The Black Rose - Heike Gehlhaar - E-Book

The Black Rose E-Book

Heike Gehlhaar

2,0

  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

In den sinnlichen Weiten der schottischen Highlands erwacht eine dunkle Romanze zum Leben. Polly kehrt nach dem tragischen Verlust ihres Großvaters in die malerische Landschaft zurück, nur um zu erfahren, dass der Familiensitz und die betörende Rosenfarm seit Generationen von einem finsteren Geheimnis umhüllt sind. Alle Hinweise führen zu dem düsteren Schloss des faszinierenden Earl of Gill.Um das Erbe ihrer Familie zu schützen, schlüpft Polly in die Rolle einer Unbekannten und ergreift eine verlockende Gelegenheit, die sie tief in das Herz des Schlosses MacGill führt. Doch in den Schatten der dunklen Gemäuer lauert eine verführerische und dominante männliche Stimme, die erotische Befehle in die Dunkelheit haucht.Wer ist dieser geheimnisvolle Unbekannte?Pollys Welt gerät aus den Fugen, als unerwartete Leidenschaft und sinnliche Versuchungen sie überwältigen. Erotik, die bisher in ihrem Leben keine Rolle spielte, entflammt ihre Sinne und hinterlässt ein berauschendes Verlangen in ihrem Inneren. Als sie schließlich erkennt, wem die verlockende Stimme gehört, die ihren Körper beherrscht, ist nichts mehr so, wie es war.Begib dich auf eine Reise in die Dunkelheit der Leidenschaft und Sehnsucht, wo Geheimnisse und Verlangen aufeinandertreffen und die Grenzen zwischen Lust und Liebe verschwimmen. "The Black Rose - Verlangen" ist der Auftakt zu einer sinnlichen Trilogie, die deine Fantasie beflügeln wird.

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Seitenzahl: 421

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The Black Rose - Verlangen

Heike Gehlhaar

© 2023 Heike Gehlhaar

ISBN Softcover: 978-3-384-01841-0

ISBN Hardcover: 978-3-384-01842-7

ISBN E-Book: 978-3-384-01843-4

© Cover-und Umschlaggestaltung: Florin Sayer-Gabor – www.100covers4you.com

Unter Verwendung von Grafiken von Adobe Stock: Pixel Shot, Collective Offset

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung ”Impressumservice”, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Autorin

Durch einen Schicksalsschlag entdeckte Heike Gehlhaar die Lust am Schreiben. Um sich zu beschäftigen, schrieb sie ihren ersten Roman: ’Franziska - Eine Reise in die Zukunft’. Bereits ein Jahr später erschien: ’Warum ein Hase aus einer Trabant-Tür schaute. Die aufregendste Reise nach dem Orient-Express’. Im Januar 2022 kam der Mysterie-Thriller ’Niemand hört dich schreien’ auf den Markt. Im Dezember 2022 folgte die Romanze ’Florentina - Liebe fragt nicht.’ Schreiben ist für sie inzwischen eine Leidenschaft, die sich nicht aufhalten lässt. Mit ihrer Familie wohnt die Autorin im grünen Herzen Deutschlands.

Zitat einer ihrer Leserinnen:

„Die Autorin schreibt wunderschöne Romane, die neben der Geschichte in der Nebenhandlung eine spannende Story bieten. Der ruhige erzählerische Ton, mit dem sich die Handlungen entfalten sowie die nostalgische Art lassen manchmal vergessen, dass sie in der Gegenwart spielen. Wer eine Alltagsflucht sucht, findet sie mit Heikes Romanen auf jeden Fall.“

Besuchen Sie die Autorin und entdecken Sie ihre Welt.

www.heikegehlhaar.de - Instagram @autoringehlhaar Tik-Tok @heikegehlhaar

Triggerwarnung: Dieses Buch enthält Textpassagen, die für Personen unter 16 Jahren nicht geeignet sind.

Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Polly:

Diese Stimme! Einer Ohnmacht nahe, gefror ihr binnen Sekunden das Blut in den Adern. Zu akzeptieren, was nicht zu leugnen war, bescherte ihr die größte Gänsehaut ihres Lebens. Der Klang seiner Worte hatte sich in ihr eingebrannt und begleitete sie in jede schlaflose Nacht.

Derweil versuchte ihr vernebeltes Gehirn, Ians Erscheinung zu analysieren. Nur ein Wort brachte es hervor: atemberaubend!

Aus seinem leicht geöffneten weißem Hemd schummelte sich ein zarter schwarzer Flaum unordentlicher Härchen ans Licht. Sein Jackett umspielte lässig die breiten Schultern. In seinem dunklen, wilden Haar steckte eine elegante Sonnenbrille.

Das ist unfair, protestierte ihr Inneres. Ihrem Körper zu verbieten auszuflippen, wo sie nur wenige Zentimeter vom heißesten Typen der Erde trennten, war praktisch unmöglich.

Ian:

»Wir haben wohl alle unsere Geheimnisse. Auch wenn manche nicht ganz unentdeckt bleiben.«

»Ich glaube, Sie kennen mich besser, als Sie vorgeben.«

»Ich bin sicher, dass Sie vor nicht allzu langer Zeit meinem Liebesleben beigewohnt haben.«

»Ich hatte dich gebeten, das zu unterlassen.«

»Was?«, entfuhr ihr verwirrt.

»Okay«, keuchte er und lockerte etwas seinen Griff. »Dieses eine Mal lasse ich es dir noch ungestraft durchgehen. Solltest du meinen Wunsch erneut missachten, wirst du Bekanntschaft mit meinen Maßregelungen machen.«

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Danksagung

Wie geht es weiter?

The Black Rose

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Wie geht es weiter?

The Black Rose

Cover

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Kapitel 1

»Guten Morgen, mein Schatz!«

Polly stand lässig in der Tür und ließ ihren zärtlichen Blick zum Tisch wandern. Sie fand, die Küche war schon immer der schönste Ort im ganzen Cottage. Langsam und noch ein wenig verschlafen durchquerte sie ihren Lieblingsplatz. Großmutter Therese saß sicher schon seit dem Morgengrauen am Tisch. Sie trat neben sie, beugte sich über ihre Schulter und seufzte wohlig. Dabei strich sie ihr sanft über die eingefallene Wange.

»Dir auch. Schön, dass du schon auf bist. Wie fühlst du dich?«

»Gut, mein Kind. Kaffee ist in der Kanne. Ich habe dir Sandwichs gemacht, stehen im Kühlschrank.«

»Aber Resi, ich kann mich selbst versorgen. Ich weiß doch, wie schwierig für dich jeder Wintermorgen ist.«

Immer, wenn sie ihre Großmutter im Rollstuhl beobachtete, konnte sie in ihrer resoluter Miene kaum den wahren Zustand erkennen. Brav schlenderte sie zur Küchenzeile, öffnete den Kühlschrank und holte den fertigen Teller heraus. Mit einem breiten Grinsen angelte sie ihre Lieblingstasse aus dem sandgelben Oberschrank und balancierte ihr Frühstück zum Tisch. Sie zog einen der dunkelgrünen Küchenstühle zurück und setzte sich. Dann sah sie auf und in ein ernstes Gesicht.

Sie sagte nichts, auch wenn sie wusste, Therese würde sich nichts anmerken lassen. Ein Blick aus dem Fenster erlaubte ihr jedoch die Hoffnung, dass ihr das Rheuma heute Morgen etwas weniger Schmerzen bereitete. Die Sonne, die über die Wälder der winterlichen Highlands zog, schummelte sich durch die schmalen Scheiben. Sie wusste, Therese beobachte sie noch immer. Ihre Blicke trafen sich.

»Du wirst deinen Plan umsetzen?«

»Klar!«, antworte sie entschlossen und nippte an ihrem Kaffee. Therese musterte ihre Enkelin und nickte anerkennend.

