Über die öffentliche Gesundheitspflege - Salomon Neumann - E-Book

Über die öffentliche Gesundheitspflege E-Book

Salomon Neumann

0,0

Beschreibung

Den hier vorliegenden Text Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum publizierte Salomon Neumann im Jahr 1847. Damit mischte er sich ein in damalige Gesundheitsreformdebatte: die 'preußische Medizinalreformdebatte'. Der Staat sei verpflichtet, wirkungsvoll für die Gesundheit seiner Einwohner zu sorgen, postulierte Neumann. Denn wenn das vorherrschende Recht im preußischen Staates das Eigentumsrecht sei, müsse auch er das einzige Eigentum schützen, das die Masse seiner Bevölkerung besitze – die Gesundheit als die Grundlage ihrer Arbeitskraft. Der Virchow-Text ist die Zusammenstellung einer Artikelserie, die zwischen dem 4. August und dem 1. September 1848 erschien.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 205

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Salomon Neumann, Rudolf Virchow

Über die öffentliche Gesundheitspflege  Historische Texte der Sozialmedizin und Public Health

Impressum

© heptagon Verlag, Berlin 2016

ISBN: 978-3-934616-21-9

Der Neumann-Text wurde aus dem in Frakturschrift gesetzten Original übertragen: »Salomon Neumann: Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum. Kritisches und Positives mit Bezug auf die preußische Medizinalverfassungs-Frage, Verlag Adolph Rieß, Berlin 1847, 120 Seiten.«

Der Virchow-Text ist die Zusammenstellung einer Artikelserie, die zwischen dem 4. August und dem 1. September 1848 erschien: Rudolf Virchow: »Die öffentliche Gesundheitspflege«, in: »Die medicinische Reform. Eine Wochenschrift herausgegeben von Rudolf Virchow und Rudolf Leubuscher«, 1848, Nr. 5, S. 21–22; Nr. 7, S. 37–40; Nr. 8, S. 45–47; Nr. 9, S. 53–56.

Das Umschlagbild zeigt den britischen Arzt »John Snow«, wie er die Wasserversorgung durch eine öffentliche Wasserpumpe unterbricht. Er hatte erkannt, dass die Londoner Cholera-Epidemie von 1854 durch verseuchtes Grundwasser ausgelöst worden war. Da John Snow Zeitgenosse von Neumann und Virchow war und sich wie diese im Bereich der öffentlichen Hygiene engagierte, haben wir dieses Coverbild gewählt.

Editorische Notiz: Der Text entspricht den Originalausgaben aus den Jahren 1847 und 1848 ohne etwaige sprachliche Glättung oder Anpassung an die heutigen Rechtschreibregeln. Deshalb wurden auch die Großbuchstaben-Umlaute, die damals aus drucktechnischen Gründen als Ae, Oe oder Ue gesetzt wurden, hier nicht in Versal-Umlaute (Ä, Ö oder Ü) umgesetzt. Nur offensichtliche Satzfehler wurden stillschweigend korrigiert und Abkürzungen sowie Zahlenformate vereinheitlicht. Sperrungen im Original erscheinen in diesem E-Book kursiv; auf die im Original vorhandene besondere Formatierung fremdsprachiger Termini wurde verzichtet.

Das vollständige Programm des heptagon Verlags finden Sie unter: www.heptagon.de

Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum.

Kritisches und Positives mit Bezug auf die preußische Medizinalverfassungs-Frage.

Von Dr. S. Neumann,
praktischem Arzte, Wundarzte und Geburtshelfer in Berlin
Motto: Fiat justitia, vivat mundus,
Das Unrecht ist der Leute Verderben,

Vorwort.

