Wassergeflüster -  - E-Book

Wassergeflüster E-Book

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Beschreibung

Wie haben die Menschen die Flutkatastrophe in Deggendorf 2013 erlebt? Sie hatten große Angst. Als ihre Häuser überschwemmt wurden, verloren sie oft ihr ganzes Hab und Gut, ihr Heim und ihre persönlichsten Erinnerungsstücke. Viele Tiere starben. Nach der Flut war das ganze Leben anders. Doch mitten in dieser unvorstellbaren Katastrophe erlebten viele Betroffene und Helfer eine außergewöhnliche Gemeinschaft: Menschen von nah und fern, aus Ostbayern, München, dem Allgäu oder Hamburg kamen und packten mit an. Sie waren für die Menschen da, gaben ihnen neuen Mut und sammelten selbst besondere Erfahrungen. Vor Ort entstanden einzigartige Hilfsprojekte. Davon erzählen die Autoren in Wassergeflüster. Sie haben Betroffenen und Helfern zugehört und versucht, ihre Erfahrungen auf Papier zu bringen - durch den gemeinsamen Gedankenaustausch entstanden lebendige Figuren, Geschichten und Gedichte von der Flut. Zwischen zwei Buchdeckeln fangen sie aus verschiedensten Blickwinkeln ein, was die Menschen in Deggendorf während der Flut bewegt hat: Verzweiflung, Verlust, aber auch Freude und hoffnungsvolle Momente. Das Buch, das Sie nun in Ihren Händen halten, ist in ehrenamtlicher Arbeit entstanden. Der größte Teil des Erlöses kommt dem Kreisjugendring Deggendorf zugute, der sich vor Ort nach wie vor für Kinder und Jugendliche engagiert.

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Seitenzahl: 197

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Leseprobe eBook Ausgabe 2015
©2014 SPIELBERG VERLAG, Regensburg
Herausgeber, Projektleiter: Bastian Zech
Mitherausgeberin, Lektorat, Projektkoordination: Hildegard Lillin
Umschlaggestaltung und -illustration,
Illustrationen im Innenteil: Lena Knarr
Pressearbeit, Marketing, Social Media: Barbara Lerchenberger
Korrektorat: Renate Kirchermeier
Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Lucky

Fluten

Ehemalige Eisenbahnbrücke. 5.00 Uhr

Rama dama!

Zusammenrücken

Heimat

Für Helden zu viel

Land unter Wasser

Moonpower

Zwei Flutgedichte

Heute mal nicht Kafka

Dahoam

Du siehst so aus wie

Vier Blickwinkel

Rundgang durch die Vergangenheit

Onkel Fred und die Donau

Flutstücke

Katastrophentourismus

Erinnerungen

Der Hüter des Hauses

Morgen wieder: Leben retten

Chronologie des Hochwassers in Deggendorf 1

Chronologie des Hochwassers in Deggendorf 2

Das Cover: Die Entstehung

RAMONA PÜSCHEL

Lucky

„Lucky! Komm, gehen wir Gassi“, ruft mein Frauchen nach mir, und eilig springe ich zu ihr. Als ich bei ihr bin, streichelt sie über meinen Kopf und krault mich hinter meinem Ohr. Sie nimmt die Leine und macht sie an meinem roten Halsband fest. „Freust du dich schon?“, grinst sie und streichelt noch einmal über meinen Kopf. Vergnügt wackele ich mit dem Schwanz und belle einmal laut. „Das ist mein Junge.“ Zusammen gehen wir aus dem Haus. Heute regnet es schon wieder, und mein Frauchen spannt sofort ihren Schirm auf. Währenddessen spiele ich in einer Pfütze vor der Haustür. „Lucky, nein, du wirst noch dreckig“, ermahnt sie mich und geht los. Ich trotte hinter ihr her und bin glücklich, dass ich wieder draußen bin und mich richtig bewegen kann. „Zieh nicht so, Lucky“, höre ich sie lachen und laufe weiter voraus.

