Weshalb die Herren Seesterne tragen - Anna Weidenholzer - E-Book

Weshalb die Herren Seesterne tragen E-Book

Anna Weidenholzer

3,0

Beschreibung

Longlist des Deutschen Buchpreis 2016 Karl, ein pensionierter Lehrer, macht sich eines Tages auf, herauszufinden, was das Glück sei. Einen nur leicht veränderten Fragebogen im Gepäck, mithilfe dessen seit 1979 das ›Bruttonationalglück‹ in Bhutan ermittelt wird, lässt sich der Glücksforscher in einem schneelosen Skiort nieder, dessen Bewohner er nun in unbekanntem Auftrag nach ihrer Lebenszufriedenheit befragen will. Das Hotel Post, in dem Karl als einziger Gast unterkommt, wird bewirtschaftet von einer namenlosen Frau und ihrer Hündin Annemarie. Von hier aus beginnt er seine Forschungen, unterbrochen von konfliktgeladenen Telefongesprächen mit seiner Frau Margit. Bald erhält seine Reise Züge einer Flucht, und der Fragende wird unmerklich zum Objekt der Befragung anderer.

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Anna Weidenholzer

WESHALB DIE HERREN SEESTERNE TRAGEN

Roman

Inhalt

Vierhundertneunundsechzig Kilometer

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

Zweihundertvierundfünfzig Kilometer

Hundertdreizehn Kilometer

Ein Kilometer

Jupiterweg sieben

Vierhundertneunundsechzig Kilometer

Und alle Fenster finster und hier draußen ich. Bei Hirsch brennt kein Licht, die Wirtin ist ohnehin nicht zu Hause. Karl sieht hoch zu seinem Zimmer, das Fenster ist gekippt, man bemerkt es kaum. Auf Wiedersehen, flüstert er, und die Lichter des Autos blinken, als er auf den Schlüssel drückt. Auf Wiedersehen, Hotel Post, es war sehr schön mit dir.

Bis zur Autobahn wird es eine Stunde sein, Karl fährt vorbei am Altstoffsammelzentrum, am Gasthaus Rust, dem Supermarkt, an der Tankstelle, die keine mehr ist und die jetzt Imbiss heißt, er sieht sie sitzen, sie bemerken ihn nicht. Er beschleunigt und lässt das Ortsgebiet hinter sich. Achtzig Stundenkilometer sind genug, Karl bremst ab, es ist Wildwechselzeit. An der ersten Raststation, bei den Lastkraftfahrern werde ich schlafen, im Autobahnhotel, sie haben bestimmt ein Zimmer frei. Ich werde morgen zeitig aufbrechen, ich werde Blumen kaufen. Eine Orchidee, Margit kann nicht gut mit Zimmerpflanzen. Und niemals Schnittblumen, auch wenn sie sich freuen würde, aber ich weiß, was nach ein paar Tagen kommt: Karl, würde sie sagen, es riecht wie in einer Aufbahrungshalle, schaff die Blumen weg. Ich wechsle das Wasser, würde ich sagen, es ist nur das Wasser, die Blumen können nichts dafür, siehst du, sie welken noch nicht, nicht eine einzige Blüte, die hängt. Ich würde das Wasser ins Waschbecken leeren und durch frisches ersetzen, lauwarmes, bei kaltem erschrecken sie. Vielleicht wären sie ein wenig müder als am ersten Tag, aber manche würden gerade erst jetzt ihre Knospen öffnen, worauf ich Margit allerdings nicht hinweisen würde. Am besten, man vermeidet es, in solch einer Situation über die Blumen zu sprechen, es würde die Aufmerksamkeit nur in die falsche Richtung lenken. Andererseits, mit Schnittblumen im Haus käme es so oder so zu einem Konflikt. Friedhofsgeruch, würde sie jedes Mal sagen, wenn sie an dem Strauß vorbeigeht, wie hältst du das nur aus? Ich rieche nichts. Es ist unmöglich, diesen Geruch nicht wahrzunehmen, Karl, ich mache mir Sorgen, deine Nebenhöhlen, ständig sind sie entzündet, und jetzt riechst du auch die Blumen nicht.

