Trauernde Jugendliche in der Schule - Stephanie Witt-Loers - E-Book

Trauernde Jugendliche in der Schule E-Book

Stephanie Witt-Loers

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Beschreibung

Der Themenbereich Sterben, Tod und Trauer findet in der Schule viel zu wenig Beachtung. In der Ausbildung kommt das Thema nicht vor, im Alltag jedoch immer wieder. Tritt der Krisenfall ein, sind Menschen oft überfordert und handlungsunfähig. Damit dies nicht so bleibt, zeigt die Autorin Möglichkeiten auf, wie man sich gegenüber trauernden Jugendlichen in der Schule verhalten kann .Um die Jugendlichen besser verstehen zu können, gibt das Buch einen hilfreichen Überblick über die Trauerprozesse und Trauerreaktionen und unterstützt bei der Entwicklung individueller Trauerverarbeitung. Zusätzlich werden mögliche Trauersituationen in der Schule und die entsprechenden Handlungsoptionen für die Praxis aufgezeigt. Dazu zählen u.a. Beispielbriefe, die nach einem Trauerfall an Angehörige, Schüler und Eltern geschrieben werden sollten. Auf diese Weise werden Lehrende beim Umgang mit diesem so wichtigen Thema unterstützt.Der Titel ist auch als Schullizenz erhältlich! Um die Jugendlichen besser verstehen zu können, gibt es einen hilfreichen Überblick über die Trauerprozesse und Trauerreaktionen und unterstützt bei der Entwicklung individueller Trauerverarbeitung. Zusätzlich werden mögliche Trauersituationen in der Schule und die entsprechenden Handlungsoptionen für die Praxis aufgezeigt. Dazu zählen u.a. Beispielbriefe, die nach einem Trauerfall an Angehörige, Schüler und Eltern geschrieben werden sollten. Auf diese Weise werden Lehrende beim Umgang diesem so wichtigen Thema unterstützt. Um die Jugendlichen besser verstehen zu können, gibt es einen hilfreichen Überblick über die Trauerprozesse und Trauerreaktionen und unterstützt bei der Entwicklung individueller Trauerverarbeitung. Zusätzlich werden mögliche Trauersituationen in der Schule und die entsprechenden Handlungsoptionen für die Praxis aufgezeigt. Dazu zählen u.a. Beispielbriefe, die nach einem Trauerfall an Angehörige, Schüler und Eltern geschrieben werden sollten. Auf diese Weise werden Lehrende beim Umgang diesem so wichtigen Thema unterstützt. Um die Jugendlichen besser verstehen zu können, gibt es einen hilfreichen Überblick über die Trauerprozesse und Trauerreaktionen und unterstützt bei der Entwicklung individueller Trauerverarbeitung. Zusätzlich werden mögliche Trauersituationen in der Schule und die entsprechenden Handlungsoptionen für die Praxis aufgezeigt. Dazu zählen u.a. Beispielbriefe, die nach einem Trauerfall an Angehörige, Schüler und Eltern geschrieben werden sollten. Auf diese Weise werden Lehrende beim Umgang diesem so wichtigen Thema unterstützt.

