernung das Superbenzin in die sächsische Stadt bringen. Nach der amtlichen Definition ist das gewerblicher »Nahverkehr«.

Für Lastkraftwagen mit einer Nutzlast von mehr als 750 kg oder Zugmaschinen brauchte man eine besondere Erlaubnis, für die Aufnahme des gewerblichen Güterliniennahverkehrs eine zusätzliche Genehmigung. Firmentransporte über 75 km galten als Fernverkehr. Für die gab es ein besonderes Lizenzierungsverfahren.