Wir sind am Ufer der Donau, aber irgendwas hat sich verändert. Als ich näher ans Wasser herangehen will, zieht mich mein Frauchen zurück. Verwundert schaue ich zu ihr hoch und sehe, wie sie weitergeht, also gehe ich ihr nach und blicke weiter an der Donau entlang. Nach einer halben Stunde kehren wir um und gehen wieder nach Hause.

Zuhause angekommen lässt mich meine Besitzerin von der Leine, und ich renne schnurstracks nach oben in ihr Schlafzimmer und springe auf ihr Bett. Mein braunes Fell ist vom vielen Regen völlig durchnässt, und meine Pfoten sind ganz verdreckt. Ich wälze mich auf der Bettdecke, damit ich schneller trocken werde. Aufgebracht rennt mein Frauchen zu mir und schimpft mich wütend: „Du kleiner Schlingel. Jetzt schau dir doch mal das Bett an!“ Mein Blick fällt auf die nun komplett mit meinen braunen Pfotenabdrücken übersäte Decke, und meine Schuld wird mir bewusst. Langsam lege ich mich hin, mit meinem Kopf auf den Vorderpfoten, und ich sehe sie mit meinem zuckersüßen, bereuenden, ehrlichen Hundeblick an. Das bringt sie zum Lachen. „Ach, ist schon gut. Wenn du mich so ansiehst, kann ich dir nicht mehr lange böse sein. Das Bettzeug gehört sowieso gewaschen.“ Dieser Trick klappt doch immer wieder! Aber nein, ich wollte ihr wirklich keinen Ärger machen. „Lucky!“, lacht Lina, mein kleines Frauchen und die Tochter der Familie, und rennt in das Zimmer. Ich springe vom Bett und werde sofort in die Arme geschlossen und gestreichelt. „Warte, er ist noch nass.“ Mit diesen Worten nimmt mein Frauchen ihr Kind hoch und schaut mich an. „Komm, du kriegst dein Fressen.“ Sie geht mit langen Schritten nach unten in die Küche, und ich folge ihr, ich bin schließlich schon ganz hungrig. „Darf ich ihm das Fressen geben?“, fragt die Kleine zuckersüß, und ihre Mutter stellt sie auf dem Boden ab. „Natürlich Lina, warte kurz“, sagt sie, holt meine blaue Futterschüssel und gibt mein Fressen hinein. Eifrig wackele ich mit dem Schwanz und warte darauf, dass ich mein Futter bekomme. „Hier, einfach hinstellen.“ Lina nimmt die Futterschüssel freudig entgegen und läuft damit zu meiner gewohnten Futterstelle. Ich gehe schon vor und warte, bis sie bei mir ankommt und mir meinen Napf hinstellt. Als ich zu fressen beginne, streichelt sie mich. „Du bist sooo süß, Lucky“, kichert sie und setzt sich neben mich auf den

Boden.

Als die Sonne langsam untergeht, macht es sich meine Familie auf der Couch bequem. Ich springe zu meinem Herrchen und kuschele mich an ihn. „Na, du kleiner Racker? Hast unser schönes Bett dreckig gemacht, eigentlich sollten wir dich ja bestrafen“, lacht er und krault mich hinterm Ohr. Ich blicke zu ihm und setze wieder meinen Hundeblick auf. „Hör auf, mich so anzusehen, wir sind dir ja nicht böse.“ Mein Frauchen setzt sich neben mich auf die Couch und gibt ihrem Mann einen Kuss: „Glaubst du, das Wasser kommt bis zu unserem Haus?“ „Nein, ich denke nicht, Liebling. Das Wasser soll nicht mehr steigen, sagten sie in den Nachrichten“, antwortet mein Herrchen und schaut wieder zum Fernseher. Ich mache es mir auf der Couch bequem, schließe langsam meine Augen und falle in einen tiefen Schlaf.

