Weil ich Will liebe - Colleen Hoover - E-Book + Hörbuch
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Weil ich Will liebe E-Book

Colleen Hoover

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Beschreibung

Sie haben das große Glück gefunden – doch ein Fehler ändert alles Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Will Layken zum ersten Mal begegnet ist. Und ihre Liebe scheint täglich stärker zu werden. Doch als Will im neuen Studienjahr auf seine Ex-Freundin Vaughn trifft, beschließt er, Layken nichts davon zu erzählen. Ein fataler Fehler, denn als Layken die beiden zufällig sieht, missversteht sie die Situation und stellt die ganze Beziehung infrage ... Die große Liebesgeschichte von Will & Layken geht weiter – nun erzählt Will aus seiner Perspektive. Alle Bände der ›Will & Layken‹-Reihe:  Band 1: Weil ich Layken liebe Band 2: Weil ich Will liebe Band 3: Weil wir uns lieben

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Sie haben das große Glück gefunden – doch ein Fehler ändert alles

Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Will Layken zum ersten Mal begegnet ist. Und ihre Liebe scheint täglich stärker zu werden. Doch als Will im neuen Studienjahr auf seine Ex-Freundin Vaughn trifft, beschließt er, Layken nichts davon zu erzählen. Ein fataler Fehler, denn als Layken die beiden zufällig sieht, missversteht sie die Situation und stellt die ganze Beziehung infrage

... Die große Liebesgeschichte von Will & Layken geht weiter – nun erzählt Will aus seiner Perspektive.

Von Colleen Hoover sind bei dtv außerdem erschienen:

Weil ich Layken liebe | Weil wir uns lieben

Hope Forever | Looking for Hope | Finding Cinderella

Finding Perfect

Love and Confess

Zurück ins Leben geliebt – Ugly Love

Nächstes Jahr am selben Tag – November 9

Never Never (zusammen mit Tarryn Fisher)

Maybe Someday | Maybe Not | Maybe Now

Die tausend Teile meines Herzens

Was perfekt war

Verity

Too late

All das Ungesagte zwischen uns

Layla

Für immer ein Teil von dir

Summer of Hearts and Souls

Nur noch ein einziges Mal – It ends with us

It starts with us – Nur noch einmal und für immer

Too late – Wenn Nein sagen zur tödlichen Gefahr wird

Colleen Hoover

Weil ich Will liebe

Roman

Aus dem Englischen vonKatarina Ganslandt

Dieses Buch ist all denen gewidmet, die ›Weil ich Layken liebe‹ gelesen und mich dazu ermutigt haben, die Geschichte von Layken und Will weiterzuerzählen.

Prolog

31. Dezember

Eine Art Neujahrsvorsatz

Ich habe das Gefühl, dass das jetzt endlich unser Jahr wird – Lakes und meins.

Verdient hätten wir es jedenfalls. Die letzten Monate waren verdammt hart. Für sie genauso wie für mich.

Es ist jetzt drei Jahre her, seit Mom und Dad tödlich verunglückt sind und ich von heute auf morgen allein für Caulder sorgen musste. Seit Vaughn mit mir Schluss gemacht hat. Seit ich auf mein Stipendium an der Privatuni verzichtet habe, um wieder nach Ypsilanti zu ziehen, ans staatliche College zu gehen und mich um meinen kleinen Bruder zu kümmern. Heute weiß ich, dass das die beste Entscheidung meines Lebens war.

In der ersten Zeit habe ich mich nur darauf konzentriert, überhaupt klarzukommen: damit, dass ich keine Eltern mehr hatte. Damit, dass ich selbst plötzlich die Vaterrolle für einen Siebenjährigen übernehmen musste. Damit, dass ich gleichzeitig studieren und Geld verdienen musste, um uns zu ernähren. Das hat viel Kraft gekostet, aber ohne Caulder hätte ich es nie geschafft. Er ist es, der mir die Energie gibt, durchzuhalten und weiterzumachen.

Ich war lange wie betäubt und habe mehr funktioniert als gelebt. Eigentlich hat mein Leben erst am 22. September vor fast anderthalb Jahren wieder begonnen: dem Tag, an dem ich Lake begegnet bin.

Mit ihr habe ich mich lebendiger gefühlt als je zuvor, auch wenn die Augenblicke, in denen wir zusammen sein durften, viel zu kurz waren.

Im letzten Jahr ist so viel passiert, viel Schönes, aber auch viel Trauriges. Seit Lake und ich endlich offiziell ein Paar sind, ist unsere Liebe noch stärker geworden. Trotzdem war es keine leichte Zeit für uns. Wir haben Lakes Mutter beim Sterben begleitet und gemeinsam um sie getrauert, als sie im September den Kampf gegen den Krebs endgültig verloren hat. Ihr Tod hat mich noch tiefer getroffen, als ich gedacht hätte. Es war fast so, als hätte ich meine eigene Mutter ein zweites Mal verloren. Mom fehlt mir so sehr. Und auch Julia fehlt. Zum Glück habe ich Lake.

Dad hat sein Leben lang Tagebuch geführt und immer gesagt, für ihn wäre es so eine Art Therapie, täglich seine Gedanken aufzuschreiben. Ich frage mich, ob ich mit allem, was passiert ist, besser klargekommen wäre, wenn ich das auch getan hätte. Bis vor Kurzem habe ich noch geglaubt, mir würde es reichen, alle paar Wochen beim Poetry Slam mitzumachen, aber jetzt denke ich, dass das womöglich nicht genug war.

Ich habe beschlossen, alles dafür zu tun, dass das nächste Jahr so perfekt wird, wie ich es mir erträume. Dazu gehört, von jetzt an alles aufzuschreiben, was mich beschäftigt, um klarer sehen zu können. Selbst wenn es nur ein Wort pro Tag ist – ich lasse es heraus.

Erster Teil

1.

Donnerstag, 5. Januar

Heute Vormittag war ich an der Uni, um mich für meine Kurse einzutragen. Dadurch dass ich nur noch zwei Semester vor mir habe, bin ich nicht mehr so flexibel in der Zusammenstellung meines Stundenplans, und kann mir die Veranstaltungen nicht aussuchen, was bedeutet, dass ich Montag, Mittwoch und Freitag Vorlesung habe und meine Woche komplett zerfasert ist.

Am Ende des nächsten Semesters will ich mich um eine Stelle an einer Highschool hier in Ypsilanti bewerben, damit ich so schnell wie möglich wieder mein eigenes Geld verdiene. Ich bin Grandma und Grandpa total dankbar dafür, dass sie uns unterstützen, weil ich das alles mit dem Studienkredit allein niemals stemmen könnte. Aber sobald ich den Abschluss in der Tasche habe, möchte ich finanziell unabhängig sein.

Heute Abend kommen Gavin und Eddie mal wieder zum Essen zu uns. Es gibt Hamburger. Die mag wirklich jeder, da kann man nichts falsch machen.

Tja, das war’s auch schon, was ich für heute zu sagen habe…

»Ist Layken hier oder noch bei sich drüben?«, fragt Eddie, die ohne zu klopfen die Haustür aufgerissen hat und ihren Kopf reinstreckt.

»Drüben«, rufe ich aus der Küche zurück, wo ich gerade die Hamburger vorbereite. Manchmal frage ich mich, ob über unserer Tür ein Schild hängt mit der Erlaubnis, dass hier jeder einfach so reinplatzen darf. Klar, Lake klopft nicht mehr, aber das heißt doch nicht, dass das automatisch auch für Eddie gilt.

»Okay. Dann geh ich schnell rüber.« Eddie verschwindet wieder. Gleich darauf steht ihr Freund Gavin im Haus, der vorher immerhin anstandshalber mit den Knöcheln leicht gegen das Holz gepocht hat.

»Hey. Was gibt’s heute Leckeres?« Er kommt in die Küche.

»Hamburger.« Ich drücke ihm den Pfannenwender in die Hand und zeige auf den Herd. »Hier. Du kannst sie gleich umdrehen, dann hole ich die Pommes aus dem Ofen.«

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass die Kocherei meistens an uns beiden hängen bleibt?«, fragt Gavin.

