Was kostet denn ein Zwanziger-Eis? - Günter Neidinger - E-Book

Was kostet denn ein Zwanziger-Eis? E-Book

Günter Neidinger

4,8

Beschreibung

Liebevolle Geschichten zeichnen ein Badnerland aus vergangenen Tagen. Der Schrecken hat einen Namen: Robert. Maikäfer auf dem Plumpsklo? Ein explodierendes Weihrauchfass? Schokoladenhasen mit Sonnenbrand? Unweigerlich steckt Robert dahinter. Diese Lausbubengeschichten aus Baden spielen in einer Zeit, als Kinder noch den ganzen Tag auf der "Gass" toben konnten und aufgeschlagene Knie an der Tagesordnung waren. Günter Neidinger entführt den Leser in eine Welt, an die sich so mancher vielleicht noch erinnert und von der Kinder heute nur träumen können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 146

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



GÜNTER NEIDINGER

Was kostet denn einZwanziger-Eis?

GÜNTER NEIDINGER

Was kostet denn ein

Zwanziger-Eis?

Lausbubenstreiche undGeschichten aus Baden

Günter Neidinger, Jahrgang 1943, wuchs mit fünf Geschwistern im badischen Bühl auf, studierte dann an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe und wirkte lange Jahre als Lehrer und Rektor in Sulz am Neckar. Seit 30 Jahren ist er als erfolgreicher Autor tätig. Er schreibt und übersetzt Erzählungen, heitere Geschichten, Gedichte, Theaterstücke, Bilderbücher, Vorlesebücher, Sachbilderbücher und Lernhefte. Seit 2009 wohnt der Autor im badischen Lauf.

© 2012 by Silberburg-Verlag GmbH,Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.Alle Rechte vorbehalten.Umschlaggestaltung: Anette Wenzel, Tübingen,unter Verwendung einer Fotografieaus dem Stadtgeschichtlichen Institut Bühl.

E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1550-5E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1551-2Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1225-2

Besuchen Sie uns im Internet undentdecken Sie die Vielfalt unseres Verlagsprogramms:www.silberburg.de

Inhalt

Herrje, immer was los! – Heitere Jugenderlebnisse

Keilerei im Sonnengässle

Aufregungen ohne Ende

Schrecken im Plumpsklo

Verfolgungsjagd am Markttag

Die nahrhafte Suppe

Die rote Hilda

Das Hennenwunder

Warten aufs Christkind

Vorsicht, Radfahrer!

Katzenjammer und Kratzbürste

Bienenhonig und Sellerie

Das Schifffahrtsunternehmen

Ein Mordszirkus!

L’amour, oh là là!

Mit Mozarts Hilfe

Das Pfeifen im Walde

Die dicke Cousine

Hansjakob und der letzte Zehnmarkschein

Ein Fernglas für den Buben

Das ratlose Lehrerkollegium

Die Schnurpost

Das Riesen-Messbuch

Der Schrei in der Trauermette

Nöte im Heu

Die Dreikönigsschlacht

Der Friedhofssturm

Die Katze unterm Rock

Der vertauschte Spickzettel

Frühe Auferstehung

Auf geht’s, Herr Lehrer! – Heitere Geschichten rund um die Schule

Frisch gewagt

Gurken für den Lehrer

Ein Donnerwetter

Das Fräulein Rosa

Ein Bier zu viel

Sewastopol auf dem Land

Jäger, Fischer und …

Der Emil-Vetter

Die Buckmaier-Paula

Der sonderbare Stallhase

Don Camillo und Peppone

Hinaus in die Pampa

Das Attentat

Wer rattert so spät …

Liebestöter und zwei Eier

Sirenenalarm

Von blöden und gescheiten Hunden

Auf Einbruchstour

Wie im Krieg

Ein Hauch »Kölle«

Das Nikolausrennen

Quo vadis?

