Tod vor der Morgenmesse - Peter Tremayne - E-Book + Hörbuch

Tod vor der Morgenmesse Hörbuch

Peter Tremayne

4,8

Beschreibung

Schwester Fidelma gegen die Kräfte der Unterwelt.

Irland 668. Im Kloster Ard Fhearta wurden die Äbtissin und ein Gelehrter ermordet. Auf dem Meer treibt ein Piratenschiff sein Unwesen, und zu Land hat man einen längst tot geglaubten, gefährlichen Bösewicht gesehen. Oder war es sein Geist? Schwester Fidelma steht vor einer besonders schwierigen Aufgabe, denn bis vor kurzem lag das Kloster in Feindesland ...

"Spannung und Humor - das ist die unwiderstehliche Mischung dieser irischen Krimis." NDR.

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Zeit:12 Std. 7 min

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Peter Tremayne

Tod vor der Morgenmesse

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter

Aufbau-Verlag

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Impressum

ISBN E-Pub 978-3-8412-0139-3ISBN PDF 978-3-8412-2139-1ISBN Printausgabe 978-3-7466-2298-9

Aufbau Digital,veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinDie deutsche Erstausgabe erschien 2007 bei Aufbau Taschenbuch, einerMarke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KGCopyright © 2005 by Peter Tremayne

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Preuße & Hülpüsch Grafik Designunter Verwendung einer Buchmalerei aus dem »Book of Kells«

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Inhaltsübersicht

HAUPTPERSONEN

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

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|5|Für Seamus J. King aus Cashel

in Erinnerung

an das Cashel Arts Festival

im November 2004

und

Treasa Ní Fhártharta

für den seanfhocal

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|7|An té a bhfuil drochmeas aige ar a shaol féin, beigh sé ina

mháistir ar shaol duine eile – fainic, éireoidh le ’n a leithéid

máistreacht a fháil ar anamacha.

Wer sein eigenes Leben mißachtet, wird leicht zum Beherrscher

des Lebens anderer – hüte dich, denn Menschen wie diese

sind oft auch Beherrscher der Seelen.

Brehon Morann

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|9|HAUPTPERSONEN

Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks, ihr Begleiter

AUF DER »SUMERLI«

Esumaro, Kapitän

Coros, sein Steuermann

VOR DER INSEL INIS

Olcán, Anführer der Strandräuber

Äbtissin Faife von der Abtei Ard Fhearta

Schwester Easdan

IN DER ABTEI ARD FHEARTA

Conrí, Kriegsherr des Stammes der Uí Fidgente

Socht, einer seiner Krieger

Abt Erc

Bruder Cú Mara, der rechtaire oder Verwalter

|10|der Ehrwürdige Cináed, ein Gelehrter

der Ehrwürdige Mac Faosma, ein Gelehrter

Bruder Benen, sein Student und Gehilfe

Schwester Sinnchéne

Schwester Buan, Ehefrau Cináeds

Bruder Feólaigid, der Metzger

Schwester Uallann, die Ärztin und Apothekerin

Bruder Eolas, der leabhar coimedach oder Bibliothekar

Bruder Faolchair, der Hilfsbibliothekar

Bruder Cillín, der stiúirtheóir canaid oder Chorleiter

Mugrón, ein Handelsherr

Tadcán, Herr auf Baile Tadc

IN DER FESTUNG DAINGEAN

Slébéne, Stammesfürst der Corco Duibhne

IN DEN SLIABH MÍS BERGEN

Iobcar, Sohn von Starn, dem Hufschmied

Ganicca, ein alter Mann

IN BAILE GABHAINN

Gáeth, der Schmied

Gaimredán, sein Geselle

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|11|Bréanainn (das bedeutet »Prinz«), so hieß ein Irländer im sechsten Jahrhundert, der die Abtei Ard Fhearta (Ardfert, Grafschaft Clare) gründete. Er wurde als Heiliger verehrt und ist im allgemeinen unter der lateinisierten Form seines Namens Brandanus und Brendanus bekannt, von der sich die englische Form Brendan ableitet und Breandán im neuzeitlichen Irisch.

Die Handlung des vorliegenden Romans spielt im Monat Dubh-Luacran, (dunkelste Tage), d. h. im Januar des Jahres 668 u. Z. und folgt auf den im Band »Der Tod soll auf euch kommen« geschilderten Ereignissen.

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|13|KAPITEL 1

Esumaro drehte sich um, runzelte die Stirn und wandte das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht den dunklen, bedrohlich tiefhängenden Wolken zu. Mißmutig zischte er durch die schiefstehenden, schwärzlichen Zähne und suchte festen Halt auf dem schwankenden Deck zu finden, ehe er einen kritischen Blick in die Runde wagte. Auf dem Meer rund um das behäbig breite Schiff lag der Widerschein düsterer Wolken. Die Oberfläche des Wassers war unruhig; kurze, kabbelige Wellen mit weißen Schaumkrönchen tanzten auf ihr. Soweit sich zwischen den dichten Regenschauern überhaupt etwas ausmachen ließ, wurde die See wütend und belebte sich gefährlich.

Sorgenvoll schaute Esumaro hoch zu den geblähten Segeln. Der Wind aus Nordwest nahm rasch zu, sogar der Großmast ächzte unter diesem Ansturm.

Neben der Ruderpinne stand Coros, sein Steuermann. Dem war nicht wohl zumute, und bang blickte er zum Kapitän.

»Da vorn liegt Inis Mhic Aoibhleáin«, rief er laut, um sich im Heulen des Windes und inmitten der tosenden Brecher verständlich zu machen. Mit ausgestreckter Hand wies er auf die verschwommenen Umrisse einer leicht backbord liegenden Insel, die im Regen fast verschwanden. »Der Wind drückt uns ostwärts, Käpten. Bei dem Seegang schaffen wir es nicht, |14|die Insel luvwärts zu umsegeln. Und wenn wir uns backbord halten, treibt es uns an die Klippen.«

Esumaro antwortete nicht sofort. Schon hatte das gedrungene, aus starken Planken gezimmerte Schiff sein Fahrverhalten geändert. Das Deck bäumte sich auf, als wäre es ein Pferd, das sich noch nicht an seinen Reiter gewöhnt hat. Die »Sumerli« war ein tüchtiges, hochbordiges Kauffahrteischiff aus Gallien, das schwerer See und heftigen Stürmen trotzen konnte. Sie ähnelte den Kampfbooten, mit denen sich die Veneter Aremoricas den Legionen Julius Caesars widersetzt hatten. In ihrer Bauart glich sie jenen robusten, schweren Eichenholzschiffen, die den leichteren römischen Kriegsgaleeren Tod und Verderben brachten.

