Theo Boone und der entflohene Mörder - John Grisham - E-Book

Theo Boone und der entflohene Mörder E-Book

John Grisham

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Beschreibung

Nichts und niemand kann Theo und seine Freunde aufhalten. . . oder?

Theo Boone ist auf Klassenfahrt in Washington, D. C.! Ein Abenteuer für ihn und seine Freunde aus dem beschaulichen Städtchen Strattenburg. Doch dann macht Theo in der U-Bahn eine unheimliche Entdeckung: In der Menschenmenge sieht er plötzlich Pete Duffy. Genau den Pete Duffy, der in Theos erstem Fall des Mordes an seiner Frau angeklagt wurde – und flüchtete. Kurz entschlossen springt Theo aus der U-Bahn und verfolgt Duffy. Und tatsächlich gelingt es der Polizei dank ihm, den gefährlichen Täter wieder festzunehmen. Was aber, wenn Pete Duffy freigesprochen wird? Jetzt kennt er Theos Gesicht und hat Rache geschworen. Theo ahnt, dass er in höchster Gefahr schwebt …

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Seitenzahl: 256

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Das Buch

Nach einem Museumsbesuch in Washington D.C. fahren Theo und seine Klassenkameraden mit der U-Bahn ins Hotel zurück. Theo bleibt fast das Herz stehen, als er seinen Blick durchs Abteil schweifen lässt: Inmitten der Menschenmenge erkennt er plötzlich Pete Duffy. Genau den Pete Duffy, der in Theos erstem Fall des Mordes an seiner Frau angeklagt wurde – und flüchtete. Theo ist sich ganz sicher. Kurzentschlossen springt er an der nächsten Haltestelle aus der U-Bahn und verfolgt Duffy. Und tatsächlich gelingt es der Polizei dank ihm, den gefährlichen Täter wieder festzunehmen. Doch was, wenn Pete Duffy freigesprochen wird? Jetzt kennt er Theos Gesicht und hat Rache geschworen. Theo ahnt, dass er in höchster Gefahr schwebt …

Der Autor

John Grisham wurde am 8. Februar 1955 in Jonesboro, Arkansas, geboren, studierte in Mississippi und ließ sich 1981 als Anwalt nieder. Ein Aufsehen erregender Fall brachte ihn zum Schreiben. In Früh- und Nachtschichten wurde daraus sein erster Thriller, Die Jury, der in einem kleinen, unabhängigen Verlag erschien – der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Inzwischen hat der Autor 27 Romane, ein Sachbuch, einen Erzählband und fünf Jugendbücher veröffentlicht, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden. Er lebt in Virginia.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel Theodore Boone – The Fugitive bei Dutton Children’s Books / Penguin, New York
Copyright © 2015 by Boone & Boone LLC Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München, unter Verwendung eines Motivs von © Orhan Cam/Shutterstock und © Michal Bednarek/Shutterstock Redaktion: Charlotte Lungstrass-Kapfer Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-15038-9V003
www.heyne-fliegt.de

Teil 1: Die Verhaftung

Eins

In Strattenburg brannten noch die Straßenlaternen, und im Osten war die Sonne nicht einmal zu erahnen, aber auf dem Parkplatz vor der Middleschool herrschte reges Treiben: Hundertfünfundsiebzig Achtklässler trafen in Familienkarossen und Vans ein, kutschiert von verschlafenen Eltern, die sich freuten, ein paar Tage lang Ruhe vor ihren Sprösslingen zu haben. Die Kinder hatten nur wenig Schlaf bekommen. Sie hatten den ganzen Abend lang gepackt, sich in ihren Betten von einer Seite auf die andere geworfen, waren lange vor Sonnenaufgang aufgestanden, unter die Dusche gesprungen, hatten weitergepackt, ihre Eltern geweckt, ein schnelles Frühstück heruntergeschlungen und sich überhaupt benommen wie Fünfjährige, die auf den Weihnachtsmann warteten. Um sechs Uhr morgens trafen alle wie vereinbart an der Schule ein. Dort erwartete sie ein eindrucksvoller Anblick. Vier lange, schnittige Reisebusse desselben Typs warteten hintereinander aufgereiht mit gleißenden Scheinwerfern und brummenden Dieselmotoren in der Dunkelheit.