Trotz Sperrlinie überholen. Karl schüttelt den Kopf und betätigt die Lichthupe, er fährt noch eine Weile mit Fernlicht, dann blendet er ab. Ich möchte ihr eine Freude bereiten, ich möchte meine Margit glücklich machen. Ich werde ihr eine Orchidee mitbringen, ohne Übertopf, wir haben noch genug im Keller, von den Vorgängerpflanzen, die ihre Pflege nicht überlebten. Zu viel Wasser ist nicht gut, ich sage es immer wieder, wieder und wieder. Sie meint es gut mit ihnen. Eine Orchidee ist anspruchslos, am Sonntag für ein paar Minuten ein Wasserbad, nicht zu kalt, nicht zu warm. Was früher der Kaktus war, ist heute die Orchidee. Karl, verlier dich nicht, würde Margit jetzt sagen. Ich werde sie in die Arme nehmen, ich werde flüstern: Margit, mein Mädchen, ich bin zurück. Schön, wird sie sagen, vielleicht auch: Ich habe mich auf dich gefreut. Ich werde nach Hause kommen, mit einer Orchidee unter dem Arm, einer weißen, eingeschlagen in buntes Papier von Blumen Haberkuk. Wie sagte Margit? Fürchte dich nicht, wie du an eine Sache herangehst, so tritt sie ein.

Was Margit sagte: An Regentagen mag ich das Spazierengehen nicht und dir klebt Blaukraut am Bart. Sie sagte: Karl, du bist verschwunden, ohne Bescheid zu geben. Ich rufe doch an. Du bist einfach weg gewesen. Ich werde bald wieder bei dir sein, wie bitte, Margit, der Empfang ist schlecht, es muss an den Bergen liegen, sie halten die Strahlen ab. Karl stand in seinem Zimmer vor dem Heizkörper, er legte die Hände darauf und klemmte das Telefon zwischen Schulter und Kopf. Draußen ging eine Frau vorbei, sie winkte, als ein Auto vorüberfuhr. Karl zog die Hände zurück und wischte über die Fensterbank. Ja, das mache, ja, das werde ich, ich weiß, dass du dir in solch einer Situation Sorgen machst. Margit war nicht mehr zu hören, er ließ das Telefon noch eine Weile eingeklemmt.

Eine Sperrlinie ist eine Sperrlinie, flucht Karl und bremst ab, als ihn ein weiteres Auto überholt. Rechts von ihm fließt ein Fluss die Straße entlang. Ich werde sicher nach Hause kommen, bald wird die Autobahn ausgeschildert sein, bald werde ich auf der Raststation, morgen wird mein Aufbruch eine Ankunft sein. Hör, wie der Regen fällt. Margit, werde ich sagen, weißt du, wir sind dieses Jahr noch kein einziges Mal über Schnee gegangen, und ich dachte bei meiner Abreise schon, dass der Winter kommt.

Kennwort O1

Regen und Sturm, es wird ein früher Winter werden. Karl lässt den Zettel auf dem Wohnzimmertisch liegen, den Satz hat er mit schwarzem Filzstift umrandet, er geht hinüber in die Küche und trinkt ein Glas Wasser. So, flüstert er, und deshalb. Er sieht aus dem Fenster, in der Garageneinfahrt des Nachbarhauses steht ein ausgehöhlter Kürbis auf der Mülltonne. Karl, das kannst du nicht schon wieder machen, weißt du noch, als das Hochwasser war, als du aufgebrochen bist, um zu helfen. Du warst schnell wieder zurück.

