Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben - Günter Schmölders - E-Book

Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben E-Book

Günter Schmölders

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Beschreibung

Ein Kontrastprogramm zur abstrakten Wirtschaftstheorie: ■ Verhaltensforschung zur Erklärung wirtschaftlicher und sozialer Prozesse ■ Verhaltensforschung zur Dokumentation struktureller Wandlungen ■ Verhaltensforschung zwecks Wirtschaftsprognose

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Günter Schmölders

Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben

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Über dieses Buch

Ein Kontrastprogramm zur abstrakten Wirtschaftstheorie:

■ Verhaltensforschung zur Erklärung wirtschaftlicher und sozialer Prozesse

Über Günter Schmölders

Günter Schmölders (1903–1991) war ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler, Finanzwissenschaftler, Finanzsoziologe und Sozialökonom.

Inhaltsübersicht

Vorwort1. Einleitung: Ein Kontrastprogramm zur Rationaltheorie2. Wie arbeitet die sozialökonomische Verhaltensforschung?2.1. Vom Historismus zur Prognose2.2. Eine Anleihe bei der Psychologie?2.3. Forschungsmethoden3. Was leistet die Verhaltensforschung?Vorbemerkung3.1. Erklärung wirtschaftlicher und sozialer Prozesse3.2. Dokumentation struktureller Wandlungen3.3. Beiträge zur WirtschaftsprognoseÜber den VerfasserWichtigste VeröffentlichungenLiteraturübersichtRegisterPersonenregisterSachregister

Vorwort

Zwischen der wissenschaftlichen Erforschung des Wirtschaftslebens und seiner praktischen Gestaltung durch staatliche Gesetze und wirtschaftspolitische Maßnahmen klafft ein Abgrund. Die Kluft zwischen «Theorie» und «Praxis» ist wohl auf keinem Gebiet menschlicher Erkenntnis und Erfahrung tiefer als hier; das immer wiederkehrende Versagen jeglicher Konjunktur- und Wirtschaftsprognose, die ins Auge fallenden Widersprüche zwischen der proklamierten Wettbewerbsordnung und der rauhen Wirklichkeit, nicht zuletzt auch die Ratlosigkeit vieler wohlmeinender Sachverständigen gegenüber der brutalen Durchsetzungskraft von Einzel- und Gruppeninteressen bieten einen ununterbrochenen Strom von Alltagsbeispielen für die unbestreitbare Tatsache, daß aller Fortschritt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften den Abgrund zwischen Theorie und Wirklichkeit bisher nicht überwunden, ja ihn vielleicht eher noch erweitert und vertieft hat. Die Wirtschaftspolitik verschreibt sich einem vagen Pragmatismus oder gar dem «Grundsatz der Grundsatzlosigkeit» mit seinen immer wiederholten Konzessionen an die jeweilige politische «Optik», die Wissenschaft zieht sich dagegen in den Elfenbeinturm der mathematischen Abstraktionen und hypothetischen Logizismen zurück, in dem sie sich unangreifbar wähnt, ohne sich ihrer Sterilität bewußt zu werden, die ihren Anspruch auf lebendige Mitwirkung am wirtschaftspolitischen Geschehen mehr und mehr entkräftet.

Das war nicht immer so; vor hundert Jahren besaß gerade die deutsche Volkswirtschaftslehre sogar Weltgeltung. Die besten Köpfe der jungen amerikanischen Wirtschaftswissenschaft pilgerten nach Berlin, um Gustav Schmoller und Adolph Wagner zu hören, deren historisch-ethische Grundhaltung – Jahrzehnte vor Max Webers Verbannung des Werturteils aus der Wissenschaft – es den universalgeschichtlich gebildeten Gelehrten erlaubte, zu vielen aktuellen politischen Fragen, wie zum Beispiel zu der gerade entstehenden Sozialversicherung, nachdrücklich und mit guten Gründen Stellung zu beziehen; daß sie dafür von den unentwegten Klassenkämpfern als «Kathedersozialisten» bekämpft und diffamiert wurden, schmälerte ihren Ruhm und ihre Würde nicht, machte im Gegenteil aus dem ironisch gemeinten Schimpfwort alsbald einen Ehrennamen für die Gründergeneration des «Vereins für Socialpolitik» (gegr. 1872).

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich freilich die Wirtschaftstheorie diesseits und jenseits des Atlantik von dem mühsamen Geschäft historischer Forschung und dem mutigen Eintreten für das jeweils als richtig Erkannte radikal abgewandt; Fleiß und Mannesmut galten von nun an weniger als Scharfsinn und logische Spitzfindigkeit, mit denen man es den «exakten» Naturwissenschaften gleichtun wollte. An die Stelle der genauen Erforschung und Beschreibung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit trat das Bestreben, die gesuchten Zusammenhänge stark vereinfacht als Analogien physikalischer «Gleichgewichts»zustände zu deuten und modellhaft zu erfassen; je komplizierter die Modelle wurden, die bald auch die Dynamik und die Oszillationsvorgänge der Märkte, die Wirkungsverzögerungen (lags) und Vorauswirkungen (leads) in sich aufnahmen, desto mehr bedurfte es aufwendiger mathematischer Formeln, um das jeweils Gemeinte überhaupt ausdrücken zu können, und algebraischer Ableitungen, um damit, wenn nicht den Ablauf des Geschehens, so doch den eigenen Scharfsinn zu demonstrieren.

Diese Entwicklung hat heute ein Stadium erreicht, in dem sie sich selbst ad absurdum zu führen beginnt. Es sei unmöglich, so lesen wir, «die Profitrate als effizienten Preis in einem intertemporalen Allokationsprozeß zu interpretieren»; was das heißen soll, bleibt ohne ein Spezialstudium der verwendeten Modelle unverständlich. Ebenso esoterisch wirkt es, wenn eine neuartige, aus der Statistik entwickelte Konjunkturtheorie sich «Endogene Prozeßsystematik» nennt oder wenn ein Vortrag die «Implikationen multidimensionaler Zielsysteme für die Entwicklung operationaler Theoriesysteme» behandelt; ein gelehrter Ökonom, der eine Untersuchung in Angriff nimmt, «initiiert» heute eine «Analyse», deren Resultat erst dann «relevant» ist, wenn ihr «kognitiver Output relativ innovative Denkprozesse impliziert».

