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Eine Frau verschwindet spurlos, ein junger Mann sucht seine Mutter und auf einem Golfplatz wird eine mumifizierte Leiche entdeckt. Alles nur Zufall? Unmöglich. Die Fälle müssen miteinander verknüpft sein - nur wie? Geheimnisse aus der Vergangenheit könnten Hinweise geben, aber wenn du dich in die Tiefen des Vergessenen wagst, musst du damit rechnen, etwas Schreckliches herauszufinden.
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Seitenzahl: 319
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Hans W. Cramer
Wer Sünde sät
Thriller
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2016
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung und Foto: © U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
ISBN 978-3-8392-5022-8
Für Jan und Peter
Alle Frauen werden wie ihre Mütter.
Das ist ihre Tragödie.
Die Männer niemals. Das ist ihre.
Oscar Wilde in Bunbury
Die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, wie das Wasser, das in seiner Nase brannte und immer fordernder in seinen Mund drängte.
War er diesmal zu weit gegangen? Aber was hätte er anderes machen können? Die Gefühle hatten ihn regelrecht übermannt.
Gefühle? Nein. Der Begriff stimmte hier nicht. Es war eine Art Besessenheit, eine Obsession, die ihn trieb. Er wusste das.
Klar: damals. Letztes Jahr. Da waren rohe Gewalt und anschließende Erpressung im Spiel gewesen. Das war nicht ganz okay. Aber sie hatte ihn so gereizt. Was hätte er denn machen sollen, als sie ihm diese deutlichen Zeichen gesendet hatte? Ihr Nein hatte er einfach nicht gehört – hören wollen. Dann war sie für einige Monate weg gewesen. Schade. Sie hatte ihm gefehlt.
Aber letztendlich hatte auch das nichts an seinen Gefühlen verändert. Er brauchte sie. Und dass sie seine Annäherungen nicht erwiderte, machte es erst recht reizvoll. Er wollte doch nur das Beste für sie und natürlich für sich, oder?
Heute hatte sich wieder so eine wunderbare Gelegenheit ergeben, sich ihr zu nähern: Eine große Gruppe Schüler aus verschiedenen Klassen und Jahrgangsstufen war bei dem heißen Sommerwetter aufgebrochen und zu dem kleinen Baggersee in der Nähe von Feilbingert gefahren, der von allen nur Silbersee genannt wurde.
In Scharen waren sie mit ihren Mofas, Shiroccos, R4 und Käfern über die kleinen Straßen gebraust, wie immer vom Sommer angestachelt, wie immer zu schnell, übermütig, den Schulalltag vergessend.
Auch sie war dabei gewesen. Er hatte sich stets in einem sicheren Abstand von ihr aufgehalten. Er wollte sie nicht bedrängen. Noch nicht.
Dann waren die meisten Kinder und Jugendlichen losgezogen und hatten sich auf den Rückweg zum Internat nach Bad Sobernheim gemacht. Übrig blieben der blöde Typ, der immer um sie herumschwänzelte, ohne wirklich mit ihr zusammen zu sein, er selbst und natürlich sie.
Die beiden unterhielten sich intensiv. Er konnte leider nichts verstehen, dazu lagen sie zu weit von seinem Standort entfernt.
Der Rotenfels machte seinem Namen alle Ehre und begann, in der tiefer stehenden Sonne in einem kräftigen Rot zu leuchten, während immer längere Schatten den See stellenweise schwarz färbten. Es war windstill, eine gewisse Schwüle lag in der Luft, obwohl sich keine Wolke am Himmel zeigte.
In diesem Moment erhob sie sich von ihrem Handtuch. Ihre braun gebrannten Arme und Beine leuchteten in der Sonne, und ärgerlicherweise schenkte sie ihrem Begleiter ein Lächeln, bevor sie mit geschmeidigen Bewegungen ins Wasser glitt.
Das war seine Chance.