Karl schüttelt den Kopf. Ich werde Margit einen Brief hinterlassen, ich werde ihr sagen, dass es keinen Aufschub geben soll. Meine liebe Margit, schreibt er und zerknüllt den Zettel, weil er ihren Namen nicht so geschrieben hat, wie er aussehen sollte. Nein, kein Brief. Ich werde sie anrufen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt. Ich werde sagen: Wer eine gesellschaftliche Situation verstehen will, muss die Erfahrungen der Menschen zum Sprechen bringen. Margit, mein Mädchen, es war so weit, ich musste weg von hier.

Test, spricht Karl, das Diktiergerät leuchtet rot: Eins, zwei, eins. Auf seinem Schoß liegt der Autoatlas, er lässt den Finger auf dem Register, das er aufgeschlagen hat, und überlegt, ob er von dem Ort schon jemals etwas gehört hat. Draußen kommt Zobl zur Garageneinfahrt, sie starrt abwechselnd auf ein Blumenbeet und den Kürbis und hält eine Zigarette in der Hand. Karl drückt die Wiedergabetaste. Test, eins, zwei, eins, hört er sich sagen. Danach legt er seinen Finger auf die Aufnahmetaste: Aufbruch heute, zwanzigster Oktober, elf Uhr zehn. Der Ort wurde durch Zufallsprinzip ermittelt, Kennwort.Kennwort, wiederholt Karl und unterbricht. Er hat zuvor über die Verschlüsselung von Namen nachgedacht, wie wichtig es sei, vollkommen unvoreingenommen an einem unbekannten Ort zu beginnen. Zobl drückt die Zigarette auf dem Boden aus und hebt sie auf, um sie in die Mülltonne zu werfen, sie nimmt den Kürbis dazu herunter. Eine ordentliche Frau, denkt Karl. Kennwort O1, sagt er und hält das Gerät dicht vor sein Gesicht. Margit wird sich wundern, Margit wird nicht gedacht haben, dass ich so sorgfältig vorgehe. Karl Hellmann, das hätte ich dir nicht zugetraut. Ich werde sie später anrufen, ich werde sagen: Alles drehte, alles bewegte sich, ich war sehr aufgeregt.

Wenn ich wir sage

Hätten Sie ein Zimmer frei?, fragt Karl im Hotel Post, die Gaststube ist leer. Die Gäste werden wohl erst abends kommen, überlegt er und streichelt den Hund, der hinter der Bar hervorgekommen ist. Ein unfassbar dicker Hund, denkt er, er sagt: Schön ist der.

Die, antwortet die Wirtin, das ist unsere Annemarie. Warum Annemarie? Eine Gästin hat sie hiergelassen, sie hieß Annemarie, also haben wir den Hund nach ihr benannt. Wie man einen Hund vergessen kann, möchte Karl fragen, aber die Wirtin ist schneller: Wie lange bleiben Sie? Ich weiß es nicht, zwei Wochen bestimmt, vielleicht auch drei.

Zwei Wochen?, die Wirtin sieht ihn lange an. Zu lange, denkt Karl, das ist ein unangemessener Blick. Wie kann man, beginnt er, aber die Wirtin kommt ihm wieder zuvor: Wenn Sie möchten, Sie können gern so lange bleiben, vielleicht wird es besser als voriges Jahr, vielleicht schneit es bald. Dass er das nicht hoffe, sagt Karl, und die Wirtin runzelt die Stirn. Möchten Sie das Zimmer sehen, es ist gleich im ersten Stock.

Das ist eine schnelle Frau, denkt Karl und nickt.

Solche Fliesen hatten wir in unserer alten Wohnung auch, sagt er, als er hinter der Wirtin in den Vorraum tritt: Wenn ich wir sage, meine ich meine Frau Margit und mich. Die Wirtin schaut auf den Boden, sie fragt nicht, wo Margit ist: Die Fliesen hat mein Vater verlegt, sie halten länger als ein Leben, das ist ein Boden für die Ewigkeit. Karl möchte auf eine besonders schön gemusterte Fliese hinweisen, aber da hat die Wirtin bereits nach der Türklinke gegriffen. Zimmer Nummer drei, das wäre Ihres.

