Wer nicht küsst, der nicht gewinnt - Karen Clarke - E-Book

Wer nicht küsst, der nicht gewinnt E-Book

Karen Clarke

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Beschreibung

Eine rasante romantische Komödie mit einer Prise Übersinnlichem

Sasha ist glücklich: Mit ihrer Freundin Rosie betreibt sie eine florierende Cateringfirma, und ihre Traumhochzeit steht kurz bevor. Ihr Zukünftiger: Pete. Liebevoll, treu und – von seiner intriganten Mutter einmal abgesehen – eigentlich perfekt. Doch dann taucht wie aus dem Nichts ein attraktiver Fremder auf und tischt eine unglaubliche Geschichte auf. Elliott erklärt, aus der Zukunft zu kommen und Sashas Seelenverwandter zu sein. Um nicht ins eigene Unglück zu rennen, müsse sie ihn in der Gegenwart suchen und für sich gewinnen. Klingt nach einem schlechten Scherz. Aber was, wenn er wirklich der Richtige ist?

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Seitenzahl: 468

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Buch

Für Sasha läuft alles rund: Mit ihrer besten Freundin Rosie betreibt sie eine florierende Catering-Firma, und ihre Traumhochzeit steht kurz bevor. Gefunden hat sie ihren Zukünftigen über eine Online-Partnerbörse. Gut, Pete ist vielleicht nicht sonderlich aufregend – aber dafür liebevoll, treu und, von seiner intriganten Mutter einmal abgesehen, eigentlich perfekt!

Doch als Sasha gerade das Hochzeitskleid anprobiert, taucht wie aus dem Nichts ein attraktiver Fremder auf und tischt ihr eine schier unglaubliche Geschichte auf. Elliot Frobisher, in den Vierzigern, zerzaust und verwirrt, erklärt, aus der Zukunft zu kommen und Sashas Seelenverwandter zu sein. Um nicht ins eigene Unglück zu rennen, müsse sie ihn in der Gegenwart suchen und für sich gewinnen. Der Haken: Der Gegenwarts-Elliot ist nicht nur ein ziemlicher Mistkerl, vor allem ist er längst vergeben. Das klingt nach einem schlechten Scherz. Aber was, wenn er wirklich der Richtige ist? Sashas Neugier ist geweckt – und das Liebeschaos damit vorprogrammiert …

Autorin

Karen Clarke ist in Scarborough, North Yorkshire, geboren und aufgewachsen und lebt heute mit ihrem Ehemann, ihren drei Kindern und dem Hund »Molly« in »Down South«.

Karen Clarke

Wer nicht küsst,

der nicht gewinnt

Roman

Aus dem Englischen

von Claudia Franz

Der englische Originaltitel lautet:

»My Future Husband«

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung August 2012

Copyright © 2012 by Karen Clarke

Published by Arrangement with Karen Clarke

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,

30827 Garbsen

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagillustration: FinePic c/o Zero Werbeagentur

Redaktion: Henriette Schimanski

LT · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-07673-3

www.goldmann-verlag.de

1. Kapitel

Es waren noch genau vier Wochen, sechzehn Stunden und zweiunddreißig Minuten bis zu meiner Hochzeit.

Alles war in bester Ordnung. Die Räumlichkeiten waren gemietet, die Flitterwochen geplant, und das Brautkleid meiner Mutter, das ich hatte ändern lassen, saß perfekt. Jetzt hieß es nur noch abwarten. Es war zu schön, um wahr zu sein, ich hätte es wissen müssen. Wie sich jetzt erst herausstellte, hatte ich meinen Zukünftigen noch gar nicht kennengelernt.

2. Kapitel

An jenem Mittwochabend stand ich in voller Brautmontur vorm Spiegel in meinem Schlafzimmer, angefangen bei Mums zeitlosem Brautkleid – einer körperbetonten, elfenbeinfarbenen Säule mit aufwändigem Perlenbesatz und großzügigem Dekolleté – über idiotisch teure Seidenstrümpfe bis hin zu abenteuerlich hohen, cremefarbenen Peeptoes von Louboutin, die mich vier Zentimeter größer machten, als der Bräutigam es war. Ausnahmsweise war mir das aber egal.

Nicht schlecht, Sasha, gar nicht schlecht. Wenn ich die Augen zusammenkniff, sah ich mich selbst fast als Model, höchstens ein bisschen dicker. Eine diffuse Wärme durchströmte mich, und in meinem Bauch tanzten die Schmetterlinge. Endlich wurde es wahr. Pete hatte Ja gesagt, und schon bald würden wir Mr. und Mrs. Treadwell sein. Obwohl ich über den Onlinedienst ›Perfect Partners‹ immer die Nase gerümpft hatte, hatte er mir schließlich den Mann vermittelt, den ich heiraten würde. Nicht, dass ich gerne daran erinnert wurde, wie wir uns kennengelernt hatten. Mein Problem war, dass ich so sehr von meiner Catering-Firma in Anspruch genommen wurde, dass mir ganz einfach keine Zeit blieb, meinem Traummann über den Weg zu laufen. Mit Pete Treadwell war ich allerdings gleich auf eine Goldmine gestoßen. Mit meinem Pete. Umwerfend, zuverlässig und grundsympathisch.

»Pete, mein Schatz …«, murmelte ich, stakste näher an den großen Spiegel heran und stellte mir vor, in seine sanften blauen Augen zu blicken. »Ich, Sasha Enid Clayton, nehme dich, Peter Graham Treadwell, zu meinem rechtstreuen … rechtmäßigen … ach, verdammt.« Unbeholfen drehte ich mich zum Frisiertischchen um, wobei sich die schwere Seide zwischen meinen Knien verfing. Und als ich gerade nach meinen Notizen greifen wollte, wirbelte sie ein plötzlicher Windstoß quer durch den Raum.

Das war der Moment, in dem ich ihn sah. Und mit »ihn« meine ich nicht Pete.

Ich schrie, bis meine Stimmbänder zu zerreißen drohten.

»Jesus, Maria und Joseph«, sagte der Mann, als ich aufgehört hatte, und nahm die Finger aus den Ohren. Ganz in Schwarz gekleidet, stand er am Korbstuhl neben meinem Bett. Groß, schlank, schwarzes, zerzaustes Haar, grünliche Augen. »So furchterregend bin ich doch auch wieder nicht, oder?«

Der Schock, einen attraktiven Einbrecher im Schlafzimmer zu haben, ließ mich verstummen. Das verstand er offenbar als Friedensangebot. Er setzte sich auf mein Bett und grinste zu mir hoch.

»Ich fasse es nicht«, sagte er mit einer überraschend höflichen Stimme. »Es hat tatsächlich funktioniert!« Er schüttelte seine Arme und Beine, als wollte er prüfen, ob sie noch dran waren.

»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte ich und griff nach meinem Bademantel, um mein Kleid zu bedecken.

Meine Stimme schien ihn magnetisch anzuziehen, unvermittelt streckte er die Arme nach mir aus. Ich stolperte rückwärts und hätte fast das Frisiertischchen umgerissen.

»Was wollen Sie?« Ich hielt nach potentiellen Waffen Ausschau, entdeckte aber nur die Bürste meiner Urgroßmutter mit dem silbernen Bürstenrücken. Obwohl die Borsten alles andere als zum Fürchten aussahen, schnappte ich sie mir. »Keinen Schritt näher.«

Er hielt tatsächlich inne.

Der Mann wirkte älter, als ich zunächst gedacht hatte – Ende vierzig, würde ich sagen. Sein Dreitagebart war grau durchsetzt, das Grübchen darunter filmstarreif. Feine Fältchen sprossen fächerförmig aus seinen Augenwinkeln.

»Wie sind Sie hier hereingekommen?«, fragte ich und sah zur Tür, die fest verschlossen war. Das galt auch für das Fenster, was seltsam war, da doch eben ein Windstoß meine Zettel weggepustet hatte. Automatisch schweiften meine Augen durch den Raum und erblickten sie nun in der Ecke bei meiner Jeans.

»Sind Sie Sasha Clayton?«, fragte er ernst und beugte sich vor.

Meine Finger umklammerten die Bürste. Woher zum Teufel wusste er das? Allmählich fragte ich mich, ob er einer von Mums Sozialfällen war, der sich irgendwie Zutritt zum Haus verschafft und unter meinem Bett versteckt hatte. Allerdings sah er nicht aus wie diese Leute, dazu war er viel zu gut gekleidet. Außerdem war er, na ja … eine durchaus umwerfende Erscheinung.

»Sie kommen mir irgendwie bekannt vor«, murmelte er, wobei mir plötzlich bewusst wurde, wie sonderbar ich in meinem Hochzeitsaufzug aussehen musste – wie Miss Havisham, bevor sie sitzen gelassen wurde. »Kate Winslet!« Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Das ist es! Nach dem fünften Oscar hat sie die Schauspielerei aufgegeben, wussten Sie das? Sie widmet sich jetzt der Landwirtschaft.«

Ich versuchte, den winzigen Teil in mir zu ignorieren, der sich von dem Kompliment geschmeichelt fühlte. »Meine Eltern sind unten«, log ich. Mum hatte ihren Salsa-Kurs, und Dad war in der Garage und schlachtete trotz des eisigen Wetters einen Oldtimer aus.