Vergleicht man dieses gelehrte Kauderwelsch mit dem Sprachstil klassischer deutscher Denker wie Max Weber, Werner Sombart oder Walter Eucken, von deren geistiger Substanz wir heute noch zehren, so fällt die Schwulstsprache unserer heutigen Gelehrtengeneration besonders auf; an ihrer Wiege standen drei Jahrzehnte wissenschaftlichen Nachholbedarfs, der im angloamerikanischen Sprachraum gedeckt werden mußte, eine miserable Übersetzung des Keynesschen Hauptwerks und das Bedürfnis, sich intellektuell wohl um so mehr mit griechisch-lateinischen Lehnworten zu brüsten, je weniger Griechisch und Latein man selbst in der Schule mitbekommen hatte. So gelangten viele dieser Lehnworte erst über das Amerikanische, und entsprechend sinnverwandelt, in unsere Fachsprache. Das Halbdunkel vielfältig verschachtelter, gelehrt klingender Kunstworte und Sprachformen bietet sich ganz besonders für das Halbverstandene, nicht recht Durchschaute oder mangelhaft Durchdachte an, dessen Unklarheit es mit dem kristallenen Flitterglanz exotischer Sprachfetzen überstrahlt; gelingt es, den arglosen Leser und Zuhörer mit solchen sprachlichen Arabesken zu blenden, so fühlt sich der Schreiber und Redner vielleicht «noch einmal davongekommen». Aber schon allein die blamablen Fehlprognosen unserer Konjunkturforscher sollten zu etwas mehr Bescheidenheit auch in der Ausdrucksweise mahnen; das Ansehen unserer heutigen Wirtschaftstheoretiker ist nicht so hoch, daß das Publikum ihnen «elitäre Arroganz» und eine fachbezogene Geheimsprache fernerhin abzunehmen bereit ist.

Schon berichtet die Presse über Fachtagungen, deren Referate «vom Chronisten mangels eines Fremdwörterbuches nicht verstanden wurden» (FAZ, 11. 2. 78). In Frankreich, wo die Akademie über die Reinheit der nationalen Sprache wacht, ist vor kurzem der Durchdringung des Französischen mit amerikanischen Sprachbrocken, dem sogenannten «Franglais», offiziell der Kampf angesagt worden; bei uns ist nicht einmal bei den gelehrten Vereinigungen und Standesvertretungen bisher irgendein Widerstand zu spüren, obgleich jede Bildungsreform eigentlich damit beginnen müßte, für Verständlichkeit der Lehrinhalte zu sorgen. Statt dessen erscheinen in unseren wissenschaftlichen Zeitschriften mehr englische als deutsche Beiträge, soweit sie nicht zugunsten kunstvoller algebraischer Ableitungen auf verbale Verdeutlichung überhaupt verzichten; Englisch und Mathematik sind zu unerläßlichen Vorbedingungen jedes Wirtschaftsstudiums geworden.

Gegen die Entartung der Wirtschaftstheorie zu einem sterilen Gedankenspiel höchsten Abstraktionsgrades, über das nur noch in komplizierter mathematischen Formeln und in einem unverständlichen Fachchinesisch berichtet werden kann, erhob sich nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst in den Vereinigten Staaten eine Gegenbewegung, die historisch an den Institutionalismus, das amerikanische Erbteil unserer deutschen historisch-ethischen Volkswirtschaftslehre, anknüpfen konnte. Hatte der Institutionalismus die prägende Kraft von Institutionen wie Eigentum, Rechtssystem und Vertragsfreiheit auf das wirtschaftliche Verhalten der Menschen hervorgehoben, so kehrte die interdisziplinäre Betrachtungsweise der «behavioral sciences» wieder zu dem Menschen selbst zurück, dessen wirtschaftliche Aktivität ihr als ein Beispiel allgemeinen menschlichen Handelns erschien. Ohne «vorschnelle Verallgemeinerungen» (Schmoller) versuchte sie, Antriebe und Vollzug des wirtschaftlichen Handelns der Verbraucher und Sparer, Unternehmer und Investoren als eigenständige Abläufe, Lernprozesse und Routineverhalten, Nachahmung und Traditionen zu beobachten und in ihren Zusammenhängen zu verstehen; konstantes (in gleichartigen Situationen sich wiederholendes) und konformes Verhalten (gleichartiges Verhalten einzelner in ihren Gruppen) erlaubt eher eine Prognose als das mechanistische Modell vom eindimensionalen «homo oeconomicus», dem die Rationaltheorie verhaftet blieb.

Diese «sozialökonomische Verhaltensforschung» fand vor fünfundzwanzig Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland einen ersten Stützpunkt in Gestalt meiner Kölner Forschungsstelle für empirische Sozialökonomik, über deren Arbeit auf den folgenden Seiten berichtet wird. Während die Soziologie meist von «empirischer Sozialforschung» spricht, halte ich für den ökonomischen Bereich die Bezeichnung «Verhaltensforschung» für sinnvoller, weil sie deutlich macht, daß die ökonomischen Prozesse nicht als exogen determinierte Mechanismen, sondern als Ergebnisse menschlicher Handlungen betrachtet werden müssen. Diese Handlungen sind weitgehend durch das Wirken von Gewohnheiten, Institutionen und sozialen Werten und Normen «kanalisiert» und «stabilisiert»; Gegenstand der Verhaltensforschung sind daher nicht nur die wirtschaftlich relevanten Verhaltensweisen und Einstellungen selbst, sondern alle sie beeinflussenden Faktoren, nicht nur die verhaltensbestimmende Situation, sondern auch die verhaltenserklärende Motivation.

Wie die Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben arbeitet und was sie leistet, bildet den Gegenstand des vorliegenden Bändchens. Ausgehend von der historischen Grundlage und den interdisziplinären Forschungsmethoden der jungen Fachdisziplin gliedert sie ihre Aufgabe in drei Leistungsbereiche, die inhaltlich und methodisch aufeinander aufbauen: die detaillierte, empirisch gesicherte Erklärung wirtschaftlicher und sozialer Prozesse, die daraus folgende, heuristisch fruchtbare Dokumentation struktureller Wandlungen, die damit plausibel gemacht werden können, und das Fernziel der Wirtschaftsprognose, von dem wir zur Zeit noch weit entfernt sind, zu dem die Verhaltensforschung jedoch sicherlich Beiträge zu leisten vermag.

