Terror - Dieter Reinisch - E-Book

Terror E-Book

Dieter Reinisch

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Beschreibung

Am 11. September 2001 brachten zwei Flugzeuge das World Trade Center in New York zum Einsturz. Kurz darauf rief Präsident George W. Bush den "Krieg gegen den Terror" aus, der über 20 Jahre später noch immer andauert – mit extralegalen Tötungen, Folter und geheimen Gefängnissen auf der einen Seite und Terroranschlägen überall in der Welt auf der anderen Seite. In diesem Buch erzählt der Historiker Dieter Reinisch die lange Geschichte des Terrorismus. Er definiert ihn als die Verwendung von heterogener Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure zur Kommunikation von politischen Zielen an eine Mehrheitsbevölkerung – und um den Gegner zu Handlungen zu provozieren. Die Frühgeschichte des Terrorismus setzt Reinisch mit der Errichtung von Stadtstaaten im Mittleren Osten an. In der Moderne erlangte der Terror in der Französischen Revolution Bedeutung, zur Bekämpfung der rechten wie linken Opposition. Ab der Erfindung des Dynamits im 19. Jahrhundert trat er in Wellen auf: Es folgten Bombenanschläge, Schussattentate, Autobomben, Messerattacken und Flugzeugentführungen. Das Repertoire der Terroristen ist breit gefächert und ihre Strömungen sind sehr unterschiedlich: Nationalisten, Revolutionäre, Suffragetten, AnarchistInnen, KommunistInnen, ZionistInnen, Dschihadisten, Faschisten und evangelikale Fundamentalisten. Reinisch zeigt aber auch, dass der Großteil des Terrors in der Geschichte der Menschheit von Staaten ausging und ausgeht. Besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Entwicklung des modernen Terrorismus in vier Wellen seit den 1860er-Jahren: anarchistischer Terror, antikolonialer Terror, linksnationalistischer Terror und religiöser Terror. Und er schildert die Wurzeln und Entwicklungen einer neuen Form des Terrorismus: der Etablierung semistaatlicher Strukturen dschihadistischer Gruppen in der Sahelzone und dem Horn von Afrika, dem Nahen Osten und Zentralasien. In einem abschließenden Kapitel hinterfragt Reinisch die "Terrorhysterie", so eine Bezeichnung des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, die die stetige Unterminierung demokratischer Rechte und den Ausbau des Überwachungsstaats ermöglicht. Das Buch gibt einen Einblick in die lange Geschichte von Terrorismus, der helfen soll, das Phänomen abseits von medialem Hype zu verstehen.

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Seitenzahl: 256

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Dieter ReinischTerror

  

Eine Geschichte der politischen Gewalt

© 2023 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

ISBN: 978-3-85371-899-5(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-503-1)

Coverfoto: Getty Images

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Frühgeschichte: Heiliger Terrorismus
2. Französische Revolution und Staatsterrorismus
3. Individueller und anarchistischer Terrorismus
4. Antikolonialer Terrorismus
5. Linker und linksnationalistischer Terrorismus
6. Religiöser Terrorismus
7. Dschihadistischer Terrorismus
Schluss: Das Zeitalter des Terrorismus
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis

Über den Autor

Dieter Reinisch, geboren 1986 in Hainburg an der Donau, ist Historiker und forscht zu sozialen Bewegungen und politischer Gewalt am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Galway und lehrt Geschichte und internationale Beziehungen an der Webster Vienna Private University. Bei Promedia erschienen von ihm »Die Frauen der IRA. Cumann na mBan und der Nordirlandkonflikt 1968−1986« (2017) und »Der Urkommunismus. Auf den Spuren der egalitären Gesellschaft« (2012).

Vorwort

»Der bewaffnete Kampf wurde uns von der Regierung aufgezwungen.«Nelson Mandela, bis 2008 auf der Terrorliste der USA

Als Historiker, der an der Schnittstelle von Zeitgeschichte und Politikwissenschaft arbeitet, versuche ich aktuelle politische Entwicklungen aus der Geschichte heraus zu verstehen. Eines dieser Phänomene ist der Terrorismus. Im September 2001 kam es zu den verheerenden Anschlägen auf das World Trade Center in New York. Als Reaktion darauf begann der von den USA ausgerufene »Krieg gegen den Terror«. Mit diesen Ereignissen setzte ein sprunghafter Anstieg der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Terrorismus und politischer Gewalt parallel zu einer ununterbrochenen medialen Aufmerksamkeit ein. Vom früheren US-Präsidenten Barack Obama stammt der Ausspruch, es existiere eine Medienhysterie im Zusammenhang mit Terror. Der Terrorismus ist aber kein Phänomen, das im September 2001 entstand. Er hat lange, jahrtausendealte Wurzeln. Das Nachzeichnen dieser Entwicklung von seinem Beginn bis heute ist das Ziel dieses Buchs. Dadurch soll die Geschichtsschreibung einen Teil dazu beitragen, unsere heutige Welt verständlicher zu machen.

Kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 begann mein Interesse an Terrorismus und politischer Gewalt. Zunächst erforschte ich seine Ausgestaltungen in Irland und Großbritannien, seit einigen Jahren auch in anderen Teilen Europas. Die Arbeit an diesem Buch entstand im Anschluss an eine fünfteilige Sendereihe des österreichischen Radiosenders Ö1. Im Jänner 2021 wurde sie unter dem Titel Politische Gewalt und Kommunikation von der Französischen Revolution bis heute ausgestrahlt. Kurze Zeit später begannen in Zusammenarbeit mit dem Verleger Stefan Kraft die Planungen für dieses Manuskript. Er war nur einer von vielen Personen, die die Arbeit an diesem Buch ermöglichten. Ebenso möchte ich mich bei Isabelle Engels und Robert Weichinger von Ö1 bedanken. Besonderer Dank gilt meinem langjährigen Freund Kaan Orhon, der nicht nur ein unerschöpfliches Lexikon der Politik und Geschichte des Nahen Ostens und des Dschihadismus ist, sondern auch ein hervorragender Zuhörer, ohne den dieses Buch nicht fertiggestellt hätte werden können. Franco Algieri möchte ich danken, da er mir ermöglichte, im Herbstsemester 2021 an der Webster Vienna Private University eine Lehrveranstaltung zur Geschichte des Terrorismus zu halten. Die Arbeit an diesem Manuskript verlief parallel zu den wöchentlichen Diskussionen mit meinen StudentInnen im Seminar »Encounters with History: Terrorism & Political Violence in Human History«.

Kapitel 2 basiert auf dem Vortrag »How Hitler Used Propaganda and Terror to Maintain his Power«, den ich im Rahmen des Irish History Summit im irischen Nationalmuseum in Dublin am 15. Jänner 2022 hielt. Teile des Kapitels 4 erschienen unter dem Titel »Der ›Höhepunkt‹ einer Terrorwelle« in der Wiener Zeitung am 19. Juli 2021 und unter dem Titel »Gesetz der Teilung« am 23. Dezember 2020 in der Tageszeitung junge Welt. Eine frühere Version des Abschlusskapitels erschien als »Angst und Bedrohung im ›Zeitalter des Terrorismus‹« im Sammelband von Hannes Hofbauer und Stefan Kraft, »Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand« (2021).

Ich möchte mich bei allen, die in der einen oder anderen Form die Fertigstellung dieses Manuskripts ermöglicht haben, bedanken – allen voran meiner Familie und ganz besonders Melanie Sindelar, die leider allzu oft gemeinsame Abende und Wochenenden meinem Schreiben opfern musste.

Wien und Galway im November 2022,Dieter Reinisch

Einleitung

In dem Film »Der Mauretanier« vertritt die Anwältin Nancy Hollander, gespielt von Jody Foster, den Guantanamo-Häftling Mohamedou Ould Slahi. Der Film handelt vom Verfassen und der Veröffentlichung von Slahis Tagebüchern im Internierungslager Guantanamo. Hollander zeigt anfangs keine Sympathie für den wegen angeblichen Verbindungen zu dschihadistischen TerroristInnen von Mauretanien über Jordanien und Afghanistan nach Guantanamo verschleppten Insassen. Doch sie nimmt sich dem Fall an, nachdem sie die Folter und Menschenrechtsverletzungen erkennt, die Slahi von den US-Behörden und ihren Alliierten zugefügt wurden. Von ihren KollegInnen in der Kanzlei und US-Anwaltschaft wird sie daraufhin angefeindet. In einer der wohl stärksten Szenen des Films sagt Hollander: »Schau, wenn ich einen Vergewaltiger verteidige, sagt keiner, ich sei selbst eine Vergewaltigerin. Wenn ich einen Mörder verteidige, beginnt niemand in meinem Garten nach Leichen zu suchen. Aber wenn ich jemanden verteidige, dem Terrorismus vorgeworfen wird, ist das etwas anderes. Ist es aber nicht.«

Hollander wirft hier das moralische Dilemma jener auf, die sich mit Terrorismus beschäftigen. Terrorismus ist ein politisch verwendeter und moralisierender Begriff geworden. Im allgemeinen Verständnis von Öffentlichkeit und Medien ist Terrorismus schlecht, böse und moralisch verwerflich. Wie Hollander betont: Er scheint sogar moralisch verwerflicher als Vergewaltigung und Mord zu sein. Terrorismus ist zugleich ein Phänomen, das das 21. Jahrhundert prägte wie kein anderes – bevor es im Frühjahr 2020 durch die Pandemie etwas aus den Medien gedrängt wurde. Wie schlagartig sich diese Wahrnehmung wieder ändern kann, zeigte der dschihadistische Anschlag am 2. November 2020 in Wien.

In einem Gastkommentar für die Wiener Zeitung zum 20. Jahrestag der Terroranschläge in New York bezeichnete ich im September 2021 daher das 21. Jahrhundert als das »Jahrhundert des Terrors«. Ich verwendete den Begriff in Anlehnung an Zygmunt Bauman, der das 20. Jahrhundert als das »Jahrhundert der Lager« beschrieben hatte. Doch während das 20. Jahrhundert durch ein real existierendes Lagerwesen in den meisten Teilen der Welt gekennzeichnet war, ist das 21. Jahrhundert mehr von der Beschäftigung mit dem Terrorismus als von der realen Gefahr, die von ihm ausgeht, geprägt. Bereits im Jahr 2000 schrieb die Terrorismus-Expertin Martha Crenshaw in einem Beitrag für das Fachmagazin Political Psychology, dass die Forschung zu Terrorismus »ereignisgesteuert« sei. Dieser Trend nahm nach den Anschlägen und dem vom damaligen US-Präsidenten George Bush jun. ausgerufenen »Krieg gegen den Terror« noch weiter zu.