»Das kann ich kaum glauben«, sagte er ziemlich überheblich. »Bei dem Geschrei wären sie längst hier.«

Tod und Teufel.

»Was haben Sie da eigentlich an?« Er kniff die Augen zusammen und betrachtete nun interessiert die Hochzeitsaccessoires, die überall im Raum verstreut lagen.

»Mein Brautkleid.« Statt Angst verspürte ich allmählich Ärger. »Obwohl Sie das gar nichts angeht.«

Er zögerte und starrte mich an, bis ich spürte, dass ich rot wurde. »Sie wollen heiraten? Mist!« Jetzt sprang er auf und fasste sich an die Nasenwurzel. »Wann?«, fragte er dringlich und packte mich am Arm.

»Autsch!« Mit aller Kraft riss ich mich los.

»Wann?«, fragte er noch einmal, trat einen Schritt zurück und schaute mich entsetzt an.

»Erst in ein paar Wochen«, antwortete ich. Sein Verhalten machte mich wahnsinnig. »Heute wollte ich mit meiner Freundin Rosie nur alles schon mal anprobieren.« Ich zeigte auf die Tür und hoffte verzweifelt, sie möge wiederkommen. »Sie ist kurz raus, etwas Süßes kaufen.« Verdammt! Jetzt wusste er, dass ich alleine war.

»Gott sei Dank.« Er seufzte erleichtert. »Welches Jahr haben wir?«

Hatte Daddy einen verrückten Cousin, von dem ich nichts wusste? »Wir sind im Jahr 2010«, sagte ich kühl.

»Aha.« Der Mann nickte bedeutungsschwanger, als wären wir auf einer Dinnerparty. »Das erklärt alles.«

»Erklärt was alles? Wovon reden Sie überhaupt?«

»Hören Sie, Sasha …« Er zögerte und kratzte sich an seinen Bartstoppeln. »Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll.«

»Wer sind Sie überhaupt?«

»Oh, Entschuldigung.« Er schüttelte den Kopf. »Heute mache ich einfach alles falsch. Mein Name ist Elliot Frobisher.« Ehe ich mich’s versah, lag meine Hand in der seinen und wurde kräftig geschüttelt.

»Und jetzt hören Sie mir bitte zu, Sasha«, sagte er und wurde auf einmal forsch. »Wieso … was soll das?«, fragte er, als ich ihn entschlossen von mir stieß.

»Ich suche mein Handy«, sagte ich hektisch und schüttete den Inhalt meiner Handtasche aufs Bett. »Ich werde die Polizei rufen.«

»Das werden Sie nicht«, sagte er, schnappte sich mein Handy und schaute aufs Display. »Der Akku ist sowieso leer.«

Ich rannte zum Fenster. »Hiiiiilfe!«, schrie ich und trommelte mit den Händen an die Scheibe. Vielleicht konnte ich an der Regenrinne hinunterrutschen. Hatten wir eine Regenrinne? Ich blinzelte in die Dunkelheit.

»Sasha, bitte«, bat Elliot. »Ich habe nicht viel Zeit. Versuchen Sie doch bitte für einen Moment zu vergessen, wie verrückt das alles ist, und hören Sie mir zu.«

Ich drehte mich um und schaute ihn an. Mein Atem ging flach. Mir schoss durch den Kopf, dass er mich vielleicht hypnotisiert hatte. Als ich auf die goldenen Punkte in seiner Iris starrte, fühlte ich einen Schwindel in mir aufsteigen.

»Ich komme aus der Zukunft …«

»Wie bitte?« Ich sprang zurück, als wäre er explodiert.

»2030«, sagte er ernst. »Sie hätten Pete nie kennenlernen sollen, geschweige denn ihn heiraten …«

»Woher kennen Sie Pete?« Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wie Pete überhaupt aussah. Dann stand mir sein hübsches Gesicht wieder vor Augen.

»Sie hätten mich treffen sollen«, fuhr er fort. »Vor zwei Jahren. Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung meines Vaters, für die Sie das Catering übernommen hatten.« Er dachte einen Moment nach. »Sie betreiben doch einen Laden namens ›Dining In‹, richtig? Zusammen mit Ihrer besten Freundin Rosie Miller, nicht wahr?«

Das war doch zum Verrücktwerden. »Woher wissen Sie das alles?« Ich schaute mich um und erwartete schon fast, ein Kamerateam zu erblicken. Mein Herz schlug unangenehm heftig. »Ist das ein übler Scherz?«

»Von wegen Scherz.« Er schüttelte den Kopf. »Ihre Mutter Margaret ist eine pensionierte Grundschullehrerin. Ihr Vater Lionel betreibt einen Laden namens ›Aus dem Rahmen gefallen‹. Sie sind das einzige Kind und haben Ihr Leben lang in diesem Haus gewohnt. Jetzt sind Sie achtundzwanzig. Als Sie sechs waren, wären Sie fast an einem Asthmaanfall gestorben.« Er zählte die Fakten an seinen Fingern ab, als hätte er sie für eine Prüfung auswendig gelernt.

»Mein Gott. Sie sind ein Stalker.«

»HÖRENSIEMIRZU! Wir sind uns in jener Nacht nicht begegnet, weil es ein Unwetter gab. Eine Menge Stromleitungen sind gekappt worden. Können Sie sich erinnern?«

Wie sollte ich das vergessen können? Es war unser entscheidender Auftrag, der unseren Catering-Service bekannt machen sollte, doch wegen des Sturms waren eine Menge Leute nicht erschienen.

»Ich war einer der Gäste, die es nicht bis dorthin geschafft haben. Damit war der Zeitstrahl dann natürlich abgebrochen«, sagte er.

Mein Magen vollführte einen dreifachen Salto. »Der was … tat was?«

»Jeder ging seines Wegs, und das war’s dann. Ich bin da gelandet, wo ich … nun, da, wo ich heute eben bin. Elend und gebrochen und mit einer Ehefrau, die ich nicht ertrage.«

Mich fröstelte, ich ließ mich auf einen Stuhl fallen. »Das ist das Lächerlichste, was ich je gehört habe.«

»Schauen Sie, der Grund, warum ich hier bin, ist folgender: Ich wollte Sie fragen – anflehen, vielmehr –, ob Sie mich nicht finden und davon überzeugen könnten, dass wir zusammengehören. Wir sind doch seelenverwandt«, sagte er und kniete vor mir nieder, als wollte er mir einen Heiratsantrag machen. Er schaute mir tief in die Augen. »Sie dürfen nicht heiraten.«

Mir stockte der Atem. »Sind Sie übergeschnappt?«

»Ich weiß, wie das klingen muss«, sagte er und verzog das Gesicht. »Vermutlich würde ich mir selbst auch kein Wort glauben.«

Ich wich zurück. »Sie glauben tatsächlich, dass ich meinen Verlobten sitzen lasse?«

»Sie müssen das tun.« In seinen Augen lag nun etwas Flehentliches. »Wie ich schon sagte, genau so hätte es geschehen sollen. Meine Großmutter hat uns gesehen. Zusammen. Glücklich verheiratet.« Er senkte die Stimme. »In einer Vision.«

Ich taumelte unter seinem Blick. »In einer Vision?«

»Ich weiß, ich weiß, das ist eine lange Geschichte«, sagte er, stand auf und ging auf meinem Bettvorleger hin und her. »Sie ist medial veranlagt. Wenn Sie mich erst kennenlernen, werden Sie merken, dass ich eigentlich nicht der Typ bin, der an so etwas glaubt.« Er zögerte. »Wenn Sie mich kennenlernen – in der Gegenwart, meine ich –, werden Sie mich vermutlich sowieso nicht besonders mögen. Und ich werde Ihnen ganz bestimmt kein Wort von dem glauben, was Sie mir erzählen. Sie sind nämlich nicht gerade der Typ Frau, auf den ich stehe.«

Ein schneller Blick in den Spiegel – Größe vierzig war ihm also nicht gut genug?

