Von der Wende zur Deutschen Einheit? Der deutsche Wiedervereinigungsprozess 1989/90 - Michael Vollmer - E-Book

Von der Wende zur Deutschen Einheit? Der deutsche Wiedervereinigungsprozess 1989/90 E-Book

Michael Vollmer

0,0
24,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, jubelten die Bürger der DDR. Bundeskanzler Helmut Kohl erkannte die Gunst der Stunde und setzte alles daran, die beiden deutschen Staaten wiederzuvereinigen. Doch entstand dadurch wirklich eine „Deutsche Einheit“? Dieses Buch beleuchtet zunächst die Gründe der Wende. Es zeigt, welche gesellschaftlichen und außen- wie innenpolitischen Prozesse die Bevölkerung und die Politik zum Handeln brachten. Weiter werden die komlizierten diplomatischen Verhandlungen nachvollzogen und dabei kritisch hinterfragt, ob die Wievereinigung überstürzt war – und ob noch heute eine „geteilte Einheit“ zwischen Ost und West besteht. Aus dem Inhalt: Wiedervereinigung oder Dritter Weg? Die Rolle der Bundesregierung unter Helmut Kohl, Friedliche Revolution und Transformation, Diskrepanz staatlicher und innerer Einheit, Ost- und Westdeutsche nach der Wiedervereinigung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
PDF

Seitenzahl: 195

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © 2014 ScienceFactory

Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Von der Wende zur Deutschen Einheit?

Der deutsche Wiedervereinigungsprozess 1989/90

Inhalt

Wiedervereinigung oder Dritter Weg? Die DDR 1989/90 von Michael Vollmer (2004)

Einleitung

Die Chancen eines Dritten Weges – Die DDR 1989/90

Schlussbetrachtung

Bibliographie

Der Weg zur deutschen Einheit. Die Rolle der Bundesregierung unter Helmut Kohl während des Wiedervereinigungsprozesses von Franziska Eichhorn (2009)

Einleitung

Das Jahr 1989

Das Jahr 1990

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Die friedliche Revolution von 1989/90. Deutschlands überstürzte Vereinigung? Von der Diskrepanz staatlicher und innerer Einheit von Alexis Demos (2008)

Einleitung

Das Ende des real existierenden Sozialismus

1989 – das annus mirabilis

Das Endziel der Einheit

Von der unverhofften zur überstürzten Einheit?

Die Suche nach der inneren Einheit

Resümee

Literaturverzeichnis

Friedliche Revolution und Transformation. Geteilte Einheit? Ost- und Westdeutsche nach der Wiedervereinigung 1989/90 von Viktoria Dießner (2009)

Einleitung

Angleichung der Lebensbedingungen in Ost und West

Vergleich der Sozialstruktur in Ost und West vor und nach 89/90

Probleme warum?

Fazit

Wiedervereinigung oder Dritter Weg? Die DDR 1989/90

„Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn über den Umweg der Deutschlandpolitik sozialistische Vorstellungen eingebracht würden.“[1]

(Theo Waigel, 1989)

Einleitung

Problemstellung

Mit dem politischen Ende der SED-Diktatur im Herbst 1989 traten Geister aus Ost und West zu Tage, die aus dem abgewirtschafteten Staat zwischen Ostsee und Erzgebirge ein Musterland jenseits von Kapitalismus und Sozialismus gestalten wollten. Doch welche Zukunft, welche Existenzberechtigung hätte eine marktwirtschaftlich orientierte DDR neben einer kapitalistischen BRD gehabt? „Natürlich keine!“, wie Professor Dr. Otto Reinhold, Mitglied des Zentralkomitees der SED, es am 1. September 1989 in der „Zeit“ formulierte.[2] Und dennoch gab es beiderseits der innerdeutschen Grenze seit jeher Kräfte, die eine bessere, demokratische, entstalinisierte DDR und damit ein wirkliches Alternativmodell zur Bundesrepublik errichten wollten. Nicht selten wurde der antiradikal anmutende Terminus vom „Dritten Weg“, im Munde seiner Wortführer, zum Mittel semantischer Begriffsverwirrung, denn allzu häufig waren deren Visionen abstrakte Hirngespinste, bisweilen ideologisch, nicht selten utopisch und fern von jeglichem ökonomischen Verständnis. Trotz alledem entwickelte sich gerade in der DDR ein Gespür für die Notwendigkeit von Reformen, wenngleich die Mahner dort allzu oft mundtot gemacht wurden. Ihnen bot die Untergrundliteratur der achtziger Jahre den kreativen Raum, den ihr die Lakaien der marxistischen Orthodoxie verwehrten. 1989, nach Jahren der Stagnation, war endlich die Stunde für Veränderungen gekommen. Mit dem jahrelang ertragenen und nun öffentlich zur Schau gestellten Frust wollten die Menschen die kleinbürgerliche Enge durchbrechen.