»Ich habe dich schon mehrfach vor den MacGills gewarnt. Dass jetzt Ian der neue Earl im Schloss ist, macht die Angelegenheit noch komplizierter und gefährlicher.«

»Ich weiß«, stöhnte sie und lehnte sich nachdenklich zurück.

Therese war keinesfalls so zerbrechlich, wie es den Anschein machte. Obwohl, das stetig schlimmer werdende Rheuma ihren Tagesablauf bestimmte und dabei den Bewegungsradius immer weiter einschränkte.

»Hast du den neuen Earl schon einmal gesehen?«

Therese schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, was man hinter vorgehaltener Hand erzählt.«

Kurz schweiften ihre blauen Augen übers Küchenfenster. Im Raureif glitzerten neben einer liebevoll gestalteten Holzpergola die blattlosen Ranken einer kräftigen Kletterrose.

»Baxter MacGill und vor allem sein Bruder Sean waren durchtriebene Hunde.«Allmählich zog ein zartrosa Schimmer über ihre Wangen.

Als Therese vor dreiundsechzig Jahren Wien verlassen hatte, gehörte der Familie ihres Mannes Fraser das Cottage und die dazu gehörenden Nebengebäude. Streng genommen sollte das weitläufige Land ebenso dazu gehören. So verlangte es das Gesetz, was in den Highlands nicht ungewöhnlich war.

»In Schottland gehört das Land zum Haus und daran hängt der Titel«, erklärte sie und holte Polly aus ihren Gedanken. »Verlierst du dein Land, so auch deine Vergangenheit!«

Cottage-Rose verband mit seinen Eigentümern eine dreihundert Jahre alte Geschichte. Das galt nicht nur für Haus, Hof und Garten. Hinter dem Wäldchen schloss sich der ganze Stolz der MacGlenns an. Seit vielen Generationen waren sie erfolgreiche Rosenzüchter. Eine ähnlich lange Ahnenreihe hatte die immer wieder preisgekrönte schwarze Rose - einzigartig und wunderschön. Der Ruhm und das Geld, was sie ein ums andere Jahr in die Familienkasse spülte, sicherte den heutigen Bewohnern das Dach über dem Kopf.

»Ich werde die Urkunde finden. Das verspreche ich dir. Wir müssen einfach!«

»Du bist wie deine Mutter. Genauso blond und dickköpfig.«

Polly grinste. Dabei strich sie verlegen durch ihr zotteliges Haar, das auch heute einigermaßen zerwühlt aussah. Wie einst Mutter und Großmutter, galt sie in diesen Breiten als Exotin. Die sportliche Wienerin mit ihrer smarten Figur wirkte alles andere als bodenständig. Ein unersetzbarer Vorteil für ihre gewagten Pläne.

Eine Stunde später war sie auf dem Weg zu den Gewächshäusern. Jetzt, Ende Januar, fegte ein eisiger Wind über das offene Land. Mit eingezogenem Hals ging sie über die im Sonnenlicht glitzernde Holzbrücke hinunter zum See. Der weite grüne Horizont erlaubte es ihr, jedes Wetter als angenehm zu empfinden. Inzwischen war es zehn Uhr. Außer dem säuselnden Wind herrschte eine beruhigende Stille. Das kleine Cottage mit seinen verspielten Erkern war das einzige Haus weit und breit. Zwei Monate vor seinem plötzlichen Tod hatte Großvater Fraser die Fassade mit hellen Farben streichen lassen. Das in Aquarellfarben schimmernde Blau um Fensterlaibungen und Eingangstür hob sich von dem tiefen Dunkelgrün in der Ferne ab.

Der Kiesweg, dessen zarte Grashalme von einer gesprenkelten weißen Schicht überzogen waren, bog auf eine weite Lichtung ein und mündete im Eingangsbereich der Farm. Schon beschleunigte sie ihren Schritt. Sie passierte ein schlichtes Holzschild mit der einladenden Aufschrift: ’Welcome to Farm Black-Rose’.

Hinter der Ecke zum vordersten Gewächshaus schimmerte Oskars rote Mütze. Pollys Blick blieb an der schlaksigen Figur ihres irischen Mitarbeiters hängen. Seit gut fünf Jahren gehörte der fünfundzwanzigjährige Mann zur Farm. Damals war er, planlos auf der Suche nach einer Bleibe, durch die Weiten der Highlands gepilgert. Wo er Arbeit gefunden hatte, blieb er für eine Weile. Dann war er, ähnlich einem freien Wanderarbeiter, weitergezogen. Wenig gebildet und mit schlechten Manieren galt er nicht gerade als Aushängeschild für die erfolgreiche Farm. Doch sie hatten keine andere Wahl. Schon bald stellte sich heraus, Oskar hatte trotz allem ein einfühlsames Händchen für die zarten duftenden Geschöpfe auf dem Feld und unter Glas. Ein Gespür für die raue Natur zu haben und deren Zeichen deuten zu können, ließ ihn stets die richtige Entscheidung treffen.

Unweigerlich wanderten Pollys Gedanken in die Vergangenheit. Seit sie zum ersten Mal ihren Fuß auf das wunderschöne Fleckchen Erde des Distrikts Ross and Cromarty gesetzt hatte, glaubte sie sich in einem Nationalpark. Besonders dann, wenn die herbstliche Farbpalette zwischen den dunklen Tannen bunte Tupfer verstreute. Nichts von der unglaublich wilden Natur und seinem Anblick hätte Wien das Wasser reichen können. Von Beginn an hatte sie sich hier wohler gefühlt, als in der quirligen Metropole.

Dabei war sie bei ihrer Mutter Sophie frei und sehr behütet aufgewachsen. Nur die Last auf ihren schmächtigen Schultern war für Polly stets allgegenwärtig gewesen. Mit Sophie hatte sich das Drama auf ‚Black-Farm‘ wiederholt. Ein Blick in die Augen ihrer Großmutter genügte und sie ahnte die Macht der Einsamkeit, die dieses lange Leben begleitete. Dennoch schwieg Therese und ertrug ihr Schicksal.

Polly kannte die Geschichte. Dass ihre Mutter damals überstürzt nach Wien, der Geburtsstadt Thereses aufgebrochen war, lag vor allem an den Eigenarten ihres Großvaters Fraser. Rau, wild und unnachgiebig wie seine Heimat hatte er aus seiner zarten Liebe zu der blutjungen Therese eine kalte und strenge Zweckbeziehung werden lassen.

Sophie war nicht bereit gewesen, in der Einöde, wie sie es nannte, ihr Leben zu verbringen. Den lieblosen Alltag ihrer Mutter vor Augen, war das keine Zukunft, die sich das wilde Mädchen hatte vorstellen können. Obendrein wurde sie ungewollt schwanger und gab den Vater des Kindes zeitlebens nicht preis. Um sie und das Kind vor der Wut ihres Mannes zu schützen, hatte Therese sie nach Wien zu Verwandten geschickt.

Erstaunlicherweise hatte sie Pollys Vater kurz vor Abreise in Gretna Green, dem berüchtigtsten Ort im wilden Schottland, geheiratet. Bis zu ihrem frühen Tod hatte sie verbissen am Geheimnis um seine Identität festgehalten. Vermutlich deshalb, weil sie sich, kaum in Wien angekommen, von ihrem Ehemann getrennt hatte. Der war unverzüglich in die Highlands zurückgekehrt. Allein der Nachnahme Strasser erinnerte an die kurze Ehe von Pollys Eltern. Somit hatte die Rosenfarm mit all ihren Traditionen ohne Nachfolger vor dem Ende gestanden. Doch das Schicksal hatte andere Pläne.

