Unendliche Liebe - Monica Murphy - E-Book

Unendliche Liebe E-Book

Monica Murphy

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Beschreibung

Chelsea ist überhaupt nicht mein Typ. Sie ist klug, aber total schüchtern. Ziemlich sicher ist sie sogar noch Jungfrau. Aber wenn sie mich mit ihren stechend blauen Augen anschaut, setzt bei mir alles aus. Auf eine komische Art. Ihre Art zu denken und ihr Hunger nach Liebe – als hätte sie noch nie welche bekommen – machen sie für mich begehrenswerter als jedes andere Mädchen. Aber was kann eine, die alles so gut auf die Reihe kriegt wie sie, schon von einem kaputten Typen wie mir wollen?

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Das Buch

»Hübsche Uniform«, murmelt er noch, bevor er sich in die Sitzecke gleiten lässt. Ich rümpfe die Nase, als ich seine Bierfahne rieche. Ich trage eine hässliche schwarze Kellnerinnen-Uniform aus Polyester, an der einfach mal gar nichts hübsch ist. Ich finde es furchtbar, dass er mich darin gesehen hat. Aber ich freue mich, ihn zu sehen.

»Wollt ihr was trinken?«, frage ich, wobei ich mir Mühe gebe, sie alle drei anzusehen und nicht nur Owen. Er könnte einen falschen Eindruck gewinnen, und ich muss schließlich von ihm respektiert werden, sollte ich ihm doch noch Nachhilfe geben.

Du machst dir mal besser keine Hoffnungen. Du solltest dich besser gar nicht mit ihm abgeben.

Ich bin so eine Heuchlerin.

Seine Freunde wollen Cola, und Owen bestellt Kaffee, was mich überrascht. Ich gehe hinter den Tresen, um ihre Getränke zu holen, wobei meine Knie zittern wie blöde. Eine totale Überreaktion. Ich will ihn gleichzeitig hier haben und wieder nicht. Ich verstehe nicht, warum ich so denke. Jungs interessieren mich nicht. Es interessiert mich nicht, was er denkt oder was er will. Warum verunsichert er mich dann so, dass mir die Beine zittern? Ich habe höchstens zehn Minuten mit ihm geredet, und dann taucht er auf einmal hier bei der Arbeit auf, als ob es eine Art magnetische Anziehungskraft zwischen uns gäbe …

Die Autorin

Die New York Times-, USA Today- und internationale Bestseller-Autorin Monica Murphy stammt aus Kalifornien. Sie lebt dort im Hügelvorland unterhalb Yosemites, zusammen mit ihrem Ehemann und den drei Kindern. Sie ist ein absoluter Workaholic und liebt ihren Beruf. Wenn sie nicht gerade an ihren Texten arbeitet, liest sie oder verreist mit ihrer Familie.

Lieferbare Titel

Total verliebt

Zweite Chancen

Verletzte Gefühle

Aus dem Amerikanischen von Lucia Sommer

WILHELM HEYNE VERLAG

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.”
Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem TitelFour Years Later Boyfriend bei Bantam Books.
Copyright © 2013 by Monica MurphyCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlagagentur: zero-media.net unter Verwendung von Sylvain Sonnet / getty images ISBN 978-3-641-16754-7V003
www.heyne.de
www.penguinrandomhouse.de

Dieses Buch ist für meine Leserinnen. Ich hoffe, dass Ihr Owen und Chelsea genauso

Menschen weinen nicht, weil sie schwach sind, sondern weil sie zu lange stark sein mussten.

– Johnny Depp

Vier Jahre später

Kapitel 1

Es ist egal, was andere über dich denken.Allein, was du selbst über dich denkst, zählt.

– Unbekannt

Owen

Ich sitze mit hängendem Kopf draußen auf dem Flur und starre auf meine schmuddeligen schwarzen Chucks. Die Tür links von mir ist aus Milchglas, sodass man nicht wirklich etwas erkennen kann, doch ich weiß, wer da drinnen ist.

Ich höre das leise Murmeln ihrer Stimmen, aber ich kann die Worte nicht verstehen.

Aber das macht nichts. Ich weiß sowieso, was sie über mich sagen.

Meine Studienberaterin. Mein Coach. Meine Schwester. Mein Schwager. Sie alle sind da drin und reden über meine Zukunft. Oder vielmehr über meine nicht vorhandene Zukunft.

Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke an die Decke. Frage mich, wie zum Teufel ich das geschafft habe. Vor ein paar Jahren war das Leben noch gut. Verdammt, letzten Sommer war das Leben noch richtig gut. Ich war im Team. Bin übers Feld gerannt, als hätte ich Feuer unter den Sohlen, und niemand konnte mich aufhalten. Und der Coach hat mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu mir gesagt: Du bist wie Drew.

Ja. Und ich war verdammt stolz. Ich vergöttere meinen Schwager. Bei ihm fühle ich mich sicher. Er versteht mich, auch wenn Fable es nicht tut. Nicht, dass sie es nicht versuchen würde, aber sie ist nun mal ein Mädel. Sie versteht manches einfach nicht.

Wenn ich an Mädels denke, fühlt sich mein Herz an wie aus Stein. Hart und undurchdringlich. Wie lange ist es her, dass ich zum letzten Mal etwas mit einem Mädchen hatte? Ich weiß es nicht. Vielleicht ein paar Wochen? Ich vermisse die Mädchen. Ihr Lächeln und Lachen und wie sie nach Luft schnappen, wenn ich ganz locker rangehe und sie einfach küsse. Ihre glatte Haut und wie einfach alles war. Wie wir uns ausgezogen und unsere Sachen fallen gelassen und unsere Arme und Beine ineinander verschlungen haben.

Im Footballteam zu sein, bedeutete, dass ich sie alle haben konnte. Aber wenn ich weiter so schlechte Noten bekomme, kann ich das mit dem Team vergessen. Wenn ich nicht aufhören kann zu kiffen, werde ich rausgeschmissen. Wenn ich noch einmal dabei erwischt werde, wie ich als Minderjähriger in einer Kneipe Alkohol trinke, fliege ich für immer aus dem verdammten Team. Ohne Erbarmen.

Dabei hält sich doch echt niemand an die Regeln.

Die Glastür schwingt auf, und meine Studienberaterin steckt den Kopf heraus. Mit ernstem Gesichtsausdruck sieht sie mich an. »Sie können jetzt reinkommen, Owen.«

Ohne ein Wort stehe ich auf und schlurfe ins Zimmer. Ich traue mich nicht, irgendjemanden anzusehen, weil ich Angst davor habe, die Enttäuschung in ihren Gesichtern zu sehen. Der Einzige, dem ich einen kurzen Blick zuwerfe, ist Drew, und er sieht mich so voller Mitgefühl an, dass ich am liebsten auf ihn zulaufen und ihn anflehen würde, dass er alles wiedergutmachen soll.

Aber das kann ich nicht. Ich bin schließlich verdammt noch mal erwachsen – jedenfalls sagt das Mom.

Fuck. Das ist mein größtes Geheimnis. Ich halte es kaum aus, an sie zu denken, besonders wenn Fable direkt neben mir sitzt. Sie würde ausflippen, wenn sie davon wüsste.

Aber sie weiß es nicht. Niemand weiß, dass Mom wieder in der Stadt ist. Sie bittet mich ständig, ihr Gras zu besorgen, und ich tue es. Sie bezahlt mich mit Bier, und ich trinke es. Und gebe ihr alles Geld, das ich über habe.

Ich kellnere im District, wenn ich keine Kurse oder Training habe oder lernen muss oder was auch immer. Ich verdiene dort einigermaßen, ich habe ein Football-Stipendium, und Drew spielt für die NFL, geiler Scheiß, von daher haben Fable und Drew echt mal ausgesorgt. Sie wohnen in der Bay Area, er spielt für die 49ers, und er schwimmt im Geld.

Aber ich will keine Almosen von ihnen, es reicht schon, dass sie mir das College und das Haus finanzieren. Mom ist letzten Frühling wieder in die Stadt gekommen, als mein erstes Jahr am College langsam zu Ende ging. Sie wusste, dass ich ihr nichts abschlagen kann, dass ich mich leicht von ihr manipulieren lasse.

Deine Schwester ist stinkreich, sagt sie immer. Aber die kleine Schlampe gibt mir nicht einen Cent, aber du gibst mir doch bestimmt was, mein Süßer, oder? Du bist doch mein Liebling. Du hast schon immer auf mich aufgepasst. Das willst du doch, oder? Ich brauche dich, Owen. Bitte.

Sie muss nur »bitte« sagen, und ich Trottel gebe ihr alles Geld, das ich habe.