Esumaro hatte sein Leben auf solchen Schiffen zugebracht. Seit zwanzig Jahren war er mit dieser Küste und ihren Gefahren vertraut, mit ihren Buchten, Landzungen und Riffen. Ihm war längst bewußt, daß sie um diese Inseln, von denen Inis Mhic Aoibhleáin die südlichste war, nicht herumkommen würden. Der Kapitän aus Gallien kannte jede Querspante und Verbindungsnut der »Sumerli«, ihre Eisenbolzen und Ketten und schweren Segel. Er spürte geradezu körperlich jedes Knarren und Ächzen, mit dem ihr Spantenwerk gegen die Wucht der Wogen aufbegehrte. Dieser Sturm, der ohne jede Vorwarnung innerhalb weniger Minuten von dem sich verdüsternden Atlantik herangebraust war, konnte sie an einer der vielen kleinen Felseninseln zu Kleinholz zerschlagen. Und mit denen war gerade dieser Küstenstrich des Königreichs Muman übersät. Die ihnen von daher drohende Gefahr war nicht zu übersehen, und er hatte sich entschlossen, den Kurs zu ändern. Coros’ Ratschläge brauchte er dazu nicht, sah aber ein, daß sein Steuermann nur seine Pflicht tat.

»Wir wenden und laufen vor dem Wind«, schrie er zurück. |15|»Wir halten uns südwärts von den Inseln und suchen Schutz in der Bucht.«

»Dann geraten wir in teuflische Gewässer, das ist die Daingean-Bai«, rief Coros.

»Weiß ich selber«, schrie Esumaro gereizt. »Ich kenn mich hier aus. Hoch bis zur Abtei Colmán werden wir die ›Sumerli‹ steuern. Ich habe da schon öfter Handel getrieben. Dort können wir unsere Ladung Wein und Silber gegen Wolle, Pökelfleisch und Otterfelle tauschen.«

Der Steuermann schaute verwundert drein.

»Aber erwartet nicht Mugrón von An Bhearbha unsere Fracht?« Gewissenhaft war Coros wie kein zweiter. »Wir können doch hier gleich eine geschützte Bucht finden und den Sturm abreiten.«

Esumaro grinste trotz des peitschenden Regens.

»Bis der aufhört zu blasen, verlieren wir Tage. Und wir würden mit dem Teufel Geschäfte machen, wenn wir versuchten, die Inseln zu umgehen; wir müßten im Land der Uí Fidgente auf ruhige See warten.« Mit Nachdruck schüttelte er den Kopf. »Glaub mir, ich kenn mich in diesen Gewässern aus. Der gute Kaufmann Mugrón kann schon mal eine ausbleibende Lieferung verschmerzen, und mit der Abtei Colmán lohnt sich’s durchaus zu handeln. Schwenk nach Steuerbord, Coros. Wir laufen vor dem Sturm in die Bucht.«

Coros reagierte ohne langes Bedenken.

»Jawohl, Käpten, Steuerbord liegt an«, brüllte er in den heftiger werdenden Wind.

Er gab den beiden Matrosen an der Ruderpinne einen Wink, denn mindestens zwei wurden benötigt, um das Schiff in der schweren See auf Kurs zu halten. Sofort zogen beide mit aller Kraft den langen hölzernen Hebel über das Deck.

Kaum hatte das Schiff seine Breitseite in die Windrichtung |16|gedreht, da traf es der Sturm mit voller Gewalt. Die Segel knatterten, und der Wind pfiff durch die Takelage.

Esumaro hielt sich auf Deck so geschickt, als befände sich das Schiff auf spiegelglatter See. Keinen Moment ließ er die schwellenden Segel aus dem Auge. Soviel stand fest, sie würden in schweres Wetter geraten, ehe sie noch in das ruhige Wasser der Bucht gelangten.

»Strecktaue längsschiffs festmachen«, brüllte er und hieß Coros nach vorn laufen, um mit Hand anzulegen.

Nun spielte der Wind wie ein Musikant auf den straff gespannten Wanten, zerrte wie ein irrer Harfenist die gestreckten Saiten. Große, graue, schaumige Wellen schlugen gegen die Backbordseite, und das Schiff krängte ein wenig, ehe es sich wieder aufrichtete. Eine Bö traf es seitwärts, und wieder krängte es. Soviel sich die Männer an der Ruderpinne auch mühten, das Schiff schwenkte unbeholfen zur Seite, das Heck hob sich schwerfällig, während der Bug sich gefährlich der Wasseroberfläche näherte. Dem Kapitän war klar, daß er Segel reffen mußte, sonst würde der zunehmende Wind sie zum Kentern bringen.

»Wir müssen das Großsegel reffen, Coros. Auf Kurs bleiben!« Der Befehl galt den Männern an der Ruderpinne. »Das Heck im Wind halten!«

Jedes Segel war in querlaufende Abschnitte unterteilt, die Reffs, die man aufrollte, wollte man die dem Wind ausgesetzte Segelfläche mindern. Jedes Reff hatte sein eigenes Band, einen verstärkten Leinwandstreifen, mit dem das Segel an die Schoten oder Stütztaue geknotet wurde.

Coros befahl, die Segel zu reffen.

Und gleich ließ der Druck spürbar nach, wenn auch der Wind immer noch durch die Seile der Takelage fuhr und sie wie Harfensaiten zum Klingen brachte. Die »Sumerli« |17|lief rasch in die breite Öffnung der Bucht. Die Küste zu beiden Seiten würde sich am Ende zu einem Trichter verengen. Hatten sie erst einmal den Felsvorsprung hinter sich, der einfach Inis, »die Insel«, hieß, würden sie in den ruhigen, windgeschützten Loch na dTri Caol kommen, durch den man den Ankerplatz der Abtei Colmán erreichte. In dem Hafen hatte Esumaro schon oft angelegt, doch nie unter sich verdüsterndem Himmel und nicht bei derartigem Sturm.

