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Bowen MacRieve vom Klan der Lykae wäre vor Trauer beinahe gestorben, als er seine Seelengefährtin verlor. Seitdem ist der erbarmungslose Krieger unfähig, Gefühle zu empfinden - bis die Begegnung mit der Hexe Mariketa erneut tiefes Verlangen in ihm weckt. Vorübergehend ihrer magischen Kräfte beraubt, sucht Mariketa bei ihm Schutz vor ihren Feinden. Finstere Mächte haben sich gegen die junge Hexe verschworen. Bowen muss all seine Fähigkeiten als Krieger aufwenden, um das Leben der Frau zu retten, die eine längst verloren geglaubte Leidenschaft in ihm entfesselt hat.
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Seitenzahl: 519
Kresley Cole
Roman
Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder
Widmung
Dieses Buch ist der warmherzigen, geistreichen und großartigen Beth Kendrick gewidmet, weil unsere Freundschaft so besonders ist, dass wir sagen können: „Ist es nicht langsam mal an der Zeit, mir ein Buch zu widmen?“ und „Wie ist das denn jetzt mit dieser Widmung?“.
Danksagung
Das wunderbare Gedicht „Die Hexe im Spiegel“ von Sarah Morgan Bryan Piatt (1836–1919), das ich in diesem Buch zitiere, hat mich zu der Figur Mariketa die Langersehnte sowie zu ihren einzigartigen Fähigkeiten inspiriert.
„Liebeszauber haben viel mit Turmspringen gemeinsam. Sobald man damit angefangen hat, führt kein Weg mehr zurück, und das Ende wird ziemlich unangenehm, wenn man nicht weiß, was zum Teufel man da eigentlich tut.“
Mariketa die Langersehnte
Söldnerin der Wiccae, zukünftige Anführerin des Hauses der Hexen
„Hexen taugen nur für eine einzige Sache: Zunder.“
Bowen Graeme MacRieve
An dritter Stelle in der Thronfolge der Lykae
Prolog
Dreibrückenforst
Winter 1827
Es will mein Fleisch mit seinem Zeichen versehen … Der Vollmond warf sein Licht auf ein Gemälde aus Schnee und kahlen Bäumen, und Mariahs grünes Jagdgewand erstrahlte darin so deutlich wie ein Leuchtfeuer für die Bestie, die sie verfolgte.
Mich mit seinen Zähnen kennzeichnen, dachte sie verzweifelt, während sie mit einem Sprung über einen vereisten Bach setzte. Mariah geriet ins Stolpern, als sie beim Aufkommen am gegenüberliegenden Ufer hörte, wie das Brüllen der Bestie durch den Wald hallte. Außer sich vor Angst kletterte sie die Böschung empor und setzte ihre Flucht fort.
Birkenzweige krallten sich in ihr Haar und zerkratzten ihr von der Kälte gefühlloses Gesicht. Während sie sich aus dem Griff der Äste wand, trübte der wieder einsetzende Schneefall ihre Sicht. Erneutes Geheul aus der Dunkelheit ließ sämtliche Geschöpfe der Nacht verstummen, sodass der Klang ihres keuchenden Atems ohrenbetäubend erschien.
Bowen, der Mann, den sie geliebt hatte, seit sie ein Mädchen war, hatte versucht, sie auf die Zeit des Vollmonds vorzubereiten. „Ich werde eine Wandlung durchmachen, Mariah“, hatte er sie gewarnt. „Ich kann es nicht kontrollieren. Und du bist immer noch sehr verletzlich …“
Sie hatte darauf bestanden, ihn in dieser Nacht zu treffen, weil sie wusste, von welcher Bedeutung diese Zeit für ihn war. Und zum Ausgleich dafür, dass sie ihm die Befriedigung seiner Gelüste immer wieder verweigert hatte. Aber dann hatte ihr Mut sie in letzter Sekunde verlassen. Sie hatte ihrem Geliebten ins Gesicht gesehen, und der Mond hatte ihr stattdessen ein Ungeheuer gezeigt.
Es hatte gewusst, dass sie vor Entsetzen außer sich war. Seine eisblau glühenden Augen waren von animalischer Begierde erfüllt gewesen, bis sie sich verstehend verengt hatten. „Lauf … Mariah“, hatte es mit ungewohnt rauer Stimme hervorgestoßen. „Lauf zum … Schloss. Schließ dich ein … Bring dich vor mir in Sicherheit.“
Sie konnte hören, wie er sich durch das Unterholz lautstark auf sie zubewegte, immer näher, aber sie war fast am Ziel. Als sie den Waldrand erreichte, erblickte sie ihr Zuhause in der verschneiten Ebene – ein Schloss, das inmitten des Zusammenflusses der drei großen Ströme ihres Königreichs emporragte. So nahe.
Mariah rannte auf den wohlvertrauten kurvenreichen Pfad zu, der sie hinabführen würde. Sobald sie ihn erreicht hatte, schien die Welt vor ihren Augen zu explodieren. Mit einem Mal war sie umgeben von einem Schwarm Raben, die überall um sie herumflatterten und mit ihren Schwingen ihr gefühlloses Gesicht peitschten. Ihrer Sicht beraubt, schlug sie nach den Vögeln, strauchelte und verlor den Halt auf dem vereisten, mit Baumwurzeln übersäten Pfad.