Eine Möglichkeit, die Ideengeschichte und Entwicklung von Themen und Disziplinen nachzuverfolgen, ist die App Google-Ngram. Sie greift auf die Google-Books-Datenbank zu und zeichnet Graphen, die darstellen, wie oft bestimmte Schlagworte in den von Google digitalisierten Texten vorkommen. Ich habe die Schlagworte »Terror« und »Terrorism« eingegeben und die App ihre Verwendung in Publikationen von 1960 bis heute nachzeichnen lassen. Diese Analyse von Google Books mittels Google-Ngram verdeutlicht, dass in den 1980ern und 1990ern eine Zunahme der wissenschaftlichen Beschäftigung mit »Terror« und »Terrorismus« einsetzt, die nach dem 11. September 2001 sprunghaft ansteigt. Nahezu auf der ganzen Welt schossen Forschungsinstitute zum Thema aus dem Boden, in fast jedem Land der Erde kann heute auf einer Universität ein Master-Studiengang zu Terrorismusabwehr besucht werden. Es entstand ein florierender Forschungszweig, der mittels enormer finanzieller Aufwendungen eine weltweite Infrastruktur erhielt, die nur fortbestehen kann, wenn es ein permanentes Gefühl der Angst vor Anschlägen gibt.

Terrorismus ist jedoch kein Phänomen des neuen Millenniums. Und die Gefahr, Opfer eines terroristischen Anschlags in Europa zu werden, ist im 21. Jahrhundert nicht gestiegen, wie ich in diesem Buch zeigen werde. Wenn aufgrund der Terrorgefahr in Europa eine Epoche der nahen Vergangenheit mit realen Bedrohungsszenarien definiert werden kann, dann waren es wohl die langen 1970er-Jahre.

Der Historiker Randall D. Law schreibt am Beginn seines Buchs Terrorism:A History, dass Terror existiert, seitdem es Menschen gibt. Dies ist eine weitreichende Behauptung, für die es keine Belege gibt und die uns auch nicht hilft, Terrorismus zu verstehen. Ab dem Beginn der Klassengesellschaft und der Entstehung der Stadtstaaten sind jedoch Ereignisse überliefert, die nach moderner Definition als Terrorismus interpretiert werden können. Wir dürfen also grob von einer dreitausend Jahre alten Geschichte des Terrors sprechen. Doch dieses Phänomen kam lange ohne diese Bezeichnung aus. Erst ab der Französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff »la terreur«, der Schrecken, erstmals für die Anwendung exzessiver Gewalt durch politische AkteurInnen geprägt. In Büchern und der Öffentlichkeit werden die unterschiedlichsten Gestalten der Geschichte mit dem Wort Terrorismus belegt: religiöse Herrscher der Antike, Diktatoren, revolutionäre Regierungen wie in Frankreich oder der Sowjetunion, faschistische und undemokratische Staaten, aber auch Individuen und Gruppen, gleich ob links oder rechts des politischen Spektrums, von AnarchistInnen bis hin zur US-Alt-Right, gar Umweltaktivist­Innen, wie die Fridays-For-Future-Bewegung.

Terrorismus besteht heute als ein moralisch belasteter, negativer Begriff. Niemand möchte »TerroristIn« sein. Oft wird er mit dschihadistischen FundamentalistInnen im Nahen Osten und Afrika, wie Daesh/IS und seinen Ablegern gleichgesetzt. Staaten setzen unliebsame Bewegungen, wie die kurdische PKK oder die palästinensische PFLP, auf Terrorlisten, um rechtlich gegen sie vorzugehen. Das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert bis weit ins 20. Jahrhundert war der Begriff »Terrorismus« positiv besetzt und wurde von vielen militanten AkteurInnen selbst verwendet. Die russischen Sozial­revolutionärInnen Ende des 19. Jahrhunderts verlangten vor Gericht als TerroristInnen bezeichnet zu werden. Ebenso die zionistischen AttentäterInnen, die gegen die britische Besatzung in Palästina in den 1940er-Jahren kämpften. London wies daher seine Kolonialbeamten in Jerusalem an, diese nicht mehr so zu bezeichnen. Durch die Selbstbezeichnung als TerroristInnen wollten sie unterstreichen, dass sie politische Ziele verfolgten und sich dadurch von Kriminellen unterschieden. Im Gegensatz zu politisch-motivierten AkteurInnen, die politische Gewalt einsetzen, um die Situation einer größeren Gruppe zu ändern, oder auf die Belange einer größeren Gruppe aufmerksam zu machen, verfolgen kriminelle AttentäterInnen keine politischen Ziele und ihre kriminelle Handlung dient primär der Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Terroristische Organisationen verüben auch oft kriminelle Handlungen wie Banküberfälle. Doch dienen diese Banküberfälle der Finanzierung der politischen Arbeit oder der Vorbereitung und Durchführung einer terroristischen Handlung, mit der sie ihre politischen Ziele kommunizieren möchten. Kriminelle überfallen dagegen Banken primär, um sich selbst oder ihr kriminelles Netzwerk zu bereichern.