Backbords konnte der Kapitän die dunklen, gezackten Umrisse der Berge ausmachen, die sich wie das Rückgrat einer Riesenechse über die Halbinsel zogen. Auch auf der Steuerbordseite waren ähnliche dunkle Bergspitzen durch den Regen zu erkennen. Er spürte förmlich, wie die breite Öffnung der Bucht enger wurde.

Die Dämmerung des Winterabends setzte ein und schien durch die dunklen Sturmwolken unmittelbar in die Nacht überzugehen. Der Wind aber blies unvermindert, wimmerte und stöhnte in der Takelung. Das Schiff stampfte in der schweren See, und die Wogen donnerten unablässig gegen die Heckplanken. Esumaro schaute hinter sich und biß die Zähne zusammen, denn eine Welle, gewaltig wie ein schwarzer Berg, rollte auf sie zu und drohte sie zu verschlingen. Zum Glück brach sie sich unter dem Heck, hob das Schiff und stieß es vorwärts. Backbord und steuerbord trafen die Brecher aufschäumend die Felsen, die vor dem steil ansteigenden Ufer lagen. Esumaro schaute einen Moment hinüber zu den Matrosen, die blaß geworden waren und sich an die Ruderpinne klammerten. Aufmunternd lächelte er ihnen zu, obwohl ihm keineswegs so zumute war.

»Sind bald in Sicherheit«, rief er. »Vor uns sind zwei Landzungen, und dahinter kommt ruhiges Fahrwasser, da können wir beidrehen.«

|18|Plötzlich fegte brüllend eine Bö heran, es krachte, und etwas zerriß. Einen Augenblick verloren die Männer an der Ruderpinne fast den Halt, denn der Hebelbalken gebärdete sich wie wild und wollte sich losreißen. Als sie ihn wieder zu fassen bekamen, richtete sich Esumaro mühsam auf. Er war gegen die Reling geflogen, und die hatte ihn davor bewahrt, über Bord geschleudert zu werden. Einen Augenblick lang war ihm die Luft weggeblieben, nun stand er keuchend da, hustete Salzwasser und Regen aus, die er hatte schlucken müssen. Dann suchten seine Augen die Masten ab. Vom Sturmsegel waren nur noch Fetzen übriggeblieben, die an den Rahen flatterten. Das Schiff schwoite, als ob es sich wieder seewärts richten wollte.

»Beidrehen, beidrehen!« schrie Esumaro aus vollem Halse, fürchtete er doch, daß sie jeden Moment kentern könnten.

Die Leute an der Ruderpinne hatten begriffen, welche Gefahr ihnen drohte, stemmten sich mit aller Kraft dagegen, trotzten dem Toben von Wind und Meer. Die Wellen türmten sich auf, trugen noch stärkere Schaumkronen als zuvor, warfen sich mit gierigen, krallenbewehrten Tatzen gegen das Schiff. Ohrenbetäubend heulte der Sturm. Esumaro betete stumm, kalte Schauer liefen ihm über den Rücken, und er atmete nur stoßweise. Kurz schien das Schiff stillzustehen, wollte sich weder vom Wetter noch von Menschen lenken lassen, dann schwenkte sein Bug langsam und widerwillig wieder auf Kurs.

Verbissen spähte Esumaro nach vorn. Jetzt mußten sie jeden Moment an den Engpaß kommen, der von den Einheimischen »Inselspitze« oder auch »Schwarze Spitze« genannt wurde. Er wußte, da waren Sandbänke, aber bei so hoch gehender See hatte er genug Wasser unter dem Kiel, um sich hindurchzumanövrieren.

|19|»Ein Feuer rechts voraus, Käpten!« schrie Coros.

Verdutzt starrte Esumaro ins Dunkel der Regengüsse.

Er hatte geglaubt, sie wären dem Wendepunkt nahe, wo die Landzunge Inis in die Bucht ragte. Das war eigentlich ein Inselchen, das vom Festland auf der Nordseite nur bei Flut getrennt war. Er mußte sich also südwärts halten, um nicht aufzulaufen. Doch südwärts war ein Feuer, das auf und ab tanzte. Nur ein anderes Boot konnte sich so bewegen. Wieso war da ein Schiff und bei dem Wetter? Es mußte im Schutz des Südufers vor Anker liegen. War er schon zu weit südwärts?

»Steuerbords vorbei!« brüllte er schnell. »Wir passieren steuerbords!«

Sie zogen das Ruder etwas nach rechts, um das Leuchtfeuer nördlich zu umschiffen.

Wenige Augenblicke später schrie Coros entsetzt auf.

»O Gott!«

Esumaro vernahm den Schrei und sah eine weiß schimmernde Linie vor dem Bug der »Sumerli«. Es krachte fürchterlich, das Schiff drehte sich in seiner ganzen Länge, anrollende Wogen donnerten gegen die Planken der Seitenwand, trugen das Schiff seitwärts auf das flache, felsige Ufer. In dem Getöse konnte er die Angstschreie seiner Leute nicht hören, sah nur, wie einige einfach über Bord gespült wurden. Das Deck glitt ihm unter den Füßen weg, er konnte sich eben noch an die Reling klammern, sonst wäre er ihnen gefolgt.

Das Kauffahrteischiff krängte nach Backbord und lag mit der Breitseite auf den Klippen am Strand. Gewaltige Wellen krachten darüber hinweg. Die Sturzflut einer hohen Wasserwand zermalmte das hölzerne Gefährt. Planke um Planke wurde bei diesem Ansturm der Natur weggerissen. Das Deck war um fünfundvierzig Grad gekippt, noch hielt sich Esumaro mit beiden Händen an der Heckreling fest, doch begriff |20|er bereits, daß sein Schiff auf Grund gelaufen war und daß er und seine Mannschaft verloren waren.

Die See um ihn herum glich einem brodelnden Hexenkessel. Er hörte das fürchterliche Rasseln, wenn der Unterwassersog die Kiesel vom Strand zog, bevor die nächste gewaltige Woge über das Schiff hereinbrach.

