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Beschreibung

"Vergnügliches" wird gemeinhin nicht als eine prototypische Kategorie des Didaktischen betrachtet und umso reizvoller erscheint es uns, diesen Zusammenhang (neu) zu denken. Auf der Suche nach einem unkonventionellen Zugang zur Thematik soll ein Heft entstehen, das den Verbindungslinien von "Sinn" und "Vergnügen" nachgeht und auch die Frage aufwirft, inwiefern Letzteres, abseits von Konsumkult und Narzissmus, zum Leben im Allgemeinen und zur Bildung im Besonderen gehört. Die Beiträge in diesem ide-Heft sollen mögliche Wege zu einem kulturwissenschaftlich orientierten Unterricht, der weit über einzelne Fächer hinausragt, aufzeigen. Die vergnüglichen Betrachtungen beziehen sich auf Literatur und Sprache, sie führen aber auch in bis dato für den Deutschunterricht wenig relevant erscheinende Bereiche wie etwa die Einbindung des kreativen Potenzials der lebensweltlichen Umwelt in den Unterricht. Diese und andere unkonventionelle Ideen werden das Heft zu einem hoffentlich sehr vergnüglichen Lektüreerlebnis machen.

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Seitenzahl: 292

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Editorial

NICOLA MITTERER, URSULA ESTERL:Vergnügungstheoretische Überlegungen für Wissenschaft und Schule

Ins Vergnügen eintauchen: einführender Überblick

ALICE PECHRIGGL: Zum Vergnügen.Phasen des Vergnügungsvollzugs

OLIVER DIMBATH: Dunkles Vergnügen.

WERNER WINTERSTEINER: »Die Lust zu ergründen«.Über das Vergnügen an der Bildung.

Vergnügen (in) der Literatur

MARTIN A. HAINZ: Vergnügen und Lust am Ob-/Projekt des Textes – mit u. a. Roland Barthes

ANGELIKA KEMPER: »Gelücke« und Rad der Fortuna.Die Ambivalenz literarisierter Glückskonzepte in Diu Crône Heinrichs von dem Türlin

RENATE GIACOMUZZI: Im Dialog mit Gerda E. Moser.Eine Literaturkritik der etwas anderen Art über den österreichischen Schriftsteller Stefan Feinig

Vergnügen an der Lektüre

NICOLA MITTERER, ANDREAS HUDELIST: Wo aufsitzen und womit gut fahren? Eine mitunter vergnügliche Lektüre dreier Texte mit Gerda E. Moser und François Jullien

DORIS MOSER: Lehrreiches Vergnügen: zur Analyse von Genreliteratur. Gewidmet Gerda E. Moser (GEM)

VERONIKA SCHUCHTER: Keine Graustufen. Die Rezeption erotischer Literatur von Frauen am Beispiel von Fifty Shades of Grey.

Vergnügen mit Sprache und Spiel

ULRIKE KRIEG-HOLZ: »Zwischen Leistung und Freude«.Zur Unternehmenskommunikation von BMW aus pragmastilistischer Perspektive

KATHARINA EVELIN PERSCHAK: Arbeit und Vergnügen im Videospiel

Service

JOHANNA TAUSCHITZ, URSULA ESTERL: Vergnügen zum Nachlesen. Bibliographische Notizen

Magazin

KommentarHANS-PETER PREMUR:Kleine theologische Perspektive zum Vergnügen

ide empfiehltJAN THEURL:W. Wintersteiner (2022): Poetik der Verschiedenheit

Neu im Regal

 

»Vergnügen« in anderen ide-Heften

ide 1-2018

Literaturvermittlung

ide 3-2013

Identitäten

ide 2-2011

Humor

ide 3-2007

Gender

ide 3-1996

Sprache und Sexualität

ide 1-1996

Offenes Lernen

ide 2-1992

Spielen

 

Das nächste ide-Heft

ide 1-2023

ÜberGEsetzt

 

erscheint im März 2023

 

Vorschau

ide 2-2023

Textfeedback und Korrektur

ide 3-2023

Ökonomie und Deutschunterricht

 

https://ide.aau.at

Besuchen Sie die ide-Webseite! Sie finden dort den Inhalt aller ide-Hefte seit 1988 sowie »Kostproben« aus den letzten Heften. Sie können die ide auch online bestellen.

www.aau.at/germanistik/fachdidaktik

Besuchen Sie auch die Webseite des Instituts für GermanistikAECC, Abteilung für Fachdidaktik an der AAU Klagenfurt: Informationen, Ansätze, Orientierungen.

Vergnügungstheoretische Überlegungen für Wissenschaft und Schule

[…] eine vollkommene Ordnung wäre sozusagen der Ruin alles Fortschritts und Vergnügens. (Musil 2002, S. 1451)

Ich bin nicht hier, um mich zu bemühen

Ich bin hier, um zu glüh’n

Ich bin hier, um zu blüh’n

Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n

Ich bin nicht hier für die Bilanz

Ich bin hier für den Glanz

Und ich bin hier für den Tanz

Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n

Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n

Nein, ich bin hier für die Sterne

Und ich bin hier sehr gerne

Und ich bin hier, weil ich lerne

Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n

Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n

(Dota 2018)

»Intensives, hier und jetzt« (Moser 2006a, S. 9)