»Ja, aber das ist mir ehrlich gesagt auch lieber so«, sage ich, während ich die Pommes frites vom Backblech auf eine Platte gleiten lasse. »Erinnerst du dich an die Nudeln in Sahnesoße, die Eddie neulich gemacht hat?«

»Wie könnte ich sie jemals vergessen.« Gavin verzieht das Gesicht.

»Kel! Caulder!«, rufe ich den Jungs zu, die drüben vor der Xbox hocken. »Deckt ihr bitte schon mal den Tisch?«

Seit Julia gestorben ist und Lake, ich und unsere beiden kleinen Brüder praktisch eine Familie geworden sind, kommen Gavin und Eddie mindestens zweimal pro Woche zum Abendessen zu uns, weshalb ich vor Kurzem einen richtigen Esstisch angeschafft habe. An der Küchentheke saßen wir einfach zu dicht gedrängt.

»Hallo, Gavin.« Kel kommt mit Caulder in die Küche geschlendert und holt Gläser und Teller aus dem Schrank.

»Hey, Kel«, sagt Gavin. »Na? Hast du schon entschieden, wo du deine Geburtstagsparty steigen lässt?«

Kel zuckt mit den Schultern. »Vielleicht gehen wir zum Bowling, kann aber auch sein, dass wir einfach hierbleiben.«

Caulder nimmt die Teller von der Theke und geht damit zum Tisch. Mir fällt auf, dass er für sieben Leute deckt statt für sechs.

»Erwarten wir noch jemanden?«, frage ich erstaunt.

Mein Bruder kichert. »Kel hat Kiersten gesagt, dass sie vorbeikommen kann.«

Kiersten ist vor ein paar Wochen in unsere Straße gezogen und geht auf dieselbe Schule wie die Jungs. Lake und mir ist nicht entgangen, dass Kel sich anscheinend ein bisschen in sie verknallt hat, auch wenn er das natürlich niemals zugeben würde. Aber er wird schließlich nächste Woche elf, es war damit zu rechnen, dass das früher oder später passieren würde. Allerdings überragt Kiersten ihn um einen Kopf und wirkt wesentlich reifer, obwohl sie nur ein paar Monate älter ist. Ich hoffe mal für ihn, dass sich das mit der Zeit wieder ausgleicht. Mädchen kommen ja meistens früher in die Pubertät als Jungs.

»Könnt ihr mir nächstes Mal bitte rechtzeitig Bescheid sagen, wenn ihr jemanden einladet?«, stöhne ich. »Jetzt muss ich schnell noch einen Burger machen.«

»Musst du nicht. Kiersten isst kein Fleisch«, informiert Kel mich. »Sie ist Vegetarierin.«

Auch das noch. »Gemüseburger hab ich aber keine da. Was soll sie denn essen? Etwa Hamburgerbrötchen mit Pommes?«

»Kein Problem«, ruft Kiersten, die in diesem Moment zur Tür hereinkommt – natürlich ohne anzuklopfen. »Ich mag Brot und ich mag Pommes, aber ich mag nichts, wofür andere Lebewesen sterben mussten. Ich will mich nicht als Mittäterin an einem Tiergenozid schuldig machen.«

Gavin starrt sie fassungslos an. »Wer ist das?«, raunt er mir zu.

Kiersten streicht sich ihre roten Locken hinter die Ohren und geht zum Tisch, wo sie beginnt, Blätter von der Küchenrolle abzureißen und als Servietten neben die Teller zu legen. Ihre zupackende Art erinnert mich ein bisschen an Eddie. Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der sie sich bei uns bewegt, könnte man meinen, sie würde ständig hier ein und aus gehen. Dabei ist sie heute zum ersten Mal zum Essen da.

»Das ist das neue Nachbarsmädchen, von dem ich euch letztes Mal erzählt habe«, antworte ich. »Angeblich ist sie erst elf, aber so, wie sie manchmal redet, hab ich den Verdacht, dass sie in Wirklichkeit eine kleinwüchsige Erwachsene ist, die sich nur als Kind ausgibt.«

»Ach. Ist das etwa die, in die Kel verknallt ist?« Gavin reibt sich grinsend die Hände. Wahrscheinlich heckt er schon Pläne aus, wie er Lakes Bruder gleich aufziehen kann. Der Abend verspricht lustig zu werden. Na ja, außer für Kel.

Seit Lake und Eddie beste Freundinnen geworden sind, sehen Gavin und ich uns auch häufiger als früher. Ich kenne ihn ja schon seit Ewigkeiten von der Schule – erst als jüngeren Mitschüler und später dann als sein Lehrer –, aber im Laufe des letzten Jahres sind wir so etwas wie beste Kumpel geworden. Kel und Caulder mögen ihn und Eddie auch sehr. Ich finde es schön, dass wir so viel zusammen unternehmen und fast so eine Art Großfamilie sind.

Wir sitzen schon am Tisch, als Eddie und Lake auch endlich rüberkommen. Lake hat ihre feuchten Haare zu einem nachlässigen Knoten geschlungen und trägt Jogginghose und Sweatshirtjacke. Ich liebe sie dafür, dass sie so natürlich und ungezwungen herumläuft und nicht wie viele andere Mädchen ständig das Bedürfnis hat, sich zu stylen.

»Danke, dass du dich mal wieder ums Essen gekümmert hast, Baby.« Sie lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen und gibt mir einen Kuss. »Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht hab. Ich wollte mich noch schnell online für Statistik eintragen, aber der Kurs ist schon voll. Jetzt muss ich morgen zur Uni und versuchen, mich bei den Sekretärinnen einzuschleimen. Vielleicht können die mich doch noch reinschleusen.«

»Statistik?«, fragt Gavin erstaunt und greift nach der Ketchupflasche. »Wieso willst du den Kurs denn jetzt schon machen?«

»Algebra II hab ich schon im Wintersemester belegt. Ich hab mir vorgenommen, die ganzen mathematischen Pflichtkurse im ersten Jahr hinter mich zu bringen, weil ich so einen Horror davor habe.« Lake nimmt ihm die Flasche aus der Hand und drückt erst mir und dann sich selbst einen Klecks Ketchup auf den Teller.

»Ich versteh trotzdem nicht, warum du es so eilig hast«, sagt Gavin. »Du hast doch jetzt schon mehr Studienpunkte gesammelt als Eddie und ich zusammen.«

Eddie nickt. »Stimmt. Wieso tust du dir das an?«, fragt sie und beißt in ihren Burger.

»Weil ich auch schon mehr Kinder habe als ihr beide zusammen.« Lake deutet auf Kel und Caulder. »Deswegen will ich das Studium so schnell wie möglich durchziehen.«

»Was studierst du denn im Hauptfach?«, erkundigt sich Kiersten interessiert.

Eddie sieht Kiersten an, als würde sie erst jetzt bemerken, dass noch jemand am Tisch sitzt. »Huch. Wer bist du denn?«, fragt sie.

Kiersten strahlt sie an. »Ich heiße Kiersten und wohne diagonal zu Will und Caulder und parallel zu Layken und Kel. Wir sind kurz vor Weihnachten aus Detroit hergezogen. Mom hat gesagt, dass wir dringend aus der Stadt rausmüssen, bevor die Stadt aus uns rauskommt, wenn ihr wisst, was ich meine. Ich bin am 11.11.2011 elf geworden, was wahrscheinlich nicht viele Leute von sich behaupten können. Nur schade, dass ich um drei Uhr nachmittags geboren wurde und nicht um elf. Sonst wäre in den Nachrichten bestimmt ein Bericht über mich gebracht worden. Das wäre super gewesen, um schon mal ein bisschen bekannt zu werden. Ich werde später nämlich mal Schauspielerin.«

Eddie starrt Kiersten mit offenem Mund an – genau wie wir anderen. Kiersten bekommt davon aber anscheinend gar nichts mit und wendet sich wieder an Lake. »Also. Was studierst du im Hauptfach?«

Lake legt ihren Burger auf den Teller und räuspert sich. Ich weiß, dass sie diese Frage hasst, auch wenn sie versucht, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. »Ich habe mich noch nicht entschieden«, antwortet sie so selbstbewusst wie möglich.