Vergebens hielt er Ausschau nach Überlebenden. Der Kapitän war allein, er keuchte, flehte Gott um Hilfe an, wußte, da war keine Chance, lebend davonzukommen. Das Schiff würde völlig auseinanderbrechen, soviel war sicher. Lange würde er sich auch nicht mehr an der Eisenstange halten können. Die Arme schmerzten bereits, wenn er sich festklammerte, um der Wucht der Wasserkaskaden zu widerstehen, die über ihn stürzten. Die verkrampften Muskeln in Oberarmen und Schultern ließen ihn jedesmal vor Schmerz aufschreien. Ihm blieb nur noch eins. Sobald die nächste Welle zurückrollte, würde er übers Deck rutschen und sich auf den Kieselstrand fallen lassen, würde sich irgendwie aufrappeln müssen und zum Ufer rennen, ehe die folgende Woge zuschlug. Wieviel Zeit ihm dazu blieb, vermochte er nicht einzuschätzen. In der Dunkelheit konnte er nicht einmal ausmachen, wie hoch das Wasser auflief.

Esumaro waren Heimweh und sentimentale Gefühle fremd, doch jetzt sah er Frau und Kinder in seinem Heimathafen An Naoned vor sich, und er schluchzte laut. Aber Selbstmitleid nützte nichts, selbst eine Ratte kämpfte, wenn sie in Gefahr war zu ertrinken. Er mußte kämpfen, egal wie es ausging.

Sobald er hörte, wie der Sog unter ihm mit den Kieseln rasselte, ließ er die Reling los und rutschte über das schiefstehende Deck. Zwar mühte er sich, sein Abwärtsgleiten zu bremsen, schlug aber am anderen Ende schmerzhaft mit einem Knie gegen die Reling. Er sprang über Bord und |21|landete auf allen vieren im Kies am Ufersaum. Nackte Furcht trieb ihn vorwärts. Er richtete sich auf, stolperte durch die nassen, glitschigen Kiesel, die erbarmungslos an seinen Fußgelenken zerrten und sie nicht losließen. Mehrmals schlug er hin, doch die Angst saß ihm im Nacken und peitschte ihn voran. Schon vernahm er das Tosen der anrollenden Welle, hörte, wie die Planken des Schiffes weiter brachen.

Er bezwang sich, schaute nicht nach hinten, spürte aber, daß die Welle nah war. Vor ihm tauchte eine Felsnadel auf, er warf sich der Länge nach hin, umschlang sie mit beiden Armen, als hätte er nach langer Trennung seine Liebste vor sich. Dann brachen die tosenden, schäumenden Wasser über ihn herein. Es schien ihm eine Ewigkeit, wie lange sie über ihm brodelten, und ihm ging die Luft aus. Er wollte schon die sich ineinanderklammernden Hände lösen und auftauchen, da spürte er den starken Sog des zurückgehenden Wassers. Der zerrte an ihm, wollte seine Hände auseinanderreißen. Alle Kraft, die ihm blieb, lenkte er darauf, die Finger fest ineinanderzuhaken. Mit einemmal war das Wasser fort, er hörte nur noch das unheimliche Rollen und Rascheln der Kieselsteine, die die abebbende Flut mit sich schleifte.

Esumaro keuchte, spuckte Wasser, stöhnte unwillkürlich in seiner Angst. Er kam auf die Knie, suchte sich zu vergewissern, wo er war, kroch aufs Ufer zu. Um ihn herum nur große Felsblöcke; auf allen vieren krabbelte er weiter hoch. Die nächste Woge rauschte heran, doch zum Glück spürte er jetzt Sand unter sich und sogar Gras. Trotzdem gönnte er sich keine Verschnaufpause, humpelte weiter, bis ein Dornbusch ihn zurückriß. Mitten in dem Gesträuch fiel er hin und wurde ohnmächtig.

Es war noch dunkel, als er zu sich kam, aber der Wind schien abzuflauen. Er hörte Donnergrollen in der Ferne, und |22|Blitze erleuchteten die Gipfel der nahen Berge. Esumaro hob vorsichtig den Kopf und blinzelte mehrmals, um klar sehen zu können. Er war bäuchlings gefallen und hatte mit dem Gesicht nach unten in einem Gestrüpp gelegen. Aus der Ferne drangen Stimmen an sein Ohr. Er wollte aufstehen, hatte aber nicht die Kraft dazu.

So stützte er sich auf die Ellbogen, schob sich langsam in eine bessere Position und schaute in Richtung des dunklen, tobenden Meeres. Er befand sich auf einer grasbewachsenen Kuppe oberhalb eines langgestreckten Strandes mit schwach schimmerndem weißen Sand. Einige Männer gingen umher und hielten Laternen hoch, um die Gegend abzusuchen. Der Uferstreifen war mit Schiffstrümmern und Toten übersät. Nach rechts, wo er ans Ufer gelangt war, stieg die Küste an. Der Strand war durch vorgelagerte Riffe geschützt, und gegen die hatte das Unwetter die »Sumerli« geschmettert.

Mit heftigen Kopfbewegungen versuchte er, die Benommenheit abzuschütteln. Er wollte schon rufen, um sich den Männern unten am Strand bemerkbar zu machen. Da hörte er eine Stimme, die etwas in der Sprache der Éireannach rief, die er während all der Jahre gelernt hatte, in denen er mit ihnen Handel trieb.

»Der hier lebt noch, Olcán.«

Im Laternenlicht sah Esumaro, wie ein Mann eine schwere Holzkeule hob.

»Wartet!« Eine weitere Person tauchte auf, die eine Laterne in einer Hand hielt. »Richtet ihn mal auf!«

Mehrere Gestalten bückten sich und zerrten einen Mann hoch und in den Schein der Laternen. Das Gesicht des Schiffbrüchigen konnte Esumaro nicht sehen, doch es mußte jemand von seiner Mannschaft sein.

|23|»Verstehst du mich?« hörte er den Mann fragen, den sie Olcán nannten.

Der Überlebende hustete und suchte die Sprache wiederzufinden. Offenbar hatte er angedeutet, daß er ihn verstand, denn wieder fragte Olcán.

