Teach Me Love - Alice Ann Wonder - E-Book

Teach Me Love E-Book

Alice Ann Wonder

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Beschreibung

----WICKED BILLIONAIRE---- Ein zurückgezogen lebender Milliardär stellt eine Frau mit falscher Identität als persönliche Assistentin ein Alexander   Sehr geehrte Ms Wilder,   ich erwarte Sie heute Abend um neun Uhr im Ballsaal. Seien Sie pünktlich.   Lord Alexander McLeod Annabelle   Ich hielt einen Augenblick inne, bevor ich an die weiße Tür klopfte, um mir die Erlaubnis zum Eintritt gewähren zu lassen. Mein Herz pochte laut und kräftig, als ich den rauen Bass von McLeods Stimme vernahm: "Kommen Sie rein." Ich ignorierte das Gefühl der Unsicherheit, während ich die Finger auf die kalte Klinke legte und sie langsam herunterdrückte. ----MY DARK RAIDER---- Verliebt in den Feind Als FBI Agentin Allison Bloom ein neuer Undercover-Auftrag zugeteilt wird, muss sie ausgerechnet mit dem arroganten, aber attraktiven Ian Sparrow zusammenarbeiten, um den Kopf eines berüchtigten New Yorker Drogenrings hinter Gitter zu bringen. Während ihre Arbeit von Tag zu Tag gefährlicher wird, kommen Ian und sie sich näher. Doch der Preis für die Leidenschaft ist hoch, denn ihr raubeiniger Partner verfolgt ganz eigene Pläne …

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Alice Ann Wonder

Teach Me Love

Sammelband

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Teach Me Love

 

Sammelband

 

 

 

 

 

 

Alice Ann Wonder

 

 

 

Copyright © 2020 Alice Ann Wonder

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen im vorliegenden Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

Teil 1

 

Wicked

Billionaire

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über dieses Buch

 

Ein zurückgezogen lebender Milliardär stellt eine Frau mit falscher Identität als persönliche Assistentin ein

 

 

 

 

Alexander

 

Sehr geehrte Ms Wilder,

 

ich erwarte Sie heute Abend um neun Uhr im Ballsaal. Seien Sie pünktlich.

 

Lord Alexander McLeod

 

 

 

Annabelle

 

Ich hielt einen Augenblick inne, bevor ich an die weiße Tür klopfte, um mir die Erlaubnis zum Eintritt gewähren zu lassen.

Mein Herz pochte laut und kräftig, als ich den rauen Bass von McLeods Stimme vernahm: “Kommen Sie rein.”

Ich ignorierte das Gefühl der Unsicherheit, während ich die Finger auf die kalte Klinke legte und sie langsam herunterdrückte.

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Prolog

 

 

Es war einmal ein böser Lord, der lebte allein auf einem Berg, in einem großen Schloss. Der Lord sprach mit niemandem, wenn es sich vermeiden ließ.

Die Menschen fürchteten sich vor ihm, weil er herablassend, aufbrausend und feindselig jedem gegenüber war, der ihm zu nahe kam. Er war nicht immer so gewesen, doch das Leben hatte ihn früh gelehrt, dass es für ihn kein gutes Ende nehmen würde. Nach dem alles verändernden Vorfall, welcher den Lord, der einst ein liebenswürdiger, anständiger und mitfühlender Mann gewesen war, für immer zeichnen sollte, hatte er kapituliert; er hatte sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden: wir alle werden irgendwann dem Tod ins Auge blicken.

Doch statt gerade deswegen jeden Tag so zu leben, als wäre es sein letzter, beschloss der Lord, dass es keinen Grund gäbe, sich weiterhin um sein Glück zu bemühen, da es ohnehin nicht von Dauer sein würde. So kam es, dass die Einsamkeit sein treuester Weggefährte wurde. Bis etwas völlig Unvorhergesehenes geschah, das weder der Lord noch die übrigen Beteiligten kommen sahen …

 

 

1 - Annabelle

 

 

Petrov Kalinin strich mit seiner kalten, ledrigen Hand über meine Wange. “Du bist so schön”, raunte er mit einem solch gierigen Ausdruck in den Augen, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Ich lehnte mich ein Stück zurück, um seinem heißen, nach Wodka riechenden Atem zu entgehen. Doch er begriff nicht. Stattdessen kam er mir abermals näher als mir lieb war.

“Meine Rose”, knurrte er und versuchte, seine eingerissenen, mit feinen Hautfetzen übersäten, Lippen auf meine zu pressen. Meine flache Hand traf ihn vollkommen unvorbereitet, das sagte mir der geschockte Ausdruck in seinen aschgrauen Augen. “Sie kennen die Regeln!”, sagte ich und stieß ihn unsanft zur Seite. Ich stand auf, während der grimmig schauende Petrov auf dem weinroten Sofa, das regelrecht verlassen in dem riesigen Ballsaal wirkte, zurückblieb. “Wo ist der Fahrer?”, herrschte ich ihn an, als könnte mir nichts auf der Welt Angst einjagen – und er schon gar nicht. Sein eisiger Blick ruhte einige Sekunden auf mir, bevor auch er sich erhob und mich mit einem groben Griff um mein Handgelenk, an sich zog. “Warum zeigst du mir nur deine Dornen, hübsche Blume?” Wieder war er mir so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spürte. Er umfasste meinen Nacken, während seine andere Hand sich in meiner Hüfte vergrub. “Nur einen Kuss, meine Schöne!”, knurrte er und leckte sich die tiefroten, schmalen Lippen. “Ich habe für dich bezahlt. Gib mir, was ich will!” Ich schluckte. Petrov Kalinin war kein Mann, dem man eine Abfuhr erteilte. Er gehörte zu den mächtigsten Unternehmern ganz Russlands. Sein Wort war Gesetz. Ich hatte geahnt, dass ich diesen Auftrag lieber hätte ablehnen und verschwinden sollen, als ich es noch gekonnt hatte. Ich hätte mir eine andere Stelle suchen sollen. Das wäre nicht schön, aber machbar gewesen. Die Kunden mochten mich – genau wie die Agenturen. Solange ich noch jung und unverbraucht war, hatte ich gute Chancen, erneut in einem exklusiven Escort-Unternehmen unterzukommen. Hätte ich doch nur auf mein Gefühl gehört! Nun saß ich in der Falle! “Ich habe Nein gesagt!”, rief ich und versetzte Petrov mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, einen Stoß gegen seine muskulöse Brust. Aus einem unerfindlichen Grund war mir das Schicksal an jenem Tag ausnahmsweise einmal gnädig gestimmt. Petrov hatte bereits eine starke Alkoholfahne gehabt, als sein Fahrer mich abgeholt hatte. Auf dem Weg zu seinem Palast hatte er ununterbrochen weitergetrunken – und gesungen! Letzteres war zunächst recht unterhaltsam gewesen, was mich glauben ließ, der Abend – oder die Nacht, je nachdem, wie lange er mich hatte haben wollen – würde nicht so schlimm werden wie befürchtet. Ein Irrtum! Er schwankte, ging einige Schritte zurück, die wirkten, als machte er einen seitenverkehrten Eiertanz.

Dann fiel er rücklings, mit dem Hinterteil zuerst, auf das Sofa.