Er stand ebenfalls auf und stieg, vor den Blicken der anderen beiden durch einen Felsen geschützt, in den See. Leise näherte er sich ihr und konnte unbemerkt herantauchen. Seine Erregung machte ihn fast krank. Das Herz schlug ihm fest und schnell im Hals und der Brust, als er sie sanft berühren wollte.
Vielleicht war es nicht so sanft gewesen, wie er es vorgehabt hatte. Aber hatte sie so schreien müssen?
All diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Viel Zeit zum Nachdenken hatte er nicht mehr, da ihn vier starke Hände unerbittlich unter Wasser drückten.
Auch ihre Hände sind dabei, dachte er. Sie sind stark von ihrem perfekten Volleyballspiel. Ab und zu streiften ihre Beine seinen Körper und er konnte es fast genießen. Dann aber wurde ihm schwindelig, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen und der Drang, frische Luft in seine Lungen zu bekommen, wurde immer heftiger.
Erst jetzt machte er sich klar, dass dies hier keine Warnung mehr war.
Das war wahrscheinlich sein Ende.
Er war wohl tatsächlich zu weit gegangen …
Es war unerträglich heiß in dem hochmodernen Sitzungssaal des Golfclubs »Nahegrund« in der Nähe des gleichnamigen Flusses. Die Klimaanlage war zum wiederholten Male ausgefallen, sodass Dr. Stefan Burger, Vorsitzender des Clubs, mit Schrecken an die Reparaturkosten dachte.
Überhaupt lief die Sitzung so gar nicht nach seinem Geschmack. Die neuen Mitglieder waren nach fünf Minuten abgearbeitet, die Steigerungszahlen der Platzbelegung hatten kaum länger gedauert, während man jetzt bereits seit zwei Stunden über notwendige Investitionen und Ausgaben diskutierte, die die mageren Einnahmen bei Weitem überstiegen. Außerdem musste er dringend nach Hause, um das anstehende Ehemaligentreffen seiner Abiturklasse zu organisieren.
Er seufzte vernehmlich und zog sich damit einen strengen Blick seines Freundes und Finanzausschussvorsitzenden Peter Bach zu.
Burger schielte auf die Tagesordnung und stellte mit Erleichterung fest, dass nur noch »Sonstiges« abzuhandeln war. Unter diesem Punkt gab es normalerweise keine Anträge mehr, da er wie immer beflissentlich alles Anstehende in die übrigen Punkte eingearbeitet hatte.
Er lockerte seine Krawatte erneut, was den Effekt hatte, dass sich der Knoten endgültig verabschiedete. Seufzend zog er sie aus dem schweißnassen Kragen und stopfte sie in seine Hosentasche.
»Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?«, fragte er auf allgemeines Kopfschütteln hoffend in die Runde.
»Allerdings!«
Der Platzwart, na prima, dachte Burger entnervt.
»Thomas, was gibt es denn so Dringendes? Wir haben doch alles besprochen.«
»Nicht ganz, Herr Dr. Burger«, meinte der Angesprochene. Thomas Bolz war mittlerweile Rentner und seit Bestehen des Golfclubs als Greenkeeper tätig. Alle schätzten seine Arbeit, und Burger musste sich eingestehen, dass sämtliche bisherigen Einwürfe des eher stillen und zurückhaltenden Mannes Hand und Fuß gehabt hatten.