Einen Eindruck von der Breite des mit dieser Methode inzwischen bereits in Angriff genommenen Feldes vermittelt die am Schluß wiedergegebene Literaturübersicht. Allen Mitarbeitern der Kölner Forschungsstelle und den Inhabern der inzwischen schon an dieser Arbeitsweise orientierten Lehrstühle im In- und Ausland gebührt herzlicher Dank und Ermutigung zur weiteren Forschung und Lehre auf diesem fruchtbaren Arbeitsgebiet.

 

Günter Schmölders

1. Einleitung: Ein Kontrastprogramm zur Rationaltheorie

Die im Vorwort erwähnte Entartung der heutigen Wirtschaftstheorie, die zwar weltweit zu beobachten ist, im deutschen Sprachraum jedoch ihre skurrilsten Blüten treibt, hat natürlich ihre Ursachen und geistigen Grundlagen. Eine dieser Ursachen liegt sicherlich in der willkürlich engen und nicht selten geradezu doktrinären Abgrenzung und Einhegung des Bereichs «Wirtschaft» als Gegenstand politischer Gestaltung und theoretischer Forschung. Während jedoch die Macht der Tatsachen die Wirtschaftspolitik längst dazu gezwungen hat, diese engen Grenzen zu überschreiten und abwechselnd und nebeneinander in die Gefilde der Außen-, Innen-, Sozial-, Rechts- und Kulturpolitik überzuwechseln, verharrt die Wirtschaftstheorie auf dem abgesteckten Spielfeld des «Ökonomischen» im engsten Sinne, um hier nach immer weiter verfeinerten Regeln den Spielball von Ursache und Wirkung im Kreise herumzutreiben. Diese «Reine Theorie» ist abstrakt und unabhängig von Zeit und Raum; Zeit und Raum gehören aber gerade zu den primären Gegebenheiten, mit denen sich die konkrete Gestaltungsaufgabe des Politikers auseinanderzusetzen hat. Zwei der grundlegenden Prämissen, von denen früher die Theorie auszugehen pflegte, nämlich die Annahme einer praktisch unendlich großen Anpassungsgeschwindigkeit und die «ceteris-paribus»-Hypothese, treffen in der wirtschaftspolitischen Wirklichkeit niemals auch nur annäherungsweise zu; gerade das Zeitmoment und die wechselnden Umstände, Gegen- und Nebenwirkungen bilden vielmehr das eigentliche Element aller politischen und damit auch aller wirtschaftspolitischen Erfolgschancen und Risiken.

Sowohl der verzögerten Anpassung als auch den mannigfaltigen Umweltfaktoren, die das Funktionieren der «ceteris-paribus»-Beziehung vereiteln, sollte daher die besondere Aufmerksamkeit einer für das Leben, nicht für sich selbst arbeitenden Wirtschaftsforschung gelten; beide sind in erster Linie Äußerungsformen menschlichen Verhaltens im weitesten Sinne. Was der Wirtschaftstheorie, auch der dynamischen Verlaufsanalyse, die das Zeitmoment berücksichtigt, fehlt, sind in erster Linie Erkenntnisse über das Verhalten der Menschen, die aktiv oder passiv Subjekte und Substrate der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik sind. Der Weg dazu besteht in der Ergänzung der jenseits von Raum und Zeit am theoretischen Modell einer abstrakten Wirtschaftsgesellschaft gewonnenen Erkenntnis durch die wirklichkeitsnahe, das Menschlich-Allzumenschliche in den Datenkranz der Wirtschaftsforschung einbeziehende sozialökonomische Verhaltensforschung.

Der Ausdruck «Verhaltensforschung» könnte mißverstanden und mit der seinerzeit in den Vereinigten Staaten aufgetretenen Schule des «Behaviorismus» verwechselt werden. Es empfiehlt sich daher, von vornherein klarzustellen, daß unsere «Verhaltensforschung» grundsätzlich die Gesamtheit der anthropologischen Wissenschaften zur Auskunft über die Antriebe des wirtschaftlichen oder wirtschaftlich relevanten menschlichen Handelns heranziehen will, von der Psychologie des Bewußten und Unbewußten (einschließlich der behavioristischen) über die Biologie bis zur Hirnforschung einerseits, von der Soziologie und Geschichtswissenschaft über die Sozialanthropologie bis hinüber zur Sprachwissenschaft und zur vergleichenden Tierethologie und -soziologie andererseits. Der Nutzen dieser erweiterten Fragestellung liegt gerade in der Aufgeschlossenheit gegenüber Ergebnissen und Ansätzen anderer Fachwissenschaften vom Menschen; ihre Grundlage ist die Erkenntnis, daß Wirtschaften menschliches Handeln, menschliches Handeln aber keineswegs nur das Wirtschaften ist, so daß es absurd wäre, es lediglich mit wirtschaftlichen Kategorien erklären oder auf den Bereich der «Wirtschaft» beschränken zu wollen.

Gegen die damit provozierte Miteinbeziehung des in den Lehrbüchern meist ausdrücklich oder stillschweigend ausgeklammerten «menschlichen Elements» in den Kreis der ökonomischen Forschungsgegenstände besteht in der Wirtschaftswissenschaft bisher noch überwiegend ein ausgesprochenes Vorurteil. Die Verfechter einer angeblich «exakten» ökonomischen Theorie lassen sich nur zu leicht dazu verleiten, das psychologische Gebiet überheblich als «happy hunting ground of the charlatan and the quack» abzutun[*] oder es den «minds averse to the effort of exact thought» zu überlassen.[*] Zum mindesten beherrscht bewußt oder unbewußt die Grundkonzeption des rational handelnden «homo oeconomicus» die Theorie noch so weit, daß sie es der Zukunft zuschiebt, andere als die rationalen Handlungsweisen zu erforschen, «when the technique of economic analysis will be sufficiently advanced to analyse the results of neuroses and confused thinking».[*] Auf der anderen Seite führt jedes Modell des Wirtschaftsablaufs unter bewußt abstrakt gehaltenen Voraussetzungen zu einem Punkt, an dem sich dieser Voraussetzungskreis als zu eng erweist. Die determinierende Rolle des menschlichen Verhaltens und, in der tieferen Schicht, der Determinanten eben dieses Verhaltens sind in der Wirtschaftswissenschaft allzulange vernachlässigt worden. Wer «reine» Wirtschaftstheorie formuliert, versucht wie Alice im Wunderland ohne fixierte Punkte Krocket zu spielen;[*] die festen Punkte, die uns dabei fehlen, sind die «Gesetze der menschlichen Natur», m.a.W. die Konstanten des Verhaltens der wirtschaftenden Menschen, um die sich die Verhaltensforschung bemühen muß.