Dass kein Zimmer im Hotel Post bewohnt war, dass die Wirtin wegen ihm einheizen musste und ihm in der Hoffnung, er möge es sich anders überlegen, das schlechteste Zimmer zeigte, davon weiß Karl zu diesem Zeitpunkt nichts. Ein Bett, ein Schrank, ein Bad, alles da, sagt er, als sie im kalten Zimmer stehen und die Wirtin die Vorhänge aufzieht, um besser an die Heizung dahinter zu kommen. Karl bedankt sich und stellt die Tasche ab.

Zur Reinigung, sagt die Wirtin, das erledige ich, wenn Sie dieses Schild an die Tür hängen, mit der Aufschrift nach vorn, so. Sie brauchen nicht zu putzen, antwortet Karl, ich mache das gern. Die Wirtin sieht ihn wieder ein bisschen zu lange an: Dann geben Sie Bescheid, wenn Sie den Staubsauger benötigen, einen Putzfetzen lasse ich hier, den Fernseher finden Sie im Schrank. Das ist gut zu wissen, daran hätte ich nicht gedacht.

Karl folgt der Wirtin zurück in die Gaststube, wo Annemarie in der Ecke liegt und kurz den Kopf hebt. Hier ist Ihr Schlüssel, sagt die Wirtin, bringen Sie das ausgefüllte Gästeblatt zum Frühstück mit, Frühstück ist von acht bis zehn. Wenn keine anderen Gäste hier sind, lassen Sie mich am Vortag wissen, wann Sie aufstehen, damit ich das Frühstück rechtzeitig bereiten kann.

Ob sie auch hier wohnt, möchte Karl fragen, aber die Wirtin wendet sich dem Telefon zu, das in diesem Moment läutet. Was rechtzeitig bedeutet, möchte er fragen, und ob er auch ein Abendessen bekommt. Karl lächelt und winkt, als er den Raum verlässt, entschlossen, morgen zu fragen.

Wieder auf dem Zimmer geht er vom Vorraum in den Hauptraum, ins Bad und zurück, er hört Margit sagen: Hier ist wenig Platz. Braune Fliesen und blaue Handtücher, denkt er, als er die Handtücher ins Bad trägt, wenn ich ihr davon erzähle, wird sie lachen. Er hebt den Koffer auf die Ablage, die Wand dahinter ist schmutzig.

Karl schaltet den Fernseher ein, das Bild kommt mit einem Surren, auf dem ersten Programm ist eine Kochsendung zu sehen. Und ich habe gehört, du hast das Originalrezept, und das hätte ich gern. Ja, das habe ich, das habe ich schon vorbereitet. Vorsichtig öffnet er den Schrank, er legt seine Kleidung hinein. Die Dinge, die er im Bad benötigen wird, trägt er hinüber, die Zahnbürste steckt er in das dafür vorgesehene Glas, seinen Pyjama legt er unter das Kopfkissen, den Koffer verstaut er ganz unten im Schrank. Wichtig ist, dass man sich auch an neuen Orten schnell einrichtet. Karl hat seine liebste Schlafkleidung mitgebracht, ein altes Nachthemd von Margit mit einem gähnenden Löwen darauf. Es ist groß geschnitten und Karl mag die Beinfreiheit beim Schlafen. Das sagte er auch, als Margit ihn zum ersten Mal darin sah und mit einem müden Blick fragte: Karl, was machst du da?

Wir müssen neue Wege finden

Wir müssen neue Wege finden, werde ich sagen, und es liegt an uns, damit zu beginnen, Margit, mein Mädchen, ich wollte dir schreiben, ich wollte schreiben: Ich musste weg von hier. Ich werde weitersprechen, ich werde nicht aufhören damit, ich werde sagen: Es soll keinen Aufschub geben, der Zeitpunkt ist gut gewählt. Ich dachte nicht, dass du das machen wirst, wird sie vielleicht antworten, oder: Karl, komm sofort zurück, ich kenne dich, das ist eine fatale Kombination aus Langeweile und Ungeduld.