»Was für ein Schiff?«

Schweigen. Ungeduldig wurde die Frage wiederholt.

»Die ›Sumerli‹, von Gallien.«

Erregt und verwirrt erkannte Esumaro Coros’ Stimme.

»Gallien? Ein Handelsschiff?«

»Ja, sind von An Naoned aus gesegelt.«

»Welche Ladung?«

»Wein, Gold und Silber für die Goldschmiede in den Klöstern.«

Jubelnd lachte Olcán auf, daß es Esumaro kalt überlief.

»Prachtvoll. Erschlag ihn!«

Die Keule fuhr nieder, und der Mensch, der Coros war, sackte lautlos auf dem Strand zusammen.

»Sobald es hell wird, bergen wir die Ladung und schaffen, was brauchbar ist, in den Turm. Was sagt er, Gold und Silber? Da hätten wir ja einen Glückstreffer gelandet.«

Einer der Leute rief noch: »Soll ich die Laterne vom Pferd nehmen?«

»Ja, kannst du. Der Klepper war gut, hat uns das Schiff ans Ufer gelockt.«

»Wo hast du den Trick her?« Der Mann, der den armen Coros erschlagen hatte, schien damit beschäftigt, das Blut von seiner Keule im Sand abzureiben.

»Trick? Eine am Kopf eines Pferdes befestigte Laterne, die auf und nieder schwankt, kann man im Dunkeln leicht für eine Schiffslaterne halten. Na ja, ist ein ganz guter Trick. Hab ich vom Meister. Achte drauf, daß die Leute alles, was sie finden, |24|im Turm verstauen. Sobald der Morgen dämmert, müssen wir von hier abhauen. Die Beute können wir uns später holen.«

»Warum können wir nicht hier bleiben und die Sache gleich ordentlich bereinigen?« muckte einer der Männer auf.

»Willst du die Befehle des Meisters in Frage stellen?« fuhr ihn Olcán an.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Aber warum …?«

»Weil wir einen Treff am Küstenweg haben. Der Meister wird bald hier sein. Will sich davon überzeugen, daß wir die Verabredung einhalten. Los jetzt, bringt das Strandgut in die Burg und ruht euch eine Weile aus. Es wird bald Tag, und wir haben einen langen Ritt vor uns.«

Er wendete sich zum Gehen, doch einer aus seiner Bande hielt ihn zurück.

»Müßten wir hier nicht noch alles nach weiteren Überlebenden absuchen?«

Lachend wehrte Olcán ab.

»Die wenigen, die am Leben geblieben sind, werden sich auf diesen günstigen Strich Sandstrand gerettet haben. Das ist die einzige Stelle, wo man mit einigem Glück an Land kann. Alle anderen werden die Wellen auf die Klippen geschleudert haben, die sind mausetot. Überlebende gibt es nicht, das kannst du vergessen. Und sollte doch einer davongekommen sein, den finden wir, sobald es hell wird.«

Entsetzt kroch Esumaro weiter ins dichte Unterholz, spürte nicht einmal die stachligen Brombeerzweige. Er versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, wäre am liebsten ganz im Erdboden versunken. Ein Blick zum Himmel weckte seine Energie. Er mußte von hier fort, noch ehe die Kerle da die Gegend nach Überlebenden absuchten. Die würden ihn genauso kaltblütig umbringen wie den armen Coros.

|25|Es wurde schon hell, als Esumaro wieder zu sich kam. Verschwommen erinnerte er sich, daß er im Dunkeln davongehastet war, hinter Schilfbüscheln und Buschwerk Schutz gesucht hatte, durch eine überschwemmte sandige Senke gewatet war. Schiere Angst hatte ihn vorwärtsgetrieben, Angst vor denen, die seinen Steuermann Coros erschlagen und seine ganze Mannschaft zu Tode gebracht hatten. Allmählich begriff er, daß Schurken in voller Absicht sein Schiff hatten stranden lassen. Nur wegen der zu plündernden Fracht. Was für Barbaren lebten in diesem gottverlassenen Landstrich! Empörung und Wut mischten sich in seine Furcht, spornten ihn an, so weit wie möglich von dieser schaurigen Küste wegzukommen, ehe die Sonne aufging. Coros’ Schicksal wollte er auf keinen Fall erleiden. Wenn die Angst nachließ, so schwor er sich, würde er Helfer finden, um an den elenden Schuften Rache zu nehmen, die dieses entsetzliche Verbrechen begangen hatten.

Grelles Licht blendete ihn. Seine Kleider waren gefroren. Es dauerte, bis er begriff, was ihn so blendete: Er lag auf einer ausgedehnten Schneefläche. Sogar die Äste der Bäume bogen sich unter der weißen Last. Er fühlte sich schwach und fror erbärmlich. Als er stöhnend versuchte, sich zu bewegen, drang der aufgeregte Ruf einer Frau an sein Ohr.

»Ich glaube, er lebt, Ehrwürdige Mutter.«

Esumaro blinzelte gegen das gleißende Weiß und strengte sich an, klar zu sehen. Das schmerzte.

Eine junge Frau beugte sich über ihn. Unter einem schweren Pelzumhang trug sie die braune Wollkutte einer Ordensschwester. An einer Lederschnur hing ein Metallkreuz von ihrem Hals.

Ein paar Schritte weiter standen sechs Frauen, die ebenso gekleidet waren und beunruhigt zu ihm herüberschauten. Die meisten waren jung.

|26|Die eine, die bei ihm war, wandte sich um und rief ihnen fast freudig zu: »Wirklich, er lebt!«

Esumaro versuchte, sich aufzurichten und auf einen Ellenbogen zu stützen. Eine der abseits Stehenden, eine großgewachsene, gutaussehende Frau in mittleren Jahren, kam zu ihrer jungen Gefährtin herüber und betrachtete ihn. Ihr Kreuz war kunstvoller, sie lächelte und beugte sich herab.

»Wir glaubten, du bist tot«, sagte sie einfach. »Wieso liegst du hier draußen mitten im Schneetreiben? Bist du krank? Deine Kleidung ist steif vor Nässe und zerrissen. Haben dich Räuber überfallen?«

Esumaro hatte Mühe, ihr zu folgen. Sie sprach schnell und sehr deutlich.