Ein Gefühl der Schwerelosigkeit … sie fiel … sie stürzte den Abhang hinab … Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen, und ihr wurde schwarz vor Augen. Sie fiel weiter und immer weiter …
Als sie schließlich am Fuß des Abhangs landete, geschah dies mit einem Übelkeit erregenden Schmatzlaut. Irgendetwas bohrte sich mit Gewalt in ihren Bauch. Ein unvorstellbarer Schmerz durchzuckte sie. Ungläubig starrte sie auf den scharfen Stumpf, der aus ihrem Leib ragte. Nein … nein … darf nicht sein.
Während der Schmerz langsam zu einem drückenden Gefühl der Kälte verblasste, packte sie mit schwachem Griff die Überreste einer gefällten Birke, die unter den Axthieben eines der Waldarbeiter ihres Königreichs gefallen war.
Bei jedem Atemzug drang blutiger Schaum aus ihrem Mund. Er tropfte von ihrem Gesicht in den Schnee, so lautlos wie Tränen. Mariah von den Drei Brücken würde sterben – im Schatten ihres eigenen Heims, den der Mond warf.
Wie betäubt starrte sie in den Himmel empor, während sie die Bestie weiterhin auf sich zurasen hörte, scheinbar sogar mit noch größerer Geschwindigkeit, als ob sie das Blut wittere. Doch bevor sie Mariah erreichen konnte, spürte diese, dass sie nicht mehr allein war.
Gerade als sie noch weitere Raben erblickte, die über ihr kreisten, drückten sich eisige Lippen auf ihren Mund. Leere und Chaos durchdrangen sie wie eine Seuche. Während Mariah sich vergeblich drehte und wand, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf, die über diesen Abend, einen Winterabend mit einem einzigen Zweck, sprach.
„Stirb“, flüsterte die Stimme an Mariahs blutigen Mund gedrückt. Sie spürte, wie ihr Herz auf der Stelle stillstand. Ihre Lunge hörte auf zu funktionieren und ihre schmerzverzerrten Gesichtszüge entspannten sich.
Die Präsenz verschwand und wurde durch eine andere ersetzt. Das Letzte, was Mariah sah, war die Bestie, die in ihrer Qual zum Mond emporbrüllte und sich die Brust vor wildem Schmerz mit den eigenen Klauen zerfetzte.
1
Gegenwart
Grab der Inkubi im Dschungel von Guatemala
Tag 3 der Talisman-Tour
Preis: ritueller Kopfschmuck der Maya in vierfacher Ausfertigung, jeder davon im Wert von sieben Punkten
„Verfolgen Sie mich etwa, Mr. MacRieve?“, fragte Mariketa die Langersehnte den Lykae hinter ihr, ohne sich umzudrehen. Bowen MacRieve war ihr geräuschlos durch das Dunkel eines Korridors gefolgt, der zu einer Grabkammer führte. Aber sie hatte gefühlt, dass er sie angestarrt hatte – genau wie auf der Versammlung der Talisman-Tour vor drei Tagen.
„Wohl kaum, Hexe.“
Wie schaffte er es bloß, dass seine tiefe Stimme mit diesem anheimelnden schottischen Akzent so bedrohlich klang?
„Ich verfolge nur, was ich auch fangen will.“
Auf diese Worte hin wandte Mari sich um und warf ihm einen Blick zu, auch wenn sie wusste, dass er ihr Gesicht unter der Kapuze des scharlachroten Umhangs, den sie immer trug, nicht sehen konnte. Aber im Licht der Laterne, die sie über der Schulter hängen hatte, konnte sie das seine sehen, und sie nutzte die Deckung, um ihren langen, abschätzenden Blick zu verbergen.
Innerlich stieß sie einen Seufzer aus. Männliche Lykae waren für ihr gutes Aussehen bekannt, und die wenigen, die sie bisher mit eigenen Augen gesehen hatte, waren ihrem Ruf durchaus gerecht geworden, aber dieser hier war geradezu umwerfend sexy.
Er hatte schwarzes Haar, glatt und dicht, das ihm bis zum Kragen seines offensichtlich teuren Hemdes reichte. Sein Körper, über den sie in den vergangenen Tagen zu ihrer eigenen Überraschung immer wieder nachgedacht hatte, war göttlich. Er war gut zwei Meter groß, und obwohl der Korridor breit genug war, dass zwei normal gebaute Menschen aneinander vorbeigehen konnten, füllten seine breiten Schultern und seine riesige Gestalt den Raum vollkommen aus.
Doch selbst bei all seinen zahlreichen anziehenden Eigenschaften waren es vor allem seine Augen, die ihn so einzigartig erscheinen ließen. Sie hatten die satte Farbe warmen Bernsteins, aber zugleich lag in ihnen eine Art bedrohliches Licht, von dem sie sich angezogen fühlte. Denn dies war eine Eigenschaft, die auch ihr zu eigen war.
„Genug geglotzt?“, fragte er in schneidendem Tonfall.
Ja, er war sexy, aber unglücklicherweise war seine Abneigung Hexen gegenüber wohlbekannt.
„Ich bin fertig mit dir“, antwortete sie, und das meinte sie auch so. Sie hatte keine Zeit, unfreundliche Werwolfkrieger anzuschmachten, wenn sie weiterhin vorhatte, als Erste ihrer Art die Tour – eine Schatzsuche für Unsterbliche – zu gewinnen.
Mit einem innerlichen Schulterzucken setzte sie ihren Weg zur nächsten Grabkammer fort. Das war nun schon die zehnte, die sie untersuchte in all den Stunden, die sie und diverse andere Wettkampfteilnehmer tief im Inneren dieser nicht enden wollenden Maya-Grabstätte verbracht hatten.