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Stephanie Witt-Loers

Trauernde Jugendliche in der Schule

2., durchgesehene Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99729-2

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Marius Graf / fotolia.com

© 2015, 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort

Mein Bruder ist gestorben – Erfahrungen einer Schülerin

1 Sterben, Tod und Trauer in der Schule

1.1 Umgang mit Tod und Trauer in der Schule

1.2 Schwierigkeiten im Umgang mit Tod und Trauer

1.3 Chancen der Auseinandersetzung

1.4 Entwicklung von Jugendlichen

1.5 Präventive Maßnahmen und Projekte

2 Trauerprozesse und Trauerreaktionen

2.1 Trauer

2.2 Trauer Jugendlicher

2.3 Trauermodelle

2.4 Traueraufgaben

2.5 Mediatoren der Trauer

2.6 Trauerreaktionen

3 Die Begegnung mit trauernden Jugendlichen

3.1 Persönliche Grundhaltung

3.2 Kommunikation

3.3 Orientierungshilfen in der Begleitung

4 Mögliche Trauersituationen in der Schule

4.1 Traumatische Trauer

4.2 Tod eines nahe stehenden Menschen

4.3 Tod eines Mitschülers oder Lehrers

4.4 Tod nach längerer Krankheit

4.5 Plötzlicher Tod

4.6 Suizid

5 Handlungsoptionen für die Praxis

5.1 In akuten Situationen

5.2 Überbringen der Todesnachricht

5.3 Beispielbriefe nach einem Todesfall

5.4 Anregungen für einen Elternabend

5.5 Notfallkoffer

5.6 Kreative Gestaltungsmöglichkeiten

5.7 Trauerrituale und Trauerorte

5.8 Didaktisch-methodische Impulse, Literatur, Musik, Internethinweise und Kontaktstellen

6 Dank

Vorwort

Dies ist ein wichtiges Buch – es handelt vom Umgang mit Jugendlichen nach dem Tod eines Angehörigen oder Klassenkameraden. Das ist ein schwieriges Thema, zum einen, weil es unangenehm ist, sich präventiv mit dem Thema Tod und Verlust auseinanderzusetzen, zum anderen, weil das Thema Tod und Verlust so gar nicht zu einer lebensfrohen Haltung passen will, die wir als Eltern oder Pädagogen unseren Kindern und Jugendlichen vermitteln wollen. Tod, Verlust und dadurch erfahrenes Leid sind zudem Themen, die in der gegenwärtigen Gesellschaft wenig Platz finden. Wenn aber solche Ereignisse stattfinden, reagieren viele hilflos, rufen schnell nach professioneller Hilfe oder reagieren übertrieben mit irgendwelchem Aktivismus. Diese Haltung verstärkt sich, wenn die Zielpersonen Jugendliche oder Kinder sind. Ich habe selbst erlebt, dass sich Eltern und andere Erziehungsberechtigte aktiv dagegen gewehrt haben, dass wir Kinder und Jugendliche zu ihren Trauerreaktionen befragen wollten; offensichtlich herrscht weithin die Annahme, dass Kinder und Jugendliche sich möglichst wenig mit dem Verlust konfrontieren sollten, weil sie sonst einen Schaden nehmen würden, Stichwort »Retraumatisierung«.

Das vorliegende Buch von Frau Stephanie Witt-Loers ist hervorragend dazu geeignet, sich dieser Vorurteile zu entledigen. Klar geschrieben wird den Lesern vermittelt, dass Jugendliche sehr gut mit solchen Erfahrungen umgehen können. Allerdings brauchen sie dazu eine unterstützende Haltung, manchmal auch eine Anleitung, manchmal schlicht nur die Information, dass das, was sie gerade erleben, normal ist und keineswegs ein Anzeichen dafür, dass sie »durchdrehen« oder bereits »verrückt« geworden sind. Die Nachricht, dass ein Elternteil, ein Geschwister oder ein nahestehender Klassenkamerad ums Leben gekommen ist, sich vielleicht sogar suizidiert hat, wird zunächst nicht verstanden. Jugendliche unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von anderen Betroffenen: Hier mit Verständnis zu reagieren, gerade wenn man selbst betroffen ist, erfordert nicht nur ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, sondern auch Fachwissen. Dieses Fachwissen wird in dem vorliegenden Buch auf eine Weise vermittelt, die weder belehrend noch moralisierend ist, sondern unmittelbar praxisbezogen daherkommt. Es handelt sich im besten Sinn weder um ein »Fachbuch« noch um einen Ratgeber im üblichen Sinn: Vielmehr handelt es sich um ein Handbuch im Umgang mit extremen Situationen im Schulalltag. Auf geradezu erfrischende Art wird vermittelt, welche Reaktionen für Jugendliche typisch und in welchen unterschiedlichen Lebenswelten sie zuhause sind. Kinder und Jugendliche können auf andere verständnisvoll, aber auch sehr grausam reagieren, Trauer und Leid können soziale Ausgrenzungen zur Folge haben, gerade weil Jugendliche mit Verlusten oft weitere Folgen als Konsequenz tragen müssen wie beispielsweise die Versetzung in ein Heim, Schulwechsel oder den Verlust der eigenen Peer-Gruppe. Die Beispiele, die in diesem Buch vorkommen, eignen sich hervorragend dazu, das eigene Sensorium für mögliche Problematiken zu schärfen und anhand genannter Kriterien potentielle Problemfälle früher zu erkennen und Hilfe zu organisieren.