»Mir … mir ist furchtbar kalt«, brachte er heraus.

Die Frau zog die Brauen zusammen. »Deine Sprache klingt seltsam. Du bist wohl nicht von hier?«

»Ich … ich komme aus Gallien, Ehrwürdige Schwester«, stammelte er.

»Gallien liegt ziemlich weit weg. Wenn mich der Schein nicht trügt, bist du gekleidet wie ein Seemann.«

»Ich bin …«, Esumaro preßte plötzlich die Lippen zusammen. Ihm fiel ein, daß jeder in diesem Land als möglicher Feind anzusehen war, solange man es nicht besser wußte.

»Was treibt dich hier um?« fuhr die Frau fort. »So im Schnee kann man leicht erfrieren.«

»Ich war auf einer Wanderung, da hat mich Erschöpfung übermannt.«

»Du bist gewandert?« Die Frau schaute auf seine Füße und schmunzelte.

Esumaro sah an sich herunter und wurde gewahr, daß er nur einen Seemannsstiefel trug. Wann er den anderen verloren |27|hatte, daran erinnerte er sich nicht, vielleicht war das geschehen, als er von dem Wrack loskam oder auch erst später.

Rasch stellte er eine Gegenfrage: »Was tust du hier, Ehrwürdige Schwester? Wer bist du?«

»Ich bin die Äbtissin Faife vom Kloster Ard Fhearta. Wir sind alle vom Kloster Ard Fhearta. Wir sind auf unserer jährlichen Pilgerfahrt zur Kapelle des Gründers unserer Abtei auf dem Bréanainn-Berg.«

Mißtrauisch blickte Esumaro zu ihr auf. »Ard Fhearta liegt doch im Norden hinter diesem Bergrücken. Den Bréanainn habe ich draußen auf See ausmachen können, der ist auch auf der Nordseite dieser Halbinsel. Hier aber sind wir auf dem Südufer.«

Äbtissin Faife wunderte sich zwar, ließ sich aber nichts anmerken. »Für einen Seemann aus Gallien – du bist ja wohl einer – kennst du dich gut aus in dem Gebiet hier. Doch recht zu trauen scheinst du uns nicht. Wir haben zwei Nächte im Kloster Colmán verbracht, wir hatten da etliches zu bereden. Jetzt wandern wir nach Westen auf den Bréanainn. Was macht dich so mißtrauisch?«

Esumaro fühlte sich leidlich beruhigt.

»Tut mir leid, Ehrwürdige Schwester«, lenkte er von ihrer Frage ab. »Ich friere und bin hungrig und sehr erschöpft. Verzeih mir, daß ich so frei heraus frage. Gibt es hier irgendwo eine trockene Unterkunft, wo ich mich ausruhen kann?«

»Hinter uns, nicht weit von hier, ist eine Schutzhütte. Wir können dir etwas zu essen und einen trockenen Umhang dalassen – ja, sogar Schuhe. Die Feuerstelle wird noch warm sein, eben haben wir dort gerastet. Als wir von der Abtei Colmán aufbrachen, war es noch völlig dunkel. Wirst du aufstehen und gehen können?«

Die Äbtissin beugte sich zu ihm und half ihm auf. Esumaro |28|kam auf die Beine, es schmerzte fürchterlich. Unsicher wankte er hin und her, bis er schließlich sein Gleichgewicht gewann. Die junge Frau neben ihm faßte ihn am Arm und stützte ihn.

»Und in welcher Richtung liegt die Abtei?« stieß er keuchend hervor.

»Da im Osten, gar nicht so weit von hier, aber du mußt um die Bucht herum.« Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung. »Weit wandern kannst du ohnehin nicht in deinem Zustand.«

»Danke sehr. Ich werde mich eine Weile ausruhen und mich dann auf den Weg in die Abtei machen.«

»Du mußt dich aufwärmen, trockene Sachen anziehen und was essen. Komm mit, wir schaffen dich in die Hütte, da kannst du erst mal dein nasses Zeug abstreifen.«

Esumaro machte eine erschrockene Miene, und die Nonne lächelte.

»Keine Sorge. Wir haben einen Packen mit Kleidung und Schuhen bei uns für Bruder Maidú, der die Kapelle auf dem Bréanainn versorgt. Der hat ungefähr deine Statur, und seine Kutte wird dir genau passen, wenn du nichts dagegen hast, eine Weile ein Mönchsgewand zu tragen.«

Äbtissin Faife wandte sich zum Gehen. Gemeinsam mit ihrer jungen Gefährtin half sie Esumaro, ein kurzes Stück über die Schneefläche zu humpeln. Nicht lange, und sie führten ihn auf eine kleine, altertümliche, wie ein Bienenkorb geformte steinerne Behausung zu. Ihm fiel ein, daß die Leute in dieser Gegend so ein Obdach coirceogach nannten. Sie stand etwas höher zwischen Bäumen versteckt und war von dem Hauptweg, auf dem sie ihn gefunden hatten, kaum zu sehen. Nur aus dem ringsum zertretenen Schnee ließ sich herleiten, daß vor kurzem jemand hier gewesen war. Auch der Rauch, der sich aus dem kegelförmigen Dach kringelte, verriet das. Die Äbtissin hatte also recht.

|29|Im Handumdrehen wurde wieder ein tüchtiges Feuer entfacht. Der bejammernswerte Seemann befreite sich in der wohltuenden Wärme von den naßkalten Fetzen seiner Bekleidung, und aus den Packen, die die jungen Ordensschwestern trugen, reichte man ihm trockene wollene Sachen. Die Äbtissin hatte ihn richtig eingeschätzt; die Kutte paßte, war warm, es gab nichts daran auszusetzen. Sobald er sich umgezogen hatte, gab ihm die junge Frau, die ihm behilflich war, Branntwein zu trinken und versorgte ihn mit Brot, Käse und Fleisch. Esumaro bekundete mehrfach seine Dankbarkeit dafür, doch ihm fielen die Augen zu, und er konnte gegen die Müdigkeit nicht ankommen.