Als ich aufwache, höre ich den Regen, der laut gegen die Fenster prasselt. Meine Familie ist nicht mehr auf der Couch, sie sind vermutlich ins Bett gegangen. Langsam stehe ich auf, springe auf den Boden und jaule überrascht auf, denn meine Pfoten stehen plötzlich mitten im Wasser. Wieso ist hier Wasser? Ich gehe verwundert zur Treppe und laufe die Stufen zum Schlafzimmer meiner Besitzer hinauf. Mein Herrchen packt hektisch Sachen in eine Tasche, und mein Frauchen ist bei Lina. Winselnd stelle ich mich neben ihn und schaue zu ihm hoch. „Nicht jetzt. Beeil dich, Liebling!“ Er nimmt die Tasche und rennt nach unten. „Verdammt“, höre ich ihn murmeln. Ich gehe zu meinem Frauchen, die gerade Lina hochnimmt. „Mama, was ist los?“, fragt die Kleine panisch und schaut kurz zu mir. Aber ihre Mutter antwortet nicht und nimmt eine Tasche. Nachdem ich auf Linas Bett gesprungen bin, gehen beide nach unten. Verwirrt blicke ich hinterher, springe schnell vom Bett und renne nach unten, doch schon wird die Haustür vor mir zugeschlagen. Ich winsele und kratze mit einer Pfote an der Tür. Warum gehen sie weg? Kommt zurück! Keiner hört mein Winseln. Immer mehr Wasser sammelt sich im Haus und ich rette mich zur Treppe. Sie sollen zurückkommen und mich mitnehmen! Ich habe große Angst. Ich schüttele das Wasser von mir ab und schaue zur Haustür, in der Hoffnung, dass sie bestimmt gleich wieder aufgehen wird.

Irgendwann berührt das Wasser wieder meine Pfoten, und ich springe eine Stufe weiter nach oben. Mein Blick wandert wieder zur Tür. Das Wasser steigt immer weiter. Schnell laufe ich nach oben in das Arbeitszimmer und klettere auf die Couch. Winselnd lege ich mich hin und versuche mich zu beruhigen. Sie werden gleich kommen und mich holen … sie lassen mich nicht allein … nein, nein. Ich weiß nicht, wie lange ich schon so daliege, das Wasser muss irgendwann auch in dieses Zimmer gekommen sein und steigt noch weiter an. Auf einmal löst sich die Couch vom Boden und treibt, wie bereits die anderen Möbel, ziellos umher. Es ist sehr wackelig, und ich habe große Mühe, mich auf meiner Arche im Nichts zu halten. Andere Gegenstände, wie eingerahmte Bilder von meiner Familie und Ordner, stoßen gegen das Sofa, und es wackelt noch mehr, es kommt sogar etwas Wasser bis zu mir. Ich will hier weg, aber ich traue mich nicht, zu etwas anderem zu schwimmen. Ich hoffe nur, dass ich meine Familie wiedersehe, und dass sie mich hier rausholen. Als ich näher an das Ende der Couch gehe und auf der Lehne hockend in das Wasser schaue, stößt sie mit dem Schreibtisch zusammen und beginnt noch gefährlicher zu wackeln, sodass ich das Gleichgewicht verliere und in das eiskalte Wasser falle. Panik überströmt mich, und ich versuche, mich wieder auf meine sichere Arche zu retten – vergeblich. Immer und immer wieder versuche ich, mit meinen Vorderpfoten die Sitzfläche zu erreichen. Irgendwann gelingt es mir, ich klettere auf die Couch hinauf und schüttele mich vorsichtig, damit ich nicht wieder in das Wasser falle. Dann lege ich mich zitternd neben ein Kissen. Mir ist so schrecklich kalt, und die Panik ist immer noch in mir, mein Herz rast, und ich kann mich kaum noch beruhigen. Hat mich meine Familie denn vollkommen vergessen? War ich ihnen so wenig wert? Ich versuche, mich nicht zu bewegen, damit das Sofa, auf dem ich liege, so wenig wie möglich umherschwankt. Stunden vergehen, aber zum Glück steigt das Wasser nicht mehr an. Also versuche ich, mich zu beruhigen, was auch gelingt, ich hoffe nur noch, dass das Wasser endlich zurückgeht.