Das Buch ist aber nicht so zu verstehen, dass Jugendliche sich nicht oft selbst gut zu helfen wissen; gerade Jugendlichen ist ein hohes Maß an Kreativität eigen, welche zur Verarbeitung des Verlustes genutzt werden kann. Das Buch bleibt nicht bei der Theorie stehen – die übrigens sehr gut, klar und bündig vermittelt wird – sondern bietet Hilfestellungen und bezogen auf die Schulsituation einen ganzen Katalog an Interventionen und nützlichen Werkzeugen.

Das vorliegende Buch vermittelt auf eine sympathische Weise das Grundwissen möglicher Reaktionen auf einen Verlust und geht auf die wichtigsten Ergebnisse der Trauerforschung ein, ohne sich in wissenschaftliche Details zu verlieren. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Situation von Jugendlichen in der Schule gelegt, die sich in einer Lebensphase der ständigen Neuorientierung befinden, sich sozial bewähren müssen und neben der schulischen Herausforderung auch mit den eigenen Veränderungen auseinandersetzen müssen. Kritische Lebensereignisse wie der Tod eines Angehörigen oder Freundes können in dieser vulnerablen Phase besonders viel Schaden anrichten, sind aber auch eine Quelle des Wachstums und des Verständnisses einer komplexen Welt, die auch den Tod einschließt. Ein Verlust fördert die Auseinandersetzung mit Sinnfragen und kann auch spirituell öffnen. Nach Frau Witt-Loers kommt den unterstützenden Personen hier eine besondere Verantwortung zu, diese Neuorientierung zu fördern ohne diese zu beeinflussen. In einer multikulturellen Gesellschaft ist es wichtig, das Vertrauen nicht auszunützen, sondern im besten Sinn zum Wohl der betroffenen Personen zu verwenden. Diese Haltung ist besonders in den Kapiteln spürbar, wo es um konkrete Anweisungen und Hilfestellungen geht, die in der Schule zur Trauerverarbeitung eingesetzt werden können. Immer wieder wird in diesen Abschnitten deutlich, über welch großen Erfahrungsschatz im Umgang mit betroffenen Kindern und Jugendlichen, wie auch mit den Strukturen der Schule und anderen Organisationen die Autorin verfügt. Dies in Kombination mit einem auf dem aktuellen Forschungsstand basierenden Sachwissen und einer im wahrsten Sinn humanitären Haltung macht den Wert dieses Buches aus. Es ist ein Buch, das in allen Lehrerzimmern stehen sollte, es ist ein Buch, in dem viel Praxiswissen steckt und das die Situationen zu strukturieren hilft, die im ersten Moment chaotisch wirken und äußerste Hilflosigkeit verursachen. Frau Witt-Loers versteht es, die Leser dieses Buches zu ermutigen, Tod und Verlust als Teil der Lebens- und Erfahrungswelt zu begreifen und damit auch betroffenen Jugendlichen zu helfen, diese ihre Erfahrung zu integrieren und damit zurecht zu kommen. Das Buch ermutigt, sich dieser schwierigen Erfahrung emotional zuzuwenden und wird dadurch zur echten Hilfe für betroffene Jugendliche.

Bern, September 2012

Prof. Dr. Hans Jörg Znoj

(Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Bern)

Mein Bruder ist gestorben – Erfahrungen einer Schülerin

Als bei meinem Bruder Jan Krebs diagnostiziert wurde, dachte in meiner Familie keiner daran, dass er den Kampf verlieren würde. Nach anfangs scheinbar erfolgreicher Therapie kam der Krebs wieder. Ende des Jahres 2006 passierte dann das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte. Mein Bruder Jan starb. Mit diesem Tag hat sich das ganze Leben für meine Familie und mich verändert. Was neben dem Schmerz des Verlusts oftmals erschwerend zum Alltag hinzukommt, sind verletzende Kommentare und Verhaltensweisen von Freunden, Bekannten und anderen Mitmenschen. Natürlich hat keiner die Absicht, uns mit überflüssig wirkenden Kommentaren zu verletzen. Ich denke, es ist vielmehr die Unsicherheit im Umgang mit dem Thema Tod, die dazu führt, dass Menschen sich uns gegenüber verletzend verhalten.