Gewiß am meisten zu seiner eignen Ueberraschung erblickt sich heute der Verfasser der vorliegenden Blätter in der Reihe der Schriftsteller über die preußische Medizinalverfassung. Die Erwartung, daß seine Gedanken über dieselbe in den zahlreichen Reformschriften ihren Ausdruck finden würden, hat die Veröffentlichung derselben bis jetzt verzögert. Dieselbe hat keinen andern Grund, als den Wunsch, dadurch dem allgemeinen Besten zu dienen; und wenn die Erörterung der allgemeinen Prinzipien, durch welche sowohl der Charakter unsrer Medizinalverfassung als einer staatlichen Institution überhaupt, als ihr Zusammenhang mit unsrem Staatsleben insbesondre bestimmt wird, nicht unwesentlich ist, so dürfte diesem Wunsche auch nicht jede Möglichkeit der Erfüllung fehlen. Auf die fachlichen und sachlichen Spezialitäten ist er nur so weit eingegangen, als er durch die bisher unerhörte, für immer unschätzbare Freimüthigkeit, mit welcher die amtlichen Reformatoren der Medizinalverfassung die Uebelstände und Mißbräuche in der Verwaltung und Gesetzgebung aufgedeckt haben, dazu veranlaßt wurde. Der freimüthige Nachweis der Irrthümer in ihrer Kritik und der Widersprüche in ihren eignen Prinzipien ist die Anerkennung, die er seinerseits diesem Freimuthe darbringt. – Von ihrem Beispiele angeregt, hat er eben so freimüthig statt der Barmherzigkeit, die man als Grundlage der Armenkrankenpflege proclamiert hat, für diesen wichtigsten Theil der öffentlichen Gesundheitspflege das Recht als oberstes Prinzip aufgestellt. Ob ihm dieß, wie die Begründung des Associationsprinzips statt des polizei-gewerblichen – zunächst für den gesammten Inhalt der öffentlichen Gesundheitspflege, den genau anzugeben, er sich vorzugsweise bemüht hat, – gelungen, oder mißlungen ist, darauf legt er wenig Werth. Es soll ihm vollständig genügen, auf diese Fragen, als wesentliche und wichtige für unsere zukünftige Medizinalverfassung. hingewiesen zu haben. Wenn sie der weitern Entwickelung fähig und würdig sind, so wird ihnen dieselbe nicht fehlen. Er hofft dieß um so mehr, als er bei seinem Versuche mit dem allgemeinen Streben, den Polizeistaat in den Rechtsstaat umzuformen, in Einklang steht. – Zugleich fühlt er sich veranlaßt, möglichem Mißverständniß in andrer Beziehung vorzubeugen. Wenn der Verfasser für die medizinische Staatsinstitution im Namen des Rechts die christliche Barmherzigkeit zurückgewiesen hat, so hat er damit durchaus nicht das Christenthum bekämpfen wollen. Er konnte dies um so weniger im Sinne haben, weil er der Ansicht ist, daß die confessionellen und dogmatischen Verschiedenheiten für das Wesen der staatlichen Institutionen von keiner Bedeutung sind. Er bekennt sich vielmehr zu der Ueberzeugung, daß Liebe und Wohlwollen, d.h. ächt menschliche – nicht die nach Confessionen und Sekten zersplitterte und getheilte – das Band sei, welches die Menschheit zu einem harmonischen Ganzen verbindet, aber er will, daß diese Liebe einen Rechtszustand erzeuge, der die Gnade entbehrlich mache, einen Rechtszustand, der den Besitzlosen ihr einziges Eigenthum, ihre Gesundheit, sichere.

Berlin, den 22. October 1847.

Der Verfasser.

I. Kritisches.

Vorbemerkung.

»Principiis obsta.«

Die Reform der jetzigen Medizinalverfassung im preußischen Staate, ist von vielen und gewichtigen Stimmen seit langer Zeit laut und begründet verlangt worden. Eine Königliche Kabinetsordre hat die Reorganisation des preußischen Medizinalwesens anbefohlen. Gehorsam diesem Befehle hat die Regierung auch der mächtigen Stimme der öffentlichen Meinung die gebührende Aufmerksamkeit nicht versagt. Indem sie öffentlich und offenherzig das Bedürfniß einer Reform anerkannte, hat sie zugleich um guten Rath für die Ausführung gebeten.