Das war meine Chance! Ich nahm die Beine in die Hand und lief, so schnell ich konnte, hinaus aus seinem Kristallzimmer. Es folgten noch zwei weitere Räume, durch die ich hindurch jagte und dann noch die Treppen, die mich letztlich hinunter zum Ausgang führten. “Anastasia!”, hörte ich ihn hinter mir rufen. Doch ich drehte mich nicht um. Ich rannte einfach immer weiter. Draußen schneite es – und ich hatte meine Jacke drinnen vergessen. Petrovs Butler hatte sie nach unserer Ankunft mitgenommen und sie zusammen mit meiner Handtasche in einem extra dafür vorgesehenen Raum verstaut. Meine Tasche! So ein Mist! An die hatte ich ebenfalls nicht gedacht! Mein Ausweis, mein Handy … mein Schlüssel – einfach alles war darin! Warme Tränen liefen über meine Wangen, denn ich wusste, was das bedeutete. Ein junger Mann, der zwei bildschöne Blondinen im Arm hatte und aussah, als wollte er es in dieser Nacht richtig krachen lassen, kam mir entgegen.

“Entschuldigen Sie”, begann ich, als er kaum mehr zwei Meter von mir entfernt war. Er sah mich von oben bis unten an, wobei sein Blick etwas länger auf meinem von silbernen Pailletten umgebenen, tiefen Ausschnitt hängen blieb. “Darf ich kurz Ihr Handy benutzen? Ich wurde ausgeraubt”, keuchte ich und betete, dass er mir glaubte. Zu sagen, dass die Gegend, in der Petrov Kalinin wohnte, wohlhabend war, wäre eine gewaltige Untertreibung. Hier lebte nur die Crème de la Crème Russlands! Milliardäre, die die Polizei mit Schmiergeldern bestachen, um jedem, der ihnen in die Suppe spuckte, ungestraft ihre eigenen Regeln aufzwingen zu können. “Eine Frau wie Sie sollte um diese Uhrzeit nicht mehr allein unterwegs sein”, entgegnete der in einen üppigen braunen Nerzmantel gehüllte Fremde. “Ich habe schlimme Schmerzen”, log ich und hielt mir den Arm schützend um meine Taille. “Das Baby ...“ Ich sah hinab zu meinem Bauch, anschließend wieder zu ihm und hoffte, dass er verstand. “Sie haben großes Glück, dass ich ein ehrenwerter Mann bin. Ein anderer wäre sicher …”, er stockte und sah auf meine nackten Beine, die vor Kälte zitterten, “… nicht so freundlich gewesen.” Dann zog er sein Handy aus der Innentasche seines Mantels und reichte es mir. “Danke”, hauchte ich und versuchte mich an einem Lächeln. Ich schaute mich hastig um, doch von Petrov oder einem seiner Gefolgsleute war keine Spur zu sehen. Straße und Gehweg waren bereits von einer frischen Schicht Schnee bedeckt. Niemand, der nicht etwas Dringendes zu erledigen oder sonst einen guten Grund hatte, der Kälte zu trotzen, wagte sich um diese Uhrzeit in Ostozhenka vor die Tür.

Meine eisigen Finger wählten in Windeseile die einzige Nummer, die ich – neben der meiner Mutter – auswendig kannte. Tuuut.

Tuuuuut.

Komm schon – geh ran, beschwor ich meinen engsten Freund im Geiste.

Tuuuuuuut.

“Suchanow”, hörte ich nach dem dritten Klingeln die vertraute Stimme. “Konstantin”, sagte ich und atmete erleichtert auf, “du musst mich abholen! Ich bin — ”, ich hielt inne und sah verstohlen zu dem Dreiergespann, das mich neugierig beäugte. Dann drehte ich mich beinahe um hundertachtzig Grad, sodass ich direkt auf die alte Eisenbahnstichstrecke sah – ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen Rubljowka noch weniger elitär war. Ich hielt meine Hand vor den Mund und teilte Konstantin im Flüsterton mit, wo wir uns treffen würden. “Haben Sie vielen Dank!” Als ich dem Herrn das Handy mit bebender Hand zurückgab, grinste er anzüglich. “Komm unter meinen Mantel – ich wärme dich auf, bis du abgeholt wirst.”

Die beiden Frauen, von denen eine schlauchbootförmigere Lippen als die andere hatte, warfen sich verschwörerische Blicke zu.

Ich schüttelte den Kopf und rief “Ich muss los”, während ich mich an der Blondine rechts außen vorbeidrängte und weiter hinein in die von klirrender Kälte durchzogene Nacht lief. “Schade”, hörte ich den Mann noch brummen, aber er machte Gott sei Dank keine Anstalten, mir zu folgen. Ich rannte ununterbrochen – sicher vier, fünf Kilometer –, bis ich endlich den Treffpunkt erreichte, den ich mit Konstantin ausgemacht hatte. Mein Herz hämmerte wie ein Vorschlaghammer, als ich endlich unter der alten Brücke stehen blieb. Zum Teil lag das ungestüme Pochen an dem Marsch, den ich eben zurückgelegt hatte. Der andere und weitaus gewichtigere Grund war jedoch, dass ich fürchtete, Petrov könnte mich jeden Moment aufspüren.

Er war betrunken, sicher ist er eingeschlafen, versuchte ich mir einzureden, um nicht vollkommen den Verstand zu verlieren. Ich kannte die Geschichten von seinen Mädchen – vor allen Dingen die, von denen, die sich ihm widersetzt hatten. Es hieß, dass er seine ersten beiden Ehefrauen im Schlaf ermordet hatte.

Bisher hielt ich das für ein albernes Gerücht, doch das war, bevor er mich mit in sein Schloss genommen hatte. Etwas an der Art, wie er mich angesehen hatte, als er mich seine Rose nannte, sagte mir, dass er alles tun würde, um zu bekommen, was er wollte: mich. Ich bildete mir deshalb nicht ein, etwas Besonderes zu sein – das nicht. Aber ich kannte die russischen Oligarchen, bedingt durch meinen Job, mittlerweile gut genug, um einschätzen zu können, wann es ihnen mit einer Sache ernst war. In dem Augenblick, als ich seine Avancen abgelehnt hatte, hatte er mich markiert.

Vielleicht war es dumm von mir, nicht zu tun, was er von mir verlangte. Doch ich war noch nie gut darin gewesen, blind zu gehorchen.

Eine meiner größten Schwächen, wie meine Mutter stets sagte.

Und Mr Grigorjew – mein Chef – würde ihr da gewiss zustimmen.

Ich hingegen, hielt jene Eigenschaft für eine meiner besten.

Während ich mir wieder und wieder über meine von Gänsehaut übersäten Oberarme rieb, hoffte ich inständig, nicht auch noch Russlands unbarmherzigem Winter zum Opfer zu fallen. Nach einer gefühlten Ewigkeit – vielleicht waren auch gerade einmal zehn Minuten vergangen, ich konnte es nicht mehr einschätzen – blendeten mich die runden Scheinwerfer eines Wagens. Ich hielt mir die Hand vor die Augen, um mich vor dem grellen Licht zu schützen, während ich vorsichtshalber einen Schritt zur Seite wich. Zwar wäre es ein selten komischer Zufall, würde einer von Petrovs Leuten plötzlich mit einem alten Käfer durch Moskaus Straßen fahren – aber mit Sicherheit wissen konnte ich es nicht. Ich nahm eine Haltung ein, die es mir ermöglicht hätte, möglichst schnell wegzulaufen, als der Fahrer des Autos das Licht ausschaltete. Die nächste Straßenlampe war zu weit weg, als dass ich in der Dunkelheit das Nummernschild hätte erkennen können. Die Tür ging auf und Konstantins karottenrote, verstrubbelte Mähne kam zum Vorschein. Erleichterung machte sich in mir breit.

“Spring rein! Du holst dir noch den Tod!”, rief er und traf damit den Nagel auf den Kopf. Ich konnte froh sein, wenn ich mir nach dieser Nacht keine Lungenentzündung zugezogen hatte. “Hi”, sagte ich, nachdem ich mich auf die Rückbank gesetzt und die Tür hinter mir zugeschlagen hatte. Konstantin legte einen Arm über die Lehne des Beifahrersitzes und sah zu mir nach hinten. “Was ist passiert?” Besorgnis zeichnete sein über und über mit Sommersprossen bedecktes Gesicht. Ich ließ einen langen Atemzug aus meinem Mund entweichen. Dann sagte ich: “Ein übler Kunde.” Daraufhin hob er die Brauen und musterte mich. “Hat er dir etwas getan?”