Ich werde sagen: Wer unsere Gesellschaft verstehen will, muss Fragen stellen, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen, du weißt. Aber wie willst du das machen, wird sie vielleicht antworten und dabei die Arme verschränken, was ich nicht sehen würde. Die Fragen sind aus Bhutan, Karl. Der Fragebogen zum bhutanischen Bruttonationalglück schafft einen guten Überblick, werde ich sagen, es werden alle gesellschaftlichen Bereiche ausreichend abgedeckt. Vielleicht wird sie daraufhin laut ausatmen: Du hast den Gedanken nicht zu Ende gedacht. Doch, Margit, ich werde zehn Leute an zehn Orten befragen, ich werde herausfinden, woher diese Unzufriedenheit kommt, diese Angst, die manche in die falsche Richtung treibt. Was ist richtig und was ist falsch, das wird Margit nicht fragen, sie weiß, was das heißt. Warum so plötzlich, Karl?, wird sie vielleicht fragen. Nun, werde ich antworten, ich wusste nicht, was ich mit meinem Vormittag machen soll, wohin mit der vielen Zeit. Ich war im Möbelhaus, ich fürchtete mich vor den Gesichtern dort und noch viel mehr vor den Plakaten auf dem Weg dorthin. Margit, ich habe Angst vor dem, was kommt.

Karl hustet, ehe er die Nummer wählt. Hallo, Margit, mein Mädchen, endlich erreichen wir uns. Du hast sieben Mal angerufen, ich weiß, aber ich bin erst jetzt angekommen, und während ich fahre, telefoniere ich nicht. Ja, ich habe den Satz kopiert und ausgeschnitten, ja, du hast ihn gelesen, und hast dir schon gedacht. Ja, ich weiß, ja, das ist, aber wir hatten in nächster Zeit ohnehin nichts geplant. Ja, tatsächlich, dieses Vorhaben, von dem ich vor drei Tagen, Margit? Ja. Ich weiß. Aber mir genügt es nicht, einen Kurs zu besuchen, das hat nichts mit der Pensionierung zu tun. Margit? Ja, es hätte besser kommuniziert werden müssen. Ich weiß, du bist kein Mädchen mehr. Nein, das bin ich nicht, das könnte das größte – ja. Ja, ich weiß. Ja, die Kommunikation ist die Basis einer Beziehung, so wie die Wurzeln beim Baum, kappt man sie, fällt er um. Das weiß ich doch alles, Margit, aber die Liebe ist auch wie der Giersch im Blumenbeet, den bekommst du nicht einfach so weg, indem du ihn ausreißt. Es tut mir leid. Ja, ich habe gesagt, dass es mir leidtut, ich werde in Zukunft nicht mehr ohne Vorankündigung abreisen. Es wird anders werden, du wirst sehen, und ich werde bald wieder bei dir sein. Wie bitte? Einerlei, sagst du? Du musst schlafen, ach so, ich rufe dich morgen an. Ja, das mache, ja, das werde ich. Ich weiß, du machst dir Sorgen.

Ein Kapitän

An der Tür ist ein Zettel angebracht, Karl liest ihn ausführlich, bevor er sich entscheidet, einzutreten. Unsere Schlachttiere vom 21. Oktober: 1 Stück Kalbin vom Landwirt Strutz Anna, 1 Stück Kalbin vom Landwirt Beyerl Johanna, 1 Stück Kalbin vom Landwirt Mühleder Alfred, 1 Stück Stier vom Landwirt Hochreiter Alfred, 1 Stück Kalb vom Landwirt Schnepf Josef, 2 Stück Kälber vom Landwirt Reinter Hermann.

