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Rühle publizierte 'Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution' 1924 im Dresdener 'Am anderen Ufer-Verlag'. Seine Analyse über die neuzeitlichen Revolutionen ist stark von seiner damaligen rätekommunistischen Haltung geprägt.
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Seitenzahl: 104
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Otto Rühle: Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution Neu herausgegeben von Günter Regneri Texte für eine bessere Welt. Band 2 Veröffentlicht im heptagon Verlag © Berlin 2015 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-08-0
Otto Rühle publizierte Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution 1924 im Dresdener Am anderen Ufer-Verlag. Das vorliegende E-Book orientiert sich am Reprint des Blankertz Verlags (Berlin) aus dem Jahr 1970. Die Orthografie der Texte wurde an die neue Rechtschreibung angepasst; Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert.
Das ist der Gedankengang des Buches:
In eine kurzen Abriss werden die charakteristischen Züge der bürgerlichen Revolutionen Europas aufgezeigt, die sich aus der geschichtlichen Aufgabe dieser Revolutionen ableiten: dem Kapitalismus als neuer Gesellschaftsmacht die Tore zu öffnen.
Weil die russische Revolution eine Zeitlang mit den Ambitionen einer sozialen und proletarischen Revolution auftrat, während sie im Grunde nur eine verspätete und verunglückte bürgerliche Revolution war, ist der Untersuchung ihres Charakters ein besonderes Kapitel gewidmet.
Sodann ist der Aufbau des bürgerlichen Staates geschildert, als eines lebendigen Abbildes der Prinzipien und Grundformen kapitalistischer Wirtschaftsgebarung und Wirtschaftsorganisation. Wir lernen den autoritären, zentralistischen, nationalen Staat kennen und verstehen, warum er so sein muss, wie er ist.
Im Zusammenhang hiermit erschließt sich uns das Verständnis für den Parlamentarismus, der das Typische des bürgerlichen Handelsgeschäftes in die Gesetzgebung verpflanzt und in den Parteien die Hilfsorgane bürgerlicher Politik findet, die nur in Verbindung mit ihm existieren und funktionieren.
Den Parteien wesensverwandt, nur ohne deren pseudo-revolutionäre Maske, sind die Gewerkschaften, rein opportunistische Organe, die das Proletariat durch eine verhängnisvolle Interessengemeinschaft an das Kapital ketten, anstatt es von ihm zu befreien. Als vorrevolutionäre Instrumente bürgerlicher Politik wirken Partei und Gewerkschaften unter dem Einfluss eines kleinbürgerlich eingestellten Berufsführertums unrevolutionär, konterrevolutionär. Die Forderung nach Revolutionierung der Gewerkschaften erweist sich als demagogische Flause.
Der Verlauf der deutschen Revolution seit 1918 war dem Proletariat eine Schule der Erkenntnis dafür, dass Partei und Gewerkschaften heute die stärksten Hemmnisse der proletarischen Revolution sind.
Das Proletariat muss lernen, die Sache seiner Befreiung selbst in die Hand zu nehmen. Es beginnt zu begreifen, dass die proletarische Revolution in erster Linie ein ökonomisches Phänomen ist und dass ihre Vorbereitung und Aufrollung von den Arbeitsbetrieben aus zu erfolgen hat. Die hierfür nötigen Energien und Qualifikationen gewinnt es durch Erziehung zu Selbstbewusstsein und Selbständigkeit.
Die Organisation der kapitalistischen Wirtschaft bildet die Grundlage für die Organisation der proletarischen Befreiung. Betriebs-Organisation, Arbeiter-Union und Rätesystem sind die Stufen des Aufstieges zur Erreichung der Macht durch das Proletariat.
Die proletarische Revolution ist in Ausmaß, Inhalt, Tendenz, Kampftaktik und Ziel völlig verschieden von der bürgerlichen Revolution. Sie ist die soziale Revolution und findet ihren Abschluss mit der Aufrichtung des führerlosen, staatenlosen, herrschaftslosen Sozialismus.
Auf, zur proletarischen Revolution!