Die ablehnende Haltung der modernen Wirtschaftstheorie gegen die Einbeziehung des «menschlichen Elements» ist um so verwunderlicher, als am Anfang der Nationalökonomie eine sehr entschiedene Neigung zu «psychologischen» Hypothesen bestand. Adam Smith hielt bekanntlich seine Theorie der ethischen Gefühle für wesentlich bedeutender als sein späteres wirtschaftswissenschaftliches Werk;[*] Ricardos Vorstellung vom wirtschaftenden Menschen fußte auf der handfesten utilitaristischen Psychologie Benthams, und noch lange hat der Hedonismus zu einer Zeit, als er in der Philosophie und Psychologie längst überwunden war,[*] die Auffassungen der Ökonomen vom menschlichen Handeln maßgebend bestimmt. So baute Jevons die Grenznutzenlehre noch ganz auf den alten hedonistischen Grundvorstellungen auf, die, wie bei Ricardo, darin gipfeln, daß das größte Gesamtwohl erreicht wird, wenn jedes Individuum einem Maximum an Lust oder doch einem Minimum an Unlust zustrebt. O. Morgenstern hat darauf hingewiesen, daß es an der Sache nichts ändert, wenn man «Lust» mit «Nutzen» oder «Nutzen» mit «Ophelimität» (Pareto) oder die «Nutzenrechnung» schlechthin mit «Rechnung» bezeichnet; Alfred Marshall, der die Nationalökonomie sogar allen Ernstes als einen Sonderzweig der Psychologie ansah, ersetzte freilich in seinen «Principles» lediglich das Wort «pleasure» durch «satisfaction», «as if such verbal changes cleaned his skirts of hedonism».[*]

Spätere Generationen von Nationalökonomen haben den Versuch gemacht, die Psychologie, die der subjektiven Wertlehre zugrunde lag, aus der Wirtschaftstheorie hinauszukomplimentieren und sie durch eine angeblich rein objektive Theorie der «Wahlhandlungen» zu ersetzen; neben J.R. Hicks ist hier vor allem H.v.Stackelberg zu erwähnen. «Nicht mehr die in der menschlichen Psyche unmittelbar wahrgenommene Empfindung, sondern der äußerlich sichtbare wirtschaftliche Wahlakt steht am Anfang der Werttheorie. Auf die Erklärung, warum der Mensch so und nicht anders wählt, wird verzichtet. Das Indifferenzkurvenschema bringt nur zum Ausdruck, daß in einer bestimmten Weise gewählt wird … Nicht nur Bedürfnisse im alten Sinne, sondern alle denkbaren Zwecke des Menschen und der menschlichen Gesamtheiten können die Basis für die Bewertung der verschiedenen Mittelkombinationen abgeben. Die Werttheorie weitet sich zur reinen Theorie der Zweckmittelbeziehung aus. Sie ist abstrakt, farblos, fast möchte man sagen ‹gläsern› geworden; aber ihre Leistungsfähigkeit ist zugleich auf den denkbar höchsten Stand gebracht.»[*]

Die Wertlehre, die dadurch zu einer abstrakten Theorie der Wahlhandlungen wird, verzichtet also bewußt auf eine vollständige Erklärung des wirtschaftlichen Handelns; sie überläßt diese Erklärung ausdrücklich der Psychologie: «Gewiß ist ein Wahlakt wie der obige eine Erscheinung, die der Erklärung bedarf. Es gibt überhaupt keine Erscheinung, die keiner Erklärung bedürfen würde. Um eine Erklärung zu erhalten, müßte man im Einzelfalle genau untersuchen, aus welchen bewußten oder unbewußten Motiven der betreffende Mensch in der Lage, in der er sich gerade befand, die Möglichkeit A der Möglichkeit B vorgezogen hat. Diese Erklärung würde bestimmt manchen interessanten Aufschluß vermitteln. Sie hat jedoch mit der wirtschaftlichen Theorie nichts mehr zu tun. Sie gehört vielmehr in das Gebiet anderer Disziplinen, vor allem der Psychologie.»8,[*]

Diese Resignation der Werttheorie gegenüber den den Wertvorstellungen zugrundeliegenden Motivationen leitete Wesley C. Mitchell von der Erkenntnis her, daß der Hedonismus eine unbrauchbare Psychologie sei, so daß die Wertlehre versuchen mußte, ohne Psychologie auszukommen, wollte sie nicht auf die klassische und auf die Grenznutzenanalyse des Wertes überhaupt verzichten; statt die unbrauchbare Psychologie der Grenznutzenschule durch eine bessere zu ersetzen, eliminierte die moderne Wertlehre die Psychologie durch den Rückzug auf eine bloße Theorie der Wahlakte. Dadurch gelangte diese Lehre dazu, sich nicht so sehr darüber Rechenschaft zu geben, wie sich die Menschen wirklich verhalten, als darüber, wie sie sich verhalten würden, wenn sie der «Logik der Geldwirtschaft» folgen würden.[*]

Die schärfste Kritik an diesem Ausweichen vor der psychologischen Fragestellung stammt von G. Myrdal. Er nennt es geradezu «die Funktion der Wertlehre, daß man mit ihr die Denkfehler verschleiert, durch die man zu politischen Normen kommt und die ohne die Wertlehre gar zu augenscheinlich zutage treten würden».[*] Ihm erscheint es daher auch durchaus verständlich, «daß die Theorie ständig in Konflikt gerät mit der modernen Tiefenpsychologie, wo auch immer diese ihre Ausgangspunkte hernimmt. Denn alle psychologischen Schulen sind zum mindesten äußerlich darin einig, daß der populär-introspektive Rationalismus, dem der Hedonismus eine gelehrte Formulierung gegeben hat, nicht haltbar ist.»[*]