Kiersten nickt mitleidig. »Verstehe. Mein älterer Bruder studiert auch schon seit ein paar Jahren und wechselt ständig die Fächer, weil er sich nicht entscheiden kann. Ich glaube ja, dass das mehr was damit zu tun hat, dass er lieber jeden Abend feiert, dann bis mittags schläft und höchstens drei Stunden in die Uni geht, statt endlich einen Abschluss zu machen und sich einen richtigen Job zu suchen. Mom behauptet, er würde noch in der Selbstfindungsphase stecken und ›seine Interessen ausloten‹. Aber wenn ihr mich fragt, ist das totaler Bullshit.«

Bei dem Versuch, mein Lachen zu unterdrücken, verschlucke ich mich rettungslos an meinem Eistee.

»Hey!« Kel sieht Kiersten mit großen Augen an. »Du hast gerade Bullshit gesagt.«

»Kel, Bullshit sagt man nicht«, schimpft Lake.

»Aber sie hat zuerst Bullshit gesagt!«, verteidigt Caulder seinen Freund.

»Caulder, es reicht. Wehe, du sagst noch mal Bullshit!«, greife ich ein.

»Tut mir leid«, entschuldigt sich Kiersten. »Meine Mutter sagt, das Fernsehen wäre daran schuld, dass bestimmte Wörter quasi verboten sind. Dadurch, dass jedes Mal, wenn jemand eins von diesen Wörtern sagt, ein Piepsen eingeblendet wird, steigt natürlich der Skandalfaktor und damit automatisch die Zuschauerquote. Aber wenn man diese Wörter regelmäßig verwenden würde, dann würde sich wahrscheinlich keiner mehr darüber aufregen, weil alle daran gewöhnt wären.«

Ich bin sprachlos. Dieses Mädchen ist echt ein Phänomen.

»Dann findet deine Mutter es also gut, wenn du Bullshit sagst?«, fragt Caulder.

Kiersten nickt. »So ähnlich. Sie findet es jedenfalls gut, wenn ich mir nicht von der Gesellschaft diktieren lasse, dass bestimmte Wörter gefährlich sind, obwohl sie nur aus harmlosen Buchstaben bestehen und auch nicht schlimmer sind als zum Beispiel das Wort ›Schmetterling‹. Stellt euch mal vor, jemand würde eines Tages behaupten, Schmetterling wäre ein total krasses Schimpfwort. Dann würden die Leute anfangen, es zu benutzen, um sich gegenseitig zu beleidigen, und man würde bald geschockt angeschaut werden, wenn man es in der Öffentlichkeit ausspricht. Versteht ihr? Das Wort an sich hat keine Bedeutung. Es geht darum, welche Bedeutung wir ihm geben. Aber wenn dann alle ständig bei allen möglichen Gelegenheiten ›Schmetterling‹ sagen würden, würde das irgendwann mal niemanden mehr schockieren, und es würde wieder zu einem ganz normalen, harmlosen Wort werden. Das gilt für alle Schimpfwörter. Je häufiger man sie benutzt, desto normaler werden sie. Wenn wir alle die ganze Zeit ›Bullshit‹ sagen würden, fände das keiner mehr schlimm. Das ist jedenfalls die Theorie meiner Mutter.« Kiersten greift nach einer Pommes und zieht sie durch den Ketchup-See auf ihrem Teller.

Ich habe Kierstens Mutter bisher noch nicht kennengelernt, bin aber wahnsinnig gespannt auf sie. Ihre Tochter ist zwar eindeutig frühreif und sicher auch intelligenter als viele andere Kinder, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie ebenfalls ihren Anteil daran hat, dass Kiersten so geworden ist, wie sie ist. Verglichen mit ihr wirken Kel und Caulder geradezu normal.

»Du bist cool.« Eddie strahlt Kiersten an. »Willst du meine neue beste Freundin werden?«

Lake wirft mit einer Pommes nach Eddie und trifft sie an der Wange. »Hey, was soll der Bullshit?«, sagt sie. »Ich bin deine beste Freundin.«

»Du? Vergiss es! Du bist ein … verschmetterlingter Schmetterling!« Eddie wirft die Pommes in Lakes Richtung zurück.

Ich fange sie ab und lege sie auf den Tisch, weil ich nicht will, dass das Ganze wieder in einer Lebensmittelschlacht endet wie letzte Woche. Beim Aufräumen habe ich später überall am Boden noch Brokkoliröschen gefunden. »Stopp!«, sage ich mit meiner strengsten Lehrerstimme. »Wenn ihr beide heute wieder mit Essen um euch werft, trete ich euch so was von in den Schmetterling, dass ihr nicht mehr wisst, wo oben und unten ist!«

Lake sieht mir an, dass ich es ernst meine, drückt beruhigend den Schenkel gegen meinen und wechselt das Thema. »Okay. Zuckerstück und Säurebad«, sagt sie.

»Zuckerstück und Säurebad?«, wiederholt Kiersten fragend.

»Das ist so ein Spiel, bei dem jeder erzählen muss, was heute toll und was blöd für ihn war«, erklärt Kel. »Das spielen wir immer beim Abendessen.«

»Ach so, verstehe.« Kiersten nickt.

»Okay. Ich fang an«, sagt Eddie. »Mein Säurebad war heute definitiv, dass ich nächstes Semester Montag, Mittwoch und Freitag in die Uni muss. Die Dienstags- und Donnerstagskurse waren alle schon voll.«

Wie bei mir. Jeder möchte natürlich die Dienstags- und Donnerstagskurse belegen. Die Tage sind zwar länger, dafür kann man sie kompakt hinter sich bringen und muss nicht dreimal die Woche an die Uni.

»Und mein heutiges Zuckerstück ist«, Eddie schickt Lake ein teuflisches Grinsen, »Kiersten. Meine neue beste Freundin.«

Lake bewirft Eddie wieder mit Fritten, aber die duckt sich so blitzschnell, dass sie auf dem Boden landen.

»Jetzt reicht’s!« Ich greife nach Lakes Teller und schiebe ihn so weit weg, dass sie nicht mehr drankommt.

Sie klaut sich stattdessen kurzerhand eine von meinen Pommes und steckt sie sich in den Mund.

»Okay, dann sind Sie jetzt dran, Mr Cooper«, sagt Eddie. So nennt sie mich immer, wenn sie findet, dass ich mich wie ein alter Langweiler benehme. »Ihr Zuckerstück und Säurebad, bitte.«

»Mein Säurebad war, als mir klar wurde, dass ich genau wie Eddie Montag, Mittwoch und Freitag zur Uni muss.«

»Was, echt?«, ruft Lake enttäuscht. »Wir hatten doch extra ausgemacht, dass wir dieses Semester beide nur Dienstags- und Donnerstagskurse belegen.«

»Ich hab getan, was ich konnte, Baby«, sage ich achselzuckend. »Aber die Kurse, in denen ich noch Punkte brauche, finden nur an den anderen Tagen statt. Ich hab dir doch eine SMS geschickt, hast du die nicht bekommen?«

»Nein. Ich finde mein Handy mal wieder nicht. Keine Ahnung, wo ich es hingelegt habe.« Lake schiebt die Unterlippe vor. »Und ich hatte mich schon so darauf gefreut, dass wir uns ab jetzt öfter sehen können.«

»Und was war dein Zuckerstück?«, fragt Eddie.

»Das ist leicht«, sage ich, küsse Lake auf die Stirn und sehe ihr in die Augen. »Mein Zuckerstück bist du.«

Die beiden Jungs stöhnen auf. »Kannst du dir nicht mal was Neues einfallen lassen? Layken ist jeden Abend dein Zuckerstück«, murrt Caulder.

»Jetzt bin ich dran«, sagt Lake. »Also für mich war die Anmeldung zu den Kursen das Zuckerstück des Tages. Abgesehen von Statistik bin ich überall reingekommen, wo ich reinwollte. Und mein Säurebad…« Sie sieht Eddie an. »Mein Säurebad ist, dass ich meine beste Freundin an eine Elfjährige verloren habe.«

Eddie streckt ihr die Zunge raus.

»Darf ich als Nächste?«, ruft Kiersten. »Mein Säurebad war, dass ich zum Abendessen bloß labberiges Brot und fettige Fritten bekommen habe«, sagt sie und zeigt anklagend auf ihren Teller.