Sophie erkrankte unheilbar und war bereits ein halbes Jahr später gestorben. Deshalb hatte die fünfzehnjährige Polly Wien verlassen müssen. Die MacGlenns waren die einzige Familie, die sie noch hatte. Unerwartet war die so wichtige Erbin ins Cottage mit seinen wertvollen Rosen zurückgekehrt. Damals hatte sie außer verblasster Bilder weder Vorstellungen von ihren Großeltern noch von Schottland. Trotzdem verstand sie sich mit Therese praktisch von der ersten Minute an. Kein Wunder, schließlich glich sie ihrer Mutter wie ein Ei dem anderen. Ihr blondes kurzes, strubbeliges Haar erinnerte Therese an ihre eigene Vergangenheit. Die zarten Sommersprossen auf Pollys heller Haut versorgten sie jeden Tag mit liebevollen Erinnerungen an ihre Sophie.

Tobte Polly aufgeregt durch die Plantage, dann schien ihr die Neugier den Weg zu weisen. Mit großen Augen, umrahmt von dunklen langen Wimpern, beobachtete der stille Teenager den stämmigen Fraser. Seine Rosen hatten es ihr sofort angetan. Ebenso hatte sie die wilde Idylle des Landes verzaubert. Schon einen Monat nach ihrer Ankunft war sie täglich an Frasers Seite gewesen. Nach wenigen Wochen hatte sich der stille Mann nach und nach verändert. Natürlich hatte er das nicht zugegeben. Es war jedoch offensichtlich und der einzige Trost in Thereses hartem Alltag gewesen.

Schon früh waren sie mehr als Großmutter und Enkelin. Heute sah Polly in ihr das Wichtigste und Wertvollste der Welt. Ein Grund, weshalb sie die Neunundsiebzigjährige jetzt liebevoll Resi nannte. Unabhängig davon hatte sie sich für ein Studium in Wien entschieden. Seit zwei Monaten hatte sie ihren Abschluss in der Tasche. Keinen Tag zu früh. Die Ereignisse hatten sie schneller als gedacht nach Schottland zurückgebracht.

Vor einem halben Jahr war Fraser einem Herzinfarkt erlegen. Seit dem furchtbaren Morgen war Therese allein mit Cottage und Farm zurückgeblieben. Die fortwährenden Schicksalsschläge hatten die Frauen noch enger zusammengeschweißt. Inzwischen liebte Therese ihre Rosen. Das war zugegebenermaßen nicht immer so. Aber mittlerweile konnte sie sich ein Leben ohne die duftende Pracht nicht mehr vorstellen. Die Angst, alles, was ihr hier wichtig war, verlieren zu können, hatte sich in ihrem Gesicht eingegraben. Für Polly war es eine Selbstverständlichkeit, für immer zu bleiben. Gut, dass Fraser sein Wissen über die Jahre an seine Enkelin weitergegeben hatte. Als er erkannt hatte, wie ihre Augen glänzten, wenn sie auch nur ihren Blick über die blühenden Felder schickte, versuchte er es mit einem vorsichtigen Lächeln.

Polly erinnerte sich noch sehr gut an die Zeit nach Frasers Beerdigung. Ein Abend, wie viele - kalt und einsam - das war indes ein paar Monate her. Sie hatten in der gemütlichen Stube vorm Kamin gesessen. Ihre Blicke versanken in der Glut. Eingewickelt in flauschige Wolle und die Hände gewärmt von einer heißen Tasse, hatte es eine Zeit lang gedauert, ehe Polly Therese bat, von ihrem Leben zu erzählen.

»Du bist die einzige Familie, die mir geblieben ist.« Bis zu diesem Moment hatte sie über ihre Vergangenheit hartnäckig geschwiegen.

»Bitte! Ich möchte mein Leben hier verbringen. Sollte ich da nicht wenigstens eine Ahnung von der Familiengeschichte haben?«

Therese hatte aufgesehen, in ihr entschlossenes Gesicht geblickt und seufzend nachgegeben.

»Alles begann im April fünfundvierzig …« Ihre Augen verloren sich unverändert in den lodernden Flammen. »Es war furchtbar, die Bomben fielen im Minutentakt …«

Wieder war eine Pause entstanden, während Polly sich nicht rührte. Das Drama um ihre Geburtsstadt war ihr geläufig. Schließlich hatte sie dort ihre Jugend verbracht. Therese räusperte sich.

»Die Gänge des Notlazaretts füllten sich. Irgendwann gab es keinen Unterschied mehr, von wo die Verwundeten kamen. Alle sammelten sich an diesem Punkt. Auf einer Trage direkt hinter mir, entdeckte ich einen jungen Mann mit tiefrotem Haar. Er war in einem schlimmen Zustand. Seine Uniform hing in Fetzen an seinem Leib. Der Arzt hatte nur einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen und für tot erklärt. Es handelte sich ohnehin um den Feind. Sie wollten ihn einfach sterben lassen. Ich wusste, dass das nicht stimmte. Vorsichtig schlich ich zurück und betrachtete ihn. Kaum berührte ich seine blutverkrustete Hand, da öffnete er seine Augen.«

Ihrem verträumten Blick nach zu urteilen, waren ihre Großeltern zunächst glücklich.

»Es war mir gelungen, ihn durchzubringen. Und das heimlich, nebenbei. Keiner durfte es wissen. Kollaboration mit dem Feind wurde schwer bestraft.«

Dass sich Therese immer wieder unterbrochen hatte, störte sie nicht. Zumal sie eine Ahnung von der leidvollen Geschichte des Paares hatte.

»Dann kamen wir hierher, in seine Heimat. Es war eine gefährliche Flucht. Du musst wissen, ich habe deinen Großvater einst sehr geliebt. Wenigstens habe ich mir das in den folgenden sechzig Jahren stets eingeredet.«

Allmählich war aus dem lieblichen Lächeln ein verbissener Ausdruck geworden. »Nun ja, er hatte es schwer. Den verhassten Feind in ihre Mitte zu bringen und dann auch noch zu heiraten, das war einfach inakzeptabel für seine traditionsbewusste Familie. Sie wollten mich hier nicht haben. Tja, nun war ich aber einmal hier. Als sich deine Mutter ankündigte, gab es eine Art Waffenstillstand. Leider endete der mit ihrer Geburt. Ein Mädchen, blond und zart wie ihre österreichische Mutter? Kann man ihnen nicht verdenken, meine ich. Die MacGlenns fürchteten um den Fortbestand der alten Linie. Ohne einen Erben für Cottage und Farm …«

Mehr hatte sie nicht gesagt. Das war auch nicht notwendig gewesen. Selbst jetzt, ein paar Monate später, konnte sie sich das Leben ihrer Großmutter, weit weg von zu Hause vorstellen. Sie hatte ihre Hand genommen, sie sanft gedrückt und gemurmelt.

»Jetzt bin ich ja da. Von nun an werden wir zusammenhalten, komme was wolle.«

»Polly, träumst du? Ich hoffe doch, von mir.«

Sie schreckte zusammen. Mit einem Meter siebzig war die inzwischen Dreiundzwanzigjährige etwas größer als ihre Vorfahren. Manch einer würde in ihr möglicherweise keine klassische Schönheit sehen. Die leuchtenden fast goldfarbenen Augen in ihrem sanften Gesicht versprühten jedoch etwas Geheimnisvolles.

Völlig versunken hatte sie den sich nähernden Oskar nicht bemerkt. Blinzelnd sah sie ihm in die grünen Augen. Wie immer wirkte der hochgewachsene, beinahe dünne Mann ungepflegt. Sein wildes kupferrotes Haar hing in Strähnen aus seinem über der Schulter hängenden Zopf. Ungeordnet wie seine Kleidung lebte er in den Tag. Sie fand, er passte zum Land und seinen Eigenarten.