Die positive Konnotation des Terrorismus existiert nicht mehr. Heute dominiert die staatliche Definition: Wer TerroristIn ist, wird von Staaten bestimmt. Eine derartige Festlegung erweist sich als Problem, da unterschiedliche Staaten unterschiedliche Interessen verfolgen. Staatsfeinde werden so zu TerroristInnen gemacht. Israel bezeichnet die PalästinenserInnen als Terroristen, das Militär in Myanmar nahm Angriffe von bewaffneten Rohingya zum Vorwand, ihnen Terrorismus vorzuwerfen und einen Genozid zu beginnen. Ähnlich geht China in seiner westlichen Provinz vor: Angebliche Daesh/IS-Infiltrierung wird dazu benutzt, die UigurInnen als TerrorunterstützerInnen zu brandmarken und in Internierungslager zu sperren. Ein weiteres Problem bei der Heranziehung einer rechtlichen Terrorismusdefinition besteht darin, dass dadurch terroristische Aktionen, die von Staaten durchgeführt werden, wegfallen. Dieser Staatsterrorismus ist, wie der ehemalige Leiter des »Centre for the Study of Terrorism and Political Violence« an der Universität St. Andrews, Richard English, bei der Vorstellung seines Buchs Does Terrorism Work im Jahr 2016 anmerkte, »die weitest verbreitete Form des Terrorismus«. Es sind nicht nur undemokratische Regime, wie das nationalsozialistische Deutschland oder jenes in Chile unter Pinochet, die systematisch Staatsterrorismus anwenden. Auch liberale Demokratien üben regelmäßig und systematisch Terror aus, wie die Erschießungspolitik des britischen Geheimdienstes in Nordirland in den 1980er-Jahren oder der Drohnenkrieg der USA und Israels gegen vermeintliche DschihadistInnen und PalästinenserInnen zeigen. All das sind Formen von Terrorismus. Die RevolutionärInnen der Französischen Revolution, russische AnarchistInnen, DschihadistInnen von Daesh/IS und der Drohnenkrieg liberaler Demokratien gegen ihre Feinde sind unterschiedliche Beispiele für dasselbe Geschehen. So divers wie die AkteurInnen sind, so schwierig ist es, eine eindeutige Definition des Begriffs zu finden.

Viele KommentatorInnen und BeobachterInnen, die selbst kritisch dem bürgerlich-liberalen Staat gegenüberstehen, vermeiden daher zunehmend die Verwendung des Worts. Einer jener Berichterstatter, die diesen Weg einschlugen, war der langjährige Nahost-Korrespondent Robert Fisk. Im Buch Love in Time of War: My Years with Robert Fisk schreibt seine Lebensgefährtin Lara Marlowe, dass es eines der Kennzeichen von Fisks Berichterstattung war, das Wort »Terrorismus« immer mit Anführungszeichen zu verwenden, weil es suggeriert, Terrorismus wäre etwas, »das andere mit uns machen« und es keinen Raum lässt, auf »was wir anderen antun« zu verweisen. »Die meisten Terrorakte, über die wir berichten«, schreibt Fisk in The Great War for Civilisation, »zum Beispiel der Abschuss des iranischen Airbus durch die US-Marine [1988], die US-Bombardierung des Amariya-Schutzbunkers in Bagdad [1991], Überstellungen und Folter von Arabern durch US-Agenten, Israels Massaker an libanesischen Flüchtlingen in Qana [1996], das Abschlachten von Tausenden von Zivilisten bei israelischen Angriffen auf Gaza – all das wurde von ›unserer‹ Seite begangen.«

Die Terrorismusforschung begann sich ab den 1970er-Jahren als Teil des Fachs der International Relations (Internationale Beziehungen) zu entwickeln. Die Internationalen Beziehungen erforschen das zwischenstaatliche Zusammenleben im globalen Weltsystem. Durch die Entwicklung aus einer Disziplin, die sich nahezu ausschließlich mit Staaten als Akteurinnen beschäftigt, war der Fokus von Beginn an darauf gelegt, wie sich Staaten zu Terrorismus verhalten sollen. Eines der ersten Standardwerke war Paul Wilkinsons Terrorism and the Liberal State aus dem Jahr 1977. Die Disziplin wurde zu einem Stichwortgeber der staatlichen Terrorismusabwehr und arbeitete von Beginn an staatlichen AkteurInnen wie Geheimdiensten und Militärs zu. Der rasante Aufstieg der Terrorismusforschung nach dem 11. September 2001 spiegelte dann auch die Notwendigkeit von Staaten wider, den Bedrohungen – und hier besonders dem aufstrebenden dschihadistischen Terrorismus – Präventions- und Terrorabwehrmaßnahmen entgegenzusetzen. Diese Forschung bietet dem Staat für Gesetzgebungen und andere Anti-Terror-Maßnahmen Grundlagenforschung an, deren Anwendung zugleich stark unsere persönliche Freiheit einschränkt. Die wichtigsten Publikationsorgane dieser Strömung sind die Fachzeitschriften Studies in Conflict and Terrorism, Terrorism and Political Violence und die Perspectives on Terrorism. Als akademische Gegenbewegung entstand ab dem Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts eine neue Teildisziplin, die versucht, Terrorismusforschung in einer Art und Weise durchzuführen, in der sie nicht direkt dem Staat zuarbeitet, sondern darum bemüht ist, eine kritische Distanz sowohl zu TerroristInnen als auch Staaten zu bewahren. Diese Teildisziplin etablierte sich als kritische Terrorismusforschung um die Fachzeitschrift Critical Studies on Terrorism.