»Wir haben gerade ausführlich über Ihre Zukunft gesprochen, Owen«, sagt meine Studienberaterin. Ihre Stimme ist rau, als hätte sie ungefähr fünfzigtausend Schachteln Zigaretten zu viel geraucht. Ich konzentriere mich ganz auf sie, denn ich will die Enttäuschung in Fables Gesicht nicht sehen. »Wir sind bereit, über einige Dinge hinwegzusehen. Sie sind noch jung. Sie haben Fehler gemacht. Fehler, die andere in Ihrem Team auch gemacht haben.«

Allerdings. Diese Typen sind meine Freunde. Wir haben die Fehler zusammen gemacht.

»Ihre Noten leiden. Ihre Schwester glaubt, dass Sie zu viel arbeiten und hat deswegen Ihren Chef angerufen.« Verdammte Scheiße. Ich glaub’s nicht. Aber klar, der Besitzer des Ladens ist ihr Freund und ehemaliger Chef, Colin. Er verpfeift mich wahrscheinlich sofort, auch wenn er selbst gar nicht mehr da arbeitet. Er und seine Freundin Jen sind gleich nachdem ich mit der Highschool fertig war weggezogen. Die sind jetzt in Südkalifornien, wo sie ein Restaurant nach dem anderen eröffnen.

»Und, was hat mein Chef gesagt?«, frage ich wütend. Mein Job ist meine Sache. Der Job ist das Einzige, was mir ein bisschen Freiheit gibt, etwas Geld, das ich selbst verdient habe. Kein Almosen von Drew. Kein Zuschuss, damit ich ein Dach überm Kopf habe und meine Handyrechnung bezahlen kann.

Es ist Geld, das mir gehört, weil ich es verdient habe.

»Dass Sie dreißig Stunden die Woche arbeiten.« Dolores – so heißt meine Studienberaterin. Sie klingt wie ein Mann, und sie ist uralt. Sie arbeitet wahrscheinlich schon so lange hier, wie es das College gibt, und wenn man bedenkt, dass es um die Jahrhundertwende gegründet wurde, ist sie echt steinalt. »Das ist zu viel, Owen. Wann haben Sie denn Zeit zu lernen?«

Gar nicht, würde ich am liebsten sagen, aber ich halte den Mund.

»Ihre Noten sind alle dramatisch abgerutscht, und Sie sind kurz davor, in Englisch durchzufallen. Das ist der Kurs, auf den Sie sich im Moment am meisten konzentrieren müssen«, sagt Dolores, das Mannweib.

»Was ich einfach nicht glauben kann«, sagt Fable, sodass ich sie jetzt doch ansehen muss. Und verdammt, sie ist echt angepisst. Ihre grünen Augen – die genauso aussehen wie meine – funkeln zornig, und sie presst die Lippen so fest aufeinander, dass ich Angst habe, sie könnte jeden Moment Nägel spucken. »Du warst doch immer so gut in Englisch. Du hast früher richtig gern geschrieben.«

Früher, da hatte ich auch noch alle Zeit der Welt. Na ja, eigentlich nicht, aber ich konnte mir trotzdem die Zeit nehmen, um zu schreiben. Es hatte mir irgendwie immer geholfen. Am Anfang hatte ich einfach nur Drew imitiert. Der Kerl hat immer irgendeinen Quatsch geschrieben, und dann hat meine Schwester so ausgesehen, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, und das wollte ich auch. Nicht in Ohnmacht fallen oder dass meine Schwester in Ohnmacht fällt, sondern die Leute mit meinen Worten berühren.

Und so bin ich zu einer Kopie von Drew Callahan geworden. Ich habe Football gespielt, geschrieben, gelernt und mein Bestes gegeben, das Richtige zu tun. Ich bin nur ein bisschen kontaktfreudiger als Drew. Mädels sind einfach mein Ding. Genauso wie meine Freunde. Und Bier. Oh, und Gras.

Das war natürlich alles nicht das Richtige, auch wenn ich die besten Vorsätze hatte.

Ich habe versucht, meine sogenannte Drogensucht aufzugeben. Und das hatte ich auch. Aber dann ist Mom aufgetaucht, und jetzt rauchen wir das Zeug zusammen.

Es ist alles eine einzige Scheiße.

»Ich hab keine Zeit«, sage ich achselzuckend.

»Genau. Weil du arbeitest, obwohl du es nicht müsstest. Du kleiner Scheißer.« Fable zischt mir das letzte Wort zu, und es sitzt, als hätte sie mit einer Peitsche nach mir geschlagen. Drew legt ihr die Hand auf den Arm und sieht sie an, als wollte er sagen: Beruhig dich.

Und genau das tut sie. So eine Wirkung hat er auf sie. Die zwei sind so perfekt füreinander, dass es einem echt hochkommen könnte. Ich vermisse sie. Ich bin allein, ganz mir selbst überlassen in dieser Stadt, in der ich aufgewachsen bin, und gehe hier aufs College, weil ich es so wollte. Ich wollte unabhängig von ihnen sein.

Jetzt wünschte ich, ich wäre mit bei ihnen eingezogen. Nach Stanford gegangen, wie sie es gewollt hatten. Na ja, wie Fable es für mich gewollt hatte. Drew hatte ihr gesagt, sie solle mich nicht drängen. Je mehr sie mich drängt, desto mehr entziehe ich mich.

Und so war es auch. Mit der Stanford-Sache und auch als es darum ging, mit meiner Schwester und ihrem Mann in die fette Villa einzuziehen. Zu all dem habe ich Nein gesagt.

Ich bin ein ziemlicher Idiot, nicht wahr?

»Wir haben Nachhilfeunterricht für Sie arrangiert«, sagt die Studienberaterin und tut so, als hätte sie nicht gehört, wie meine Schwester mich beschimpft hat. »In einer Stunde geht es los.«

»Ich muss in einer Stunde bei der Arbeit sein«, fange ich an, aber Fable unterbricht mich.

»Nein, musst du nicht. Du bist erst mal beurlaubt.«

»Von der Arbeit?« Ungläubig sehe ich sie an. Wovon zum Kuckuck redet sie?

»Solange du deinen Sch- dein Studium nicht auf die Reihe kriegst, gehst du nicht mehr arbeiten. Du musst dich aufs College konzentrieren. Mehr als auf alles andere«, sagt Fable. Als ich den Mund öffne, um zu protestieren, sieht sie mich mit zusammengekniffenen Augen an, und ich schließe den Mund wieder. »Die schicken dich auf die Reservebank. Du solltest echt aufpassen, bevor du noch alles verlierst. Ich meine es ernst.«

Mist.

Chelsea

Der Unterrichtsraum ist still, und es riecht nach alten Büchern und Kreidestaub, obwohl es hier garantiert schon seit Jahren keine Kreidetafel mehr gibt. Wir treffen uns in einem der alten Campus-Gebäude, wo die Luft von den vielen Generationen von Studierenden ganz dick ist und es überall zieht und alles etwas heruntergekommen ist und einen ziemlich veralteten Eindruck macht.

Ich dagegen fühle mich ziemlich glänzend und wie neu, und das ist ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr gehabt habe. Ich hatte schon fast vergessen, wie sich das anfühlt. Ich habe mir gestern die Haare schneiden lassen – ich habe mir sogar komplett Waschen, Schneiden und Föhnen gegönnt, sodass mir die Haare jetzt in perfekten Wellen über die Schultern fallen. Normalerweise mache ich mir nicht die Arbeit, mir Wellen zu föhnen, weil meine Haare sowieso nach kurzer Zeit wieder langweilig glatt herunterhängen. Ich trage eine neue Jeans und eine Strickjacke, die ich gestern bei Old Navy mit dem 30%-Rabatt-Gutschein erstanden habe, den ich per E-Mail zugeschickt bekommen hatte. Mom wäre stolz auf mich und meine neue Sparsamkeit.

Dabei habe ich gar keine Wahl. Sparsam sein ist zu meinem neuen Lebensstil geworden.

Jetzt warte ich also auf den neuen Studenten, dem ich bis zum Ende des Semesters Nachhilfe geben darf. Es ist bereits Oktober, viel Zeit haben wir also nicht mehr, seine Noten zu verbessern, aber deswegen mache ich mir keine Sorgen. Ich bin eine gute Nachhilfelehrerin. So gut, dass ich die schweren Fälle bekomme, und dieser ist angeblich besonders schwer.

Ich habe die Highschool ein Jahr früher abgeschlossen und gebe Nachhilfe, seit ich aufs College gehe, inzwischen also schon seit drei Jahren. Ich habe eine Menge Erfahrung. Und es ist keine Angeberei, wenn ich sage, dass ich schlau bin. Manche Leute würden vielleicht auch sagen, dass ich außergewöhnliches Talent habe.

Nur stehe ich mir damit manchmal selbst im Weg.