Ich habe immer wieder gemerkt, dass es vielen Menschen unglaublich schwer fällt, über den Tod zu sprechen. Es gibt nur wenige Freunde, die nicht sofort das Thema wechseln wollen, wenn ich über meinen Bruder reden will. So kommt ein Gespräch eher selten zustande. Das finde ich sehr schade. Denn sprechen im richtigen Moment, dann, wenn ich den Wunsch spüre, über Jan und das Geschehene zu reden, ist sehr wichtig für mich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir nach einem Gespräch, in dem mir zugehört wird, wo ich das Gefühl habe, verstanden zu werden und in dem ich Trost erfahre, oftmals besser geht. Leider kommt es nicht oft vor, dass ein solches Gespräch zustande kommt. Ausgenommen sind hier Gespräche mit meiner Familie. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen, dass ich damals eine Freundin hatte, die sich sehr bemüht hat. Heute habe ich zwei weitere Freunde gefunden, mit denen ich sehr gut reden kann. Dafür bin ich sehr dankbar.

Jetzt denke ich, dass viele meiner Freunde damals einfach zu jung und mit dem Thema Tod überfordert waren, weil sie bis dahin wenig bis gar keinen Kontakt damit hatten. Deshalb wussten sie wahrscheinlich gar nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollten. Dafür habe ich Verständnis. In der Schule wurde ich von einigen Lehrern sehr enttäuscht, denn von ihnen hatte ich mehr Einfühlungsvermögen erwartet. Meiner Meinung nach sollten Pädagogen wissen, wie sie mit Schülern umgehen, die gerade eine schwere Zeit durchmachen. Sie sollten bestmöglich auf diese Schüler eingehen. Lehrer sollten, so meine ich, nicht nur unterrichten können, sondern auch vertrauenswürdige Bezugspersonen sein. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch einige meiner Lehrer große Schwierigkeiten mit dem Thema Tod hatten.

Eine bezeichnende Situation in einem Gespräch mit einer Lehrerin möchte ich schildern: Gegen Ende des Quartals wurden die Mitarbeitsnoten besprochen. Es war im Winter, die Zeit, in der ich noch intensiver als sonst an meinen Bruder denken muss, weil er im Dezember Geburtstag hatte und Ende Dezember starb. Das heißt, dass ich viele traurige Erinnerungen an diese Zeit habe und immer öfter daran denken muss. Deshalb konnte ich auch in der Schule nicht immer hundertprozentig in Sachen Mitarbeit sein. Ich wusste, dass es für mich aufs Abitur zuging und ich wusste auch, wie wichtig die mündliche Mitarbeit in diesem Abiturfach für mich war. Auf die Frage der Lehrerin, warum ich denn in der letzten Zeit so ruhig geworden sei, antworte ich ehrlich, obwohl es mir schwer fiel, dass es mir wegen dem Tod meines Bruders nicht gut gehe. Hiermit wollte ich keineswegs bessere Noten oder Vergleichbares erreichen. Vielmehr wollte ich, dass meine Situation verstanden wird und erklären, dass meine Zurückhaltung kein Desinteresse am Fach war. Meine Lehrerin antwortete darauf sehr monoton »Ach so, dann trauern Sie also in dieser Zeit.« Damit war das Gespräch vorbei. Ich wusste einfach nicht, was ich dazu sagen sollte. Scheinbar hatte sie keinerlei Ahnung, was trauern bedeutet. Mir kam es so vor, als wäre es ihr auch egal, wie ich mich fühle. Ich empfand das als sehr verletzend. Nicht etwa, weil ich auf irgendeine Art und Weise Mitleid haben will, das mag ich gar nicht. Vielmehr habe ich mich geärgert, dass ich dieser Frau etwas so Persönliches erzählt hatte und es für mich so rüber kam, als wäre es ihr gleichgültig. Etwas Ähnliches erfuhr ich im Religionsunterricht. Wir besprachen das Thema Sinn des Lebens. Zu diesem Thema wollte ich einfach nicht allzu viel sagen. Ich habe im Vergleich zu meinen Klassenkameraden einfach andere Lebenserfahrungen gemacht und dadurch auch eine andere Sicht auf die Dinge entwickelt. Diese schmerzhaften Erfahrungen wollte ich mit Sicherheit nicht mit der ganzen Klasse teilen. Dann ging es wieder um die mündliche Mitarbeit. Schon wieder hieß es dann, ich sei sehr ruhig, und ich erzählte daraufhin wieder meiner Lehrerin, was passiert war. Sie nahm es auf jeden Fall besser auf und reagierte freundlicher als die zuvor genannte Lehrerin. Ich hatte gehofft, dass wir deswegen vielleicht einen Bogen um das Thema Tod machen könnten. Doch da es für den Lehrplan vorgesehen war, musste es kurz angeschnitten werden. Das wäre auch okay gewesen, wenn die Lehrerin nicht auf einmal gesagt hätte: »Nun stellt euch vor, ihr würdet bei einem Verwandten, der im Sterben liegt, am Bett stehen.« In diesem Moment dachte ich mir, das könne einfach nicht wahr sein, und es kam mir so vor, als hätte sie mich gar nicht ernst genommen. Ich habe am Sterbebett meines Bruders gestanden und die Erinnerung daran, die sowieso immer wieder kommt, ist immer sehr schmerzhaft. Durch diese »nette« Aufforderung saß ich im Unterricht und musste weinen. Meine Klassenkameraden fragten mich daraufhin, was los sei, doch ich wollte ja nicht jedem diese persönlichen Sachen erzählen. Im Nachhinein war meiner Lehrerin die Situation sehr unangenehm. Scheinbar hatte sie einfach vergessen, was ich erlebt habe. Und schon wieder habe ich mich geärgert, ihr erzählt zu haben, was passiert war, und war auch traurig und verärgert darüber, dass sie mich in eine solche Lage gebracht hat, dass ich vor der ganzen Klasse weinen musste.