Er versank in einen kurzen Schlaf. Als Kapitän war er gewöhnt, an Bord immer nur kurz zu schlummern. Nach vielleicht einer Stunde hob er den Kopf, rieb sich die Augen und schaute umher. Zu seiner Überraschung saßen die frommen Schwestern noch am Feuer.

Die junge Frau, die ihn entdeckt hatte, war neben ihm und lächelte sanft.

»Wir hielten es für besser, zu bleiben, bis du aufwachst«, erklärte sie ihm. »In den Wäldern hier treiben sich Wölfe herum.«

Die Äbtissin setzte sich zu ihnen.

»Jetzt bin ich ausgeruht und munter«, versicherte er und richtete sich auf.

»Fühlst du dich jetzt wirklich gut?« erkundigte sie sich. »Ruh dich nur noch eine Weile aus, wenn dir danach ist, aber schlaf nicht ein, es sei denn, du hast keine Schwierigkeiten, jederzeit wach zu werden. Wölfe gibt es hier tatsächlich, wie Schwester Easdan gesagt hat. Die Strecke bis zur Abtei dürfte dir keine besondere Mühe bereiten. Wir jedenfalls müssen jetzt weiter westwärts ziehen, sonst erreichen wir unser Ziel nicht mehr vor Sonnenuntergang.«

|30|»Mir geht es schon viel besser«, behauptete Esumaro ernsthaft. »Ich fühle mich kräftig genug. Mich bedrückt nur, daß ich dir deine Freundlichkeit nicht entgelten kann. Weißt du, ob ich beim Kloster Colmán ein Schiff aus Gallien erreichen würde?«

Äbtissin Faife zuckte die Achseln. »Als wir dort waren, haben wir keine großen Schiffe gesehen. Und der Verwalter der Abtei hat uns erzählt, daß dort schon seit Wochen kein Schiff angelegt hat. Das schien ihm Sorgen zu machen. Die Abtei ist schließlich auf den Seehandel angewiesen«, fügte sie hinzu. Wie sollte sie ahnen, daß ihr Schützling das besser als kein anderer wußte.

Er wollte sie noch etwas fragen, doch da vernahm er das Getrappel galoppierender Hufe. Sie blickten aus der Türöffnung der Steinhütte. Auf dem Weg unter ihnen preschten einige Reiter dahin. Einer von ihnen schrie plötzlich etwas und deutete nach oben. Sofort machte der Trupp kehrt, und wenige Augenblicke später hatte ein Dutzend grobschlächtiger Krieger mit gezogenen Schwertern die Raststätte der Pilger umzingelt. Ihre Pferde stampften unruhig den Boden und schnoben heißen Atem aus den Nüstern. Esumaro wurde gewahr, daß sich zwischen ihnen eine kleinere Gestalt befand, die von Kopf bis Fuß in ein graues Gewand gehüllt war, so daß kein Teil des Körpers sichtbar wurde. Die Kapuze war völlig über den Kopf gezogen. Die Gestalt war offenbar von schlankem Wuchs und hatte rundliche Schultern.

Die Äbtissin trat heraus und musterte sie verärgert. »Was sucht ihr hier?« verlangte sie mit fester Stimme.

Der Befehlshaber des Trupps, ein ungeschlachter Kerl mit strubbligem schwarzen Bart und einer Narbe über der Stirn lachte trocken auf.

»Dich suchen wir, Weib, und deine fromme Brut. Unser |31|Meister braucht euch, und deshalb werdet ihr jetzt mit uns ziehen.«

Esumaro überlief es kalt. Er erkannte die Stimme, das war der Anführer der Strandräuber, denen er entkommen war. Wie hieß er doch gleich? Richtig, Olcán!

»Wir dienen nur einem Meister, das ist Jesus Christus«, erwiderte die Äbtissin. »Wir sind auf Pilgerfahrt zum …«

»Ich weiß, wohin ihr zu gelangen glaubt, Weib«, fauchte der Kerl. »Aber ich weiß auch, daß euch ein anderes Ziel bestimmt ist. Bald werdet ihr einem anderen Meister dienen«, scherzte er unheilverkündend. »Los, kommt jetzt! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Die Äbtissin ließ sich nicht einschüchtern. »Ich bin die Äbtissin Faife des Klosters Ard Fhearta. Steckt eure Schwerter weg und zieht hin in Frieden. Wir brechen jetzt zur Kapelle auf dem Bréanainn-Berg auf und …«

Esumaro bemerkte, daß der Schwarzbart zu der schmächtigen Gestalt in der grauen Kutte schaute. Fast unmerklich bewegte das rätselhafte Wesen den in der Kapuze verborgenen Kopf.

Dann geschah etwas ohne jede Vorwarnung, und zwar sehr rasch. Der bärtige Anführer beugte sich auf dem Sattel nach vorn und stieß sein Schwert der Äbtissin ins Herz.

Sie war auf der Stelle tot; auf ihrem Gesicht malte sich so etwas wie Überraschung. Noch während sie zu Boden sank, herrschte der Schurke die vor Entsetzen gelähmten Begleiterinnen der Äbtissin an.

»Will sich sonst noch wer mit mir streiten? Packt eure Bündel und geht vor uns her, oder ihr bleibt hier bei eurer Äbtissin … und gesellt euch im Jenseits zu ihr.«

Die junge Schwester, die sich um Esumaro bemüht hatte, warf sich neben der ermordeten Äbtissin auf die Knie.

|32|»Erstochen hast du sie«, schluchzte sie und fühlte vergeblich nach einem Puls. »Warum hast du sie ermordet? Was für ein abscheulicher Mensch bist du? Wer bist du überhaupt?«

Drohend holte der Mann wieder mit dem Schwert aus. »Du stellst zu viele Fragen, Weibsbild. Willst du wirklich hier neben ihr liegenbleiben?«

Esumaro sprang vor, hielt die Hand hoch, als wollte er damit den Schwerthieb abfangen. Ebenso schnell beugte er sich hinunter und half der jungen Frau auf.

»Jetzt ist nicht die Zeit zu jammern und Klage zu erheben. Nicht, wenn du am Leben bleiben willst«, raunte er ihr zu.