Die Geheimräthe Trüstedt und Schmidt haben in besonderen Schriften, in denen der Eine »die Gegenwart aus der Vergangenheit entwickelt,« und der Andere »die Gegenwart in die wahrscheinliche Zukunft genetisch weiterführt« das Prinzip der Medizinalverfassung sowohl, als die legislatorischen Mittel, welche dem Prinzipe Form und Leben schaffen sollen, der unpartheiischen, wissenschaftlichen Kritik überantwortet – damit die Wahrheit nicht, wie es 1825 geschehen, post festum komme. Die Verfasser haben überdies durch die ausdrückliche Erklärung, daß ihre beiden Schriften ein organisches Ganze bilden, ein richtiges und vollständiges Verständniß sich zu sichern versucht. Der Versuch ist mißlungen. Die Kritik hat ihre Erklärung nicht beachtet, die bisherigen Repliken haben sich mit besonderer Einseitigkeit, theils zwar verneinend, vorzüglich aber beistimmend und fortführend, nur der Schmidt'schen Schrift zugewendet, die Trüstedt's theils ignorirend, theils mit leeren Phrasen unendlichen Lobes qualifizirend; und doch hat auch Geheimrath Schmidt beide Schriften für ein Ganzes erklärt; ja er betrachtet die Trüstedt'sche Schrift gewissermaßen als das Fundament der seinigen. Wer aber bei einem Gebäude nicht das Fundament, auf dem es ruht, sondern nur die auf der Oberfläche erscheinende, dem Auge sichtbare Form berücksichtigt, dessen Urtheil ist nicht nur ein halbes, sondern auch ein unzuverlässiges. Die naturgemäße Grundlage aber, ohne welche ein organischer Aufbau gar nicht denkbar, ist doch unstreitig hier das Prinzip, dessen Verwirklichung der Staat selber durch die Medizinalverfassung erstrebt, ist doch die Idee, die durch die Gesetzgebung zur lebendigen Erscheinung kommen soll. Die erste Frage daher, welche vor Allem beantwortet werden muß, lautet also dahin: Ist das Prinzip, welches der Staat zum Fundamente seiner Medizinalverfassung gemacht, ein vernünftiges, ein zweckmäßiges; sind die Uebelstände, die Mißbräuche, welche das Bedürfniß einer Reform hervorgerufen, welche man durch eben diese Reform fortschaffen will, nur die einfachen und nothwendigen Consequenzen dieses Prinzips, oder ist dieses Prinzip unschuldig an denselben? Ehe dieses Prinzip nicht freigesprochen ist von der Schuld, muß es thöricht erscheinen, Gesetze zu erdenken, welche auf dasselbe Prinzip gegründet, die vielleicht nothwendigen Consequenzen desselben vernichten sollen. Der Werth eines Prinzips kann doch allein nur durch seine Consequenzen gemessen werden; vermögen diese nicht Hoffnung und Hilfe zu gewähren, so ist eben das Prinzip, dem es entspringt, werth- und heillos. Dies scheint wahr nach den Regeln der einfachen Logik und war auch die Meinung der Verfasser. Die Trüstedt'sche Schrift enthält das Prinzip, die Schmidt'sche die Ausführung, darum bilden beide ein organisches Ganze. Nicht die Verfasser daher, sondern die Kritiker sind anzuklagen, daß sie den organischen Fortbau prüften, ohne sich um die naturgemäße Grundlage zu bekümmern. Doch nicht die Anklage fremder Leistungen, sondern die eigene Vorsicht ist der Zweck dieser Vorbemerkung. Die nun folgende Prüfung des Prinzips, ganz nach Anleitung der Trüstedt'schen Schrift: »Historisch-kritische Beiträge zur Beleuchtung der Frage über die Reform der Medizinalverfassung in Preußen« muß zeigen, ob die Vortrefflichkeit desselben über jeden Zweifel erhaben, oder ob unsere Medizinalverfassung auf ein heilloses und verderbliches Prinzip gegründet ist.

I. Welches Prinzip bildet die Grundlage der preußischen Medizinalverfassung?

Die Antwort auf diese Frage geben die bestehenden Medizinalgesetze. Zunächst das Medizinaledikt von 1725 und sodann die gesetzlichen Modifikationen desselben im Jahre 1825.