»Das ist echt frech«, rufe ich. »Wenn du das nächste Mal ohne Voranmeldung bei Fleischfressern zum Abendessen auftauchst, musst du dir deinen Tofu eben selbst mitbringen.«

Kiersten geht nicht auf meinen Kommentar ein. »Mein Zuckerstück hatte ich um drei Uhr nachmittags.«

»Und was war um drei?«, fragt Gavin.

»Da war die Schule endlich aus«, sagt sie. »Ich finde es dort zurzeit nämlich extrem Schmetterling.«

Sie, Kel und Caulder sehen sich an und verdrehen die Augen, als wären sie in dieser Frage alle einer Meinung. Komisch, bisher sind die beiden Jungs eigentlich immer ganz gern in die Schule gegangen. Ich nehme mir vor, Caulder bei Gelegenheit zu fragen, ob irgendwas passiert ist. Lake hat offenbar denselben Gedanken, denn sie stößt mich leicht mit dem Ellbogen an und zieht die Augenbrauen hoch.

»Dann bist du jetzt dran, Wie-auch-immer-du-heißt«, wendet sich Kiersten an Gavin.

»Ich heiße Gavin, und mein Säurebad war, als eine Elfjährige das Wort Genozid verwendet und mir damit klargemacht hat, dass sie mehr Fremdwörter kennt als ich«, sagt er grinsend. »Und mein Zuckerstück hatte ich vorhin, als ich einen Anruf bekommen habe.«

»Von wem denn?«, fragt Eddie, und auch Lake und ich sehen ihn neugierig an.

Gavin lehnt sich in seinem Stuhl zurück und genießt es ganz offensichtlich, uns auf die Folter zu spannen. »Ratet.«

Eddie stößt ihn in die Seite. »Jetzt sag schon!«

»Okay, okay.« Er beugt sich vor und klatscht mit den Handflächen auf die Tischplatte. »Nächste Woche fange ich im Getty’s an. Ich fahre Pizzas aus!« Er strahlt, als hätte er im Lotto gewonnen.

»Du wirst … Pizzabote?«, fragt Eddie verwirrt. »Und das findest du toll?«

»Hallo? Wir reden hier vom Getty’s. Der besten Pizzeria der Stadt, wenn nicht der ganzen Welt. Und ich kann mir endlich was dazuverdienen. Du weißt doch, wie lange ich schon einen Job suche.«

»Wow…« Eddie zuckt mit den Schultern. »Gratuliere«, sagt sie dann, klingt aber nicht wirklich überzeugt.

»Heißt das, wir können alle immer umsonst Pizza essen?«, fragt Kel.

»Umsonst nicht, aber ich bekomme sie billiger und ihr damit auch«, antwortet Gavin.

»Hey, cool. Dann ist das eindeutig mein Zuckerstück!«, jubelt Kel. »Von jetzt an gibt’s jeden Abend Pizza!«

Gavin scheint froh zu sein, dass sich wenigstens einer mit ihm freut.

»Und dein Säurebad?«, frage ich.

»Mein Säurebad war Mrs Brill«, sagt Kel düster.

»Oh Gott, was hat sie jetzt schon wieder gemacht?«, fragt Lake. »Oder besser gesagt, was hast du gemacht, dass du schon wieder zur Direktorin musstest?«

»Das war ich gar nicht allein!«, protestiert er.

Caulder stützt die Ellbogen auf den Tisch und versteckt sein Gesicht hinter den Händen.

»Was habt ihr angestellt?«, frage ich.

Caulder nimmt die Hände runter und schaut Gavin an, worauf der sein Gesicht ebenfalls versteckt und so tut, als würde er meinen Blick nicht bemerken.

»Gavin?«, sage ich streng. »Hast du die beiden etwa wieder zu irgendeinem Quatsch angestiftet?«

Gavin sieht Kel und Caulder gespielt beleidigt an. »Onkel Gavin erzählt euch nie mehr lustige Geschichten aus seiner Jugend. Wegen euch bekommt er immer Stress mit Mr Cooper.«

Kel und Caulder stoßen sich kichernd die Ellbogen in die Rippen.

»Ich kann erzählen, was passiert ist«, bietet Kiersten an. »Es ging darum, dass sie Mrs Brill zum Rennen bringen wollten, weil sie dann angeblich immer mit dem Hintern wackelt wie eine Ente. Meistens geht sie ganz langsam und steif. Deswegen hat Kel beim Mittagessen so getan, als hätte er sich verschluckt und würde ersticken, und Caulder ist aufgesprungen und hat ihm auf den Rücken geklopft. Der Trick hat funktioniert. Mrs Brill ist richtig hysterisch geworden und quer durch die Cafeteria zu unserem Tisch gerannt. Als sie bei uns war, hat Kel behauptet, dass es ihm schon wieder besser geht und Caulder ihm das Leben gerettet hätte. Blöderweise hatte aber schon irgendjemand den Notarzt alarmiert, und ein paar Minuten später standen zwei Kranken- und ein Feuerwehrwagen im Pausenhof. Außerdem hat irgendjemand Kel verpetzt und Mrs Brill gesagt, dass er nur so getan hätte, als würde er ersticken. Und deswegen musste Kel dann nach dem Essen zu Mrs Brill ins Büro.«

Lake vergräbt das Gesicht in den Händen und stöhnt. »Bitte sag mir, dass das nicht stimmt.«

Kel lächelt schief. »Es war doch nur ein Spaß. Ich hätte nie gedacht, dass sie gleich einen Krankenwagen rufen. Na ja, und jetzt … muss ich eine Woche lang nachsitzen.«

»Und warum hat Mrs Brill mich nicht angerufen?«, fragt Lake. »Sonst beschwert sie sich doch auch ständig bei mir über dich.«

»Sie hat es bestimmt versucht«, sagt Kel kleinlaut. »Aber du hast doch vorhin erzählt, dass du dein Handy nicht findest.«

»Mist!« Lake schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Okay, da hast du Glück gehabt. Aber wenn sie mich wieder zu einem Gespräch in die Schule bestellt, kriegst du Hausarrest. Darauf kannst du dich verlassen.«

Ich schaue meinen Bruder an. »Und was ist mit dir, Caulder? Warum hat Mrs Brill mich nicht angerufen?«

Caulder, der die ganze Zeit über zerknirscht getan hat, kann sich jetzt ein Grinsen nicht verkneifen. »Weil Kel mich nicht verpfiffen hat. Er hat Mrs Brill gesagt, ich hätte wirklich geglaubt, dass er erstickt, und versucht, ihm das Leben zu retten«, erzählt er. »Das war übrigens mein Zuckerstück heute. Mrs Brill hat mich nämlich für meine gute Tat gelobt und mir einen Büchergutschein geschenkt.«

Das ist wieder mal typisch. Nur Caulder und Kel schaffen es, einen Streich so hinzubiegen, dass zumindest einer von ihnen seiner gerechten Strafe entgeht und sogar noch belohnt wird. »Ich möchte, dass ihr mit diesem Quatsch ein für alle Mal aufhört«, sage ich streng. »Und du, Gavin, stachelst sie nicht mehr mit irgendwelchen Geschichten auf.«

»Nie mehr. Ehrenwort, Mr Cooper«, sagt Gavin mit gespielter Reue. »Aber eine Frage habe ich noch.« Er sieht die Kinder an. »Wackelt sie denn wirklich mit dem Hintern, wenn sie rennt?«

»Und wie!« Kiersten kichert. »Dazu flattert sie noch mit den Armen wie mit Flügeln. Eine Ente ist nichts dagegen! Aber jetzt ist Caulder dran. Dein Zuckerstück kennen wir ja schon, aber was war dein Säurebad heute?«

Caulders Blick wird ernst. »Hallo? Was für eine Frage. Mein bester Freund wäre beinahe erstickt. Er hätte sterben können!«

Daraufhin müssen wir alle lachen – auch Lake und ich. Wir nehmen unsere Aufgabe als Ersatzeltern zwar sehr ernst, aber manchmal fällt es uns schwer, Kel und Caulder gegenüber immer vernünftig und erwachsen zu sein. Schließlich sind wir nur ihre älteren Geschwister. Lake sagt, dass es wichtig ist, nicht an zu vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen, weshalb wir die Schlachten, die wir mit den Jungs ausfechten, sorgfältig auswählen. Als ich sie lachen sehe, schließe ich daraus, dass wir für heute genug gekämpft haben.