Die Klassenfahrt der Achten! Sechs Stunden mit dem Bus nach Washington, wo sie dreieinhalb Tage lang die Sehenswürdigkeiten besuchen und vier Nächte lang in einem Hochhaushotel ihr Unwesen treiben konnten. Dafür hatten die Schüler monatelang gearbeitet – am Samstagvormittag Donuts verkauft, Tausende von Autos gewaschen, Straßengräben gesäubert und die gefundenen Aluminiumdosen recycelt, bei den Geschäftsleuten in der Innenstadt gebettelt, die jedes Jahr spendeten, an Weihnachten an den Haustüren Früchtebrot verkauft, gebrauchte Sportausrüstung versteigert, Back-, Rad- und Büchermarathons organisiert und sich voller Enthusiasmus in eine Reihe halbwegs profitabler Unternehmungen gestürzt, die das Klassenfahrtskomitee genehmigt hatte. Alle Erlöse landeten im selben Topf. Als Ziel hatten sie sich die Summe von zehntausend Dollar gesetzt, was zwar nicht ausreichte, um alle Kosten zu decken, aber genug war, um die Reise zu sichern. In diesem Jahr hatte die Klasse fast zwölftausend Dollar zusammenbekommen, was bedeutete, dass jeder Schüler noch einhundertfünfundzwanzig Dollar beisteuern musste.

Einige Schüler konnten sich das nicht leisten. Allerdings sorgte die Schule traditionell dafür, dass keiner zurückbleiben musste. Jeder einzelne Achtklässler war auf dem Weg nach Washington, begleitet von zehn Lehrern und acht Vätern und Müttern.

Theodore Boone war hochzufrieden, dass sich seine Mutter nicht als Freiwillige gemeldet hatte. Sie hatten das Ganze beim Abendessen besprochen. Sein Vater war sehr schnell aus dem Spiel gewesen, weil er wie üblich behauptete, zu viel Arbeit zu haben. Theos Mutter wäre eigentlich gern mitgekommen, merkte aber schnell, dass das nicht klappen würde. Theo hatte in der Kanzlei ihre Termine überprüft und wusste genau, dass sie Mandanten vor Gericht vertreten musste, während er sich in Washington amüsierte.

Während sie darauf warteten, dass es weiterging, streichelte Theo, der auf dem Beifahrersitz saß, seinem Hund den Kopf. Judge hatte sich halb auf der Mittelkonsole und halb auf Theos Schoß niedergelassen. Er suchte sich seinen Platz normalerweise selbst aus, und die Boones ließen ihm seinen Willen.

»Bist du aufgeregt?«, fragte Mr. Boone. Er chauffierte seinen Sohn, weil Mrs. Boone wieder ins Bett gegangen war, um sich noch eine Stunde Schlaf zu gönnen.

»Klar«, sagte Theo, wobei er versuchte, sich möglichst cool zu geben. »Aber es ist eine lange Busfahrt.«

»Ihr seid bestimmt eingeschlafen, bevor ihr überhaupt aus der Stadt raus seid. Die Regeln haben wir ja schon besprochen. Hast du noch Fragen?«

»Das haben wir schon ein Dutzend Mal durchgekaut«, sagte Theo leicht frustriert. Er mochte seine Eltern. Sie waren etwas älter als die meisten Väter und Mütter, und er war ihr einziges Kind, deswegen fand er sie manchmal überängstlich. Zu den Dingen, die ihn am meisten nervten, gehörte ihre Vorliebe für Regeln. Regeln waren grundsätzlich einzuhalten, egal wer sie aufgestellt hatte.

Vermutlich lag das daran, dass beide Rechtsanwälte waren.

»Ich weiß, ich weiß«, sagte sein Vater. »Halt dich einfach an die Regeln, tu, was die Lehrer sagen, und mach keine Dummheiten. Du weißt doch noch, was vor zwei Jahren los war?«

Wie hätte Theo oder sonst ein Achtklässler je vergessen können, was vor zwei Jahren passiert war? Zwei Witzbolde – Jimbo Nance und Duck DeFoe – hatten von einem Zimmer im vierten Stock Wasserbomben in die überdachte Empfangshalle hinuntergeworfen. Zwar wurde niemand verletzt, aber mehrere Personen wurden völlig durchnässt und waren stinksauer. Die beiden wurden verpetzt, und ihre Eltern mussten mitten in der Nacht die sechs Stunden fahren, um sie abzuholen. Und noch einmal sechs Stunden zurück nach Strattenburg. Jimbo sagte, es sei eine sehr lange Fahrt gewesen. Sie wurden eine Woche lang vom Unterricht ausgeschlossen, und die Schule wurde gebeten, sich für ihre Klassenfahrten künftig ein anderes Hotel zu suchen. Dieser missliche Ausgang war in der Stadt legendär und wurde Theo und allen anderen Achtklässlern auf dem Weg nach Washington zur Abschreckung warnend vor Augen geführt.

Schließlich parkten sie. Theo verabschiedete sich von Judge, der auf dem Beifahrersitz warten musste. Mr. Boone öffnete eine der hinteren Türen und holte Theos Gepäck heraus: eine Nylon-Reisetasche, die nicht mehr als zehn Kilo wiegen durfte. Jedes schwerere Gepäckstück wurde zurückgelassen (eine der Regeln mit großem R!), und der Missetäter musste die Reise ohne Zahnbürste und Kleidung zum Wechseln antreten. Theo wäre das herzlich egal gewesen. Bei den Pfadfindern hatte er mit weniger Ausrüstung eine ganze Woche im Wald verbracht.