O Schreck, lass nach! – Opas Lausbubenstreiche

Die erste Hose

Ein Sängerfest mit Folgen

Äpfel vom Südhang

Die dürstende Talwiese

Rache an der Hexe

Der Säger-Baschi

Von Schwarzwaldgeistern

Die Rauchfassexplosion

Schwitzkur für Hochwürden

Glatze mit Heiligenschein

Tintenspritzer auf der Landkarte

Von Krawatten und Lehrerhüten

Ein Krokodil im Schrank

Schokohasen mit Sonnenbrand

Wurst gegen Schlachtmesser

Die skalpierte Lina

Der Attentäter

Flucht aus dem Arrest

Die Pissbrühe

Von Mäusen, Spargel und Himbeereis

In eine neue Welt

Herrje, immer was los! – Heitere Jugenderlebnisse

Meine Geschwister und ich wuchsen in Bühl auf. Ein solch schönes Städtchen, am Fuße des Schwarzwalds im warmen Klima der Oberrheinischen Tiefebene gelegen, muss auch ein Sonnengässle haben. Eigentlich wohnten wir ja in der Hauptstraße, Hinterhaus, aber das Wohnzimmer und der zweite Zugang zum Haus lagen im Sonnengässle, von wo auch die Sonne in unsere Stube kam und die oft karge und triste Nachkriegszeit erhellte.

Keilerei im Sonnengässle

Bei uns war immer etwas los, kamen doch nach und nach sechs Geschwister zusammen. Streit und Keilerei blieben da nicht aus, so dass die Mutter manches Mal dazwischenfahren musste, wobei ihre Hand recht locker saß. Aber wenn es galt, hielten wir fest zusammen.

So war es auch an einem Tag, als mir mein kleiner Bruder Robert eine dicke Tracht Prügel besorgte. Und das kam so:

Friedlich spielte der Kleine im besagten Sonnengässle, das zu schmal für Autos war und sich deshalb zum Spielen für uns Kinder bestens eignete. Doch an diesem Tag war es nichts mit der sonst so beschaulichen Ruhe. Fünf größere Kerle kamen gelangweilt dahergeschlendert und fingen an, Robert mit allerlei Unflätigkeiten zu hänseln. Robert fiel nichts Besseres ein, als dem geballten Angriff mit einer kindlichen Waffe zu begegnen. Er streckte den Burschen einfach die Zunge heraus. Diese fanden aber leider keinen Gefallen an dieser Vertraulichkeit und näherten sich bedrohlich. Robert erfasste blitzschnell die Situation, rannte ins Haus und brüllte hilfesuchend nach mir.

Ich wusste nicht, was mich draußen erwartete, sonst hätte ich nicht den Helden gespielt. Zwar war ich nicht gerade groß gewachsen, aber immerhin der ältere Bruder, und so eilte ich hinaus, um Robert beizustehen. Als die fünf Riesen den »großen Bruder« sahen, machten sie nicht viel Federlesens. Für die herausgestreckte Zunge bekam ich von jedem eine gewischt, dann durfte ich heulend abziehen.

Und was tat Robert? Er schaute hinter der Hausecke hervor und machte den Kerlen eine lange Nase. Ich glaubte zu träumen und verpasste ihm umgehend auch eine. Allein, was war das gegen meine fünfe?

Aufregungen ohne Ende

An der Hauptstraße stand ein Kiosk. Zeitschriften und Süßigkeiten gab es da zu kaufen, die für uns Kinder allerdings unerschwinglich waren. Dafür war der Verkäufer umso interessanter, denn er hatte wenig Humor und war leicht in Rage zu bringen.

Da ich, wer weiß warum, der Brävste von uns allen war, schickte man mich mit einer belanglosen Frage an den Kiosk. Die Übrigen aus der Nachbarschaft standen wohlweislich sprungbereit drum herum. Und ahnungslos ob der Folgen begann ich arglos zu fragen:

»Was kostet denn ein Zwanziger-Eis?«

Kaum hatte ich den Mund zugemacht, da sauste der Besitzer auch schon aus der Hintertür heraus. Nun galt es Sprinterfähigkeiten zu zeigen, und alsbald hörten wir die Schimpfkanonade des Kioskpächters nur noch aus sicherer Entfernung.