»Darf ich jetzt bitte meinen Burger weiteressen«, fragt sie und deutet auf ihren Teller, der immer noch rechts neben mir steht.

»Na klar.« Ich schiebe ihn ihr hin.

»Vielen Dank, Mr Cooper«, sagt sie.

»Hey!« Ich stoße sie mit dem Knie an. Sie weiß ganz genau, dass ich es hasse, wenn sie mich so nennt, obwohl ich eigentlich gar nicht genau sagen kann, warum. Vielleicht weil ich die Monate, in denen ich tatsächlich ihr Lehrer gewesen bin, als absolute Folter empfunden habe.

Unser erstes Date war so perfekt, dass es mich umgehauen hat. Ich hatte bis dahin noch nie einen Menschen getroffen, dem ich mich vom ersten Moment an so nahe fühlte und in dessen Gegenwart es mir so leichtfiel, einfach ich selbst zu sein. Das ganze darauf folgende Wochenende hatte ich nur sie im Kopf und konnte es nicht erwarten, sie endlich wiederzusehen. Als ich dann am Montag in der Schule um die Ecke bog und sie im Flur vor meinem Klassenzimmer stehen sah, fühlte sich das an, als hätte mir jemand ein Messer in die Brust gerammt. Mir war sofort klar, was das bedeutete – sie brauchte etwas länger, um zu verstehen. Aber als ihr dämmerte, dass ich ihr Lehrer war, trat ein Ausdruck in ihre Augen, der mir das Herz zerriss. Sie sah aus, als wäre für sie gerade eine Welt zusammengebrochen. Und das konnte ich ihr verdammt gut nachfühlen. Denn mir ging es genauso.

Kiersten steht auf und bringt ihren Teller zum Spülbecken. »Ich muss jetzt gehen. Danke für das Hamburgerbrötchen und die Fritten«, sagt sie. »Beides war wirklich exzellent.«

»Ich bring dich nach Hause«, sagt Kel und springt auf. Lake runzelt die Stirn, und ich sehe ihr an, dass ihr das alles ein bisschen zu schnell geht. Wahrscheinlich hat sie Angst, schon viel zu bald überschäumende Pubertätshormone in Schach halten zu müssen.

»Ich geh in mein Zimmer und schau noch ein bisschen fern«, verkündet Caulder und schiebt seinen Stuhl zurück. »Bis morgen, Kel. Nacht, Kiersten.«

»Ich finde die Kleine echt cool«, sagt Eddie, nachdem die Kinder verschwunden sind. »Hoffentlich wird sie Kels erste Freundin. Kiersten passt perfekt in unsere Großfamilie. Ich will, dass die beiden heiraten und ganz viele durchgeknallte Kinder kriegen.«

»Bitte sag so was nicht, Eddie«, stöhnt Lake. »Er ist erst zehn!«

»In acht Tagen wird er elf«, mischt sich Gavin ein. »Das ist das ideale Alter, um erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln.«

Lake wirft Gavin eine Handvoll Pommes ins Gesicht.

Ich schüttle seufzend den Kopf. Dieses Mädchen ist einfach unverbesserlich. »Wer mit Lebensmitteln schmeißt, muss aufräumen«, sage ich zu ihr und Eddie. »Ich hab euch gewarnt. Komm, Gavin, lass uns Football schauen, wie es sich für echte Kerle gehört, während die beiden Weiber tun, was ihre natürliche Bestimmung ist.«

Gavin schiebt Eddie sein Glas hin. »Schenk mir noch mal nach, Weib.«

Als wir drüben sitzen und Eddie und Lake sich kichernd in der Küche zu schaffen machen, nutze ich die Gelegenheit, Gavin um einen Gefallen zu bitten.

»Ich weiß, dass es viel verlangt ist, aber … könntet ihr vielleicht mit den Jungs morgen Abend ins Kino gehen? Lake und ich hatten seit Wochen keine einzige Sekunde für uns.«

Als Gavin nicht sofort antwortet, bereue ich es, ihn gefragt zu haben. Wahrscheinlich haben er und Eddie schon andere Pläne.

»Kommt darauf an«, sagt er zögernd. »Müssen wir diese Kiersten auch mitnehmen?«

Ich lache. »Das muss Eddie entscheiden. Schließlich ist sie ihre neue beste Freundin.«

Gavin grinst. »Oh Mann. Zwei solche verrückten Hühner halte ich nicht aus. Aber die Jungs nehme ich gerne mit, wir wollten morgen sowieso ins Kino. Wie lange sollen wir sie denn beschäftigen? Was habt ihr vor?«

»Nichts Besonderes. Wir bleiben hier. Ich will Lake nur ein paar Stunden für mich haben. Es gibt da was, was ich ihr geben möchte.«

»Oh, verstehe«, sagt Gavin verschwörerisch. »Schick mir eine SMS, wenn du es ihr gegeben hast, und wir bringen die Jungs wieder nach Hause.«

Ich muss grinsen. Typisch, dass er sofort an das eine denkt. Ich mag Gavin wirklich und bin froh, jemanden zu haben, mit dem ich alles besprechen kann. Das Einzige, was mich manchmal ein bisschen stört, ist das Gefühl, dass nichts von dem, was zwischen mir und Lake oder ihm und Eddie passiert, geheim bleibt. Aber so ist das eben, wenn man mit der besten Freundin der Freundin des besten Freundes zusammen ist.

Eddie kommt aus der Küche. »Wir müssen los«, sagt sie und zieht Gavin von der Couch hoch. »Danke für die köstlichen Burger, Will. Ach so, das hätte ich fast vergessen – Joel möchte euch nächstes Wochenende zum Essen einladen. Er macht Tamales.«

»Oh, toll. Ich liebe mexikanisches Essen«, sage ich. »Richte ihm bitte aus, dass wir sehr gerne kommen.«

Nachdem die beiden gegangen sind, setzt Lake sich zu mir auf die Couch, zieht die Beine an und kuschelt sich an mich. Ich lege den Arm um sie und ziehe sie noch ein Stückchen näher an mich heran.

»Echt blöd, dass das mit deinen Kursen nicht geklappt hat«, sagt sie. »Ich hatte mich so darauf gefreut, dass wir dieses Semester ein bisschen mehr Zeit füreinander haben. Mit diesen verschmetterlingten Rabauken, die ständig um uns herumwuseln, kommt Zweisamkeit bei uns definitiv zu kurz.«

Eigentlich könnte man denken, wir würden uns oft genug sehen – schließlich wohnen wir praktisch Tür an Tür. Aber so ist es leider nicht. Letztes Semester hatte Lake montags, mittwochs und freitags Uni und ich sogar an allen fünf Tagen. An den Wochenenden müssen wir unser Lernpensum bewältigen und Caulder und Kel zu ihren diversen Baseball-, Football- und Eishockeyspielen fahren und sie anfeuern. Für Lake ist das alles doppelt schwer, weil sie noch immer sehr um ihre Mutter trauert und kaum mal einen Moment ganz für sich hat.

Mittlerweile ist eine gewisse Routine eingekehrt und wir stemmen den Alltag ganz gut. Das Einzige, was uns fehlt, ist Zeit für uns. Irgendwie käme es uns seltsam vor, wenn wir die Jungs im einen Haus sich selbst überlassen und ins andere rübergehen würden, nur um allein sein zu können. Abgesehen davon würde das sowieso nicht funktionieren, weil sie immer da sein wollen, wo wir sind, und uns automatisch folgen.

»Das stehen wir auch noch durch«, tröste ich sie. »Bis jetzt haben wir alles durchgestanden.«

Sie legt ihre Hände an meine Wangen, zieht mein Gesicht zu sich herunter und küsst mich. So unwahrscheinlich es klingt: Selbst nach einem Jahr kommt es mir immer noch so vor, als würden unsere Küsse mit jedem Mal schöner und überwältigender werden.