Ich schluckte, als ich daran dachte, was alles hätte passieren können. Es war nicht das erste Mal, dass ein Kunde mehr als meine Gesellschaft bei einem Geschäftsessen oder einem Termin gewollte hatte. Trotzdem hatte ich nie das Gefühl gehabt, ernsthaft in Gefahr zu sein. Grigorjew hatte immer besonderen Wert darauf gelegt, uns Mädchen daran zu erinnern, dass wir jederzeit gehen konnten, wenn wir uns bedroht fühlten. Selbiges hatte er auch unseren Kunden eingetrichtert. Außerdem wartete in der Regel ein eigens vom Divine-Escort-Service engagierter Sicherheitsmann in unmittelbarer Nähe auf uns. Genau jene hohen Standards waren es, weshalb Grigorjew stets die attraktivsten Mädchen Russlands jahrelang beschäftigte, ohne dass sie ihm allzu leicht abhanden kamen. Unsere Sicherheit war ein Garant für seinen wachsenden Reichtum. Die Summe, die wir dabei verdienten, war deutlich höher, als der Standard. Doch sie reichte nicht aus, um damit abzuhauen und ein neues Leben anzufangen.

Zumindest nicht, wenn man wie ich, noch eine Familie hatte, die auf einen angewiesen war.

Es war ausreichend zum Leben, genügend um zu bleiben – aber niemals genug, um frei zu sein.

“Nein”, antwortete ich auf die Frage meines Freundes und rieb mir erneut über die Arme, um mich aufzuheizen. “Warte.” Ratsch. Konstantin zog den Reißverschluss seiner olivfarbenen Steppjacke nach unten, streifte sie sich mit einer umständlichen Bewegung vom Leib und hielt sie mir hin.

Ich presste ein leises “Danke” hervor, als ich hastig nach dem so dringend herbeigesehnten Kleidungsstück griff. “Es war Petrov Kalinin”, erklärte ich, nachdem ich die Jacke angezogen und meine Arme um meinen nun gut gepolsterten Oberkörper geschlungen hatte. Konstantin riss seine grünen Augen auf. “Scheiße”, war alles, was er daraufhin hervorbrachte – und auch damit hatte er die Sache treffsicher auf den Punkt gebracht. “Das ist noch nicht alles”, stammelte ich und rieb meine Finger an meinen Handflächen, weil ich sie kaum mehr spürte. Konstantin öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Stattdessen starrte er mich erwartungsvoll an. “Er hat meine Handtasche”, erklärte ich und unterdrückte ein Schluchzen bei dem Gedanken, was das bedeutete. “Mein Handy, meinen Ausweis ...“ Ich wandte den Blick von ihm ab und sah hinaus in die Nacht. Zehn Meter entfernt von uns hinterließ ein einsamer streunender Hund seine Abdrücke in der sonst makellosen Schneedecke. Seine Ohren hingen schlapp herunter, ebenso wie sein Schwanz. Die Rippen, die sich auf seinem Körper abzeichneten, ließen vermuten, dass seine letzte anständige Mahlzeit lang her gewesen sein musste.

Am liebsten hätte ich Konstantin gebeten, ihn einen Moment mit zu uns in den Wagen nehmen zu dürfen – oder besser: mit zu ihm nach Hause. Die meisten herrenlosen Hunde, die durch Moskaus Straßen irrten, waren zutraulich. Sie waren an Menschen gewöhnt und nahmen dankbar jeden noch so kleinen Nahrungsrest entgegen, den man ihnen hinwarf. Aber da ich wusste, dass Konstantin Hunde hasste, sagte ich nichts. Darüber hinaus war ich bereits im Begriff, meinen besten Freund um Unterschlupf für mich zu bitten. Mehr als einen Streuner aufzunehmen, konnte ich nicht von ihm verlangen. Das und die Tatsache, dass er mich mitten in der Nacht abgeholt hatte, katapultierten mich in eine höchst unangenehme Situation. Ich wusste zwar, dass er es gerne und jederzeit wieder machen würde, doch wohl fühlte ich mich damit trotzdem nicht. “Wir fahren zu mir”, stellte Konstantin mit seiner gewohnt analytischen, wenig gefühlsduseligen Art fest und ich nickte.

Ich konnte froh sein, einen Freund wie ihn zu haben. Jemanden, der auch ohne viele Worte wusste, was zu tun war. “Was willst du jetzt machen?”, fragte er, nachdem wir seine Dreizimmerwohnung betreten hatten. Sie war klein, aber gemütlich. Außerdem stellte sie das genaue Gegenteil von Konstantins Charakter dar: verspielt, viel Krimskrams in Dekoform und bunt. Obwohl er während der Beziehung mit seiner quirligen Ex-Freundin Polina zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit betonte, wie sehr er ihren Einrichtungsstil hasste und sich auf seinen minimalistischen, lediglich auf einen Schrank, eine Kochstelle und ein Bett reduzierten Wohnstil zurückwünschte, hatte er seit dem Beziehungsende nichts verändert. Sein ewiges Gezeter war der Grund gewesen, warum Polina ihn vor einem halben Jahr verlassen hatte. Konstantin behauptete allerdings noch immer, sie hätten unüberwindbare Differenzen gehabt, die darin wurzelten, dass sie grundverschieden gewesen waren und die Beziehung niemals hätten eingehen sollen. Dabei hatte ich ihn nie glücklicher erlebt. Polina und er waren für mich der Beweis, dass jemand, der ganz anders als man selbst ist, manchmal genau das ist, was man braucht, um aus seinem Schneckenhaus herauszukommen. Ich ließ mich seufzend auf einem der mit türkis-grünen Sitzpolstern belegten Holzstühle nieder. Dann schlug ich die noch immer schlotternden Beine übereinander und zog meine Hände ins Innere der Ärmel von Konstantins Steppjacke. “Ich weiß es nicht”, gab ich ehrlich zu und rutschte ein Stück nach hinten. “Er hat Grigorjew dazu gebracht, mich ohne Personenschutz zu buchen.” Ich presste die Lippen aufeinander, ehe ich hinzufügte: “Das habe ich während der vergangenen acht Jahre noch nie erlebt – bei keinem Mädchen.” Ich fuhr mir mit den Fingern durch die dunkelbraunen Haare und verharrte darin.

Selbst meine Schädeldecke schien völlig ausgekühlt zu sein.

“Er war betrunken”, sagte ich schließlich mit starrem Blick auf die weiße Häkeltischdecke, “vielleicht hat er es morgen schon wieder vergessen und sucht sich eine Neue.” Ein weiches Wollknäuel traf mich unvorbereitet am Kopf. “Tschuldigung”, murmelte Konstantin, als ich mich bückte, um die grauen Socken aufzuheben. “Zieh die an!”