Seit dem Tod Frasers waren sie sehr froh, zwei starke Arme in Haus und Farm zu haben. Sie vertrauten ihm, ließen ihm seine Eigenarten und mischten sich nie in seine Privatangelegenheiten. Anfangs hatte er noch geglaubt, er könnte die neue Hausherrin herumkommandieren. Vermutlich genauso, wie es die Männer für gewöhnlich hierzulande als selbstverständlich ansahen. Doch der cleveren Polly war der seltsame Kerl nicht gewachsen. Gewohnt, frei zu entscheiden und dabei ihre Meinung klar zu sagen, hatte sie dem frechen Iren frühzeitig gezeigt, wo sein Platz war. Erstaunlicherweise hatte der sich widerspruchslos gefügt. Seitdem kamen sie gut miteinander aus.

»Was machen die Aussaaten?«, fragte sie und ging in Richtung Anzuchthaus.

»Alles perfekt, wir sollten nur die ’Lady Of Shalott’ im Auge behalten. Die gefällt mir nicht! Es sind zwar noch gut drei Monate …«

»Ich weiß, was du meinst. Dann lass uns mal sehen.«

Sie drehte sich um und begleitete Oskar zum Gewächshaus.

Ein süßer, aromatischer Duft umfing ihre Nase, noch ehe sie in den Beeten stand. Diesen Augenblick, gerade am Morgen, wenn die Blüten begannen, sich den auf das Glas treffenden Sonnenstrahlen entgegenzurecken, würde sie für nichts auf der Welt eintauschen wollen. Kerzengerade und dichtgedrängt standen die halbgeöffneten Blüten in unzähligen Reihen - ein einzigartiges Farbwunder. Vom Nebel morgendlicher Berieselung eingehüllt, brachen sich einzelne Wassertröpfchen auf den zarten Rosenblättern.

Tief einatmend sog sie das einzigartige Aroma in ihre Lunge. Kein Parfüm konnte ihr das bieten. Vorsichtig ließ sie die zarten Blüten durch ihre Finger gleiten, strich über sie hinweg und betrachtete sie aufmerksam. Der hinzugetretene Ire beobachtete sie amüsiert. Polly war das egal. Jeder dieser Momente erinnerte sie an ihren Großvater. Sehr früh hatte er ihr die speziellen Kniffe beigebracht, die in keiner Fachliteratur zu finden waren. Mit beinahe dreihundert Jahren Erfahrungen in der Rosenzucht konnte sich kein Fachbuch messen. Sie hatte förmlich an seinen Lippen gehangen. Wie ein ausgetrockneter Schwamm hatte die junge Polly das geballte Wissen des alten Farmers aufgenommen.

»Du passt zu diesen Schönheiten«, hatte er einmal gesagt. Ein Kompliment, das er weder seiner Frau und noch weniger seiner Tochter entgegengebracht hatte.

Im greller werdenden Sonnenlicht, das über den Wäldern aufzog und sich dann im Glas der Gewächshäuser brach, spiegelten sich ihre Augen. Stets ein hinreißender Anblick, der selbst einem emotionslosen Mann wie ihrem Großvater ein ehrliches Staunen abgerungen hatte.

»Gut, ich werde mich darum kümmern«, nickte sie zustimmend und folgte Oskar durch die Rosenbeete.

Kapitel 2

Bevor Polly in die letzte Kurve zum Herrenhaus einbog, stoppte sie ihren Polo. Angestrengt starrte sie in Richtung Schloss. Eingerahmt von üppigem nadeligen Grün lugten unregelmäßig aufragende Schlote hervor. Das Anwesen verfügte über immense Ausmaße, wobei die sich nur unwesentlich von anderen ihrer Art unterschieden.

Verdammt, was tue ich hier eigentlich?, fragte sie sich und sah sich verstohlen um. Die Anzeige der neuen Eigentümer war unmissverständlich gewesen. »… flexibel, vielseitig und unkompliziert. Bereit für neue, aufregende Herausforderungen …«

»Bringst du alles mit, Schätzchen«, erklärte sie ihrem Gesicht im Rückspiegel, dessen aufblitzende entschlossene Augen von Selbstbewusstsein zeugten.

Bei ihrer Bewerbung hatte sie penibel darauf geachtet, keine Rückschlüsse auf ihre Wurzeln zuzulassen. Offiziell war sie Polly Strasser - eine Österreicherin auf der Suche nach einer neuen Bestimmung. Sie bewohnte das Rosencottage und kümmerte sich zum Ausgleich um die kränkelnde Eigentümerin.

Sie atmete tief durch und startete entschlossen ihren Wagen. Gemächlich folgte sie der engen Zufahrt, gesäumt von verzuckerten Nadelbäumen. Vor dem Tor hielt sie erneut. Ihr aufmerksamer Blick musterte das Schloss, gemauert aus grauem Bruchstein. Ungeordnet, irgendwie keiner klaren Linie folgend, reckten sich die spitzen Dächer der wild verteilten Erker und Gauben der Sonne entgegen. Der Morgennebel war einstweilen den hartnäckig wärmenden Sonnenstrahlen gewichen. Ein Anblick, wie aus einem namhaften Reiseführer. Im Stillen ging sie noch einmal durch, was sie von Therese an Wissenswertem mit auf den Weg bekommen hatte.

Man erzählte sich im benachbarten Glenelg Schauergeschichten über die MacGills. Sicher waren die nur mit Vorsicht zu glauben, aber erfahrungsgemäß steckte hinter Gerüchten dieser Art immer etwas Wahres. Ihr Großvater hatte um die Umstände, die vor beinahe dreihundert Jahren zu der merkwürdigen Vereinbarung mit dem damaligen Schlossherren führten, stets ein Geheimnis gemacht. Weil das so war, gingen Therese und Polly davon aus, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Aber was sollte nun werden?

Prekär wurde die Angelegenheit, als die ehemaligen Schlossbesitzer Baxter MacGill und sein Bruder Sean plötzlich verstarben. An ihre Stelle rückten Isobel und Ian – zwei komplett unterschiedliche Geschwister. Isobel beschrieb man als gediegen und bodenständig - ähnlich ihrer Mutter Shona. Diese war wenige Tage nach der Geburt des vier Jahre jüngeren Ian gestorben. Fortan wurde es still um die Familienmitglieder. Man sagte, mit dem Vater sowie Onkel der Geschwister war nicht zu spaßen. Das pfiff sprichwörtlich jeder Spatz von den zahlreichen Dächern des altehrwürdigen Schlosses. Dass Therese das neue Familienoberhaupt als noch schlimmer beschrieben hatte, machte Polly zunehmend nervös. Da die Angestellten überwiegend in der benachbarten Gemeinde wohnten, hatten diverse Geschichten um die MacGills ein leichtes Spiel.

Ian bezeichnete man als Lebemann, der so gar nichts von den steifen Traditionen seiner Vorfahren hielt. Er wäre überfordert mit den Aufgaben und der Verantwortung, die der ehrenwerte Titel Earl of Gill mit sich brachte. Er wurde praktisch aus heiterem Himmel zum Oberhaupt einer beinahe siebenhundert Jahre alten Sippe. Der weitläufige Besitz mit Schloss, Ländereien, weiten Wäldern und einer der größten sowie ältesten und angesehensten Gin-Destillerien des Distrikts waren nichts, was der verwöhnte achtundzwanzigjährige Mann gebrauchen konnte.

Dass die Familiengeschäfte geordnet und reibungslos vonstatten gingen, verdankte er seiner Schwester. Seinen Pflichten konnte er in absehbarer Zeit nicht mehr entkommen. Es blieb ihm wohl kaum eine Wahl, denn man erzählte von der geplanten Vermählung Isobels mit einem jungen Anwalt aus der Londoner High Society. Was auch immer jetzt in Ian MacGill vorging, in sechs Monaten musste er sich seinen Pflichten stellen, ob es ihm nun gefiel oder nicht.

Die Anzeige, die das Haus of Gill inserierte, war nach Thereses Meinung ein Hilfeschrei - pure Notwendigkeit.

»Siebenhundert Jahre lang hat sich niemals ein MacGill in die Familiengeschäfte blicken lassen!«, hatte sie gemault und dabei die Nase verächtlich kraus gezogen.