1. Das Edikt vom Jahre 1725, gegeben durch König Friedrich Wilhelm I., hat eigentlich die preußische Medizinalverfassung geschaffen und bildet noch heutigen Tages die gesetzlich anerkannte Grundlage desselben; es muß jedem preußischen Arzte bekannt sein, da es ihm offiziell als die Richtschnur zur Erfüllung seiner Pflichten mitgetheilt wird, ein Beweis des hohen Werthes, welcher diesem mehr als hundertjährigen Edikte, zum wenigsten von der Regierung beigelegt wird. Wir haben auch dem medizinischen Publikum keine Neuigkeiten aus dem all- und altbekannten Edikt zu erzählen; der Gesetzgeber hat in altdeutscher Treuherzigkeit so aufrichtig, wie bestimmt seinen Standpunkt und Zweck jedermänniglich kundgethan und zu wissen gefügt, daß klügelnder Spitzfindigkeit jede Verdrehung benommen ist. Das Gesetz wird gegeben, weil der Gesetzgeber mit besonderem Mißfallen vernommen, welchergestalt aller bisherigen Gesetze ungeachtet, bisher in der Medizin, Chirurgie und Pharmacie allerhand schädliche Unordnungen und höchst gefährliche Mißbräuche, annoch beibleiben, auch daß sich Leute von allerhand Stand, Professionen und Handwerker finden, welche sich zum größten Nachtheil und Verderb der Unterthanen, des innerlichen und äußerlichen Curirens anmaaßen, ja gar Medicamente selbst präpariren und solche an die Patienten austheilen und verkaufen, und dadurch viele Menschen um ihre Gesundheit und Wohlfahrt, ja gar um Leib und Leben bringen. Damit dieses in der Medizin eingeschlichene Unwesen und Mißbrauch ein für alle mal gänzlich abgeschafft werde, werden das Obercollegium medicum und die Provinzial-Collegia medica zweckmäßig organisirt, als Aufsichts-, Ueberwachungs- und Prüfungsbehörden durch Kraft und Inhalt dieses Ediktes constituirt und instruirt. Dies ist die deutlich ausgesprochene Aufgabe des Ediktes, das für die Gesundheitspflege der Unterthanen eben so wenig eine positive Verpflichtung des Staates anerkennt, als es positive Leistungen für dieselbe erstrebt. Es ist nichts anderes und wollte auch nichts anderes sein, als eine auf die bezügliche Materie angewandte Gewerbspolizei. Die Ausübung der Heilkunst, sowohl als Gewerbe wie als freie Kunst, schließt die Möglichkeit gefährlicher Mißbräuche in sich, durch die Unwissenheit und durch den bösen Willen derjenigen Personen, die sie üben. Schädliche Unwissenheit soll nun durch Prüfung unmöglich gemacht werden; den Unfrieden und Neid untereinander, der den Kranken ebenso gefährlich werden kann, wie gewissenlose Pflichtverletzung, oder verbrecherischer Mißbrauch der Kunst, die nach der Strenge der Gesetze geahndet werden, sollen die Medici um Gottes und der Menschen Willen lassen; das gefährliche Spiel mit Geheimmitteln soll controllirt und der Habsucht der Aerzte, wie dem Geize des Publikums, durch eine billige Taxe gleiche Schranken gesetzt werden.

Ist so der Polizeizweck die Eine Seite dieses Gesetzes, so ist der zunftgewerbliche die Andere, nicht minder wichtige. Ja, gerade durch strenge Festhaltung des zunftgewerblichen Standpunktes, hoffte man am sichersten den polizeilichen Zweck zu erreichen. Es wird die Ausübung der einzelnen Zweige der Heilkunst als eine bestimmte, ausschließliche, gewerbliche Berechtigung betrachtet, die innerhalb und nur innerhalb der bestimmten Zunftgrenzen geübt werden darf. Die Doctores medicinae dürfen die Grenzen der Zunft-Chirurgen nicht überschreiten und wenn diese in gleicher Weise die Bannlinie der Zunft-Mediker nicht verletzen dürfen, so haben beide in Voraussetzung gesetzlicher Reciprocität die Rechte der Zunftapotheker zu achten. Dieselben Grundsätze werden bei den Badern, Materialisten und Hebeammen festgehalten und wenn die Rechte innerhalb der Zunftschranken, wiederum durch den Polizeizweck, den durch Unwissenheit möglichen Schaden und Betrug zu verhüten, genau begrenzt sind, so werden anderseits marktschreiende Bruchschneider, Zahnärzte, Wurzelkrämer, auf Grund besonderer Privilegien zugelassen. Gänzlich jedoch und für immer abgeschafft ist die große (bis jetzt noch allen Gesetzen zum Trotze unsterbliche) Klasse der unter den studiosis medicinae, Scharfrichtern und Wasserkrämern zusammenbegriffenen Charlatan's und Wunderdoctoren.

Der gewerbpolizeiliche Standpunkt der Gesetzgebung änderte sich nicht und konnte sich vor dem Erlasse der Gewerbefreiheit auch nicht ändern; doch bestanden außer der durch das Edikt von 1725 geschärften und zum Theil neu geschaffenen Gewerbspolizei, betreffend die Heilkunst übenden Personen, auch in den aus dem ehemaligen Pestcollegium hervorgegangenen collegia sanitatis, sanitätspolizeiliche Institute, welche die durch gesellschaftliche Verhältnisse und Naturereignisse drohenden Gefahren abwenden sollten. Dies ist der Inhalt der preußischen Medizinalverfassung von 1725. Während dem gewerblichen Betriebe der Heilkunst innerhalb der Zunftschranken die Lösung der positiven Aufgabe, welche der Heilkunst im Dienste der Gesellschaft gestellt ist, überlassen wird, ist der Standpunkt des Staates ein rein polizeilicher, seine ganze Thätigkeit ist eine abwehrende, verhütende, also durchaus negative.