Dies waren zwei Situationen, die mir besonders nah gegangen sind und in denen ich von meinen Lehrern sehr enttäuscht wurde. Immerhin hatte ich ihnen etwas sehr Persönliches anvertraut. Ich denke, jeder kann sich vorstellen, dass es nicht einfach ist, fast fremden Menschen vom Tod des eigenen Bruders zu erzählen. Im Nachhinein habe ich aus ihrem Verhalten immer geschlossen, dass es sie kaum interessiert haben kann. Oder sie hatten einfach keinerlei Ahnung, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Doch dadurch habe ich nie mehr einem Lehrer erzählt, was ich erlebt habe und warum ich am Unterricht vielleicht nicht so teilnehmen konnte wie sonst. Noch mehr verletzt hat mich allerdings die Tatsache, dass das Unverständnis und das Verhalten meiner Lehrer dazu beigetragen haben, dass es mir schlechter und nicht besser ging. Ich bin mir sicher, dass sich keiner meiner Lehrer mit Absicht so verhalten hat. Genau wie bei meinen Freunden denke ich, dass sie keine Erfahrung mit trauernden Menschen haben und nicht wissen, wie sie sich in solchen Situationen verhalten sollen. Ich finde das sehr schade, denn ich für meinen Teil habe das Vertrauen verloren und wollte nicht mehr viel über den Tod meines Bruders reden, wobei ich trotzdem der Meinung bin, dass Reden oftmals sehr hilfreich sein kann. Nur eben nicht mehr mit meinen Lehrern.

M. M. im Juni 2012 (20 Jahre, vier Jahre nach dem Tod des Bruders)

Institut Dellanima, Stephanie Witt-Loers

Trauerberatung, Trauerbegleitung, Trauertherapie, Vorträge, Fortbildungen für Lehrer, Seelsorger, Psychologen unter: www.dellanima.de

1 Sterben, Tod und Trauer in der Schule

1.1 Umgang mit Tod und Trauer in der Schule

Solche Schilderungen von betroffenen Jugendlichen begegnen mir in meiner praktischen Arbeit immer wieder. Trauernde Jugendliche fühlen sich in ihrer Situation häufig nicht wahrgenommen. Herauszuhören sind neben der Trauer um den Verstorbenen Gefühle von Einsamkeit und Enttäuschung, die durch Verhaltensweisen des sozialen Umfeldes entstehen. Auf der anderen Seite zeigen sich bei Mitschülern und Lehrern Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht im Umgang mit Betroffenen.