Möglicherweise hatte sie ihn mit ihrer schroffen Erwiderung überrascht, denn es vergingen einige Sekunden, bevor er ihr folgte. Die einzigen Geräusche in dem widerhallenden Gang waren seine schweren Schritte, die zu dämpfen er sich jetzt nicht mehr die Mühe machte. Das Schweigen zwischen ihnen war zermürbend.
„Wer hat die Steinplatte zum Grab geöffnet?“, fragte er schließlich.
Für ihren Geschmack war er ihr viel zu dicht auf den Fersen.
„Die drei elbischen Bogenschützen und ein paar Dämonen.“ Die Elben, zwei Männer und eine Frau, verwendeten ihre Waffen mit blitzartiger Geschwindigkeit und tödlicher Präzision, und die männlichen Wutdämonen waren unglaublich stark – die Einzigen, die ihnen in puncto Kraft noch überlegen waren, waren die Lykae. Doch selbst für sie war es nahezu unmöglich gewesen, die Platte aus Stein zu bewegen, die den Eingang zum Grab wie ein Fallgitter versiegelte.
Schließlich hatten sie bemerkt, dass sich die Struktur der Pyramide im Laufe der Zeit und durch mehrere Erdbeben verschoben hatte und jetzt auf dieser Platte lastete, wodurch sie Tonnen zu wiegen schien. Um sie zu heben, hatten sie alle zusammenarbeiten müssen – die zwei Dämonen hatten sie angehoben und die Bogenschützen einen gewaltigen Felsbrocken daruntergeschoben, um die Platte oben zu halten.
„Und nach all ihren Anstrengungen haben sie dich einfach so eintreten lassen?“
Sie blieb stehen und wandte sich erneut zu ihm um. „Was hätten sie denn sonst wohl tun sollen, Mr. MacRieve?“ Die anderen hatten ihr nicht nur gestattet, die Pyramide zu betreten. Obwohl sie keinen von ihnen wirklich kannte, hatten sie mit ihr zusammenarbeiten wollen, da es schließlich insgesamt vier Preise gab. Cade, einer der Dämonen, hatte ihr sogar dabei geholfen, die ersten Meter vom Eingang bis zum ersten Vorraum hinabzuklettern. Dann hatten sie sich aufgeteilt, um das ganze Labyrinth aus Kammern zu durchsuchen, nicht ohne zuvor beim Mythos geschworen zu haben, die anderen zu alarmieren, sobald jemand etwas gefunden hatte.
MacRieves Lächeln bestand darin, seinen Mund zu einem grausamen Grinsen zu verziehen. „Ich weiß genau, was ich getan hätte.“
„Und ich weiß genau, wie ich Vergeltung geübt hätte.“
Er schien überrascht zu sein, dass sie gar keine Angst vor ihm zu haben schien, aber ihr jagte nun einmal nichts so schnell Angst ein – abgesehen von großen Höhen und unnötig großen Insekten. Und sie war sich sehr wohl bewusst, wie bösartig die Teilnehmer der Tour werden konnten, während sie auf der Suche nach den Preisen die ganze Erde bereisten.
Gerade wegen dieser Rücksichtslosigkeit war Mari ja vom Haus der Hexen auserwählt worden, um an dem Wettstreit teilzunehmen, obwohl sie erst dreiundzwanzig war und aus einem eher dubiosen Koven stammte, dem etwas undisziplinierten Hexenhaus von New Orleans. Und obwohl sie die Wandlung von sterblich zu unsterblich noch nicht vollzogen hatte.
Aber Mari fand es durchaus nicht unter ihrer Würde, ab und zu ein paar Tricks anzuwenden, und im Gegensatz zu vielen anderen Hexen würde sie ohne zu zögern Magie anwenden, um jemandem zu schaden, der es verdient hatte – vorausgesetzt, sie war dazu in der Lage, mit ihren eher unbeständigen Kräften.
MacRieve trat so dicht an sie heran, dass der gut zwei Meter große, vor Wut kochende Werwolf über ihr aufragte. Er war wenigstens dreißig Zentimeter größer als sie und um ein Vielfaches stärker, aber sie zwang sich, nicht vor ihm zurückzuweichen.
„Pass auf, was du sagst, kleine Hexe. Jemanden wie mich möchtest du sicher nicht verärgern.“
Der große Preis dieser Tour war ein Gegenstand, der Thranes Schlüssel genannt wurde; ein Schlüssel, der es seinem Besitzer erlaubte, in die Vergangenheit zu reisen, und das nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal. Sie wusste, für ein solches Werkzeug war er mehr als bereit, sie aus dem Wettkampf zu drängen. Also musste sie ihn davon überzeugen, dass ihm das unmöglich wäre.
„Genauso wenig, wie du mich verärgern solltest“, erwiderte sie mit fester Stimme, wobei sie ihn unverwandt anblickte. „Vergiss nicht, ich könnte dein Blut in Säure verwandeln, ohne mich auch nur im Geringsten anzustrengen.“ Eine glatte Lüge.
„Aye, ich habe die Gerüchte über deine Macht gehört.“ Er kniff die Augen zusammen. „Seltsam nur, dass du das Grab nicht einfach mit einem Fingerschnippen geöffnet hast.“
Ja, möglicherweise wäre sie imstande gewesen, die Steinplatte anzuheben – mit voller Konzentration, einer noch nie da gewesenen Portion Glück und wenn sie nicht an den Folgen übertriebenen Alkoholgenusses gelitten hätte. Oh, und wenn sie sich in tödlicher Gefahr befunden hätte.
Unglücklicherweise hing ihre Macht von ihrem Adrenalinspiegel ab, was sie ebenso unerschöpflich wie unkontrollierbar machte.