Polly war nicht derselben Ansicht gewesen. Schließlich benötigte ein so gewaltiges Anwesen eine planvolle Hand mit Geschick und Feingefühl. Deshalb bewertete sie die Suche nach einer fähigen Assistenz mit entsprechender Ausbildung keineswegs als so abwegig. Außerdem verschaffte es ihr eine unwiederbringliche Chance - die Einzige im Grunde - um auf Spurensuche zu gehen.

Verstockt, wie ihr Großvater nun einmal gewesen war, ließ er sich bis zum Schluss den Aufenthaltsort der Eigentumsurkunde über die Ländereien der Rosenfarm nicht entlocken. Seiner Ansicht nach war es eine Schande, dass die MacGlenns seit Urzeiten vom Wohlwollen des ansässigen Earls abhängig waren. Polly war jedoch ziemlich sicher, dahinter musste mehr stecken, als ein uralter Zwist unter Landsleuten.

Erneut startete sie den Wagen, parkte direkt vor der gewaltigen Empore und stieg aus. Als sich die Tür öffnete, atmete sie tief durch.

Okay, jetzt gilt es, es gibt kein Zurück! Du kennst dein Ziel. Ohne das verdammte Original der Verträge oder Hinweise auf deren Existenz werde ich das Schloss nicht wieder verlassen!

Ein wenig schmunzeln musste sie schon über die Entschlossenheit hinter den Worten in ihrem Kopf. Es muss einfach eine Ursache für die ganze Geheimniskrämerei geben, dachte sie, als sie auf Isobel MacGill zuging.

»Guten Morgen, Ms Strasser. Ich bin Isobel MacGill!«

Mit stolzem Gesicht streckte ihr die Erbin des Schlosses die Hand entgegen. Gegen die keineswegs zierliche Österreicherin wirkte die Schottin riesig. Wenige Sekunden wanderte Pollys vielsagender Blick über das perfekte Auftreten der Hausherrin.

»Vielen Dank für Ihre Einladung, Countess!«, erklärte sie ebenso von Stolz erfasst. Dabei straffte sie ihre Schultern und hob den Kopf.

»Die Freude ist ganz meinerseits. Auf die förmliche Anrede können wir getrost verzichten«, betonte sie schlicht. »Kommen Sie bitte herein!«

Isobel drehte sich dem Portal entgegen, griff nach der schweren zweiflügligen Holztür und hielt ihr den Zugang offen. Dann verschloss sie die Tür und wies mit der Hand auf einen langen Flur, der aus der weitläufigen hohen Haupthalle führte.

»Ich gehe mal vorneweg. In meinem Büro werden wir ungestört sein.«

Die schwarzhaarige Schottin ging derart eilig, dass Polly kaum mit ihr Schritt halten konnte. Trotz seines hohen Alters wirkte das Innere des Schlosses durchaus modern. Abgesehen von hohen Decken, zahlreichen halbrunden Fenstern und weiten offenen Räumen erinnerte nur wenig an die siebenhundertjährige Geschichte. Helle dezente Farben, moderne Fußböden und schickes praktisches Mobiliar ließen sie staunen.

Isobel bog um die Ecke. Direkt vor ihnen führte eine breite geschwungene Steintreppe in die nächste Etage. Das helle und schlicht wirkende Büro ähnelte ihrem eigenen. Allmählich beruhigte sie sich. Insgeheim hatte sie dunkle Vorhänge, klobige, mit antikem roten Samt bezogene Sessel und drückende Farben an den Wänden erwartet. Offenbar hatte man das Haus einer gründlichen Renovierung unterzogen. Einzig die gewaltige Ahnenreihe in goldenen Rahmen entlang den Fluren zeugte vom einstigem Flair.

Inzwischen hatte sich Isobel an den Schreibtisch gesetzt. Während sie einen schwarzen Laptop öffnete, beobachtete sie Polly aufmerksam. Trotz ihrer Größe wirkten ihre zarten Gesichtszüge wie die einer Puppe. Das schwarze schulterlange Haar, perfekt frisiert und mit einer glänzenden Spange gehalten, ließ ihre Herkunft sofort erkennen. Tadelloses Benehmen war für diese Frau ebenso Alltag, wie ihr Outfit und der extravagante Schmuck.

Ungeachtet dessen strahlten ihre hellgrauen Augen eine offene und ehrliche Wärme aus. Etwas Liebliches umspielte ihr Antlitz. Mühsam riss sich Polly von ihr los und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Noch hatte sie die ausgeschriebene Stelle nicht in der Tasche. Es kam auf jedes einzelne Wort an, das sie in den nächsten Minuten sagte.

»Darf ich Sie fragen, was Sie nach Schottland geführt hat?« Auf Pollys hochschnellende Augenbrauen ergänzte sie: »Ich habe Ihre Unterlagen mit großem Interesse gelesen, dennoch …«

Plötzlich verfärbten sich ihre Wangen und sie senkte peinlich berührt ihren Blick. Eine Gelegenheit, die Polly nicht verstreichen ließ. Lächelnd lehnte sie sich zurück.

»Ihre Neugier kann ich gut verstehen«, begann sie vorsichtig.

Eine Tatsache, die sofort Spuren im Gesicht der Schottin hinterließ. Davon ungeachtet setzte sie fort.

»Während des Studiums sind mir die unterschiedlichsten Menschen begegnet. Am meisten imponierte mir ein stiller Mann aus dem schottischen Hochland. Er war so anders. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Das allein genügte noch nicht, um Wien für eine bestimmte Zeit den Rücken zu kehren.«

Mit einer kurzen Geste unterbrach Isobel ihre unbekümmerten Ausführungen. Insgeheim hatte sie darauf spekuliert. Es war zu erwarten, dass es für Countess Isobel MacGill ein No-Go war, zu viel Privates einer Fremden zu erfahren.

Was hätte ich eigentlich noch erzählen wollen?, horchte sie zufrieden in sich hinein.

Äußerlich war ihr, außer der Verwunderung über die schnelle Unterbrechung, nichts anzumerken.

»Wie ich sehe, haben Sie Management studiert?«, versuchte es Isobel erneut.

»… und Biochemie.«

»… hm … FOM Hochschule Wien … Jahrgangsbeste …« Isobels Augen hatten sich erneut im Text ihres Laptops verloren. Dann blickte sie auf.

»Gut, ich denke, was ich hier sehe, genügt vollkommen für die Aufgaben, die Sie erwarten.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Kommen Sie, das sollte fürs Erste genügen. Ich werde Ihnen erst einmal das Haus zeigen und vor allem Ihr Büro. Schließlich lege ich großen Wert darauf, dass Sie sich bei uns wohlfühlen.«

Über den plötzlichen Aufbruch irritiert, folgte sie Isobel zurück ins Treppenhaus. Sofort erkannte sie die steife Erziehung, die die Countess erfahren hatte. Vermutlich sah sie im Augenblick wegen der vermeintlichen Peinlichkeit keine andere Möglichkeit, als die Flucht von ihrem Schreibtisch. Ihr konnte es recht sein. Mit ihrer Schummelei wäre sie vermutlich nicht weit gekommen.

»Diese Steine sind mehr als siebenhundert Jahre alt. Eine sehr lange Zeit, mit ebenso vielen Geschichten.«

»Sagen Sie, ist es möglich, mehr über die Geschichte dieses Schlosses und seinen Eigentümer zu erfahren?«

Isobel kräuselte die Stirn. Polly ließ sich nicht beirren. Im Gegenteil, zielsicher berichtete sie der erschrockenen Schottin, wie sehr sie sich auf eine eventuelle Spurensuche zur schottischen Geschichte freue und es bei ihrer Entscheidung, sich in diesem Haus zu bewerben, eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt habe.