»Sie werden einen Weg finden müssen, um mich zu knacken«, sagte er und fummelte an einer dünnen Silberkette herum, die er um den Hals trug. »Die hat mir meine Großmutter zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Eine Woche später habe ich sie verloren«, fügte er hinzu. »Hier, nehmen Sie die Kette und zeigen Sie sie mir. Ach so, mein Zweitname ist Tiberius. Normalerweise würden Sie das nur unter Folter von mir erfahren.«

Ich rang mir ein gequältes Lachen ab. »Wissen Sie, wie das alles klingt?«

Verzweifelt klopfte er auf seinen Taschen herum. »Irgendwo müsste ich eine Visitenkarte haben. Die sollten Sie mir zeigen, wenn wir uns begegnen.«

»Ich werde Ihnen aber nicht begegnen«, sagte ich langsam und deutlich. »Warum ziehen Sie nicht los und besuchen sich selbst? Dann können Sie sich selbst auffordern, nicht zu heiraten, wenn es so wichtig ist.«

»So läuft das nicht«, sagte er ungehalten. »Ich kann keinen Kontakt zu jemandem aufnehmen, den ich in der Vergangenheit kannte. Daher müssen Sie es schon tun. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so kompliziert sind.«

»Kompliziert! Was zum Teufel erwarten Sie denn?« Jetzt packte mich die Wut. Ich warf einen Blick auf den Klebezettel am Spiegel: ›Scheitere mit deinen Plänen, plane dein Scheitern.‹ Mein Lebensmotto. »Ich soll Ihnen tatsächlich glauben, dass Sie aus der Zukunft hierhergekommen sind, um …«

»Das klingt verrückt, ich weiß«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Sie müssen mir aber glauben, es ist zu Ihrem eigenen Besten.«

Er wirkte so ernsthaft verzweifelt, dass mich ein leichtes Kribbeln durchfuhr, als er mich ansah.

»Wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?«

»Haben Sie mir denn gar nicht zugehört?«, erwiderte er und klang jetzt genervt. »Wenn Sie heiraten, übernehme ich keine Verantwortung für das, was passiert.«

Irgendetwas in mir gab nach. Er war so verdammt überzeugend.

»Was soll das heißen?«

Er schaute auf sein Handgelenk, an dem er eine Art Taucheruhr trug. »Ich habe nicht die Zeit, das näher zu erklären, aber lassen Sie mich klarstellen, dass es schlimmer sein wird als in Ihren schlimmsten Alpträumen.« Sein Ton war finster.

Jetzt jagte er mir wieder Angst ein. Ich fragte mich, wo Rosie blieb. Mein Atem ging schwer, und Panik packte mich. Seit Jahren hatte ich keinen Asthmaanfall mehr bekommen.

»Hier.« Der Mann zog eine Visitenkarte heraus und warf sie mir hin. »Und geben Sie mir das Ding da.« Er zeigte auf mein kleines Geheimnis – ein Strumpfband aus feinster Spitze, das ich bei seinem Erscheinen gerade hatte anlegen wollen. Sein Tonfall war derart bestimmend, dass ich es ihm hinwarf, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. »Wenn ich zurückkehre, brauche ich einen Beweis dafür, dass ich tatsächlich hier war.«

Im selben Moment, als er zu reden aufhörte, verflüssigte sich scheinbar die Luft im Raum und hüllte mich in einen orangefarbenen Dunst. Der Mann stand in einem bunten Feuerwerk, immer heller werdende Funken schienen ihn zu verschlucken, bis ich schließlich die Augen schließen musste.

Auf meinen Ohren spürte ich einen heftigen Druck, ich schluckte. Es war schlimmer, als es im Flugzeug sein musste.

»Ich werde versuchen wiederzukommen«, war das Letzte, was ich von ihm hörte, bevor ich schwer zu Boden fiel und alles um mich herum schwarz wurde.

3. Kapitel

»O mein Gott, ist alles okay?« Rosie schaute auf mich herab und klang merkwürdig aufgeregt. Ihre Wangen waren gerötet, und ihr kurzes, blondes Haar schien ihr regelrecht zu Berge zu stehen.

»O Ro, es ist etwas total Verrücktes passiert.« Ich ergriff ihre ausgestreckte Hand, und sie zog mich hoch. »Du musst mir helfen. Ich scheine zu halluzinieren.« Schnell griff ich nach dem Asthmaspray auf dem Nachttischchen und nahm ein paar Hübe.

»Wenn du halluzinierst – ich tue es auch«, verkündete sie vielsagend, führte mich zum Bett und zwang mich, dort Platz zu nehmen. Ihre blauen Augen funkelten. »Ich habe ihn gesehen.«

»Wirklich?« Ich schaute sie erstaunt an. Das Engegefühl in der Brust ließ nach. »Was glaubst du, wie er hereingekommen ist?«

»Keine Ahnung, ehrlich gesagt.« Sie wirkte eher aufgekratzt als besorgt.

»Waren unten irgendwelche Fensterscheiben eingeschlagen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, aber ich habe auch nicht darauf geachtet. Aber hättest du dann nicht das Glas splittern hören?«

»Vielleicht hatte er sich schon vorher irgendwie Zutritt verschafft.« Ich schloss schnell die Augen. »Hast du gehört, was er gesagt hat?«

»Dass du Pete nicht heiraten sollst, weil sonst etwas Schreckliches passiert? Ja, allerdings habe ich das gehört.« Jetzt schaute sie mich aufmerksam an. »Und auch den Teil, von wegen er käme aus der Zukunft.«

Ich stand auf und ging ziellos im Zimmer auf und ab. »Du glaubst das aber nicht ernsthaft, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Obwohl …« Sie knabberte an ihrer Lippe. »Wie soll man sich diese Nummer sonst erklären?«

»War vielleicht irgendetwas in unseren Nudeln?« Die hatten wir uns vorher beim Takeaway geholt.

»Glaub ich nicht.«

»Oder wir … wir sind eingeschlafen und haben dasselbe geträumt?«

Ihr Blick sprach Bände. »Hier, nimm etwas Süßes.« Sie riss hektisch die Kekspackung auf, die sie in den Händen hielt. »Das hilft sicher gegen den Schock.«

»Ich kann jetzt nichts essen«, sagte ich und schob sie beiseite. »Könnte es eine … eine …« Es fiel mir schwer, die Ereignisse der letzten zwanzig Minuten auf einen Punkt zu bringen. Der gesunde Menschenverstand sagte mir, dass das, was passiert war, nicht passiert sein konnte. Meine Sinne beharrten aber vehement darauf, dass es doch so gewesen war. »… Vision gewesen sein?«, beendete ich meinen Satz zaghaft.

Rosie glaubte an übernatürliche Phänomene. Irgendwann hatte sie mal behauptet, ihr Großvater habe sich mitten in der Nacht am Fußende ihres Bettes materialisiert, um ihr Ratschläge für die Zukunft zu erteilen. Damals war er schon fünfzehn Jahre tot gewesen. »Es wäre unwahrscheinlich, dass wir sie beide gesehen hätten«, sagte sie nachdenklich, die Arme über ihrem E-80-Busen verschränkt. Sie war eigentlich kein nachdenklicher Typ. Die Lage war also ernst.

»Der Wein«, sagte ich, trat zu ihr und packte sie an den Oberarmen. »Das ist es! Wir haben zu viel Wein getrunken.«

»Wir haben überhaupt keinen Wein getrunken«, sagte sie und blickte zu den halbleeren Teetassen auf dem Frisiertischchen hinüber. »Ich muss noch fahren, falls du dich erinnerst.«

Ich stöhnte und ließ sie los. »Was dann?«

Sie schürzte die Lippen. »Ich denke, das ist ein Zeichen.«

Ich starrte sie an. »Ein Zeichen für was?«

»Für irgendetwas.«

»Aha, na wunderbar.«

»Das ist absolut unglaublich, Sash.« Sie schien in eine Traumwelt abgetaucht zu sein, in der tatsächlich Männer aus der Zukunft Besuche abstatten können.

»Rosie. Das hier – um was auch immer es sich handelt – ist nicht nur unglaublich«, zischte ich. »Es ist beängstigend.«

Sie starrte an mir vorbei. Auf ihrem perfekt geschminkten Gesicht spiegelte sich pures Entzücken.

»Was ist?«, fragte ich, während mich eine neue Panikwelle überrollte.

»Sollte er echt gewesen sein, war er für einen alten Knacker ziemlich gut in Form, Sash«, sagte sie. »Und er hat eine Zeitreise auf sich genommen, um mit dir in Kontakt zu treten.« Fasziniert schüttelte sie den Kopf. »Wie könntest du da noch einen anderen heiraten?«

4. Kapitel

»Machst du Witze?« Ich glotzte Rosie an, die sich bestimmt nur einen Scherz mit mir erlaubte, aber ihr Gesichtsausdruck wirkte todernst. »Du legst mir tatsächlich nahe, meine Hochzeit abzusagen?«

Es klopfte, und wir sprangen auf wie Diebe, die man auf frischer Tat ertappte. »Ach, ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass deine Mutter zurück ist«, flüsterte Rosie.

»Na, wie schaut’s aus?« Mum steckte ihren Lockenkopf zur Tür herein. »Pete ist am Telefon«, sagte sie und hielt mir den Hörer hin. »Sasha, was machst du denn da?« Entsetzt starrte sie auf das Kleid, in dem sie meinen Vater vor nicht ganz dreißig Jahren fast geheiratet hätte und das jetzt auf dem Boden um mich herum zu einem einzigen Stoffhaufen zusammenfiel. »Die Falten bekommst du nie wieder heraus.«

»Das wird schon wieder«, sagte ich, stand schnell auf und schüttelte mich, damit die elfenbeinfarbene Seide wieder ordnungsgemäß fließen konnte.