Das vorliegende Buch sieht sich in der Tradition dieser zweiten akademischen Strömung. Zwar liegen einige Übersetzungen der Standardwerke der Terrorismusforschung in deutscher Übersetzung vor, wie Bruce Hoffmans Terrorismus – Der unerklärte Krieg: Neue Gefahren politischer Gewalt und Charles Townshends Terrorismus: Eine kurze Einführung, doch wurden VertreterInnen der kritischen Terrorismusforschung weit weniger in deutscher Sprache zugänglich gemacht und rezipiert als der universitäre Mainstream. Dies ist auch ein zentraler Grund, wieso mit diesem Buch ein weiterer Text in einem rasch wachsenden Corpus zu politischer Gewalt verfasst wurde. Es ist ein Buch, das nicht unterschiedliche Zugänge zum Begriff Terrorismus darstellen wird, sondern es basiert auf einer klar umrissenen Definition des Begriffs, der es ermöglichen soll, eine longue durée, eine lange Geschichte des Terrorismus, zu erzählen, die nicht nur über den 11. September 2001, sondern auch über die Französische Revolution hinausgeht.

Im strengen Sinn bedeutet Terrorismus das Hervorrufen von ex­tremer Furcht. Viele Menschen haben Angst vor alltäglichen Dingen, etwa Spinnen, und fühlen sich dadurch von diesen »terrorisiert«. Dieses Buch handelt nicht von dieser alltäglichen Verwendung des Begriffs, wenn auch beiden Begrifflichkeiten das Attribut Furcht als zentrales Merkmal innewohnt, sondern es handelt von der öffentlichen, politischen und medialen Verwendung des Terminus in direktem Zusammenhang mit der Anwendung von Gewalt zur Umsetzung bestimmter, zumeist als politisch verstandener Ziele. In einem derartigen Verständnis kam der Begriff – wie bereits oberhalb erwähnt – zunächst im Zuge der Französischen Revolution auf. Er beschrieb den Terror der JakobinerInnen, der Anhänger der radikalen Partei Maximilien de Robespierres. Von Juni 1793 bis Juli 1794 dauerte das »Jahr des Terrors«. Der Ursprung des Begriffs bezeichnet also von staatlicher Seite ausgeübte Gewalt.

Wovon handelt also dieses Buch? Wer sind die TerroristInnen, die in den folgenden Kapiteln behandelt werden? Es gibt unzählige Definitionen von Terrorismus. Alex P. Schmid, der ehemalige Leiter der Abteilung für Terrorismusprävention des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Wien, fand vor über einem Jahrzehnt in einem Beitrag, den er gemeinsam mit Joseph J. Easson verfasst und der als Anhang im Routledge Handbook of Terrorism Research aufgenommen wurde, sogar 260 »staatliche und zwischenstaatliche Definitionen«. In diesem Buch werden die LeserInnen aber nur von jenen TerroristInnen erfahren, die zu meiner Definition passen. Diese entwickelte ich in Anlehnung an jene, die von Richard English 2009 in seinem Buch Terrorism: How to Respond dargelegt wurde: Terrorismus ist angewendete oder angedrohte heterogene Gewalt, die politische Ziele verfolgt. Das bedeutet, dass sie eine Vielzahl von Aktionen, Zielen und AkteurInnen umfassen kann. Der Terrorismus ist eine Form der politischen Kommunikation, denn Terroranschläge richten sich an ein breites Publikum in der Hoffnung, politische Ziele zu transportieren. Als eine Unterkategorie der Kriegsführung versucht er mittels breiterer gewaltsamer und nicht-gewaltsamer Kampagnen an politischem Einfluss für seine AkteurInnen zu gewinnen und bestehende Machtbeziehungen zu verändern. Diese Definition kann auf alle AkteurInnen und Aktionen, die in diesem Buch vorkommen, angewendet werden.

TerroristInnen planen ihre Aktionen und führen sie nicht aus dem Affekt heraus aus. Sie verfolgen politische Ziele, die sie einerseits durch den Akt des Terrors kommunizieren wollen, andererseits versuchen sie die AdressatInnen dieser Botschaft zum Handeln zu zwingen. Diese Reaktion der AdressatInnen des Terroranschlags, etwa ein (anderer) Staat oder ein Teil der Gesellschaft, soll die Umsetzung des politischen Zieles der TerroristInnen ermöglichen. Die direkten Opfer von Terroranschlägen sind also zumeist nicht jene, die durch den Anschlag zu spezifischen Schritten aufgefordert werden. Ausgeführt wird diese politische Gewalt seit Jahrhunderten von klandestinen und nicht-klandestinen nicht-staatlichen Gruppen, aber auch prostaatlichen Paramilitärs und Staaten selbst. Ich fasse also abschließend zusammen: Meine Definition setzt den Schwerpunkt darauf, dass Terrorismus als ein Mittel zur Kommunikation politischer Ziele zu verstehen ist. Der terroristische Akt ist rational und geplant und nicht kriminell, sondern politisch. Terroristische Gruppen unterscheiden sich von Kriminellen also durch ihre politischen Ziele. Zugleich können terroristische Gruppen aber auch kriminelle Aktionen setzen, etwa zur Finanzierung ihrer Arbeit durch Banküberfälle, wie sie die russischen SozialdemokratInnen im Kaukasusgebiet Anfang des 20. Jahrhunderts oder die irischen RepublikanerInnen während des Nordirlandkonflikts in den 1970er- bis 1990er-Jahren durchführten.