Die gezielte Schmeichelei zeigte augenblicklich Wirkung. Darauf hatte sie gebaut. Der lange Umgang mit Fraser und Oskar waren ihr Beispiel genug gewesen. Ein Umstand, den sie in Zukunft gnadenlos ausnutzen wollte.

»Oh, natürlich. Unser Anwesen verfügt über eine der ältesten und vollständigsten Bibliotheken sowie Archive des Distrikts. Bei entsprechender Gelegenheit werde ich Ihnen gern den Zugang hierzu ermöglichen.«

Von Pollys vermeintlichem Interesse an der langen Ahnenreihe der MacGills inspiriert, blieb Isobel vor jedem Bild ihrer Vorfahren stehen. Mit Engelsgeduld erklärte sie zu jedem die exakte Familienzugehörigkeit und seine Geschichte.

Beinahe bereute Polly ihren Vorstoß. Urplötzlich endete der Geschichtsvortrag. Sie standen vor den Porträts des letzten Earl of Gill - ihrem Vater und dessen Bruder. Kurzzeitig entglitten Isobel die erhabenen Gesichtszüge. Ähnlich unangenehm wie der Klang des ihr zustehenden Titels schienen ihr mögliche Erinnerungen an diese Männer in den Sinn zu kommen.

Clever Resi! Wie immer bist du hervorragend informiert gewesen, dachte Polly schmunzelnd und fragte: »Wohnt außer Ihnen und Ihrem Bruder sonst noch jemand im Haus?«

Dankbar für die Ablenkung drehte sich Isobel zu ihr. »Mein Bruder Ian … Er ist im Augenblick nicht im Schloss. Nur zwei Angestellte, unsere Köchin und der Verwalter, bewohnen die Räume des Nordflügels. Zwar gibt es auf dem Gehöft wesentlich mehr Personal, doch das fährt am Abend zurück in die nahegelegenen Gemeinden.«

Über diese Erklärung war sie einigermaßen verwundert. Es klang, als wollte Isobel zunächst vermeiden, dass sie sofort über die Gepflogenheiten im Schloss einen Überblick bekam.

Und die Aussage: Mein Bruder Ian ist nicht im Haus, interessiert mich nun überhaupt nicht, dachte sie. Dabei kam ihr seine Abwesenheit sehr gelegen. Schließlich konnte sie schwerlich jeden im Haus beobachten, sollte sie sich auf Spurensuche begeben.

Nach einer Stunde war der Rundgang beendet und Isobel öffnete die Tür zu Pollys zukünftigem Büro. Offenbar war sie bereits davon überzeugt, sie als Assistentin für ihr Haus gewonnen zu haben. Das Büro befand sich im ersten Obergeschoss in unmittelbarer Nähe des herrschaftlichen Salons. Augenblicklich zogen sich Sorgenfalten über Pollys Stirn. Der Gedanke an die erwähnte Abwesenheit des Earls beruhigte sie zunächst.

Der kleine Raum bot alles, was ihre neue Wirkungsstätte haben sollte. Neben einem Schreibtisch und effizienter Einrichtung gestattete ihr eine moderne Technik ganz sicher ein gutes Arbeiten.

»So, da wären wir«, sagte Isobel mit einem zufriedenen Lächeln. Sie hatte Pollys begeisterte Miene sofort erkannt.

»Ich denke, über die Einzelheiten, die über den Vertrag hinausgehen, werden wir uns später verständigen. Leider ist meine Zeit begrenzt. Ich werde in einer Stunde in der Brennerei erwartet. Deshalb schlage ich vor, wir besprechen kurz die wichtigsten Vereinbarungen. Um die Details kümmern wir uns später. Einverstanden?«

Klar, warum nicht, dachte Polly erleichtert.

Mit einem strahlenden Lächeln bedankte sie sich bei Isobel, als sie schließlich das Schloss verließ. Mit einem letzten Blick zurück machte sie sich auf den Heimweg.

Kapitel 3

Schneller als erwartet, gelang es Polly sich einzuarbeiten. Bereits in ihrer zweiten Arbeitswoche vertraute ihr Isobel völlig - im Grunde unverständlich. Gewitzt und abenteuerlustig ahnte sie schon bald, dass sie erfolgreich sein würde. Dank ihrer hervorragenden Ausbildung brachte sie für die ausgeschriebene Stelle alles mit, um die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Ihre alles andere als schottisch wirkende Erscheinung und die Tatsache, dass sie, wie in ihrer Vita beschrieben, auftrat, kamen ihrem Vorhaben sehr entgegen.

»Du bist deiner Mutter so ähnlich«, meinte Therese. »Sie konnte sich mit ihrer offenen Art ebenso angemessen verkaufen, wie du. Bei keiner von euch hätte ein MacGill vermutet, wem die Rosenfarm tatsächlich gehört.«

Mit einer diebischen Freude betrachtete sie Polly an jedem Morgen, bevor sie sich auf den Weg zum Schloss machte.

Heute blieb sie allerdings länger als beabsichtigt im Büro. Es war inzwischen Februar, schnell dunkel und vor der Tür tobte seit dem Morgen ein heftiger Schneesturm. Allein deshalb ließ sie sich Zeit, in der Hoffnung, dass sich der Wind legte. Nachdem das Personal gegangen war, wurde das Haus zunehmend still.

Plötzlich horchte sie auf. Seltsame, ungewohnte Geräusche drangen an ihr Ohr. Zunächst stutzte sie. Egal, wie sehr sie sich bemühte, sie konnte das, was sie hörte, nicht zuordnen. Unverständlich fixierte sie die Tür.

Wie spät ist es? Zu früh für schottische Geister! Der Versuch, sich mit diesem Gedanken zu beruhigen, misslang.

Neugier und ein mulmiges Gefühl machten sich unweigerlich breit und verlangten, dem auf den Grund zu gehen. Langsam öffnete sie die Tür und schlich den Flur entlang. Sie verzichtete darauf, Licht zu machen, was möglicherweise keine so gute Idee war. Augenblicklich war es wieder still. Unweigerlich blieb sie stehen. Nervös nach hinten blickend, zweifelte sie allmählich an ihrem Verstand. Für gewöhnlich konnte sie so schnell nichts erschrecken.

Gespenster! Ha …

Dann, sehr deutlich - Wortfetzen, Töne, die wie ein genussvolles Ächzen klangen. Vorsichtig, beinahe auf Zehenspitzen, näherte sie sich dem merkwürdigen Geräusch. Der Weg vom Büro bis zu den grünen Samtvorhängen, die jeden Blick auf den Vorraum des Salons verwehrten, war kurz. Nur noch wenige Schritte und Polly war dem Stoff zum Greifen nahe. Als sie endlich wusste, was sie hörte, war es für einen Rückzug zu spät. Zum einen könnte sie entdeckt werden und zum anderen zogen sie die ungewöhnlichen Worte magisch an.

»Lass es fallen …«, forderte eine tiefe männliche Stimme. Rau und aufregend leise, aber dennoch sehr direkt. Polly hielt den Atem an.

»Dreh dich um. Sehr schön, nach vorn, weiter, tiefer …«

Den geflüsterten erotischen Befehlen folgte erneut ein sanftes Stöhnen. Sie konnte den Mann nicht sehen. Jedoch raunte er seine Worte eindeutig einer Frau zu.

Polly überlegte. Isobel kommt hierfür nicht infrage. Die hat vor Stunden das Haus verlassen, um sich mit ihrem Verlobten zu treffen. Über ihre Haut zog sich eine Gänsehaut, die sie empfindlich frieren ließ. Von der Frau nahm sie zumindest einen Schatten wahr, quasi einen lebensgroßen Umriss. Angezogen wie von einem Magneten wagte sie sich vorsichtig aus der Deckung. Aber mehr als aktive Schatten war dennoch nicht auszumachen. Seine dunkle Stimme, die gefährlich fordernd präzise Erwartungen formulierte, entlockte dem Schatten ihm gegenüber immer sehnsüchtigere Laute.