»Hallo, Rosie«, schob sie noch hinterher, bevor sie mir das Telefon reichte. »Wie geht’s Glen?«

»Danke, gut, Mrs. C.« Glen war Rosies Verlobter. Kürzlich hatten sie sich zusammen ein Haus gekauft, worüber Mum ganz altmodisch die Nase rümpfte. Sie selbst hatte sich geweigert, mit Dad zusammenzuziehen, bevor sie nicht verheiratet waren. Und sie war froh, dass ich es genauso hielt. Ihr war nämlich nicht bewusst, dass ich das nur tat, weil ich es mir anders gar nicht leisten konnte. Das Geld, das sie mir geliehen hatten, war komplett in meine Firma geflossen.

»Sekunde, Pete«, sagte ich schnell in den Hörer und deckte ihn dann ab, indem ich ihn fest an meinen Körper presste. »Mum, hast du jemanden gesehen, als du hereingekommen bist?«

»Was?« Sie schaute mich fragend an.

»Groß, braungebrannt, langer, schwarzer Mantel, ziemlich attraktiv?«, fügte Rosie hinzu und war schon wieder ganz aufgeregt. Warum redete sie ständig über sein Äußeres?

»Hätte sich mal rasieren können«, sagte ich und hielt die Luft an.

»Außerdem trug er eine große Uhr«, sagte Rosie. »Er war in Sashas Schlafzimmer.«

»Nein, ich habe niemanden gesehen«, sagte meine Mutter und runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, er war hier?«

»Das Licht hat geflackert«, fiel mir jetzt wieder ein. »Hast du etwas davon bemerkt?«

»Sind wir hier vor Gericht? Nein, habe ich nicht«, erwiderte sie, und erneut hatte ich dieses flaue Gefühl im Magen.

»Haben Sie denn etwas gehört?«, fragte Rosie mit erwartungsvoll glänzenden Augen.

»Dein Dad meinte vorhin, er habe einen markerschütternden Schrei gehört«, besann Mum sich.

Ich wurde stocksteif.

»Und er ist nicht auf die Idee gekommen, mal nachzuschauen, was los ist?«

»Warum denn? Hier schleicht doch dieser Fuchs herum«, sagte sie irritiert. »Er war überzeugt, dass er bei den Nachbarn in den Hühnerstall eingedrungen sei. Wieso fragst du?«

Ich klang wie ein Hühnerhaufen, der vom Fuchs heimgesucht wird, na großartig. »Ist egal«, murmelte ich und nahm mir vor, nie wieder um mein Leben zu schreien.

»Als ich nach Hause kam, hatte ich allerdings den Eindruck, dass ihr euch mit jemandem unterhaltet.«

Rosie und ich schossen wie Erdmännchen in die Höhe. »Siehst du?«, signalisierte Rosie mir stumm. »Er war tatsächlich da.«

»Ich glaubte, Caspar sei vielleicht zurück«, erwiderte meine Mutter völlig ohne Vorwarnung. Ein verschmitztes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

»Oh … Mutter!«, protestierte ich und wurde knallrot.

»Caspar?« Rosie zog eine Augenbraue hoch.

»Sashas imaginärer Freund«, klärte Mum sie auf. »Sie hat ihn sogar sprechen lassen und so.«

Rosies Kopf schoss zu mir herum. »Du hast mir nie erzählt, dass du einen imaginären Freund hattest, Sash.«

»Warum sollte ich?«, sagte ich und kickte meine Schuhe genervt quer durch den Raum. »Ich war damals noch ein Kind. Er hat mir Witze erzählt, wenn ich krank war, das ist alles.«

»Wie lustig, das ist ja großartig.« Ich wusste, dass sie es jetzt abspeicherte, um es bei der erstbesten Gelegenheit wieder hervorzukramen.

»Und sobald sie irgendeinen Kummer hatte, war er immer zur Stelle«, verriet Mum und lehnte sich zufrieden in den Türrahmen. »Während der Abschlussprüfung an der Highschool hatte er besonders viel zu tun.«

»Mum, um Himmels willen, das ist doch alles längst vorbei.« Ich fuchtelte mit dem Telefon in ihre Richtung. »Jetzt geh.«

Sie zog sich zurück und zwinkerte dabei Rosie noch einmal zu. »Ich habe ihn nie besonders gemocht«, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand.

»Wer ist Caspar?«, fragte Pete, und mir fiel fast der Hörer aus der Hand.

»Du hast alles mit angehört?«

»Klar habe ich das, mein Schatz. Ich bin doch hier, bei dir.«

»Wir … wir haben Blödsinn geredet«, sagte ich, immer noch völlig verwirrt. Mum hatte Elliot in meinem Schlafzimmer gehört, und Rosie hatte ihn gesehen. Da gab es nicht mehr viel zu zweifeln. »Ein blöder Scherz, das ist alles. Nicht wirklich lustig. Wieso rufst du an? Ist irgendetwas passiert?«

»Ähm, ich habe mir nur den Rücken verrenkt, ansonsten gibt es nichts Bestimmtes«, sagte er und klang fast entschuldigend. »Ich hatte nicht an die Aufwärmübungen gedacht, bevor ich diese verdammten Gewichte gestemmt habe.«

Trotz allem musste ich lächeln. Pete war wild entschlossen, seinen Körper für die Hochzeit in Form zu bringen, daher hatte er sich kürzlich im Sportstudio angemeldet.

»Pass bloß gut auf dich auf und mach immer schön langsam«, bat ich ihn. »Nicht, dass du an unserem großen Tag flachliegst.«

Vom anderen Ende des Raums drängte Rosie mich wild gestikulierend, dass ich es ihm sage. Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte doch nicht erzählen, was passiert war, ohne mich vollkommen zu blamieren. Pete war Anwalt. Bei ihm ging es immer nur um Fakten, nicht um Fiktionen.

»Ist es sehr schlimm?«

»Nichts, was eine Woche Schonung nicht in Ordnung bringen könnte«, sagte er düster. »Mum reibt mich schon fleißig mit ›Deep Heat‹ ein.«

»Ach ja?« Sofort hatte ich das schräge Bild vor Augen, wie Mrs. Treadwell – beziehungsweise Vivienne, worauf sie hartnäckig bestand – in einem ihrer strengen Kostüme rittlings auf seinem Rücken saß und die Tube mit der Sportlersalbe schwang. Mich schauderte. Pete einzusalben, schien eines ihrer größten Vergnügen zu sein. Ständig schmierte sie ihm Vaseline auf den Mund, als wäre er noch immer fünf Jahre alt – und dazu ein Mädchen.

Pete räusperte sich, um mich daran zu erinnern, dass er noch in der Leitung war. »Es wird sicher schnell besser, wenn die Salbe erst einmal wirkt«, sagte er tapfer. »Eigentlich habe ich auch nur angerufen, um dir gute Nacht zu sagen, Nutkin.« Wieder musste ich lächeln. Rosie ärgerte mich stets wegen der eigentümlichen Tiernamen, die er sich für mich ausdachte, aber ich fand sie lustig.

»Danke, mein Schatz«, sagte ich und wünschte mir mit einem Mal sehnlich, ich hätte unseren gemeinsamen Abend nicht abgesagt. Die Anprobe war in erster Linie Rosies Idee gewesen, die einen Grund gesucht hatte, das Haus zu verlassen, solange Glen mit seinen Rugbykumpels auf Sauftour war. Sie war nicht gerne allein. Obwohl … Plötzlich wurde mir ganz anders. Was, wenn Elliot gekommen wäre, während ich mit Pete zusammen war? Ein Horrorszenario.

»Dann hoffe ich, dass du heute Nacht gut schläfst, Kürbis«, sagte ich schnell, um mir nicht auch noch mögliche Folgen auszumalen.

Als ich aufgelegt hatte, wunderte ich mich, warum Rosie mit in die Höhe gestrecktem Hinterteil auf allen vieren durch den Raum kroch.

»Da ist ja endlich die Visitenkarte, die er hat fallen lassen!«, rief sie.

Gegen meinen Willen lief mir ein freudiger Schauer über den Rücken.

»Siehst du sie?«

Und tatsächlich, auf den rosa- und lilafarbenen Schnörkeln meines Teppichs zeichnete sich ein klares, weißes Rechteck ab. Rosie hob es auf und reckte es wie einen Siegerpokal in die Höhe. Dann beugten wir uns darüber und versuchten, die winzige Schrift zu entziffern.

»Elliot Frobisher. Frobisher’s Projektentwicklung«, las ich vor. Darunter standen die Kontaktdaten, unter anderem eine Adresse in London.