Alles, was ich über meinen neuen Nachhilfeschüler weiß, ist, dass er Football spielt und auf dem besten Wege ist, in Englisch durchzufallen. Da ich mich aber für keines der Sportteams an meinem College interessiere, habe ich keine Ahnung, wer hinter dem Namen steckt. Wahrscheinlich ist er ein komplexbeladener Penner, der absolut keine Lust hat, sich von jemandem wie mir etwas sagen zu lassen.

Wie auch immer. Das lasse ich gar nicht an mich heran. Ich kassiere einfach alle zwei Wochen mein Geld und schicke Mom so viel ich kann. Ich habe mich in der Vergangenheit schon mit etlichen Sportskanonen abgeben dürfen, die sich darüber geärgert haben, dass sie am College in aller erster Linie lernen müssen. Mehr als einmal ist es vorgekommen, dass meine Nachhilfeschüler rumgejammert haben: »Wen interessieren denn meine Noten? Ich will spielen.«

Die denken, sie könnten ewig damit auskommen, einfach nur zu spielen. Dabei ist es auch vollkommen egal, um was für eine Sportart es sich handelt. Football, Baseball, Basketball … Wenn sie gut darin sind, halten sie sich für unbesiegbar. Sie glauben, sie kämen damit so weit, dass sie niemals irgendetwas anderes im Leben bräuchten.

Aber sich auf eine einzige Sache zu verlassen, von der das ganze Glück und Einkommen und das ganze Leben abhängt, das funktioniert einfach nicht. Mom ist der lebende Beweis dafür.

Genau wie ich.

Ich blicke auf mein Handy. Mein neuer Schüler ist schon fast zehn Minuten zu spät dran. Dann bekommt er eben nur fünfzig Minuten. Ich muss danach direkt weiter zu meinem anderen Job. Ich habe keine Zeit, auf ihn zu warten. Manchmal arbeite ich abends und an den Wochenenden in einem miesen kleinen Diner in der Innenstadt, auch wenn es mir da nicht besonders gefällt. Der Chef ist ein arroganter Idiot, und die Leute, die zum Essen kommen, sind grundsätzlich mies gelaunt. Aber die Trinkgelder sind ganz anständig, und ich kann nun mal jeden Dollar gebrauchen.

Wir sind zwei arme Mädchen, Mom und ich. Dad hat uns mit nichts zurückgelassen.

Ich hasse ihn. Irgendwie hasse ich Kerle im Allgemeinen. Als ich fast vierzehn war und niemand in der Schule mich mochte, hatte ich eine Phase, in der ich dachte, ich wäre lesbisch. Ich hatte den paar Freundinnen, die ich hatte, und meinen Eltern und allen, die mir zuhören wollten, erzählt, ich würde auf Mädchen stehen. Ich habe ihnen aber nie erzählt, warum ich beschlossen hatte, lesbisch zu sein.

Der damals sechzehnjährige Cody Curtis hatte mir auf einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Geburtstagsparty seine Zunge in den Hals gesteckt, während er mich mit seinen rauen, unerfahrenen Händen begrapschte. Ich hätte mich beinah übergeben müssen. An jenem Abend beschloss ich, dass ich, wenn es das war, was Jungs mit Mädchen machten, da nicht mitmachen würde. Ich wollte lieber eine geächtete Lesbe sein, als mir von Typen an den Hintern packen und am Gaumen lecken zu lassen.

Nur hatte mir niemand geglaubt. Weder meine Eltern, noch meine Freundinnen. Alle dachten, es wäre bloß gespielt. Besonders meine beste Freundin, Kari, die wusste, dass Cody mir die Zunge in den Hals gesteckt und wie eklig ich das gefunden hatte.

Sie hatten recht. Es war gespielt, dabei war es überhaupt kein Spiel. Es war eher eine Art Abwehr. Ich habe mich mit Kerlen noch nie besonders wohlgefühlt. Wenn sie mir auch nur ein bisschen Aufmerksamkeit zukommen lassen, glaube ich schon, dass sie irgendwelche Hintergedanken haben. Dass sie etwas von mir wollen, das ich nicht bereit bin zu geben.

Meinen Körper. Meinen Verstand. Meine Seele.

Dass sie mir alles wegnehmen und mich vernichten. Und dann gehen, ohne sich noch mal umzusehen. So wie mein Vater. Er macht es immer wieder. Er verlässt uns. Meine Mom weint, er kommt wieder, sie verzeiht ihm. Er vernichtet sie, bis sie nur noch ein kleines Häufchen Elend ist, und dann ist er weg. Diesmal für immer.

Und ich bin diejenige, die die Scherben wieder aufsammeln darf. Die Mom wieder aufbauen und ihr erzählen darf, dass sie stark ist. Dass sie ihn nicht braucht. Dass wir beide ihn nicht brauchen.

Aber das ist gelogen. Ich glaube, sie braucht ihn sehr wohl. Und ich brauche ihn auch, wenn auch nur ihretwegen. Ich liebe ihn nicht, nicht mehr. Er hat oft genug auf meiner Liebe herumgetrampelt, bis ich nur noch verbittert war.

Wenn ich mir ansehe, was er Mom antut, wünschte ich, ich hätte das mit dem lesbisch sein durchgezogen. Oder vielleicht sollte ich einfach asexuell werden. Das würde auch funktionieren. Mir gefällt es hier in meiner kleinen Welt, in der alles einen Sinn ergibt, mit dem College und der Nachhilfe und meinen Plänen fürs Masterstudium. Ich kann sein, was ich will. Ich brauche keinen Mann, um mich zu definieren. Kari macht sich Sorgen, dass ich für immer auf dem College bleiben könnte, weil es mir zu gut gefällt. Sie meint, daran wäre irgendwas verkehrt.

Es fällt mir schwer, ihr gegenüber zuzugeben, wie viel Angst ich vor der richtigen Welt habe.

Da werde ich durch das Quietschen der Tür aus meinen Gedanken gerissen. Ein Typ kommt hereinstolziert – es gibt kein anderes Wort um zu beschreiben, wie er geht. Mit einer natürlichen Grazie schwebt er regelrecht herein. Er ist groß und breitschultrig und hat einen bedrohlichen, finsteren Gesichtsausdruck. Aber sein Gesicht ist … wow, es ist wunderschön.

Sofort werfe ich alle Gedanken daran, zu meinem angeblichen Lesbischsein zurückzukehren, über Bord. Wenn ich so schlau bin, wie ich behaupte, sollte ich ihnen wohl hinterherrennen und sie wieder einfangen. Und so tun, als würde dieser umwerfend gut aussehende Typ nicht existieren.

»Du bist meine Nachhilfelehrerin?« Als er vor meinem Tisch stehenbleibt, stehe ich auf und schiebe den Stuhl dabei so schnell zurück, dass er laut scheppernd auf den Boden fällt.

Meine Wangen brennen, aber ich ignoriere den umgefallenen Stuhl und tue so, als wäre gar nichts passiert. Ich bin der größte Tollpatsch auf Erden. »Äh, ja. Und du bist Owen?« Ich zucke innerlich zusammen. Äh. Ich soll seine Englischnote verbessern und kann noch nicht mal einen ordentlichen Satz formulieren.

»Äh, ja.« Er reckt mir sein Kinn entgegen. Es ist ein kräftiges Kinn, das wie sein gesamter Kiefer mit einem goldenen Stoppelbart bewachsen ist, der nicht ganz zur Farbe seiner Haare passt. Die sind nämlich braun. Aber es ist ein leuchtendes Goldbraun, das die Vermutung nahelegt, dass er, wenn er lange genug in der Sonne sitzen würde, fast blond wäre. »Ich hab nur keine Zeit für diesen Scheiß. Ich muss zur Arbeit.«

Oh. Er ist noch nicht mal seit einer Minute da und serviert mich schon ab und beschimpft mich auch noch. Idiot. »Du bist zu spät.«

»Ich weiß. Ich sag doch, ich hab keine Zeit.«

»Ich glaube, du hast gar keine Wahl.« Ich drehe mich nach meinem Stuhl um und hebe ihn auf. Als ich den Typen wieder ansehe, hebt er schnell den Blick, so als hätte er gerade meinen Hintern angestarrt. Ich wette, jetzt bin ich knallrot.

Hauptsächlich deswegen, weil es mir tatsächlich gefällt, ihn dabei zu erwischen, wie er höchstwahrscheinlich meinen Hintern angestarrt hat.

Was ist nur los mit mir?

»Ich brauch deine Hilfe eigentlich gar nicht«, sagt er und sieht mir in die Augen. »Ich bin normalerweise ziemlich gut in Englisch.«

Ihn einfach nur anzusehen, verschlägt mir die Sprache, was wirklich erbärmlich ist. Er hat grüne Augen. Ein tiefes, intensives Grün, das so schön ist, dass es beinah wehtut hinzusehen. In solchen Augen kann man sich ganz schön verlieren. Ich wette, genau das ist bereits tausend Mädels vor mir passiert. »Ach ja?«, frage ich mit verächtlicher Stimme. »Angeblich bist du gerade dabei durchzufallen.«

Er presst die vollen Lippen zu einer harten Linie zusammen. Man könnte den üppigen Mund beinah als feminin bezeichnen, wenn er nicht diese harten Gesichtszüge hätte, die den Eindruck sofort wieder zunichtemachen. »Das ist so ein Schwachsinn«, murmelt er und fährt sich mit der Hand durch die Haare, sodass sie total durcheinandergeraten.