Unter der Herrschaft des römischen Weltreiches hatte sich die Wirtschaft in Italien bis hart an die Schwelle des Kapitalismus entwickelt. Der militärische und politische Zusammenbruch dieser Weltmacht bedeutete aber – als Folge und Ursache in einem – zugleich das Ende der ökonomischen Entwicklung. Was folgte, war Rückfall in frühere primitive Wirtschaftsformen und jahrhundertelange Stagnation. Erst die Kreuzzüge brachten wieder den Anstoß zu neuer Entwicklung. Als Raubzüge gedacht, die den Orient mit seinen Schätzen dem Eroberungsdrange und der Habgier abendländischer Freibeuter und Abenteurer erschließen sollten, leiteten sie für die Folgezeit eine Kette erfolgreichster Handelsbeziehungen ein, deren Stützpunkte die norditalienischen Städte wurden. Über Venedig, Florenz, Pisa, Genua wanderte das Kaufmannsgut auf uralten Heer-und Handelsstraßen nach Nürnberg, Augsburg, Ulm, um von dort aus nach Norden und Nordwesten, besonders nach Flandern und Brabant verfrachtet zu werden. In Verbindung damit wuchs, zuerst in Italien, eine bodenständige Warenproduktion empor, die Austauschgüter lieferte; die in raschem Aufschwung begriffene Geldwirtschaft führte zur Gründung von Wechselbanken und zur Konzentration von Geldkapital in den Händen weniger Familien. Die Frühblüte des modernen Kapitalismus setzte ein.
Ihre volle Entfaltung wurde aber unterbrochen und gestört durch das Vordringen der Türken in Vorderasien und die Auffindung des Seeweges nach Ostindien. Der Verkehr mit dem Orient wurde abgeriegelt; eine völlige Verschiebung der Handelswege trat ein. Das Schwergewicht des Warenaustausches zwischen Morgen- und Abendland verschob sich von Italien nach Portugal. Die italienischen Städte verarmten und verfielen; ihre Renaissancekultur starb ab; die Versuche, über den Wirren der Kämpfe zwischen Patriziergeschlechtern und Städterepubliken hinweg zu einer nationalen Geschlossenheit auf dem Boden wirtschaftlicher Einheit zu gelangen, blieben in den Anfängen stecken.
Da kein eigentliches Bürgertum vorhanden war, das sich als Klasse im modernen Sinne fühlen gelernt hätte, kam es auch zu keiner einheitlichen Geltendmachung kapitalistischer Interessen in großem Ausmaße, zu keiner selbständigen ökonomischen und staatlichen Etablierung über den Rahmen gentilhaft-dynastischer und städtisch-zünftlerischer Bedingtheit hinaus, zu keiner bürgerlichen Revolution, die einen grundsätzlichen Bruch mit der alten Ordnung der Dinge herbeigeführt und ein neues Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aufgerichtet hätte.
In Portugal und Spanien schoss der Kapitalismus treibhausmäßig empor aus einem Boden, der mit den Reichtümern neu entdeckter und schrankenlosester Ausbeutung erschlossene Erdteile aufs Üppigste gedüngt war. Aber die Gunst der ökonomischen Konjunktur fand keine Staatsmacht vor, die ihrer politischen Aufgabe gewachsen gewesen wäre und das Wesen des kapitalistischen Elements begriffen hätte. Der infolge Heirat, Erbschaft und Eroberung auf territorialen Internationalismus eingestellte und angewiesene Hof sah sich, wollte er seine Interessen wahren, an die einzige internationale Macht seiner Zeit gebunden, die katholische Kirche. Diese wiederum erblickte in der Staatsmacht die sicherste Verteidigerin des Glaubens, der im Grunde nur das ideologische Schutzschild für ihre im Feudalismus verankerten Wirtschaftsinteressen war. So fanden sich Kaiser und Papst, Staatsgewalt und Kirche in der Inquisition, die gegen die Ketzer wütete, deren Unglaube nur den Vorwand bildete für die Methode der Güterkonfiskationen, der hohen Geldbußen, des legalisierten Raubes und der systematischen Bekämpfung der erwachenden bürgerlichen Klasse, die Trägerin eines neuen Wirtschaftsprinzips war. Die Bewegung der Comuneros, in der sich das Selbstbewusstsein kastilischer Städte aufgerichtet hatte, wurde im Blut erstickt: Die hoffnungsvolle Blüte der Textilindustrie endete in dem Chaos einer Krise, aus der sie nie wieder erholte; als Repräsentanten der frühkapitalistischen Epoche blieben nur Scharen von Lumpenproletariern zurück, die ein verarmtes Land, verfallende Städte und trostlose Einöden bevölkerten. Zu einer bürgerlichen Revolution hatte die Kraft der jäh mit schwindelndem Reichtum überschütteten, aber ebenso jäh in die Abgründe der Armut gestoßenen bürgerlichen Klasse nicht gereicht.