Sie stutzte, warf einen Blick auf den sie bedrohenden Reiter, schaute Esumaro an, nickte und gewann ihre Fassung wieder. Ihren zusammengepreßten Lippen konnte man entnehmen, welche Kraft sie das kostete. Während sie vorgab, sich zu erheben, streckte sie die Hand aus, berührte die Brust der Äbtissin. Nur Esumaro sah, wie ihre Finger sich um das Lederband schlangen, an dem das Kreuz der Äbtissin hing, und es mit raschem Ruck zerrissen. Beim Aufstehen klammerte sie sich an seinen Arm und drückte ihm das Kreuz in die Hände.

»Werd lieber einer von uns, bis wir wissen, was das alles soll«, murmelte sie kaum hörbar. Esumaro staunte, wie rasch das Mädchen die Lage einschätzte.

Kaum hatte er das Kreuz an sich gepreßt, blaffte ihn der Bandenführer an: »He, du! Den Kerl da, mein ich.«

Mit zusammengekniffenen Augen wandte sich Esumaro nach ihm um.

»Wer bist du?« Der Anführer betrachtete ihn mißtrauisch. »Du bist doch nicht einer von den Ordensleuten von Ard Fhearta. Ich hab nichts davon gehört, daß ein Glaubensbruder diese Schar Gänse begleitet.«

|33|Esumaro überlegte und blickte verstohlen zu der schweigsamen Gestalt unter dem grauen Habit.

»Also … ich bin … Bruder Maros und begleite diese Glaubensschwestern zu den Vigilien in der Kapelle auf dem Bréanainn-Berg.«

»Und warum trägst du euer Zeichen des Glaubens nicht auf deiner Kutte?«

Esumaro zögerte kurz und hielt dann das Kruzifix hoch, das ihm die flinke Nonne zugesteckt hatte.

»Ich war gerade dabei, das Band neu zu knoten, als du und deine Mannen uns überfielen. Gestattest du, daß ich es mir wieder umhänge?«

»Aus dieser Gegend bist du wohl nicht, wie?« Esumaros Akzent hatte den Fragenden erst recht argwöhnisch gemacht.

»Als Brüder des wahren Glaubens ist es unsere Pflicht, in der Welt umherzuziehen auf der Suche nach zu rettenden Seelen«, hub Esumaro an und hoffte, er habe den ehrfürchtig salbungsvollen Ton getroffen.

Trotzig blitzte es in den Augen der jungen Schwester, als sie ihm zu Hilfe kam. »Bruder Maros hat sich uns in der Abtei Colmán angeschlossen. In den Klöstern Galliens wird er als berühmter Gelehrter geachtet.«

Der Berittene runzelte ungläubig die Stirn und schien wieder auf eine Weisung der Gestalt in Grau zu warten.

»Aus Gallien? Und wie bist du in die Abtei Colmán geraten? Schon seit Monaten hat dort kein Schiff mehr angelegt.«

»Ich bin im Hafen von Ard Mór im Süden an Land gegangen und wandere bereits seit einigen Monaten in eurem Königreich umher. Wie hätte ich sonst eure Sprache so gut erlernen können?«

Sein Gegner dachte nach, warf wieder einen Blick auf die |34|verhüllte, schmächtige Gestalt und zuckte die Achseln. Die Antwort schien ihm logisch, befriedigte ihn aber nicht vollends.

»Du trägst doch keine Tonsur. Alle Mönche haben Tonsuren.«

Die junge Nonne fiel ihm ins Wort: »Bruder Maros ist ein Jünger des heiligen Budoc von Laurea, eines Gelehrten, der in seinem Land hoch verehrt wird. Seinen Anhängern wird nicht die Tonsur geschoren.«

Der Krieger schaute finster drein; ihn ärgerte ihre Keckheit. »Kann er nicht selber antworten?« schnaubte er.

»Doch, kann ich«, stellte sich Esumaro schützend vor sie. »Es ist, wie meine Schwester im Glauben, Schwester Easdan, sagt. Ich gehöre der Bruderschaft des heiligen Budoc an.« Er war froh, behalten zu haben, wie die Äbtissin ihre Gefährtin angeredet hatte.

Der schwarzbärtige Wüstling grunzte, schien noch etwas sagen zu wollen und schaute wieder zu der unkenntlichen Gestalt. Irgendwie verständigten sie sich, denn er wandte sich um und winkte dem Trupp, ihm zu folgen.

»Vorwärts jetzt, und daß mir keiner redet«, rief er. »Vergeßt nicht, an euch liegt’s, ob ihr überlebt oder sterbt. Meine Leute sind wachsam.«

Esumaro warf Schwester Easdan einen Blick zu, der ihr, wie er hoffte, seine Dankbarkeit bekundete. Er würde sie fragen müssen, wer dieser Budoc war. Doch auf was hatte er sich da eingelassen? Gott im Himmel! In was für eine Mördergrube war er geraten?

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|35|KAPITEL 2

Es war noch dunkel, als Abt Erc sein warmes Gemach in der großen Abtei von Ard Fhearta verließ. Er hatte sich den wollenen Mantel über die gebeugten Schultern geworfen und machte sich auf den Weg durch das vallum monasterii. Trotz der Dunkelheit konnte er die tiefhängenden Wolken am Himmel erkennen; feiner Eisregen sprühte ihm ins Gesicht. Noch etliche Stunden würden vergehen, bis die Wintersonne aufging, doch schon bald würde das Läuten der Glocke den Beginn eines neuen Tages verkünden und die Klostergemeinde wecken. Für den alten Abt war es ein besonderer Tag, war es doch das Fest der heiligen Íte, »der strahlenden Sonne der Frauen von Muman«, die Bréanainn, den Gründer von Ard Fhearta, aufgezogen und unterwiesen hatte. Heute würde man in der kleinen Kapelle ganz besondere Gebete sprechen, denn der Überlieferung nach war es hier gewesen, daß Bréanainn zum ersten Mal den Männern und Frauen, die er an diesem Ort zusammengerufen hatte, die drei Grundlehren von Íte predigte. Wie Íte, so hatte auch er sie ermahnt, ein reines Herz zu bewahren, ein genügsames Leben zu führen und edelmütig im Umgang miteinander zu sein. Seither lebte man in einem Männer und Frauen arbeiteten einträchtig im Dienst des Neuen Glaubens.

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