Es steht ihm. Allein für den Gedanken würde ich mich am liebsten schlagen. Was ist mit meinen Plänen, lesbisch zu werden? Asexuell? Schon wieder begraben, weil ein gut aussehender, eingebildeter Kerl hier hereinspaziert und versucht, so schnell wie möglich wieder von mir fortzukommen?

Ich bin keins von diesen Mädchen. Ich bin intelligent. Ich interessiere mich nicht für Jungs, und das ist völlig okay. Ich trage schon seit Jahren einen Schutzschild um mich herum, aber ich hatte keine Ahnung, dass er so dünn ist.

Er hat ihn mit einem einzigen Blick seiner viel zu grünen Augen durchbrochen und weiß es noch nicht mal. Doch ich weigere mich, ihm Macht über mich zu geben.

»Warum setzt du dich nicht hin und wir besprechen das Ganze«, schlage ich vor, setze mich auf meinen Stuhl und rücke an den Tisch.

Aber er denkt gar nicht daran, sich zu setzen. Er steht immer noch vor mir, und weil er so groß ist und seine Schultern so breit sind, kann ich nur noch ihn sehen. Ich lege den Kopf zurück und ärgere mich darüber, dass es so wirkt, als hätte er die Oberhand. Ärgere mich noch viel mehr darüber, wie er auf mich herabschaut, als wäre ich nichts. Als könnte er jetzt einfach gehen und vergessen, dass es mich überhaupt gibt.

Wahrscheinlich ist es wirklich so.

»Können wir nicht einfach so tun, als würde ich jede Woche kommen? Du bekommst dein Geld, und alles ist gut? Du schreibst deine Berichte, und ich mache meine Hausaufgaben, bestehe gerade so eben und fertig?«, fragte er, während er nach der Rückenlehne des Stuhls fasst, hinter dem er steht. Mit seinen langen Fingern umfasst er den Stuhl so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. Er ist angespannt.

Großartig. Das bin ich auch. »Ähm, das wäre gelogen. Und Betrug«, sage ich langsam, um die Worte in sein Bewusstsein eindringen zu lassen.

»Na und? Ich kriege das hin. Ich muss doch nur meine Hausaufgaben machen, richtig?« Es klingt so einfach, wie er das sagt.

»Du hast bereits drei Tests nicht bestanden«, sage ich, ohne auf das Blatt zu sehen, auf dem sein Versagen in Englisch exakt dokumentiert ist. Ich habe es mir genau angeschaut, bevor er gekommen ist. Habe es mir richtig eingeprägt. »Und in Kreativem Schreiben bist du auch kurz davor durchzufallen.«

»Ich dachte …«, fängt er an und seufzt. Seine Nasenflügel beben leicht. »Ich dachte, es würde ganz einfach sein.«

»Anscheinend ist es das nicht.« Ich hebe eine Augenbraue und bin ziemlich stolz auf mein ruhiges, cooles Verhalten. In mir drin ist allerdings alles in Aufruhr.

»Ich bezahl dich extra«, platzt er heraus. »Ich kann nicht … Ich muss arbeiten.«

Sein Angebot schockiert mich. Ich bin sprachlos.

»Vielleicht …« Ich hole tief Luft. »Vielleicht können wir uns ja wann anders treffen? Liegt es daran? Ist die Zeit nicht gut?«

»Nein. Überhaupt nicht.« Er schüttelt den Kopf. »Ich will es einfach nicht. Nichts für ungut, aber ich hab echt keine Zeit für diesen Scheiß.«

Und damit dreht er sich um und geht.

Kapitel 2

Es ist viel sicherer, einfach nichts zu fühlen, mich nicht von der Welt berühren zu lassen.

– Silvia Plath

Chelsea

Ich hasse die Arbeit im Diner. Das Restaurant liegt nicht gerade im besten Teil der Stadt, neben einer Bar, in der vom College eindeutig niemand verkehrt. Aber da das Diner vierundzwanzig Stunden geöffnet hat, landen doch immer ein paar Studenten gegen halb drei Uhr morgens nach ihrer Kneipentour betrunken und hungrig bei uns.

Ich kann nur deswegen bis um vier arbeiten, weil ich frühmorgens keine Kurse habe. So habe ich immer genug Zeit, nach Hause zu gehen und noch ein paar Stunden zu schlafen. Kari, meine beste Freundin und Mitbewohnerin, ist so gut wie nie da. Sie hat einen genauso vollen Stundenplan wie ich, und außerdem hatte sie bis vor Kurzem noch einen Freund, bei dem sie die meiste Zeit war. Sie haben oft zusammen gekifft und den ganzen Tag und die ganze Nacht Sex gehabt, aber dann hat er sie sitzengelassen.

Das war das Beste, was ihr passieren konnte. Der Typ war ein Loser. Meine Freundin sucht sich immer die Falschen aus. Sie steht irgendwie auf böse Jungs. Die machen sie an.

Ich weiß das, weil sie mir ihre sexuellen Eskapaden am liebsten bis ins kleinste Detail schildert. Ich glaube, es macht ihr Spaß, mich damit zu schockieren, was okay für mich ist. Ich sauge diese Informationen regelrecht auf und frage mich dabei aber immer, was an Sex eigentlich so toll sein soll.

Es hört sich einfach entsetzlich an. Peinlich. Schmerzhaft. Erniedrigend. Ich bin wirklich froh, dass ich mich fürs Alleinsein entschieden habe.

Mom gefällt nicht, dass ich im Diner arbeite, und sie versucht ständig, mich zu überreden, den Job aufzugeben, aber ich kann nicht. Ich brauche ihn, um die Dinge zu finanzieren, die mein Stipendium nicht abdeckt. Ich habe zwei Jobs und gehe Vollzeit aufs College. Nächstes Jahr mache ich meinen Abschluss, und dann will ich meinen Master in Pädagogik machen. Allerdings nicht hier.

Ich kann es gar nicht erwarten, diese Stadt hinter mir zu lassen. Das ist einfach nicht mein Pflaster hier. Ich kann auf ein College viel näher an zu Hause gehen, in Walnut Creek. Na ja, wir haben früher mal in Walnut Creek gewohnt, bis wir so ziemlich alles verloren haben. Mom lebt jetzt in einem Apartment in Concord. Sie wollte, dass ich hierbleibe, damit ich mir das Elend nicht jeden Tag ansehen muss.

Ihre Worte, nicht meine.

Heute Abend ist es ruhig im Diner, aber es ist Mittwoch, da ist das normal. Ich gehe von Tisch zu Tisch und serviere den Studenten riesige Teller mit Pommes oder Nachos. Die zwei alten Kerle, die gerade von der Schicht im Kraftwerk kommen, haben Frühstück bestellt, und zwei Typen, die schon länger für einen Test in inzwischen weniger als sechs Stunden lernen, bekommen einen Kaffee nach dem anderen.

Das Übliche.

Deswegen bin ich umso überraschter, als die Tür aufgeht und ungefähr eine Stunde, bevor meine Schicht zu Ende ist, Owen Maguire hereinkommt. Ihm folgen zwei Typen, die genauso groß sind wie er, allerdings längst nicht so gut aussehen.

Mist. Ich ärgere mich, dass ich überhaupt so denke.

Er ist mir hier vorher noch nie aufgefallen, aber wer weiß. Normalerweise denke ich nicht viel über heiße Typen nach. Normalerweise … arbeite ich einfach.

Aber dieser Typ ist anders. Ich bin ihm einmal begegnet, und seitdem kann ich ihn nicht mehr vergessen. Seine aufsässige Art ist ziemlich nervig, aber dieses Gesicht … diese Augen …

»Na, sieh mal einer an«, sagt er, und ich sehe erschrocken auf. Er grinst mich an. Er ist ein bisschen wackelig auf den Beinen, und ich weiß sofort, dass er betrunken ist.

Muss einen gefälschten Ausweis haben, um in die Kneipen zu kommen, schließlich ist er ja erst neunzehn.

»Hi.« Ich werfe den drei betrunkenen Jungs ein kurzes Lächeln zu. »Wollt ihr ’nen Tisch?«

»Aber sicher«, sagt Owen und sein Grinsen wird breiter. Ich würde ihn am liebsten ohrfeigen.

Oder küssen.