Mr. Mount stand mit einer Waage am Bus und prüfte die Gepäckstücke, bevor sie im Laderaum verstaut wurden. Er grinste, lachte und war offenbar genauso aufgeregt wie seine Schüler. Theos Tasche wog neun Kilo und zweihundert Gramm. Sein Rucksack brachte es kaum auf sechs Kilo, damit war Theo durch. Mr. Mount überprüfte, ob in der Reisetasche auch ein Ausweis war, und sagte Theo, er solle einsteigen.

Theo schüttelte seinem Vater die Hand, verabschiedete sich, erschauderte für einen Augenblick bei dem entsetzlichen Gedanken, sein Vater könne versuchen, ihn zu umarmen oder sich zu anderen peinlichen Gefühlsäußerungen hinreißen lassen, und atmete erleichtert auf, als Mr. Boone sagte: »Viel Spaß! Ruf deine Mutter an.« Theo sprang in den Bus.

Ganz in der Nähe verabschiedeten sich die Mädchen von ihren Müttern, fielen ihnen um den Hals, heulten herum und benahmen sich überhaupt, als zögen sie in den Krieg und würden nie wieder nach Hause kommen. Dagegen zuckten die harten Burschen am Bus der Jungen nicht mit der Wimper und versuchten, ihren Eltern so schnell wie möglich und mit einem Minimum an Körperkontakt zu entkommen.

Als die Sonne aufging, leerte sich der Parkplatz allmählich. Um Punkt sieben rollten die vier Busse los. Es war Donnerstag. Der große Tag war endlich da, und die Jugendlichen tobten lärmend herum. Neben Theo saß Chase Whipple, ein guter Freund, der auch als »der verrückte Professor« bekannt war. Damit keiner von ihnen verloren ging und auf sich allein gestellt die gefährlichen Straßen Washingtons durchstreifte, hatten die Lehrer die Schüler paarweise eingeteilt. In den nächsten vier Tagen hatte Theo Chase am Hals und Chase Theo, und jeder musste ständig darüber informiert sein, was der andere gerade trieb. Theo wusste, dass er dabei der Gelackmeierte war, weil Chase selbst auf dem Gelände der Strattenburg Middleschool ständig verloren ging. Ihn im Auge zu behalten bedeutete harte Arbeit. Die beiden würden sich ein Zimmer mit Woody Lambert und Aaron Nyqist teilen.

Während die Busse durch die stillen Straßen rollten, quasselten die Jungen aufgeregt durcheinander. Bisher hatte keiner Kinnhaken ausgeteilt oder den anderen die Mütze vom Kopf gerissen. Sie waren eindringlich davor gewarnt worden, sich danebenzubenehmen, und Mr. Mount behielt sie genau im Auge. Dann pupste irgendwer hinter Theo laut. Das wirkte auf Anhieb ansteckend, und noch bevor sie Strattenburg hinter sich gelassen hatten, wünschte Theo sich, bei April Finnemore im anderen Bus zu sitzen.

Mr. Mount öffnete ein Fenster einen Spalt weit. Allmählich beruhigten sich die Gemüter. Nach dreißig Minuten Fahrt waren die Jungen entweder eingeschlafen oder hatten sich in Videospiele vertieft.

Zwei

Theos Zimmer lag im siebten Stock eines neuen Hotels in der Connecticut Avenue, knapp einen Kilometer nördlich vom Weißen Haus. Von ihrem Fenster aus hatten er, Chase, Woody und Aaron freie Sicht auf die obere Hälfte des zu Ehren von George Washington errichteten Obelisken, der sich über der Stadt erhob. Für Samstag ganz früh war eine Besteigung des Washington Monument bis hinauf zur Spitze geplant. Für den Augenblick mussten sie sich allerdings eilig zu einem schnellen Mittagessen nach unten begeben, bevor es auf Besichtigungstour ging.

Jeder Schüler hatte unter den zahlreichen Attraktionen Washingtons seine Wahl treffen dürfen. Wenn sie alles hätten sehen wollen, wären sie ein ganzes Jahr lang rund um die Uhr beschäftigt gewesen, daher hatten Mr. Mount und die anderen Lehrer eine Liste zusammengestellt, aus der die Schüler ihre Prioritäten auswählen konnten.

April hatte Theo vorgeschlagen, das Ford’s Theatre zu besuchen, in dem Abraham Lincoln erschossen worden war; das klang interessant. Theo überredete Chase, und nach dem Mittagessen traf sich eine Gruppe von achtzehn Schülern in der Hotellobby mit Mr. Babcock, einem Geschichtslehrer. Mr. Babcock erklärte ihnen, dass ihre kleine Gruppe keinen der Busse nehmen würde. Stattdessen sollten sie das U-Bahn-System von Washington kennenlernen, die sogenannte Metro. Er fragte, wer von den Schülern schon einmal U-Bahn gefahren war. Theo und drei andere hoben die Hand.