»Dann geh ich jetzt mal rüber«, flüstert sie. »Ich muss morgen ganz früh zur Uni fahren, um die Sekretärinnen zu bezirzen. Außerdem sollte ich vielleicht mal nachsehen, ob Kel nicht irgendwo da draußen mit Kiersten rumknutscht.«

Jetzt lachen wir noch darüber, aber in ein paar Jahren werden wir auf zwei heftig pubertierende Jungmänner aufpassen müssen. Der Gedanke macht mir ein bisschen Angst.

»Moment noch. Bevor du gehst … Hast du für morgen Abend schon irgendwelche Pläne?«

Lake grinst. »Was für eine Frage«, sagt sie. »Du bist mein einziger Plan, Baby.«

»Perfekt. Eddie und Gavin gehen mit den Jungs nämlich ins Kino. Um sieben kommst du zu mir rüber. Okay?«

Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »War das jetzt gerade die Einladung zu einem Date?«

Ich nicke.

»Ach Will.« Sie schüttelt den Kopf. »In Sachen Romantik musst du echt noch einiges lernen. Es heißt nicht umsonst, um ein Date bitten und nicht ein Date anordnen.«

Natürlich weiß ich, dass sie nur so spröde tut, aber ich spiele mit, gehe vor ihr auf die Knie und sehe ihr tief in die Augen. »Ich wäre über alle Maßen entzückt, wenn du mir die Ehre erweisen würdest, den morgigen Abend mit mir zu verbringen.«

Sie lehnt sich ins Polster zurück und runzelt die Stirn. »Ich weiß nicht. Morgen hab ich ziemlich viel zu tun«, sagt sie desinteressiert. »Ich werfe mal einen Blick in meinen Terminkalender und gebe dir dann Bescheid, okay?« Sie versucht, gelangweilt auszusehen, kann aber nicht verhindern, dass es um ihre Mundwinkel zuckt. Im nächsten Moment hält sie es nicht mehr aus, beugt sich vor und umarmt mich so stürmisch, dass ich nach hinten kippe und wir zusammen auf dem Teppich landen. Sie sieht lachend zu mir auf, als ich sie sanft auf den Rücken drehe.

»Also gut. Ich lasse mich von dir zu einem Date einladen. Aber nur unter einer Bedingung. Du musst mich zu Hause abholen.«

Ich streiche ihr eine Haarsträhne aus den Augen und zeichne langsam die Konturen ihres Gesichts nach. »Ich liebe dich, Lake.«

»Sag es noch mal«, flüstert sie.

Ich küsse sie auf die Stirn und wiederhole, was ich gesagt habe. »Ich liebe dich, Lake.«

»Noch mal.«

»Ich.« Ich küsse sie auf die Lippen. »Und liebe.« Ich küsse sie noch einmal. »Und dich.«

»Und ich liebe dich.«

Ich verschränke meine Hände mit ihren, ziehe ihre Arme über den Kopf und beuge mich vor, als wollte ich sie küssen – verharre dann aber ein paar Millimeter vor ihrem leicht geöffneten Mund. Es macht mir Spaß, sie so in den Wahnsinn zu treiben. Ich nähere mich ihren Lippen, bis sich ihre Lider flatternd schließen, und lehne mich im letzten Moment wieder zurück. Als sie die Augen aufschlägt, grinse ich und beuge mich wie in Zeitlupe wieder vor, aber sobald sie die Augen erneut schließt, richte ich mich wieder auf.

»Verschmetterlingt, Will!«, fleht sie. »Küss mich endlich!«

Sie befreit ihre Hände aus meinem Griff, schlingt sie um meinen Nacken und zieht mich zu sich herunter. Und dann versinken wir in einem Kuss, der uns alles vergessen lässt, bis Lake im letzten Moment das Rückzugssignal gibt, wie wir es nennen.

»Stopp!« Keuchend kämpft sie sich unter mir hervor und richtet sich auf, während ich mich auf den Rücken rolle und versuche, wieder zu Atem zu kommen.

Bis jetzt ist immer einer von uns noch geistesgegenwärtig genug gewesen, rechtzeitig die Bremse zu ziehen, bevor wir völlig die Kontrolle verloren haben. Nur ein Mal wäre es uns fast nicht gelungen – und zwar zu einem Zeitpunkt, der in jeder Hinsicht nicht der richtige war und vor allem viel zu früh.

Wir waren damals erst seit zwei Wochen »offiziell« zusammen. Caulder schlief bei Kel drüben, wo Julia auf die beiden aufpasste, während Lake und ich beim Poetry Slam im Club N9NE waren. Auf der Rückfahrt beschlossen wir, noch ein bisschen zu mir rüberzugehen, und parkten den Wagen an der Straßenecke, damit Julia nicht mitbekam, dass wir schon wieder zurück waren. Wir setzten uns im Dunkeln auf die Couch und begannen uns zu küssen. Ganz behutsam und vorsichtig erst, dann immer leidenschaftlicher, bis keiner von uns beiden mehr in der Lage war, aufzuhören. Wir hätten miteinander geschlafen, wenn Julia sich nicht irgendwann gefragt hätte, wo ihre Tochter blieb, und sich auf die Suche nach ihr gemacht hätte.

Als plötzlich das Licht im Zimmer anging und sie vollkommen entsetzt vor uns stand, wäre ich am liebsten gestorben. Sie war unglaublich wütend. Nicht weil wir fast Sex gehabt hätten – schließlich war Lake damals schon achtzehn –, sondern weil wir versucht hatten, sie zu hintergehen, indem wir den Wagen woanders geparkt hatten. Julia fand unsere Trickserei würdelos. Ich habe mich wahnsinnig geschämt, weil ich natürlich genau spürte, wie sehr es ihr Vertrauen in mich erschütterte, dass ich bereit gewesen wäre, schon nach so kurzer Zeit mit Lake zu schlafen, obwohl sie noch Jungfrau war.

Julia nahm uns das Versprechen ab, mit dem Sex noch ein Jahr zu warten, und arrangierte einen Termin beim Frauenarzt für Lake, um ihr für alle Fälle die Pille verschreiben zu lassen. Außerdem bat sie uns, innerhalb dieses Jahres nachts immer getrennt zu schlafen. Ich glaube, es ging ihr dabei nicht nur um uns, sondern vor allem auch um Caulder und Kel. Die beiden sollten nicht noch zusätzlich verunsichert werden – schließlich war die Zeit durch Julias Krankheit für Kel hart genug. Aus Respekt vor ihr haben wir uns auch nach ihrem Tod an unser Versprechen gehalten, obwohl es uns schwergefallen ist … verdammt schwer.

Letzte Woche war das Wartejahr vorbei, aber ich habe Lake nicht darauf angesprochen, weil ich sie auf gar keinen Fall unter Druck setzen will. Sie soll selbst entscheiden, wann sie bereit ist. Bis jetzt hat sie noch nichts gesagt, aber wir waren eben auch schon sehr lange nicht mehr allein miteinander.

Sie küsst mich ein letztes Mal, dann steht sie auf. »Wir sehen uns morgen Abend. Sieben Uhr. Sei pünktlich.«

»Such dein Handy und schick mir noch eine Gute-Nacht-SMS, ja?«, bitte ich.

Lake öffnet die Tür, dreht sich noch einmal zu mir um und sieht mich an.

»Noch mal?«

»Ich liebe dich.«

2.

Freitag, 6. Januar

Gleich gebe ich Lake das Päckchen. Irgendwie komisch, dass ich selbst nicht weiß, was drin ist. Ich bin nervös und habe totales Herzklopfen. Wir kennen uns jetzt schon so lange, und trotzdem fühle ich mich vor jedem Date mit ihr, als wäre es unser erstes. Unglaublich.

»Und bitte redet kein Rückwärtsisch. Ihr wisst, dass Gavin damit immer völlig überfordert ist«, schärfe ich den Jungs zum Abschied ein, bevor ich die Tür hinter ihnen schließe.