Was bewegte die Bürger der DDR? Welche Veränderungen wollten sie mit ihrem Protest erreichen? Wieviel Reform konnte der Staat, die Partei, das System überhaupt ertragen? Zunächst soll die Frage beantwortet werden, in welchem Maße die Bürger im emotional aufgeheizten Deutschen Herbst den Ideen eines Dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus zugeneigt waren? Wie veränderte sich diese Haltung mit Fortschreiten des Erosionsprozesses des alten Systems? Ein Dritter Weg wäre ein neuerliches Experiment gewesen, das keinen Erfolgsautomatismus garantieren konnte. Niemand kannte die zu erwartenden Unwägbarkeiten. Aber waren die Menschen überhaupt noch bereit, reform-sozialistische Experimente zu erdulden, deren Ausgang nur mehr neue Ungewissheiten bot? Welchen zukünftigen Handlungsspielraum eröffnete die desolate Wirtschaftslage des Staates? Wie verhielt sich die Jugend, der Zukunftsträger des Staates, dem realexistierenden Sozialismus gegenüber? Die Beantwortung dieser Fragen soll den realen Verwirklichungsspielraum, der sich den Anhängern eines Dritten Weges am Ende der achtziger Jahre bot, aufzeigen.

Aufbau und Vorgehensweise

Die vorliegende Arbeit ist sowohl als deskriptive als auch als analytische Studie konzipiert. Sie versucht nicht nur die Atmosphäre am Vorabend der politischen Wende und den Monaten des deutschen Einigungsprozesses 1989/90 einzufangen, sondern auch die Ursachen der Resignation und allgemeinen Unzufriedenheit, deren Konsequenzen zu Wandel und Abbruch des gesamten Systems führten, zu ergründen. Die Exposition des zweiten Kapitels befasst sich mit der Ausgangssituation der DDR, der politischen Stabilität und der gesellschaftlichen Akzeptanz des Systems. Die folgenden Abschnitte sind der gefühlsdominierten Atmosphäre der Endphase der deutschen Teilung gewidmet. Neben dem Zusammenbruch der DDR werden das wachsende Verlangen der Menschen nach einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten sowie die Absage der Bürger an politische Experimente und Zwischenlösungen Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang wird die ungelöste nationale Frage auf, die das Entstehen einer eigenen DDR-Identität zeitlebens und nachhaltig beeinflusste aufgegriffen. Zwar basierten kommunistische Strategien stets auf Methoden, die unterschiedliche Wege und Vorgehensweisen zur Erreichung der Pläne zuließen, in ihrer Quintessenz durften diese jedoch niemals Zweifel an der moralischen Überlegenheit des Sozialismus aufkommen lassen. Ein weiterer Abschnitt ist daher der Rolle der DDR-Jugend gewidmet, die im Gefolge des Entspannungsprozesses der siebziger Jahre ein Eigenleben entwickelte, das negativ auf die Stabilität des Staatsgefüges zurückstrahlte und deren gewachsene Strukturen vor neue, scheinbar unlösbare Herausforderungen stellte. Weiterhin wird sich mit der wirtschaftlichen Situation der DDR in der Spätphase der Achtziger befasst, soll der Fokus auf die ökonomische Realität gerichtet und die Frage beantwortet werden, welche Chancen sich der Umsetzung eines Dritten Weges in einer eigenständigen DDR überhaupt darboten. Ein anderer Abschnitt ist der Rolle der DDR-Intelligenz gewidmet, die offensiv als Avantgarde politisch-wirtschaftlicher Dritter-Wegs-Konzeptionen in Erscheinung trat und ebenso häufig die Eigenständigkeit einer entstalinisierten Deutschen Demokratischen Republik forderte. Die Schlussbetrachtung. wird den Themenkomplex und die gewonnenen Erkenntnisse resümieren und die Frage beantworten, warum der Kampf für einen Dritten Weg, trotz zeitweiliger Sympathien, zum Scheitern verurteilt war. Eine Auswahlbibliographie diese Arbeit ab.