Das vorliegende Heft ist unserer lieben Kollegin und Freundin Gerda Elisabeth Moser gewidmet, die am 29. April 2021, für uns alle völlig überraschend, verstorben ist. Wiewohl wir sie sehr vermissen, möchten wir dieses Heft nicht nur der Erinnerung an sie widmen, sondern als eine Gelegenheit begreifen, ihr Schaffen und Denken, ihr oft ungewöhnliches und gänzlich unkonventionelles Forschen und Handeln weiterwirken zu lassen. Gerda hat für und über Menschen geforscht und nicht in erster Linie für die akademische Community, so geschätzt ihre Erkenntnisse in dieser auch waren. Es war ihr immer ein besonderes Anliegen, Aspekte ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit der unterrichtlichen Praxis in Verbindung zu bringen, so dass sie dort wirksam werden und insbesondere jungen Menschen die Zugänge einer aufgeschlossenen Wissenschaft verdeutlichen kann, die über kulturelle Phänomene der Gegenwart nachdenkt. So hat Gerda E. Moser mit uns gemeinsam Tagungen gestaltet, publiziert, ist zur Herausgeberin eines ide-Heftes geworden und ihre »Auftritte« bei Lehrer:innenfortbildungen, etwa im Rahmen unserer PFL-Lehrgänge, waren immer äußerst beliebt und sind im Gedächtnis geblieben. Das hatte wohl mehrere Gründe: Einerseits war das darauf zurückzuführen, dass sie Dichotomien ablehnte, also auch jene, die hierarchische Unterschiede begründeten und die Schule von der Universität im Denken streng trennen. Derlei Gegensätze wusste Gerda gekonnt zu ignorieren, was Lehrpersonen wie Kolleg:innen nicht selten erstaunte, auch befremdete, etwa wenn sie den kommerziellen computeranimierten Trickfilm Madagascar für die Verwendung in Bildungskontexten als ebenso geeignet erachtete wie die populäre Ratgeber- und Bestsellerliteratur. Mit ihr betraten also stets unerwartete oder marginalisierte Themen die akademische Bühne und es gab Neues zu denken und zu tun – eine Erfahrung, die uns gerade in Bildungskontexten häufig fehlt und nach der sich viele, die in diesen arbeiten, sehnen.

»Genießen, das sich selbst genügt, ist nicht daran interessiert, Herrschaft auszuüben.« (Moser 2006b, S. 10)

Selbstverständlich wäre es für Gerda nicht infrage gekommen, derlei Medien unreflektiert einzusetzen – woraus die Welt beschaffen war, in allen ihren Teilen, war für sie interessant, wertvoll, vergnüglich, aber auch der Analyse und des Hinterfragens würdig. Mit Gerda zu arbeiten war meist ein humorvolles, lebendiges Ereignis, und diese Lust am präzisen Wahrnehmen und Denken konnte sie wunderbar auf ihre Zuhörer:innen übertragen, deren Anmerkungen und Fragen sie immer ernst genommen hat. Sie wollte ihre Arbeit dem widmen, was das Leben der Menschen in seiner populär-kulturellen Dimension ausmacht, und hat deshalb gerade den üblicherweise nicht als »beforschenswert« erachteten kulturellen Erzeugnissen – Filmen, Bildern, Fotografien etc. – ihre Aufmerksamkeit und ihr scharfes analytisches Verständnis gewidmet. Nicht zuletzt, aber auch nicht zuvorderst, um die Strukturen freizulegen, die sich dahinter verbergen, jene der Macht, der Simplifizierung komplexer Zusammenhänge, aber auch jene des Vergnügens und des (konsumierenden) Genusses. Sie mochte noch so sehr durch die Schule Theodor W. Adornos gegangen sein, die Lust am Konsumieren ließ sich Gerda nicht austreiben, weder als Privatperson noch als Wissenschaftlerin. Die neue bunte Hose oder der Eisbecher beim Uniwirt waren ihr lieb und teuer und über die Scherze in Madagascar konnte sie herzlich lachen. Die Suche nach einem metaphysischen Sinn hat sie stets als durch den sinnlichen Genuss vertretbar betrachtet, und die Art und Weise, in der ihr die Emanzipation eines der wichtigsten Prinzipien überhaupt war, lässt sich nur als »ganzheitlich« bezeichnen. All das könnte nun aber auch auf einen Menschen zutreffen, der seine wissenschaftlichen Ziele vehement verfolgt und darüber den Genuss vergisst, mag er noch so sehr im Zentrum theoretischer Überlegungen stehen. Auf Gerda E. Moser traf das nicht zu, sie wusste Theorie und Lebenspraxis mit Leichtigkeit zu verbinden und hat das Potenzial dieser besonderen Begabung auch in ernsten, ja sogar in existenziell bedrohlichen Situationen genutzt.

»Genießen tut gut. Aus ihm ergeben sich weder Fragen noch Antworten. Diese entstehen im Leiden.« (Moser 2006a, S. 9)

Das hat die Ernsthaftigkeit des Erlebens, die Tiefe der Beobachtung und die Verletzlichkeit nicht gemindert, ganz im Gegenteil. »Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste«, behauptete Friedrich Hölderlin (1969, S. 256), die allzu profan erscheinenden Genüsse des Sokrates verteidigend, und das hätte Gerda wohl auch für ihr Verhältnis zu Vergnügen und Genuss als zutreffend bezeichnet. Sie konnte am Stammtisch mitdiskutieren, aber genauso bei einer wissenschaftlichen Tagung mit ihrer Eloquenz, dem umfangreichen Wissen und dem, was sie daraus im Rahmen ihrer Forschung gemacht hat, beeindrucken. Die Verbindung dieser vermeintlichen Gegensätze war ihr das Wertvollste und sie hätte niemals das eine gegen das andere ausgespielt oder sich eine Entscheidung zwischen beiden Welten abgerungen. Das Leben in dieser schillernden, sinnlichen und äußerst ambivalenten Fülle war ihr Element, nach einem anderen hat sie nicht gesucht, und so war ihr alles zusammengenommen letztlich ein Vergnügen, aus dem Sorge, Verlust und Trauer nicht ausgeschlossen waren.

»Eklektische Ansammlungen von Themen und Motiven« (Moser 2006a, S. 310)

In diesem Heft können wir nur einige der Themen ansprechen, mit denen sich die intellektuell so umtriebige Gerda E. Moser beschäftigt hat. Beinahe alle Autor:innen dieses Bandes haben Gerda persönlich gekannt und verspüren eine innere Verbundenheit, die oft das Private überschritten und ins Berufliche, also die einzelnen Forschungsinteressen, hineinragte. Dieser Band gewährt also all jenen, die Gerda nicht mehr kennenlernen konnten, einen kleinen Einblick in ihr Denken und erinnert jene, die sie gekannt, mit ihr gearbeitet und gelebt haben, an dessen Grundzüge.