Polly vermochte sich nicht loszureißen und plötzlich begann ihr Körper völlig untypisch zu reagieren. In ihrem Bauch ging alles durcheinander. Zwischen ihren Beinen spürte sie ein aufregendes Ziehen und sofort hasste sie sich dafür. Was sollte denn das bedeuten?

Sex, Erotik und Lust waren Worte, die in ihrer Gefühlswelt nichts zu suchen hatten. Da mochte der Typ noch so aufregend säuseln. Doch das Brennen in ihrem Unterleib, ihr auf Hochtouren tobender Puls und ihre fiebrige Haut waren da ganz anderer Meinung. Unabhängig davon konnte sie nach wie vor nur zuhören und sich in ihrer Fantasie ausmalen, was die Schatten jetzt fühlten. Dann verstummten seine Worte. Sie wurden von einem zunächst zögerlichen Klatschen auf nackter Haut abgelöst. Ein rhythmisches hölzernes Quietschen, das vor ihren Augen sofort eine der breiten MahagoniVitrinen erscheinen ließ, zeugte von wildem Verlangen.

»Ich will mehr …« Offenbar veränderte der Mann seinen Standort, denn das weibliche Stöhnen ging in ein unkontrolliertes ekstatisches Schreien über.

»So gefällst du mir. Das wird eine lange Nacht, meine Schöne«, presste die männliche Stimme durch zusammengebissene Zähne, ehe auch sie in unverständlich abgehacktes Stöhnen verfiel.

Pollys Gehör folgte dem heftigen Liebesspiel in einem Kampf zwischen Widerwillen und Erwartung. Unaufhörlich und mit enormer Ausdauer widmete sich der Mann dem Schatten hinter blickdichtem Samt. Der war dabei noch immer passiv. Dennoch, was auch immer er tat, verursachte eine unglaubliche Hingabe und Ekstase. Sich immer weiter steigernd, kannte seine Kraft kein Ende. Die heimliche Zeugin begann unweigerlich zu beben. Es schien, als konnte Polly das sich ankündigende Finale körperlich miterleben.

Dann herrschte abrupt Ruhe. Zwei Körper, die verzweifelt nach Atem suchten und dabei zufrieden auf das Holz unter ihnen niedersanken, war alles, was sie noch wahrnahm.

Scheiße, was soll das? Wer sind die zwei?

Endlich gelang es ihr, sich unbemerkt und am gesamten Körper zitternd zu entfernen. Ebenso leise, nur um einiges schneller, kehrte sie an ihren Schreibtisch zurück. Da saß sie nun und stierte verwirrt die verschlossene Bürotür an.

In ihrem Kopf ging alles durcheinander. Furcht, Nichtverstehen und, was sie beinahe anekelte, ein unerwünschtes Verlangen stürzten auf sie ein. Bisher hatte sie sich niemals von ihren Gefühlen überrumpeln lassen und schon gar nicht so. Erotik und Leidenschaft waren ihr bis heute suspekt geblieben. Ihrer Meinung nach vollkommen unrealistische Vorstellungen und Erwartungen. Dieses ganze Getue um Liebe und Romantik konnte ihr gestohlen bleiben. Sie verstand die Frauen nicht, die von grenzenloser Liebe, erotischen Fantasien - erfüllt von Lust und fantastischen Orgasmen träumten.

Um sich selbst ihre Einstellung zu beweisen, hatte sie bereits während des ersten Semesters dafür gesorgt, nicht mehr als jungfräulich beäugt zu werden. Wie sie es erwartet hatte, bewahrheitete sich ihr Unverständnis. Ihre erste sexuelle Begegnung mit Maik, einem hübschen Kommilitonen, hatte sie nicht als unangenehm empfunden. Aber von prickelnder Lust konnte keine Rede gewesen sein, und das war auch gut so. Keinesfalls würde sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und Großmutter treten. Ungeduldig wartete sie, bis es wirklich still im Haus geworden war.

Am nächsten Morgen schlich sie zu der vermeintlichen Spielwiese. Die Vitrine glänzte unschuldig im Licht des Deckenleuchters. Sie war versucht, dem Salon einen Besuch abzustatten. Zielstrebig ging sie auf die Tür zu.

»Ach, Polly, hier sind Sie!«, hörte sie Isobel hinter sich und erstarrte. Blitzartig drehte sie sich um. Die Schottin war bereits in ihrem Büro verschwunden. Mit einem eisigen Gefühl im Nacken folgte sie ihr.

Isobel saß am Tisch, schaute auf und kniff die Augen kurz zusammen. »Was haben Sie? Ich hoffe, es geht Ihnen gut.«

»Ähm, danke. Keine Sorge, es geht mir gut. Ich habe mich nur erschreckt. Ich wollte …«

Isobel ließ sie nicht aussprechen. Stattdessen fuhr sie sich hektisch durch ihr Haar. »Ich wollte Sie bitten, mich heute in die Brennerei zu begleiten. Von hier aus lässt sich nur schlecht erklären, worum Sie sich in den nächsten Wochen kümmern müssen.«

»Aber natürlich«, erwiderte Polly. Isobel kam offenbar allmählich in Zeitnot, was bei der bereits in wenigen Monaten stattfindenden Hochzeit nicht ungewöhnlich war. Dass sie die neue Angestellte vor dem Salon des Earls, wo niemand, ohne seine Aufforderung, etwas zu suchen hatte, vorfand, war ihr dabei völlig entgangen.

Als Polly zu ihr in den Wagen stieg, fragte sie: »Isobel, kann es sein, dass Ihr Bruder gestern Abend im Schloss war?«

Es war durchaus riskant, gerade jetzt nach seiner Anwesenheit zu fragen. Doch sie konnte nicht anders. Isobel sah sie kurz an und schüttelte zunächst ihren Kopf. Erst nach einiger Zeit sagte sie beiläufig und ohne ihre Assistentin dabei anzusehen.

»Ich wüsste auch gern, wo er sich herumtreibt. Zu Hause war er in letzter Zeit jedenfalls nicht.«

Polly hatte wenigstens die Frage erwartet, wieso sie sich nach Ian erkundigte. Aber für seine Schwester hatte sich dieses Thema offenbar erledigt.

Kapitel 4

Auf dem Weg nach Glenelg verfielen beide zunächst ihren Gedanken. Anders als gewohnt, wirkte Isobel nervös und unruhig. Von ihrer disziplinierten Ausstrahlung war innerhalb der letzten halben Stunde kaum noch etwas geblieben.

Anfangs war sich Polly nicht einmal sicher, ob die spürbare Veränderung ursächlich an ihrem Ausflug in Ians Privatsphäre lag. Jetzt beschloss sie, die Dinge abzuwarten. Ihre unüberlegte Neugier konnte sie zwar bedauern, war aber nicht zu ändern. Stattdessen bemühte sie sich auf den bevorstehenden Besuch von »Gill-Gin-Destillerie und Co« einzustellen. Um die uralte Brennerei, die zu einer der ersten in Schottland gehörte, rankten sich beinahe genauso viele Mythen, wie um ihre Eigentümer. Es wurde von unlauteren Methoden der Schlossherren beim Erwerb von Grund und Boden berichtet. Ebenso war die Rede von Enteignung und Übervorteilung. Die Gerüchteküche brodelte, heiß und wild wie ein Hexenkessel.

Ein perfekter Nährboden für Spekulationen jeglicher Art. Dass ihr eigenes Unternehmen in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang stehen könnte, ließ sie nervös schlucken. Mögliche Parallelen, die sich jetzt schon abzeichneten, raubten ihr zunehmend den Schlaf. Außer, dass sie bis zum Hals in Arbeit versank, war sie ihren eigenen Plänen inzwischen recht fern. Was aber nicht bedeutete, dass sie ihr Ziel aus den Augen verloren hatte. Nur ein Blick in Thereses fordernden Blick ermahnte sie, sich schleunigst dem Problem zu stellen.