Meine Definition von Terrorismus betont den »Aktions-Sinn«, wie die Politikwissenschaftler Ignacio Sánchez-Cuenca und Luis de la Calle in einer Studie in der Zeitschrift Annual Reviews of Political Science (2009) ausführen. Im Gegensatz zum »Akteurs-Sinn« ist beim »Aktions-Sinn« der Terrorismus ein Akt der Anwendung politischer Gewalt, die von sehr unterschiedlichen AkteurInnen ausgeführt werden kann, solange von ihnen zwischen dem Ziel der Gewalt und dem Publikum unterschieden wird und die Intention des Anschlags ist, Furcht unter der Zivilbevölkerung zu säen. Meine Begriffsbestimmung schließt hier zwar an, geht jedoch darüber hinaus, da meiner Ansicht nach durch die entstandene Furcht auch ein gewisses Handeln der zivilen und nicht-zivilen Mehrheitsbevölkerung hervorgerufen werden soll, die nach dem Plan der TerroristInnen sie ihrer politischen Ziele näherbringt.

Diese Festlegung hat sicherlich wie alle anderen Erläuterungen zu einem kontroversiellen und emotionsgeladenen Thema wie Gewalt Schwächen und bietet mehrere Ansatzpunkte zur Kritik. Ich verwende sie aber, da ihre Stärke darin liegt, dass sie eine lange Geschichte des Terrorismus zu erzählen ermöglicht. Die Historisierung und Periodisierung von Terrorismus ist bis heute von zwei zentralen Werken geprägt, Walter Laqueurs A History of Terrorism, das ab 1977 in mehreren überarbeiteten Auflagen erschien, und David C. Rapoports Modell der vier Wellen des Terrorismus von den 1870ern bis heute. Rapoport arbeitete fast seine gesamte Karriere an der Periodisierung von Terrorismus. Zunächst des religiösen Terrorismus, bis er schließlich 2004 seinen wichtigen Aufsatz Modern Terror: The Four Waves veröffentlichte, den er 2022 zu einem Buch bei Columbia University Press mit dem Titel Waves of Global Terrorism: From 1879 to the Present erweiterte. Diese beiden Autoren bestimmen bis heute das Verständnis von der Geschichte des Terrorismus in der Moderne.

Rapoport unterteilt den modernen Terrorismus in vier Wellen. Auch wenn sein Konzept und dessen Richtigkeit in der Wissenschaft diskutiert und immer wieder neue Periodisierungen vorgeschlagen werden, bietet es einen guten Rahmen für die Darlegung der Geschichte des modernen Terrorismus. Rapoports erste Welle beginnt in den 1880er-Jahren in Russland. Aufgrund der Attentate anarchistischer RevolutionärInnen bezeichnet Rapoport sie als die »anarchistische Welle«. Sie wird dadurch charakterisiert, dass ihre ProtagonistInnen auf die Ermordung prominenter Persönlichkeiten abzielten. Der Anarchist Peter Kropotkin nannte es die »Propaganda der Tat«. Die zweite Welle setzt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein und ist geprägt von dekolonialen Kämpfen der Zeit. Sie geht in den 1960er-Jahren in die dritte, linke Welle über, die wiederum ab den 1980er-Jahren von der vierten, religiösen Welle des Terrorismus abgelöst wird. Seit Jahren wird diskutiert, ob die Einführung einer neuen fünften Welle gerechtfertigt ist. Der deutsche Terrorismusexperte Peter Neumann argumentiert, dass die Etablierung semi-staatlicher Strukturen durch Daesh/IS und andere dschihadistische Organisationen einen qualitativen Wandel bedeuten würde, der die Einführung einer fünften Welle rechtfertige. Rapoport selbst diskutierte im Sommer 2021 in der Fachzeitschrift TerrorismandPoliticalViolence, ob der rechtsextreme Alt-Right-Terror, der im vorläufigen Höhepunkt mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021 gipfelte, selbst eine fünfte Welle darstellt. Das vorliegende Buch orientiert sich in den Grundzügen an Rapoports Wellenmodell und wird sich im Kapitel 7 der Frage einer möglichen fünften Welle widmen.

Wie unterschiedlich und wandelnd die AkteurInnen in diesen 150 Jahren beschaffen waren, veranschaulicht eine aktuelle Studie von Joshua Tschantret, Yufan Yang und Hoshik Nam, die in Defence and Peace Economics erschienen ist. Sie führten eine quantitative Datenanalyse von terroristischen Organisationen zwischen 1860 und 1969 durch, also etwa von Beginn der ersten Welle bis zum Beginn der dritten Welle. Ihre Analyse belegt, dass die frühe terroristische Welle des 19. Jahrhunderts bereits ein globales, vor allem aber nördliches Phänomen war. Obwohl in der Literatur vor allem die europäischen AnarchistInnen behandelt werden, gab es zeitgleich ähnliche aktive Terrorkampagnen russischer NihilistInnen und SozialrevolutionärInnen, US-amerikanischer RassistInnen, wie der erste Ku-Klux-Klan, deutsche ProtofaschistInnen, koreanische AnarchistInnen, irische RepublikanerInnen und andere antikoloniale NationalistInnen in Indien, Ägypten und dem Osmanischen Reich.