Quellenlage und Forschungsstand

Die schiere Menge wissenschaftlicher Publikationen über die politischen Ereignisse der Jahre 1989/90 ermöglichen einen umfassenden Einblick in die Thematik. Publikationen wie Stefan Wolles „Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989“, Alexander von Platos „Die Wiedervereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel“ und Manfred Görtemakers „Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ seien stellvertretend für die Vielzahl detaillierter Betrachtungen genannt. Zur Masse politisch-historischer Werke gesellt sich eine vergleichbar hohe Anzahl an Schriftstücken, die sich der sozio-ökonomischen Situation der DDR und den Ursachen der 89er Revolution widmet. Das noch vor der politischen Wende in Ostdeutschland verfasste Werk „Realer Sozialismus. Anspruch und Wirklichkeit“ von Heinz Kallabis bietet dabei eine ebenso realistische Einschätzung über die Notwendigkeit von Reformen, wie das 1987 in der Bundesrepublik erschienene Buch „Die DDR auf dem Weg in das Jahr 2000“ von Hermann von Berg, Frank Loeser und Wolfgang Seiffert. Doch erst der nach Überwindung der Teilung ermöglichte Zugang zu bis dato verschlossenen Archiven erlaubte eine umfassende empirische Analyse des ökonomischen Desasters und des politischen Bankrotts der DDR. Alexandra Nepit hat mit „Die SED unter dem Druck der Reformen Gorbatschows. Der Versuch der Parteiführung, das SED-Regime durch konservatives Systemmanagement zu stabilisieren“ eine solch umfangreiche Studie zur Thematik beigesteuert. Patrik von zur Mühlens Arbeit, „Aufbruch und Umbruch in der DDR. Bürgerbewegungen, kritische Öffentlichkeit und Niedergang der SED-Herrschaft“, ist ein Überblick über Zielsetzungen verschiedenster Bürgerrechtsgruppierungen der achtziger Jahre und zugleich eine Synthese sozio-ökonomischer Fakten und politisch-historischen Hintergründe.

Die Chancen eines Dritten Weges – Die DDR 1989/90

Der Zusammenbruch

1989 waren Ost und West gleichermaßen unvorbereitet mit dem rasanten politischen Umbruch konfrontiert worden. Die Krisenerscheinungen des gesamten Ostblocks markierten jedoch nur den Endpunkt einer langen, dahinschleichenden Entwicklung stetig zunehmender Unzufriedenheit, deren Quintessenz nun eine Kettenreaktion war, die aufgrund fehlender struktureller Steuerungsinstrumentarien zum völligen Zusammenbruch des Systems führte.[3] In vier Jahrzehnten der Trennung hatten die Deutschen beiderseits der Grenze gelernt, sich auf bescheidene Ziele einzurichten. Es ging im Wesentlichen nur mehr darum, den Menschen, denen politische Gestaltungsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht gleichermaßen versagt blieben, das Leben zu erleichtern.[4] Bei den meisten Bürgern der Bundesrepublik war die Einsicht gewachsen, dass es zur Kooperation mit der DDR, auf Grundlage eines sich gegenseitigen Anerkennens, keine Alternative gab.[5] Während bundesdeutsche Politiker in den Jahren nach der Staatsgründung ernstgemeinte – im Gegensatz zur SED – Wiedervereinigungspolitik betrieben, setzte der 1969 ins Amt gewählte Kanzler Willy Brandt mit einer amtlichen Neuausrichtung der offiziellen Regierungspolitik neue Akzente. Seine Deutschlandpolitik orientierte sich an dem Ziel, die Substanz der Nation in der Teilung zu erhalten, neue Verbindungen zu schaffen und alte Bindungen aufrechtzuerhalten. Diese Politik des „Wandel[s] durch Annäherung“ setzte grundsätzlich die Bereitschaft voraus, mit der Führungsriege in Pankow politische Kontakte aufzunehmen, Verträge abzuschließen und die DDR faktisch als zweiten deutschen Staat zu akzeptieren.[6]