Rosie runzelte die Stirn. »Frobisher«, murmelte sie. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Kürzlich war ein Frobisher in den Nachrichten«, sagte ich. »Er hat ein Vermögen damit verdient, dass er dieses komische Gebäude in der Nähe der Westminster Abbey umgebaut hat.«

»Stimmt. Und er moderiert diese Fernsehshow, ›Make Me a Mogul‹.« Ihre Stirn legte sich in Falten, als der Groschen fiel. »Wir haben doch vor ein paar Jahren das Catering für diese Wohltätigkeitsgeschichte von ihm übernommen, erinnerst du dich? Damals, als dieses furchtbare Unwetter war.«

»Natürlich erinnere ich mich«, sagte ich und ahnte nichts Gutes.

»Was wirst du jetzt machen?«

»Ich werde überhaupt nichts machen«, sagte ich. »Und jetzt hilf mir bitte aus diesem Kleid heraus.« Verdammt, der Mann hatte mein Strumpfband mitgenommen. Wie sollte ich das bloß erklären? Es hatte meiner Urgroßmutter gehört. »Vielleicht war es eine Prüfung«, grübelte ich. »Vielleicht hat Pete ihn geschickt. Vielleicht ist es eine … eine Liebesfalle. Um zu testen, ob ich der Verführung erliege.« Das klang selbst in meinen eigenen Ohren unglaubwürdig. Pete war nie von der misstrauischen Sorte gewesen.

»Er soll einen Mann mittleren Alters damit beauftragt haben, dir zu verkaufen, er käme aus der Zukunft?« Rosie schnaubte ungläubig. »Eher unwahrscheinlich, oder?«

»Was denkst du denn, was ich jetzt tun sollte?«

»Da brauchst du wirklich noch meinen Rat?« Rosie starrte mich an, als wären mir zwei Köpfe gewachsen.

»Allerdings«, seufzte ich, ein Blick in den Spiegel bestätigte mir meinen desolaten Zustand.

»Sag es ab.«

»Bist du verrückt?«, fuhr ich sie an. Energisch schüttelte ich den Kopf. »Dad hat zwanzig Riesen für die Hochzeit ausgegeben. Nicht vorzustellen, seine Reaktion. Und Mum? Lieber Gott, sie freut sich mehr darauf als ich.«

»Und das sind die Gründe, warum du die Hochzeit nicht abblasen willst? Wie wär’s mit ›Ich liebe Pete, und nichts auf der Welt wird uns auseinanderbringen‹?«, sagte Rosie und runzelte die Augenbrauen. »Du weißt doch, dass deine Mutter deinen Hochzeitstag praktisch als ihren eigenen betrachtet.«

Mums erste Hochzeit-die-nie-stattgefunden-hatte war legendär in der Familie. Sie hatte sich auf den ersten Blick verliebt – in das Brautkleid, das ich jetzt tragen werde –, wurde dann aber von einem Buchhalter aus Norfolk, der kalte Füße bekommen hatte, vorm Altar sitzen gelassen. Als sie dann Daddy heiratete, bestand sie auf einer standesamtlichen Hochzeit ohne Schikanen und ausgefallenes Kleid, was sie seither jedoch zutiefst bereute.

»Du weißt genau, was ich meine«, sagte ich auf ihren Versuch hin, mir einen Weg hinaus zu zeigen. »Natürlich liebe ich Pete.«

»Aber was ist, wenn dieser Frobisher Recht hat und du und Pete doch nicht füreinander gemacht seid?« Rosie verfiel in ihre mystisch-astrologische Wahrsagerstimme. »Noch ist Zeit bis zur Hochzeit. Warum versuchst du nicht wenigstens, ihn aufzuspüren? Dann wirst du ja sehen, ob da irgendetwas … du weißt schon, was ich meine.« Sie zuckte die Achseln. »… ob da irgendetwas ist.«

»Irgendetwas ist?«

»Du weißt schon.« Sie riss die Augen auf. »Ein Knistern.«

»Um Himmels willen, Ro! Ich habe den Mann meiner Träume doch schon gefunden. In einem Monat werde ich Mrs. Pete Treadwell sein.« Ich schlüpfte in meinen Bademantel und zog ihn eng um mich. »Noch vor einer Stunde hast du ihn doch selbst als den perfekten Mann für mich gesehen.«

»Da wusste ich ja auch noch nicht, dass du dem einzig Wahren erst noch begegnen würdest«, stachelte sie mich an. »Du könntest wenigstens mal im Internet nach ihm recherchieren. Betrachte es als Projekt.«

Ich zögerte. Geschickt hatte sie ein magisches Wort ins Spiel gebracht, und ihrer selbstgefälligen Miene nach zu urteilen, wusste sie das auch. Ich liebte Herausforderungen, irgendetwas Neues, in das ich mich verbeißen konnte.

»Okay«, sagte ich beiläufig. »Ein paar Recherchen können nicht schaden. Nur um herauszufinden, ob es ihn tatsächlich gibt.«

»Natürlich gibt es ihn. Er ist ja nicht Caspar.« Geschickt wich sie dem Schuh aus, mit dem ich nach ihr schmiss.

Als wir später ganz erschöpft davon waren, das Geschehene immer und immer wieder durchkauten, und Rosie schließlich heimgegangen war, lag ich im Bett und starrte an die Decke. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten war mein Kopf nicht voll mit Hochzeitsmusik, Gästelisten, Hotelarrangements, Reiseplanungen und Fragen wie, ob Onkel Bertie und Tante June zumindest die Messe überstehen würden, ohne sich gegenseitig totzuschlagen.

Stattdessen hatte ich das Gesicht des Fremden vor Augen, wie er mich angefleht hatte, malte mir aus, wie ich Pete das alles erklären würde und wie seine Reaktion aussähe.

Als ich in der Morgendämmerung endlich einschlief, träumte ich, dass ich mit nichts außer einem winzigen Slip und einem Schleier bekleidet durch die Kirche schritt und Doppeldeckerkekse mit Vanillecremefüllung aß, während meine Mutter verzweifelt versuchte, meine Brüste mit einer Serviette zu bedecken.

Erst am Morgen fiel mir auf, dass ich zum ersten Mal seit fast zwei Jahren vergessen hatte, Pete eine SMS mit den Worten ›I love u‹ vorm Einschlafen zu schicken. Das tat ich sonst immer, wenn wir die Nacht nicht zusammen verbrachten.

5. Kapitel

»Okay, ich habe ein bisschen recherchiert », verkündete ich, als ich bei Rosie aufkreuzte. Der Firmensitz von ›Dining In‹ befand sich in ihrem Haus, da ihre Küche doppelt so groß war wie unsere.

Sie ließ mich auf dem Sofa Platz nehmen und reichte mir eine Tasse Tee. Ich versuchte, den schrecklichen Lärm aus dem oberen Stockwerk zu ignorieren – als würde ein Wiesel gefoltert.

»Stör dich nicht an Glen«, sagte Rosie gleichmütig. »Er bringt sich das Saxofonspielen bei. Bei diesem Wetter kann er nicht arbeiten gehen.« Glen arbeitete als Gärtner, wenn er nicht Rugby spielte oder mit seiner Band probte, den ›Rugger-Buggers‹.

Keiner von uns hatte gerade viel Arbeit, da so eine Unmenge an Schnee gefallen war wie noch nie. Es war der schlimmste Winter seit Jahrzehnten.

»Was genau hast du recherchiert?«, drängte Rosie mit glänzenden Augen. Ich versuchte, nicht an Pete zu denken, der ahnungslos in seinem Zimmer Papierkram erledigt hatte, während ich meiner geheimen Mission nachgegangen war. Ich hatte ihn angelogen und erklärt, dass Rosie und ich einen neuen Kunden treffen würden. Mein Glück war es, dass er noch immer unter erheblichen Schmerzen litt und daher nicht groß nachfragte, wie wir denn bei blizzardähnlichen Wetterbedingungen mit dem Lieferwagen durchkommen wollten. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mein Karma im nächsten Moment umschlagen und ich die Sache noch bitter bereuen könnte.

»Ich habe mich im Internet informiert«, sagte ich und zog einen ordentlichen Papierstapel heraus. Ich war hibbeliger als sonst. Wann immer ich ein lautes Geräusch hörte, zuckte ich zusammen und schaute mich um, ob er etwa wieder aufgekreuzt war. Der sogenannte Zeitreisende. Meine sonst eher robusten Nerven lagen blank. »Ich habe einiges über Elliot Frobisher herausgefunden, aber nichts Gutes.«

Rosie setzte sich wie eine wissbegierige Schülerin ganz vorn auf die Stuhlkante, den Mund leicht geöffnet. »Sprich schon weiter.«

»Also. Zunächst hängt er jeden Freitagabend in einem Londoner Promi-Club ab – dem ›Gilded Cage‹.«

»Hast du ein Foto von ihm gefunden? Wie sieht er darauf aus?«

Ich legte die Stirn in Falten, als sie mich unterbrach. »Nicht wirklich. Er wurde ein paar Mal wegen Ruhestörung verhaftet, und in diesem Zusammenhang existieren ein paar schlecht aufgelöste Zeitungsfotos von ihm. Außerdem gibt es ein paar dieser typisch unvorteilhaften Fotos, wie man sie von betrunkenen Promis halt macht. Viel konnte man nicht darauf erkennen.«

»Wir sollten hingehen.« Rosie lehnte sich zurück, als würde sie rauschenden Applaus erwarten.