Mit Recht hat H. Mackenroth daraus die Folgerung gezogen, daß mit dem Verzicht auf die psychologische Erklärung auch die subjektive Wertlehre hinfällig würde; «eine für diesen Fall noch aufrechterhaltene subjektive Wertlehre wird zu einer rein formalistischen, mathematisch verbrämten Begriffsspielerei».[*] Auch Rittig entlarvt den sogenannten Hinauswurf der Psychologie aus der Wirtschaftstheorie als das, was er ist: «Er besteht also lediglich darin, daß man darauf verzichtet, etwas über die von äußeren Gütermengenvariationen abhängigen und ausgelösten innerpsychischen Zusammenhänge zu sagen, aber annimmt, daß diese innerpsychischen Zusammenhänge – weiß der Teufel und allenfalls noch Gossen und Pareto, auf Grund welcher Manipulationen diese innerpsychischen Zusammenhänge ihre Größen zustande bringen – ein quantitatives Spiegelbild auf die objektive Güterwelt werfen.»[*]

Trotz dieser Erkenntnisse fehlt es bis heute an einer allgemein akzeptierten Besinnung auf die menschlichen Antriebskräfte auch und gerade des wirtschaftlichen Handelns; nur wenige Stimmen haben sich in jüngster Zeit mit der Forderung erhoben, diese Lücke in der Wirtschaftstheorie zu schließen. F. Perroux protestierte ausdrücklich gegen «die beiden Lückenbüßer», denen es zu danken sei, «daß sich der Wirtschaftswissenschaftler so viele Anstrengungen ersparen und sich für so viel Unwissenheit entschuldigen kann: die Daten, die nicht erklärt zu werden brauchen, und die ‹außerökonomischen Elemente›, auf die definitionsgemäß unser Fach seine Herrschaft nicht auszudehnen hat».[*] Bezeichnenderweise ist es das Land, dessen wirtschaftspolitische Experimentierfreudigkeit den Abgrund zwischen Theorie und Praxis am anschaulichsten demonstriert hat, nämlich Australien, wo die Erkenntnis mutig ausgesprochen wurde, «that economics ignores the complexity and irrationality of human nature, and the economists map of the world is unnecessarily misleading»;[*] E.R. Walker setzt sich für ein Studium des ökonomischen «Behavior» ein, zu dessen Verständnis die Anthropologie und Psychologie, von der Soziologie ganz abgesehen, gleichwertige Beiträge neben der Wirtschaftswissenschaft zu liefern vermögen. Ungeschick und Irrtum, Neugier und Trägheit, Nachahmung, Tradition und institutionelle Schranken sind danach gleichberechtigte, nicht etwa nur modifizierend auf ein grundsätzlich rationales Verhalten einwirkende Faktoren, die zu untersuchen daher keineswegs unter der Würde der Wirtschaftswissenschaft sei; die Wirtschaftspolitik «verlangt nicht nach weniger, aber nach besserer Wirtschaftstheorie».[*]

Auch Jean Marchal hat seinerzeit die Forderung aufgestellt, die Wirtschaftswissenschaft endlich «von einer mechanischen Wissenschaft zu einer Wissenschaft von Menschen» auszugestalten, die die ökonomischen Phänomene nach ihrer wirklichen Kausalität untersuchen müsse; «was die Wirtschaftswissenschaft uns liefert, das ist im wesentlichen eine Technik des rationellen Handelns … Es ist nun aber so, daß die Nationalökonomie eine Wissenschaft vom Menschen ist und daß es im Menschen immer ein Stück Geheimnis gibt und geben wird. Um aus der Wirtschaftswissenschaft eine Physik oder eine ökonomische Logik zu machen, müßte man den Menschen mechanisieren» und ihn «in einen vervollkommneten Roboter verwandeln, dessen sämtliche Reaktionen von vornherein vorauszusehen wären».[*] Das Wesen der Wirtschaftswissenschaft ist nach Marchal durch die Eigenart der ökonomischen Phänomene vorgezeichnet, die sich in der Zeit abspielen, dabei fast immer diskontinuierlich und letztlich psychologischer Natur sind, so daß sie auch und gerade von hier aus der Erklärung zugänglich sind; am Beispiel des Steuerzahlers, der auf eine zusätzliche Steuerlast mit einem Nachlassen seines Erwerbsstrebens reagiert, beweist Marchal, daß die von der klassischen Lehre als feststehend angenommenen Ziele des menschlichen Verhaltens sich im Verlauf des ökonomischen Prozesses ändern und also alles andere als «Daten» sind.[*]

Die erste, leichte Beute dieser realistischen Betrachtungsweise des wirtschaftlichen Handelns wird die Vorstellung von einem «homo oeconomicus», wie sie unbewußt der Wirtschaftstheorie auch heute noch weithin zugrunde gelegt und teilweise sogar schon wiederum in der Psychologie als Typus des «Wirtschaftsmenschen» akzeptiert wird.[*] Aber: «Wir Anthropologen und Soziologen haben es genügend klargemacht, … daß niemals ein menschliches Wesen existierte, das die charakterlichen Eigenschaften, die dem homo oeconomicus in den Textbüchern zugeschrieben werden, wirklich besaß. Es hat niemals eine Gesellschaft existiert, die den von Marx und Engels als Kardinalprinzip formulierten wirtschaftlichen Determinismus befolgte. Das vollkommene Gleichgewicht ist ein wirtschaftliches Nirwana, das jenseits von Raum und Zeit liegt. Die großen Worte machen zwar immer wieder die Runde, aber ich kann sie mit keiner mir bekannten Realität in eine mehr als höchst erzwungene und abrupte Verbindung bringen. Ich scheine mit dieser Schlußfolgerung nicht allein dazustehen. Gelehrte wie Mayo, Mitchell, die Clarks und viele andere sind zu ähnlichen Schlüssen gelangt.»[*]

Die Selbstbesinnung der Wirtschaftstheorie geht hier charakteristischerweise von der Konjunkturtheorie aus, die sich mit der Vorstellung eines rational handelnden «homo oeconomicus» mit seiner «vollkommenen Voraussicht» schlechterdings nicht zufriedengeben kann; O. Morgenstern schrieb schon 1935: «Die unwahrscheinlich hohen Ansprüche, die an die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Wirtschaftssubjekte gestellt werden, beweisen zugleich, daß in den Gleichgewichtssystemen keine gewöhnlichen Menschen erfaßt werden, sondern mindestens untereinander genau gleiche Halbgötter, falls eben die Forderung voller Voraussicht erfüllt sein soll.»[*] Mit seiner «Theorie der Spiele» hat Morgenstern inzwischen einen vielbeachteten Beitrag zum Ausbau der Wirtschaftstheorie geleistet; der «homo ludens» Huizingas erscheint berufen, die Vorstellung von den Verhaltensmotiven des Menschen wirksam aufzulockern.[*]