Sie traten aus dem Hotel auf den belebten Gehweg und marschierten los. Für Jugendliche aus der Kleinstadt waren Lärm und Hektik der Großstadt höchst gewöhnungsbedürftig. So viele hohe Gebäude, so viele Autos, die im Verkehrsgewühl kaum vorankamen, so viele Menschen, die sich auf den Gehwegen drängten und eilig ihrem Ziel zustrebten. An der Metrostation Woodley Park fuhren sie mit der Rolltreppe tief in den Untergrund. Mr. Babcock hatte SmarTrip-Karten aus Plastik für sie dabei, mit denen die Schüler das Metrosystem mit gewissen Einschränkungen nutzen konnten. Ihre Bahn war halb leer, sauber und effizient. Als sie durch den dunklen Tunnel sausten, verriet April Theo im Flüsterton, dass sie zum ersten Mal U-Bahn fuhr. Theo kannte das schon aus New York, wo er mit seinen Eltern in Urlaub gewesen war. Allerdings war der öffentliche Nahverkehr in New York etwas ganz anderes als in Washington.

Als der Zug nur wenige Minuten nach dem Einsteigen an der Haltestelle Metro Center zum dritten Mal stoppte, mussten sie auch schon wieder aussteigen. Sie liefen die Treppe hinauf zurück ins Sonnenlicht. Mr. Babcock zählte achtzehn Schüler, und sie marschierten los. Minuten später hatten sie die Tenth Street erreicht.

Mr. Babcock ließ die Gruppe anhalten und deutete auf ein schmuckes, offenkundig bedeutendes Backsteingebäude auf der anderen Straßenseite. »Das ist das Ford’s Theatre, wo am 1. April 1865 auf Präsident Lincoln geschossen wurde. Wie ihr alle wisst, weil ihr in Geschichte so eifrig mitgearbeitet habt, war der amerikanische Bürgerkrieg eben erst zu Ende gegangen; tatsächlich hatte sich General Lee erst fünf Tage zuvor am Gerichtsgebäude von Appomattox im Bundesstaat Virginia General Grant ergeben. Die Stadt Washington war in Feierlaune, der Krieg war endlich vorbei, und so beschlossen der Präsident und seine Frau auszugehen. Das Ford’s Theatre war das imposanteste, prächtigste Theater der Stadt, und die Lincolns besuchten dort häufig Konzerte und Theatervorstellungen. Damals hatte das Theater über zweitausend Plätze, und das Stück – es hatte den Titel Our American Cousin – war Abend für Abend ausverkauft.«

Sie gingen fünfzig Meter und hielten erneut an. Mr. Babcock nahm seinen Vortrag wieder auf. »Der Krieg war zwar offiziell beendet, aber viele Menschen wollten sich damit nicht abfinden. Das galt auch für John Wilkes Booth, einen Südstaatler. Er war ein bekannter Schauspieler und hatte sich bei der zweiten Amtseinführung von Präsident Lincoln einen Monat zuvor sogar mit ihm fotografieren lassen. Booth war sehr aufgebracht über die Kapitulation der Südstaaten und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, etwas für ihre Sache zu tun. Also beschloss er, Präsident Lincoln zu töten. Da er im Theater bekannt war, ließen ihn die Angestellten zur Loge der Lincolns durch. Er schoss dem Präsidenten einmal in den Hinterkopf, sprang auf die Bühne und brach sich dabei das Bein, entkam aber dennoch durch die Hintertür.«

Mr. Babcock drehte sich um und deutete mit dem Kopf auf das Gebäude neben ihnen. »Das hier ist das Petersen House«, sagte er, »damals eine Pension. Präsident Lincoln wurde hierhergebracht und die ganze Nacht lang behandelt. Die Nachricht verbreitete sich rasch. Es liefen so viele Menschen zusammen, dass Bundessoldaten die Menge vom Haus fernhalten mussten. Präsident Lincoln starb hier am Morgen des 15. April 1865.«

Damit war der Vortrag beendet. Sie überquerten die Straße und betraten endlich das Ford’s Theatre.

Nach zwei Stunden hatte Theo genug von Lincolns Ermordung. Es war alles sehr interessant, und ihm war die geschichtliche Tragweite bewusst, aber irgendwann war es gut. Am besten gefiel ihm das Museum unter der Bühne, wo die Originalwaffe zu sehen war, die Booth benutzt hatte.

Es war schon fast halb fünf, als sie wieder auf der Tenth Street standen und zurück zur Haltestelle Metro Center marschierten. Der Verkehr war dichter geworden, die Gehwege hatten sich noch mehr gefüllt. In der U-Bahn drängten sich die Pendler auf dem Heimweg, und der Zug schien jetzt viel langsamer voranzukommen. Theo stand mit Chase und April mitten im Waggon im Gedränge, während die U-Bahn über die Gleise rumpelte. Er warf einen Blick auf die mürrischen Gesichter der Pendler ringsum; niemand lächelte. Alle wirkten müde. Er wusste noch nicht genau, wo er leben wollte, wenn er erwachsen war, aber bestimmt nicht in einer Großstadt. Strattenburg hatte genau die richtige Größe. Nicht zu groß, nicht zu klein. Keine Verkehrsstaus. Kein wütendes Gehupe. Kein Gedränge auf den Gehwegen. Er hatte keine Lust, mit der Bahn zur Arbeit und wieder nach Hause fahren zu müssen.