»Ihr Saucorps, ihr elendes, wartet, wenn ich euch erwische!«

Aber erwischt hat er uns bis heute nicht.

Dafür hätte ein anderes Schaustück beinahe schrecklich geendet: Der Sohn des Storchenwirts unternahm mit dem Sprössling des Kaufhausbesitzers nebenan eine Fahrt mit dem Leiterwägelchen, der eine als Steuermann, der andere als Schubkraft von hinten. Und inmitten des Gefährts saß Robert, dem die rasante Fahrt durch das Sonnengässle gefiel und der deshalb quietschvergnügt jubelte. Doch als die Fahrt schneller und schneller wurde, verlor der Lenker plötzlich die Übersicht. Flugs ließ er in höchster Not los, und das Fahrzeug schoss einer Rakete gleich in ein Schaufenster des Kaufhauses.

Die Scheibe klirrte, die modische Dame fiel vor Schreck um, und Fahrer wie Motor dieses Himmelfahrtskommandos zerstoben in alle Richtungen. Robert erfasste blitzschnell die Situation. Den Schrecken der Umstehenden nutzend, schüttelte er die Glasscherben von sich und rannte davon, als sei der Teufel hinter ihm her. In Windeseile überkletterte er das geschlossene Hoftor im Sonnengässle und verkroch sich still und heimlich.

Noch heute weiß keiner, wie er unverletzt den Schaufensterscherben entkommen war. Aber unseren Eltern fiel eine Zentnerlast vom Herzen, als die Versicherung der Mitbeteiligten für den Schaden aufkam.

Das größte Theater aber herrschte, als die kleine Marianne einmal entwischt war. Zur Hauptstraße hin verschloss ein Tor aus Eisenstäben den Zugang, denn auf der Bundesstraße herrschte reger Verkehr. Fünfzig Meter weiter war eine große, belebte Kreuzung, wo zur Hauptverkehrszeit ein Polizist den Verkehr regelte.

Irgendwie hatte es das Luder fertig gebracht, das Tor aufzubekommen, und schon war die Kleine weg. Als wir Geschwister es merkten, war es jedenfalls zu spät. Eine Ohrfeige für jeden und das obligatorische »Könnt ihr alten Esel nicht besser aufpassen« setzte es gleich, obwohl wir so alt gar nicht waren. Und dann kam auch schon der Schupo gelaufen mit einem kleinen Blondschopf am Wickel.

Mutter traf fast der Schlag, als der Mann in Uniform berichtete, wo er die Göre aufgelesen hatte. Mitten auf der Kreuzung war sie gestanden und hatte Verkehrspolizistin gespielt. Seither wurde das Tor doppelt verriegelt.

Schrecken im Plumpsklo

Im Monat Mai sammelten alle Kinder Maikäfer. Sie gab es massenhaft. Man brauchte nur an einem Baum zu schütteln, und schon regnete es die braunen Kerle mit ihren schwarzen Bäuchen nur so herunter. Schnell ein paar Blätter von den Zwetschgenbäumen in den Schuhkarton, mit einem Nagel einige Löcher in den Deckel gestupft und hinein mit dem Krabbelzeug!

Unser Vater hatte die Angewohnheit, zu ganz bestimmten Zeiten das Plumpsklo draußen im Hof aufzusuchen, immer etwas zu lesen unter dem Arm. Das schien uns wie geschaffen für einen Streich. Bevor es wieder einmal Zeit war für einen solchen Gang, setzten wir überall im Klo unsere Krabbelfüßler aus, die auch zuerst ängstlich in ihren Ecken sitzen blieben. Kaum aber hatte Papa im Kabäuschen Platz genommen, um sich seiner Lektüre zu widmen, kam die ganze Armee von allen Seiten herangekrochen, neugierig, ob unser Vater wohl kitzlig sei. Wir hatten uns draußen auf die Lauer gelegt, gespannt der Dinge harrend, die da kommen sollten.