Auch die Geldtheorie kann, soweit sie sich nicht auf eine mehr oder weniger mechanistische Auffassung von den Geldgrößen und Umlaufsvorgängen beschränkt, mit der Vorstellung eines ökonomisch rational handelnden Wirtschaftsmenschen nichts anfangen. Gerloff stellte dem «homo oeconomicus» den «homo ambitiosus» gegenüber; das stärkste Motiv nicht nur des Arbeitswillens, sondern des ganzen gesellschaftlichen Geschehens sei das Streben nach Anerkennung und nach persönlicher Hervorhebung und Auszeichnung. Jede derartige Typenbildung unterliegt der Gefahr, die Wirklichkeit in der verlockenden Folgerichtigkeit einer Reißbrettkonstruktion zu betrachten; auch in der Geschichtswissenschaft wird vor dieser Gefahr, bei den handelnden Menschen rein rationale Motive vorauszusetzen, heute ausdrücklich gewarnt. «Es ist eben nur in Ausnahmefällen so, daß der Politiker ausschließlich aus reiner ‹Staatsräson› handelt, sehr oft wird er vielmehr von irrationalen Motiven, ja geradezu von seiner ‹Unvernunft› abgelenkt … Man muß eine … idealtypische Vorstellung wie den homo politicus nur als ein heuristisches Hilfsmittel verwenden im vollen Bewußtsein, daß ihm … keine reine Wirklichkeit zukommt.»[*]

Für die Geldtheorie hat Hicks schon vor langer Zeit gefordert, daß sie außerhalb der sogenannten Gleichgewichtstheorie bleiben und statt dessen in engere Verbindung mit der Risikotheorie gebracht werden müsse: «Die Geldumlaufsgeschwindigkeit ist in ihrem wichtigsten Aspekte eine Funktion des Risikos.»[*] Da nun das Risiko insofern ex definitione mit der Annahme vollkommener Vorausssicht ganz unvereinbar ist, als vollkommene Voraussicht jedes Risiko beseitigt, bleibt auch nach Morgenstern die gesamte Risikotheorie außerhalb der Gleichgewichtstheorie,[*] ebenso wie die Geld- und Konjunkturlehre sich davon bereits emanzipiert haben. Daß diese Emanzipation angesichts des Fehlens genügender Markttransparenz auch für die gesamte Wert- und Preistheorie vollzogen werden muß, ist bereits oben erwähnt worden; damit fällt das Spielfeld der «reinen Theorie» in sich zusammen.

2. Wie arbeitet die sozialökonomische Verhaltensforschung?

2.1. Vom Historismus zur Prognose

Der Prüfstein für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaftswissenschaft ist die Wirtschaftsprognose. Eine Theorie, die sich mit der retrospektiven Erklärung der Funktionszusammenhänge des Wirtschaftslebens begnügt, ohne zugleich das Fundament für eine darauf aufbauende Deutung der in die Zukunft weisenden Kräfte schaffen zu helfen, hat ihren Beruf verfehlt; mit Recht hat J.M. Clark getadelt, daß manche Nationalökonomen ihre Theoreme als «Endprodukte» statt als analytische Werkzeuge zu betrachten scheinen.[*]

Ansätze zu einer in diesem Sinne breiteren Fundierung der Wirtschaftstheorie finden sich im Institutionalismus, der die moderne, im Zusammenhang mit dem amerikanischen Pragmatismus entwickelte Sozialpsychologie für die Wirtschaftstheorie fruchtbar zu machen bemüht war; erst mit der Erforschung der Institutionen gewinnen wir die für jede Prognose unentbehrlichen Konstanten, die eine abstrakte Gleichgewichtstheorie nicht zu bieten vermag. Eine Anleihe bei der Anthropologie bestätigt diesen Sachverhalt; A. Gehlen stellt die gerade für unser Prognoseproblem wichtige Frage: «Wie bringt es denn der Mensch angesichts seiner Weltoffenheit und der Instinktreduktion, bei aller potentiell in ihm enthaltenen unwahrscheinlichen Plastizität und Instabilität, eigentlich zu einem voraussehbaren, regelmäßigen, bei gegebenen Bedingungen denn doch mit einiger Sicherheit prognostizierbaren Verhalten, also zu einem solchen, das man quasiinstinktiv oder quasiautomatisch nennen könnte, das bei ihm an Stelle des echt instinktiven steht und das offenbar den stabilen sozialen Zusammenhang erst definiert? So fragen, heißt das Problem der Institutionen stellen. Man kann geradezu sagen, wie die tierischen Gruppen und Symbiosen durch Auslöser und durch Instinktbewegungen zusammengehalten werden, so die menschlichen durch Institutionen und die darin erst ‹sich feststellenden› quasiautomatischen Gewohnheiten des Denkens, Fühlens, Wertens und Handelns, die allein als institutionell gefaßte sich vereinseitigen, habitualisieren und damit stabilisieren. Erst so werden sie … einigermaßen … voraussehbar.»[*] Erst mit der Zerschlagung der Institutionen wird nach Gehlen auch das menschliche Verhalten «triebhaft».

Mit dem Hinweis auf die Rolle der Institutionen als der die Konstanz des menschlichen Verhaltens bestimmenden Faktoren löst sich Gehlen von den «polythematischen Theorien» über die menschliche Antriebsstruktur.[*] Diese Versuche scheitern ausnahmslos und aus denselben Gründen wie die Typenlehren, nämlich an der Beliebigkeit der Setzungen. «Man hat Macht, Egoismus … und vieles andere … für das ‹Eigentliche› im Menschen erklärt. McDougall kennt jetzt 18 Grundtriebe …, während es Watson schon auf etwa 50 bringt. Shaffer (The Psychology of Adjustment) behauptet, daß Bernard (1924) bei mehreren hundert Autoren 14046 ‹human activities› festgestellt habe, die als ‹instinktiv› bezeichnet wurden.» Eine solche Vielzahl von Antrieben ließe die Auffindung von Verhaltenskonstanten hoffnungslos werden, wenn wir nicht in den Institutionen konkrete Schemata besäßen, an denen sich das menschliche Handeln erfahrungsgemäß in stärkstem Maße zu orientieren pflegt.