Der Seehandel, der zwischen Süden und Norden zahlreiche Fäden knüpfte, hatte in Brügge und später in Antwerpen große Stapelplätze für die Schifffahrt der Nord- und Ostsee errichtet. Bald waren die Niederlande kapitalistisch durchtränkt, der Mittelpunkt des gesamten europäischen Handels und die große Masse aller Nationen. Das Bürgertum, wohlhabend geworden und seines Wertes bewusst, hielt zäh am Errungenen fest und war entschlossen, Besitz und Rechte des Besitzes unter allen Umständen und gegen jede Gefahr zu verteidigen. Diese Gefahr kam von Spanien, als Philipp den gefürchteten Alba nach den Niederlanden schickte, um mit dem Raube der kapitalistischen Reichtümer den Fortbestand der spanischen Krone zu sichern. Unter dem Drucke der Gefahr verschweißte sich das niederländische Bürgertum zur kompakten Einheit einer widerstandsfähigen Klasse.
Die bürgerliche Revolution der Niederlande hat keinen aggressiven Charakter. Sie ist vielmehr ein heroischer Abwehrkampf gegen eine von außen eindringende feindliche Macht, mehr eine nationale Verteidigung als eine soziale Auseinandersetzung. Aber gerade in der Erkenntnis gemeinsamer Wirtschaftsinteressen, in dem dadurch bedingten Zusammenschluss zu nationalen Aktionen lag ein wichtiges Moment für die Konsolidierung der Kräfte, deren Summe der Kapitalismus war. Die bürgerliche Klasse der Niederlande siegte über die Macht der Spanier, weil sie den Boden einer entwickelteren und tragfähigeren Wirtschaft unter den Füßen hatte – gewiss! Aber indem sie siegte, vollzog sich die Bindung zu einer neuen nationalen Gemeinschaft und wurde die politische Freiheit proklamiert. Die starke ökonomische Potenz lebte und wirkte sich national und politisch kraftvoll aus.
Der Funkenregen der niederländischen Revolution hatte das morsche Gebäude der englischen Feudalwirtschaft in Brand gesteckt. Sehr rasch ging der Umschwung zur kapitalistischen Wirtschaftsweise vor sich: Der Handel spannte sein Netz über die Meere, die Hausindustrie sog alle freigewordenen Kräfte der verarmten Bauernschaft auf, schon wuchsen große Handels- und Industriemetropolen mit Stapelplätzen, Magazinen und Kontoren, Fabriken und Banken, Werften und Übersee-Kompanien aus der Erde. Und im ständischen Parlament eroberte die bürgerliche Klasse eine wichtige Position nach der andern.
Zum ersten Male in der Weltgeschichte wurde in England das Parlament zum Kampfplan für die Ausfechtung bürgerlich-kapitalistischer Interessen. Krone und Geldsack, Königsmacht und Bürgerwille platzten in heftigsten und erbittertsten Fehden aufeinander. Der König klammerte sich an Prärogative und Privilegien, Monopole und Steuerhoheit, höchste Befehlsgewalt und Gottesgnadentum; das Bürgertum setzte sich mit ganzer Energie und Hartnäckigkeit ein für Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit, Sicherung von Besitz und Arbeitsertrag, freies Spiel der Kräfte, Absatzmärkte, Profit. Um die reaktionäre Macht der Krone zu brechen, organisierte das Parlament unter Cromwell ein Heer, das, nachdem es die Monarchie ausgerottet, sofort daranging, durch Niederschlagung der Levellers das Privateigentum zu sichern und dem Expansionsbedürfnis des Kapitals in Irland und Schottland ein größeres Britannien zu erobern. Selbst als das Bürgertum, auf den Schutz durch den Militarismus angewiesen, die Rückkehr der Monarchie nicht verhindern konnte, entkleidete es diese aller tatsächlichen Macht in Dingen und Fragen des ökonomischen Lebens und drückte ihre Existenz auf den Luxuswert eines dekorativen Beiwerks herab, das sie sich nolens volens leisten konnte.