Menschen im Lebensbereich Schule gehen auf unterschiedliche Weise mit dem Themenkomplex um. Berührungsängste, Hilflosigkeit sowie Unsicherheiten im Zusammenhang mit Tod und Trauer führen häufig dazu, das Geschehene zu ignorieren. Bezugspersonen sind vielfach überfordert damit, Lehrern den Tod eines nahen Angehörigen mitzuteilen. Zudem habe ich festgestellt, dass die Sprachlosigkeit und Scham trauernder Jugendlicher oft die Ursache dafür ist, dass Mitschüler oder Lehrer nicht um den Tod eines Angehörigen und die damit verbundenen Nöte für den Trauernden wissen. Betroffene bleiben deshalb vielfach in ihrem sozialen Umfeld Schule mit ihrer Trauer allein. (Vgl. Witt-Loers, Stephanie: Schulprojekte zum Umgang mit Tod und Trauer. In: Leidfaden: Fachzeitschrift für Krisen, Leid, Trauer, 4/2012. Göttingen 2012)

Unterstützung aus dem Lebensumfeld

Genau diesen Konflikt möchte das vorliegende Buch aufgreifen und dazu beitragen, eine Begegnung für beide Seiten zu erleichtern. Es soll Pädagogen wie Schüler ermutigen, sich den Lebensthemen Krankheit, Sterben, Leid, Tod und Trauer zu stellen. Begleiter in der Zeit der Trauer zu sein ist nicht nur eine Angelegenheit für professionelle Trauerbegleiter oder Kriseninterventionsteams und sollte es auch nicht sein. Unterstützung können und müssen Trauernde gerade von Menschen aus ihrem sozialen Umfeld durch Wahrnehmung ihrer Situation, Anteilnahme, Gespräche, Gesten sowie praktische Hilfen erfahren. Und dies eben nicht nur in den ersten Tagen und Wochen, sondern langfristig.

Ziele des Buches

Mit diesem Buch möchte ich die Auseinandersetzung mit den Tabuthemen Sterben, Tod und Trauer anregen. Wichtige Aspekte und Fragen zum Themenbereich in der Schule sollen in diesem Buch durch meine vielfältigen Erfahrungen sowie mein theoretisches Wissen praxisnah aufgegriffen, vertieft und in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden. Im Mittelpunkt dieses Buches für weiterführende Schulen stehen trauernde Jugendliche. Bisher werden sie, in der Praxis sowie in der Literatur zum Thema, meist nur am Rande beachtet. Jugendliche trauern anders als Kinder oder Erwachsene und haben eigene Bedürfnisse und Anliegen. Diese möchte ich in den Blick nehmen. Wichtig ist mir zudem ein theoretisches Grundverständnis von Trauerprozessen und Trauerreaktionen zu vermitteln. Kenntnisse darüber können den konkreten Umgang mit Trauernden erleichtern. Überdies können Informationen trauernde Jugendliche selbst entlasten. Außerdem möchte ich Hinweise geben, wie die Schule mit der Trauer von Jugendlichen und den vielfältigen Herausforderungen, die das Thema mit sich bringt, verantwortungsbewusst umgehen kann. So kann Hilflosigkeit und Ohnmacht in konkreten Situationen entgegengewirkt werden. Ferner sollen Möglichkeiten der Unterstützung in unterschiedlichen Trauersituationen in den Blick genommen werden. Mit diesem Buch möchte ich zudem ausdrücklich dazu auffordern, sich persönlich, aber auch als Schulgemeinschaft, präventiv mit den Themen Sterben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen.

Ich möchte eine Auswahl von Möglichkeiten aufzeigen, sich auf einen akuten Fall vorzubereiten oder im Krisenfall zu verhalten. Gleichzeitig möchte ich ausdrücklich dazu anregen, den Mut zu finden, eigene Ideen und Wege umzusetzen.

Das Buch soll keine allgemeingültige Anleitung für den Umgang mit Tod und Trauer sein, sondern Orientierung und Entlastung bieten in akuten Situationen. Die eine richtige Handlungsweise gibt es nicht. Jede Schulgemeinschaft ist ein individuelles System und erfordert ihm entsprechende Handlungsweisen in immer wieder unterschiedlichen Trauersituationen. Zudem ist jeder Mensch einzigartig und mit ihm sein Sterben, sein Tod, aber auch die Wege und Strategien, wie er mit seiner persönlichen Trauer umgeht. So muss auch der Umgang mit Trauernden immer individuell sein.