Wie Gehlen, so legt auch die amerikanische Anthropologie den Akzent auf die institutionelle Formung der an sich plastischen menschlichen Antriebsstruktur.[*] Mit der Tatsache, daß der menschliche Charakter ein «Zuchtprodukt der Gesellschaft» ist, tritt das Faktum der «Geschichtlichkeit des Menschen» in den Blickpunkt, das vor allem Dilthey und die auf seinen Spuren wandelnde Lebensphilosophie – in Spanien z.B. José Ortega y Gasset – in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen.[*] Existenz und Gefüge einer Institution, die ja in hohem Maße charakterformend wirkt, sind besonders den Wechselfällen der Geschichte ausgesetzt; das bedeutet aber, daß auch die sozialen und historischen «Gesetzmäßigkeiten», die ja auf institutionelle Tatbestände zurückführbar sind, historisch relativiert werden.

Der amerikanische Institutionalismus hat daraus den Schluß gezogen, daß es keine allgemeine, für alle Zeiten gültige – d.h. absolute – ökonomische Theorie geben kann; diese Schule fordert daher «eine Theorie für die amerikanische Wirtschaft des 20. Jahrhunderts»[*]. Die Ähnlichkeit dieses Ergebnisses mit den Lehren der deutschen historisch-ethischen Schule ist offensichtlich; ohne viel gelehrtes Beiwerk haben Schmoller und Wagner, Roscher und ihre Nachfolger die «Gesetzmäßigkeit» des wirtschaftlichen Geschehens aus den historisch gewordenen Umweltbedingungen und Normen und den darin wirkenden Verhaltensweisen der wirtschaftenden Menschen abgeleitet.

Sogar die Psychoanalyse wird nach B. Malinowski erst im Zusammenhang mit einer bestimmten Sozialordnung verständlich, durch die die von ihr analysierten Tatbestände institutionell geformt sind; die Freudsche Theorie müsse beispielsweise für die matrilineare Gesellschaftsform entsprechend abgewandelt werden:[*] «Wenn wir auf jede der beiden Gesellschaftsformen eine kurze, wenn auch etwas rohe Formel anwenden, so können wir sagen, daß sich im Ödipuskomplex der verdrängte Wunsch findet, den Vater zu töten und die Mutter zu heiraten, während bei den Trobriandinsulanern mit ihrer matrilinearen Gesellschaftsform der Wunsch darin besteht, die Schwester zu heiraten und den Bruder der Mutter zu töten.»[*] Auch aus diesen Vergleichen erhellt erneut die determinierende Kraft der Institutionen auf den Menschen, sein Verhalten und die Motive seines Verhaltens.

Die für jegliche Prognose unerläßlichen konstanten Verhaltensweisen lassen sich nach alledem offenbar am ehesten aus den jeweils geschichtlich gewordenen Institutionen ableiten. Alle in einem bestimmten institutionellen Rahmen lebenden Menschen unterliegen dieser determinierenden Wirkung, wobei Einflüsse aus vielen Institutionen zusammenkommen und solche von außen, etwa aus benachbarten Kulturen, gegebenenfalls modifizierend wirken.

Die deutsche historische Schule mit ihrer Zeit- und Wirklichkeitsnähe erhält von dieser Erkenntnis eine neue, nicht zu übersehende Rechtfertigung. Dagegen könnten die Funktionalzusammenhänge der modernen Theorie für die Aufgabe der Wirtschaftsprognose nur unter der Voraussetzung brauchbar sein, daß sie invariante Beziehungen zum Ausdruck bringen. Diese Funktionen sind jedoch offensichtlich so ausgewählt, wie es vom Standpunkt des ökonomischen Argumentierens am bequemsten erscheint; sie bringen jeweils zwei Faktoren miteinander in Verbindung, die beide Geldgrößencharakter haben, so beispielsweise in der Konsumfunktion den Geldeinkommenszuwachs mit dem Konsumausgabenzuwachs oder in der Investitionsfunktion den Zins und das investierte Geldkapital. Diese Funktionen ließen sich nur dann für die Prognose fruchtbar machen, wenn sich gerade im Bereich dieser Größen echte Verhaltenskonstanten feststellen ließen, was jedoch erst noch zu beweisen wäre. Die Vermutung spricht auch durchaus dagegen, daß solche Konstanten ausschließlich und gerade nur im Bereich dieser ökonomisch leicht definierbaren Größen zu finden sein sollten. Erfolgversprechender erscheint es, nicht in der Richtung von «oben» nach «unten» gerade da nach solchen Konstanten zu suchen, wo man sie am besten gebrauchen kann, sondern umgekehrt zu ermitteln, inwieweit das menschliche Verhalten überhaupt invariante Strukturen aufweist; wenn man auf diese Weise Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Verhaltens findet, so ist es dann ein leichtes, diese auf ihre ökonomische Relevanz hin zu untersuchen: Darum: Verhaltensforschung.

2.2. Eine Anleihe bei der Psychologie?

Eine so aufgebaute Forschung führt mit Notwendigkeit in die Sphäre aller der Wissenschaften, die sich mit dem menschlichen Verhalten und seiner Motivation befassen, also der anthropologischen Wissenschaften im weiteren Sinne des Wortes. Dabei taucht sogleich die Frage auf, ob die bisherigen Ergebnisse dieser Wissenschaften für unsere Fragestellung bereits zu optimistischen Erwartungen berechtigen; Gehlen[*] glaubte, daß das Feld in dieser Beziehung noch ziemlich unbeackert sei, und ein Blick in die anthropologische Literatur bestätigt diesen Sachverhalt.

Eine besondere Schwierigkeit für die Nationalökonomie entsteht allerdings in der Tat dadurch, daß die Psychologie als Wissenschaft vom menschlichen Verhalten, soweit sie auf das Motivations- und Antriebsproblem eingeht, selbst in mehrere Richtungen gespalten ist. Man kann diese Richtungen mit Lersch[*] vielleicht als «athematische», «polythematische» und «monothematische» bezeichnen. Freud ist nach Lersch ein Vertreter der monothematischen, McDougall der polythematischen und Gehlen der athematischen Theorie der seelischen Antriebskräfte, die jegliche Bindung an starre Triebziele im Sinne der Instinkttheorien ablehnt und von dem Faktum der Plastizität der menschlichen Antriebstruktur ausgeht, die durch das institutionelle Gefüge der Gesellschaft geformt wird; den «instinktiven» Verhaltensweisen der Tiere stehen die «erworbenen Spezialitäten» des menschlichen Verhaltens gegenüber.