Gleichzeitig hat dieses Heft aber auch den Lehrer:innen viel zu bieten. Die meisten Menschen haben die Schule nicht als einen Ort des Vergnügens kennengelernt und dabei wäre das doch, wenn wir Gerdas Überlegungen folgen, ein so selbstverständlicher und sinnvoller Zusammenhang, jener zwischen Bildung und Vergnügen. Den Gründen hierfür und auch der Frage, weshalb sich diese beiden Aspekte dann doch wieder nicht so einfach ineinanderfügen, geht Werner Wintersteiner in seinem Beitrag nach, in dem er sowohl ein ursprüngliches Vergnügen an der Bildung als auch den unauflöslichen Widerspruch zwischen Wollen und Müssen thematisiert, in dem die Institution Schule gefangen ist. Noch grundlegender widmet sich zuvor Alice Pechriggl der Frage danach, was denn das Vergnügen eigentlich sei. Die Annahme, dass dieses nicht ein in sich homogenes Geschehen sei, sondern aus unterschiedlichen Phasen bestehe, lässt uns einen differenzierteren Blick auf den vereinheitlichenden Begriff werfen, der dieses Heft dominiert. Das Vergnügen wird in diesem Beitrag außerdem in seinem Verhältnis zur Zeit, in seinen Verschränkungen mit der Negativität und auch dem Sinn als ein grundlegendes Phänomen von großer innerer Diversität betrachtet.

Doch nicht alles, was vergnüglich erscheint, ist hell, froh und strahlend. Den »dunklen Seiten des Vergnügens« widmet sich der Beitrag des Sozialwissenschaftlers Oliver Dimbath, der auf Schriftsteller:innen zu sprechen kommt, die für Gerda E. Moser wesentliche Bezugspunkte waren und eben jene abgründige Seite des Vergnügens betrachtet haben. Dazu gehört der Marquis de Sade, der seine minutiös geplanten Orgien auf Kosten jener inszenierte, deren Bedürfnisse dabei zugunsten des Vergnügens der Wenigen bewusst ignoriert wurden. Dieser Beitrag betont somit die Tatsache, dass man sich im Vergnügen stets entlang eines schmalen Grats bewegt, wobei der Absturz damit verbunden ist, dass der Andere gänzlich aus dem Blick gerät. Für Gerda war diese ethische Dimension des Themas immer besonders wichtig und schwierig und auch wenn sie die »dunklen« Seiten des Vergnügens nicht moralisch bewertet hat, war sie sich der Abgründe bewusst, die dort lauern.

Martin A. Hainz begibt sich auf die Spuren des literarischen Textes, die uns zur Lust am Text, dem Begehren nach Sinn, das unauflöslich mit dessen Entzug verbunden ist, führt. Mit Roland Barthes, Werner Hamacher, Franz Schuh und unter Bezugnahme auf zahlreiche weitere theoretische Anknüpfungspunkte widmet sich dieser Beitrag der Dialektik des literarischen Textes und dessen Wirkung auf die Rezipient:innen. Dabei vermag der Artikel zu zeigen, dass das vollkommene Verstehen letztlich das Schlimmste wäre, was uns passieren könnte.

Weit zurück in die Geschichte der literarischen Annäherungen an vergnügliche Dimensionen des Lebens führt der Beitrag von Angelika Kemper, die ebenfalls einer ganz konkreten Spur folgt, nämlich jener der literarischen Diskussion um das Glück im »nachklassischen« Artusroman Diu Crône Heinrichs von dem Türlin. Am Beispiel der wankelmütigen Fortuna lässt uns dieser Artikel unter Bezugnahme auf ein mittelhochdeutsches Textbeispiel daran teilhaben, welche Vorstellungen von Glück und dessen (Un)Erreichbarkeit es zu Zeiten, als das Leben noch weit weniger planbar war als heute, in der Literatur gegeben hat.

Berufliche und private Beziehungen waren bei Gerda E. Moser meist eng miteinander verwoben und so lässt auch der dieses Kapitel abschließende Beitrag von Renate Giacomuzzi eine tiefe Kenntnis von Gerdas sprachlichen und denkerischen Charakteristika erkennen. In einem fiktiven, sozusagen posthumen Dialog entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden Kolleginnen über den zeitgenössischen Kärntner-slowenischen Autor Stefan Feinig, der in seinem Werk jene Grenzen zwischen Populär- und Hochkultur durchbricht, die Gerda in der Wissenschaft allzu oft im Weg waren. Dieser Beitrag handelt nicht nur vom Vergnügen, er bereitet auch solches und verbindet dabei zentrale Fragen gegenwärtiger Kunst und Wissenschaft.

Nicola Mitterer und Andreas Hudelist versuchen sich an der Lektüre dreier zeitgenössischer Texte, die mitunter vergnügt und dann auch wieder zutiefst traurig sind, und betrachten diese in einem ungewohnten Rahmen. Dieser konstituiert sich durch den Blick von François Jullien, einem Philosophen, der für Gerda E. Moser große Bedeutung hatte und dessen Ehrgeiz darin lag, sich einer im Vergleich zum abendländischen Paradigma gänzlich anderen Perspektive zuzuwenden, die er in der ursprünglichen chinesischen Philosophie fand. Mit Jullien gelesen, lassen bekannte Texte wie Sharon Dodua Otoos Adas Raum oder die Bestseller eines David Foster Wallace wie Unendlicher Spaß oder Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich ganz neue Facetten erkennen, die gerade für Jugendliche vermutlich von größtem Interesse sind.