Da! Plötzlich ein durchdringender Schrei, ein Scharren und Poltern. Schon flog die Klotüre auf und heraus stürzte Papa, in der einen Hand die zerfledderte Zeitung und mit der anderen notdürftig die Hose festhaltend.

»Emmi! Emmi! Komm!«

Emmi, das war Mama. Sie sauste aus dem Haus. Sicher meinte sie bei diesem Hilfeschrei, der Sitz im Klo wäre gebrochen und Papa schwebte über dem Abgrund. Als sie aber Papa so daherlaufen sah, musste sie schallend lachen. Das war das Zeichen für uns aus dem Versteck zu kommen, denn wenn Mama lachte, konnte die Strafe nicht schlimm sein. Behutsam sammelten wir die Maikäfer ein, jedenfalls die, die noch nicht davongeschwirrt waren. Die Vorstellung war ein voller Erfolg gewesen.

Seitdem schaute sich Papa erst einmal eingehend um, bevor er sich zu seinem Geschäft niederließ.

Verfolgungsjagd am Markttag

Papa brauchte nicht viel für sich. Er rauchte nicht, trank keinen Alkohol, ging nie aus, aber sein Heiligtum war sein Radio. Da kannte er sich aus. Sender, Programme, technische Daten, keiner konnte ihm so schnell was vormachen. Und mit selbst gebastelten Antennen zauberte er aus dem Wellensalat die tollsten Melodien und Reportagen hervor. Aber wehe, es schraubte ihm mal einer daran herum! Da verstand er keinen Spaß.

Einmal, als er weg war, wollte ich es wie der Zauberlehrling seinem Hexenmeister gleichtun und probierte auch mal. Ich war ganz entzückt, als ich dem Kasten tatsächlich ein paar Töne entlocken konnte. Nicht so mein Vater! Als er heimkam, merkte er gleich, was los war. Ein Donnerwetter brach über mich herein. Als ich dann auch noch versuchte, in meinem Verteidigungsplädoyer wie so oft das letzte Wort zu behalten, war das Maß übervoll. Und Papa stürzte sich auf mich, was sonst selten vorkam. Mein einziges Heil sah ich in der Flucht. Aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer, dann in die Küche, zum Haus hinaus – und Papa tapfer hinterher!

Zu allem Unglück war das Hoftor zur Straße hin verschlossen. Flugs kletterte ich hoch, sprang auf der anderen Seite hinunter und glaubte mich gerettet. Doch mein Vater war so in Rage, dass er – das gab’s doch nicht – allen Mut zusammennahm und ebenfalls das Hindernis überkletterte. Nun galt es, meine kleinen Beine unter die Arme zu nehmen und zu fliehen. Ab ging die Jagd!

»Dich erwisch’ ich, Chaib elender!«, keuchte es hinter mir.

Draußen war was los. Es war Markttag und dazu Mittagszeit, da herrschte munteres Treiben in der Stadt. Im Slalom ging’s durch die gaffende Menge. Vorneweg ein kleiner Bengel, der vor sich hinmurmelte:

»Nur nicht erwischen lassen!«

Dahinter ein japsender Vater, der sich ständig einredete:

»Gleich hab’ ich ihn, gleich hab’ ich ihn!«

So ging die Verfolgungsjagd weiter und in einem großen Bogen flüchtete ich ins sonst schützende Zuhause zurück. Das hätte ich nicht tun sollen, denn dort erwischte mich mein wuterfüllter Vater endlich. Aber zu mehr als einem kräftigen Schütteln reichte seine Luft nicht mehr, und so kam ich glimpflich davon.

Aber filmreif war die Szene allemal gewesen!