Ein Mann, der zwischen zwei Frauen eingeklemmt saß, ließ seine Zeitung sinken, um umzublättern. Er war gerade einmal drei Meter von Theo entfernt.

Er kam ihm bekannt vor, merkwürdig bekannt. Theo holte tief Luft und quetschte sich zwischen zwei Männern durch, die ebenfalls im Gedränge steckten. Noch einen Meter näher heran, dann konnte er das Gesicht des Mannes sehen.

Irgendwoher kannte er es, aber woher? Etwas war anders, vielleicht war das Haar dunkler, vielleicht war die Lesebrille neu. Plötzlich traf es Theo wie ein Blitz: Das Gesicht gehörte Pete Duffy.

Pete Duffy? Der meistgesuchte Mann in der Geschichte von Strattenburg und Stratten County. Die Nummer sieben auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher. Der Mann, der des Mordes an seiner Ehefrau angeklagt worden war, der in Strattenburg vor Gericht gestanden hatte, in einer Verhandlung unter dem Vorsitz von Richter Henry Gantry, der Theo und seine Klassenkameraden als Zuschauer beigewohnt hatten. Der Mann, der nur um Haaresbreite einer Verurteilung entgangen war, weil Richter Gantry das Verfahren für fehlerhaft erklärt hatte. Der Mann, der mitten in der Nacht aus der Stadt geflohen und seitdem spurlos verschwunden war.

Der Mann ließ die Zeitung erneut sinken, um weiterzublättern. Er warf einen Blick in die Runde, und Theo ging hinter einem Pendler in Deckung. Unmittelbar nach der Verhandlung hatte es nämlich Blickkontakt zwischen ihm und Duffy gegeben.

Duffy trug nun einen Schnurrbart, der von grauen Strähnen durchzogen war. Sein Gesicht verschwand wieder hinter der Zeitung.

Theo war wie gelähmt. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Die Bahn hielt, und noch mehr Pendler drängten herein. Dann stoppte sie erneut: Dupont Circle. Der nächste Halt war Woodley Park. Duffy machte keine Anstalten auszusteigen. Im Gegensatz zu den anderen Pendlern schien er weder Aktenkoffer noch Tasche bei sich zu haben. Theo schlängelte sich weiter durch den Zug und entfernte sich damit noch ein paar Meter von seinen Klassenkameraden. Chase war wie üblich in seine eigene Welt versunken. April war nirgends zu sehen. Er hörte, wie Mr. Babcock die Schüler daran erinnerte, dass sie gleich aussteigen mussten. Theo setzte sich noch weiter ab.

An der Station Woodley Park hielt die U-Bahn, und die Türen öffneten sich. Wieder drängten Pendler herein, sodass die Schüler Mühe hatten auszusteigen. In dem Gewühl merkte niemand, dass Theo noch in der Bahn war. Die Türen schlossen sich, und es ging weiter. Theo ließ Pete Duffy, der sich hinter seiner Zeitung verschanzte, was ihm mittlerweile vermutlich zur Gewohnheit geworden war, nicht aus den Augen. An der Station Cleveland Park stiegen noch einige Fahrgäste zu. Theo schrieb Chase eine SMS: Er sei nicht rechtzeitig aus dem Zug gekommen, ansonsten sei alles in Ordnung. Er werde den nächsten Zug nach Woodley Park nehmen. Chase rief ihn sofort an, aber Theo hatte sein Handy auf lautlos gestellt. Mr. Babcock war wahrscheinlich schon am Durchdrehen. Er würde in ein paar Minuten zurückrufen.

Theo fummelte an seinem Telefon herum, damit es so aussah, als ob er eine SMS schrieb oder zockte. Er hatte die Kamera eingeschaltet und auf Video gestellt; jetzt filmte er damit den ganzen Waggon, ein typischer Dreizehnjähriger, der mit seinem Handy herumblödelte. Pete Duffy saß fünf Meter von ihm entfernt hinter seiner Zeitung versteckt und rührte sich nicht. Theo wartete und wartete. Endlich, als sich die U-Bahn der Haltestelle Tenleytown näherte, ließ Duffy die Zeitung sinken und faltete sie zusammen. Als er sie sich unter den Arm klemmte, gelang es Theo, ihn vielleicht fünf Sekunden lang auf Video festzuhalten. Er schaffte es sogar, näher heranzuzoomen. Als Duffy in seine Richtung sah, kicherte Theo in seine Kamera, als hätte er eben Spielpunkte eingeheimst.