Trauernde Jugendliche in ihrer individuellen Art zu trauern zu respektieren und nicht zu bewerten, ermöglicht auch in anderen Lebensbereichen offener und toleranter anderen Menschen und Sichtweisen gegenüber zu sein. Trauernde nicht allein zu lassen in ihrer schweren Situation, nicht nur im Lebensbereich Schule, ist deshalb auch ein Anliegen dieses Buches.

Tod und Trauer in der Schule

Weiterführende Schulen sind groß. Schülerzahlen von 800 bis 1500 sind keine Seltenheit. Rein rechnerisch vergeht deshalb kaum ein Jahr ohne einen Todesfall im direkten schulischen Bereich. Hinzu kommen die vielen einzelnen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen aus dem Lebensraum Schule, die um einen nahe stehenden Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld trauern.

Deshalb fließen in den Lebensbereich Schule die unterschiedlichsten Verlusterfahrungen der dort lernenden und arbeitenden Menschen mit ihren Belastungen sowie der Notwendigkeit der Anpassung an neue Lebenssituationen ein. Meist ist es der Tod eines Mitschülers, Lehrers oder eines nahen Angehörigen, der einzelne Menschen aus dem Lebensraum Schule oder die gesamte Schulgemeinschaft mit Sterben, Tod und Trauer konfrontiert. Die Schule ist ein wichtiger sozialer Lebensraum, in dem Jugendliche einen großen Teil ihrer Lebenszeit und ihrer persönlichen Entwicklung verbringen. Hier werden nicht nur Wissen und Lerninhalte vermittelt, sondern auch die Bedeutung von Gemeinschaft und Solidarität sowie der Umgang mit Trauer und Leid können erlernt und erfahren werden. In der Entwicklungspsychologie wird der Schule deshalb auch nicht nur fördernde Wirkung auf die intellektuellen Leistungen zugeschrieben, sondern vielmehr findet durch den Einfluss von Schule eine grundsätzliche kognitive Umstrukturierung statt. Wissen und Umwelterfahrungen werden neu geordnet. Alltagserfahrungen und persönliche Biografie werden aus dem bisherigen Erfahrungskontext herausgelöst und in neue Zusammenhänge gestellt. Auch deshalb sollte die Schule sich mit den Lebensthemen Sterben, Tod und Trauer befassen und ihrer ganzheitlichen Verantwortung für die ihr anvertrauten Schüler nachkommen (vgl. Witt-Loers, Schulprojekte).

Sterben, Tod und Trauer sind Teil unseres Lebens. Niemand kann sich ihnen entziehen und sie lassen sich auch aus dem Lebensfeld Schule nicht heraushalten. Entscheidend ist es aus meiner Sicht jedoch, wie wir damit umgehen. Deshalb möchte ich zunächst darauf schauen, was einen Umgang mit dem Themenkomplex erschwert.

1.2 Schwierigkeiten im Umgang mit Tod und Trauer

Unsere Trauerkultur

Unsere Trauerkultur befindet sich in einem Umbruch. Alte Traditionen haben sich verändert oder lösen sich auf, neue Ausdrucksformen von Trauer sind im Entstehen. Häufig haben sich Menschen von den natürlichen Wandlungsprozessen der Natur entfremdet. Nur noch wenige wissen, wie sich Sterben äußern kann und was sichtbare Zeichen des eingetretenen Todes sein können. Medien stellen den Tod meist nur einseitig und unrealistisch dar. Gestorben wird größtenteils in Krankenhäusern, Altenheimen oder Hospizen. Durch die hohe Lebenserwartung erleben Familien durchschnittlich nur noch alle 18–20 Jahre einen Todesfall im engeren familiären Umfeld. War die Kirche in früheren Zeiten noch ein tragendes Element bei Sterbe-, Todes- und Trauerfällen, so wird die Auflösung der christlichen Traditionen heute gerade im Umgang mit Tod und Trauer deutlich. Da immer weniger Menschen – und besonders Jugendliche – konfessionell gebunden sind oder sich einer Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, verliert die Kirche ihre bisherigen Kompetenzen an andere Institutionen. Zusätzlich scheint Trauer auch aus dem öffentlichen Leben zu verschwinden. Vielfach entstehen anonyme Friedhöfe und die Formen einer feierlichen Abschiedszeremonie weichen Bestattungen ohne Feier. Bestattungen im 15-Minuten-Takt in unpersönlichen Leichenhallen sind keine Seltenheit. Zeichen der Anteilnahme Trauernden gegenüber sind heute nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Die Entwicklung in unserer Gesellschaft brachte es mit sich, dass wir uns vielfach eine Begleitung Trauernder nicht mehr zutrauen.