„Du meinst also, ich sollte Zauberkräfte wie die meinen dazu benutzen, ein Grab zu öffnen?“, fragte Mari spöttisch. Seht der Meisterin des Bluffs zu und staunt! „Das wäre ja so, als ob man dich herbeiriefe, um eine Feder aufzuheben.“
Er neigte den Kopf zur Seite und sah sie abwägend an. Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er sich schließlich ab und ging.
Mari stieß innerlich einen Seufzer der Erleichterung aus. Wenn irgendeine Mythenweltkreatur herausfand, wie verletzlich sie in Wirklichkeit war, wäre ihr Schicksal besiegelt. Das war ihr bewusst, aber ganz gleich, wie sehr sie sich abmühte – jedes Mal, wenn sie eine größere Menge ihrer Macht entfesselte, endete es mit einer Explosion.
Das verwirrte auch ihre Mentorin Elianna, die ihr einmal erklärt hatte: „Pferde besitzen sehr kräftige Beine, aber das heißt noch lange nicht, dass sie zur Primaballerina taugen.“ Die alte Elianna übte jeden Tag mit Mari, damit diese lernte, die zerstörerische Natur ihrer Magie zu beherrschen, da sie der Überzeugung war, dass die subtileren Zauber die größte Angst in ihren Feinden auslösten.
Und Angst einzuflößen war die Spezialität der Hexen.
Schließlich endete der Korridor an einer breiten, hohen Wand, die mit Schnitzereien schauderhafter Gesichter und Tiere bedeckt war. Mari hob ihre Laterne hoch, woraufhin sich die Reliefs in den Schatten zu bewegen schienen. Offensichtlich waren sie dort angebracht worden, um eine schmale Tunnelöffnung kurz über dem Boden zu bewachen, die ihrerseits wie ein weit geöffnetes Maul mit zuschnappenden Reißzähnen gestaltet war.
Sie bedeutete dem Lykae mit einer Handbewegung vorauszugehen. „Alter vor Schönheit, Mr. MacRieve.“ Sie maß ihn erneut und musterte dann die kleine Öffnung, die unmöglich mehr als einen Quadratmeter groß sein konnte. „Falls Sie meinen hindurchzupassen.“
Er stand bewegungslos da, offenbar nicht gewillt, sich Anweisungen zu beugen. „Nur Menschen nennen mich Mr. MacRieve.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Mensch.“ Ihre Mutter war eine Feen-Druidin und ihr verstorbener Vater war ein Hexenmeister von fragwürdigem Ruf gewesen. Also war Mari eine Feenhexe oder auch eine „Fexe“, wie ihre Freundinnen sie spaßeshalber nannten. „Also, soll ich dich Bowen oder einfach kurz Bowe nennen?“
„Bowe nennen mich meine Freunde, und dazu gehörst du nicht.“
Was für ein Arschloch … „Kein Problem, mir fallen noch jede Menge passendere Namen für dich ein. Die meisten davon fangen mit Arsch an.“
Er ignorierte ihren Kommentar. „Du gehst als Erste in den Tunnel.“
„Meinst du nicht, dass es überaus unziemlich für mich wäre, mich vor deinen Augen auf Hände und Knie zu begeben? Außerdem brauchst du meine Laterne nicht, um im Dunkeln zu sehen, und wenn du als Erster gehst, kannst du mich mit Gewissheit abhängen und gelangst auch als Erster zum Preis.“
„Ich habe nicht gerne etwas oder jemanden in meinem Rücken.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte seine Schulter gegen eine der zähnefletschenden Fratzen an der Mauer.
Sie hatte noch nie gesehen, wie sich ein Lykae in seine Furcht einflößende Werwolfgestalt verwandelte, wusste aber von Augenzeugen, dass dieser Mann dann genauso beängstigend wie jedes andere Ungeheuer sein konnte, sei es nun real oder eingebildet.
„Außerdem wirst du dabei deinen kleinen roten Umhang tragen“, fuhr er fort, „also werde ich nichts sehen, was ich lieber nicht zu sehen bekäme.“
„Du wagst es, mir das Wort im Mund herumzudrehen? Sei versichert, dass ich geradezu kriminell gut aussehend …“
„Warum verbirgst du dich dann unter einem Umhang?“
„Ich verberge mich nicht.“ Eigentlich war es genau das, was sie tat. „Und ich trage ihn gern.“ Sie hasste ihn.
Schon vor ihrer Geburt war geweissagt worden, dass sie die Erwartete sei, die mächtigste Hexe, die dem Haus der Hexen seit Jahrhunderten geboren worden war. Aber vor vier Jahren wurde dann außerdem geweissagt, dass ein Mann der Mythenwelt sie als die Seine betrachten und Anspruch auf sie erheben würde. Er würde sie wegschließen wollen, sie mit einer Entschlossenheit bewachen, die kein Zauber zu brechen vermochte, und somit das Haus der Hexen seiner Kräfte berauben.
Seit dieser Weissagung zwang man sie, sich jedes Mal, wenn sie das Haus verließ, zu verhüllen. Unnötig zu erwähnen, dass durch diese Vorschrift ihre Chancen auf Verabredungen seit ihren späten Teenagerjahren schlecht standen.
Also trug sie ihren Umhang – in Rot, da sie im Grunde ihres Herzens eine Rebellin vom Typ Der scharlachrote Buchstabe war – und als zusätzliche Sicherungsmaßnahme verbarg sie sich noch hinter einem Täuschungszauber, der ihr Aussehen, den Ton ihrer Stimme und ihren Duft maskierte.