Die nahrhafte Suppe

Eines Tages war Mama krank. Stirnhöhlenvereiterung stellte die Ärztin fest, eine schlanke, immer lächelnde Frau mit einer Brille. Ihre schwarzen, hinten zusammengeknoteten Haare zeigten schon ein paar graue Strähnen ob der Sorge um die vielen Patienten. Wir Kinder hatten volles Vertrauen zu ihr, denn eher hätte sie selbst Schmerzen gelitten, als dass sie uns welche zufügte. So waren wir auch sicher, dass sie Mama wieder gesund machte. Noch war es aber nicht so weit und Oma kam, für uns zu kochen, denn unser Vater verstand davon nichts und wir Kinder waren noch zu klein.

Oma war sonst eine gute Köchin. Wie oft hatten wir bei ihr gegessen, wenn wir auf dem Felde halfen, Kastanien oder Pfifferlinge im Wald suchten. Ja, Pfifferlinge konnte Oma besonders schmackhaft zubereiten. Aber an jenem Tage waren keine da, und so verfiel Oma auf die unglückselige Idee, eine besonders nahrhafte Suppe, wie sie meinte, zu kochen: Sagosuppe. Wir hatten vorher keine Ahnung, wie so etwas schmeckte, geschweige denn, wie es gar aussah.

Als die fertige Bescherung dann aber auf dem Tisch stand und Oma freudestrahlend unsere Teller füllte, glaubten wir zuerst, sie hätte sich aus Versehen am Froschlaich vergriffen, den wir erst neulich zur Kaulquappenzucht aus dem Weiher geholt hatten. Der Vergleich genügte, um unsere Gesichter grün und blass aussehen zu lassen, und Oma konnte ihre Suppe einpacken. Das tat sie auch im wahrsten Sinne des Wortes. Und nun hatte sie daheim acht Tage lang Sagosuppe zu löffeln. Später gab sie einmal zu, dass sie ihr auch nicht mehr geschmeckt habe nach dem ihrer Meinung nach unpassenden Vergleich. Aber wegwerfen konnte man sie doch nicht!

Die rote Hilda

Die rote Hilda, sie hieß so wegen ihrer roten Haare, war in Omas Gegend überall bekannt und wegen ihrer Streiche berüchtigt. Sie war etwas älter als ich, und manchmal hörten wir ihren Vater fluchend und schreiend mit einem Prügel hinter ihr herlaufen, wenn sie es wieder mal zu bunt getrieben hatte.

Einmal versprach sie mir frische Erdbeeren aus dem Garten, und ahnungslos ging ich mit. In diesem Moment konnte ich gar nicht verstehen, dass sie von einigen Leuten mit »elender Wasen« tituliert wurde, was nicht gerade ein Kosewort war und so was wie »freches Luder« bedeutete. Sie wollte mir Erdbeeren geben, und da erschien sie mir eher wie eine gute Fee. Sie schleppte mich in einen umzäunten Garten. Was für schöne rote Erdbeeren es da gab! Ich setzte mich mitten hinein und griff tüchtig zu. Plötzlich ertönte ein wildes Gebrüll:

»Ihr Saucorps, euch zeig ich’s!«

Als ich mich umblickte, sah ich meine gute Fee gerade über den Zaun springen und das Weite suchen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie mich in einen fremden Garten geführt hatte. Doch das Schreien des Bauern und sein drohendes Gefuchtel waren eindeutig und so zischte ich ab, solange es noch Zeit war.

Meiner Oma verriet ich nichts, aber um den Garten machte ich seither einen großen Bogen.

Das Hennenwunder

Ein einmaliges Erlebnis war die Geschichte mit der Henne von Omas Nachbarn. Der gute Mann hatte sich kräftig gestärkt, bevor er zu Werke ging. Er hatte einen ausgesprochen guten Appetit. Nie mehr habe ich einen Menschen einen solchen Nudelberg verschlingen sehen wie ihn.