Der Beitrag Doris Mosers beginnt mit der Frage, weshalb es doch so leicht sein müsste, aber eben letztlich doch nicht ist, einen guten Fantasy-, Abenteuer- oder Liebesroman zu schreiben. Er führt uns in die Tiefen und Untiefen der genreliterarischen »Gemachtheit«, die Gerda E. Moser selbst gerade dabei war zu einem didaktischen Konzept zu verdichten. Die grundlegenden Kategorien der Textanalyse haben sich in der präzisen Betrachtung stark konventionalisierter Genres, wie etwa des Märchens, entwickelt, wieso sollte uns die Entwicklung literaturbezogener Fähigkeiten heute also nicht anhand der exakten Betrachtung eines beliebten Kriminalromans gelingen? »Die Genreliteratur stellt ihre Mittel recht offensichtlich zur Schau«, meint Doris Moser, und die »Kodiervorlage zur Analyse von Spannungsliteratur«, die Gerda E. Moser entwickelt hat, ist eine große Hilfe dabei, diese Sichtbarkeit in vergnüglicher Form didaktisch fruchtbar zu machen.

Veronika Schuchter widmet ihren Beitrag einem literarischen Bestseller und den dazu entstandenen Diskursen, die Gerda über viele Jahre hinweg beschäftigt haben. Schuchter untersucht die Formen, in denen das Feuilleton über den erotischen Roman von E. L. James Fifty Shades of Grey, der sich über sämtliche Altersgruppen hinweg millionenfach verkaufte, berichtet hat. Es gibt wohl kaum einen Roman, der auch von überzeugten Nicht-Leser:innen in den letzten Jahren derart heftig diskutiert wurde, wobei Schuchter feststellt, dass es zumindest dem Feuilleton weniger um den Roman als um dessen Leserinnen zu tun war. Im Unterricht ließe sich das als ein sehr gutes Beispiel für eine immer noch vielbeachtete und einflussreiche Literaturkritik heranziehen, die zwischen ästhetischen und moralischen Werten und ihrer gesellschaftskritischen Funktion nicht immer klar zu unterscheiden weiß.

Aus linguistischer Perspektive nähert sich der Beitrag von Ulrike Krieg-Holz dem Thema Vergnügen, wobei im Mittelpunkt dieses Artikels die Analyse der langjährigen Werbekampagne des Autoherstellers BMW steht, der »Das Vergnügen am Fahren« zu seinem Motto erhoben hat. Dieses Versprechen einer vergnüglichen Bereicherung des Alltags durch den Besitz eines Fahrzeugs ist den meisten Schüler:innen zwar bekannt, über das Potential einer sprachwissenschaftlichen Analyse von derlei Werbeversprechen werden sie aber vermutlich überrascht sein. Dieser Zugang lässt in didaktischer Hinsicht einerseits hinter die Kulissen von Marketingüberlegungen blicken und fördert andererseits das Bewusstsein dafür, welche komplexen Beziehungen Sprache und Bild zueinander eingehen müssen, um in komprimierter Form unmittelbar wirksam zu werden.

Einem Genre, das im Deutschunterricht noch viel zu wenig präsent ist, widmet sich Katharina Evelin Perschak in ihrem Beitrag, der sich mit dem Phänomen »Videospiel« in seiner ganzen Ambivalenz auseinandersetzt. Einerseits wird dieses vor dem Hintergrund der Spiel-Theorien bei Johan Huizinga sowie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Kritik an der Kulturindustrie in seiner Eigenschaft als Konsumgut betrachtet. Andererseits beweist das erstaunlicherweise recht kontemplative Vergnügen, die das im Fokus dieses Beitrags stehende Videospiel Journey mit sich bringen kann, dass es Beispiele für alternative Ästhetiken und Spielweisen auch in diesem Genre gibt. Diese Annahme wird mit den vergnügungstheoretischen Ansichten Gerda E. Mosers untermauert und generiert dabei nicht zuletzt didaktische Ideen dafür, wie man ein alternatives Spiel auf unterhaltsame Weise in den Unterricht integrieren kann.

Anregungen zur weiterführenden Auseinandersetzung mit den vielfältigen Themen dieses Heftes bieten die in den bibliographischen Notizen von Johanna Tauschitz und Ursula Esterl versammelten Publikationen.

Gerdas Verhältnis zur Religion war immer ein ambivalentes, jenes zur Katholischen Kirche ein höchst kritisches, dennoch – oder gerade deshalb – konnte sie leidenschaftlich und mit Hingabe über spirituelle Fragen diskutieren. Einer ihrer bevorzugten Gesprächspartner war der Theologe Hans-Peter Premur, der sich in seinem Kommentar mit Gerdas Skepsis und dem Spannungsfeld von Religion und Vergnügen auseinandersetzt. In den Rezensionen stellen Jan Theurl, Viktorija Ratković und Ursula Esterl Publikationen vor, die Anknüpfungen an das Thema erlauben.

Es ist ein ungewöhnliches Themenheft, das wir dieses Mal anbieten, eines, das eine sehr vergnügliche, aber auch eine sehr nachdenkliche und auch kritische Seite hat, die jedoch aus unserer Sicht alle Teil dieses vielfältigen Themas sind und das wissenschaftliche und private Interesse unserer vielschichtigen, vielseitigen und vor allem unvergessenen Kollegin Gerda E. Moser geweckt haben.

Wir wünschen eine genussvolle Lektüre.

NICOLA MITTERERURSULA ESTERL

Literatur

DOTA (2018): Für die Sterne. Songwriter: Stefan Ebert, Sängerin: Dota Kehr. Album: Die Freiheit. Hamburg: Kleingeldprinzessin Records (Broken Silence). Lyrics online: https://www.musixmatch.com – https://www.songtexte.com/songtext/dota/fur-die-sterne-g39f1d8f.html [Zugriff: 6.12.2022].

HÖLDERLIN FRIEDRICH (1969): Sokrates und Alcibiades. In: Ders.: Sämtliche Werke. 6 Bände. Bd. 1: Gedichte bis 1800, hg. von Friedrich Beißner. Stuttgart: Kohlhammer, S. 256.

MOSER, GERDA E. (2006a): Intensives, hier und jetzt. In: Aspetsberger, Friedbert; Moser, Gerda E. (Hg.): Leiden … Genießen. Zu Lebensformen und -kulissen in der Gegenwartsliteratur. Innsbruck u. a.: Studien-Verlag, S. 9–13.