Wenn ein Mann wie MacRieve sie sah, würde er eine Brünette mit blauen Augen sehen, wo sie doch eigentlich rothaarig war und graue Augen hatte, und er hätte die größten Schwierigkeiten, sich an irgendetwas zu erinnern, das mit der Realität übereinstimmte, wie ihre Gesichtszüge, ihre Figur oder die Länge ihrer Haare. Der Täuschungszauber war ihr inzwischen dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie kaum noch darüber nachdachte.
Doch selbst mit all diesen Vorsichtsmaßnahmen war es unabdingbar, dass sie sämtlichen ungebundenen Männern der Mythenwelt aus dem Weg ging. Allerdings hatte Mari auf der Versammlung vor der Tour – ein wahres Fest für Klatschmäuler – gehört, dass MacRieve seine Gefährtin bereits gefunden und sie vor über einem Jahrhundert verloren hatte.
Mari verspürte Mitgefühl mit ihm. Die gesamte Existenz eines Lykae drehte sich um seine Gefährtin, und in seinem langen, unsterblichen Leben bekam er nur eine – eine einzige – Chance, sein Glück zu finden.
Als sie sah, dass er sich nicht rührte, murmelte sie: „Na gut. Schönheit vor Alter.“ Sie löste den Riemen ihrer Laterne und kroch entschlossen hinein. Es war noch enger, als sie erwartet hatte, aber sie hatte keine Zeit, um ihre Entscheidung zu überdenken, weil er direkt hinter ihr folgte. Resigniert seufzte sie und hielt die Laterne hoch, um den vor ihr liegenden Weg zu erleuchten.
Der Stein um sie herum war kühl und feucht, und sie war froh über ihren Umhang – bis ihr Knie sich im Saum verfing und das Band um ihren Hals ihren Kopf nach unten riss. Als das noch ein zweites Mal passierte, drehte und wand sie sich so lange, bis sich der gesamte Stoff hinter ihrem Rücken befand und sie ihn wie eine Schleppe hinter sich herzog, während sie vorwärtskroch. Na also. Schon viel besser.
Fünf Sekunden später: „MacRieve, du bist auf meinem Umhang. Lass los!“
Noch bevor sie irgendetwas tun konnte, schob er seinen Arm zwischen ihren Beinen hindurch bis zu ihrer Brust und durchtrennte das Band an ihrem Hals mit einer Klaue. Sie riss die Augen auf und ließ ihre Laterne fallen, um den Stoff mit beiden Händen an sich zu raffen, aber er entriss ihr den Umhang ohne große Mühe.
„Gib ihn mir zurück!“
„Er hat dich – und damit auch mich – behindert.“
Sie biss die Zähne zusammen, in dem Versuch, sich zu beherrschen. „Wenn du als Erster hineingegangen wärst …“
„Bin ich aber nicht. Wenn du ihn wiederhaben willst, warum benutzt du dann nicht Magie, um ihn mir wegzunehmen?“
Ob er wohl einen Verdacht hegte, wie unbeständig ihre Kraft war? War er etwa dabei, ihre Schwächen auszuloten? „Du möchtest ganz bestimmt nicht, dass ich das tue!“
„Dann möchtest du wohl deinen Umhang auch gar nicht wiederhaben. Na los, kleine Hexe, nimm ihn mir weg.“
Täuschungszauber hin oder her, sie hatte sich an die materielle Sicherheit dieses Kleidungsstücks gewöhnt. Und als ihr klar wurde, dass er es ihr nicht zurückgeben würde, brachte Mari es nur mit Mühe fertig, sich nicht die bloßen Arme zu reiben. Mit einem Mal war ihr nur allzu bewusst, wie viel Oberschenkel ihre Trekkingshorts preisgaben und dass ihr Tanktop immer weiter nach oben gerutscht war und nun fast das Mal unten auf ihrem Rücken entblößte.
Sie nahm all ihre Kraft zusammen und erwiderte mit gleichgültiger Stimme: „Behalt den Umhang.“ Obwohl sie wusste, dass er sie angaffte, zwang sie sich, ein Knie vor das andere zu setzen. „Er wird eines Tages viel Geld wert sein.“
Nach ein paar Sekunden antwortete er: „Mach dir keine Sorgen, Hexe. Von meinem Blickwinkel aus siehst du gar nicht mal so schlecht aus. Bisschen mickrig an den entscheidenden Stellen, aber gar nicht mal so übel.“
Jepp, er gaffte sie definitiv an. Es gab sicher viele Adjektive, mit denen man ihren Hintern beschreiben konnte, aber mickrig gehörte eindeutig nicht dazu. Er rückt dir nur deshalb so auf die Pelle und macht diese Bemerkungen, um dich nervös zu machen. Aber dieses Wissen verringerte die Effektivität seiner Bemühungen leider kein bisschen! „Mickrig an den entscheidenden Stellen, MacRieve? Komisch, dasselbe hab ich von dir gehört.“
Er stieß ein kurzes humorloses Lachen aus und folgte ihr endlich wieder. „Wohl kaum. Vielleicht bist du ja einfach noch zu jung, um die Gerüchte über männliche Lykae mitbekommen zu haben. Vielleicht wollte man deine zarten kleinen Öhrchen schonen oder so.“
Nein, sie hatte sie durchaus vernommen. Und während der vergangenen paar Tage hatte sie sich gefragt, was an den Gerüchten wohl dran sein mochte und ob all das wohl auch auf ihn zutraf.