In Tenleytown stieg Duffy aus, und Theo folgte ihm. Duffy ging schnell, als hätte er Angst, verfolgt zu werden. Nach einigen Minuten verlor Theo ihn im Gedränge aus den Augen. Er rief Chase an und sagte ihm, er warte auf den nächsten Zug und werde wohl in fünfzehn Minuten eintreffen.

Drei

Mr. Babcock wartete an der Haltestelle Woodley Park und war völlig aus dem Häuschen. Theo entschuldigte sich mehrmals dafür, dass er angeblich bei dem Gedränge nicht rechtzeitig aus dem Zug gekommen war. Er log nur ungern. Es war nicht in Ordnung, und er bemühte sich stets, bei der Wahrheit zu bleiben. Manchmal sah er sich allerdings gezwungen, aus gutem Grund ein wenig zu flunkern. In der U-Bahn hatte er blitzschnell entschieden, dass es wichtiger war, Pete Duffy mit allen Mitteln festzunageln, als wie vereinbart auszusteigen. Dann wäre ihm Duffy nämlich entwischt, und er hätte diese großartige Gelegenheit verpasst. Wenn er aber Mr. Babcock gegenüber zugab, dass er absichtlich in der U-Bahn geblieben war, würde das furchtbaren Ärger geben. Die Wahrheit über Pete Duffy konnte er nicht erzählen, zumindest noch nicht, weil er selbst nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Er musste erst einmal alleine in Ruhe darüber nachdenken.

Und er musste mit seinem Onkel Ike reden.

Im Augenblick sah er sich allerdings gezwungen, sich bei Mr. Babcock zu entschuldigen, der ohnehin kein sehr stabiles Nervenkostüm hatte. Als sie wieder im Hotel waren, schleppte Mr. Babcock Theo zu Mr. Mount und beschwerte sich lang und breit über seinen missratenen Schüler.

»Der Mann ist das reinste Nervenbündel«, murmelte Theo, kaum dass Mr. Babcock gegangen war.

Mr. Mount vertraute Theo, und wenn sich einer seiner Schüler in der Großstadt zurechtfand, dann Theodore Boone. Daher widersprach er nicht und meinte nur: »Mach das nicht noch mal, okay? Pass auf, wo du bist.«

»Natürlich«, sagte Theo. Wenn der wüsste.

Zum Abendessen gab es Pizza für alle in einem Ballsaal des Hotels. Da es keine Sitzordnung gab, ließen sich die Jungen wie üblich auf der einen Seite nieder und die Mädchen auf der anderen. Theo knabberte an einem Stück Kruste und trank Wasser aus einer Flasche, aber in Gedanken war er nicht bei der Pizza. Er war überzeugt, dass er Pete Duffy gesehen hatte. Duffys Gang kannte er, weil er ihn damals auf dem Weg zur Verhandlung beobachtet hatte. Die Bewegungen waren dieselben. Größe und Körperbau stimmten auch. Augen, Nase, Stirn und Kinn waren eindeutig identisch. Theo hatte sich im Bad des Hotelzimmers eingesperrt und das Video auf seinem Handy ein Dutzend Mal studiert.

Theo hatte Pete Duffy gefunden! Schwer zu glauben, und er hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte. Dabei hätte er in seiner Aufregung beinahe etwas Wichtiges vergessen. Als Duffy untergetaucht war, hatte die Polizei eine Belohnung von hunderttausend Dollar für Hinweise ausgesetzt, die zu seiner Ergreifung und Verurteilung führten. Auf seinem Zimmer war Theo vor dem Abendessen ins Internet gegangen und hatte das mit der Belohnung überprüft. Auf der Website der Polizei von Strattenburg befassten sich gleich mehrere Seiten mit dem Fall Duffy. Sie zeigten verschiedene Großaufnahmen von seinem Gesicht.

Handys waren während der Mahlzeiten streng verboten – wenn ein Erwachsener eines entdeckte, wurde es sofort beschlagnahmt. Das Pizzaessen war erst halb vorbei, als sich Theo bei Mr. Mount abmeldete, weil er angeblich zur Toilette musste. Dort sperrte er sich in einer Kabine ein.

»Ich dachte, du bist in Washington«, sagte Ike.

»Bin ich auch. Ike, ich habe Pete Duffy in der Metro gesehen. Er war es ganz sicher.«

»Ich dachte, der ist in Kambodscha oder so.«

»Im Augenblick jedenfalls nicht. Er ist hier in Washington. Ich habe ihn auf Video. Ich schicke dir das gleich per E-Mail. Sieh es dir an, ich melde mich später.«

»Du meinst das wirklich ernst, was?« Ikes Ton wurde plötzlich schärfer.

»Todernst. Bis nachher.« Theo schickte Ike in aller Eile eine E-Mail mit dem Video und lief zurück zum Ballsaal.