Wenn es wahr ist, daß die Wahrheit wissenschaftlicher Prinzipien eine ewige, in allen Zeiten stets gleiche und unveränderliche ist, wenn sie nicht erfunden werden kann, und in unserem Falle bereits lange, wenigstens ein Jahrtausend vor 1725 für die medizinische Wissenschaft entdeckt war, so bedarf es keines Beweises, daß das Medizinaldeikt von 1725 weder der Wissenschaft, noch seiner Zeit vorangeeilt ist. Ohne Hinweisung auf das Ausland genüge die Erinnerung, daß in Halle zu jener Zeit zu ihrem und der Wissenschaft ewigem Ruhme, die Freunde des königlichen Gesetzgebers, Stahl und Hoffmann lebten und lehrten1. Den verderblichen Einfluß dieses Ediktes auf die Entwickelung der Wissenschaft, im Bereiche seiner Wirksamkeit, lehrt die Geschichte gleichfalls genügend. Anderseits darf nicht verkannt werden, daß dem an die Spitze des Edikts von 1725 gestellten Polizeiwende jede andere Rücksicht sich unterordnen mußte, und das der Zunftzwang damals als ein allgemein gültiges Rechtsprinzip anerkannt war, eine ausnahmsweise Aufgabe desselben also eine gewaltsame Rechtsverletzung eines Prinzips in sich geschlossen hätte, welches man überdies für Förderung des Polizeizweckes, wenn auch irrthümlich, für das praktischste erachtete.

2. Die Medizinalgesetzgebung im Jahre 1825. Was machte dieselbe aus dem Edikt von 1725? Durch das Gesetz der allgemeinen Gewerbefreiheit im Jahre 1811 war auch der zunftgewerbliche Standpunkt der Medizinalgesetzgebung in seiner Grundfeste erschüttert worden, die handwerksmäßige Trennung in der Praxis aufgehoben, die Freiheit der organischen Vereinigung der natürlichen Zweige der Wissenschaft wieder errungen. Von dem Falle der Zunftschranken datirt in Preußen die Erneuerung der naturgemäßen, medizinischen Wissenschaft und Praxis überhaupt und der wissenschaftlichen Chirurgie insbesondere, und im Jahre 1825 war diese organische Wiedervereinigung der früher gewaltsam getrennten Zweige der einen, untheilbaren Wissenschaft schon so sehr eine unbestreitbare Thatsache, daß sie kaum mehr der gesetzlichen Sanction bedurfte2. Diese gesetzliche Sanction aber ist der eigentliche und ganze Inhalt der Gesetzgebung von 1825. Während die Polizeigesetzgebung von 1725 als unveränderte Grundlage der Medizinalverfassung in Preußen festgehalten, während dem gewerblichen Betriebe der Heilkunst die Erfüllung der positiven, praktischen Aufgabe derselben in der Gesellschaft, nach wie vor überlassen wurde, adoptirte die Gesetzgebung von 1825 auch im Gewerbe der Heilkunst, die allgemein gültige Gewerbefreiheit. Durch diese gesetzliche Anerkennung der Freiheit sind die wahren und unveränderlichen Prinzipien der Wissenschaft auch in Preußen in ihr volles Recht eingesetzt worden. Dieser im Prinzipe wahrhaft historische, in seinen Folgen von unendlichem Segen begleitete Fortschritt, ist die große, aber einzige That der Gesetzgebung von 1825.