»Wohin?«

»Zum ›Gilded Cage‹.« Geräuschvoll schlürfte sie ihren Tee. »Dort würden wir ihm auf etwas normalere Weise begegnen, und du könntest dir einen Eindruck von ihm verschaffen.«

»Ich weiß nicht.« Ihm irgendwo aufzulauern war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Ich rutschte nervös hin und her. »Und was ist mit Pete?«

Rosie zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, Sash. Das musst schon du wissen, was du ihm erzählst. Wenn du ihm wirklich etwas erzählen willst.«

»Das geht ja gar nicht, ich kann ihm nichts erzählen. Stell dir doch mal seine Reaktion vor.«

Es reichte, wenn meine Welt in ihren Grundfesten erschüttert war, da musste nicht seine auch noch durcheinandergeraten. »Ich hasse Nachtclubs, Ro«, rief ich ihr ins Gedächtnis und fragte mich, warum ich nicht einfach Nein sagte. »Und ich habe kein gutes Gefühl dabei, Pete zu hintergehen.«

Sie nickte. »Verstehe. Aber dies hier sind besondere Umstände. Das sind wichtige Recherchen.«

»Wohl eher gefährliche.«

»Gefährlich?« Ihre Augenbraue hob sich. »Wieso gefährlich?«

»Du weißt schon, was ich meine.«

»Mhm.« Sie sah aus, als wollte sie etwas sagen, entschied sich dann aber anders. »Egal, wenn er dir nicht gefällt, musst du ja nichts weiter unternehmen. Dann verschwinden wir einfach wieder.« Ihr Grinsen war so breit, wie ich es schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. »Mal wieder auszugehen, haben wir uns in jedem Fall verdient.«

6. Kapitel

»Ich dachte, du hasst Nachtclubs.« Petes hübsches Gesicht verzog sich vor Anstrengung, als er mich am Freitagmorgen durch seine Beine hindurch anschaute.

Vivienne hatte ihn zu Dehnübungen für seinen Rücken verdonnert, und jetzt war er in der Taille zusammengeklappt wie ein Bügelbrett. Dabei war seine Hose hochgerutscht und legte die gestreiften Socken frei, die ihm seine Mutter zu Weihnachten geschenkt hatte.

»Das stimmt auch«, sagte ich und schluckte. »Rosie hat mich aber dazu überredet, dass ich meinen Junggesellinnenabschied feiern sollte. Man heirate schließlich nur einmal.« Es schockierte mich, wie leicht mir die Lüge von der Zunge ging, aber was hätte ich sonst sagen sollen? ›Übrigens, ich zieh dann mal los, einen Typen abchecken, der behauptet, mein Zukünftiger zu sein‹? Die ganze Sache verlangte eine vollkommen neue Ausdrucksweise.

»Und der Schnee?«

»Der ist schon fast weggetaut.«

»Du wolltest aber doch gar keinen eigenen Junggesellinnenabschied«, stellte er fest. Sein Gesicht war dunkelrot. »Du hasst doch so etwas.«

Der Stoßseufzer, den ich ausstieß, roch nach Kaffee. Ich hatte literweise davon getrunken, um mich wach zu halten, und hatte tatsächlich nicht die geringste Lust auszugehen. Nachdem mich Gedanken und Gefühle, die mir bislang fremd gewesen waren, eine weitere Nacht vom Schlafen abgehalten hatten, wäre ich heute liebend gern früh ins Bett gegangen.

»Tut mir leid, Sash. Beachte mich am besten gar nicht«, sagte er mit gepresster Stimme. »Ich hätte einfach gerne die Zeit mit dir verbracht, das ist alles. Und Mum nervt ständig wegen dieses Wochenendes.« Vivienne drängte ihn, mit ihm und ihrem Mann zu einem Wellness-Wochenende nach Bath zu fahren, weil ihm das sicher ›wahnsinnig guttun würde‹.

Tatsächlich war der Fall der, dass die Zeit, die Pete nicht mit mir verbringen würde, ihr wahnsinnig guttun würde. Sie hielt mich nicht für die passende Ehefrau. Ich war nicht auf die richtigen Schulen gegangen, und meine Eltern waren nicht so distinguiert, wie Vivienne es gefallen hätte. Vivienne Treadwell konnte man als wahrhaftigen Snob bezeichnen, deren Busen in meiner Anwesenheit missbilligend anschwoll.

»Ich dachte, wir könnten uns eine Pizza bestellen.« Langsam begab er sich wieder in die Vertikale, und das Blut floss zurück aus seinem Kopf. Dann zog er mich an sich, strich mir übers Haar und kraulte mir den Nacken. Ich versuchte, mich zu entspannen, und wünschte mir, ich würde ihn nicht hintergehen.

»Vielleicht könntest du Tom einladen«, sagte ich. Tom war sein ältester Freund und außerdem indirekt dafür verantwortlich, Pete und mich zusammengebracht zu haben. Er hatte sich damit einen Scherz erlaubt, als er ihn bei »Perfect Partners« registrierte, was zu vollem Ernst wurde, als wir uns darüber fanden. »Dann könntest du dich auch gleich vergewissern, ob er mit seiner Rede als Trauzeuge vorankommt.«

»Er ist dieses Wochenende zum Angeln in Schottland«, sagte Pete, ließ mich los und fuhr sich durchs mattbraune Haar. »Box mich in den Arm«, sagte er unvermittelt und drehte mir den Oberkörper zu.

»Was?«

»Na, komm schon. Es tut bestimmt nicht weh«, sagte er und begann zu tänzeln, als wollte er sich für einen Kampf aufwärmen. »Bereit?« Er krempelte den Ärmel seines blassblauen Hemds hoch und bezog Stellung, ein Fuß leicht nach hinten versetzt.

»Pete, ich möchte nicht gegen deinen Arm boxen«, sagte ich und musste plötzlich lachen. »Was hast du vor?«

»All dieses Gewichte stemmen hat mich eisenhart gemacht.«

»Es hat dir aber auch den Rücken ruiniert«, rief ich ihm ins Gedächtnis.

»Okay, ja, aber immerhin habe ich jetzt einen unglaublichen Bizeps«, sagte er und nahm eine Pose ein, die eher an Bruce Forsyth, den smarten Fernsehmoderator, als an den stärksten Mann Großbritanniens denken ließ. »Wie Stein. Fühl mal.«

»Ganz ordentlich«, gab ich zu, nachdem ich zögerlich hineingepiekt hatte. Pete war mittelgroß und mittelkräftig. Besonders viele Muskeln hat er noch nie gehabt.

»Also, mach schon. Hau so richtig fest rein«, beharrte er grinsend und wandte mir die Schulter zu.

Es war deutlich zu erkennen, dass er nicht aufgeben würde. »Alles klar«, seufzte ich. »Merk dir aber, dass es deine Idee war.« Ich nahm Anlauf und knallte meine Faust direkt über seinem Ellbogen in den Arm.

»Auuu!«, brüllte er und wich mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. In diesem Moment kam Vivienne herein.

»Sasha, um Himmels willen, was tust du da?«, fragte sie, warf ihre Handtasche aufs Sofa und stöckelte in die Richtung, wo Pete sich krümmte und seinen Arm umklammert hielt.

»Es tut mir leid«, sagte ich hilflos und wollte ihn in den Arm nehmen, aber Vivienne wehrte mich mit ihrer perfekt manikürten Hand ab. »Er hat darauf bestanden, dass ich es tue«, erklärte ich wie ein trotziger Teenager.

»Mach dich nicht lächerlich«, fuhr sie mich an, zog ihn zum Fenster und musterte die blasse Haut an seinem Arm. Ihr Haar mit der makellosen Föhnfrisur glänzte wie Stahl. »Das wird einen schönen Bluterguss geben. Er neigt schnell zu blauen Flecken«, jammerte sie. Einen kurzen Moment meinte ich, sie wolle pusten, damit es dem kleinen Pete gleich wieder besser geht.

»Es ist meine eigene Schuld, Mum«, gestand Pete, in seinem nervig tapferen Tonfall, den er Vivienne gegenüber häufig anstimmte. »Offenbar bin ich nicht so stark, wie ich dachte«, ergänzte er und warf mir, als er den Ärmel wieder hinunterkrempelte, ein reumütiges Lächeln zu.

»Blödsinn.« Vivienne starrte mich an und gab sich keinerlei Mühe, ihre Missbilligung zu kaschieren. Ihre rosafarbenen Lippen zuckten gefährlich. »Sasha ist einfach … nun, für eine Frau ist sie ziemlich robust gebaut.«

Ich fühlte mich wie ein Wrestler, als sie nun beide gleichzeitig nickten und meine Schulterbreite abzuschätzen versuchten.