Wie lang war dieser verdammte Tunnel denn noch …
„Ruhig, Kleine“, stieß er heiser hervor. Ihre Augen weiteten sich erneut, als sie spürte, dass seine heiße Handfläche auf der Rückseite ihres Schenkels lag. „Ein Skorpion hat sich in deinen Haaren verfangen.“
„Nimm sofort deine dreckigen Pfoten von mir, MacRieve! Meinst du denn, ich kapier nicht, was du vorhast? Ich habe jeden einzelnen Quadratzentimeter in diesem Tunnel abgesucht, ein Skorpion wäre mir mit Gewissheit nicht entgangen.“
Als sie Anstalten machte weiterzukriechen, packte er ihr Bein. Die Klaue seines Daumens drückte sich gegen ihre Haut, ziemlich weit oben auf der Innenseite ihres Oberschenkels, und sandte ein unerwartetes Gefühl der Lust durch ihren Körper. Sie konnte so gerade noch ein wohliges Schaudern unterdrücken.
Erst als sie den Hauch einer Berührung auf ihrem Haar spürte, gelang es ihr wieder, sich zusammenzureißen. „Ich soll also tatsächlich glauben, dass sich ganz zufällig ein Skorpion in dem Tunnel befindet, durch den wir gerade kriechen, und der spaziert dann auch noch direkt in meine Haare? Sonst noch irgendwelche Viecher, auf die du mich aufmerksam machen möchtest? Hat sich vielleicht noch die Hand einer Mumie darin verfangen? Ich bin bloß überrascht, dass du dich nicht für den Klassiker entschieden hast – die Tarantel!“
Sein Arm schoss zwischen ihren Beinen hindurch –schon wieder – und streifte ihren Leib, als er etwas in den Tunnel vor ihr schleuderte. Etwas Reales. Sie streckte den Arm mit der Laterne nach vorne …
Beim Anblick eines Skorpions, der so groß wie ihre Hand war, krabbelte sie panisch zurück … und fand sich plötzlich dicht an MacRieve gedrängt wieder – eine eher peinliche Position, ganz egal bei wem, aber ganz besonders bei einem Werwolf.
Er wurde mit einem Schlag ganz starr, jeder einzelne Zentimeter von ihm. Sie fühlte seine Arme über ihre Schultern ragen und seine harten, wie gemeißelten Bauchmuskeln an ihrem Rücken.
Seine immer größer werdende Erektion drängte sich prall gegen ihren Hintern. Dann sind die Gerüchte über Werwolfmänner also wahr, dachte sie ganz benommen. Beweisstück A ist überaus überzeugend.
„Rück sofort wieder vor.“ Er brachte die Worte nur mit Mühe über die Lippen. Sie spürte sein heftiges Atmen direkt über ihrem Ohr.
„Das kannst du vergessen. Lieber nehme ich jegliche Härte in Kauf, als mich diesem Vieh zu nähern.“ Sie biss sich auf die Lippen und wünschte sich, eine ihrer Freundinnen hätte sie das sagen hören.
Er bewegte sich von ihr weg. „Ich hab es getötet“, stieß er keuchend hervor. „Du kannst daran vorbei, pass nur auf, es nicht zu berühren.“
„Wieso kümmert dich das?“ Verwirrt runzelte sie die Stirn, als sie entdeckte, dass sie fröstelte, als sein Körper sie nicht mehr berührte.
„Das tut es nicht, aber ein Stich würde dich bremsen, und ich bin hinter dir, erinnerst du dich?“
„Als ob ich das so schnell vergessen könnte.“ Dann erst drangen seine gefühllosen Worte in ihr Bewusstsein. „Hey, Werwolf, solltest du jetzt nicht eigentlich an deiner Beute nagen oder sie zwischen deinen tapsigen Pfoten hin und her schieben oder so? Soll ich sie für dich aufheben?“
„Ich könnte sie gleich wieder dorthin zurückstecken, wo ich sie gefunden habe, Hexe.“
„Ich könnte dich in eine Kröte verwandeln.“ Eine explodierte Kröte vielleicht.
Ohne jede Vorwarnung berührte er das kleine schwarze Tattoo auf ihrem unteren Rücken. „Was hat diese Inschrift zu bedeuten?“
Sie schnappte heftig nach Luft, nicht nur weil seine Berührung sie geschockt hatte, sondern auch wegen ihrer instinktiven Reaktion darauf. Sie hätte sich am liebsten an seine Hand geschmiegt und begriff nicht wieso. „Hast du mich jetzt genug befummelt?“, fuhr sie ihn an.
„Kann ich nicht sagen. Verrate mir, was das Zeichen bedeutet.“
Mari hatte keine Ahnung. Sie hatte es schon, so lange sie denken konnte, und wusste lediglich, dass ihre Mutter diese mysteriösen Schriftzeichen auf jeden ihrer Briefe schrieb. Zumindest hatte sie das, bevor sie Mari in New Orleans zurückgelassen hatte, um ihre zweihundert Jahre dauernde Auszeit zwecks Ausbildung zur Druidin anzutreten …
Er tippte ungeduldig auf ihre Tätowierung, zum Zeichen, dass er immer noch auf eine Antwort wartete.
„Es bedeutet ‚zu viel getrunken und eine Wette verloren‘. Und jetzt behalt deine Hände lieber bei dir, es sei denn, du möchtest gerne zur Amphibie werden.“ Als sie die Öffnung vor sich auftauchen sah, krabbelte sie Hals über Kopf darauf zu und hinaus, sodass ihre Laterne wild hin und her wackelte. Sie war gerade mal drei Schritt weit in diese neue Kammer vorgedrungen, als er ihr Handgelenk packte und sie herumschwang.