DIES. (2006b): »Der eigentliche Ort« der Literatur ist Las Vegas. In: Aspetsberger, Friedbert; Moser, Gerda E. (Hg.): Leiden … Genießen. Zu Lebensformen und -kulissen in der Gegenwartsliteratur. Innsbruck u. a.: Studien-Verlag, S. 295–328.

MUSIL, ROBERT (132002): Der Mann ohne Eigenschaften. Band II: Aus dem Nachlaß. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.

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NICOLA MITTERER ist Assoziierte Professorin am Institut für GermanistikAECC der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Mitherausgeberin der Zeitschrift ide. Ihre Forschungsund Lehrschwerpunkte sind: Ästhetik/Ästhetisches Lernen, Phänomene des Fremden und deren Auswirkungen auf hermeneutische Prozesse in Literatur, Film und bildender Kunst. E-Mail: [email protected]

URSULA ESTERL ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für GermanistikAECC der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Mitherausgeberin der Zeitschrift ide. Arbeitsschwerpunkte: Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und Mehrsprachigkeit. E-Mail: [email protected]

Alice Pechriggl

Zum Vergnügen

Phasen des Vergnügungsvollzugs

Wenn das Vergnügen eine philosophische Auseinandersetzung erlaubt, dann nur in dem Maße, als diese ein Philosophieren (nur so) zum Vergnügen zulässt. In Zeiten kapitalistischer Wissensproduktion und neoliberalen Vergnügungskonsumdiktats dürfte dies noch schwieriger sein als in den düsteren Zeiten von Theokratie und Aberglauben. Der Text ist daher ein schwankender Versuch zum Vergnügen als einer mise en scène, mise en acte, mise en sens und mise en abîme, kurz gesagt, zu dem, was ich nunmehr die »vier Phasen des Vergnügensvollzugs« nenne.

1.   Eingang ins Vergnügen

Das Vergnügen vergnügt. Somit erklärt es sich gleichsam von selbst, oder doch nicht? Schließlich ist Vergnügen und vergnügt sein etwas Subjektives, denn was den einen Vergnügen bereitet, vermag andere in die Flucht zu schlagen. Ich werde mich im Folgenden in mehreren Pirouetten dem Vergnügen nähern und mich dabei auch an der Frage nach dem Vergnügen beim philosophischen Schreiben orientieren. In einer ersten Bewegung wird es darum gehen, das, was ich »Phasen des Vollzugs« nenne, für das Vergnügen fruchtbar zu machen: mise en scène, mise en sens, mise en acte, mise en abîme, die ich davor kurz erläutere.1 Im Anschluss daran werde ich das durch Kurzschlüsse zwischen zwei der vier Phasen eintretende Stocken des Vergnügens anhand einiger Beispiel darlegen.

Dass manchen bei dem Wort Vollzug eher Strafe als Vergnügen einfällt, stellt eine Pikanterie der germanophonen Kulturgeschichte dar und verweist gleich zu Beginn auf die Negativität, die ich mit der mise en abîme inmitten jedes Tätigseins ansiedle. Nach einer kurzen Erörterung der Frage nach der Zeitlichkeit des Vergnügens werde ich mich im letzten Abschnitt dem Verhältnis zwischen dieser Negativität und dem Vergnügen der Un/Sinnstiftung zuwenden.

Bereits Sappho hat auf der Suche nach einer philosophischen Sicht auf die Schönheit die Subjektivität jedes ästhetischen Urteils benannt und damit die Relativität jeder konkreten Bestimmung etabliert. Auf dieser dekonstruktiven ersten Geste aufbauend hat sie schließlich eine essenzielle Beschreibung der Schönheit gefunden, mit der sie nicht nur ein bahnbrechendes Philosophem erfunden hat, sondern auch eine von Platon im Menon oder auch im Symposion aufgegriffene philosophische Methode zur Auffindung von Wesentlichem: Schön sei »das, was jemand liebt.«2 Wir haben es dabei nicht mit fundamentalontologischer oder idealistischer Metaphysik zu tun, sondern mit einer bis heute brauchbaren Technik, Sprachgebrauch, Sein und Erfahrung miteinander in systematischer Weise zu verknüpfen, eine philosophische Zugangsweise, die mit Aristoteles ihren Höhepunkt erreicht, bevor sie durch die Scholastik hyperformalisiert wird, um einer immer akademischeren bzw. dogmatischeren Theologie, dann wieder Philosophie zu weichen; einer Philosophie, die den Dingen auf den Grund zu gehen beanspruchte und dabei doch nur die Sprache logizistisch entseelt oder zur parareligiösen Mystifizierungsagentur gemacht hat. Das ging so weit, dass der absolute Geist, der aus Hegel zu sprechen von ihm beansprucht wurde, als majestätisches Wir (pluralis majestatis) die akademischen Subjekte ihres Ichs und des Vergnügens daran, im eigenen Namen zu sprechen, beraubte – oder der Angst, in diesem Namen zensuriert, ja gar verurteilt zu werden. Während Heraklit den Logos, Platon meist Sokrates für sich sprechen ließ und niemals in seinem Namen schrieb, tritt die Dichterin hervor und spricht: »ich aber sage …«, parrhesia nannten die Griechen das.

Zum Vergnügen und in Erinnerung an die grenzgeniale Vergnügungstheoretikerin Gerda E. Moser3 drängt es sich mir geradezu auf, diese poetischste aller Vorsokratiker*innen zu zitieren: An der Schnittstelle von Dichtung und Philosophie kann – analog zur Schönheit – für das Vergnügen gesagt werden, dass es Freude macht; aber auch umgekehrt, dass das, was Freude macht, vergnügt. Doch anstatt das ganze weite, ja unendliche semantische Feld des Vergnügens und seiner Gegenteile abzugrasen (über das Genießen/Leiden und die Un/Lust bis hin zum Un/Glück …), werde ich mich dem widmen, was ich vorläufig Vergnügungsvollzug nenne, denn das Vergnügen ist ohne Tätigkeit nicht denkbar.