Ich tat, wozu er mir geraten hatte und schälte meine halb erfrorenen Füße aus den schwarzen Lederstiefeletten, die ungefähr so warm waren, wie Eiszapfen. “Er wird bei dir zu Hause auftauchen. Wenn nicht heute, dann morgen”, warnte mich Konstantin, nachdem er die Heizung höher gestellt und seinen drahtigen Körper auf dem Futon-Bett ausgebreitet hatte. Ich biss mir auf die Unterlippe – so lange, bis es weh tat. Was sollte ich tun? Ich konnte nicht zurück, sonst hätte ich meine gesamte Familie in Gefahr gebracht. Er würde sich holen wollen, was ihm seiner Meinung nach zustünde; was ich ihm verwehrt hatte. Doch ich würde es ihm nur über meine Leiche geben. Ich war zu stolz, um ihm meinen Körper zu überlassen. Er gehörte ihm nicht – vollkommen gleich, wie viel Geld er mir dafür bot. “Hast du einen Plan?” Konstantin zog seinen hellgrauen Dell-Laptop unter dem Nachttisch hervor und klappte ihn auf. Seine Finger flogen geradezu über die Tasten, als er nachschob: “Was ist mit Schottland? Dort wolltest du doch immer schon mal hin.” “Bist du verrückt?”, rief ich entgeistert. Gleichzeitig schien das Innere meiner Brust mit jedem neuen Atemzug enger zu werden, denn ich wusste, dass sein Vorschlag keineswegs so abwegig war, wie ich mir und ihm gerade weiszumachen versuchte. “Amerika?”, fragte er, ohne aufzusehen. Ich stellte die Füße auf die untere Querstrebe des Stuhles und antwortete mit einer Selbstverständlichkeit, die mich erschrecken ließ: “Zu weit weg.” Das konnte nicht wahr sein – würde mein Leben nun tatsächlich eine solche Wendung nehmen, nur wegen eines einzigen Vorfalls? Nur wegen eines Mannes? “Ich kann dir bis morgen Abend einen Pass besorgen”, murmelte Konstantin, während seine Finger noch immer in schnellem Tempo auf die Tasten schlugen. “Jetzt mach mal halblang! Wir wissen doch noch gar nichts Konkretes!” Ich fühlte mich auf einmal wie in einem schlechten Film. Wir übertrieben – das war ganz klar.

“Du bist hier nicht mehr sicher.” Konstantin sah mit einer von Falten gezeichneten Stirn auf. “Das wissen wir doch nicht”, sagte ich kleinlaut. Dabei dachte ich daran, was vor zwei Monaten mit Darja passiert war, nachdem sie Wladislaw Saizew, einem beinahe ebenso berüchtigten Oligarchen, wie Petrov einer war, eine Abfuhr erteilt hatte. Man fand sie drei Tage später tot in einer Gosse – ihre Kleider waren zerrissen, ihr Leib geschändet. Auf der Stirn prangte ein scharlachrotes W – denn das war die Art und Weise, wie die Mächtigen hierzulande die Frauen zeichneten, die sich weigerten, ihre Huren zu werden. Ich schluckte. Und schluckte wieder, doch der Kloß in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. Was hatte ich getan? War es das wirklich wert? Ich war gierig gewesen, hatte den Batzen Geld bereits vor Augen gesehen, den Petrov dafür bot, einen Abend mit mir auszugehen, nachdem er mich in Grigorjews Bar hatte sitzen sehen. Er hatte die beträchtliche Summe, die Grigorjew für uns Frauen verlangte, versechsfacht, wenn er eine Ausnahme machte und mich ohne Wachmann gehen ließe. Sein Versprechen, mir kein Haar zu krümmen, hatte aufrichtig geklungen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er einen solchen Narren an mir gefressen haben könnte, dass er die Beziehung zum Besitzer von Moskaus nobelstem Escort-Service gefährden würde. Allen Erwartungen zum Trotz, war die Szene klein. Wenn sich jemand daneben benahm, sprach sich das schnell rum. Die hochpreisigen Anbieter wie Grigorjew waren stets darauf aus, ihre Mädchen so lange wie möglich als Geldeinnahmequelle nutzen zu können. (Auch wenn nicht alle einen solchen Aufwand wie Grigorjew betrieben, was die Pflege und den Schutz ihrer besten Rennpferde anging.) Für den Bonus hätte ich meiner Mutter schon sehr viel eher als geplant eine bessere Beinprothese und meinem kleinen Bruder das lang ersehnte Mountainbike für den Sommer kaufen können. Jene Gedanken waren es, die mich hatten schwach werden lassen. Unvorsichtig. Konstantin stellte seinen Laptop auf den Nachttisch, sprang vom Bett auf und ging zu mir. “Wenn ich morgen früh bei dir zu Hause vorbeifahre, wäre das zu auffällig.”

Er legte eine Hand auf meine Schulter. “Aber ich werde nach ihnen sehen, das verspreche ich dir.” Meine Unterlippe bebte, als ich fragte: “Wie sollen sie ohne mich zurechtkommen? Das schaffen sie nicht.” Ich riss mich zusammen, doch auch mit größter Anstrengung konnte ich nicht verhindern, dass ich plötzlich in Tränen ausbrach. “Du suchst dir eine Arbeit und dann schickst du mir Geld”, erklärte Konstantin ruhig, als hätte er in den wenigen Minuten, die seit meiner Ankunft verstrichen waren, bereits alles haarklein ausgetüftelt. “Ich werde es ihnen bringen.” Ich atmete tief ein und nickte schwach. Das winzige Dachfenster in der Schräge war gänzlich mit Schnee bedeckt und löste auf einmal ein lähmendes Gefühl der Beklemmung in mir aus. Die Wände schienen immer näher zu kommen – ich fühlte mich gefangen. Konstantin beäugte mich skeptisch, als ich mir über die Stirn strich, während ich mich panisch im Raum umsah. Die Feuchtigkeit, die sich auf meiner Haut bildete, überraschte mich, da mir doch eigentlich kalt gewesen war. Nun schwitzte ich. Noch einmal biss ich mir auf die Unterlippe – so wie immer, wenn ich nervös war –, dann besann ich mich, ruhig zu bleiben. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, ermahnte ich mich. Ich würde alles Geld, das ich außerhalb meiner Wohnung in einem sicheren Versteck gebunkert hatte, für das Flugticket und eine neue, vorläufige Unterkunft benötigen. Zum Glück hatte ich erst gestern den Wocheneinkauf für meine Mutter und meinen Bruder Igor erledigt. “Alles wird gut werden”, sagte Konstantin in einem beruhigenden Ton, während er meine Schulter drückte. Ich ahnte, dass er jene Worte nur aussprach, um mich zu beruhigen. Aber das war in diesem Moment egal, denn sie waren genau das, was ich hören musste. Das, was mir bevorstand, fühlte sich falsch an. “Ich mache uns erst mal was zu trinken.” Konstantin schlurfte in seinen Bärenlatschen mit Ohren (noch so ein Überbleibsel aus seiner Zeit mit Polina) zum Herd, auf dem ein Teekessel stand. “Ich brauche was Stärkeres”, erklärte ich in bitterem Tonfall und sah hinauf zu seiner Spirituosensammlung, die er alphabetisch sortiert hatte. Er nickte und griff nach der noch geschlossenen Smirnoff-Flasche. Als wir uns einige Minuten später schweigend gegenüber saßen und die Gläser erhoben, bemerkte er: “Wenigstens ist es dort nicht so arschkalt wie hier. Die schottischen Winter sind der reinste Witz gegen das, womit wir uns rumschlagen.” Ich nippte an meinem Glas. Das warme Brennen, das sich gleich danach in meiner Kehle ausbreitete, lenkte mich für den Bruchteil einer Sekunde von der Misere ab, in die ich mich hineinmanövriert hatte. “Tatsächlich?”, fragte ich bemüht interessiert, obwohl die schottischen Temperaturen so ziemlich das Letzte waren, worüber ich mir gerade den Kopf zerbrach. Konstantin nickte wissend, bevor er erklärte: “Tagsüber wird es dort in der Regel höchstens minus sieben Grad Celcius.” Er kräuselte die Lippen und sah mich erwartungsvoll an. “Hast du das eben nachgeschaut?” Ich kannte die Antwort bereits, aber ich war ihm dankbar, dass er versuchte, mich mit trivialen Fakten abzulenken. Zumindest nahm ich an, dass es ihm darum ging. Manchmal war das nämlich nur schwer einzuschätzen, weil er seine emotionale Intelligenz reichlich oft von seinem analytischen Denken in den Keller sperren ließ. Er zuckte arglos mit den Schultern, als er “Allgemeinwissen” sagte und noch einen Schluck aus seinem Glas nahm. Ich tat es ihm gleich, woraufhin ich husten musste, da ich normalerweise nicht trank. So würde es also enden: mein Leben bei meiner Familie. Meinen Freunden. In Russland.