In deren Folge hielt die SPD enge Kontakte zu den politisch Verantwortlichen in Ostberlin, denn ein Wandel in der DDR sollte von den Machthabern selbst ausgehen. Und während sich die CDU/CSU-Opposition anfangs heftig gegen die neue Maxime verwehrte, kam sie doch nicht umhin, diese nach der Regierungsübernahme 1982 selbst fortzusetzen. Um die Substanz der Nation zu erhalten war es vonnöten, aktive Beziehungen zur DDR zu suchen, deren Konstitution nicht durch eine zu harsche Wiedervereinigungsrhetorik gefährdet werden durfte. Um den Genossen keine verbale Steilvorlage für ihre antiimperialistische Agitation zu liefern, lag die Einheit der Nation bis ins Schicksalsjahr 1989 vorerst auf Eis.[7] Während dieser Zeit hatte auch Bundeskanzler Kohl keine aktive Politik zur Destabilisierung der Deutschen Demokratischen Republik betrieben.[8] Als der Lauf der Geschichte eine Einheit nun doch in greifbare Nähe rücken ließ, erschien das Festhalten der Bundesregierung an den Vorgaben der Grundgesetzpräambel als umso bemerkenswerter.[9] In der CDU war die politische Wende und die Aussicht auf Wiedervereinigung von Anfang an begrüßt worden,[10] während sich einige Amts- und Würdenträger der Sozialdemokratie, darunter auch Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, zunächst verhalten bis ablehnend äußerten. Selbst SPD-Ikone Willy Brandt hatte die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten noch 1988 als „die Lebenslüge der Bonner Republik“ bezeichnet. Und dennoch unterschätzten Parteien jedweder Couleur die Rasanz, mit der sich der Verfallsprozess der DDR fortsetzte. In den politischen Debatten zwischen November bis Anfang Dezember 1989 setzte man weder in der BRD, noch in der DDR auf eine rasche Reunion, wenngleich der Druck der Straße, durch Parolen wie „Wir sind ein Volk“ und „Deutschland einig Vaterland“, nach der Grenzöffnung zunehmend stärker wurde.[11]

Kohls Politik hatte Anfang November 1989 dazu beigetragen, dass die Opposition in der DDR offiziell zugelassen werden musste. Seit 1984 hatte sich die Opposition, die sich fortan verstärkt Menschenrechtsfragen widmete, im Fahrwasser des Samisdat und unter der Ägide der evangelischen Kirche formiert.[12] Zu dieser Zeit hatte der Widerstand bereits ein Niveau erreicht, in dem verbale Attacken und Widerspruchshandlungen gegen das Regime, allein schon aufgrund ihrer schieren Menge, längst nicht mehr alle strafrechtlich verfolgt werden konnten.[13] Ein Novum der DDR-Geschichte gab es dann 1989. Bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai konnten Bürgerrechtsgruppen den Machthabern Wahlfälschung nachweisen, wodurch die in Selbstdisziplin unterdrückte Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise zusätzlichen Auftrieb erhielt. Schon im Vorfeld der Wahl war die Legitimität der SED zunehmend hinterfragt worden. Auch ihre demonstrative Unterstützung für die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung auf dem Tian’an men im Juni signalisierte der Bevölkerung, dass die SED zum eigenen Machterhalt entschlossen war. Ihr Ansehen schwand weiter.[14]