Die Anerkennung derselben schien bisher eine allgemeine, und wir würden auch heute nicht glauben, diese Thatsache beweisen zu müssen, wenn nicht die amtlichen Reformatoren eben dieser Gesetzgebung, welche die Zukunft aus der Gegenwart zu entwickeln berufen sind, dieselbe läugneten3. Wir befinden uns in der so seltenen, als komischen Lage, die Verwaltung Männern der Verwaltung gegenüber vertreten müssen. Denn die furchtbare Anklage, daß die Medizinalgesetzgebung 1825 das innerste Wesen der wahren Wissenschaft verkannt habe, hat sich aus dem Schooße des Medizinalministeriums selbst erhoben. Das Lob der Bescheidenheit, oder der Tadel der Anmaaßung gelten wenig neben der Pflicht der Wahrheit; die Gerechtigkeit gegen die Todten, noch mehr die Sorge für das Heil der Lebenden erheischt die Widerlegung dieser falschen Anklage und den Nachweis jenes schädlichen Irrthums, auf welchen ja die neue Medizinal-Verfassung gegründet werden soll. Irren ist zwar menschlich; unbegreiflich aber muß es scheinen, daß dieser Irrthum der Verwaltungsorganismus grade aus einer Verkennung sowohl des Wesens, als des Unwesens des Verwaltungsorganismus entstanden ist. Möge man in der zufälligen Vereinigung der drei Departements im Kultusministerium eine organische Tripleallianz erkennen, möge man diesen Umstand die dritte Vereinigung der Wissenschaft mit der Kirche nennen, wenn darüber nur der wirkliche Zusammenhang der einzelnen Organe des Verwaltungskörpers nicht verkannt wird. Daß die Anklage gegen die Gesetzgebung von 1825 nicht auf einer gerechten Würdigung der Thatsachen, sondern

a) auf einer irrthümlichen Ueberschätzung des organischen Zusammenhanges zwischen dem Medizinal- und Unterrichts-Departement des Cultus-Ministeriums;

b) auf einer allzugütigen Verkennung der unzweckmäßigen Trennung der Sanitäts-Polizei (im Minist. d.I.) von der Polizei des Medizinalpersonals (Medizinal-Departement des Cultus-Ministeriums); das Uebel selbst aber

c) auf einer Verrückung der Grenze, welche die Rechte und Pflichten des Ressortgebietes dieser einzelnen Departements bezeichnet,

beruht, wollen wir so kurz und bündig, wie möglich, beweisen.

a) Das Unterrichts-Departement.

Die Verwaltung von 1825 würde sich einer doppelt strafbaren Versündigung gegen den heiligen Geist der Geschichte sowohl, wie gegen den der Wissenschaft schuldig gemacht haben, wenn sie die schon wieder vorhandene, organische Vereinigung der natürlichen Zweige der Wissenschaft durch gewaltsame, auf grobes Mißverständniß des wahren Wesens der Wissenschaft basirte Edikte zerstört hätte; sie würde durch die Verkennung der wissenschaftlichen Prinzipien das Zeugniß einer so beschämenden, wie verderblichen Unfähigkeit an den Tag gelegt haben, und dürfte sich nicht beklagen, daß ein neuerer Kritiker es für nöthig hält, ihr jenen uralten Ausspruch des Celsus ins Gedächtniß zu rufen: »Illud ante omnia scire convenit, quod omnes medicinae partes, ita annexae sunt, ut ex toto separari non possint.« Nein, so schwere Schuld lastet nicht auf dem Ministerium, welchem der Volksunterricht und die Bildungsinstitute der Kunst und Wissenschaft anvertraut waren. Der Minister Altenstein – nicht um Personen für eine Sache streiten zu lassen, die durch sich selbst als eine gerechte sich bewähren soll, nennen wir seinen Namen, sondern um jene Verwechselung rein persönlicher und zufälliger Umstände mit sachlichen und wesentlichen, die irrthümliche Quelle jener furchtbaren Anklage, durch ein argumentum ad hominem so klar, als möglich zu machen – vereinigte unter sich das Unterrichts- und Medizinal-Departement. Den von der Unterrichtsabtheilung des Ministeriums ressortirenden Universitäten überhaupt und den medizinischen Facultäten insbesondere war die Sorge anvertraut, ganze und ganz wissenschaftliche Aerzte zu bilden und sich durch Prüfung des gelungenen Resultats zu versichern: bei denmedicinae et chirurgiae doctorempromovirten Aerzten war und ist ein Unterschied der Prüfung und mithin auch des Studiums, ob sie alle Zweige der Heilkunde, oder ob sie nur diesen oder jenen ausüben wollen, nicht zulässig und trotz des fehlenden Titels einesmagistri artis obstetriciae, war stets und ist noch heute die geburtshilfliche Wissenschaft ein ebenso berechtigtes, als pflichtmäßiges Requisit desexamen rigorosum. Unwahr ist die Behauptung, daß der medizinische Separatismus in der Erlernung der Wissenschaft durch das Gesetz bereits anticipirt worden sei. Wäre der Vorwurf aber ein gerechter, wie er es nicht ist, so würde er die Unterrichts-Instanz treffen, denn dieser gehört die Wissenschaft. Wäre der Minister Altenstein einfach Medizinalminister (ohne Kirche und Unterricht) gewesen, so würde er schon als solcher nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet gewesen sein, die gesetzlichen Resultate der Unterrichts-Instanz vorauszusetzen und anzuerkennen. Wie viel mehr mußte er in seiner Stellung als Unterrichtsminister, wenn anders er nicht diese Stellung selbst einer vernichtenden Ironie opfern, oder den Charakter und die Fähigkeit derjenigen, durch deren gewissenhafte Pflichterfüllung, die von dem Gesetze verlangte, vollständige und ungetheilte Wissenschaft des Geprüften garantirt sein mußte, mit einem furchtbaren Verdacht belasten wollte, das Gesetz als ein lebendiges und erfülltes anerkennen. Weil er aber nicht minder intelligent, als gewissenhaft war und weil er eben streng zwischen Wissenschaft und Ausübung unterschied, so errichtete er in der Staatsprüfung für die Fähigkeit zur praktischen Ausübung der Wissenschaft eine controllirende Superrevision derselben, da er die Wissenschaft mit Recht als die nothwendige Grundlage einer heilsamen Praxis erkannte.