Ich verscheuche diesen verstörenden Gedanken, bringe die drei zu einem Tisch und mache einen Schritt zurück, als Owen mir etwas zu nahe kommt. »Hübsche Uniform«, murmelt er noch, bevor er sich in die Sitzecke gleiten lässt.

Ich rümpfe die Nase, als ich seine Bierfahne rieche. Ich trage eine hässliche schwarze Kellnerinnen-Uniform aus Polyester, an der einfach mal gar nichts hübsch ist. Aber da ich hier ja eigentlich niemanden beeindrucken will, hatte ich bisher auch kein Problem damit.

Doch jetzt würde ich sie am liebsten abstreifen, wie eine Schlange ihre Haut abstreift. Mich einfach herauswinden aus diesem hässlichen, unvorteilhaften Kleid und es in den Müll werfen. Ich finde es furchtbar, dass er mich darin gesehen hat.

Aber ich freue mich, ihn zu sehen.

»Wollt ihr was trinken?«, frage ich, wobei ich mir Mühe gebe, sie alle drei anzusehen und nicht nur Owen. Er könnte einen falschen Eindruck gewinnen, und ich muss schließlich von ihm respektiert werden, sollte ich ihm doch noch Nachhilfe geben. Auch wenn ich das starke Gefühl habe, dass es nicht klappt, aber man darf ja wohl noch hoffen.

Du machst dir mal besser keine Hoffnungen. Du solltest dich besser gar nicht mit ihm abgeben.

Ich bin so eine Heuchlerin.

Seine Freunde wollen Cola, und Owen bestellt Kaffee, was mich überrascht. Ich gehe hinter den Tresen, um ihre Getränke zu holen, wobei meine Knie zittern wie blöde. Eine totale Überreaktion.

Ich will ihn gleichzeitig hier haben und wieder nicht.

Ich verstehe nicht, warum ich so denke. Jungs interessieren mich nicht. Es interessiert mich nicht, was er denkt oder was er will. Warum verunsichert er mich dann so, dass mir die Beine zittern? Ich habe höchstens zehn Minuten mit ihm geredet, und dann taucht er auf einmal hier bei der Arbeit auf, als ob es eine Art magnetische Anziehungskraft zwischen uns gäbe. Und grinst mich an, als fände er es lustig, dass er mich gefunden hat. Sagt mit dieser tiefen, raunenden Stimme ironisch nette Sachen wie hübsche Uniform, dass es mir Schauer über den Rücken jagt.

Ich komme mir vor wie ein pubertierendes Mädchen und verachte mich selbst dafür.

Ich versuche, so zu tun, als wäre er mir egal, und spule meine Routine ab. Ich bringe ihnen die Getränke, dann nehme ich die Bestellung auf. Gebe sie an den Koch weiter, dann räume ich die leeren Tische ab, fülle die Serviettenspender auf und kassiere die Gäste ab, die einer nach dem anderen gehen. Bis das Restaurant fast leer ist und nur noch ich, der Koch, Paula, die andere Kellnerin, und Owen und seine Freunde da sind.

Als ich ihnen das Essen bringe, bemerke ich, dass Owen seinen Kaffee mit Unmengen von Sahne trinkt. Warum ich mir diese Information für später merken will, so wie ein Eichhörnchen Nüsse für den Winter sammelt, weiß ich nicht. Es ist blöd. Seinetwegen komme ich mir blöd vor.

Dabei kenne ich ihn noch nicht mal. Und er interessiert sich überhaupt nicht für mich. Ich bin dieses nervige Mädel, mit dem er sich zweimal die Woche für eine Stunde treffen soll, damit seine Noten besser werden. Ich bin diejenige, die er dafür bezahlen wollte, dass ich so tue, als würde ich ihm Nachhilfe geben, damit er sich nicht mit mir abgeben muss.

Idiot.

»Wollt ihr noch was?«, frage ich ein paar Minuten später, als ich ihnen die Rechnung auf den Tisch lege.

Owen legt die Hand auf die Rechnung und zieht sie zu sich. »Ich glaube, das war’s.«

»Gut.« Ich lächle, aber es ist ein unsicheres Lächeln. »Ich kann euch gleich abkassieren, oder ihr zahlt später an der Kasse.«

»Hey, was würdest du denn noch für uns machen?«, fragte einer von Owens Freunden, und der andere lacht.

Meine Wangen brennen, und mit offenem Mund stehe ich da und glotze sie an wie ein sterbender Fisch auf dem Trockenen. Zum Glück springt Owen mir bei. »Halt die Schnauze, Des.« Als er mich ansieht, ist von dem betrunkenen Blödian, als der er hier hereingekommen ist, nichts mehr übrig. »Er ist breit. Er weiß nicht, was er da sagt.«

»Ich weiß ganz genau, was ich sage«, murmelt der betrunkene Des, aber als Owen ihm einen warnenden Blick zuwirft, presst er die Lippen aufeinander.

»Kein Problem«, sage ich und ziehe mich langsam zurück. »Lasst euch Zeit.«

Ich drehe mich um, will von ihrem Tisch fliehen, doch dann höre ich, wie jemand aus der Sitzecke aufsteht, und als Nächstes spüre ich, wie sich mir starke Finger um den Oberarm legen. Er steht direkt hinter mir, ich kann seine Körperwärme spüren und ich rühre mich nicht vom Fleck. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht darauf zu reagieren, nichts Blödes zu sagen und mich lächerlich zu machen.

Unglaublich, was er mit mir macht, nur indem er meinen Arm berührt. So etwas passiert mir doch eigentlich nicht. Ich mache mir nichts aus Jungs. Ich wurde bisher mickrige dreimal in meinem Leben geküsst, davon einmal von Cody Curtis, dem Zungenmonster, und der Kuss zählt nicht.

Also zweimal. Ich wurde bisher zweimal geküsst, und ich bin noch Jungfrau. Owen Maguire dagegen trägt das Wort »Frauenheld« auf die Stirn tätowiert. Für ihn bin ich doch nichts.

Warum fasst er mich dann an? Redet mit mir mit dieser leise murmelnden, rauen Stimme, die sich anfühlt wie warmer, langsam über mich laufender Honig?

»… muss mit dir reden. Über diese Nachhilfe-Sache«, sagt er, und ich entwinde mich seiner Hand und ärgere mich, dass ich ihm nicht von Anfang an zugehört habe und ich nicht weiß, was er zuerst gesagt hat.

»Komm einfach Montagnachmittag zur vereinbarten Zeit, und dann fangen wir an.« Ich drehe mich zu ihm um und setzt ein gespieltes Lächeln auf. Er sieht mir einen langen, atemraubenden Moment auf die Lippen, bevor er mit seinen viel zu schönen grünen Augen meinen Blick erwidert.

Meine Lippen kribbeln, als hätte er sie geküsst. Himmel.

»Ich weiß noch nicht mal, wie du heißt«, murmelt er.

Owen

Was mache ich hier eigentlich? Was interessiert mich ihr Name überhaupt? Ich kenne sie doch gar nicht. Und ich will sie auch gar nicht kennen. Ich habe sie bis heute noch nie in meinem Leben gesehen gehabt. Wir hatten heute Nachmittag unser kurzes Treffen, bei dem sie meinen Vorschlag abgelehnt hat, und ich echt angepisst war. Und jetzt ist sie schon wieder da.

Sie trägt eine scheußliche schwarze Kellnerinnen-Uniform, die total unförmig ist und in der sie echt nicht gut aussieht. Ihre Haare sind dunkel, dunkelbraun, und ihre blauen Augen sind groß und unschuldig. Sie wirkt total unnahbar, ganz anders als die Mädels, mit denen ich bisher was hatte, und ich frage sie nach ihrem Namen, als ob sie mir was bedeuten würde oder so.

»Chelsea«, sagt sie, und ich wiederhole ihn in meinem Kopf. Wieder und wieder.

Chelsea. Chelsea. Chelsea.

»Ich, ähm, ich hatte gedacht, wir könnten uns vielleicht morgen treffen, damit du mir meine Aufgaben geben kannst.« Mann, ist das peinlich. Wir stehen mitten in diesem miesen Diner, wo Des und Wade jedes einzelne Wort mithören können, das ich zu Chelsea, der unschuldigen Nachhilfelehrerin mit den unglaublich blauen Augen und den noch viel unglaublicheren rosa Lippen sage. Die beiden wissen noch nicht mal, worum es geht. Ich werde ganz schön was zu hören kriegen, wenn wir hier raus sind.

»Morgen? Freitag?« Sie zieht ihre schönen Brauen zusammen, als wäre sie hinreißend verwirrt. Und das ist sie wirklich. Hinreißend.

Mann. Hör auf mit diesem Scheiß.

»Morgen ist Donnerstag«, erinnere ich sie.