Während sein Blick sie aufmerksam musterte, streckte er die Hand aus und zog eine Locke ihres langen Haars über ihre Schulter. Er schien sich gar nicht bewusst zu sein, dass sein Daumen genüsslich über die Strähne strich. „Warum ein solches Gesicht unter einem Umhang verstecken?“, murmelte er. Er legte den Kopf zur Seite, ohne den Blick von ihr abzuwenden. „Soweit ich sehen kann, ist mit dir alles in Ordnung. Aber du siehst feenhaft aus. Das erklärt den Namen.“
„Wie könnte ich solch süßen Komplimenten widerstehen?“ Mit dem Namen hatte er allerdings recht. Viele Angehörige des Feenvolkes hatten Namen, die mit Mari oder Kari begannen.
Sie warf einen ostentativen Blick auf seine Hand, die immer noch ihre Haarsträhne festhielt, woraufhin er sie wie einen glühend heißen Gegenstand fallen ließ und sie finster anstarrte, als ob das Ganze ihre Schuld sei.
„Du veranstaltest gerade irgendeinen Hokuspokus, stimmt’s?“
Jetzt beugte er sich doch tatsächlich vor, um an ihr zu schnuppern.
„Nein, keineswegs. Glaub mir, das würdest du merken.“
Er fuhr fort, als ob er sie gar nicht gehört hätte. „Aye, genau das tust du.“ Mit jeder Sekunde, die verflog, wurde seine Miene wilder. „Das ist es, wofür du geboren wurdest.“
Aber aus irgendeinem Grund verspürte sie keine Angst. Sie war … erregt. Er musste wohl etwas in ihren Augen gesehen haben, das ihm missfiel, denn er drehte sich abrupt von ihr weg.
Während er jetzt ihre Umgebung absuchte, musterte sie ihn eingehend, suchte nach irgendetwas, einer Kleinigkeit an seinem Äußeren, das ihr nicht gefiel – und scheiterte.
Alle Unsterblichen „erstarrten“ in dem Moment im Zustand der Unsterblichkeit, wenn sie den Gipfel ihrer Stärke erreicht hatten und so am besten zum Überleben gerüstet waren. Bei MacRieve jedoch hatte sich dieser Wandel eindeutig später vollzogen als bei anderen männlichen Wesen der Mythenwelt, die sie gesehen hatte. Es schien, als habe er mindestens ein Alter von fünfunddreißig erreicht. Und das war ein verdammt gut aussehendes Alter bei ihm.
Seine Kleidung war von guter Qualität, wirkte aber eher verwegen. Ein kleines, sehr alt wirkendes Medaillon hing an einer kurzen Lederschnur um seinen Hals, und ein großes Jagdmesser war an seinem Gürtel befestigt. Neben ihm hätte Indiana Jones wie ein angeberischer Schönling ausgesehen.
Außerdem trug MacRieve eine Peitsche an seiner Seite, zweifellos um auf einen Zusammenstoß mit dem Vampir, der seine Teilnahme an der Tour angekündigt hatte, vorbereitet zu sein. Wie auch viele Dämonen konnten Vampire sich teleportieren – diese Fähigkeit wurde Translozieren genannt –, was es nahezu unmöglich machte, sie zu besiegen. Mari wusste, dass einige der jüngeren Vampire noch mit einer Peitsche eingefangen werden konnten, was sie daran hinderte, sich zu translozieren, und es erleichterte, sie zu töten.
In jener Nacht der Versammlung hatte MacRieve sich auf einen blutigen, barbarischen Kampf mit dem Vampir eingelassen, doch noch nie hatte Mari etwas so Schönes gesehen wie seine Art, sich zu bewegen. Der Kampf war von einer Walküre unterbrochen worden, aber Mari hätte noch stundenlang zuschauen können.
Als MacRieve plötzlich erstarrte, folgte sie seinem Blick. Dort, an der hinteren Wand, befand sich ein Sarkophag, der erste, den sie zu Gesicht bekam. Dort drin musste sich eine der Kopfbedeckungen befinden!
Beide rasten nach vorne, nur um kurz vor dem Sarkophag zusammenzustoßen.
Mit einem Knurren packte er ihre Arme, um sie beiseitezuschieben, während sein Blick schon wieder auf das Behältnis vor ihm geheftet war, aber dann schien ihm plötzlich etwas aufzufallen, und er sah sie finster an. Er wandte sich ihr zu, sodass sie einander direkt gegenüberstanden, und lockerte unterdessen seinen Griff. „Du hast also tatsächlich vor, dich mit mir anzulegen?“ Seine Hände glitten ihre Arme hinunter und blieben schließlich auf ihren Hüften liegen.
Zitternd atmete sie aus. „Warum bildest du dir ein, dass ich Magie anwende?“ Inzwischen mochte wohl ausreichend Adrenalin in ihr fließen, aber sie wusste genau, dass ihr die nötige Konzentration fehlte. Vor allem da sie die Hitze seiner rauen Hände durch den Stoff ihrer Shorts spüren konnte.
„Einhundertundachtzig Jahre lang habe ich keine andere Frau angerührt.“ Er beugte sich zu ihr vor. „Habe keiner auch nur einen zweiten Blick gegönnt. Und jetzt scheine ich auf einmal meine Finger nicht mehr von einer kleinen Hexe lassen zu können“, raunte er ihr mit heiserer Stimme ins Ohr. „Einer Hexe, die mir das Gefühl vermittelt, ich würde sterben, wenn ich nicht herausfinde, wie es sich anfühlt, sie zu küssen.“ Er zog sich wieder ein Stück zurück; sein Gesicht war vor Wut verzerrt. „Selbstverständlich ist es gottverdammte Magie!“
Er wollte sie jetzt küssen? Warum jetzt? Nachdem er seiner toten Gefährtin die ganzen Jahr über treu geblieben war? Diese Vorstellung brachte irgendetwas in ihr zum Schmelzen – während es sie gleichzeitig beunruhigte.