In der englischen Revolution manifestiert sich die ganze Kraft und Entschlossenheit der wirtschaftlich bereits fest verwurzelten und politisch selbständig gewordenen bürgerlichen Klasse, die alte Traditionen zerreißt, sobald sie ihr zum Hemmnis geworden sind, keine Sentimentalitäten kennt, genau weiß, was sie will, und vor keinem Schritt zurückschreckt, den ihre Interessen ihr zu tun gebieten.
Die grandioseste aller bürgerlichen Revolutionen die »große Revolution« – spielte sich in Frankreich ab. Sie ist ohne Gleichen in ihrem Elan ihrem Klassencharakter und ihrem historischen Format. Die Geschichtsschreiber sehen in ihr den Markstein für den Beginn der neuen Zeit, der bürgerlichen Epoche sans phrase.
Einen Generalstab der glänzendsten Geister hatte die Revolution, die durch den katastrophalen Niederbruch des feudalen Systems unter Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern unvermeidlich geworden war, ideologisch vorbereitet. Montesquieus »Geist der Gesetze« lieferte die Bausteine für das Fundament der späteren revolutionären Verfassungen; Rousseau entwarf in seinem »Gesellschaftsvertrag« das Bild eines neuen Zustandes der Gesellschaft; die Enzyklopädisten setzten sich mit viel Geist und Eifer für die »Umwandlung der allgemeinen Denkart« ein; Voltaire zerstörte den Nimbus überkommener Autoritäten und propagierte die neuen Gesetze einer natürlichen Moral; Sieyès begründete mit zwingender Logik und zündender Beredsamkeit die politischen Ansprüche des »dritten Standes«. Und während die Masse der Kleinbürger und Arbeiter rohe Kärrnerarbeit verrichtete, indem sie die Bastille erstürmte, nach Versailles zog, sich der Tuilerien bemächtigte und den König aufs Schafott schleppte, ließ die Bourgeoisie nach den Intentionen ihrer politischen Führer und geistigen Ratgeber das Bauwerk eines neuen Staates erstehen, der für sie zu einem komfortablen Wohnpalast für das Proletariat zu einer verhassten militärisch gesicherten Zwingburg werden sollte. Alle Versuche der um die Früchte der Revolution Geprellten, ein Mitbestimmungsrecht innerhalb der neuen Ordnung zu erlangen, wurden blutig abgeschlagen: Marat, die Hébertisten. Danton und schließlich Robespierre, das unbequem gewordene Haupt der Tugendrepublik, blieben auf der Strecke. »Die Räuber haben gesiegt!« rief Robespierre bei seiner Verhaftung aus. In der Tat, die beutelüsterne Bourgeoisie kam ans Ruder. Die Kleinbürger wurden mit unerschwinglicher Steuerlast bepackt, dem Proletariat wurde das Koalitionsrecht verweigert. Freiheit und Gleichheit des Wahlrechts verschwanden unter dem brutalen Betrug des Zweikammersystems, und die Brüderlichkeit erlag der Diktatur des Direktoriums. Babeufs verzweifelter Versuch, den verratenen Kommunismus in letzter Stunde noch zu retten, endete auf dem Blutgerüst. Dafür erwuchs der Bourgeoisie in Napoleon der Heros, der ihr die Kränze des Ruhms und materiellen Erfolges aus den Wolken holen sollte. Sie wollte produzieren, verkaufen, verdienen, den Weltmarkt erobern, Reichtum scheffeln. Der Kapitalismus sollte triumphieren. So wurde der Cäsarismus Bonapartes zum letzten und eigentlichen Vollstrecker des wirtschaftlich fundierten und politisch fixierten Machtwillens der Bourgeoisie.
Die Linie der bürgerlichen Revolutionen, die in Frankreich ihren Höhepunkt erreichte, erfuhr einen jähen Abfall in der deutschen Revolution von 1848.