Dann schritt er zur Tat. Um zu einer kräftigen Suppe zu kommen, schlug er einer Henne den Kopf ab. Anschließend warf er sie in einen danebenstehenden Bottich mit heißem Wasser, um sie zu brühen, damit die Federn nachher besser abgingen. Aber dem kopflosen Federvieh schien die Brühe nicht zu behagen, denn es flatterte auf und sauste die Wiese hinunter, bis es an einem Zaun hängen blieb. So was ging damals über meinen Verstand und ich glaubte, ein Wunder gesehen zu haben.

Später, im Geschichtsunterricht, verstand ich jenes Kapitel dafür gut, wo der Seeräuber Klaus Störtebeker nach seiner Enthauptung noch an seiner Mannschaft vorbeigelaufen sein soll und ihr somit, wie abgesprochen, das Leben rettete, bis ihm einer, der mit ihm sterben wollte, ein Bein stellte.

Das aber hatte der Bauer nicht gewusst und die Henne schon gar nicht, dass sie mir anschaulichen Geschichtsunterricht vermittelt hatten.

Warten aufs Christkind

Am Heiligen Abend konnten wir Kinder es kaum erwarten, bis es dunkel wurde, und manchmal passierte es, dass es vor lauter Ungeduld noch eins auf den Hosenboden gab. Bei Einbruch der Dämmerung ging Papa mit uns zum alten gotischen Rathaus, wo ein riesiger Lichterbaum das Weihnachtsfest ankündigte. Und während die Schneeflocken sanft herniederfielen und es in der sonst so geschäftigen Stadt still geworden war, spielten die Musikanten der Stadtkapelle, in dicke Mäntel gehüllt und wärmende Mützen auf dem Kopf, die vertrauten weihnachtlichen Weisen.

Andächtig lauschten wir, und als dann »Stille Nacht« und »O du fröhliche« erklangen, wussten wir, jetzt war es so weit. Eilig stürmten wir nun nach Hause, wo uns Mama in der Küche empfing. Sie hatte das Essen vorgerichtet, und sehnsüchtig warteten wir auf das Klingeln des Christkinds. Dass es Vater gewesen sein könnte, der uns mit dem silbernen Glöckchen das Christkind ankündigte, daran dachten wir nicht, denn nun ging die Tür auf und der Glanz der Kerzen in der weihnachtlich geschmückten Stube nahm uns gefangen.

Papa setzte sich an das Klavier, und fröhlich klangen die Lieder von der gnadenbringenden Weihnachtszeit hinaus in die sternenfunkelnde Christnacht. Edgar sang mit seiner hellen Sopranstimme das Weihnachtsevangelium nach Lukas, und die kleine Marianne durfte dann das Jesuskind aus Wachs in die prächtige, handgefertigte Krippe im selbstgebastelten Stall legen zu Ochs und Esel, sorgsam behütet von Maria in ihrem roten Gewand und blauen Schleier, dem Josef im braunen Umhang mit der Laterne in der Hand, und dem Engel über dem Stall, der auf einem Band die Botschaft von Bethlehem pries: »Ehre sei Gott in der Höhe!«

Und Friede kehrte in unsere Herzen ein. Freudig nahmen wir jetzt unsere Geschenke in Empfang, nicht viel, aber genug, um unsere Kinderherzen glücklich zu machen: warme Sachen für den Winter, ein kleines Spielzeug und einen bunten Teller mit herrlich duftenden Lebkuchen, Spritzgebackenem, Buttergebäck, Springerle, Zimtsternen und Makronen, und als ganz besondere Leckereien waren noch eine Tafel Schokolade mit bunten Bildern, einige Feigen und eine Apfelsine dabei.

Für jeden gab es einen dankbaren Kuss. Papa stellte das Radio an, und jetzt erklangen auch hier die weihnachtlichen Weisen, während Mama den Tisch richtete für das traditionelle Heilig-Abend-Essen: Würstchen, Kartoffelsalat und Feldsalat, dazu zur Feier des Tages eine Limonade und für die Großen ein dunkles Bier.