Nach dem Abendessen, als es dunkel geworden war, wurde die gesamte achte Klasse in die vier Busse verfrachtet und zum Lincoln Memorial gefahren. Dort wuselten sie um die berühmte Statue von Abraham Lincoln herum, der mit ernster Miene – Lächelte der Mann eigentlich nie?, fragte sich Theo – in die Ferne blickte, während seine Hände die Lehnen seines Stuhls umklammerten. Die Beleuchtung verstärkte die Schatten auf seinem Gesicht, und Theo war schwer beeindruckt. Mit Unterstützung eines Parkaufsehers stellte Mr. Babcock, der offenkundig ein großer Lincoln-Fan war, am Fuße der Treppe mit ihren exakt achtundfünfzig Stufen einen großen Bildschirm auf, um den sich die Schüler zu einem kurzen Vortrag scharten. Es war mucksmäuschenstill, als Mr. Babcock die wichtigsten Ereignisse in Lincolns Leben zusammenfasste. Das hatten sie zwar alles im Unterricht behandelt, aber auf den Stufen zu seinem Denkmal gewann es eine ganz neue Bedeutung. Mr. Babcock, ein engagierter Lehrer, begleitete seinen Vortrag mit Fotos von Lincoln in verschiedenen Phasen seines Lebens.

Obwohl die Schüler auf Marmorstufen saßen, wurde keiner unruhig oder tuschelte. Sie folgten dem Vortrag mit großem Interesse. Als Theo aufsah, fiel sein Blick auf die spiegelnde Wasserfläche des Reflecting Pool direkt vor ihnen. Dahinter ragte in etwa eineinhalb Kilometern Entfernung das ebenfalls perfekt angestrahlte Washington Monument empor. Noch einmal eineinhalb Kilometer entfernt erhob sich das Kapitol, dessen prächtige Kuppel in der Dunkelheit glänzte. Als Theo sich umdrehte, blickte Präsident Lincoln streng auf sie herab.

Theo wusste, dass er diesen Augenblick nie vergessen würde.

Applaus brandete auf, als Mr. Babcock seinen Vortrag beendete. Als Nächste war Ms. Greenwood an der Reihe, eine Afroamerikanerin, die die Mädchen in Englisch unterrichtete und allgemein beliebt war. Sie begann damit, dass sie die Schüler aufforderte, zum Washington Monument zu sehen und sich fast eine Viertelmillion Menschen vorzustellen, die sich auf der National Mall drängten. So war es am 2. August 1963 gewesen, als schwarze Amerikaner aus dem ganzen Land nach Washington gekommen waren, um Gerechtigkeit und Gleichheit zu verlangen. Ihr Anführer war ein junger Baptistenprediger namens Martin Luther King gewesen.

Während sie sprach, spielte sie auf dem Monitor Bilder ein, Fotos der Menge an jenem Tag, Bilder von Menschen, die marschierten und Schilder schwenkten. Sie erklärte, Martin Luther King habe ganz in der Nähe auf einem improvisierten Podium eine der berühmtesten Reden in der Geschichte Amerikas gehalten, unter dem stolzen Blick des Präsidenten, der der Sklaverei ein Ende gesetzt hatte. Dann spielte sie einen Film ab, eine Schwarzweißaufnahme der Rede »I have a Dream« von Martin Luther King.

Theo hatte die Rede früher schon gesehen und gehört, aber diesmal kam sie ihm viel bewegender vor. Während Martin Luther Kings Worte durch die Nacht hallten, ließ Theo seinen Blick über die Mall streifen und versuchte, sich den historischen Tag vorzustellen: mit Tausenden von Menschen, die dicht an dicht nebeneinander standen und den unvergänglichen Worten lauschten.

Auch Ms. Greenwood wurde mit Applaus bedacht, als sie fertig war. Danach verkündete Mr. Mount, das sei der letzte Vortrag gewesen. Die Schüler bekamen die Erlaubnis, noch etwa eine Stunde am Reflecting Pool zu bleiben.

Theo suchte sich einen Platz auf einer Parkbank und schickte Ike eine SMS.

Hast du das Video bekommen? Was hältst du davon?

Ike hatte offenbar schon gewartet.

Würde sagen, es ist p duffy. Lass uns reden.

Okay. Später.

Später, als seine drei Zimmerkollegen fernsahen und darauf warteten, dass die Anweisung »Licht aus!« von Mr. Mount kam, verzog sich Theo ins Bad, schloss die Tür ab und setzte sich auf die Toilette. Er rief Ike an, der offenbar wieder mit dem Telefon in der Hand wartete.