Es ist kurz vor sieben. Nachdem ich mir die Zähne geputzt habe, nehme ich den Schlüssel vom Küchentresen, gehe zum Wagen und bemerke drüben Lakes Schatten hinter dem Vorhang. Ich glaube nicht, dass sie es weiß, aber ich habe es immer gesehen, wenn sie mich von ihrem Wohnzimmerfenster aus heimlich beobachtet hat. Besonders in den Wochen, in denen ich den Kontakt zu ihr auf ein Minimum beschränken musste, war es wahnsinnig tröstlich, jeden Tag ihre Silhouette am Fenster zu sehen. Das gab mir die Hoffnung, dass sie vielleicht doch auf mich wartete, obwohl ich ihr so deutlich gesagt hatte, dass ich das nicht wollte. Nach dem Vorfall in der Wäschekammer habe ich sie allerdings nie mehr hinter dem Vorhang gesehen. Damals war ich mir sicher, dass ich es endgültig vermasselt hatte.

Während ich aus unserer Einfahrt quer über die Straße direkt in ihre fahre, kommt sie schon zur Haustür heraus. Ich lasse den Motor laufen, steige aus und gehe um den Wagen herum, um ihr die Tür zu öffnen. Als ich mich wieder hinters Steuer setze, steigt mir ihr Parfüm in die Nase. Vanille … Wie ich diesen Duft liebe.

»Wohin fahren wir?«, fragt sie.

»Abwarten«, sage ich und lege den Gang ein. »Das ist eine Überraschung.« Statt rechts oder links abzubiegen, rolle ich wieder in unsere Einfahrt, stelle den Motor ab, steige aus, gehe um den Wagen herum und öffne ihr die Tür.

»Was soll das, Will?«

Ich greife nach ihrer Hand und helfe ihr, auszusteigen. »Wir sind da.«

Ich liebe den verwirrten Blick auf ihrem Gesicht.

»Wir bleiben zu Hause? Verdammt, Will, ich hab mich extra schön gemacht. Ich hatte mich so darauf gefreut, mal wieder auszugehen. Das ist doch kein Date!«

Ich führe sie lachend ins Haus. »Ich habe dich auch nicht auf ein Date eingeladen, sondern dich nur gefragt, ob du irgendetwas vorhast. Das mit dem Date hast du gesagt.«

Lake folgt mir in die Küche, wo ich zwei Teller mit Spaghetti alla Carbonara fülle, die ich uns zum Abendessen vorbereitet und warm gehalten habe. Statt zum Esstisch gehe ich damit ins Wohnzimmer und stelle sie auf den Couchtisch, wo bereits ein Korb mit Brot, Gläser und eine Kanne Eistee stehen. Lake zieht ihre Jacke aus und setzt sich auf den Boden. Auch wenn sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, kann ich sehen, wie enttäuscht sie ist.

Wir setzen uns nebeneinander und beginnen zu essen.

»Ich will echt nicht undankbar erscheinen…«, sagt sie nach einer Weile. »Ich finde es total süß von dir, dass du für uns gekocht hast, ehrlich. Es ist nur … wir waren schon so lange nicht mehr zusammen weg, und ich hatte mich darauf gefreut, mal was anderes zu machen.«

Ich greife nach meinem Glas und trinke einen Schluck. »Das geht mir genauso. Aber der Abend heute ist sozusagen für uns vorgeplant worden. Ich habe das nicht entschieden.«

Lake sieht mich verständnislos an. »Für uns vorgeplant worden? Von wem denn?«

Ich lächle nur und esse weiter.

»Will, jetzt sag mir, was das soll. Du machst mich total nervös mit deiner Geheimniskrämerei.«

Ich grinse und trinke noch einen Schluck Eistee. »Ich will dich nicht nervös machen, Lake. Wirklich nicht. Ich mache nur, worum ich gebeten wurde.«

Als sie merkt, wie sehr ich es genieße, sie im Dunkeln tappen zu lassen, ändert sie ihre Taktik. »Ist ja auch nicht so wichtig. Wenigstens ist das Essen gut.«

»Die Gesellschaft auch«, sage ich.

Lake zwinkert mir zu und wickelt Spaghetti auf.

Sie trägt ihre Haare heute offen. Ich finde sie immer wunderschön, wenn sie ihr in weichen Wellen auf die Schultern fallen. Wobei ich sie auch wunderschön finde, wenn sie die Haare hochsteckt oder zum Pferdeschwanz bindet. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie schon jemals eine Frisur hatte, die mir nicht gefiel. Lake ist einfach immer wunderschön … und am allerschönsten ist sie dann, wenn sie es nicht darauf anlegt.

Anscheinend habe ich sie sehr lange so gedankenverloren angesehen, denn ich merke plötzlich, dass ich kaum etwas gegessen habe, während sie schon fast fertig ist.

Sie wischt sich mit der Serviette über die Lippen. »Will?«, fragt sie leise. »Hat dieses Date etwas mit Mom zu tun? Du weißt schon … mit dem, was wir ihr versprochen haben?«

Ich weiß, was sie meint, und fühle mich sofort mies. Ich hätte mir denken können, dass sie glaubt, das wäre der Grund, warum ich sie allein sehen wollte. Dabei sollte sie doch auf gar keinen Fall das Gefühl bekommen, ich würde irgendetwas von ihr erwarten.

»Ja, hat es. Aber nicht so, wie du denkst«, sage ich und greife nach ihrer Hand. »Das, woran du gedacht hast – falls du daran gedacht hast –, wird irgendwann passieren … aber erst, wenn du bereit bist.«

Sie lächelt mich an. »Ich bin bereit.«

Das erwischt mich so unvorbereitet, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich habe mich schon so daran gewöhnt, dass immer einer von uns das Rückzugssignal gibt, dass ich gar nicht auf den Gedanken gekommen bin, heute Abend könnte das anders sein.

Lake sieht plötzlich aus, als wäre ihr ihre Offenheit peinlich. Sie nimmt sich ein Stück Brot aus dem Korb, tunkt damit einen Rest Soße auf und steckt es sich in den Mund. Nachdem sie es aufgegessen hat, greift sie nach ihrem Glas und sieht mich an.

»Als ich dich gefragt habe, ob das Ganze etwas mit Mom zu tun hat, hast du gesagt: ›Ja, aber nicht so, wie du denkst.‹ Was hast du damit gemeint? Es hat also etwas mit ihr zu tun?«

Ich stehe auf, nehme ihre Hand und ziehe sie hoch. Sie schlingt die Arme um mich und schmiegt sich an meine Brust.

»Ja, hat es«, sage ich.

Lake hebt den Kopf und sieht mich stumm an.

»Sie hat mir außer den Briefen noch etwas gegeben…«

Julia hat vor ihrem Tod Abschiedsbriefe an Lake und Kel geschrieben, die sie an Weihnachten bekommen haben, und außerdem ein Päckchen gepackt, das für mich und Lake bestimmt war. Eigentlich hätten wir es auch an Weihnachten aufmachen sollen, aber in dem ganzen Trubel hatte es keinen einzigen ruhigen Moment gegeben und auch seitdem nicht.

»Komm mit.« Ich nehme sie an der Hand und führe sie in mein Zimmer, wo auf dem Bett das Päckchen steht.

Lake streicht mit den Fingerspitzen andächtig über das Papier und die rote Schleife.

»Hat sie das eingepackt?«, fragt sie leise.

Ich nicke. Wir setzen uns, das Geschenk zwischen uns, im Schneidersitz einander gegenüber aufs Bett. Oben auf dem Päckchen klebt ein Umschlag, auf dem unsere Namen stehen und die Bitte, ihn erst zu öffnen, nachdem wir es ausgepackt haben.

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du noch etwas von ihr für mich hast? Ist das jetzt das letzte Geschenk oder kommt da noch mehr?« In ihren Augen glitzern Tränen, die sie wegzublinzeln versucht. Ich weiß nicht, warum sie es so schlimm findet, zu weinen.

»Es ist das letzte, Ehrenwort«, sage ich und wische ihr mit dem Zeigefinger behutsam eine Träne weg, die über ihre Wange rollt. »Julia wollte, dass wir es zusammen aufmachen, wenn wir ungestört sind.«

Lake strafft die Schultern und atmet tief durch. »Und wer darf es auspacken? Du oder ich?«, fragt sie.