»Es geht wieder einmal um das Fairway sieben. Ich bekomme nun schon seit der letzten Umgestaltung, also seit zwei Jahren«, Thomas betonte die beiden letzten Wörter ausdrücklich, »Beschwerden über das linke Rough, ungefähr 30 bis 50 Meter vor dem Green.«
Zustimmendes Gemurmel wurde hörbar. Alle kannten das Problem. Die Bahn Nummer sieben war ein Blind Hole. Das heißt, man konnte vom Abschlag und von weiten Teilen des gesamten Fairways das Loch auf dem Green nicht sehen, da die Bahn nach rechts gebogen war und das Ende hinter einer kleinen Kuppe lag. Das führte dazu, dass viele Bälle nach dem Abschlag links der Bahn im weniger gemähten, hohen Gras landeten, dem Rough. Grundsätzlich kein Problem. Wollte man aber von hier aus Richtung Green, also der kurzgeschorenen Grasfläche mit der Fahne und dem Loch, spielen, stand man einem circa drei Meter hohen Hügel gegenüber, der so nah war, dass ein Überspielen praktisch unmöglich war. Diesen Hügel hatte man wie auch andere Unebenheiten des Geländes so belassen, um die Ursprünglichkeit so weit es nur ging zu erhalten. Der Vorstand sah sich jedoch mit einem wachsenden Unmut der Spieler konfrontiert, die schlicht keine Lust hatten, um den Hügel herumzuspielen. Das wäre ja wie Minigolf, hörte man fast jede Woche, und Burger musste sich eingestehen, dass es so nicht weiterging.
»Also gut«, seufzte er. »Irgendwelche Vorschläge?«
Es dauerte gute 30 Minuten, bis man sich schließlich einigte, die eigentlich notwendige, aber zeitaufwendige Ausschreibung für die Umgestaltung zu umgehen und einen bekannten Gartenbauingenieur aus Feilbingert direkt zu beauftragen. Sollte dieses Verfahren zu Protesten bei der nächsten Vollversammlung führen, müsste man eben kleinere Brötchen backen.
Erleichtert, endlich alles geschafft zu haben, packte Burger seine Papiere zusammen.
»Ach, Peter!«, hielt er den davoneilenden Freund auf. »Du hast mir noch gar nicht definitiv für Samstag zugesagt. Ich muss heute und morgen alle anrufen oder anmailen, die bisher nur sehr vage oder gar nicht geantwortet haben.«
Die beiden Männer standen nebeneinander, und ein Fremder hätte darauf wetten mögen, dass es sich um Brüder handelte. Stefan Burger: 50 Jahre alt, schlank, aber athletisch gebaut mit vollem, dunkelblondem Haar, das erst an wenigen Stellen mit grauen Strähnchen durchzogen war. Sein Gesicht – jetzt durch die Hitze und Anstrengung der Sitzung gerötet und verschwitzt – strahlte üblicherweise eine tiefe Ruhe und heitere Gelassenheit aus.
Sein Freund Peter Bach war gleich groß, etwa 1,90 Meter, ebenfalls sehr schlank, wenn auch nicht so sportlich wie Stefan. Die Haarfarbe und Frisuren waren identisch, was beiden des Öfteren spöttische Bemerkungen über ihre Beziehung eingebracht hatte. Auch bei ihm überwog die gute Laune, wobei ihm die vielen kleinen Lachfältchen um seine Augen und die Mundwinkel herum einen eher verschmitzten, wenn nicht sogar jugendlich-frechen Ausdruck verliehen.
»Klar komme ich, Stefan! Das lass ich mir doch nicht entgehen. Die ganze Chaotentruppe mal wieder zusammen. Super! Weißt du, auf wen ich mich am meisten freue?«
Burger schüttelte den Kopf.
»Auf Nora. Du hast sie doch diesmal gefunden, oder?« Peter Bach verdrehte schwärmerisch die Augen. »Mann! War das ein Mädchen! Weißt du eigentlich, ob sie verheiratet ist?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Burger, langsam Richtung Ausgang schlendernd. »Wir werden auch diesmal auf sie verzichten müssen. Tut mir leid, Peter, aber ich habe nach wie vor keine Ahnung, wo sie steckt, wie sie jetzt heißt oder welche E-Mail-Adresse sie hat. Aber für dich und Heike ist das wohl auch besser so.« Augenzwinkernd stupste er seinem Freund, der ihm gefolgt war, in die Rippen.