 

 

 

2 - Annabelle

 

“Hier wäre das Schlafzimmer.”

Als Mrs Fraser die Tür aufstieß, machte mein Herz einen Satz.

Das Zimmer war nicht sonderlich groß, aber es hatte ein Fenster, das direkt hinaus in den vorderen Teil des Schlossparks blicken ließ.

Jahrhundertalte Eichen und Douglasien bildeten zwei Halbkreise, in deren Mitte ein Springbrunnen stand.

Auf der einen Seite gingen die hölzernen Naturstatuen in eine lange Allee über, die nach etwa einem Kilometer mit einem hohen Messingtor ihr Ende fand. Die gegenüberliegende Seite war mit sorgfältig gestutzten Büschen bepflanzt, welche den Weg zum Eingang des Schlosses säumten.

“Es ist wunderschön”, sagte ich leise und mit weit aufgerissenen Augen.

Erst einige Sekunden später bemerkte ich, dass die Hausdame des Schlossherren mich – vermutlich bereits eine ganze Weile – beobachtete.

“O, entschuldigen Sie”, schob ich rasch nach. “Ich wollte Sie nicht aufhalten, Sie haben sicher noch viele andere Bewerber.”

Ich wich einen Schritt zurück und wandte mich vom Fenster ab.

Die grauhaarige, korpulente Dame, die wie eine freundliche Großmutter aus einem Kinderbuch aussah, lächelte, ehe sie mich in den nächsten Raum führte.

“Sie könnten sofort anfangen?”, fragte sie, als wir das Wohnzimmer betraten, das auf derselben Seite des Hauses wie das Schlafzimmer war und noch mehr Fenster hatte, mit Sicht auf den Innenhof.

Ich rieb eine meiner Handflächen am Hosenbein, als ich bejahte.

“Das könnte ich, Ma´m.”

Mrs Fraser musterte mich noch einmal von oben bis unten. Dann zog sie die Brauen hoch und kräuselte die Nase, bevor sie seufzend sagte: “Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen den Vertrag.”

Sie drehte sich um und lief in kurzen schnellen Schritten aus dem Raum, wobei ihr ausladendes Hinterteil mit jedem neuen Tritt hin und her wackelte, als sei es aus Pudding.

Ich blieb zurück und starrte ihr ungläubig nach.

Erst als sie sich umdrehte und mich fordernd ansah, bemerkte ich, dass ich mich noch gar nicht gerührt hatte.

“Sie meinen, ich habe den Job?”, fragte ich mit brüchiger Stimme.

Konnte es tatsächlich so leicht sein? Hatte ich Glück? Oder gab es Gepflogenheiten, was die Redensart der Schotten anging, die ich nicht verstand?

Mrs Fraser hielt mir die Haustür auf.

“Die Probezeit beträgt sechs Wochen.”

Wieder überschlug sich mein Herz beinahe.

Dies war das erste Vorstellungsgespräch, zu dem ich seit meiner Ankunft in Schottland eingeladen worden war. Ich hatte mich darauf vorbereitet, unzählige davon durchlaufen zu müssen, bevor ich schließlich eine Stelle finden würde. Nie hätte ich damit gerechnet, dass es gleich beim ersten Gespräch klappen würde.

Trotzdem traute ich dem Braten noch nicht ganz. Wo war der Haken?

Wir gingen in die einzige weitere Wohnung in dem hübschen Kavaliershaus, die sich gegenüber von der, die Mrs Fraser mir eben gezeigt hatte, befand.

Sie stand ebenfalls leer, doch anders als die besichtigte, wirkte es nicht so, als sollte sie in absehbarer Zeit vermietet werden. An den Decken hingen in jeder zweiten Ecke dicke Spinnweben; und auf dem Boden hatte sich bereits eine Staubschicht gebildet.

Wir gingen durch einen kurzen Flur und betraten einen Raum, der mit einer Stehlampe, einem Tisch und zwei sich gegenüber stehenden Stühlen möbliert war.

“Setzen Sie sich”, wies mich Mrs Fraser an.

“Es ist ein wunderschönes Anwesen”, bemerkte ich, während ich tat, wie mir geheißen wurde.

Dabei versuchte ich darauf zu achten, das R nicht zu stark zu rollen.

Mrs Fraser strich sich den Faltenrock glatt, bevor auch sie sich setzte.

“Sie sind Nichtraucher?”

Ich nickte.

“Ja.”

Das stimmte.

Die Dame schob mir einen dicken Stapel aneinander getackerter Zettel zu, die auf dem Tisch lagen.

Dann machte sie sich einige Notizen auf ihrem Block, den sie die ganze Zeit über mit sich herumgetragen hatte.

“Keine Familie?”

Wieder zog sie die Brauen nach oben und sah mich prüfend an.

Ich presste die Lippen zusammen und schüttelte sachte den Kopf.

“Nein.”

Sie ließ ihren Blick gefühlt eine halbe Ewigkeit auf mir ruhen und ich umklammerte unbehaglich die Handtasche auf meinem Schoß.

“Ihr bisheriger Wohnsitz war in Dublin”, stellte sie fest, während sie wieder auf ihren Notizblock starrte.

“Ja, Ma´m. Ich war dort vier Jahre lang die Haushälterin einer Familie, habe geputzt, gekocht, auf die Kinder aufgepasst und auch sonst alle Aufgaben erledigt, die angefallen sind”, erklärte ich in genau dem gleichen Wortlaut, den ich mir in den vergangenen Tagen sicher hunderte Male im Geiste und laut vor dem Spiegel aufgesagt hatte.

“Sie sind dann nach Kanada ausgewandert, deshalb benötige ich nun eine neue Stelle”, schob ich viel zu schnell nach.

Mrs Fraser sah auf. Eine Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen; ihr Blick wirkte kritisch, beinahe skeptisch.

Ich umklammerte meine Tasche noch fester und vergrub meine kurz gefeilten Fingernägel in das billige schwarze Kunstleder.

“Nun”, begann sie und hämmerte mit dem oberen Ende ihres Kugelschreibers einige Male auf die Tischplatte, “Ihre Arbeitszeugnisse sind makellos, ebenso wie Ihr Lebenslauf.”

Ich schluckte.

“Danke, Mrs Fraser.”

Konstantin war sorgfältig. Es überraschte mich nicht, dass seine Arbeit jeglicher Überprüfung standhielt. Trotzdem fühlte ich mich wie eine Betrügerin.

Denn das war ich ja auch.

Mrs Fraser schien jeden Millimeter meines Gesichts nach einer verräterischen Mimik abzusuchen, was mein Unbehagen nur noch mehr anfeuerte.

Schließlich fragte sie: “Was verbergen Sie?”

Ich biss mir ins Innere meiner Wange und fühlte mich ertappt.

Es war, als könnte ein Teil von ihr meine Unsicherheit riechen; als hätte sie in meinen Kopf gesehen und mich allein anhand meiner Gedanken entlarvt.

Ich rutschte von einer Pobacke auf die andere und hörte auf Konstantins Stimme, die mich beschwor, in einer Situation wie dieser stets die Ruhe zu bewahren und selbstsicher aufzutreten. Das war das A und O, wenn man eine falsche Identität hatte.