»Na, dann geh ich wohl mal besser zur Arbeit«, sagte ich, schnappte mir meinen Mantel und versuchte, meinen Ärger hinunterzuschlucken. Es hätte keinen Sinn, mich mit Vivienne zu streiten. Pete würde ihr Verhalten sowieso später mit irgendetwas rechtfertigen. »Ich werde mir Mühe geben, unterwegs niemanden k.o. zu schlagen.«

7. Kapitel

»Denkst du, Pete und ich passen zueinander?«, fragte ich Rosie, als wir in ein von einem Tannen-Duftbäumchen eingeräuchertes Taxi stiegen. Keine von uns war scharf darauf gewesen, sich in High Heels mit der U-Bahn auf den Weg zu machen.

»Wie meinst du das?« Sie schaute mich durchdringend an, und ihr Blick unter den glitzernden Augenlidern war misstrauisch. Ihr perfektes Make-up wirkte geheimnisvoll und anziehend, während ich mich fühlte, als wäre meines längst abgeblättert und verwischt. »Das hast du mich ja noch nie gefragt.«

»Ach, ich weiß doch auch nicht.« Ich nestelte am Reißverschluss meiner Handtasche herum, die nicht wirklich passend war für einen Club. Das Gleiche galt für mein Kleid, das ich mir von Rosie geliehen hatte, weil meine eigene Abendgarderobe noch nicht wieder in Mode gekommen war.

»Nicht, dass ich das vorhabe, aber darin werde ich sicher keine besonders gute Figur machen«, hatte ich zuvor gemurrt, als ich das Kleid über Rosies Bauch-weg-Höschen gezerrt hatte.

»Das wird schon passen, wenn es das Schicksal so will«, hatte sie wie eine TV-Parapsychologin gesagt. »Elliot Frobisher wird es komplett die Sprache verschlagen, wenn es denn so sein soll, hast du das noch immer nicht verstanden?«

Habe ich nicht, zumal sich meine sogenannte schicksalhafte Begegnung mit Elliot schon vor ein paar Jahren hätte zutragen sollen. Aber ich konnte kaum noch atmen, geschweige denn eine Debatte vom Zaun brechen. Die ganze Aktion erschien mir immer lächerlicher, und ich war mir nicht sicher, wie ich das alles durchstehen sollte.

Ich schaute aus dem Taxifenster und beobachtete, wie die vorbeiziehende Landschaft allmählich dem orangefarbenen Laternenlicht wich.

»Hör zu. Du denkst, Pete ist der Richtige für dich, und das ist doch das Einzige, was zählt«, sagte Rosie diplomatisch und hatte jetzt wieder meine Aufmerksamkeit. »Er ist ein netter Kerl. Einer der besten, die es gibt.«

»Es ist nur …« Ich zögerte. »Weil du mir so ohne jegliches Zögern geraten hast, die Hochzeit abzublasen, frage ich mich, ob dir der Gedanke nicht schon mal vorher gekommen ist.«

»Sei nicht albern. Du weißt genau, wie gerne ich Pete mag«, sagte sie und rückte ihre Glitzerhaarspange zurecht, aber ihr leichter walisischer Akzent verriet sie. Wenn sie unter Druck geriet, hatte sie ihn nicht unter Kontrolle. Als wir uns auf dem Catering-College kennenlernten, wusste ich gar nicht, dass sie aus Wales stammte, bis in einem Streit mit dem Küchenchef ihr Akzent eines Tages hervorbrach. »Ich denke nur, dass es seinen Grund hat, dass Elliot Frobisher in deinem Schlafzimmer aufkreuzt. Und das solltest du nicht einfach ignorieren.«

»Tu ich auch nicht«, sagte ich weinerlich. »Sitze ich nicht hier mit dir im Taxi?«

Da mischte sich der Taxifahrer ein. »Wenn Sie sich einen anderen Mann ins Schlafzimmer holen, sollten Sie nicht heiraten«, sagte der Mann und suchte im Rückspiegel meinen Blick. Er war klein und rundlich und hatte einen weißen Haarschopf.

»Es ist nicht so, wie Sie denken«, sagte ich gekränkt.

Rosie unterdrückte ein Kichern.

»Meine liebe Mum – Friede ihrer Seele – hat immer gesagt, wenn du Zweifel hast, lass es bleiben.« Er schüttelte den Kopf. »Hätte ich auf sie gehört, wären mir zwanzig elende Jahre erspart geblieben.«

»Dann ist Ihre Meinung ja wohl nicht gerade maßgeblich, was?«, stellte Rosie fest, und er schaute über die Schulter nach hinten.

»Meine Tochter hat letzten Sommer geheiratet«, fuhr er ungerührt fort. »Und ich habe dafür bluten müssen. Sie hat darauf bestanden, für den Empfang das ›Rochester‹ zu mieten.«

»In Westminster?« Rosie warf mir einen erstaunten Blick zu.

»Ein Pub in Stoke Newington. Da lebte sie damals«, sagte er und drehte sein Gesicht uns zu, ohne dabei die Straße aus dem Blick zu lassen. »Sechs Pfund pro Kopf für ein bisschen gefülltes Gebäck. Eine verdammte Abzocke, wenn Sie mich fragen.« Unsanft wechselte er in einen anderen Gang. »Und die Ehe hat nicht einmal gehalten«, klärte er uns auf. »Er ist wieder mit seiner Ex zusammen und hat unsere Sharna mit den Zwillingen sitzen lassen.«

Ich traute mich nicht, Rosie anzuschauen.

»Aha. Danke für diese aufmunternde Geschichte«, sagte sie. Er runzelte die Stirn, weil er offenbar nicht wusste, ob sie ihn auf die Schippe nahm.

»Alles ein großer Schwindel, wenn Sie mich fragen«, verkündete er und schaute uns im Spiegel vorwurfsvoll an, als wäre es unsere Schuld, dass seine Tochter einen Versager geheiratet hatte.

Danach schwiegen wir. Ich gab mir alle Mühe, nicht über den vor uns liegenden Abend nachzudenken. Und auch nicht darüber, was Pete sagen würde, wenn er wüsste, was ich hier tat.

Meine Internetrecherchen hatte ich bewusst eingestellt, da ich mich – aus Gründen, die mir selbst nicht klar waren – Elliot gegenüber ganz unvoreingenommen verhalten wollte, wenn ich ihn traf. Falls er überhaupt wirklich existierte.

In diesem Fall hatte er keinen Zweifel daran gelassen, dass ich ihn auf keinen Fall mögen würde. Dass er in Clubs wie dem ›Gilded Cage‹ herumhing, ließ darauf schließen, dass er Recht hatte.

»Braucht man hier nicht eigentlich eine Einladung?«, fragte ich, als wir schließlich vor einem unscheinbaren Gebäude in einer Seitenstraße von Mayfair vorfuhren. Ein Haufen Paparazzi drängte sich auf dem Bürgersteig und wartete darauf, dass ein Promi heraustorkelte.

»Erinnerst du dich an die Pensionierungsfeier der Grangers letztes Jahr?«, fragte Rosie. »Deren Tochter Cassie arbeitet hier. Ich habe sie angerufen.«

»Verstehe«, sagte ich und klappte meinen Mantelkragen hoch. Meine Zähne klapperten vor Kälte und Nervosität. Zum letzten Mal war ich vor ein paar Jahren in einem solchen Laden gewesen, um die bestandene Kochprüfung zu feiern. Ein paar von unseren Leuten hatten beschlossen, in einen Club zu gehen, wo eine Schaumparty lief, wie sich herausstellte. Ich trug sonst nie High Heels, rutschte dort prompt aus und brach mir den Knöchel. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke.

»Um Himmels willen«, kicherte Rosie, die seit unserer Ankunft ganz aufgedreht war. Seit sie mit Glen zusammenwohnte, ging sie kaum mehr aus. »Jetzt komm schon. Und tu nicht, als wärst du meine Großmutter.«

Als der Taxifahrer uns abgesetzt hatte, fegte mir ein eisiger Wind die Haare ins Gesicht. Ich zog meinen Mantel eng um mich und sehnte mich nach Pete, einer Pizza und einem Glas Wein auf dem Sofa.

»Und rutsch nicht wieder aus«, warnte mich Rosie. Ich widerstand dem Impuls, mir die Ohren zuzuhalten, und folgte ihr durch den Eingang, eine Betontreppe hinab und schließlich in einen L-förmigen Raum mit niedriger Decke. So hatte ich mir immer eine Opiumhöhle vorgestellt.

Alles war in Rot getaucht – Wände, Böden und das unechte Ledermobiliar –, und auf den Tischen standen rosafarbene Lichter, die wie kleine radioaktive Behälter aussahen.

»Ich hole uns einen Drink«, brüllte Rosie, die sich hier ganz in ihrem Element zu fühlen schien.

Wir kämpften uns zur Bar durch, die sich über die gesamte Länge des Raums erstreckte. Ich hielt mich im Hintergrund, während Rosie mit einer Zwanzigpfundnote vor dem Barkeeper herumwedelte.