Seit Ende Juli 1989 begann ein Formierungsprozess der Opposition, die sich der sich anbahnenden Krise der DDR bediente, mehr Öffentlichkeit anstrebte, sich programmatisch profilierte und die SED direkt herausforderte.[15] Das Zusammenspiel zwischen Opposition, Ausreisewelle und Demonstrationsbewegung bewirkte Anfang Oktober, dass die Partei die ursprünglichen Absichten zur gewaltsamen Niederschlagung aufgeben musste. Als im November 1989 der Demokratisierungsprozess irreversibel und die deutsche Frage zum beherrschenden Thema wurde, waren alle politischen Kräfte bemüht, sich innerhalb der veränderten politischen Lage neu zu orientieren.[16]

Die Bundesregierung hatte sich zwar kurzfristig bereit gezeigt, Hilfsmaßnahmen für die Bevölkerung der DDR einzuleiten, doch war Kohl im Gegensatz zur SPD nicht gewillt, die Deutsche Demokratische Republik dauerhaft ohne grundlegenden Systemwechsel zu stabilisieren.[17] Am 28. November verkündete der Kanzler einen 10-Punkte-Plan, der als Übergangsstadium zur Bildung einer Konföderation beider deutscher Staaten gedacht war. Dieser Vorstoß handelte ihm viel Ärger ein und auch die Regierung des am 13. November 1989 neu gewählten Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, reagierte abwehrend und bezeichnete den Plan als „Mißachtung der Realitäten“[18] Modrow wollte die Deutsche Demokratische Republik im Machtbereich der Sowjetunion halten, während Bonn im Rahmen einer Konföderation lediglich helfen sollte, den Staat politisch zu stabilisieren und die marode staatseigene Wirtschaft zu sanieren. Modrows Modell einer „Vertragsgemeinschaft“ ging ebenso wie Helmut Kohls 10-Punkte-Plan von einer längeren Übergangszeit aus, in der sich die DDR politisch und ökonomisch konsolidieren sollte, um sich dann irgendwann auf Basis völkerrechtlicher Gleichberechtigung zur Wiedervereinigung einzufinden.[19] Zwar ging auch Gorbatschow noch Anfang 1990 davon aus, dass die DDR weiter bestehen und ein Alliierter der Sowjetunion bleiben würde, doch diktierten mittlerweile die Massen auf den Straßen das offizielle Geschehen und die Berufspolitiker beider Lager waren gleichermaßen bestrebt, die keineswegs ungefährliche emotionale Spannung des Volkes aufzufangen.[20]

Der Wille zur Einheit

Bundesfinanzminister Waigel (CSU) hatte sich frühzeitig für erhebliche finanzielle Transfers ausgesprochen, diese jedoch an die Bedingung marktwirtschaftlicher Reformen gekoppelt. Bundeskanzler Kohl bot der neuen DDR-Führung in seinem Bericht zu Lage der Nation am 8. November an, ihr bei der Umsetzung der Reformen zu helfen. Er sagte: „Wenn es einen wirklichen Reformprozess gebe, werde man sogar ‚eine neue Dimension wirtschaftlicher Unterstützung‘ für die DDR erwägen.“[21] Eine Sanierung der DDR-Ökonomie konnte jedoch nur auf Grundlage einer umfassenden Öffnung für privates Kapital geschehen. Für dieses Ansinnen sollte sich die Partnersuche der CDU im Osten zunächst noch schwierig gestalten, da diese Strategie wenig Kongruenz zu den gesellschaftspolitischen Vorstellungen der östlichen Opposition aufwies.[22]

Kohl sprach immer auch von einer nationalen Verpflichtung seiner Regierung und dem Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen.[23] Und das Thema drängte in diesen Tagen mehr denn je ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Gorbatschow selbst hatte am 15. November 1989 in einer Rede vor Moskauer Studenten davon gesprochen, dass eine „Wiedervereinigung“ Deutschlands eine „interne Angelegenheit“ der Bundesrepublik und der DDR sei.[24] Wenngleich Gorbatschow in einem Telefonat mit Gregor Gysi sein Missfallen über Kohls 10-Punkte-Konzept bekundete, sollte sich die UdSSR mittelfristig doch bereit zeigen, einer deutschen Konföderation den Segen zu erteilen. Unterdessen hielt die Machterosion der DDR-Oberen unvermindert an.