Was wäre, wenn sie tatsächlich gerade Magie anwendete? Elianna hatte Mari einmal geraten, mit ihren Wünschen vorsichtig zu sein. Als Mari zu dieser alten Binsenweisheit nur genickt hatte, hatte Elianna hinzugefügt: „Nein, ernsthaft. Pass gut auf. Wir kennen das Ausmaß deiner Kräfte nicht, und viele Hexen sind imstande, ihre Begierden und Sehnsüchte mit einem einzigen Gedanken in die Tat umzusetzen.“
Sehnte sich Mari so sehr danach, Bowen MacRieve zu küssen, dass sie ihn mit einem Zauber belegt hatte?
Als er sie auf den Sarkophag hob und seine Hüften zwischen ihre Beine drängte, festigte sich der Verdacht in ihr, dass genau das der Fall sein könnte. Sie schluckte. „Ich nehme an, dass du herausfinden willst, wie es sich wohl anfühlt?“
Der Kampf, der in seinem Inneren tobte, war deutlich an seinem Gesicht abzulesen.
„Hör sofort auf damit, Mariketa.“
Die Art und Weise, wie er ihren Namen mit seiner tiefen Stimme und diesem schottischen Akzent aussprach, ließ sie glatt dahinschmelzen. Er nahm seine Hände von ihr, aber als er sie neben ihr aufstützte, verkrampften sich seine Finger, bis seine dunklen Klauen sich in den Stein gruben.
„Ist es denn möglich, dass du nicht weißt, wieso ich an diesem Wettstreit teilnehme? Ich will sie zurückhaben und ihr treu bleiben.“
Er wollte seine Gefährtin zurück. Natürlich. Er wollte Thranes Schlüssel dazu verwenden, in die Vergangenheit zu reisen und ihren Tod zu verhindern. Zu ihrer eigenen Überraschung empfand Mari dieser Frau gegenüber, die in diesem Krieger solche Loyalität geweckt hatte, starken Groll.
„Ich tue doch gar nichts … oder zumindest habe ich nicht die Absicht … dir irgendetwas anzutun“, flüsterte Mari, aber die Art, wie sie auf seinen Duft, seine hypnotisierenden Augen und seinen harten Körper zwischen ihren Beinen reagierte, strafte ihre Worte Lügen.
Ihn umgab eine Aura, die ihr schlicht den Atem raubte, ihr das Denken erschwerte. Es war nicht bloß männliches Feuer und Sinnlichkeit. Es war reine Sexualität, animalisch in ihrer Intensität – und sie verzehrte sich danach.
Oh Götter, sie wollte, dass er sie küsste. Wollte es mit allem, was sie war, und sie wünschte, dass er es endlich tun würde. Begehre mich so sehr, wie ich dich begehre … Sehne dich nach mir, wie du dich noch nach keiner anderen Frau gesehnt hast.
Er legte seine Hand in ihren Nacken und starrte auf sie herab. Noch während sie fasziniert zu ihm emporblickte, verwandelte sich das Bernsteingelb seiner Augen in eisiges Blau. Er schien verzweifelt nach etwas Bestimmtem in ihr zu suchen, und als er es offensichtlich nicht fand, begann seine Hand in ihrem Nacken zu zittern. „Verdammt seist du, Hexe. Ich begehre keine andere.“
Mit einem Mal wusste sie zwei Dinge mit Bestimmtheit: Er stand kurz davor, sie so stürmisch zu küssen, dass sie nie wieder dieselbe sein würde.
Und er würde sich danach dafür hassen und sie für alle Zeit verachten …
2
Die Hexe brodelte förmlich vor Macht. Zauberkraft und Magie umwirbelten sie. Bowe konnte es spüren, vermochte sogar zu erkennen, wie sie ihn einwickelten, ihn an sie banden – denn sie lockte ihn, sie zu küssen …
Nein, er durfte sich nicht von seinem Ziel ablenken lassen! Er würde es nicht zulassen. Bei diesem Wettkampf stand zu viel auf dem Spiel. Seine Vergangenheit, seine Zukunft. Das wusste er, er wusste, wofür er kämpfte, warum also konnte er seine Augen nicht vom Gesicht dieser Hexe losreißen?
Als sie so zu ihm aufblickte, schienen sich ihre Gesichtszüge zu verändern. Ihre Iriden flackerten und veränderten sich von gewöhnlichem Blau zu einem stürmischen Grau. Sie leckte über ihre Lippen, und direkt vor seinen Augen verwandelten sie sich von Rosa in ein dunkles, verführerisches Rot. Sein Schaft pulsierte heftiger, lehnte sich gegen den Stoff seiner Hose auf.
Ja, er musste sie kosten. Sie zu verlassen, ohne zu wissen, was diese glänzenden Lippen versprachen …? Unmöglich. Nicht, nachdem er den Körper gesehen hatte, den sie unter ihrem Umhang verborgen hatte. Sie war zum Anbeißen, überraschend kurvenreich, mit hohen, festen Brüsten. Als er sie in diesem Tunnel beobachten musste, wie sie vor ihm hergekrochen war, hatte die Verlockung ihrer üppigen Hüften und ihres Hinterns so stark auf ihn gewirkt wie der Ruf einer Sirene. Er wäre ihr meilenweit gefolgt, hart wie Stein, mit vor Erwartung wild klopfendem Herzen.
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