Auch wenn Menschen oft passiv erleben, dass ihnen etwas Vergnügen bereitet (oder macht), sind zumeist sie selbst es, die das Vergnügen im Zuge ihrer Tätigkeit haben, ja die es sich bereiten (lassen) oder verschaffen: beim Tanzen, Schwimmen, Segeln, beim Liebemachen, bei der Unterhaltung (im Reden oder im Theater), beim Essen oder beim Trinken, beim Betrachten eines Bildes oder einer eleganten Theorie (theorein heißt selbst schon betrachten), die Reihe der passenden Verben ist, wie die der schönen »Dinge«, nicht enden wollend.

2.   Vier Phasen des Vergnügungsvollzugs

Wenn Menschen sich in Bewegung setzen und tätig werden, sei es privat, gesellschaftlich oder politisch, dann haben sie in der Regel eine Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll; sie setzen die intendierte oder projektierte Tätigkeit in Szene. Diese vorgestellte Szene nimmt bestimmte Züge an, die Tätigkeit hat dann eventuell eine gewisse Dauer, siedelt sich an bestimmten Orten an, umfasst unterschiedliche Akteur*innen und entspricht – wenn sie genauer ausgemalt wird – einer gewissen Logik oder mehreren nachvollziehbaren bzw. gebräuchlichen Logiken. Das Vergnügen als mise en scène ist zugleich Wunschensemble und ersehnter Schauplatz; die mise en scène des Vergnügens ist zumeist immer auch eine vergnügte/vergnügende In-Szene-Setzung und als solche bereits der Auftakt zur mise en acte.

Die mise en scène ist aber auch immer schon mit einer minimalen In-Sinn-Setzung, mise en sens, verbunden, doch erst ihre aktive Umsetzung, also die mise en acte, verwirklicht die Tätigkeit, setzt sie in Gang; sie komplettiert den Vollzug auf der Ebene der Tatsachen, aber auch auf jener der Phänomenalität, denn solange eine Tätigkeit nur in der Vorstellung existiert und nicht umgesetzt wird, existiert sie nur für diejenigen, die sie sich vorstellen; erst durch die Verwirklichung wird sie für die anderen, tritt in Erscheinung, wird »im Licht gesehen« (phainesthai); wird am Lachen oder Stöhnen, das von den sich Vergnügenden zu hören ist, erkannt. Dabei ist das Verständnis, die logische oder begriffliche Nachvollziehbarkeit, also die mise en sens, für diese anderen nicht so relevant als vielmehr die Tatsache, dass die Tätigkeit vollzogen wird bzw. wurde. Schließlich gibt es für alle Tätigkeiten oder Handlungen eine Zersetzungsphase, etwas, das sie als diese Tätigkeit oder Handlung negiert oder wodurch sie aufgelöst wird. Ich nenne diese Phase mise en abîme. Diese vier Phasen sind wesentlich für jede Tätigkeit. Auch wenn begrifflich noch weiter differenziert werden könnte, sind diese vier irreduzibel, nicht aufeinander rückführbar, keine darf fehlen, wenn eine Tätigkeit bzw. eine Handlung als solche wahrgenommen werden und in der vergänglichen Welt der Menschen zumindest für eine gewisse Zeit existieren soll.

»Das Vergnügen existiert nur im Tätigsein, also im Vollzug«, heißt auch: Wir können uns Vergnügen zwar vorstellen, aber wer nie ein Vergnügen erfahren, als solches erlebt und erkannt hat, kennt es nicht. »Vergnügen« gehört also in die Reihe der »Erfahrungsbegriffe« (Kant), die offenbar immer schon im Register der Tätigkeit angesiedelt sind. Das heißt nicht, dass ich im Zustand der Ruhe kein Vergnügen erleben könnte, aber diese Ruhe ist im Lebendigen immer eine zutiefst relative, selbst im Schlaf oder im Koma ist der Organismus irgendwie tätig, träumt, imaginiert oder ist zumindest noch minimal reizbar (Tätigkeit ist hier nicht mit den pragmatistischen Handlungen zu verwechseln, die Angelegenheiten – gr. pragmata – konstituieren).

Der Mensch im Vergnügen genießt. Selbst das masochistische Vergnügen, das anderen (nicht oder weniger masochistischen Menschen) als reine Unlust erscheint, ist für die Masochist*innen ein Genuss (der Schmerz, also die Unlust, wird so lange ausgehalten, bis er nicht mehr erträglich ist, dieses Aushalten wird genossen als die ultimative Kontrolle der Lust und wohl auch derjenigen, denen diese unsägliche Un/Lust bereitet werden soll). Auch diese Dialektik des Vergnügens an der Grenze zum Leiden verweist auf die Negativität, die jeder menschlichen mise en scène und mise en sens innewohnt, sie stellt ihre paradigmatische Form dar.

3.   Kurzschlüsse und Verschränkungen

Wenn alle Phasen des Vollzugs im Vergnügen sich in Schwebe halten oder dort gehalten zu werden vermögen, dann bleibt das Vergnügen im Fluss und hält die Menschen lebendig. Wenn Kurzschlüsse entstehen, etwa zwischen der mise en acte des Vergnügens und ihrer immer gleichen mise en scène, dann wird in diesem Wiederholungszwang die mise en sens umgangen und das aktionistische oder bloß reaktionäre Vergnügen erschöpft sich ständig in der hyperidentitären mise en abîme. Wiederholung ist zwar wichtig, doch sie bedarf der Variationen, der Pausen, die einen Sinn entstehen lassen. Erst die sinnvolle Fügung bringt ein Vergnügungswunschensemble hervor, das aus den unterschiedlichsten Positionen in Zeit und Raum aktiviert und wieder zersetzt werden kann. Das unterscheidet das Vergnügen, das die Frage nach dem Un/Genügen umschließt, von der Lust, erst recht von der Wollust, die beide aufgrund des in ihnen dominierenden Drangs oder Triebs weniger Handlungsspielraum zulassen.