Aber: Trotz der veränderten Trauerkultur gibt es auch weiterhin ein gesellschaftliches und individuelles Bedürfnis nach Trost und Beistand in einer extrem belasteten Lebenssituation, die durch den Verlust eines nahe stehenden Menschen entsteht.

Weil wir alle Betroffene kennen und selbst betroffen sein können, ist es notwendig, dass wir gemeinsam nach Möglichkeiten einer menschenwürdigen, unkonventionellen und bunten Trauerkultur streben. Zeichen dieser sich neu entwickelnden Trauerkultur existieren bereits: Hospize, Kinder- und Jugendhospize, Bestatter, die es möglich machen, individuell Abschied zu nehmen, Holzkreuze und Erinnerungsstätten am Straßenrand nach tödlichen Unfällen, spontane öffentliche Traueräußerungen nach einem Verbrechen oder dem Tod einer öffentlichen Person, Trauergruppen, Trauerbegleitungen, Geistliche, die sich an den Bedürfnissen der Trauernden orientieren, Schulprojekte, die sich mit Tod und Trauer auseinandersetzen, Lehrer und viele andere Menschen, die sich damit beschäftigen, wie sie Trauernden begegnen und sie begleiten können.

Fehlende Beziehungen

Die Entwicklung unserer Gesellschaft hat dazu geführt, dass familiäre Strukturen, persönliche Bindungen und Formen von Beziehungen sich verändert haben. Die steigende Zahl der Scheidungen und der Alleinerziehenden, aber auch der Einzelkinder bedeuten für Jugendliche auch ein kleineres stabiles, kontinuierliches soziales Netz, auf das im Notfall zurückgegriffen werden kann, sowie weniger Möglichkeiten sich neu zu binden. Nach dem Tod eines nahe stehenden Menschen kann es deshalb schwer für Jugendliche sein, wieder zu innerer Sicherheit zu finden. Zudem sind viele Kinder und Jugendlichen durch die Berufstätigkeit des Alleinerziehenden oder beider Elternteile auch in einer schwierigen Lebenssituation auf sich selbst gestellt. Diese Umstände sowie oft zu große Schulen, in denen anonyme Beziehungen vorherrschen, und der Leistungsdruck, den Jugendliche erfahren, erschweren den Umgang mit dem Verlust durch den Tod.

Erschwerte Kommunikation

Die Kommunikation Jugendlicher miteinander ist vielfach auf ein minimalistisches Niveau reduziert.

Sie äußert sich heute häufig in einer knappen, vereinfachten Sprache, die Gefühlszustände häufig im Abkürzungsstil formuliert. (HDL1, Hdggggdl2 etc.). Jugendliche verlernen zudem immer mehr direkte Interaktionen. Kontakte sind anonymer geworden, finden oft über SMS, E-Mails oder soziale Netzwerke statt. Mimik, Gestik, der Klang der Stimme fehlen, um den Zustand eines Trauernden in all seinen Dimensionen wahrnehmen zu können. Zudem gehen bei dieser Form des Kontaktes die wesentlichen Möglichkeiten, auf einer nonverbalen Ebene Mitgefühl und Nähe auszudrücken, verloren. Gerade trauernden Jugendlichen fehlen dadurch vielfach emotionale und soziale Gefüge, die sie in ihrer Situation aber benötigen würden.

1.3 Chancen der Auseinandersetzung

Ob und wie eine Schule als Institution und die Lehrer als Menschen mit Sterben, Tod und Trauer umgehen, ist nicht unwesentlich. Die außergewöhnliche Situation, die der Tod eines Menschen mit sich bringt, kann das Bedürfnis Jugendlicher, sich an Vorbildern zu orientieren, verstärken. Deshalb können Lehrer durch ihr Verhalten Vorbild positiver oder negativer Lebensbewältigung sein.