Regional und politisch waren diese Gruppen weit gestreut, es gab aber einen eindeutigen Fokus auf die Nordhalbkugel, ausgehend vom zaristischen Russland und seinen angrenzenden Gebieten in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Das änderte sich mit dem Aufkommen der antikolonialen Kämpfe nach 1918, die im Westen von den 14 Punkten Woodrow Wilson, die das Recht auf Selbstbestimmung der Völker inkludierten, und im Osten vom Kongress der Völker des Ostens im September 1920 in Baku befeuert wurden. Der Höhepunkt der ersten terroristischen Welle war 1905 mit der ersten russischen Revolution und ihren Nachwehen im Zarenreich, Polen und auf dem Balkan erreicht worden. Auch im Kaukasus begannen etwa die Bolschewiki politische Gewalt und kriminelle Aktionen zur Finanzierung der Partei durchzuführen. Zu einem neuerlichen Anstieg kam es in den 1930er-Jahren, als in Schanghai und seinem Umland terroristische Gruppen entstanden. Auch diese Gruppen waren eine direkte Konsequenz der zweiten chinesischen Revolution von 1927.

Die Studienautoren erhoffen sich, dass ihre Datenlage über die geografische Diffusion von Terrorismus bis 1969 die Global Terrorism Database (GTD), die Daten ab 1970 bis heute zusammenstellt, komplettiert. Es handelt sich dabei um eine wichtige Open-Source-Datenbank, die vom National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism (START) an der University of Maryland verwaltet wird und die die Grundlage für den jährlich erscheinenden Global Terrorism Index (GTI) darstellt. Aus den Daten bis 1969 zeigen die Autoren, dass Terrorismus – so wie sie ihn definieren – erst in den 1990er-Jahren im subsaharischen Afrika Einzug hielt. Auch nach Lateinamerika und dem Nahen und Mittleren Osten kam er erst Jahrzehnte nach dem Auftreten in Europa. Daraus stellen sie die Hypothese auf, dass Terrorismus und politische Gewalt ein Produkt der Modernisierung sind und erst in modernen, industrialisierten Gesellschaften Terror als politisches Mittel eingesetzt wird. Eine gewagte These, die sich aber mit der Datenlage des Terrorismus in der Moderne zu decken scheint. Denn Terrorismus als politisches Mittel einer großen Anzahl von nicht-staatlichen Organisationen wurde erst durch moderne Technologie Mitte des 19. Jahrhunderts möglich. Die Entwicklung von kostengünstigem Dynamit für Bomben und Massenmedien zur raschen Kommunikation der politischen Ziele bereiteten den Boden. Davor hatte im 18. und 19. Jahrhundert nur der Staat die Ressourcen, Terror effektiv einzusetzen, wie es während der Französischen Revolution der Fall war.

Die Studienautoren analysieren auch die politischen Ideologien terroristischer Gruppen. Vor 1945 waren vor allem nationalistische und anarchistische Gruppen dominierend. Als nationalistische Organisationen werden solche definiert, die für die Loslösung eines nationalen Gebiets von einem größeren Gesamtstaat eintraten, etwa die SüdslawInnen und NorditalienerInnen in der Habsburgermonarchie, oder die ArmenierInnen im Osmanischen Reich und der Türkei. Danach folgten mit etwas Abstand linke und rechte Organisationen, die keine territorialen Forderungen stellten. Der religiöse Terror war nicht vorhanden. Nach 1945 war der nationalistische Terror weiterhin dominierend, so etwa armenische Gruppen, die Südtiroler Bumser, irische RepublikanerInnen oder die FranzösInnen im Schweizer Jura. Der linke Terror stieg im Vergleich zur Periode vor 1945 leicht an, während der rechte Terror leicht sank. Der anarchistische Terror, der für die erste Welle namensgebend war, verschwand fast zur Gänze. Der religiöse Terror wurde erst ab den späten 1970er-Jahren ein wachsendes Phänomen.

Die Darstellungen, Analysen und Beispiele in den folgenden Kapiteln orientieren sich an diesem Rahmen. In einem Buch zu einem breiten Thema wie Terrorismus, das über mehrere tausend Jahre dargestellt werden soll, müssen notwendigerweise viele Abstriche gemacht werden. Die erwähnten Beispiele sollen die Entwicklung von Terrorismus darstellen. Mein Ziel war es, ein analytisches Buch für ein breites, nicht fachspezifisches Publikum zu schreiben. Terrorismus soll als ein sehr langes historisches Phänomen dargestellt werden. Dazu wird meine Definition von Terrorismus als die Anwendung von Gewalt zur Kommunikation politischer Ziele herangenommen. Es ist also keine Gesamtdarstellung von Terrorismus und soll auch nicht diesen Anspruch erheben. Den interessierten LeserInnen empfehle ich zur weiteren Vertiefung die beiden bereits erwähnten Bücher von Hoffman und Townshend. Zur Lektüre über die Ursprünge des modernen Terrorismus ist Carola Dietzes DieErfindungdesTerrorismusinEuropa,RusslandunddenUSA1858−1866 (2016) zu empfehlen. Über den aktuellen Terrorismus des 21. Jahrhunderts gehören die Schriften von Peter Neumann, allen voran DerTerroristunteruns:Dschihadismus,RadikalisierungundTerrorismusinEuropa (2016), und Olivier Roys »IhrliebtdasLeben,wirliebendenTod«:DerDschihadunddieWurzelndesTerrors (2017) zum Besten in deutscher Sprache. Ebenso gibt es eine beachtliche Zahl historischer Überblicke auf Englisch. Neben den bereits erwähnten Standardwerken von Laqueur und Rapoport ist Randall D. Laws Terrorism:A History (2017) eine gute, weil leicht leserliche Darstellung. Laws Buch hat jedoch eine weniger klare Definition, die sehr breit unterschiedliche Phänomene von Krieg und kriegsähnlichen Handlungen einschließt. Ebenso zu empfehlen sind die Handbücher von Oxford University Press zu Terrorism (2019) und HistoryofTerrorism (2021), sowie jenes von Cambridge University Press zu HistoryofTerrorism (2021). Ein ebenfalls empfehlenswerter Sammelband erschien 2016 von Gérard Chaliand und Arnaud Blin unter dem Titel TheHistoryofTerrorism:FromAntiquitytoISIS bei University of California Press in überarbeiteter Neuausgabe, der aber mehrere faktische Fehler aufweist und daher nur im Zusammenhang mit anderen Werken gelesen werden sollte. Das vorliegende Buch schöpft aus den genannten Studien und einer großen Bandbreite weiterer Fachliteratur. Mein Ziel war – anders als Studien in Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Verlagen – eine knappe historische Darstellung von Terrorismus und politischer Gewalt zu bieten, die ohne Vorwissen gelesen werden kann. Daher verzichte ich auch gänzlich auf Fußnoten und den sonst üblichen sogenannten wissenschaftlichen Apparat im Anhang, mit Ausnahme einer Literaturliste der im Text erwähnten Publikationen. Jegliche von mir zitierte Literatur wird im Fließtext erwähnt werden, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen.