»Nein, heute ist Donnerstag. Wenn man bedenkt, dass es vier Uhr morgens ist.«

»Okay.« Ich komme mir vor wie ein Volltrottel. Das gefällt mir nicht. »Können wir uns dann heute Nachmittag treffen? Ich brauche die Aufgaben, besonders wenn wir uns vor Montag nicht noch mal sehen.«

Bis Montag kann schließlich noch viel passieren. Mist, ich darf gar nicht darüber nachdenken. Ich habe das Gefühl, ich vollziehe hier einen Drahtseilakt, bewege mich in die eine Richtung, dann in die andere, bis der Wind so stark ist, dass ich herunterfalle und in den Tod stürze.

So hat sich mein Leben gewandelt. Es ist ein einziges Hin und Her. Ich will das Richtige tun und falle stattdessen wieder in die alte Gewohnheit, das Falsche zu tun. Ich will Fable die Wahrheit sagen. Und ich will Mom sagen, dass sie mich in Ruhe lassen soll.

Doch tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich nichts davon tun werde. Ich werde so weitermachen wie bisher. Ich werde weiterhin meine Rollen spielen. Die des guten Bruders, der tut, was Drew und Fable von mir wollen. Und die des »guten« Sohns, der seiner Mutter Geld gibt, wenn sie ihn danach fragt, was so ziemlich immer ist. Dann einen Joint mit ihr raucht und sie darum bittet, ihm Bier zu kaufen.

Manchmal verabscheue ich mich richtig.

»Ich hab den ganzen Nachmittag Kurse.« Sie schnieft und hebt das Kinn, ganz die hochnäsige jungfräuliche Prinzessin. Ich habe keine Ahnung, ob sie noch Jungfrau ist, aber sie kommt mir schon sehr unberührbar vor. »Und um fünf gebe ich Nachhilfe.«

»Wie wär’s denn danach?« Ich werfe einen kurzen Blick über die Schulter. Meine Freunde beobachten mich. Die Neugierde steht ihnen in die müden, besoffenen Gesichter geschrieben. Ich sehe wieder Chelsea an, die mich betrachtet, als versuche sie zu verstehen, was in mir vorgeht. Viel Erfolg dabei. Noch nicht mal ich verstehe mich.

Sie holt tief Luft und seufzt, wobei sich ihre Brust ausdehnt und ich ihr auf die Titten starren muss. Sie sehen ganz okay aus, aber mit der hässlichen Uniform, die sie trägt, ist es schwer zu sagen. Und als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, habe ich auch nicht drauf geachtet, dafür aber umso mehr auf ihren Hintern.

Der war nett. Sah sogar richtig gut aus in dieser engen Jeans, die sie anhatte.

»Okay, wenn es schnell geht, dann komm vorbei. Um viertel nach sechs? Im gleichen Raum wie letztes Mal?«

Ich bin erleichtert und fühle mich gleichzeitig wie das totale Weichei. Mir sind meine Noten ja echt egal, aber Fable bringt mich um, wenn ich mich nicht ein bisschen am Riemen reiße. »Okay, krieg’ ich hin.«

»Okay.« Sie macht einen Schritt zurück und wendet sich zum Gehen. »Dann bis später.«

»Bis dann«, sage ich zu ihrem Rücken und sehe ihr hinterher, wie sie durch die Schwingtüren in der Küche verschwindet.

Ich höre meine Freunde hinter mir gackern, und als ich mich umdrehe, sind Wade und Des gerade dabei, aus der Sitznische zu stolpern. Das Essen hat sie kein bisschen nüchterner gemacht, und aus irgendeinem Grund nervt mich das. Ich war längst nicht so breit, als wir hierhergekommen sind, und inzwischen fühle ich mich überhaupt nicht mehr betrunken. Chelsea zu begegnen hat auch geholfen.

Dafür fühle ich mich jetzt anders betrunken. Sie zu sehen, sie für einen kurzen Moment am Arm zu berühren, hat mich auf eine Art betrunken gemacht, der ich besser keine Beachtung schenken sollte.

»Wer ist denn die Braut?« Wade erreicht mich als Erstes, Des kurz danach.

Ich werfe ihnen einen vielsagenden Blick zu, damit sie das Maul halten, und wir verlassen das Diner und treten hinaus in die kalte Herbstnacht. Das Haus, in dem ich mit Wade zusammen wohne, ist nicht weit von der Innenstadt entfernt, denn wir wohnen ziemlich nah am Campus, also gehen wir zu Fuß durch die Seitenstraßen. Des wird wie immer bei uns auf dem Sofa pennen.

»Wisst ihr noch, wie ich euch erzählt habe, dass meine Studienberaterin mich sehen wollte?«, frage ich und vergrabe die Hände in den Jeanstaschen. Ich kann meinen Atem sehen und verkrieche mich noch tiefer unter meiner Kapuze, um der Kälte zu entkommen.

»Hmhm.« Des schnaubt skeptisch. »Und was sollte das? Ich meine, was für eine Studienberaterin will denn schon ihre Studenten sehen?«

»Ist sie scharf?«, fragt Wade. »Erzähl mir nicht, dass die kleine geile Kellnerin deine Studienberaterin ist, Mann. Die war echt scharf.«

Verärgert sehe ich ihn an. Das Blut schießt mir ins Gesicht. »Nein, die Kellnerin ist nicht meine Studienberaterin, du Trottel. Meine Beraterin heißt Dolores, und ich wette, die ist schon mindestens zweihundert Jahre alt.«

»Die Kellnerin war mal echt alles andere als scharf«, sagt Des und tritt nach einem Stein, der über den kaputten Gehweg fliegt und schließlich am Straßenrand liegenbleibt. »Habt ihr gesehen, was die anhatte? Schwarzes Polyester ist der totale Abturner.«

»Woher zum Teufel weißt du, dass sie Polyester anhatte? Studierst du jetzt Modedesign oder was?«, spottet Wade.

Verdammt. Die beiden liefern sich nur zu gern ein Redegefecht. Wade ist mein ältester Freund. Des ist einer meiner neueren Freunde. Die beiden behaupten, sie würden sich mögen, aber manchmal …

Manchmal bin ich mir da nicht so sicher.

»Hört auf mit dem Scheiß«, sage ich, denn ich habe echt keine Lust darauf. Aber wann habe ich schon mal Lust darauf, ihnen beim Streiten zuzuhören?

»Also, wer ist sie?«, fragt Des. »Die überhaupt nicht scharfe Kellnerin im Polyesterkleid.«

Ich würde sie jetzt nicht als scharf bezeichnen. Aber sie ist auch eindeutig nicht hässlich. Sie ist … süß. Die reine, wohltuende Unschuld. Ich wette, wenn ich genauer hinsehen würde, könnte ich auf ihrer Nase Sommersprossen entdecken. »Ich hab mich mit meiner Studienberaterin getroffen. Mein Coach und Drew und Fable waren auch da.«

»Dein Schwager war da?« Des bleibt der Mund offen stehen. Er vergöttert Drew. Anders als Wade, denn Wade kennt Drew schon ewig, aber Des und ich kennen uns erst seit dem College. Die Tatsache, dass mein Schwager bei den 49ers spielt, haut die meisten Typen immer total von den Socken.

»Ich hab in ein paar Kursen schlechte Noten«, sage ich mit grimmiger Stimme. »Und soll jetzt Nachhilfe bekommen. Von der Kellnerin.«

Wade schüttelt den Kopf. »Mann, du solltest vielleicht echt mal mit dem Kiffen aufhören. Du brauchst mal ’ne Pause vom Gras.«

Marihuana. Das ist schon seit Jahren mein Problem. Ich rauche das Zeug seit der neunten Klasse, als wir noch mit Mom zusammengewohnt haben und sie sich einen Scheiß drum gekümmert hat, was wir gemacht haben. Als Fable dann meine Erziehung übernommen hat, musste ich damit aufhören. Drew hatte mich sogar so weit gebracht, dass ich aufhören wollte. Aber dann …

Dann bin ich wieder in meine alten Gewohnheiten zurückgefallen. Ich kann nun mal nichts daran ändern, dass es mir gefällt, high zu sein. Dann kann mich nichts runterziehen. Meine Sorgen wiegen nicht mehr so schwer. Und ich habe eine Menge Sorgen. Die meisten habe ich mir selbst zuzuschreiben.

Für manche kann ich aber auch absolut nichts. Eine ganz besonders große Sorge ist meine Mom. Sie ist wie eine Fliege, die einem die ganze Zeit um die Nase herumfliegt, und egal wie oft man nach ihr schlägt, sie kommt immer wieder. Und ist dann noch größer und lauter als vorher.

Ja. So ist meine Mom. Eine fette, super nervige Fliege.

»Du hättest heute wahrscheinlich auch besser gar nicht ausgehen sollen«, sagt Des.