»Du gönnst mir aber auch gar nichts«, lachte Peter und verließ mit Stefan gut gelaunt das Clubhaus.
Man kann davon ausgehen, dass die Ursachen für seine Probleme bereits vor der Geburt begannen. Das Geburtsgewicht von gerade einmal 2.650 Gramm nach 40 Wochen Tragzeit erklärten sich die Ärzte in der Frankfurter Geburtsklinik mit dem nachweislichen Alkohol- und Nikotinkonsum der Mutter, die diesen während der Schwangerschaft in keiner Weise eingeschränkt hatte. Vier Tage nach der Geburt verließen die Mutter und das Neugeborene die Klinik. Erstere in eine abgewetzte Jeansjacke gehüllt, der Zweite in einem zur Babytasche umfunktionierten Einkaufskorb. Der Bus vor der Klinik fuhr in Richtung Innenstadt. Sie stiegen ein paarmal um, bis sie schließlich nach etwa einer Stunde Fahr- und Laufzeit zu Hause ankamen. Dort erwartete sie der Vater und Ehemann, der sich allerdings in einem Zustand befand, der ein Abholen der beiden Ankommenden unmöglich gemacht hätte. Die halbleere Flasche billigen Weinbrands sowie fünf Flaschen Bier auf dem Couchtisch, der ansonsten übersät war mit abgegessenen Tellern, Krümeln und Essensresten nicht definierbarer Herkunft, sprachen eine eindeutige Sprache. Andererseits hätte er die beiden sowieso nicht abholen können, zumindest nicht mit einem Auto, da er erstens keines besaß und ihm zweitens schon vor etlicher Zeit der Führerschein wegen wiederholten Fahrens unter Alkoholeinfluss endgültig abgenommen worden war.
In einem zweiten Raum der kleinen Dreizimmerwohnung schrie ein weiteres Kleinkind, was der Vater in stoischer Ruhe ignorierte. Der Korb mit dem Neugeborenen wurde von seiner Mutter achtlos vor das Bettchen der etwa zwei Jahre alten Schwester gestellt und die Tür von außen geschlossen. Daraufhin ließ sich die frischgebackene zweifache Mutter wortlos neben ihren Mann auf das Sofa fallen und genehmigte sich genüsslich stöhnend einen großen Schluck aus der Weinbrandflasche.
Am nächsten Abend hatte Stefan Burger alle ehemaligen Mitschüler, die bisher noch unsicher waren, ob sie zur 30-Jahr-Feier erscheinen würden, telefonisch oder per E-Mail erreicht.
Zufrieden lehnte er sich in seinem ledernen Schreibtischsessel zurück und betrachtete seine Aufzeichnungen. Von den damals 70 Abiturienten waren zwei mittlerweile verstorben, fünf lebten im Ausland und konnten nicht kommen, zehn weitere waren einfach nicht erreichbar (davon acht Frauen, die wahrscheinlich durch Heirat und Namensänderung nicht auffindbar waren). Blieben 53, von denen immerhin 45 fest zugesagt hatten. Ein guter Schnitt, dachte Burger und nahm ein zweites Stück Papier in die Hand. Hierauf hatte er die geplanten Aktivitäten für den Samstag notiert. Die Zimmer in den zwei Hotels in Bad Sobernheim waren gebucht, das Treffen auf dem Schulgelände war für 15 Uhr angesetzt. Zwei Lehrer hatten sich zu einer Führung durch ihre alte Schule bereit erklärt (unter anderem ihr alter Chemielehrer, der nun kurz vor der Pensionierung stand). Danach sollte es bei schönem Wetter – und danach sah es vier Tage vorher aus – in einen Biergarten am Naheufer gehen. Zum Abend hatte Burger einen Saal im Ratshof angemietet, wo sie gemeinsam essen konnten. Anschließend gab es eine kleine Präsentation mit Bildern aus ihrer Schulzeit und die Möglichkeit zum Tanzen.