“Sie haben mich ertappt”, sagte ich mit einem falschen Lächeln auf den ungeschminkten Lippen. “Ich bin eine furchtbare Köchin.”

Mrs Frasers runzelte die Stirn.

Ich legte die Hände auf den Tisch, um mit meiner Körpersprache Offenheit zu suggerieren.

Dann fügte ich hinzu: “Meine früheren Arbeitgeber haben sich anfangs regelmäßig beschwert. Aber …”, ich hielt inne, denn das richtige Maß der Lüge war nun gefragt, “... ich lerne schnell und bin stets bemüht, mich zu verbessern.”

Die Hausdame legte ihren Stift nieder und schürzte die Lippen.

“Lord McLeod legt großen Wert auf gutes Essen.”

Oh nein – hätte ich doch bloß etwas anderes gesagt, das ich nicht kann!

“Weshalb ich jedes Kochbuch studieren werde, das Speisen seines Geschmacks enthält”, beteuerte ich hastig.

Zu hastig. Doch ich konnte nicht anders, denn ich wollte diesen Job. Ich brauchte ihn!

Meine Mutter würde nicht lange ohne meine Unterstützung zurechtkommen.

Sie konnte wegen ihres Beines und der Schmerzen, die sie noch immer darin verspürte, nicht arbeiten und mein Bruder ging noch zur Schule. Ohne mich waren sie aufgeschmissen. Sie hatten niemanden sonst, der ihnen zur Seite stehen würde, wenn es hart auf hart käme. Und von Konstantin konnte ich wirklich nicht noch mehr verlangen, als er schon für mich getan und aufs Spiel gesetzt hatte. Deshalb würde ich alles für diese Stelle tun, was nötig war!

Wieder musterte Mrs Fraser mich skeptisch, sagte jedoch nichts weiter darauf.

Stattdessen machte sie mehr Notizen auf ihrem linierten Block und ich hoffte inständig, dass die Dinge, die sie schrieb, positiv waren.

“Es gibt Regeln auf diesem Schloss”, äußerte sie in strengem Tonfall und ohne aufzusehen.

“Ich liebe Regeln!”, antwortete ich und hätte mir am liebsten sofort danach eine Backpfeife verpasst.

Reiß dich zusammen, Anastasia!

“Ich meine”, begann ich, “Regeln sind wichtig.”

Mrs Fraser schaute auf.

“Sie sorgen dafür, dass jeder weiß, was zu welcher Zeit zu tun ist”, schloss ich und rutschte ein Stück auf meinem Stuhl nach hinten, um gerader zu sitzen.

In Wahrheit hasste ich starre Regeln.

“Sie müssen jederzeit erreichbar sein”, erklärte sie und tippte mit ihrem faltigen Finger auf die oberste Seite des Papierstapels, den sie mir eben zugeschoben hatte.

Ich nickte.

“Die privaten Bereiche des Lords sind absolut tabu”, sprach sie weiter.

Ich legte die Stirn in Falten.

“Aber wie soll ich — ”

“Es sei denn, er bittet Sie ausdrücklich darum, sie zu betreten”, schnitt mir Mrs Fraser das Wort ab.

Wieder nickte ich.

Ich würde mich also vor dem Putzen versichern müssen, dass ich die Erlaubnis hatte, den jeweiligen Raum zu betreten. Kein Problem!

“Er isst sein Essen sehr scharf”, führte Mrs Fraser weiter aus.

“In Ordnung”, antwortete ich zuversichtlich, woraufhin sie “Sehr scharf” wiederholte.

Ich nickte.

“Die Kommunikation zwischen dem Lord und Ihnen findet ausschließlich über E-Mails statt. Das Smartphone dafür wird Ihnen vom Lord gestellt. Sie müssen alle zwanzig Minuten Ihren Account-Eingang überprüfen.”

Das war ungewöhnlich. Ich hätte gern gefragt, aus welchem Grund eine solche Regel bestand, doch ich wollte mich nicht noch einmal in die Nesseln setzen, deshalb schwieg ich.

“Wenn Sie Lord McLeod im Park spazieren gehen sehen, müssen Sie mindestens zehn Meter Abstand zu ihm halten. Sie werden ihn nicht ansprechen, ihn nicht grüßen und auch sonst auf keine Weise versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.”

Ich verkniff mir ein Schmunzeln, als ich merkte, dass sie das tatsächlich ernst meinte.

Wer war dieser McLeod? Vielleicht ein hochrangiges Regierungsmitglied?

“Stimmen Sie dem uneingeschränkt zu?” Mrs Fraser kniff die Augen zusammen und hielt mich mit ihrem Blick fest.

Ich nickte eifrig.

“Ja, Ma´m.”

Sie sah mich noch eine Weile lang an und ich hoffte, dass ich keinen zu großen Fehler gemacht hatte.

“Man muss die Einsamkeit mögen, um hier zu arbeiten”, sagte sie schließlich.

“Ist das auch eine der Regeln?”, fragte ich vorsichtig, denn ich wollte ganz sicher gehen, dass ich alle Anforderungen zur größten Zufriedenheit meines neuen Chefs – wenn er mich denn nahm – erfüllte.

Ein winziges Lächeln umspielte Mrs Frasers blassrosa gefärbte Lippen.

“Nein – bloß eine Empfehlung”, antwortete sie.

“Ach so.”

Nun hob auch ich meine Mundwinkel, doch ihr Lächeln war bereits wieder verschwunden.

Das führte dazu, dass sich meine Glieder erneut anspannten.

“Lesen Sie sich den Vertrag gut durch”, empfahl sie mir. “Wenn Sie mit allem einverstanden sind, unterzeichnen Sie auf der letzten Seite.”

Mein Puls nahm an Fahrt auf.

Sie nahm mich!

“Danke Mrs Fraser”, sagte ich und bemühte mich, meine immense Freude zu verbergen.

Sie nahm ihren Stift wieder auf und machte sich abermals einige Notizen, während sie sagte: “Der Bus fährt einmal am Tag vom alten Kirchturm aus in die Stadt.”

“Gut”, jauchzte ich, wobei es mir nicht gelang, meine Überschwänglichkeit zu unterdrücken.

Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte die alte Dame umarmt!

Ich wollte Konstantin anrufen und ihm von meiner neuen Stelle erzählen. Doch dann erinnerte ich mich, dass wir vereinbart hatten, nur im äußersten Notfall miteinander zu telefonieren, um kein unnötiges Risiko einzugehen.

Ein dicker Schleier der Enttäuschung legte sich über mein Gefühl der Freude, als ich begriff, dass ich niemanden hatte, mit dem ich es teilen konnte.

Aber das war jetzt zweitrangig. Ich hatte einen gut bezahlten Job ergattert, eine tolle Wohnung und war in Sicherheit.

Dass ich wegen des Erlebnisses mit Petrov Schlösser verabscheute, durfte ebenso wenig eine Rolle spielen, wie die Tatsache, dass ich den Mann nicht kannte, der mich eingestellt hatte.

Mrs Fraser wirkte trotz ihrer teils schroffen Art so, als hätte sie das Herz am rechten Fleck.

Sie hatte mir gesagt, dass sie bereits seit siebzehn Jahren für den Lord arbeitete.

Dann konnte er so schlimm nicht sein, dachte ich, als ich in Schönschrift meinen Namen unter den Vertrag setzte: Annabelle Wilder.

 

 

3 - Annabelle

 

 

Als ich am nächsten Tag aus dem Bus stieg, nahm ich das Ausmaß der wunderschönen Umgebung des Schlosses zum ersten Mal richtig wahr.

Gestern, vor dem Bewerbungsgespräch, hatte mich die Angst aufzufliegen zu fest im Griff und danach die Aufregung, weil ich die Stelle tatsächlich bekommen hatte.