Diesem Autoritätsverlust der SED-Machthaber folgte das Legitimationsdefizit der Interessenvertretung der Noch-DDR bei Fuße. Diese Aufgabe versuchte nun der „Runde Tisch“ zu erfüllen: eine auf Initiative der Kirchen gebildete „Nebenregierung“, die sich im Dezember 1989 zum ersten Mal konstituierte. Im Wesentlichen verfolgte er drei Ziele: Erstens die Durchführung freier Wahlen, zweitens die Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfes und drittens die Auflösung der Staatssicherheit.[25] Es war auch hier nicht der Sozialismus selbst, der im Mittelpunkt der Kritik stand, es sollte vielmehr eine demokratische DDR als sozialistische Alternative zur kapitalistischen BRD entwickelt werden. Doch mit diesen Visionen von einem Dritten Weg entfremdete sich der Runde Tisch alsbald von den Forderungen der Bevölkerungsmehrheit, die sich seit November 1989 innerlich mehr und mehr für eine staatliche Wiedervereinigung entschieden hatte.

Ende November, nur wenige Wochen nach den revolutionären Ereignissen, bejahte rund die Hälfte der Bürger eine Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Dieser Anteil sollte bis Ende Januar/Anfang Februar 1990 auf 80 Prozent nach oben schnellen.[26] Die entscheidende Transformation des öffentlichen Meinungsbildes hatte zwischen November 1989 und Februar des Folgejahres stattgefunden. Die Frage nach dem zukünftigen Weg der DDR hatten Ende November noch 86 Prozent mit „einem besseren, reformierten Sozialismus“ beantwortet. Nur fünf Prozent entschieden sich für den „kapitalistischen Weg“. Bis Anfang 1990 hatten sich die Relationen jedoch eindeutig zugunsten des kapitalistischen Modells verschoben.[27] Besonders markant war dieser Trend bei den CDU-Wählern. Während sich im November 1989 noch 83 Prozent für einen „besseren, reformierten Sozialismus“ aussprachen, schrumpfte dieser Wert auf magere 29 Prozent Anfang Februar. Bezogen auf die gesamte DDR verringerte sich dieser Wert von 86 auf 56 Prozent. Konzentrierte sich die CDU noch im November darauf, einen pluralistischen Sozialismus zu schaffen, vollzog sie bereits auf ihrem Parteitag Mitte Dezember den vollständigen Bruch mit dem gescheiterten System.[28]

Unterdessen hatte die SED innerhalb der zwei Monate nach dem Sturz Honeckers mehr als die Hälfte ihrer vormals 2,3 Millionen Mitglieder verloren. Gefördert durch Enthüllungen über zahlreiche Korruptionsskandale, bei deren Aufklärung sich auch der am 13. November neu ins Amt gewählte Ministerpräsident Modrow auffällig zurückhielt, verließen die Menschen die Partei wie Ratten das sinkende Schiff.[29] Modrow hatte seit Beginn der Sommerkrise wiederholt erklärt, dass er hoffe, eine gewichtige Rolle während der unsicheren Phase des Übergangs der DDR zu einer sozialistischen Demokratie zu spielen. Zwar blieben seine Ziele weitgehend im Dunkeln, aber vieles sprach dafür, dass er das Regime grundlegend reformieren wollte, um es dadurch im Verbund mit der UdSSR zu halten. Gleichzeitig sollte die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Westen erhöht werden. In jedem Falle musste der Staat wirtschaftlich und finanziell saniert werden – vorzugsweise in einer Konföderation mit der Bundesrepublik. Doch Modrow blieb keine Zeit mehr seine Pläne in die Tat umzusetzen, denn die Situation verschlechterte sich tagtäglich.[30]