Große Lust hatte er nicht gehabt, die gesamte Planung für das Fest zu übernehmen. Aber als alteingesessener Bad Sobernheimer und bekannter Rechtsanwalt, dem alle Türen offen standen, war es nur natürlich gewesen, dass sich gleich mehrere seiner ehemaligen Mitschüler mit der Bitte an ihn gewandt hatten, diese mühselige Arbeit auf sich zu nehmen.
In diesem Augenblick klopfte es sachte an die Tür seines Arbeitszimmers, und der blonde Lockenkopf seiner Frau Susanne erschien im Türspalt.
»Liebling! Willst du nicht Schluss machen? Ich hab uns einen schönen Silvaner vom Herrmann aufgemacht. Es ist schon spät, und ich möchte gerne hören, wer denn nun am Samstag kommt.«
»Wenn du so verführerisch guckst, kann ich gar nicht Nein sagen. Klar komme ich.« Stefan Burger nahm die beiden Zettel von seinem Schreibtisch und folgte seiner Frau auf die Terrasse, wo diese bereits zwei Gläser gefüllt hatte.
Nach den ersten Schlucken steckten beide die Köpfe über der Namensliste zusammen.
»Siehst du, hier: Die können alle nicht oder wohnen zu weit weg. Und diese hier«, Burger wies auf eine kleine markierte Liste, »haben abgesagt.«
»Och! Noras Adresse hast du immer noch nicht! Wie schade. Ich hatte mich schon so darauf gefreut, sie endlich wiederzusehen.«
»Na, da geht es dir wie Peter. Der war auch mächtig enttäuscht.«
»Aber dass sie bisher zu keinem Treffen gekommen ist, verstehe ich nicht. Alle haben sie gemocht, auch wenn sie nach dem halben Auslandsjahr verändert war, findest du nicht?«
Burger nickte nachdenklich. »Ja. Sie war viel stiller, in sich gekehrt, als würde sie etwas bedrücken. Aber du hast doch damals auch nicht rauskriegen können, ob in Australien etwas passiert ist, oder?«
»Nein. Sie hat überhaupt sehr wenig über diese Zeit gesprochen. Alles sehr vage. Und nach dem Abi ist sie ganz schnell in der Versenkung verschwunden. Bei unserer Abschlusstour war sie nicht dabei und beim Ein-Jahres-Treffen auch nicht erschienen.«
»Ist schon komisch. Vorher war sie immer mittendrin, hat jeden Quatsch mitgemacht und war ein guter Kumpel. Hat sie eigentlich mal mit einem aus der Schule was gehabt?«
Susanne blickte Stefan fragend an. »Du meinst so richtig, oder einfach als Freunde?«
»Nein, ich meine richtig. Ich kann mich nämlich an keinen erinnern.«
Susanne schwieg eine Zeitlang und nahm einen großen Schluck aus ihrem Weinglas. »Wenn ich mich recht entsinne, gab es da keinen. Nur mit Andreas war sie viel zusammen. Gerade vor ihrem Auslandsaufenthalt, erinnerst du dich?«
»Ach, du meinst Andreas Karmann. Der so plötzlich verschwunden ist. Komische Sache war das damals: direkt vor dem Abi unterzutauchen. Ob der auf die schiefe Bahn geraten ist? Ich hab nie wieder was von ihm gehört. Na ja, was soll’s. Wird schon ein netter Abend werden. Ich bin ganz zuversichtlich. Was gab es denn bei dir heute?«
Am nächsten Morgen hatte Stefan Burger zunächst einige Dinge in seiner Kanzlei zu erledigen, bevor er sich um 11 Uhr auf den Weg Richtung Golfplatz machte. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wie die Arbeiten am Fairway sieben vorangingen. Schließlich war ein 18-Loch-Spiel nicht möglich, solange die Arbeiten andauerten – und das hieß weniger Spieler und weniger Einnahmen.