Wer mangels Vergnügungswunschensembles kein Vergnügen halten kann, muss schon zur nächsten Anstrengung hetzen, die ihm dann kurz Lust bereitet, vor allem in der Vorstellung vom Ziel, das – ausgepowert aber doch – imperativ zu erreichen ist (manche Schirennläufer*innen sagen es rund heraus, wenn sie gesiegt haben: Endlich hat sich die Plackerei gelohnt und wurde durch einen Sieg gekrönt … und wenn dieser Siegesrausch einmal einsetzt, folgt vielleicht eine Siegesserie, für die Athlet*in, für die Sponsoren, für die Nation …). Hier scheint das Streben nach der Trophäe der Hauptantrieb, der in der Vorstellung (mise en scène) so großes Vergnügen bereitet, dass die damit einhergehende Anstrengung – sinnhaft oder nicht – verklärt, veredelt und – in extremis – auch vergnüglich erscheint.

Im Rahmen von sinnhaften Wunschensembles bereitet die Ausdehnung der Körper in der Zeit, der Zeit in den Körpern Vergnügen: mise en scène, mise en acte, mise en sens, mise en abîme, mise en sens, mise en acte, mise en abîme, mise en scène des Vergnügens; ein langer ruhiger, dann wieder reißenderer Fluss, der nicht an den ständig zu erreichenden Zielen kraftlos versiegt, sondern der sich in dieser abwechslungsreichen Zirkularität von Vorstellung, Sinn, Umsetzung und Aufschub des Vergnügens in Gang hält wie der Atem.

Das Vergnügen ist also ein über alle vier Phasen vermitteltes, differenziertes und vielfältiges; es spielt mit dem Aufschub und geht nicht gleich in ihm zugrunde, doch hält es – von den genannten Verklärungen abgesehen – die Quälerei schwer aus. Das Genießen existiert allerdings an der Grenze zum sadomasochistischen Vergnügen, das eigentlich, wie der Exzess der Trinker, schon wieder kein Vergnügen mehr ist.4 Das dazwischen liegende Vergnügen schmerzlicher Anstrengung findet, wie erwähnt, am erreichten Ziel zwar seinen Höhepunkt, aber oftmals auch den körperlichen Zusammenbruch. Man könnte sagen, dass die Überanstrengung im Sport der Kulminationspunkt des Masochismus ist, der nur noch im Krieg übertroffen wird: Wenn die Läufer*innen nach dem Endspurt über die Ziellinie fliegen und dort weinend zum Erliegen kommen, erinnern sich diejenigen Zuschauer*innen, die sich jemals im Sport überanstrengt haben, an den Schmerz, den das bereiten muss. »Das kann kein Vergnügen mehr sein …«, werden sich die meisten denken, aber manchen bereitet gerade dieser Schmerz, dieses Erleidenund Aushalten-Können in extremis das größte Vergnügen. Zwar können sie die Freude vielleicht erst im Sieg so richtig genießen, oder am Ende eines beschwerlichen Aufstiegs, wenn sie den Blick über das Tal schweifen lassen, über das sie sich erhoben haben, aber vermutlich ist es das gesamte Wunsch- und Genussensemble, das ihnen Vergnügen bereitet und sie schon als Motivation auf den Weg bringt. Denn auch für das durch die Unlust-Spirale pervertierte Miss/Vergnügen gilt, dass es die vier Phasen des Vollzugs durchläuft.

Vor allem im Sinne des Bemächtigungstriebs begannen Menschen diese mise en sens körperlicher Ertüchtigung, die der Ohnmacht in einer sonst durch und durch verfügten und verplanten Existenz spottet. Wer zumindest über seinen Körper die Herrschaft ausübt, ob im Marathon oder anderen anstrengenden Sportarten, kann sich umso leichter im Alltag den Hierarchien unterwerfen oder seinen unbewussten innerpsychischen Unterwerfungsinstanzen gehorchen, ohne sich unterworfen zu fühlen, weil der eigene Wille es ist, der das veranlasst. Wenn Trophäen dafür winken: umso besser! – jedenfalls der Magersucht vorzuziehen, die mit sozialer Häme, zuweilen gar mit dem Tod einhergeht.

Es gibt kein objektiv größtes oder schönstes Vergnügen, und es gibt auch kein wahres Vergnügen außerhalb des Sprichwörtlichen »jedem Tierchen sein Pläsierchen«. Wir können auch nicht – wie Sappho mit der Schönheit (»schön ist das, was jemand liebt«) – eine Definition finden, die über den Pleonasmus hinauskäme: Vergnügen ist das, was Vergnügen bereitet. Schon wenn wir sagen, »Vergnügen ist vergnüglich«, geraten wir in eine semantische Schieflage: Vergnügen ist nicht Vergnügtheit und Vergnügen zu haben, ist etwas anderes als vergnüglich oder vergnügt zu sein. Dennoch helfen uns andere Begriffe dabei, das Vergnügen weiter und zugleich genauer zu begreifen, auszuloten und einzugrenzen. Wenn also kein Glück ohne Vergnügen und kein Vergnügen ohne ein Minimum an Glücksempfinden denkbar zu sein scheint, dann weil wir uns nicht mit dem Vergnügen allein zu begnügen vermögen; das gelingt schon eher den Liebenden im Genuss ihrer Liebe zur Schönheit der Liebe … Sie vergessen darüber – wie Aristophanes in Platons Symposion spekuliert – sogar zu essen. Kinder, die gerne in Bewegung sind, vergnügen sich bei ihrem Spiel derart, dass auch sie oft zu essen vergessen und nicht sitzen bleiben können. Erst jene Kinder, die mit der Brachialgewalt schulischer bzw. elterlicher Disziplin und Erniedrigung in die unaufhörliche Sitzhaltung gezwungen werden, hören auf, sich bewegen zu wollen und werden zuweilen auch immer dicker, wenn nämlich, vermittels einer traurigen Verschiebung, für das Essen gilt: Vergnügen kann nie genügen.