Nun, da ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, war ich zwar noch immer leicht nervös, aber nicht mehr so sehr, dass meine Aufmerksamkeit zu stark darunter litt.

Während ich meine beiden Rollkoffer hinter mir herzog, bewunderte ich das imposante Anwesen, das dem eines Königs glich.

Ich nahm mir vor, Mrs Fraser zeitnah zu fragen, wie lange das Gut bereits im Besitz von Lord McLeod war.

Sie hatte mir gesagt, dass sie zusammen mit ihrem Mann im Kavaliershaus lebte, gegenüber von dem, in das ich nun einziehen würde.

Beide Gebäude gehörten zum Schloss und wirkten auf ihre ganz eigene Weise eindrucksvoll und anmutig. Sie standen sich direkt gegenüber und hinter ihnen, nur wenige Meter entfernt, befand sich das grobe Mauerwerk von McLeods Prachtbau.

“Sie müssen Ms Wilder sein!”

Ich zuckte zusammen, als ich die laute Männerstimme vernahm, die von irgendwo hinter der Hecke zu kommen schien, an der ich gerade vorbeiging.

Ich drehte meinen Kopf nach allen Seiten, konnte aber niemanden erkennen.

“Hallo?”, fragte ich schließlich und hoffte, dass ich nicht bereits versehentlich Regel Nummer drei gebrochen hatte.

“Ach, entschuldigen Sie – wie unhöflich von mir!”, ertönte es irgendwo von unten auf der anderen Seite des dichten grünen Geästs.

Ich hob die Brauen und wollte gerade sagen, der Fremde möge sich doch nun bitte einmal zu erkennen geben, da vernahm ich Schritte hinter mir.

Ich drehte mich um und erblickte einen jungen Mann mit dunkelblonden Haaren und warmen braunen Augen. Er trug eine braune Hose und dazu ein waldgrünes Hemd, das an den Ellenbogen bereits abgewetzt war.

In der einer seiner mit gelben Handschuhen bekleideten Hände hielt er eine Heckenschere, mit der anderen wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

“Ich bin Lennox”, stellte er sich vor und zog sich mit den Zähnen einen der Handschuhe aus.

Seine unbefangene Art brachte mich zum Schmunzeln.

“Annabelle”, sagte ich – obwohl er das offensichtlich bereits wusste – und griff nach seiner Hand.

“Schön, dass meine Mutter Verstärkung bekommt! Sie hätte eigentlich schon vor drei, vier Jahren in Rente gehen müssen.”

Lennox sah mich freundlich an, als er hinzufügte: “Ihr Knie, wissen Sie. Sie schafft die vielen Treppenstufen im Schloss nicht mehr so gut.”

Ich runzelte die Stirn.

“Dann müssen Sie …”

“Erin Frasers Sohn”, erlöste mich Lennox lächelnd, wofür ich ihm sehr dankbar war.

Ich hatte zwar vermutet, dass er ihr Sohn war, trotzdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass ich es mit dem Lord zu tun hatte.

Immerhin wusste ich nicht einmal, wie er aussah.

Es hätte mich zwar sehr gewundert, denn Mrs Fraser hatte mir gestern mehrfach zu verstehen gegeben, dass Lord McLeod offenbar keinen näheren Kontakt zu seinen Angestellten wünsche, aber es hätte ja sein können, dass ich da etwas falsch verstanden hatte.

“Sie kümmern sich um die wunderschönen Grünanlagen hier?”, erkundigte ich mich und ließ meinen Blick über die Hecke schweifen.

“Ist der Job meines Vaters”, erklärte Lennox und wischte sich abermals über die leicht gebräunte Stirn. Er musste schon länger gearbeitet haben, denn obwohl es bei Weitem nicht so kalt wie in Moskau war, lag Konstantin mit seiner Temperatureinschätzung vermutlich schon ganz richtig, war es doch so frostig.

“Ich mache Urlaub”, fuhr er fort. “Eigentlich – wie man sieht”, schob er grinsend nach, wobei sich zwei Grübchen auf seinen Wangen bildeten.

Er war bestimmt Anfang dreißig, hatte jedoch etwas Lausbubenhaftes an sich, das ihm ziemlich gut stand.

Ich nickte und wollte gerade weiter zum Kavaliershaus gehen, da rief er: “Heute Abend ist unten im Dorf ein Schankfest. Wollen Sie mich begleiten?”

Ich zog einen der Koffer näher an mich heran, als ich antwortete: “Das ist sehr nett von Ihnen. Aber ich habe noch viel auszupacken und …”

Ich sah hinunter auf meine billigen dunkelroten Winterschuhe, die mir zu klein und der Grund für eine Vielzahl von Blasen an meinen Füßen waren.

“Kommen Sie schon! Ich erzähle Ihnen ein bisschen was über die Gegend! Ich hörte, Sie sind nicht von hier.”

Er sah mich mit einem solchen Hundeblick an, dass nur eine Frau mit einem Herz aus Eis ihm einen Korb gegeben hätte – da war ich mir sicher.

Ich verdrängte die Gedanken daran, was die Leute wohl von mir halten würden. Ich wusste, man könne mir ansehen, dass ich keinen Penny besaß. Lennox musste also zumindest ahnen, worauf er sich einließ, wenn er mich ausführen wollte. Außerdem wäre das eine gute Möglichkeit, mehr über meinen neuen Arbeitgeber herauszufinden, sagte ich mir, als ich schließlich zustimmte.

“Ein Stündchen könnte ich sicher erübrigen”, erklärte ich und lächelte zaghaft.

Lennox´ Augen leuchteten auf.

“Ich hole Sie um neunzehn Uhr ab”, versicherte er mit einem Grinsen, das ihn für eine Zahnpastawerbung prädestinierte.

“Dann bis heute Abend”, entgegnete ich und nahm die Griffe meiner beiden Koffer wieder in die Hand.

Beim Umdrehen bemerkte ich, dass sich eine der dichten Gardinen am Schlossfenster im mittleren Stock bewegte.

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, wer sich dahinter verbarg.

“Ist alles in Ordnung?”, hörte ich Lennox in meinem Rücken fragen.

“Äh”, ich drehte mich zu ihm um, “ja, sicher! Ich dachte nur, ich hätte da was gesehen”, sagte ich leise, bevor ich ihm ein weiteres Mal ein flüchtiges Lächeln schenkte und den noch verbliebenen Fußmarsch zu meiner neuen Wohnung antrat.

 

4 - Alexander

 

 

“Sie ist sehr jung”, bemerkte ich und ließ den Vorhang zurückgleiten.

Erin räusperte sich hinter mir.

“Sie hat hervorragende Referenzen. Außerdem ist sie ungebunden.”

Ich schob die Gardine noch einmal ein Stück zur Seite – gerade so viel, dass ich von unten ungesehen blieb.

“Mhm.”

Ich sah meiner neuen Angestellten nach, wie sie zwei völlig demolierte Koffer hinter sich herzerrte. Ihre Jeans war ihr mindestens eine Nummer zu groß, der Mantel mit Flicken übersät – wohingegen ihre Haare seidig und frisch geschnitten wirkten.

Ich hoffte für sie, dass sie keine von diesen Frauen war, die meinten, sie könnten hier auf einfache Weise Geld verdienen, in ein ansehnliches Haus einziehen und gleichzeitig ihre Schulden abbezahlen. Nur, um dann nach zwei, drei Jahren sang- und klanglos wieder zu verschwinden.

“Wo kommt sie her?”, herrschte ich Erin an.

War es ein Fehler gewesen, sie mit der Aufgabe zu betrauen, eine Nachfolgerin für sich zu suchen? Hätte ich mir die Mühe machen sollen, die Anwärterinnen vorher zu überprüfen?