Seit wann sind diese zwei Idioten eigentlich so verantwortungsbewusst? »Passt auf, ich muss für eine Weile mal etwas kürzertreten. Lernstoff aufholen, ein paar Tests nachschreiben und meine Noten etwas aufpolieren.« Ich kann es selbst nicht glauben, dass ich das gerade sage. Vorhin war ich noch total dagegen. Aber das war nur, weil die Nachhilfestunden mit meinen Arbeitszeiten nicht zusammenpassten und ich nun mal das Geld brauche, um es Mom zu geben – was Fable nicht wissen darf.

Aber ich habe mit meinem Chef geredet, bevor wir losgezogen sind. Ich habe jetzt einen neuen Arbeitsplan. Kein Problem. Ich kriege das alles hin. Und die Nachhilfe ist ja nur vorübergehend. Sobald meine Noten wieder besser sind, brauche ich Chelseas Hilfe nicht mehr.

»Da wirst du aber ganz schön beschäftigt sein«, sagt Wade. »Da bleibt dir keine Zeit mehr für Mädels.«

»Wann nehme ich mir schon mal Zeit für irgendwelche Mädels?«

»Vor ein paar Wochen hast du doch gerade erst eine mit nach Hause gebracht. Du hast gedacht, ich würde schlafen, aber ich hab gehört, wie du ihr den Verstand weggevögelt hast«, sagt Wade lachend.

Was für ein Schnüffler. »Du hast zugehört, wie ich sie gevögelt hab?«

Okay, sie war auch laut. Ständig ooh, ja, genau da und oh, ja, das ist gut. Kam mir alles ziemlich gespielt vor. Als würde sie eine Show hinlegen und denken, das wäre genau das, was ich will. Ich habe mitgemacht. Habe sie sogar noch ermutigt mit meinem ganzen Dirty Talk, aber ich war nicht ganz bei der Sache. Es hat nicht besonders lange gedauert, und als es vorbei war, habe ich sie ziemlich schnell wieder rausgeschmissen.

Ich kann mich noch nicht mal mehr an ihren Namen erinnern.

»Ging ja nicht anders. Sie hat ja wie verrückt geschrien.« Wade stößt Des in die Rippen, und die beiden fangen an zu lachen wie bekloppt.

Arschlöcher.

»Ich war schon mit mehr Mädels im Bett als ihr beide zusammen«, sage ich und ärgere mich über mich selbst, dass ich es darstelle, als wäre das etwas, worauf ich stolz sein könnte.

»Was jetzt nicht so wahnsinnig viel aussagt, wenn man bedenkt, dass Des schwul ist. Au!« Wade reibt sich den Arm, wo Des ihn gehauen hat.

Immer wieder die alte Leier. Sich besaufen und nach Hause gehen. Sich über die andern lustig machen. Damit angeben, wie viel Sex man schon hatte.

Ich bin es so leid. Ich bin mein Leben leid. Ich habe von mir selbst die Schnauze voll. Ich brauche eine Veränderung. Ich muss hier weg.

Ich werde morgen mit Fable darüber reden.

Kapitel 3

Du bist nicht bloß ein unbedeutendes Samenkorn. Du bist eine Blume, die darauf wartet, zu erblühen.

– Chelsea Simmons

Owen

»Du weißt doch, wie sehr ich mich freuen würde, wenn du kommst, aber Drew ist gerade viel mit dem Team unterwegs und ich reise gern mit ihm«, sagt Fable mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme.

Ich drücke mir das Handy fester ans Ohr und schließe die Augen. Ich liege immer noch im Bett. Es ist schon eins durch, und mein erster Kurs ist um zwei. Ich sollte langsam mal aufstehen. »Du reist mit dem Baby?«

Meine Nichte, Autumn, ist ihr ganzer Lebensinhalt. Sie ist dreieinhalb Monate alt und das Süßeste, was ich jemals gesehen habe. Sie gibt leise gurrende Geräusche von sich, wenn sie mich anschaut, was viel zu selten ist. Sie sieht Fable total ähnlich. Drew macht nichts lieber, als sein kleines Mädchen im Arm zu halten und mit ihr in der Öffentlichkeit rumzulaufen. Die Paparazzi machen Fotos von ihnen, die überall im Internet zu finden sind und alle Mädels zum Schwärmen bringen.

Sogar Fable fängt an zu schwärmen, wenn sie die Fotos sieht. Verrückt. Wer hätte gedacht, dass Frauen auf Kerle mit Babys auf dem Arm stehen?

»Erst recht mit dem Baby. Wer weiß, wie lange ich das noch kann? Autumn wird älter, und eh wir’s uns versehen, geht sie in die Schule, und dann kann ich sie nicht mehr mitnehmen. Ich nutze es eben aus, solange es noch geht.« Fable stöhnt leicht. Sie hat das Baby wohl auf dem Arm, denn ich kann Autumn leise wimmern hören. »Gott, sie ist sowas von gierig.«

Ich will mir gar nicht vorstellen, was Fable gerade macht. »Ich hab mein Treffen mit der Nachhilfelehrerin verbockt«, gebe ich zu.

Sie seufzt. »Wie das?«

Ich erzähle ihr, was passiert ist, und dass ich Chelsea heute Abend treffen werde. Das scheint Fable wieder zu beruhigen, aber ich höre die Erschöpfung in ihrer Stimme, als sie mich warnt, die Verabredung auch wirklich einzuhalten. Ich kann nicht vor meinen Problemen davonlaufen, indem ich zu ihr und Drew ziehe und bla, bla, bla.

Es war ein großer Fehler, zu denken, ich könnte sie einfach anrufen und fragen, ob ich eine Weile bei ihnen bleiben kann. Ich beende das Gespräch schnell und schmeiße das Handy auf den Nachttisch. Schließe die Augen und lasse die Gedanken treiben …

Ich denke an meine Nachhilfelehrerin. Chelsea mit den großen blauen Augen und den langen dunklen Haaren. Sie hasst mich. Und ich sollte sie hassen. Sie ist eins dieser schlauen, reichen Mädels, und ich bin bloß so ein Versager, der das Glück hatte, ein Stipendium zu bekommen. Ja, Drew ist auch reich und unterstützt uns – verdammt, seit er in der NFL spielt, verdient er mehr Geld, als sein Dad jemals verdient hat, und ich profitiere auch davon – aber ich kann trotzdem meine Wurzeln nicht vergessen. Wo ich herkomme.

Jetzt wo Mom ständig da ist, werde ich die ganze Zeit daran erinnert.

Ein Mädchen wie Chelsea würde es doch als unter ihrer Würde ansehen, mit mir zusammen zu sein. Vielleicht hätte sie Lust, was mit einem der bösen Jungs anzufangen, würde mich aber wie ihr schmutziges kleines Geheimnis behandeln. Aber ich wette, sie hat noch nie in ihrem Leben was mit ’nem Typen unter ihren Verhältnissen gehabt. Wahrscheinlich macht sie sich vor jemandem wie mir vor Angst in die Hose.

Aber willst du nicht, dass sie wegen dir ein feuchtes Höschen bekommt?

Oh, doch. Auch wenn ich es nicht sollte. Sie ist kein Mädel für mich. Nicht mein Typ.

Mein Handy vibriert. Ich greife danach und stöhne, als ich sehe, dass es eine SMS von Mom ist:

Ich stehe vor deinem Haus. Bist du da?

Verdammt. Sie ist echt die Letzte, mit der ich mich jetzt abgeben will. Oder jemals wieder.

Ich stehe auf, ziehe mir T-Shirt und Jeans an und gehe zur Tür. Als ich sie öffne, sehe ich Mom auf dem Gehweg hin- und herlaufen. Sie wirkt nervös.

Großartig.

»Owen.« Sie lächelt, aber es ist ein aufgesetztes Lächeln, das ihre Augen nicht erreicht. Hat es das jemals? »Bist du gerade erst aufgestanden? Du solltest nicht so lange schlafen.«

Ihre Versuche, sich wie eine Mutter aufzuspielen, sind wirklich lachhaft. Sie ist ein einziger Witz. »Ich muss in weniger als einer Stunde zum Unterricht.« Ich will nicht, dass sie zu lange hier rumhängt. Sie wird sowieso nur wieder mehr wollen, noch mehr.

So wie immer.

»Was willst du?«, frage ich, als sie nichts sagt.

Mom verzieht seufzend das Gesicht. »Okay, wenn du gleich auf den Punkt kommen willst. Ich brauche Geld.«

Na klar. Braucht sie immer. Ihr Teilzeitjob wirft nicht viel ab. Eigentlich kann ich es kaum glauben, dass sie den Job überhaupt noch hat, mit ihrer miesen Vorgeschichte. Als sie uns damals im Stich gelassen hat, war sie arbeitslos und hat die meiste Zeit mit ihrem Versager-Freund Larry verbracht und praktisch bei ihm oder in ihrer Lieblingskneipe gelebt.