Karl versucht, sich alle Namen einzuprägen, aber er weiß, er wird sie vergessen haben, sobald die Tür hinter ihm zufällt. Eine Möglichkeit Namen zu behalten sei, sie sofort laut zu wiederholen, hörte er vor einigen Tagen, noch zu Hause, im Fernsehen: Guten Tag, Frau Polzer, es freut mich, Sie kennenzulernen. Herr Wolf, sind Sie auch zum ersten Mal hier? Zu Hause, denkt Karl, er schüttelt den Kopf, ich darf mir ohnehin keine Namen merken.

Der Verkaufsraum ist kleiner als gedacht, im Nebenraum brennt kein Licht, aber mehrere Gäste sitzen dort an den Tischen und essen Wurstsemmeln. So werde ich es auch machen, denkt Karl und stellt sich an. Die Schweine kommen aus dem Nachbarort, hört er den Verkäufer sagen, er trägt einen orangen Pullover, über den er eine weiße Schürze gebunden hat. Der Verkäufer ist ein großer Mann, er überblickt leicht die Vitrine, die auf Schulterhöhe der Frau endet, er sagt: Bis vor Kurzem kamen sie im Ganzen, da wurden sie hier geschlachtet, aber wir möchten ihnen die Aufregung ersparen, jetzt bekommen wir sie in Hälften geliefert. Das ist gut, sagt die Kundin, und liest die weitere Bestellung von ihrem Einkaufszettel ab. Ich lege noch einen Kalender dazu, sagt der Verkäufer, als er das Fleisch über die Vitrine hebt, Achtung, es ist schwer. Möchten Sie noch etwas Süßes, ich kann keinen Tag beenden, ohne etwas Süßes gegessen zu haben, wir haben Kekse und Schokolade. Nein, danke.

Für hier oder zu Hause?, fragt der Mann, als er Karls Wurstsemmel zubereitet. Hier, sagt Karl und erst jetzt bemerkt er den Schriftzug auf der Schürze des Verkäufers. Kapitän steht dort anstelle eines Namens, die Schrift ist blau. Ich mag Boote, sagt er, nachdem Karl eine Weile auf die Stelle gestarrt hat, ich mag sie sehr, aber uns fehlt dazu ein großer Fluss, ein See oder ein Meer, der Badeteich ist zu klein. Wie bitte? Ein Getränk dazu, etwas Süßes? Danke, ich bin nur hungrig. Karl überlegt kurz, ob er fragen soll, bevor er sich in das Nebenzimmer setzt, aber er vermutet, es wird auch ohne zu fragen in Ordnung sein.

Die Gäste grüßen, als Karl den Raum betritt, er entscheidet sich für einen Tisch nahe dem Fenster und breitet die Serviette aus, so wie es die anderen getan haben. Falte mir Himmel, hört er Helmut sagen, und falte mir Hölle. Karl beißt in die Semmel. Die Männer am Nebentisch haben bereits fertig gegessen, sie sprechen laut und schnell und Karl hat Mühe, sie zu verstehen. Ich muss nach Hause, ich habe sie auf den Balkon gestellt. Da ist es höchste Zeit, nach Hause zu gehen, sagt ein anderer, es ist doch kalt. Der Mann, der vom Balkon gesprochen hat, greift nach seiner Jacke, er grüßt die anderen mit einem Handzeichen, das Karl unbekannt ist. Die Männer warten, bis er zur Tür hinaus ist, sie heben die Hände, als er am Fenster vorbeigeht, auch Karl bewegt den Kopf zum Gruß. Das ist das zweite Mal in dieser Woche, dass er sie am Balkon vergisst, sagt einer, das ist schon. Es wäre besser, ja. Sicher wäre es besser für sie. Kommt sie denn nicht. Wie denn, sie kann doch nicht gehen. Das ist schon. Ja, das ist.

Dreihundertvierundsiebzig Kilometer

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