4.   Vergnügen und Zeit

Sich zu vergnügen will zur rechten Zeit gelernt sein, das Vergnügen wird auch zu bestimmten Zeiten angesiedelt, denn die Gesellschaft verlangt von allen ihren Tribut, auch von den Privilegiertesten. »Zum Vergnügen« ist nicht »im Ernst« und obschon der Freizeit-Drill manchen Menschen Vergnügen bereiten mag, müssen Arbeits- und Freizeit getrennt, weil messbar sein (»Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen.«). Wer sich am Arbeitsplatz zu sehr vergnügt (zum Beispiel, weil die Tätigkeit ihr* Freude bereitet), macht sich verdächtig.

Doch all das sind gesellschaftlich-geschichtlich je veränderliche Äußerlichkeiten, dem Vergnügen als solchem wohnt die Zeitlichkeit in erster Linie als Ökonomie von Aufschub und Erfüllung inne, von Protention und Retention im Sinne Husserls (1966). Das Vergnügen selbst etwa kann durch seinen Aufschub vergrößert werden: Wer länger in der Sonne brät, dem wird die erfrischende Abkühlung beim Schwimmen ein umso größeres Vergnügen bereiten. Auch die Sinnesfreuden leben vom Kontrast, nicht nur das geistige Vergnügen. Damit dieses Regime des Kontrastvergnügens gelingt, muss das Vergnügen teleologisch vorgestellt werden, wie die Trophäe am Ende des Marathons. Hautkrebs- und andere Risken sind dabei allerdings auszublenden, schon der Gedanke an sie verdirbt den »Spaß am Vergnügen«.

Die zeitlichen Dynamiken des Vor- und Nachspiels werden nicht nur in der Sexualität geübt, um das Vergnügen zu mehren, sie dirigieren seit langem auch die schnöde Konsumökonomie, die Werbung und das Produktmanagement. Vom Fahrvergnügen über das Flugvergnügen, das den Sensibleren angesichts der Klimakrise bereits vergangen ist, zum herkömmlichen Reisevergnügen: Spätestens an der Vergnügungssteuer erkennen wir die Wirklichkeit und das Diktat der Konsumwelt im Feld des Vergnügens. Die Medien-Mogule lernen früh die entsprechende Psychologie, um diese Dynamik noch verkaufsträchtiger zu bedienen.

»Spektakelgesellschaft« (Debord 1996) ist der Name einer Herrschaft des mit Schaulust einhergehenden Vergnügens um jeden Preis, das als solches kein wirkliches Vergnügen mehr ist bzw. macht. Denn wir haben immer schon genug, ja zu viel. Doch vielleicht gibt es sogar gegen dieses Übermaß an Genügen ein Ver-gnügen. Dafür ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, bevor auch »die anderen« das Angebot oder die Attraktion entdeckt haben. Das Vergnügen an der Tiefstpreis-Sonderangebotsgelegenheit (nur für kurze Zeit!) ist somit schon die konsumistische Sublimierung des Vergnügens, dessen Objekt (Artikel xy) wurst ist. Die Gelegenheit wird als einmalige Versuchung vielleicht noch schneller verkauft, so die Berechnung, denn dieser Reiz des vorletzten Artikels könnte die Langeweile des Überflusses/Überdrusses beim Kaufhaus- bzw. Internetshopping vergessen machen. Auf der Ebene der mise en scène gerät das Vergnügen daran, den anderen zuvorgekommen zu sein, zur Essenz des geistigen Hinterherhinkens aller Werbekampagnen: Sie müssen den Überdruss an der Kaufrauscherfahrung des idealtypischen Konsument*en abgewartet haben, bevor sie derartige Durchhalteparolen als teaser oder movens aktivieren. Etwas pikanter wird das haschende Kaufvergnügen, wenn es um die Knappheit nützlicher Waren wie Brennholz oder Toilettenpapier geht.

Die mise en scène des Vergnügens lebt also vom Aufschub und von der Vorstellung des Kairos, in dem das Vergnügen beginnt bzw. seinen Höhepunkt erreicht. Akmé. Dazu bedarf sie auch der Wiederholung als Einübung (mise en acte): Was wir kennen, fressen wir, haben es zuweilen gar zum Fressen gern. Wieso der Brauch und der Gebrauch in ihrer Verschränkung miteinander für das Vergnügen zentral sind, ist leicht zu beantworten: Im Gebrauchen von Vergnügungsmitteln entstehen Bräuche, die ihrerseits das Vergnügen in Gang halten, in denen es aber auch, sofern sie zur Genüge den Verbrauch einleiten, im Überdruss mündet. Genug kann nie genügen … Ver-gnügen: Ohne tödliche Langeweile kein Vergnügen, das sie aufzulockern vermag. Dabei ist die Gewöhnung an das Vergnügen vom Erlernen des Genusses durch die Einübung zu unterscheiden. Die Exerzitien des Vergnügens spekulieren auf den Verfall der Lüste, und so lautet der Pausenspruch des Vergnügens »genug!« – bevor es wieder weitergeht, in die neuerliche Aktivierung des Vergnügens oder in seinen Verfall in der Langeweile bzw. im Ausgang einer letalen Suchterkrankung.

5.   Ausgänge: Von der Negativität des Vergnügens (mise en abîme) zum Vergnügen an der Sinnstiftung (mise en sens) und der unabschließbaren Revolution

Die Negativität des Vergnügens ist nicht nur in der begrifflich-phänomenalen Verbindung zu seinem Gegenteil, der unlustvoll-tödlichen Langeweile begründet, sondern auch im Chiasma dessen, was wahrlich kein Vergnügen mehr ist: Wenn das Vergnügen etwa durch die Trunksucht im Exzess und den ungustiösen Ausschweifungen mündet, die am nächsten Tag für Schuldgefühle sorgen, mag ein*e Betrachter*in der peinlichen Szene sagen: »Das mitanzusehen war kein Vergnügen mehr.« Oder: »Da habe ich schon genug gehabt.«