Und jetzt ist sie wieder hier. Als wäre sie nie weg gewesen. Nur dass sich die Dinge irgendwie geändert haben und ich jetzt derjenige bin, der sich um sie kümmert. Lustig, wenn man bedenkt, dass sie sich eigentlich nie richtig um mich oder Fable gekümmert hat. »Wie viel?«

»Zweihundert?« Sie verzieht wieder das Gesicht, als wäre es ihr unangenehm, danach zu fragen, aber es ist alles gelogen. Sie hat überhaupt kein Problem damit, mich um Geld zu bitten. Sie glaubt, ich wäre eine Gelddruckmaschine wie Drew Callahan, der geile Footballspieler. Und das sind ihre Worte, die sie einmal mit so viel Boshaftigkeit und Verbitterung ausgespuckt hat, dass ich automatisch zurückgewichen bin.

Richtig. Mom und Fable kommen nicht miteinander klar. Verdammt, sie reden noch nicht mal miteinander. Drew hat Mom nie kennengelernt. Und Mom hat ihr Enkelkind noch nie zu sehen bekommen, obwohl sie weiß, dass es Autumn gibt.

Meine Familie ist so kaputt, wie es nur geht.

»Ich hab keine zweihundert«, sage ich.

Sie reißt die grünen Augen auf, die vollkommen glanzlos sind. Ihre blondierten Haare sind gelb und an den Spitzen ausgetrocknet. Sie sieht furchtbar aus. Fable würde ausflippen, wenn sie wüsste, dass ich mit ihr rede, dass ich ihr schon seit Monaten Geld gebe. »Was soll das heißen, du hast keine zweihundert? Der Mann deiner Schwester spielt in der verdammten NFL! Er ist stinkreich!«

Ich presse die Lippen aufeinander. Jetzt fängt sie schon wieder damit an, dabei weiß sie ganz genau, dass ich Fable nicht erzähle, dass wir Kontakt haben. »Drew gibt mir aber kein Geld.«

»Er bezahlt dir das Haus hier. Er hat dir ein nagelneues Auto gekauft. Finanziert dir deine Ausbildung.«

»Ich habe mir mein Stipendium selbst verdient. Und dieses Haus ist ein Drecksloch, aber ich will nicht, dass Drew für ein teures Haus bezahlt, das ich überhaupt nicht brauche. Und das Auto hat er mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. Ich bin sauer, dass ich mich dafür verteidigen muss, was ich habe. Wenn Mom an Fable und mich denkt, sieht sie nichts als Dollarzeichen.

»Aber ich brauche das Geld«, jammert sie. »Hast du wirklich keine zweihundert Dollar?«

»Nicht, solange ich mein Gehalt noch nicht habe«, sage ich, denn das ist die verdammte Wahrheit. Ich versuche, so weit wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen. Das Geld, das ich zum Ausgeben habe, verdiene ich im Restaurant. Es kommt nicht von Drew. Manchmal muss ich eben auch meinen Mann stehen.

»Und wann bekommst du’s?«

»Freitag.«

Sie senkt den Blick und tritt mit ihren ramponierten Nikes nach dem Gehweg. Die Schuhe haben auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Was mindestens fünf Jahre her sein muss. »Also morgen? Kann ich mir das Geld dann morgen abholen?«

»Klar«, würge ich hervor. »Wenn du dann auch Bier mitbringen könntest?«

»Wie soll ich dir Bier mitbringen, wenn ich kein Geld hab?« Sie starrt mich an. Ihre trüben Augen funkeln jetzt vor Wut, sie presst die dünnen Lippen aufeinander. Mom ist echt der unglücklichste Mensch, dem ich je begegnet bin. Sie ist aus purer Boshaftigkeit boshaft. Sie ist egoistisch und dumm und trifft die schlimmsten Entscheidungen.

Ich habe verdammte Angst davor, dass ich genauso werde wie sie. Die Entscheidungen, die ich treffe, sind auch schlimm. Ich weiß es eigentlich besser. Und mache es trotzdem.

Wie die Mutter, so der Sohn…

»Komm morgen Nachmittag vorbei und ich geb dir noch was extra, damit du mir Bier besorgen kannst«, schlage ich vor. So bin ich wenigstens nicht versucht, wieder in die Kneipe zu gehen. Ich kann mit Wade zu Hause ein paar Bier trinken, und wir laden Des zu uns ein. Oder ich könnte eins der Mädels anrufen, deren Nummern ich in meinem Handy gespeichert habe. Wir könnten was trinken, uns ein bisschen zu zweit amüsieren, und dann hau ich ihr irgendwann auf den nackten Hintern und schicke sie wieder weg.

Fuck. Ich bin so ein mieses Schwein.

»Nur wenn du mir ’ne Tüte besorgst«, gibt sie zurück, und ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse.

Des ist meine Quelle, was Gras angeht. Er kann mir einen ganzen Ein-Liter-Gefrierbeutel voll Joints besorgen, wenn ich ihn darum bitte. »Meinetwegen. Wenn du unbedingt willst.«

»Rauchst du sie auch mit mir? Wir könnten uns unterhalten. So wie früher«, sagt sie hoffnungsvoll, und mir wird schlecht. Das ist ihre Vorstellung von gemeinsam verbrachter Zeit mit ihrem kleinen Jungen. Dass wir uns einen Joint hin- und herreichen und high werden.

Das haben wir ein paarmal gemacht, als ich dreizehn war. Bevor sie uns im Stich gelassen hat. Das ist unser kleines Geheimnis. Ich habe Fable nie davon erzählt.

Fable würde ausrasten. Sie würde Mom umbringen.

»Vielleicht.« Ich zucke die Achseln, und ihr Blick wird noch trüber, wenn das überhaupt möglich ist. »Ich muss los zu meinem Kurs.«

»Zum Kurs«, spottet sie. »Viel Spaß.«

»Werde ich haben.« Ich sehe ihr hinterher, wie sie verschwindet, und stehe noch lange vor der Haustür.

Unsere Beziehung ist eine Katastrophe. Ich finde es furchtbar, dass ich sie geheim halten muss. Es frisst mich innerlich auf. Ich würde es Fable ja erzählen, aber sie würde fuchsteufelswild werden. Ich würde mich gern Drew anvertrauen, aber ich weiß, dass er es Fable erzählen würde. Er müsste es tun. Sie ist seine Frau. Und er ist so loyal ihr gegenüber, er würde alles tun, um sie zu beschützen. Um ihre Beziehung zu schützen.

Ich kann ihm das also nicht antun. Ich kann nicht von ihm erwarten, es vor ihr geheim zu halten. Das wäre zu viel.

Stattdessen lasse ich das Geheimnis weiter in mir gären. Es wächst in mir wie widerliches Unkraut, bewegt seine langen, gierigen Ranken durch mich hindurch, in mir. Sie schlingen sich um meine Arme und Beine, mein Herz und meinen Verstand, halten mich gefangen, bis ich an nichts anderes mehr denken kann.

Ich brauche Abwechslung. Und zwar schnell.

Chelsea

Ich will mich extra für ihn schick machen. Total lächerlich, aber ich bin schon ewig dabei, meinen Schrank bis ins kleinste Detail durchzugehen. Ich habe bereits jeden einzelnen Bügel in die Hand genommen und laut fluchend zur Seite geschoben. Was kein Problem ist, denn ich bin wie immer allein, und niemand könnte mich danach fragen, was zum Teufel ich da treibe.

Oll. Hässlich. Billig. Scheußliche Farbe. Altmodisch. Macht mich dick. Da sehe ich krank drin aus. Darin sehe ich aus wie eine Schlampe.

Das letzte Teil, das ich hervorziehe, ist das Schlampenshirt. Das hatte ich an meinem achtzehnten Geburtstag an. Kari hatte mich überredet, es zu kaufen, also habe ich es getan. Damals, als ich noch dachte, ich könnte Geld für so verrückte Dinge ausgeben. Noch nicht mal einen Monat später war auf einmal gar kein Geld mehr da.

Es ist schwarz. Ein Neckholdertop mit tiefem Ausschnitt und komplett freiem Rücken. An jenem Abend war ich mit Kari und ein paar Freundinnen essen. Ich kam mir richtig erwachsen und verwegen vor. Wir hatten eine Menge gegessen und sind dann noch zu einer Freundin nach Hause gegangen, wo wir uns mit ein paar Typen mit Bier und billigem Wein betrunken haben. Da bekam ich dann meinen zweiten Kuss. Ich hatte mit einem Typen auf dem Sofa rumgemacht, dessen Zunge zwar nicht so eklig war wie die von Cody, aber der Typ wusste auch nicht, wie er sie benutzen sollte.

Zumindest glaube ich, dass er es nicht wusste. Ich habe ja nicht besonders viele Vergleichsmöglichkeiten.

Gott. Ich bin so bedauernswert.