b) Das Medizinal-Departement des vereinigten Ministeriums der geistlichen Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten.

hat (mit einigen inconsequenten Ausnahmen) keine andere Aufgabe, als die Ausübung der Polizei des Medizinalpersonals; es soll durch dieselbe dem Staate die Garantie verschaffen, daß nur vollständig geschickte und vollständig zuverlässige Personen die Heilkunst ausüben (Gewerbeordnung § 26, § 42.). Sie hat, so lange sie innerhalb des gesetzlichen Kreises ihrer Thätigkeit verblieb, die Wissenschaft nicht in Stücke zerschnitten, sondern vielmehr erkannt, daß es ihrem praktischen Zwecke am besten entspricht, die Wissenschaft vollständig anzuerkennen und ihrer Totalität zur Geltung zu bringen; sie ist aber den Prinzipien der Wissenschaft auch untreu geworden, nicht aus Verkennung derselben, sondern weil sie in Verkennung der Rechte und der Pflichten ihrer Berufsthätigkeit die Grenze derselben ungesetzlich überschritt. Beweisen wir das erstere zunächst, so wird sich das andere von selbst ergeben.

Angewiesen bei dem ersten Schritte, den sie thun wollte, auf die Resultate der Unterrichtsbehörde, wußte sie dieselbe vollständig zu würdigen, ohne sie zu überschätzen. Sie empfing von derselben, wie wir oben dargelegt haben, ganze und wissenschaftliche Aerzte, doctores medicinae trinae et unius; ausdrücklich nur solche, die als vollständig qualificirt durch alle Stadien der Unterrichtsbehörde sich legitimiren konnten, ließ sie zum Beweise ihrer praktischen Fähigkeiten zu. Die Promotion wurde ausdrücklich als gesetzlicher Probirstein vollständiger Wissenschaftlichkeit anerkannt und darum als nothwendig vorausgesetzt. Weil nun nur auf Grundlage einer solchen vollständigen, wissenschaftlichen Errungenschaft Ansprüche auf praktische Befähigung möglich sind, aber trotz derselben diese Fähigkeit zur praktischen Ausübung noch nicht thatsächlich ist, d.h. weil die Medicinalbehörde die Wissenschaft vollständig anerkannte, dieselbe aber eben so streng von der Ausübung zu unterscheiden wußte, verlangte sie einen Nachweis der praktischen Fähigkeit. Auf solcher Voraussetzung durfte sie sehr wohl, ja des Zweckes halber musste sie sogar, zum Heil für die Praxis und ohne Schaden für die Wissenschaft das anerkennenswerthe Schicklichkeitsgefühl üben, es dem Gefühle des Einzelnen zu überlassen, ob er sich zur praktischen Ausübung aller, oder nur einzelner Zweige der Heilkunst geschickt fühle oder nicht. Sie überließ es, und mit Recht, der Stimme des eigenen Berufes, ob man in dieser oder jener Einseitigkeit etwas Tüchtiges zu leisten, vorzugsweise sich für fähig erachte. Daher haben wir die Klassifikation mit den entsprechenden Prüfungsbestimmungen über doctores promoti, welche entweder medici oder medico-chirurgi sein wollen. Der Umstand, daß bei der Zulassung zur inneren Praxis von doctores medicinae, neben doctores med. et. chir. gesprochen wird, ist an sich zwar ein blos formeller, der sich in Wirklichkeit nur auf den formellen usus einzelner Universitäten beziehen kann; erwägt man überdies die ausdrückliche Bestimmung einer chirurgisch-klinischen Prüfung und der chirurgischen Heilkunde in der Schlußprüfung für eben diese medici puri, so wird man wohl nicht bestreiten, daß es sich blos darum handelte, diejenigen, welche sich kein Geschick zur operativen Technik zutrauten, von der Uebung derselben auszuschließen, eine Ansicht, wodurch in Wirklichkeit gewiß mehr Schaden verhütet worden ist, als durch den Zwang Heil gestiftet worden wäre. Da der manuelle Theil der Geburtshilfe auch eine bestimmte Technik erfordert, so war es ganz consequent, auf diese dieselben Grundsätze anzuwenden und wenn man dieselbe nicht in technische und medizinische Geburtshilfe trennen wollte, so mußte man, wie geschehen, denjenigen, welcher dieses technische Geschick nicht hatte, von der Geburtshilfe überhaupt ausschließen. Hieraus ist ersichtlich, daß die Medizinalbehörde streng zwischen Wissenschaft und Ausübung unterschied, sie war aber eben so weit davon entfernt die Wissenschaft von der Praxis zu trennen, daß sie vielmehr in der Prüfung für praktische Befähigung die vollständige und ganze Wissenschaftlichkeit der zukünftigen Praktiker kontrollirte. Sie war sich vollständig bewußt, daß sie ihrem praktischen Berufe; nur vollkommen geschickte und vollkommen zuverlässige Personen als Heilkünstler zu approbiren, am besten entspräche durch vollständige Anerkennung der wissenschaftlichen Prinzipien auch in er lebendigen Wirklichkeit.