Wie vor allem das letzte von mir erwähnte Werk, jenes von Chaliand und Blin, wird sich der vorliegende Band an Rapoports Terrorismuswellen orientieren, aber historisch weiter zurückgehen. Das erste Kapitel behandelt die Frühgeschichte des Terrorismus und berichtet von seinem ersten Auftreten in der Antike bis zum Ende des Feudalismus und dem Beginn der Moderne. Das zweite Kapitel schließt mit dem Terror der Französischen Revolution an und durchbricht den sonst chronologischen Ablauf der Kapitel. Da es sich beim Terror der Französischen Revolution um den Beginn des Staatsterrorismus handelt, wird dieser zunächst definiert und dann mittels weiterer Beispiele, allen voran dem Staatsterrorismus des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich, veranschaulicht. Mit dem dritten Kapitel beginnt die Darlegung der Geschichte des Terrorismus mittels Rapoports Wellenmodell. Kapitel 3 hat die erste, Kapitel 4 die zweite und Kapitel 5 die dritte Welle zum Inhalt. Die vierte Welle ist unterteilt in Kapitel 6, das alle Formen religiöser Gewalt abseits des Dschihadismus behandelt, während Kapitel 7 den Dschihadismus der vierten Welle vorstellt und die Debatten über eine mögliche fünfte Welle nachzeichnet. Das Abschlusskapitel beschäftigt sich mit der Frage, welche Gefahr von politischer Gewalt im »Jahrhundert des Terrorismus« ausgeht.

1. Frühgeschichte: Heiliger Terrorismus

Die Schwierigkeit, die Geschichte des Terrorismus in der Vormoderne zu schreiben, liegt darin, dass dieses Geschehen erst in der Moderne so genannt wurde. Für Formen von Terrorismus und politischer Gewalt gab es vor der Französischen Revolution gar keinen Begriff. Auch befanden sich die Moralvorstellungen zur Gewalt über die Jahrtausende im Wandel. Eine zentrale Frage in der Interpretation von Terrorismus ist sein Verhältnis zum Staat. Wie in der Einleitung beschrieben, entwickelte sich die Terrorismusforschung als Teil der Internationalen Beziehungen und der Frage, wie sich Staaten zu politischer Gewalt verhalten sollten. Staaten, wie wir sie heute kennen, sind ein modernes Phänomen, sie entstanden zumeist im 19. oder 20. Jahrhundert. Das moderne Staatensystem basierend auf territorialer Souveränität und der zwischenstaatlichen Ordnung mittels Verträgen begann mit dem Westfälischen Frieden von 1648. Ebenso wurde die Frage, wer Gewalt zu welchem Zweck anwenden darf, in früheren Jahrhunderten anders beantwortet als heute. Das Recht des Individuums, Gewalt anzuwenden, um etwa Rache für ein erlittenes Unrecht zu üben oder um das eigene Eigentum und die eigenen Interessen zu schützen, wurde als selbstverständlich angenommen. Die Vorstellung, dass es ein Gewaltmonopol der Herrschenden gab, entstand erstmals im Frühmittelalter zu Zeiten Karl des Großen (ca. 747 bis 814), doch setzte sie sich erst im Spätmittelalter durch und formte so die Basis für das heutzutage weit verbreitete Gewaltmonopol des Staats. Im folgenden Kapitel werden also Phänomene und deren AkteurInnen mittels unserer modernen Moral- und Gewaltvorstellungen beschrieben, die sich mehrere Jahrhunderte oder Jahrtausende vor der Jetztzeit ereigneten.

Wann Formen des Terrorismus und der politischen Gewalt erstmals aufkamen, kann nicht eindeutig gesagt werden. Die längste Zeit ihrer Entwicklung lebten die Menschen als JägerInnen und SammlerInnen in relativ egalitären Verhältnissen, wie ich im Buch Urkommunismus. Auf den Spuren der egalitären Gesellschaft beschrieb. Da es keine sozialen Unterschiede gab, dürfte es dadurch auch keinen Bedarf für die Anwendung von terroristischer Gewalt gegeben haben, was aber andere Formen der Gewalt nicht ausschließt.