Mag man sich dieser oder einer anderen Deutung zuwenden, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, daß in dem umfangreichen Material der Psychologie aller Richtungen und Schulen eine Fundgrube auch und gerade für die ökonomische Verhaltensforschung geboten wird, die reiche Schätze der Erkenntnis vermuten läßt. Insbesondere vermag die Heranziehung dieses Materials der Wirtschaftswissenschaft über den punktuellen, eklektischen «Psychologismus» hinwegzuhelfen, der aus dem großen zusammenhängenden Kräftespiel von Lebensangst und Lebenslust, introvertierten und extravertierten Individuen, Gruppen und Massen, dem Bewußtsein und dem, was man als «Unterbewußtsein» oder «Unbewußtes» bei den einzelnen «Rational-» oder «Primitivpersonen» bezeichnet hat, willkürlich einzelne ökonomisch relevante Teilmotivationen wie «Liquiditätsvorliebe» und «Spartrieb» einerseits, «Investitionslust» und «Neigung zum Konsum» andererseits aussondert, sie unversehens verabsolutiert, quantifiziert und mit ihnen «rechnet», als seien es selbständige Größen, eigenständige Daten oder allgemeine Motive, neben denen andere konstante Haltungs- oder variable Stimmungsfaktoren der wirtschaftlich handelnden Menschen, die sich vielleicht weniger glatt in das vorbereitete Schema einfügen lassen, an Bedeutung zurückzutreten hätten.

Vor diesem Eklektizismus der psychologischen Einsicht ist die «Finanzpsychologie»[*] dadurch bewahrt, daß sie es nicht mit irgendwelchen Beziehungen zwischen den Menschen und der Güterwelt oder «makroökonomischen» Vorgängen in der Produktions- und Konsumsphäre als solchen zu tun hat, sondern im wesentlichen nur mit dem Verhalten der Menschen zu Geld und Geldeswert, deren Motivationen und Handlungen mehr oder weniger aus seelischen Grundhaltungen, endothymen Gefühlen oder Primitivreaktionen heraus verständlich und erklärbar sind. Komplexe wie Neid, Geiz oder Habgier, Ehrgeiz, Machtstreben und Geltungssucht, Trägheit, Verantwortungsscheu und Pedanterie, Disziplin, Ehrgefühl und Sozialempfinden u.a. sind allgemeingültigere und zugleich anschaulichere Erklärungsgründe für menschliches Handeln als Hilfskonstruktionen wie die «Grenzneigung zum Konsum» oder die Keynessche «Liquiditätsvorliebe», mit denen sich die ökonomische Theorie heute abmüht; das Verharren der theoretischen Nationalökonomie auf einem primitiven Hedonismus, den die moderne Tiefenpsychologie ja längst weit hinter sich gelassen hat, wirkt um so befremdlicher, als die Psychologie ihrerseits bereits dazu übergegangen ist, einige der auffälligsten menschlichen Verhaltensweisen im Wirtschaftsleben näher zu analysieren und faute de mieux in ihre Kategorien einzuordnen, da die Wirtschaftswissenschaft ihr keine geeigneten Begriffe dafür zur Verfügung stellen konnte.[*]

So demonstriert Freud seine Charakterologie an dem Verhalten der Menschen gegenüber dem Geld, das entweder eine durch Früherlebnisse bestimmte Festlegung auf «Gier» oder «Geiz» oder auch eine «Ambivalenz», d.h. ein Fehlen dieser Festlegung sein kann; die Weiterentwicklung der Tiefenpsychologie hat neben der anfänglich ganz einseitig in den Vordergrund gerückten Sexualsphäre die zentrale Bedeutung der Angst, des Geltungsstrebens und zahlreicher anderer Regungen der «Primitivperson» erkennen lassen, die das Verhalten der Menschen, nicht selten trotz besserer Einsicht ihrer «ratio», ganz beherrschend bestimmen.[*] Die Charakterologie stellt die aus dem «endothymen Grund» entspringenden «Strebungen» geradezu in Gegensatz zu den «Willensäußerungen», die auf rationalen Prozessen beruhen;[*]auch den rationalen Willenshandlungen liegen nach McDougall notwendigerweise stets irgendwelche «propensities» zugrunde, die in der Triebsphäre wurzeln.[*] J.H. Schultz will nachgewiesen haben, daß die Mehrzahl der Magen- und Darmkrankheiten speziell auf «finanziellen Ärger» zurückzuführen sei;[*] zum mindesten sind die materiellen Interessen und «Belange», in erster Linie also die wirtschaftlichen, der stärkste Faktor für Emotionen und Affekte, die keineswegs von rationalen Erwägungen allein oder auch nur vorwiegend gesteuert werden.[*] Man muß sich das so vorstellen, daß grundlegende individuelle Erlebnisse zu gewissen festen Vorstellungen führen, die bedeutsame Wirkungen auslösen können. Beim einzelnen sind es überwiegend frühkindliche Erlebnisse der Beziehung zur Mutter; daher die Meinung, daß vor allem die sexuelle Sphäre den Bereich der Störungen abgibt.[*] Gegen die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, aus der die Theorie Freuds stammt, hat sich das Bild jedoch inzwischen insofern verschoben, als die Hauptantriebe nicht mehr durch sexuelle Inhalte, sondern durch Angstinhalte in Gang gesetzt werden. Die Vorstellungen, die auf Ängste zurückzuführen sind, haben nun aber weit mehr als sexuelle Vorstellungen die Fähigkeit, ansteckend auf die Masse zu wirken. Es gibt nur wenige sexuelle «Ansteckungen» auf große Massen, wie etwa den Hexenwahn. Der Begriff Panik hingegen ist uralt und in jeder Epoche zu belegen. Das wirtschaftliche Handeln, als Massenerscheinung betrachtet, ist weit mehr von diesen (ansteckenden) Angstgefühlen beherrscht, als gemeinhin angenommen wird.[*]