Ein augenscheinlich manischer DJ beherrschte die Tanzfläche, auf der sich unter einer Diskokugel die Körper verrenkten. Mit dem ›Hungry Horse‹, wo Pete und ich freitagabends gelegentlich aßen, hatte dies hier nichts zu tun.

»Super, oder?«, übertönte Rosie die Musik, drückte mir ein Glas in die Hand und ließ gekonnt die Hüften kreisen. Ihre Augen glänzten, als sie sich umschaute und alles in sich aufsog, und mir fiel auf, dass ich diese Seite noch nie bewusst an ihr wahrgenommen hatte. Ich kannte eher die Rosie, die die besten Jakobsmuscheln der Gegend zubereitete – sie war mal zur besten Nachwuchsköchin der Chiltern Hills gewählt worden – und unbedingt mit Glen ein Baby haben wollte.

In ihrem hautengen, violetten Kleid, das ihren Busen perfekt zur Geltung brachte, sah sie aber auch verdammt gut aus. Und ich war nicht die Einzige, die das bemerkte. Von allen Seiten erntete sie bewundernde Blicke. Daneben musste ich furchtbar altbacken wirken.

»Und was sollen wir jetzt anstellen?«, fragte ich und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Ich fühlte mich absolut fehl am Platze – wie jemandes Tante beim Rave.

»Sieh dich einfach ein bisschen um«, sagte Rosie, zog mich quer durch den Raum zu einem Tisch und stellte ihr Glas ab. Es war bereits leer, wie ich feststellte. »Und halte Ausschau, ob du Elliot irgendwo siehst.« Auf einmal stieß sie ein ohrenbetäubendes Gequieke aus. »Guck mal, da ist dieser Typ aus Eastenders! Der, der seine Schwester umgebracht hat.«

Sie kramte in meiner Tasche, bewaffnete sich mit Stift und Zettel und war schon in seine Richtung unterwegs, bevor ich sie zurückhalten konnte. Ich versuchte, mir das Lachen zu verkneifen, als er den Kopf schüttelte und entsetzt das Weite suchte.

»Er ist es, ganz bestimmt«, sagte sie unbekümmert, als sie zurückkam. »Vermutlich möchte er keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich wette, er ist Widder.«

»Jetzt setz dich schon«, sagte ich und schaute mich nach einem Stuhl um, aber sie waren alle besetzt. An der Bar standen zwei Männer, die schon die ganze Zeit Blickkontakt mit uns aufzunehmen versuchten. Sie sahen aus, als hätten sie schon eine Ewigkeit nicht mehr geduscht und auch schon lange keine Frau mehr gesehen. Das hätte mir noch gefehlt, jetzt angequatscht zu werden.

»Ich bin doch nicht die ganze Strecke hierhergefahren, um mich jetzt in die Ecke zu hocken, Sash«, sagte Rosie und wippte rhythmisch mit dem Kopf, während sie den Raum inspizierte. Fast rechnete ich damit, dass sie jeden Moment auch noch ein Fernglas herauskramen würde. »Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier, denk dran.«

Plötzlich erstarrte sie und stieß mich mit dem Ellbogen an. Mein Drink schwappte auf meine Schuhe.

»Da ist er, Sash!«

»Was?« Ich riss den Kopf herum und verrenkte mir den Nacken. »Wo?«

»Nicht so auffällig«, zischte sie, hielt mich am Arm fest und verschüttete dabei noch mehr von meinem Drink.

»Er sitzt in einem Sessel rechts hinter dir. Eine etwas ordinäre Blondine fläzt sich auf seinem Schoß. Er trägt einen Anzug und … o Gott, das muss man sich mal vorstellen … Flip-Flops. Er sieht absolut umwerfend aus!« Ihre Stimme schraubte sich zu einem begeisterten Quieken hoch.

»Na toll«, sagte ich matt. Was auch immer ich erwartet hatte, das war es jedenfalls nicht. »Mein angeblich Zukünftiger starrt öffentlich einer Frau zwischen die Beine und trägt Mädchenschuhe. Und mit dem soll ich seelenverwandt sein?«

»Hab dich nicht so«, kicherte Rosie. »Die Flip-Flops stehen ihm gut. Schau ihn dir wenigstens mal an«, drängte sie mich, und so warf ich einen Blick in die Richtung und starrte in dasselbe Augenpaar wie damals daheim, in meinem Zimmer. Ein unbeschreibliches Gefühl.

Der Schock fuhr mir in die Glieder, und mein Herz schlug schneller. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als würde in seinen Augen der Funke des Wiedererkennens aufflackern, doch dann konzentrierte er sich auch schon wieder auf seine Blondine.

Obwohl man bei dem zuckenden Diskolicht nicht viel erkennen konnte, wusste ich genau, dass er es war – ganz leicht verändert, wie bei einem dieser Suchbilder, in denen man den Unterschied entdecken soll. In jedem Fall jünger und schlanker, und die Wangenknochen wirkten markanter. Rosie hatte schon Recht, er sah gut aus – wenn man verstrubbelte Typen mit Schlafzimmerblick mochte, was ich von mir nicht behaupten konnte. Einzig sein Auftreten war ein ganz anderes, soweit das, verdeckt von der exaltierten Dame, überhaupt zu erkennen war.

Sein zukünftiges Selbst hatte irgendwie realer gewirkt. Trotz des irren Geredes war es auf eine Weise ernsthaft gewesen, die ich damals gar nicht richtig gewürdigt hatte.

Wenn ich daran zurückdachte, was ich seither unentwegt tat, kam er mir wie ein ernst zu nehmender Zeitgenosse vor, während dieser … dieser Typ hier Lager soff, seiner Begleitung jetzt etwas in den Ausschnitt steckte, das wie eine Fünfzigpfundnote aussah, und ein einziger Widerling zu sein schien.

Sollte ich mich insgeheim darauf eingestellt haben, bei seinem Anblick ein warmes, diffuses Kribbeln zu verspüren, wurde ich enttäuscht. Nicht enttäuscht natürlich. Ich war erleichtert. Aber der zukünftige Elliot war sich seiner Sache so sicher gewesen, dass ich schon etwas mehr erwartet hatte.

Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es war, als ich Pete zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte sich im ›Hungry Horse‹ an seinem Pint festgehalten, eine Financial Times unter dem Arm, damit ich ihn erkennen konnte. Abgesehen von der Erleichterung darüber, dass er noch seine eigenen Zähne hatte, wunderbar volles, glänzendes Haar auf dem Kopf und keinerlei Gesichtszuckungen, blieben die Erinnerungen aber diffus.

»Nun, in einer Sache hat er jedenfalls Recht gehabt. Dein Typ ist er definitiv nicht«, sagte Rosie, und ihr Atem kitzelte mich am Ohr. »Er sieht aus wie das klassische Söhnchen reicher Eltern, das sein Erbe verschleudert. Kaum vorstellbar, dass du dich in einen solchen Typen verlieben sollst.« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Das ist nun wirklich nicht deine Liga.«

»Was soll das heißen?«, fragte ich und war seltsam gereizt. »Du meinst wohl, ich bin wirklich nicht seine Liga.« Ich ließ ihn dabei nicht aus dem Blick.

»Komm schon, Sash, du weißt, was ich meine.« Ihr ovales Gesicht wirkte in dem künstlichen Licht fast exotisch. »Ich möchte hier keine Scherze auf deine Kosten machen, aber du wüsstest doch wirklich nicht, was du mit jemandem wie Elliot anfangen sollst.«

»Ah, der großartige Elliot, was?«, sagte ich, immer noch gekränkt. Okay, im Gegensatz zu Rosie war ich in meinem Liebesleben tatsächlich nicht der Draufgängertyp. Die beiden langjährigen Beziehungen, die ich vor Pete hatte, waren nur zerbrochen, weil der eine Mann ins Ausland gegangen war und der andere sich nicht damit abfinden wollte, wie viel Zeit ich in die Arbeit steckte. In dieser Hinsicht waren wir wie Feuer und Wasser. Für Rosie waren Beziehungen Abenteuer, während ich mein Liebesleben gerne unter Kontrolle behielt. Einmal hat sie ganze sechs Monate lang vorgetäuscht, dass sie sich für Star Trek interessieren würde, nur um sich jemanden warmzuhalten. Sie ist zu Fantreffen gegangen und hat sogar Klingonisch gelernt. Schwer vorstellbar, dass ich so etwas tun würde.

Als ich sah, wie der DJ die Arme über dem Kopf schwenkte, überfiel mich das dringende Bedürfnis, nach Hause zu gehen.

»Das hier ist nichts für mich«, brüllte ich im selben Moment, als eine Techno-Nummer aufgelegt wurde und Elliot Frobisher auf die Beine sprang. Er zog die Blondine auf die Tanzfläche und zappelte mit den Beinen, als hätte seine Hose Feuer gefangen. »Ich möchte nach Hause«, formulierten lautlos meine Lippen, während ich auf die Uhr an meinem Handgelenk zeigte. Der Rest von meinem Drink landete auf dem Boden. »Er ist betrunken.«