Die Medizinalbehörde von 1825 hat aber auch gethan, was nicht ihres Amtes war. Nicht die Verkennung des wahren Wesens der Wissenschaft, sondern die Verkennung ihres gesetzlichen Berufs ist die Quelle des Uebels, dessen sie mit Recht beschuldigt wird. Diese Quelle des so verderblichen Irrthums, in dem die Medizinalbehörde von 1825 befangen war, hat aber auch die Anklage nicht entdeckt: denn ist es ein moralisches Unrecht, die Armenpflege auf Kosten der Wissenschaft zu üben, so ist es auch ein gesetzliches Unrecht, wenn eine Behörde sie ohne Beruf zu ihrer amtlichen Thätigkeit macht, – ein doppeltes Unrecht, wenn es auf Kosten der Pflichten geschieht, deren Erfüllung ihr gesetzlicher Beruf ist. Nachdem durch die neue Organisation der Behörden das früher vereinigte collegium medicum et sanitatis halbirt war, mußten nothwendig halbe, das heißt schlechte Resultate aus der Thätigkeit dieser halben Behörden erfolgen. Indem sich das Medizinalministerium um solche praktische Verhältnisse, z.B. um die Gelegenheit für ärztliche Hilfe etc. bekümmerte, die gar nicht in seinem Berufe lagen, gerieth es in steten Widerspruch mit eben diesem Berufe, dessen Inhalt kein anderer ist, als dem Staate die Garantie zu verschaffen, daß nur vollständig geschickte und vollständig zuverlässige Personen die Heilkunst ausüben. Wir gestehen offen und ohne Umschweife, daß in der Insitution der Wundärzte erster und zweiter Klasse die Prinzipien der Wissenschaft geopfert sind, sowohl in der »Tiefen- als in der Breiten-Dimension der Wissenschaft;« Dieses Eingeständniß spricht uns selbstredend von dem Versuche jeder theoretischen Vertheidigung frei; in wiefern die praktischen Verhältnisse eine billige Erwägung verdienen, bleibe unerörtert, nur das sei bemerkt, daß das Institut der Wundärzte 1825 nicht neu geschaffen worden ist. Nach der Zählung im Jahre 1826, wo das vorhandene Personal der neuen Klassifikation gemäß rangirt wurde, waren von 3471 Medizinalpersonen, 2465 Wundärzte und von diesen 2102 Wundärzte zweiter Klasse; Aber nicht nur die Halbheit des die Medizinalpolizei übenden Departements, sondern

c) Die gewaltsame Trennung der Medizinal-Angelegenheiten in zwei unnatürliche Ressortgebiete.

ist schuld an dem Uebel; die unnatürliche Grenze mußte jeden Augenblick überschritten werden. Der Gedanke