Durch die Einheitseuphorie hatte auch Kohl schnell sein Interesse an Verhandlungen mit Ministerpräsident Modrow, der doch als Repräsentant des alten, verbrauchten SED-Regimes galt, verloren. Kohls Besuch in Dresden am 19. Dezember sollte für ihn zu einer Art Schlüsselerlebnis werden. Zu den dort vereinbarten Verhandlungen mit dem DDR-Oberhaupt über eine Vertragsgemeinschaft kam es nicht mehr, denn der Kanzler überließ alles Weitere dem Lauf der Geschichte, deren Richtung er inmitten zehntausender jubelnder Ostdeutscher in Dresden unzweifelhaft erkannt zu haben glaubte.[31]

Bei einem Zusammentreffen mit Bundeskanzler Kohl auf dem „World Economic Forum“ am 2. Februar 1990 im schweizerischen Davos informierte Modrow ihn darüber, dass eine Zusammenführung beider deutscher Staaten unvermeidlich sei, da sich der Verfall der DDR täglich beschleunige. Die DDR benötigte umgehend 15 Milliarden D-Mark, um eine Katastrophe im März abzuwenden.[32] Damit war auch Modrows Konföderationsplan mit dem Titel „Für Deutschland, einig Vaterland“, den er am 30. Januar dem Generalsekretär der KPdSU in Moskau vorgelegt hatte, hinfällig. Dieses Konzept, das von Gorbatschow gebilligt wurde, sah eine stufenweise Vereinigung Deutschlands mit Berlin als gemeinsamer Hauptstadt vor. Während dieses Prozesses sollten sich beide Staaten nicht in die inneren Angelegenheiten des jeweils anderen einmischen. Die Verwirklichung des Strategiepapiers war zudem an die Bedingung militärischer Neutralität geknüpft.[33] Besonders die Neutralisierungsabsicht stieß sogleich auf die vehemente Ablehnung Bonns. Unter den Vorzeichen des nahenden Staatsbankrotts und dem ungebrochenen Flüchtlingsstrom, kündigte Kohl am 6. Februar die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion und am 13. Februar den günstigen Umtauschkurs von 1:1 an. Das demoskopische Pendel schlug nun eindeutig zugunsten der am 5. Februar gegründeten konservativen „Allianz für Deutschland“ um, zumal sich in der SPD Stimmen zu Wort meldeten, die vor einem solch übereilten Schritt warnten.[34] Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung „auf gleicher Augenhöhe“, wie sie beispielsweise von Ulrike Poppe, einer Vertreterin der Opposition, geäußert wurden, waren naiv und gehörten nur mehr ins Reich der Phantasmagorie.[35]

Seit Februar 1990 sollten sich die Bürgerrechtsbewegungen verstärkt der Artikulation sozialer Ängste und der beginnenden Diskussion über Transformationen, die einer Einführung von Marktwirtschaft und D-Mark folgen würden, stellen.[36] In einer am Runden Tisch erarbeiteten und von der Volkskammer verabschiedeten Sozialcharta, waren Schwerpunkte, die das gesamte Volk betrafen, namentlich das Recht auf Arbeit und Wohnen, die Demokratisierung und Humanisierung des Arbeitslebens, die Gleichstellung der Frau, das Recht auf kostenlose Bildung und auf kostenfreien Schwangerschaftsabbruch, festgeschrieben worden. Diese Basis von Grundrechten der DDR-Bevölkerung, sollte in die Verhandlungen mit der Bundesrepublik über die Wirtschafts- und Währungsunion einfließen. Zusammen mit dem Ziel, eine neue DDR-Verfassung zu erarbeiten, wurden diese Vorschläge von der Bevölkerung jedoch kaum mehr ernst genommen.[37] Die Nemesis dieser Entfremdung übermittelte das Wahlvolk den Initiatoren am 18. März. Die Bürgerbewegung, die gespalten zur Abstimmung antrat und sich auf das Bündnis 90, den Demokratischen Aufbruch, die AVL, die Grüne-UFV und andere verteilte, sollte geradezu bloßgestellt werden. Das desaströse Abschneiden enttäuschte viele ihrer Aktivisten zutiefst.[38]