»Hast du irgendwem davon erzählt?«

»Natürlich nicht«, sagte Theo. »Nur dir. Was machen wir?«

»Ich habe mir einen Plan überlegt. Ich nehme die Frühmaschine nach Washington, dann bin ich gegen Mittag am National Airport. Ich will in der U-Bahn sein, wenn er nachmittags einsteigt, und ihm so dicht wie möglich auf den Fersen bleiben. Ich brauche Uhrzeit, Haltestelle und Metro-Linie.«

Theo hatte sich Notizen gemacht und sie auswendig gelernt. »Das ist die Red Line. Wir sind an der Haltestelle Metro Center eingestiegen, und da war er definitiv schon im Zug.«

»Wie viele Waggons hatte der Zug?«

»Äh, da kann ich nur raten, sieben oder acht, würde ich sagen.«

»Und in welchen Waggon bist du eingestiegen?«

»Weiß ich nicht, aber irgendwo in der Mitte.«

»Wie viel Uhr war es?«

»Irgendwas zwischen halb fünf und fünf. Er ist in der Red Line geblieben und in Tenleytown ausgestiegen. Ich bin ihm etwa dreihundert Meter lang gefolgt, bevor ich ihn verloren habe. Ich wollte mich nicht allzu weit von der Haltestelle entfernen, nicht gerade mein Heimatrevier.«

»Okay, mehr brauche ich nicht. Ich bin morgen da. Du bist wahrscheinlich den ganzen Tag beschäftigt.«

»Den ganzen Tag und den ganzen Abend. Morgen gehen wir ins Smithsonian.«

»Viel Spaß. Ich schicke dir morgen Abend eine SMS.«

Theo war erleichtert, dass ein Erwachsener im Spiel war, auch wenn dieser Erwachsene nur Onkel Ike war. Allerdings machte ihm das Aussehen des alten Burschen Sorgen. Ike war Mitte sechzig und sah auch so aus. Er trug das weiße Haar lang und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er hatte einen zotteligen grauen Bart, trug normalerweise ausgeflippte T-Shirts, abgewetzte alte Jeans, eine merkwürdige Brille und selbst bei kaltem Wetter Sandalen. Alles in allem war Ike Boone ein Typ, der eher die Aufmerksamkeit auf sich zog, als dass er unbemerkt durchgegangen wäre. Er lebte ziemlich zurückgezogen, war in Strattenburg aber durchaus bekannt. Falls Pete Duffy Ike je begegnet war oder ihn auch nur gesehen hatte, würde er ihn höchstwahrscheinlich wiedererkennen. Ike würde sich sehr sorgfältig verkleiden müssen.

Noch lange nachdem die anderen drei eingeschlafen waren, starrte Theo in der Dunkelheit an die Decke und dachte an Pete Duffy und den Mord, den er begangen hatte. Einerseits fand er es aufregend, an seiner Ergreifung beteiligt zu sein. Andererseits hatte er panische Angst. Pete Duffy hatte gefährliche Freunde, und die hielten sich nach wie vor in Strattenburg auf.

Falls es sich tatsächlich um Pete Duffy handelte, falls er tatsächlich verhaftet und erneut vor Gericht gezerrt wurde, wollte Theo nicht, dass sein Name erwähnt wurde.

Ike? Dem war das egal. Ike hatte drei Jahre im Gefängnis überstanden. Er hatte vor nichts Angst.

Vier

Am Freitagmorgen um neun Uhr hielten die vier Busse aus Strattenburg vor dem Osteingang der Smithsonian Institution, und alle Achtklässer quollen heraus. Das Smithsonian ist das größte Museum der Welt; selbst eine ganze Woche würde wohl nicht reichen, um alles zu sehen. Bei der Planung des Tages hatte Mr. Mount seiner Klasse erklärt, dass das Smithsonian eigentlich aus neunzehn verschiedenen Museen und einem Zoo sowie einer Reihe von Sammlungen und Galerien besteht und dass elf der neunzehn an der Mall liegen. Es beherbergt einhundertachtunddreißig Millionen Objekte jeder Art und trägt den Spitznamen »Dachboden der Nation«. Jedes Jahr besuchen dreißig Millionen Menschen das Smithsonian.

Die Schüler teilten sich auf. Theo und etwa vierzig andere machten sich auf den Weg zum Luft- und Raumfahrtmuseum. Dort verbrachten sie zwei Stunden, sammelten sich dann erneut und marschierten zum Museum für amerikanische Geschichte.

Um halb drei empfing Theo eine SMS von Ike.

Bin in der Stadt, sehe mir gleich mal das Metro-System an, schrieb er.

Theo hatte genug von Museen und hätte sich am liebsten abgesetzt, um gemeinsam mit Ike zu ermitteln. Als es fünf Uhr wurde, hatte er das Gefühl, mindestens hundert Millionen Ausstellungsgegenstände gesehen zu haben, und brauchte dringend eine Pause. Sie stiegen in die Busse und fuhren zum Abendessen zurück ins Hotel.

Um 18.45 Uhr, als Theo in seinem Zimmer fernsah und sich ausruhte, traf eine weitere SMS von Ike ein.

Bin in der Lobby. Kannst du runterkommen?

Komme, schrieb Theo zurück.