“Dublin, Sir”, ließ Erin hinter mir verlauten, während ich noch immer am Fenster stand und beobachtete, wie Ms Dublin sich mit ihrem offenbar schweren Gepäck den Weg zu meinem Kavaliershaus erkämpfte.

“Sir, Sie ist achtundzwanzig – genau das richtige Alter, um für immer an Ihrer Seite zu bleiben.”

Meine Nase zuckte bei den letzten Worten meiner Haushälterin. Ich fuhr herum und warf ihr einen bösen Blick zu.

Unsicher, wie sie stets in meiner Nähe war, zupfte sie nervös am Bund ihrer weißen Schürze, als sie murmelte: “Ihnen zu dienen, meinte ich natürlich.”

Ich schnalzte abwehrend mit der Zunge und ging an ihr vorbei, um mich an meinen Schreibtisch zu setzen.

“Wer sagt, dass ich sie überhaupt haben will?”, knurrte ich und nahm einen Pinsel und ein frisches Blatt Papier aus meiner Schublade.

“Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie keine allzu große Auswahl haben?”, äußerte Erin mit bebender Stimme.

Ich legte den Pinsel beiseite und ballte schnaubend meine Hand zu einer Faust.

“Dürfen Sie nicht!”

Erin zuckte zusammen, so wie ich es von ihr gewohnt war, wenn ich sie anbrüllte.

Bloß, weil ich sie mit jener Aufgabe betraut hatte, brauchte sie nicht meinen, sie könne mir plötzlich sagen, was ich zu tun hatte. Wenn die Angestellte mir nicht zusagte, würde sie mir eine neue besorgen müssen. Und wenn diese wieder nicht gut war, dann noch eine dritte, eine vierte und so weiter …

Am liebsten wäre es mir, sie würde keine finden, denn dann müsste sie bleiben – schließlich war ich mir sicher, dass sie mich nicht im Stich lassen würde, dafür kannten wir uns zu lange. Das Affentheater wäre vorbei und ich könnte mein Leben wie gewohnt fortsetzen.

“Sie fängt am Montag an.”

Erin schickte sich an, zu gehen.

“Sehen Sie zu, dass sie die Regeln kennt”, befahl ich, als sie ihre Hand auf die goldene Türklinke legte.

Das war natürlich selbstverständlich – ich hatte extra einen Vertrag aufgesetzt. Trotzdem war ich der Meinung, dass Erin der Neuen nicht oft genug sagen konnte, worauf es mir ankam. Ich würde keine Ausrutscher dulden und sie bei der kleinsten Verfehlung entlassen.

“Sie kennt die Regeln, Sir!”, beteuerte Erin, ehe sie sich mit einem Knicks – so wie es mir gefiel – von mir verabschiedete und die Tür hinter sich zuzog.

 

 

In dieser Nacht wälzte ich mich ununterbrochen von einer Seite auf die andere. Irgendwann wachte ich schweißgebadet auf – die Bilder des Schreckens noch immer vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Mein Zimmer war rot, alles leuchtete grell, als wäre ich inmitten einer extra für mich geschaffenen Hölle.

Ich rief ihren Namen, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht hörte.

Es dauerte mehrere Minuten bis die Röte verschwand und mit ihr die Hitze in und außerhalb meines Körpers.

Ich atmete auf und strich mir durchs Haar. Wann würde diese Scheiße endlich ein Ende haben? Wann würde sie aufhören, mich zu verfolgen?

Ich stand auf und holte mir ein Glas Wasser aus der Küche.

Dazu durchquerte ich den Ballsaal, mein Wohnzimmer, mein Arbeitszimmer und die gute Stube.

Als ich an der Spüle stand, wusste ich, dass ich den Rest der Nacht keine Ruhe mehr finden würde. Also beschloss ich, das einzig Logische in dieser Situation zu tun: Ich setzte mich vor meine Staffelei und malte.

Nach etwa einer Stunde machte ich eine Pause. Ich stand auf und streckte mich. Anschließend ging ich durch den Raum und dehnte meine Oberschenkelmuskeln.

Ich sollte wieder regelmäßig laufen!

Plötzlich sah ich, dass noch Licht im linken Kavaliershaus brannte.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits nach drei war.

Was machte die Neue um diese Uhrzeit noch?

Erin musste ihr doch gesagt haben, dass sie ab sechs Uhr Rufbereitschaft hatte.

Dass sie so unachtsam mit ihrer Energie umging, war ein Zeichen dafür, dass sie die Aufgabe, mir zu dienen, unmöglich mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit anging.

Kopfschüttelnd setzte ich mich wieder auf meinen Schemel und malte weiter.

 

 

5 - Annabelle

 

 

Die Türklingel schrillte so laut, dass ich “Wer die Nachtigall stört” versehentlich fallen ließ, als ich es gerade in das Regal neben meinem Bett räumen wollte.

Riiing.

Wieder klingelte es.

Ich hob das Buch auf, legte es behutsam auf mein Kopfkissen und hastete zur Tür.

“O — ist es schon so weit?”

Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr, als Lennox mich in einem schicken grauen Kurzmantel und einem breiten Lächeln auf den Lippen begrüßte.

Die Zeiger meiner Armbanduhr standen auf Punkt sieben. Verflixt! Ich hatte beim Aus- und Einräumen tatsächlich vollkommen die Zeit vergessen!

“Entschuldigen Sie vielmals”, sagte ich und winkte ihn durch.

“Ich war so vertieft”, erklärte ich, während ich ihm den Weg zum Wohnzimmer wies und andeutete, er solle auf dem blauen Sofa Platz nehmen.

Ich hatte großes Glück, dass die Wohnung bereits mit den wichtigsten Möbeln ausgestattet war.

Lennox winkte ab.

“Macht doch nichts, dort unten ist in ´ner halben Stunde auch noch was los”, entgegnete er fröhlich und es wirkte, als meinte er es tatsächlich ernst.

“Danke, dass Sie nicht böse sind”, sagte ich erleichtert. “Ich beeile mich.”

Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken, als ich im Schlafzimmer verschwand.

Ich hatte mir noch nicht einmal herausgelegt, was ich anziehen würde!

Wo war ich bloß mit meinen Gedanken?

Ich entschied mich kurzerhand für eine braune Cordhose, die einigermaßen saß, einen schlichten, schwarzen Rollkragenpullover, einen hellen Schal und den einzigen Mantel, den ich im Moment besaß.

All meine schicke Kleidung war in Moskau geblieben – ich hatte sie nicht mitnehmen können und das war vermutlich auch besser so gewesen, denn ich wollte kein Aufsehen erregen.

Mit dem Nötigsten hatte ich mich eingedeckt und das würde reichen. Schließlich war ich nicht hier, um irgendjemanden zu beeindrucken. Ich musste Geld verdienen und dafür sorgen, dass es meiner Familie gut ging. Das war meine oberste Priorität.

Für Eitelkeiten hatte ich keine Zeit.

“So, können wir dann?”, fragte ich, als ich nach zehn Minuten im Wohnzimmertürrahmen stand.

“Ich bin bereit”, erwiderte Lennox und war eine Sekunde später auf den Beinen.

“Sie sehen hübsch aus.”

Er strahlte mich an, während er auf mich zuging, was dazu führte, dass ich mich rasch wegdrehte.

“Danke”, sagte ich leise und steuerte die Haustür an, neben der meine Schuhe standen.

Es war mir unangenehm, dass er sich offensichtlich genötigt fühlte, mir ein Kompliment zu machen, nur, weil wir miteinander ausgingen.

Wir fuhren in seinem Mercedes hinunter ins Dorf, was in mir die Frage aufkommen ließ, was er wohl beruflich machte.