Im Vorfeld der ersten demokratischen Volkskammerwahlen am 18. März 1990 entwickelte sich ein neues Parteiensystem. Es gab eine Vielzahl von Neugründungen, Abspaltungen und Umbenennungen, und schließlich entstanden Wahlbündnisse, an denen zumeist eine etablierte Partei aus der Bundesrepublik beteiligt war.[39] Die CDU hatte sich frühzeitig auf den „Demokratischen Aufbruch“ als Partner festgelegt, den Kanzleramtsminister Seiters seit November 1989 zudem in Verhandlungen mit der SED einband. Hinzu kam, dass die Partei nicht nur auf die Strukturen der CDU-Blockpartei zurückgreifen konnte, sondern auch mit der Deutschen Sozialen Union (DSU) ein schlagkräftiges Bündnis einging. Und obwohl Meinungsumfragen die SPD noch Anfang Februar mit 54 Prozent klar vorn gesehen hatten, stand die von der West-CDU unterstützte „Allianz für Deutschland“ am Wahlabend als Überraschungssieger mit 47,8 Prozent der Stimmen fest.[40] Damit bekundeten die Bürger ihren Willen zur Wiedervereinigung. Parteien, die sich für einen langsamen Weg zur Einheit und für eine stärker geprägte DDR-Identität aussprachen, standen eindeutig als Verlierer fest.[41]

Keine Zwischenlösungen mehr!

Seit der Übernahme des Generalsekretärpostens durch Gorbatschow, der sich der Demokratisierung und Modernisierung politischer Strukturen in der UdSSR annahm, wären in der DDR innere Reformen so möglich wie nötig gewesen. Demgegenüber signalisierte Moskau eine Erwartungshaltung an Ostberlin, die von den verantwortlichen Stellen der SED ignoriert oder sogar offen abgewehrt wurde.[42] Bis zu ihrem schicksalhaften XXVII. Parteitag (25. Februar – 9. März 1986) galt die Kommunistische Partei der Sowjetunion offiziell als unfehlbar und war gegen jedwede Kritik resistent. Gorbatschow änderte dies, kündigte den Unfehlbarkeitsanspruch auf und machte die KPdSU selbst zum Reformobjekt.[43] Zugleich forderte er mehr Öffentlichkeit, was die SED beunruhigen musste, denn vergleichbare Bestrebungen in der DDR hätten nicht nur Regimekritik zur Folge gehabt, sondern früher oder später auch unliebsame Diskussionen über die Frage der deutschen Teilung aufgeworfen.[44]

Bereits 1983 war der damalige sowjetische Botschafter Pjotr Andrejewitsch Abrassimow, der aufgrund seiner permanenten Einmischung in die Politik der DDR den Beinamen „Regierender Botschafter“ erhielt, auf Drängen Honeckers, der sich durch die ständige Bevormundung belästigt fühlte, abberufen worden.[45] Fortan ließ auch die UdSSR die Zügel ihrer Blockpolitik etwas lockerer, mit dem Ergebnis, dass sich die SED zunehmend weniger von Moskau diktieren lassen wollte.[46] Nachdem Honecker im September 1987 die BRD besucht hatte, ließ die SED verlauten, dass sie für „Glasnost“ und „Perestroika“ in der DDR keinerlei Notwendigkeit sah.[47] Sie sollte auch weiterhin mit entschiedener Härte gegen allzu kritische Stimmen vorgehen, denn die Ostberliner Kommunisten waren weder willig ihre Macht demokratisch zu teilen, noch dazu bereit diese auch nur an jüngere, reformorientierte Kräfte innerhalb der SED abzugeben. Auch den neuen Wirtschaftskonzepten der Sowjetunion stand man nur solange positiv gegenüber, wie diese den eigenen Kurs nicht berührten.[48]