»Das ist eine dumme Frage«, sage ich.

»Es gibt keine dummen Fragen«, antwortet sie. »Ich dachte, so etwas weiß man als Lehrer, Mr Cooper.« Sie beugt sich vor, küsst mich auf die Lippen, legt den Umschlag neben sich aufs Bett und beginnt dann, die Schleife zu lösen. Ich sehe zu, wie sie eine Ecke des Papiers zurückschlägt, unter dem ein Karton zum Vorschein kommt, der dick mit Klebeband umwickelt ist.

»Mein Gott, das sind ja mindestens sechs Schichten! So ähnlich sah wahrscheinlich dein Auto damals aus, nachdem Gavin und Eddie damit fertig waren.« Sie grinst.

»Wahnsinnig witzig«, sage ich. Ich streichle über ihr Knie und sehe zu, wie sie mit dem Daumennagel das Klebeband löst und es abzuziehen beginnt. Als sie fast fertig ist, hält sie plötzlich inne.

»Danke, dass du das für mich tust«, sagt sie ernst. »Und für Mom. Danke, dass du ihren letzten Wunsch erfüllst.« Sie wiegt den Karton in den Händen. »Weißt du, was drin ist?«, fragt sie.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Hoffentlich kein Hundewelpe. Das Päckchen lag jetzt monatelang unter meinem Bett.«

Sie lacht. »Irgendwie macht mich das total nervös. Und ich will auf gar keinen Fall wieder weinen.« Sie zögert, bevor sie den Deckel aufklappt, das zerknüllte Seidenpapier entfernt und vorsichtig unser Geschenk herausnimmt. Es ist eine runde Glasvase, die bis zum Rand mit kleinen gefalteten Papiersternen in allen Farben gefüllt ist. Es müssen Hunderte sein.

»Was ist das?«, frage ich leise.

»Ich weiß es nicht, aber es sieht wahnsinnig schön aus«, flüstert Lake.

Während ich noch über die Bedeutung der Sterne rätsele, nimmt sie den Umschlag, öffnet ihn und zieht eine Karte heraus. Ihre Augen füllen sich sofort wieder mit Tränen, als sie die Schrift ihrer Mutter sieht, und sie hält sie mir schnell hin. »Kannst du sie bitte vorlesen?«

Meine liebste Lake, mein lieber Will,

es gibt nichts Schöneres im Leben, als Liebe zu finden, aber wohl auch nichts Schwierigeres, als sie dauerhaft zu halten, und viel zu oft wird sie leichtfertig weggeworfen.

Ihr habt beide keine Mutter und keinen Vater mehr, an die ihr euch wenden könnt, wenn ihr in eurer Beziehung an einen Punkt kommt, an dem ihr nicht mehr weiterwisst. Keine Schulter, an der ihr euch ausweinen könnt, wenn es schwierig wird – und es wird schwierig werden. Ihr könnt die schönen, die lustigen und die glücklichen Momente, die ihr erleben werdet, nicht mehr mit uns teilen, und auch nicht den Herzschmerz. Ihr habt nur euch beide, und das bedeutet, dass ihr noch mehr tun müsst als andere Paare, um ein stabiles Fundament für eure gemeinsame Zukunft zu errichten. Ihr seid nicht nur Liebende, sondern zugleich auch engste Vertraute.

Ich habe ein paar Gedanken, die ich im Laufe meines Lebens gesammelt habe, auf Papierstreifen geschrieben und zu Sternen gefaltet. Wenn ihr sie öffnet, werdet ihr inspirierende Worte und Gedichte von klugen Menschen finden und zwischendurch auch immer mal wieder den Rat einer liebenden Mutter.

Ich wünsche mir, dass ihr immer dann einen der Sterne herausnehmt und lest, wenn ihr das Gefühl habt, Rat oder Trost zu brauchen. Diese Sterne sind für die schlechten Stunden gedacht, für die Momente, in denen ihr streitet oder in denen ihr etwas braucht, das euch Mut macht oder eure Laune hebt. Ihr könnt sie zusammen öffnen oder für euch allein, wann immer euch danach ist. Ich wünsche mir, dass der Inhalt dieser Vase euch Trost und Kraft spendet, wenn ihr beides am nötigsten braucht.

Will – ich bin so froh, dass du in unser Leben getreten bist. Das Wissen, dass du meine Tochter liebst und an ihrer Seite bist, hat mir viel von dem Schmerz und den Sorgen genommen, die mich in den vergangenen Monaten gequält haben. Dafür danke ich dir.

Meine Stimme bricht und Lake greift nach meiner Hand. Sie wischt sich über die Augen und auch ich muss schlucken und gegen die Tränen ankämpfen. Nachdem ich tief Luft geholt habe, räuspere ich mich und lese weiter.

Du bist ein wunderbarer Mensch und hast dich in dieser schweren Zeit als einzigartiger Freund erwiesen. Es erleichtert mich ungeheuer, dass du meine Tochter so liebst, wie du es tust, weil ich spüre, dass du sie aus tiefstem Herzen respektierst, dass du sie nicht verändern möchtest und dass du sie inspirierst, ein besserer Mensch sein zu wollen. Und ich weiß, dass sie dich auf dieselbe Weise liebt. Es ist nicht in Worte zu fassen, wie viel Gutes du mir damit tust.

Meine liebste Lake,

spürst du, wie ich dich gerade leicht mit der Schulter anstupse, um dir zu zeigen, wie glücklich ich mit deiner Wahl bin? Ich hätte dir keinen besseren Mann aussuchen können als den, den du dir selbst gesucht hast.

Ich danke dir so sehr, dass du dafür gekämpft hast, dass unsere Familie zusammenbleibt. Du hattest von Anfang an recht mit deiner Einschätzung, dass Kel bei dir aufwachsen muss, und ich bin froh, dass du mir geholfen hast, das zu erkennen. Wenn er schwere Zeiten durchmacht, erinnere ihn bitte daran, dass irgendwann immer der Punkt kommt, an dem man aufhören muss, Kürbisse zu schnitzen.

Ich liebe euch beide über alles und wünsche euch ein Leben voller gemeinsamem Glück.

Eure Mom und Julia

»And all around my memories, you dance«

– The Avett Brothers

Ich schiebe die Karte wieder in den Umschlag zurück. Lake nimmt die Vase mit den Sternen in die Hände und dreht sie langsam, um sie von allen Seiten zu betrachten.

»Ich musste gerade daran denken, wie ich einmal in ihr Zimmer gekommen bin. Sie lag im Bett und hat Papierstreifen zu Sternen gefaltet. Als ich mich zu ihr gesetzt habe, hat sie sie schnell zur Seite geschoben«, erzählt sie leise. »Das hatte ich ganz vergessen. Es sind so viele. Sie muss eine Ewigkeit dafür gebraucht haben.«

Während Lake gedankenverloren die Sterne betrachtet, betrachte ich sie. Schließlich wischt sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und lächelt. Ich staune immer wieder über ihre Tapferkeit.

»Am liebsten würde ich jetzt sofort alle auf einmal lesen, und gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir niemals auch nur einen einzigen öffnen müssen«, sagt sie.

»Du bist großartig, Lake. Genau wie deine Mutter.« Ich beuge mich vor, um ihr einen Kuss zu geben. Dann nehme ich ihr die Vase sanft aus den Händen und stelle sie behutsam auf die Kommode. Lake greift nach dem Karton, verstaut das Geschenkpapier und die Schleife darin und legt den Umschlag mit der Karte auf den Nachttisch. Anschließend bleibt sie einen Augenblick unschlüssig sitzen und lässt sich dann rücklings aufs Bett fallen. Ich lege mich neben sie, stütze mich auf einen Ellbogen und schlinge einen Arm um ihre Taille.

»Wie geht es dir jetzt?«, frage ich, weil ich nicht einschätzen kann, was Julias Geschenk in ihr ausgelöst hat.

Sie sieht mich an und lächelt. »Ich dachte, es würde wehtun, zu hören, was sie geschrieben hat, aber genau das Gegenteil ist passiert. Es hat mich glücklich gemacht.«

»Mich auch«, sage ich. »Ich hatte echt ein bisschen Angst, es könnte ein Welpe sein.«