Dennoch musste sie sich eingestehen, wie sehr sie ihr Job faszinierte. Jeden Tag ein wenig mehr. Vorsichtig betrachtete sie Isobel von der Seite. Auf ihren Schultern lastete die Verantwortung für ein gewaltiges Imperium. Nicht desto weniger überkam sie Stolz. Mit der Brennerei beabsichtigte Isobel, ihr einen immensen Anteil des herrschaftlichen Kapitals zu überantworten. Das Vertrauen rührte sie.

Plötzlich räusperte sich Isobel. »Entschuldigen Sie meine Sprachlosigkeit. Ich weiß, das ist alles andere als angemessen. Aber manchmal …« Dann brach sie ihren Satz ab. Leise stöhnend straffte sie ihre Schultern und zwang sich zu einem geschäftlichen Lächeln. »Na, wenigstens hat sich das Wetter gebessert.«

Automatisch folgte Pollys Blick dem zeigenden Finger. An den Scheiben des Bentleys wechselten sich Wälder mit tiefen Schluchten ab. Die Mittagssonne stand an ihrem höchsten Punkt. Dennoch schaffte sie es gerade über die schroffen Gipfel. Weiter unten im Tal schlängelte sich der geteerte Weg dem Meer entgegen. Bevor sie sich der kleinen Gemeinde näherten, führte sie die Strecke an der Küste entlang. Steilen Felsen zur Linken folgte gesättigtes Tannengrün gegenüber. Die unregelmäßige Bucht zog sich tief ins Land. An ihrer engsten Stelle befand sich der Steg zur Fähre. Während des kurzen Sommers reihten sich in langen Schlangen Touristenströme entlang des kleinen Anlegers. Geduldig wartend bot ihnen die schöne Aussicht genügend Raum, um die Wartezeit zu genießen.

Die nächste Kurve und ein letzter Blick über die Leitplanke zum Meer, und sie widmete Isobel ihre Aufmerksamkeit.

»Hoffentlich mute ich Ihnen nicht zu viel auf einmal zu?«, versuchte es Isobel erneut.

»Machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Ich bin äußerst gespannt auf die Brennerei und ihre Geschichte.« Für einen Moment glaubte sie, ein Zucken im Gesicht der Schottin zu erkennen.

»Ach ja, die Geschichte … Wenigstens waren die MacGills von der ersten Stunde an dabei. Der erste urkundlich erwähnte Gin, den sie in diesen Mauern brannten, stammt aus dem Jahr 1710!«

»Beeindruckend!«, entfuhr es Polly.

Sie hatte vor einiger Zeit über die abenteuerliche Geschichte rund um die Ginherstellung und diverse Irrtümer gelesen. So zum Beispiel, dass beinahe jeder Gin mit England, Irland oder gar Schottland verband. Tatsächlich stammte Gin aus den Niederlanden. Wilhelm von Oranien-Nassau, der im siebzehnten Jahrhundert Wilhelm der Dritte, König von England wurde, hatte ihn einst in seine Heimat gebracht.

»Das ist richtig! Doch damals waren meine Vorfahren noch nicht am Geschäft beteiligt und weit davon entfernt, Eigentümer des Landes zu sein. Es dauerte noch weitere fünfzig Jahre. Über diese Zeit haben wir eine gut recherchierte Abhandlung. Ich werde sie Ihnen zur Verfügung stellen. Erinnern Sie mich ruhig daran, sollte ich es vergessen. Es wird Ihnen helfen, zu verstehen!«

Isobel rutschte erneut unruhig auf ihrem Sitz umher. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es sich hierbei nicht einfach nur um eine chronologische Auflistung geschichtlicher Fakten handelte.

Gut so, auf jeden Fall werde ich diese Schriften sehr genau studieren. Es wird auch Zeit, endlich mit der Suche zu beginnen. In ihren Gedanken völlig versunken, zeigten sich allmählich die ersten Häuser von Glenelg. Polly liebte den Anblick der kleinen Häuschen, die dicht an dicht mit einem ähnlichen Stein gemauert wurden wie ihr Cottage. Von gewissermaßen ländlicher Idylle geprägt, wirkte der Straßenzug von der Geschichte vergessen.

Isobel bog rechts ab und folgte dem ersten Hinweisschild, dessen grünes schlichtes Metall sofort an alte Zeiten erinnerte.

»Ich möchte vermeiden, dass Sie einen falschen Eindruck gewinnen. Wie soll ich sagen? Mein Vater, ebenso mein Onkel, teilten sich die Führung des Unternehmens. Dabei waren sie sehr eigen. Nicht einmal Ian hatte eine Ahnung, was sich hinter ihren Geschäften verbarg. Nicht, dass es ihn je interessiert hätte.«

Den letzten Satz ließ sie einfach stehen. Der Eindruck, den sie unbewusst von ihrem Bruder vermittelte, deckte sich allerdings mit dem, was Polly an Gerüchten über den Earl gehört hatte.

»Ich konnte mich erst seit zwei Monaten in die Unterlagen einarbeiten. Das bedeutet, ich bin praktisch auf demselben Stand.«

Abermals entfloh ihr ein leises Stöhnen. Die gesamte Situation belastete sie. Dabei strahlte sie zunehmend Hoffnungslosigkeit aus. Bedingt durch das anhaltende Desinteresse des Hausherren an seinen vielfältigen Aufgaben war es nur eine Frage der Zeit, wann Isobel das Handtuch warf.

Für Polly ein Grund mehr, frühzeitig jede Einzelheit in Augenschein zu nehmen. Von weitem erkannte sie die grob gemauerte Häuserflucht der Destillerie. Ähnlich dem Schloss hatte sich die ihre Ursprünglichkeit bewahrt. So baute man stets an, statt abzureißen, wenn Platz gebraucht wurde. Beim ersten Blick vermutete Polly keine modernen Produktionsanlagen hinter dem ehrwürdigen Gestein.

Bereits als der Wagen die Einfahrt passierte, zeigte sich der entstandene Trugschluss. Neben einem Flüsschen, das sich gemächlich in seinem Bett der Destillerie näherte, zog sich die Auffahrt in die Länge. Das Firmengelände öffnete sich in einer breiten Zufahrt. Der Weg mündete in einem Rondell, dessen Mitte aus Bänken und gepflegtem Grün bestand. Entschlossen zog Isobel den Schlüssel ab und stieg aus.

»So, da wären wir.«

»Wir schaffen das schon.«

»Danke«, erwiderte Isobel erleichtert. »Ich bin so froh, Sie zu haben. Was ich ohne Sie machen sollte, entzieht sich meiner Kenntnis.«

Langsam ging sie auf das mit Efeu überwucherte Hauptgebäude zu.

»Conor erwartet uns sicher schon. Er ist seit mehreren Jahrzehnten unser Brennmeister. Somit der wichtigste Mann im Unternehmen.«

Die Ehrfurcht, die sie zeigte, machte Polly neugierig. Er war nach Isobels Aussage ein ausgewanderter Ire, mit einer ähnlichen Geschichte wie ihr Oskar. Das ließ einiges erwarten.

Unerschrocken folgte sie der aufgeregten Schottin. Kaum, dass sie sich der Tür näherten, wurde das alte Holz kraftvoll aufgezogen. Sofort blieben die Frauen stehen. Ein grauhaariger untersetzter Mann trat ihnen entgegen.

»Polly, das ist Conor Reid«, übernahm Isobel augenblicklich das Zepter.

Seine Reaktion darauf erinnerte sie prompt an Oskar. Isobel hatte augenscheinlich die nötige Rangordnung ausgehandelt. Conor zog sich etwas zurück und überließ seiner Chefin das Terrain.

»Conor, ich möchte Ihnen Polly Strasser, meine Assistentin vorstellen. Sie wird in naher Zukunft meine Aufgaben in der Brennerei übernehmen.«