Gerade als er in die Auffahrt zum Golfclub einbog, klingelte sein Handy. Er drückte auf die Freisprechtaste seines BMW und meldete sich.
»Chef? Hier spricht Marquart. Sie sollten schnellstens kommen. Wir brauchen Sie hier, dringend!«
»Ich bin schon da«, antwortete Burger und parkte seinen Wagen vor dem Clubhaus.
Irritiert über den Anruf eilte er zu seinem Büro, wo ein aufgeregter Marquard, seines Zeichens Mädchen für alles und Clubsekretär, auf ihn wartete.
»Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte Burger.
»Sie sollten sich das am besten selbst ansehen, Chef. Draußen bei den Bauarbeiten an der Sieben.«
Stefan Burger hatte keine Lust auf lange Ratespielchen, stürmte über die Terrasse zum Wagenpark und bestieg ein Golfcar. Nach wenigen Minuten erreichte er das Fairway sieben, wo einige Bauarbeiter und Angestellte des Golfclubs tatenlos um den ärgerlichen Hügel herumstanden.
»Was ist hier los?«, fragte Burger nervös in die Runde.
Einer der Männer trat zu ihm. Es war der beauftragte Gartenbauingenieur aus Feilbingert.
»Wir haben heute Morgen wie besprochen mit der Abtragung des Hügels begonnen, Herr Dr. Burger. Und nach etwa 70 Zentimetern haben wir das hier gefunden.«
Er schob die Männer beiseite und führte den beunruhigten Vorsitzenden näher heran. Was der dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Natürlich kannte man so etwas aus Krimis im Fernsehen oder Thrillern, die Susanne so gerne las, aber mit eigenen Augen eine halbverweste Leiche zu sehen, war etwas ganz anderes. Von der Kleidung war nichts zu erkennen. Die eindeutig männliche Leiche sah wächsern aus, als wäre sie einbalsamiert. Die Haut war teilweise verwest und hing in Fetzen von Armen, Beinen und dem Gesicht herab, wohingegen sie am Bauch relativ gut erhalten war. Gerade das Gesicht bekam durch die stellenweise fehlende Haut einen fratzenhaften Ausdruck. Die Augenhöhlen waren zudem leer, und an der Schädelkalotte hingen nur noch einzelne Haarsträhnen.
»Haben Sie schon die Polizei gerufen?«, fragte Burger sichtlich um Professionalität bemüht.
»Nein, wir wollten auf Sie warten.«
»Okay, ich erledige das. Bitte schaffen Sie die Leute hier weg und versuchen Sie das Ganze abzusperren. Geht das?«
»Klar. Machen wir«, antwortete der Ingenieur, dessen Gesicht stark an das eines gepuderten Höflings aus dem 18. Jahrhundert erinnerte. Er schluckte und begann, seinen Angestellten Anweisungen zu erteilen.
Er hatte sich extra eine Woche freigenommen. Aufgeregt wie ein kleines Kind steuerte Christoph Butzek seinen Toyota Auris über die A61 Richtung Norden.
Ganz überzeugt von seinem Vorhaben war er noch immer nicht. Eigentlich fehlte ihm doch nichts! Es war ihm die ganzen 31 Jahre seines Lebens gut gegangen. Seine Adoptiveltern hatten ihn liebevoll aufgezogen. Seine Kindheit war perfekt verlaufen. Die Schulzeit sowie das Studium der Psychologie waren ihm leichtgefallen, und jetzt arbeitete er bereits seit drei Jahren in einer gut gehenden Psychologischen Gemeinschaftspraxis in Lörrach mit seinem Freund und Kollegen Martin zusammen.
Okay, die Sache mit der Liebe hatte noch nicht richtig geklappt. Aber irgendwann würde ihm die Richtige schon über den Weg laufen.
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